auch wenn sie nicht unter die Definition eines der vierzehn besonders erwähnten konterrevolutionären Verbrechen fällt. Für alle diese Verbrechen ist die Todesstrafe vorgesehen.
Es besteht eine ähnliche Gruppendefinition für besonders gefährliche Verbrechen gegen die Verwaltungsordnung, von denen zwölf mit Todesstrafe bestraft werden.
d. Die Todesstrafe Die Todesstrafe ist für 70 einzelne, in den 47 Artikeln des Strafgesetzbuches definierten Verbrechen vorgesehen, und in 32 Fällen kommt sie als regelmäßige Strafe in Betracht. Die Todesstrafe wurde in der Sowjetunion mehrmals abgeschafft, aber immer wieder nach kurzer Zwischenzeit neu eingeführt. Das letzte Mal wurde sie am 26. V. 1947 abgeschafft; am 12. I. 1950 wurde sie wieder eingeführt gegen „Landesverräter, Spione (und) umstürzlerische Aufrührer", ohne genaue Definition dieser Verbrechen, so daß es dem Gericht überlassen ist zu entscheiden, in welcher der 70 Fälle des Strafgesetz-buches diese zur Anwendung kommt.
e. Behandlung der Minderjährigen Gegenwärtig behandelt das sowjetische Strafrecht den jugendlichen Missetäter fast gleich wie den Erwachsenen.
Die erste Fassung des sowjetischen Strafgesetzbuches bestimmte, daß Jugendliche unter 16 Jahren den gesetzlich vorgesehenen Strafsanktionen nicht unterworfen waren. Straffällige Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren wurden in erster Linie mit Erziehungsmaßregeln behandelt. Doch das Gesetz vom 7. IV. 1935 änderte das Strafgesetz dahin ab, daß „Minderjährige, die das zwölfte Lebensjahr vollendet haben und des Diebstahls, Gewalttätigkeiten, der Körperverletzung, Verstümmelung, des Mordes oder Mordversuches überführt sind, von Strafgerichten verurteilt werden sollen, die über sie alle Arten von auf Erwachsene anwendbaren Strafen verhängen" können, einschließlich der Todesstrafe. Im Jahre 1946 wurde diese Gesetzesverordnung auf Minderjährige ausgedehnt, welche solche Delikte aus reiner Fahrlässigkeit ohne Vorsatz begingen. Im Jahre 1940 erstreckte sich dieselbe Verordnung auf Minderjährige, welche Handlungen verüben, die den Eisenbahnverkehr gefährden wie z. B. Lockerung von Schienen, Auflegen harter Gegenstände auf Eisenbahnschienen. Für all diese Straftaten verordnete das Gesetz von 1941, daß Minderjährige von 14 und mehr Jahren den ordentlichen Strafverfahren, Verfolgungszwang etc. unterworfen sind.
Die Errichtung besonderer Erziehungsanstalten für Minderjährige von 11 bis 16 Jahren wurde am 15. VI. 1943 angeordnet, für verwahrloste Jugendliche, die Diebstähle oder andere kleinere Vergehen verübt hatten. Ihre Einweisung in Anstalten erfolgte auf Anordnung der Organe des Innenministeriums ohne gerichtliches Verfahren. (U g o 1 o vn o j e pravo. Obscaja cast. Moskva 1943, S. 137.)
f. Bestrafung unschuldiger Personen (Geiseln)
Das sowjetische Strafrecht sieht ausdrücklich die Bestrafung von gänzlich unschuldigen Personen — Geiseln — vor. Wenn z. B. jemand der beim Militär dient, ins Ausland flüchtet, so werden —sogar in Friedenszeiten — die erwachsenen Angehörigen seiner Familie oder Leute, die von ihm unterstützt werden mit fünf Jahren Verbannung nach den entlegensten Gebieten Sibiriens bestraft, selbst wenn diese von den Plänen des Fahnenflüchtigen nichts wußten.
