Sicherheit und Frieden, organisiert die Arbeit wie die Erholung, kurz, sie setzt sich tatkräftig für allgemeine Wohlfahrt und Wohlergehen ein. Allerdings besteht der Preis, den die Bürger dafür bezahlen müssen, in der Einengung des Spielraums freier Willensbetätigung, in der Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit. So geraten sie am Ende durch Interesselosigkeit und mangelnde politische Aktivität in eine Art demokratischen Despotismus, den Tocqueville als eine geregelte, milde und friedliche Knechtschaft beschreibt (98 ff.)
In ernster Sorge um die Zukunft der Demokratie beschäftigte sich Tocqueville mit den Ursachen ihres Versagens und ihres Verfalls. Er suchte nach Wegen, die Gefahren der Gleichheit zu bannen und zugleich das Wertvolle, das sie gebracht hatte, zu erhalten. Einige Proben aus seinen Schriften, im Zusammenhang mit der Thukydides-bzw. Platonlektüre im Griechischunterricht oder in einer sozialkundlichen Arbeitsgemeinschaft zeigen dem Gymnasiasten, daß Freiheit und Gleichheit nicht unbedingt zusammengehören. Die Überspannung des Prinzips der Gleichheit führt am Ende sogar zum Verlust der politischen und inneren Freiheit. Umgekehrt aber schließt die Aufhebung der Freiheit die Aufhebung der Gleichheit ein. Ohne politische Freiheit gibt es auch keine Gleichheit der politischen Kräfte und kein demokratisches Leben.
Vorbildlich und aktuell an Tocqueville ist der leidenschaftliche Aufruf zur politischen Aktivität und die entschiedene Stellungnahme gegen Resignation und Fatalismus. Wir haben nur e i n wirksames Heilmittel gegen die schädlichen Auswirkungen der Gleichheit: das ist die politische Freiheit. Diese gilt es im demokratischen Staate fest zu verankern und vor Einschränkungen von Seiten der Zentralregierung zu sichern.
Tocqueville empfiehlt Dezentralisierung der Verwaltung (105 ff.). Einen Teil der Verwaltungsausgaben könnten untere Körperschaften übernehmen, die für bestimmte Zeit aus einfachen Bürgern gebildet werden.
Demokratische Wahl der Beamten garantiere bis zu einem gewissen Grade deren Unabhängigkeit gegenüber der Zentralgewalt. Der beste Schutz der Bürger gegen Unterdrückung ihrer Freiheit aber sei eine freie Presse. Sie erlaube den Bedrohten, ihre Mitbürger zu Hilfe zu rufen.
Tocqueville sieht in der Presse das „demokratische Instrument der Freiheit“. Politische Freiheit ist überall da gegeben, wo man ohne Zwang sprechen, handeln und atmen kann, wo man allein unter der Herrschaft Gottes und der Gesetze steht (217). „Es ist die Freiheit, furd-itlos all das zu tun, was gerecht und gut ist. Diese heilige Freiheit müssen wir in allen Fährnissen der Zeit verteidigen und, wenn nötig, für sie unser Leben in die Schanze schlagen“ (24).
