sckaftlich-ted'inischen Denkforw. Sie hat sich im 19. und 20. Jahrhundert wiederholter Grenzübersdireitungen schuldig gemacht und versucht, ihr auf mathematische Relationen reduziertes Weltbild, ihre einseitige Ursache-Wirkung-und Mittel-Zweck-Betrachtung auch auf andere Lebensbereiche anzuwenden, für die sie nicht zuständig ist. Wir können diesen Imperialismus besonders auf den Gebieten der Philosophie, Psychologie, Biologie, Geschichte, Soziologie und Politik beobachten. Impulse zu seiner Überwindung kamen zunächst aus der Lebens-philosophie Wilhelm Diltheys. Er erkannte die Unfruchtbarbeit der rein physikalisch-naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise für die Lehre vom Menschen und allgemein für die Geisteswissenschaften. Seine Theorie vom geisteswissenschaftlichen Verstehen, das stets aus dem Zusammenhang des komplexen Ganzen hervorgeht, lehnt eine Anwendung mechanischer Kausalgesetze auf das menschliche Geistesleben ab. Auch die Biologie hat sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der kausal-mechanischen Forschungsweise der Physik abgewandt und gegenüber der Zergliederung in Ursache-Folge-Bezüge den organischen Ganzheitsgedanken in den Mittelpunkt ihres Interesses gestellt; in ähnlicher Weise mußte die Elementen-und Assoziationspsychologie des 19. Jahrhunderts der Ganzheitspsychologie weichen.
Trotz dieser und anderer Gegenbewegungen ist der Wucherungsprozeß der kansaln'ied'iartisdren NatnrerkläruHg immer noch sehr gefährlich. Sie beherrscht nicht nur den dialektischen Materialismus, eine Ideologie, durch die heute fast ein Drittel der Menschheit zwangsweise zusammengehalten wird, sondern auch den Neopositivismus und z. T. auch den Pragmatismus Amerikas. Mit gewaltsamer, unerbittlicher Folgerichtigkeit werden die Kategorien der naturwissenschaftlich-technischen Bearbeitung der Natur auf die Bereiche der Seele, des sozialen Lebens, der Geschichte und Politik übertragen. Damit überschreitet aber der „mathematisch-technische Denkimperialismus" die Grenzen der Sachwelt zu Unrecht und macht die Bahn für eine Technologie der Gesellschafts-und Wirtschaftssteuerung, der Kulturlenkung und Seelen-bearbeitung frei. Theodor Litt verdanken wir den Hinweis auf die ungewollte Übereinstimmung, die zwischen der wissenschaftlichen Lebenslenkung des amerikanischen Neopositivismus und der kommunistischen Anwendung des dialektischen Materialismus auf Staat und Gesellschaft besteht 28). Was im Westen noch soziologische Theorie ist oder sich in der Praxis der industriellen und wirtschaftlichen Arbeitswelt anbahnt, hat der Osten bereits durchgeführt. Ein totalitäres Macht-System hat das gesamte politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben des Landes nach den Gesetzen einer dogmatisch-verabsolutierten Pseudo-Wissenschaft ausgerichtet. Die eigentliche Mission der Technik, die dem Menschen einen größeren Spielraum der Freiheit geben soll, ist hier ins Gegenteil verkehrt. Der einzelne ist nur eine Nummer, eine Schraube oder ein Rädchen im vorausentworfenen politischen und technischen Apparat, ein determinierter und spezialisierter Funktionär einer riesigen Planwirtschaft, die eine kleine Minderheit von Machthabern nach den Anweisungen ihrer materialistischen Ideologie oder nach eigener Willkür lenkt. Selbst in der Freizeit läßt dieser Kollektivismus den Menschen keinen privaten Raum. Sie sind auf den Besuch von Klubs, Fortbildungskursen, Vergnügen und kulturellen Veranstaltungen, auf die Benutzung von Radio, Kino usw. angewiesen, die der Staat bis ins Letzte organisiert und überwacht. Die Freiheit der Selbstentscheidung und Selbstbestimmung hat hier keine Möglichkeit, sich zu entfalten.
Sollte dieses allmächtige System eines Tages über uns kommen, so würde es das Ende der freien und verantwortungsbewußten Persönlichkeit antik-christlicher Prägung bringen, das Ende der wahrheitsuchenden, den Geboten der Humanität verpflichteten Wissenschaft, das Ende der freischaffenden originellen Dichtung und bildenden Kunst. Die Menschen würden zu einer Herde furchtsamer und arbeitsamer Menschentiere, die schon zufrieden sind, sobald sie ihre materielle Existenz gesichert wissen. Ihre Freiheit könnte man, mit Kant zu reden, der eines Bratenwenders vergleichen, eines Automaten, der seinem vorgegebenen Mechanismus und dem Willen der Köchin gehorcht. In einem solchen System ist sogar die Konsumfreiheit eingeschränkt. Die Masse lebt in einem Zustand aufgezwungener, höchster politischer Gleichheit, die identisch ist mit dem größter politischer Unfreiheit. Es ist die Gleichheit ohne Freiheit, die Gleichheit als gleiche Knechtschaft aller Regierten.