§ 16. WIRTSCHAFTSVERBRECHEN Der sowjetische Staat ist der ausschließliche Herr aller Produktiv-kräfte und somit der gesamten Wirtschaft des Landes — oder wenigstens will er es sein. Dies bewirkt, daß die privaten Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich in ein öffentliches Verhältnis von Souverän zu Untergebenem umänderten. Die gesamte Wirtschaft stellt ein öffentliches Unternehmen dar, das mit der Vollmacht offizieller Staatsautorität betrieben wird. Das sowjetische Recht ver-bietet unter schwerer Strafandrohung zahlreiche Rechtsgeschäfte und Handlungen, die in nicht-sowjetischen Staaten als ganz rechtmäßig betrachtet werden. Daraus ergibt sich eine Reihe Verbrechen, die im fachtechnischen Sinne unpolitische Vergehen sind, denen das nach unserem Standpunkt notwendige Element der Rechtswidrigkeit fehlt, die aber nach kommunistischer Auffassung die sozialistische Ordnung gefährden.
Das sowjetische Strafgesetzbuch sieht schwere Strafen vor für „Herstellung, Aufspeicherung, Ankauf zum Wiederverkauf, sowie auch Umsatz“ von Gütern, deren Handel eingeschränkt ist (Art. 99, Strafgesetzbuch der RSFSR). Ebenso verbietet es Privatpersonen gewinnabwersenden (mag dieser noch so gering sein) Aufkauf und Wiederverkauf von praktisch allen Arten von Gütern (gemäß den neuesten Auslegungen; Art. 107).
Zu diesen sogenannten Wirtschaftsverbrechen sind auch folgende zu rechnen: Nichterfüllung der mit dem Staate geschlossenen Verträge (Art. 130, 131); Verletzung des Staatsmonopols für Außenhandel (Art. 59); Versagen in den Dienstleistungen oder Ablieferungen von Erzeugnissen an den Staat (Art. 61); Private Rechtsgeschäfte betreffend Grund und Boden (Art. 87 a); Nachlässige Betriebsführung (Art. 128, 129); Verwendung falscher Gewichte und Maße (Art. 128b); Versuche eines privaten Geschäftsbetriebes unter der Tarnung eines genossenschaftlichen Unternehmens (Art. 129 a). In Fällen von Veruntreuung und Diebstahl ist die Verantwortung größer, wenn es sich um Staats-eigentum handelt, als bei gleichen Vergehen an Privatbesitz (Verordnung vom 4. VI. 1947, Vedomosti, 1947, Nr. 19).
Zur selben Gruppe wirtschaftlicher Verbrechen gehören ferner: Ab-schlachtung eigener Pferde oder anderen Viehstandes, nachlässige Behandlung von Maschinen und Tieren in Kollektivwirtschaften, Sowjet-wirtschaften und Maschinen-Traktoren-Stationen (Art. 79 1, 792 und 79 4).
Eine Änderung in dieser Hinsicht wurde nach Stalins Tod nicht versprochen. Diesbezügliche Gerichtsprozesse, soweit sie überhaupt öffentlich bekannt geworden sind, zeigten unerbittliche Strenge in den Urteilen.
In Sowjetrußland sind die Strafen für die meisten Verbrechen viel strenger als in den USA. Ein sowjetisches Gericht verurteilte kürzlich einen Mann wegen rücksichtslosen Fahrens in betrunkenem Zustands zu zehn Jahren Gefängnis. Ein anderer, der einen Radioapparat gekauft und mit Gewinn wiederverkauft hatte, erhielt acht Jahre Gefängnis. Eine Frau, die hundert Kilo Zucker kaufte und zum doppelten Preise wieder verkaufte, erhielt fünf Jahre, und ihr Gatte, der ihr bei diesem Geschäft behilflich war, zwei Jahre Gefängnis. Der Buchhalter und Betriebsleiter einer Genossenschaft, der sich aus deren Kasse kleine Geldbeträge aneignete, wurde zu zwölf Jahren verurteilt und zur staatlichen Konfiszierung seines ganzen Besitzes. Ein anderer Veruntreuer von Staatsgeldern erhielt zehn Jahre Gefängnis, und sein gesamter Besitz wurde vom Staate konfisziert. Uber einen Arbeiter in einem staatlichen Geschäftshaus, der sich 51, 700 Rubel aus dem Staatsgeld aneignete, wurden zwanzig Jahre „Besserungsarbeitslager" verhängt. Zwei Betrunkene, die eine Theatervorstellung unterbrachen, erhielten vier Jahre bzw. drei Jahre Gefängnis. (Für Fälle von liederlichem Benehmen sind Strafen bis zu fünf Jahren üblich.) Zwei Männer, die einem Bauern eine Kuh stahlen und diese zu verkaufen suchten, wurden zu zehn Jahren „Besserungsarbeitslager"
verurteilt. Der Direktor einer Fabrikanlage, welcher Material verschleuderte und Gelder im Gesamtbeträge von 40 000 Rubel (3200 Dollar) unterschlug, wurde zu zehn Jahren Gefängnis und zur Schaden-ersatzleistung verurteilt. (Justice William O. Douglas, R u s s i a n J o u r n e y , 1956, S. 145.)