II. Politische Freiheit und innere Freiheit
Die gewollte Einordnung ist die Grundlage und die Grundtatsache der Freiheit — ebensowohl im Staate wie für Geist und Seele. (Aus Rudolf G. Bindings Tagebuch: „Ad se ipsum“)
Der Mensch in der politischen Anthropologie des Aristoteles Politische Freiheit und innere Freiheit gehören wesensmäßig eng zusammen. Zunächst gilt folgende Feststellung: Nur in einem freien Volke gibt es politische Freiheit für den Einzelnen. Die politische Freiheit des Einzelnen ist also abhängig von der politischen Freiheit der Gesamtheit. Aber auch die innere Freiheit scheint nur möglich zu sein auf dem Grunde der politischen Freiheit. Sie gründet offenbar in der Tatsache, daß der Mensch von Natur ein gemeinschaftsbildendes Lebewesen (ov ntoRtxv) ist. Diese Definition des Aristoteles (Politik 12 5 3a 7f.) muß man ohne Einschränkung ernstnehmen. Sie bringt das auf eine kurze Formel, was schon Sokrates, Platon, Thukydides und andere auf ihre Weise gelehrt hatten. Für Aristoteles steht der Einzelne in einer wesenhaften, nicht akzidentiellen Beziehung zum Ganzen. Wir Modernen möchten diesen Grundgedanken noch dahingehend ergänzen, daß die Entstehung einer Polis nicht nur die soziale Veranlagung der Menschen, sondern auch einen gemeinsamen politisd-ien Willen voraussetzt, der sich in ganz konkreter Form äußert. Auch die Sprach-und Denkbegabung des Menschen findet Ziel und Erfüllung im Politischen und Sozialen. Die Gemeinschaft ist von Natur früher als der Einzel-mensch (a 19). Ein Wesen, das nicht in Gemeinschaft leben kann oder ihrer, weil es sich selbst genügt, nicht bedarf, ist entweder weniger als ein Mensch, d. h. ein Tier, oder mehr, also ein Gott (a 27 f.). Wie es für Aristoteles sinnlos ist, sich den Menschen als isoliertes Individuum ohne Gemeinschaftsbeziehungen vorzustellen, so wenig kann er auch mit dem modernen Liberalismus behaupten, daß der Mensch etwas neben und unabhängig von der Gemeinschaftsbindung sei, in der er lebt. In dieser neuzeitlichen Betrachtung ist bereits der Einzelmensch das Maß aller Dinge, und ihm kommt unabhängig von seiner politischen Existenz ein individueller Selbstzweck zu.
Liberalistischer Individualismus und apolitischer Freiheitsbegriff Den ersten Vorläufern dieses liberalistischen Individualismus begegnen wir schon in einigen Schülern des Sokrates. Während es für die drei großen Klassiker der griechischen Philosophie noch selbstverständlich ist, daß der Mensch nur in der Gemeinschaft der Polis die ihm eigentümliche Menschlichkeit erfüllen kann, benutzen A r i s t i p p und Antisthenes die Entdeckung des Meisters, daß die wahren mensch-liehenWerte im Inneren des Menschen liegen dazu, die menschlidte Freiheit als Unabhängigkeit von den Außendingen zu proklamieren. Zu diesen Außendingen zählen sie aber auch die Polis. Und doch ist ihre individuelle Freiheit, wenn schon dazu bestimmt, dem Einzelnen die Glückseligkeit zu sichern, nicht gleichbedeutend mit hemmungsloser Triebhaftigkeit und Zügellosigkeit. So findet Aristipps Hedonismus seine Begrenzung durch das abwägende und maßhaltende Urteil der praktischen Einsicht (ppovnog); und dasselbe gilt auch später für die Lustlehre des apolitischen Epikur. Anderseits benutzt Antisthenes, der Apostel der Selbstgenügsamkeit und geistige Wegbereiter der kynischen Schule, den sokratischen Gedanken der Phronesis, um sich damit sowohl die Freiheit von den Dingen der Außenwelt als auch die Herrschaft über die sinnlichen Begierden und niederen Triebe des eigenen Leibes zu sichern, die er als gefährlichste Gegner der inneren Freiheit erkannt hat. Der apolitische Freiheitsbegriff, den einzelne Sokratiker in der einseitigen Nachfolge ihres Meisters entwickelt haben, bleibt also bezeichnenderweise doch gebunden an den Gedanken des rechten Maßes und der Selbstbeherrschung (yxqteta). Äquivalente Begriffe sind die der Selbstgenügsamkeit (atQxsta) und Besonnenheit des gesunden Menschenverstandes (occpooovn).