Namhafte Kulturkritiker unserer Zeit weisen darauf hin, daß das Totalitätsstreben des rechnenden Sachdenkens auch im politisch noch freien Westen das abendländische Erbe der persönlichen Freiheit ernsthaft gefährdet. Der mathematisch-technische Geist habe nicht nur eine imponierende Massenzivilisation aufgebaut, es sei ihm seit Ende des 19. Jahrhunderts sogar gelungen, das Innere des Menschen und seine Lebensformen nach der ihm eigentümlichen Gesetzmäßigkeit zu gestalten. Besonders die Industriearbeiter, Büroangestellten und Angehörigen der staatlichen und kommunalen Verwaltung seien diesem neuen Geiste so schutzlos preisgegeben, daß sich ihr Seelenleben ganz der allgemeinen Tendenz der Rationalisierung und Mechanisierung angeglichen habe. Statt die Neuerungen der Technik in den Dienst einer erhöhten Persönlichkeitskultur zu stellen und in Freiheit den durch sie bedingten Wohlstand zu nutzen, lasse sich der Mensch der modernen Arbeitswelt selbst funktionalisieren und mechanisieren. Seine totale Abhängigkeit vom Mechanismus der technischen und bürokratischen Apparatur führe zwangsläufig zum Abbau der individuellen Eigenart, zur Nivellierung und Versachlichung. Die heutige Jugend werde von vornherein in den nivellierenden Sog dieser Arbeitswelt hineingezogen, so daß sie nicht mehr in der Lage sei, sich zu wahren Persönlichkeitswerten, zur Selbstprägung des Ich und zu echter Freiheit aufzuschwingen. Am Ende dieses Weges stehe die vollkommene Mechanisierung und Automatisierung des Menschen einschließlich seines Geistes-und Seelenlebens.
Diese sehr pessimistische Prognose, die uns in der Kulturkritik seit Spengler in vielen Schattierungen und meist ohne positive Gegen-vorschläge begegnet, ist offenbar nicht ganz der Gefahr einer SchwarzWeiß-Malerei entgangen; es ist deshalb unsere Aufgabe, den Kern der Wahrheit, der in ihr steckt, aus der Hülle der Übertreibungen freizulegen. Eine solche Übertreibung kann man zweifellos in dem Hinweis auf ein Endstadium völliger Mechanisierung und Automatisierung erblicken, in dem warnenden Fingerzeig auf den Roboter. Eine Nivellierung bis zur Stufe des Untermenschlichen-Maschinellen scheitert nicht nur an der verschiedenen körperlichen Veranlagung und der Lingleichheit der geistigen Fähigkeiten der Menschen, sondern von vornherein schon an der Unmöglichkeit einer Überführung der organisch-menschlichen Welt in den anorganisch-mechanischen Bereich. Selbst der Annäherung an einen derartigen Zustand sind von der Natur unüberschreitbare Grenzen gesetzt.
Übertrieben ist auch die Befürchtung, daß der Industriearbeiter in teilautomatisierten Betrieben durch mechanische Wiederholung manueller Verrichtungen am Fließband oder an Maschinen zum Funktionär herabgewürdigt oder gar versklavt werde. Zunächst ist das nicht das Normalbild technischer Arbeit, sondern nur in Ausnahmfällen wird die Arbeitsleistung auf ein mechanisches Reagieren reduziert. In der Regel verlangt die Bedienung der Maschinen neben der physischen auch eine intellektuelle Leistung. Diese setzt nicht nur technisches Wissen und Können, sondern auch die Fähigkeit raschen Überblicks, Konzentration und Entschlußkraft voraus. Ja, es besteht begründete Hoffnung, daß die in der Gegenwart mit Macht geförderte Entwicklung, die der Vollautomatisierung zustrebt, den Industriearbeiter mehr und mehr aus der Monotonie gleichartigen Arbeitsvollzuges und primitiver Handgriffe erlösen wird. Dieselbe Befreiung könnten in der Welt der Büros die Rechenautomaten und Elektronenmaschinen herbeiführen. Aber trotzdem wird der Tatbestand bestehen bleiben, daß die moderne tedtnisdte
Arbeit im Unterschied zur althergebrachten handwerklichen Arbeit nicht mehr individuell-schöpferisch ist, sondern eine Sachleistung, die die technische Apparatur dem Menschen abverlangt, ohne dabei Rück-sicht auf seine persönlichen Fähigkeiten und Antriebe zu nehmen. Insofern
würde selbst bei einer Annäherung an das Stadium der Vollautomatisierung der von Hegel und Marx herausgestellte Tatbestand der „Selbstentfremdung" auch in der heute völlig veränderten sozialen Lage der Arbeiter durchaus bestehen bleiben, allerdings in milderer Form als im bisherigen Übergangsstadium der teilautomatisierten Serienfertigung.