Russische Zeitungen berichten fortwährend über ähnliche und sogar strengere Strafmaßnahmen für strafbare Handlungen, welche Gerichte anderer Länder niemals als Verbrechen betrachten würden, sondern als Vergehen, für die geringere Strafarten vorgesehen sind. Beispielsweise wid für Veruntreuung oder Diebstahl an staatlichen Warenlagern eine Gefängnisstrafe von 25 Jahren angedroht; acht bis zehn Jahre sind üblich für Veruntreuung oder Diebstahl landwirtschaftlicher Produkte durch Mitglieder von Kollektivfarmen. Gewinnbringender Wiederverkauf von Autos, Kühlschränken und anderer Handelswaren, für welche keine festen Preise vorgeschrieben sind, hat Gefängnisstrafen von acht bis zehn Jahren zur Folge. (Kazachstanskaja Prawda, 13. X. 1935; 1. III„ 17. IV. und 24. VIII. 1956; Prawda, 4. III. 1956;
Izvestija, 25. XL 1954; Bakinskij Rabocij 3. II. und 27. III. 1956.)
F. Die Gerichte d ihr Verfahren
§ 17. DIE SOWJETISCHEN GERICHTE Die Funktion der Gerichtshöfe in Sowjetrußland dient mehr dem Schutz des Staates als dem Rechtsschutz des Individums oder der Verwirklichung der Gerechtigkeit. Die Gerichte sind in wohlerwogener Absicht als politische Instrumente eingesetzt.
a. Der Oberste Gerichtshof (Privatpersonen nicht zugänglich)
Es ist Aufgabe des Obersten Gerichtshofes der Sowjetunion „die Justizverwaltung aller gerichtlichen Organe der UdSSR und der Bundesrepubliken zu beaufsichtigen" (Gerichtsverfassungsgesetz vom Jahre 1938, Art. 64).
Zu diesem höchsten Gerichtshof haben jedoch private Parteien keinen Zugang. Einer privaten Partei steht kein direktes Rechtsmittel zur Verfügung, einen Streitfall vor das Oberste Gericht zu bringen. In Berufung auf die zustehenden Apellationsrechte können Beschuldigte nur bis zu den obersten Gerichten der Bundesrepubliken (Sowjetstaaten) gelangen, aber nicht höher. Als allgemeine Regel gilt, daß eine Streitsache nur dann vor das Oberste Bundesgericht (der UdSSR) gebracht werden darf, wenn vom Staatsanwalt der UdSSR oder den Präsidenten der obersten Gerichtshöfe der UdSSR „Protest gegen endgültige Urteile und Entscheide in Straf-und Zivil-Sachen" erhoben worden ist. (edd., Klausel a). b. Dr Richter sind weder in Theorie noch in Wirklichkeit unabhängig Die Stellung eines sowjetischen Richters entbehrt der Voraussetzungen, die seine Unabhängigkeit garantieren. Die Richter eines Gerichtes niederer Instanz, des sogenannten Volksgerichtes sind die einzigen Richter, welche direkt von der Wählerschaft des Wahlbezirkes gewählt werden. Ihre Amtsdauer ist jedoch sehr kurz, nur drei Jahre; und das Recht, Richterkandidaten zur Wahl vorzuschlagen, ist der Kommunistischen Partei und den von diesen kontrollierten Organisationen vorbehalten. Das Wahlgesetz trat zum erstenmal am 25. September 1948 in Kraft.
Außerdem kann jeder Richter von der Wahlkörperschaft seines Amtes enthoben werden. Ein solcher Widerruf kommt nicht einer Anklage gleich; es brauchen keine besonderen Anschuldigungsgründe vorzuliegen. Widerruf heißt einfach Enthebung vom Amte durch ein Mißtrauensvotum der Wahlkörperschaft, die dem gewählten Richter das Vertrauen entzieht.