Diesem apolitischen Freiheitsbegriff hat auch Platon den Weg geebnet insofern, als der platonische Gedanke der inneren Freiheit durch die Herrschaft des Geistes über die niederen Seelenschichten im philosophischen Denken der Folgezeit eine bedeutende Rolle spielt. Was im Gorgias und Phaidon schon einzeln vorbereitet ist, kommt in der Seelenlehre der Politeia (Buch 9 u. 10) als ausgereiftes und wohlgefügtes Ganzes zu klarem Ausdruck. Der Seele, die göttlicher Herkunft ist, wachsen durch die Einkörperung zwei niedere Schichten zu. Es ist nun Lebensaufgabe des Menschen, dafür zu sorgen, daß der Nous als reinster und göttlicher Teil über die niederen, dem Leibe verhafteten Seelenschichten, den Thyms und das Epithymetikön, herrscht und sie im Zaume hält. Nur auf dem Wege dieser durch die Herrschaft des Geistes garantierten inneren Freiheit erfüllt der Mensch seine höchste Bestimmung und erreicht das Lebensziel, die Eudaimonia. Dieser Gedanke bildet die Grundlage fast aller Erörterungen der hellenistischen Philosophie über das Freiheitsproblem. Auch für die Stoa sind die Begierden des Leibes und die Affekte eine dauernde Bedrohung der inneren Freiheit. Besonders stark tritt die platonische — im Ursprung wohl orphischpythagoreische — Vorstellung des Leibes als eines Gefängnisses der Seele und einer Fessel für die Freiheit des Menschen in der mittleren Stoa bei Panaitios und Poseidonios in Erscheinung. Auch die kaiserzeitliche Stoa (Epiktet, Musonius und Seneca) baut auf ihr auf. Für Seneca kennzeichnet Unfreiheit weniger den Sklaven als den, der seiner Begierden nicht Herr ist (vgl. De beneficiis, ed. Hosius, III, 28, 4 u. naturales quaestiones, ed. Gercke, III, praef. § 16 f.). Über Ciceros und Senecas philosophische Schriften ist der Gedanke in die neuzeitliche Philosophie eingegangen. Um ihn kreist das Freiheitsdenken des deutschen Idealismus. Er klingt auch bei Goethe und Schiller nach. Von seiner dualistischen Grundlage gelöst, könnte er durchaus in der modernen Anthropologie eine gesicherte Stelle haben; denn das Verfallensein an die Instinkte, Begierden (Habsucht, Herrschsucht, Ehrsucht, Genußsucht usw.) und Affekte macht den Menschen innerlich unfrei, entkleidet ihn seiner menschlichen Würde und nötigt ihn hinab in die Sphäre tierischen Verhaltens
Der stoische Freiheitsgedanke und die Kritik des Karncades Eine apolitische Tendenz zeigt, verglichen mit der Definition des Aristoteles, auch der Freiheitsgedanke, den die kosmopolitisch eingestellten Stoiker entwickelt haben. Die moderne Forschung neigt dazu, hier den historischen Anfang des Problems der Willensfreiheit zu sehen. Das ist aber keine zutreffende Bezeichnung; denn die Griechen haben den Willen nie als selbständige Schicht oder Funktion der Seele verstanden. Von den schon im Homerischen Epos gebrauchten Verben 282 und ßoRouat bedeutet das erstere soviel wie bereit sein, geneigt sein, also kein selbständiges, spontanes Wollen, sondern vielmehr triebhafte Nachgiebigkeit gegenüber einer äußeren Lockung. Auffällig ist seine Affinität zum Thymos, dem Organ der emotionalen Regungen und der erregten Reaktionen. Dagegen steht ßoeXeo^at dem vog und den ppovs näher und heißt bei Homer meist lieber wollen, etwas vorziehen auf Grund einer Überlegung. Der Zusammenhang mit ßov?, Rat und ßov? ssv, beraten, ersinnen ist überall deutlich. Dieses Wollen ist völlig mit Einsicht und Überlegung verklammert, ist eine Art Wünschen von etwas, das man als vorteilhafter erkannt hat. Was wir unter Willen verstehen, spielt sich bei Homer vorwiegend im Bereich der oben genannten Organe ab. Die Vorherrschaft der Erkenntnis über das Wollen besteht sogar in der hellenistischen Zeit weiter. So ist auch bei den Stoikern das Problem der „Willensfreiheit“ ein Problem des im Menschen wohnenden Logos. Auf Grund dieses Logos, der allen Menschen gemeinsam und ein Teil des die ganze Welt durchwaltenden göttlichen Logos