Die Richter der höheren Gerichte werden „gewählt", d. h. sie werden von den höheren Räten (Sowjets), von den Lokalräten, den Sowjets der Republiken und vom Obersten Sowjet für die Dauer von fünf Jahren ernannt und sind ebenfalls einer möglichen Absetzung durch die Vollzugsausschüsse der Sowjets unterworfen.
Der sowjetische Richter ist Berufsrichter in dem Sinne, daß das Richteramt während der kurzen Amtszeit eine vollamtkche Stelle mit festem Gehalt bedeutet. Eine Ausbildung in der Rechtswissenschaft ist nicht erforderlich. Weder ist eine solche Ausbildung von ihm durch ein Gesetz verlangt, noch besitzen die Mehrzahl der Richter eine solche Befähigung. Fast ausnahmslos sind alle Kommunisten (95, 5 Prozent im Jahre 1935; die letzten zugänglichen Ziffern); aber im Jahre 1947 genossen nicht mehr als 14, 6 Prozent ein hochschulmäßiges Rechts-studium und 21, 8 Prozent erhielten eine Rechtsausbildung. Somit scheint der Mehrheit (64 Prozent) überhaupt jegliche Rechtsausbildung zu fehlen. (SocialisticeskajaZakonnost, 1947 Nr. 2 S. 11.)
c. Die Richter sind nicht unparteiisch Die Richter gelten nicht für unparteiisch. Vysinskij stellte nachdrücklich selbst die Möglichkeit einer Unparteilichkeit des Richters gemäß sowjetischer Theorie in Abrede:
„Die kapitalistischen Theoretiker ... wollen das Gericht als eine Institution hinstellen, welche über den Gesellschaftsklassen und jenseits von Politik steht ... und den allgemein-menschlichen Normen des Rechts und der Gerechtigkeit unterstellt ist. Ein solches Verstehen des Wesens der Gerichtsbarkeit ist von Grund auf trügerisch. Die Gerichte sind immer Instrumente in den Händen der herrschenden Klasse gewesen, die dieser ihre Herrschaft sicherte und ihre Interessen in Schutz nahm." (Sovetskoje gosudazstrennoje pravo, 1938, S. 449.)
Somit war der sowjetischen Gerichtsbarkeit eine vorbehaltlose politische Aufgabe von den sowjetischen Theoretikern zugewiesen. Sie wurde von Vysinskij im Jahre 1941 mit folgenden Worten umrissen:
„Weder die Gerichtsbarkeit noch das gerichtliche Verfahren stehen oder können jenseits der Politik stehen. Dies besagt, daß Inhalt und Form der gesamten den Gerichten zugewiesenen Tätigkeit einer Unterordnung unter politische Klassenziele und Klassenbestrebungen nicht entrinnen können." (Vysinskij, Teorija sudebnych dokazatelstv v sovetskom prave, 1941, S. 31.)
Der Justizminister wandte sich im Jahre 1947 an die sowjetischen Richter mit folgenden Worten über die Art und Weise gerichtlichen Vorgehens:
„Der Richter muß wissen, wie man Prozeßverfahren leitet und wie man Urteile abfaßt in einer Weise, die mit äußerster Klarheit die politische Bedeutung des Streitfalles aufzeigt, so daß sowohl dem Angeklagten wie auch allen anderen im Gerichtssaal Anwesenden die Regierungspolitik in der Gerichtsbarkeit ersichtig wird.“ (S o c i a 1 i -
s ticeska j a Zakonnost, 1947, Nr. 2, S. 5.)
§ 18. DAS GERICHTLICHE VORVERFAHREN Der Schutz des Unschuldigen, der nach anglo-amerikanischem Recht durch das „habeas corpus" und durch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft (indictment by grand jury) zugesichert ist, war im Vorkommunistischen Recht Rußlands und in den Satellitenländern durch die gerichtliche Untersuchung (instruction, predvazitelnoje sledstvie) in allen größeren Fällen gewährt.
Diese wurde von einem Untersuchungsrichter (Sudebnyi sledovatel, Juge d'instruction) geführt, der die Stellung eines Richters innehatte und mit allen Garantien gerichtlichen Verfahrens vorging.
Unter den Sowjets wurde das Amt des Untersuchungsrichters zusammen mit allen Gerichtshöfen im Jahre 1917 abgeschafft. Der „Volksuntersuchungsbeamte" nahm dessen Stelle ein. Während der nachfolgenden Jahre gingen diesen . Untersuchungsbeamten'alle richterlichen Eigenschaften in ihrer Amtstätigkeit und Stellung mehr und mehr verloren; ihre Untersuchungen unterschieden sich kaum mehr von polizeilichen Ermittlungen, und deren Ergebnisse wurden als Beweismittel angeführt.
Wir zitieren eine sowjetische Abhandlung über das Strafverfahren:
„Im sowjetischen Strafverfahren besteht kein prinzipieller Unterschied zwischen polizeilichen Ermittlungen und der Voruntersuchung, obwohl beide Begriffe in der jetzigen Strafprozeßordnung sich behaupten. Polizeiliche Ermittlungen und die Voruntersuchung sind von gleicher gerichtlicher Bedeutung. Die Akten über die Ermittlungen sowie auch das Protokoll der Voruntersuchung sind Beweismittel und werden vom Gericht als Beweismittel zur Schöpfung des Urteils benützt. Der Unterschied zwischen Vernehmung und Voruntersuchung ist auf die Zuständigkeit der Ermittlungs-und Vernehmungsorgane zurückgeführt, woraus sich ergibt, daß die komplexeren und wichtigeren Straffälle der Gerichtsbarkeit der Voruntersuchungsorgane (Untersuchungsbeamten) zugewiesen werden und alle anderen Fälle den polizeilichen Ermittlungsorganen übertragen werden." (Strogovic U c e b n i k ugolovnogo processa, 1938, S. 118.)
Es sei auch darauf hingewiesen, daß die Anklage (obvinitelnoje zaklucenije) in der Regel vom Untersuchungsbeamten verfaßt wird. Hernach wird die Anklageschrifft nur noch vom Staatsanwalt geprüft und dient als automatisch zugelassene Anklage ohne nochmalige Überprüfung durch das Gericht. Somit steht der Angeklagte vor Gericht in einem öffentlichen Prozeß, nachdem er vorerst der harten Probe der Untersuchung im Stil der Geheimpolizei unterworfen wurde.
§ 19. DIE REVISION RECHTSKRÄFTIGER ENTSCHEIDE VON AMTS WEGEN Es ist bezeichnend für das sowjetische Appellationsverfahren, daß für die Revision eines rechtskräftigen Urteils den privaten Parteien (die streitenden Parteien in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und der Angeklagte und sein Anwalt) einerseits und den Regierungsanwälten und Gerichtspräsidenten andererseits ungleiche Rechtsmittel zur Verfügung stehen. Regierungsanwälten steht nicht nur das Appellationsrecht zu, sondern auch das Recht, die Revision eines rechtskräftigen Urteils von Amts wegen zu beantragen. Dieses Recht besitzen auch die Präsidenten der Regionalgerichte und der obersten Gerichte. Die Revision muß nicht innerhalb einer bestimmten Frist nachgesucht werden.
Die Revisionen rechtskräftiger Entscheide werden in regioialen Gerichten von einem besonderen Richterkollegium, dem sogenannten Präsidium und von den Obersten Gerichten unter Ausschluß der Öffentlichkeit vorgenommen. Eine einmal vorgenommene Revision kann nochmals wiederaufgenommen werden. Eine Strafsache kann wiederaufgenommen werden selbst wenn das Urteil des Strafgerichtes oder des Appellationsgerichtes auf Freispruch lautete. Die gesetzlichen Gründe für eine Revision sind sehr weit gefaßt: Die Revision kann nachgesucht werden, wenn, in einer Zivilsache, der Entscheid eine besonders wesentliche Verletzung der Interessen des Staates oder derjenigen der werktätigen Masse in sich schließt. In Strafsachen sind die Gründe nicht ausdrücklich angeführt. Parteien haben kein Recht Revisionsgesuche einzureichen. Doch können sie (was tatsächlich auch unternommen wird) eine Wiederaufnahme des Verfahrens veranlassen, indem sie Regierungsbeamte, die zur Beantragung ermächtigt sind, mit ihren Beschwerden betrauen. Somit nimmt das sowjetische Appellationsverfahren seinen Anfang in einer öffentlichen Gerichtssitzung, unter Mitwirkung der Parteien, aber nachher kann es sich hinter geschlossenen Türen als eine rein interne Angelegenheit der Staatsanwälte und der Gerichte in die Länge ziehen.
Die Wiederaufnahme von Sachen von Amts wegen macht das gesamte sowjetische Gerichtsverfahren mehr einem administrativen Verfahren als einem Gerichtsprozeß ähnlich.