ist, hat der einzelne die Möglichkeit, frei zu allen von außen auf ihn eindringenden Eindrücken und Reizen Stellung zu nehmen und sich zu entscheiden. Er kann ihnen zustimmen oder die Zustimmung verweigern. Über Zenon, der nach Pohlenz (a. O. 135 ff.) vom stoischen Begriff der Heimarmene ausgehend als erster die Frage nach der Freiheit menschlicher Entscheidung aufgeworfen haben soll, können wir aus der lückenhaften und z. T. überlagerten Tradition in Wahrheit nichts Sicheres ausmachen. Aus Ciceros „De fato“ § 22— 48 geht hervor, daß Chrysippos, der sog. zweite Begründer der stoischen Schule und Nachfolger des Kleanthes, versucht hat, den Freiheitsgedanken mit dem der Kausalität in Einklang zu bringen, indem er zwei Arten von Ursachen unterschied, erstens die von außen kommenden Wahrnehmungen, die zweifellos dem Kausalgesetz unterworfen sind, und zweitens jene auf sich selbst beruhende, ausschlaggebende Ursache, die als die Zustimmung des Logos in unserer Macht steht. Ihm hat dann der scharfsinnige Akademiker Karneades nachgewiesen, daß er im Grunde doch nur die Allmacht der Heimarmene bestätige, weil ja die Zustimmung des Logos von den dem Kausalnexus unter-* liegenden Wahrnehmungen und Vorstellungen abhängig sei; denn diese müßten ihr ja vorausgehen. Chrysipp widerspreche sich, wenn er einerseits behaupte, daß die Zustimmung in unserer Macht stehe, andererseits aber daran festhalte, daß alles durch die Heimarmene geschehe. Bei Karneades dagegen ist die im Wesen des Logos liegende Ursache für die Zustimmung oder Entscheidung an keine andere Ursache mehr gebunden, sondern eine jenseits aller Kausalität liegende freie Selbstbestimmung des Menschen, ein Vorzug, der ihm als Vernunftwesen gegenüber den Tieren zukommt. Im Anschluß an Karneades haben dann die Platoniker und Peripatetiker des Späthellenismus die Kausalität nur für die empirisch-materielle Welt gelten lassen, während sie für die Welt des Geistes freie Selbstbestimmung und Kausalfreiheit annahmen. Zur Freiheitsmetaphysik Immanuel Kants Wir sind deshalb auf die durch Karneades angebotene Lösung des Problems ausführlicher eingegangen, weil an sie in der Neuzeit durch Ciceros Vermittlung Immanuel Kant angeknüpft hat. Bedenklich an dieser Lösung erscheint einmal die Tatsache, daß Karneades wie schon Chrisipp den Freiheitsgedanken von der Bindung an die Polis gelöst hat, problematisch und anfechtbar sodann die Unterscheidung zwischen zwei Welten, der empirisch-materiellen Welt als dem Reiche kausalbestimmter Notwendigkeit und der kausalfreien Welt des Geistes als dem Reiche der Freiheit. Diese dualistische Konzeption verkennt die Tatsache, daß Geist und Natur in Wirklichkeit nur eine Welt bilden und sich gegenseitig durchdringen. Aus dem gleichen Grunde müssen wir auch den Lösungsversuchen, die der neuzeitliche Idealismus für das Freiheitsproblem entworfen hat, sehr kritisch gegenüberstehen.
Auch Kants transzendentaler Idealismus vertritt diese seltsame Gegenüberstellung von Natur und Freiheit. Die Welt als „Erscheinung“ unterliegt dem Kausalgesetz, während der Mensch als intelligible und sittliche Person jenseits aller kausalbestimmten Naturgesetzlichkeit steht.
In der „Kritik der reinen Vernunft“ läßt Kant die menschliche Vernunft sich selbst die Prinzipien möglicher Erfahrung geben. Sie schreibt der Natur gewissermaßen die Gesetzlichkeit oder die Kategorien vor, unter denen die Gegenstände der Erfahrung erkannt werden können. Dazu gehört auch das Gesetz der Kausalität, das nicht empirischer Naturbeobachtung, sondern a priori dem reinen Verstände entspringt. „Dieser erkenntnis-theoretische oder logische Freiheitsbegriff in Kants „Transzendentaler Logik“ enthält jedoch für uns Moderne zu viele nicht-phänomenale Voraussetzungen, als daß wir ihn ungeprüft übernehmen dürften. Wir akzeptieren heute weder die Degradierung der Erfahrungswelt zur bloßen Erscheinung, noch verstehen wir die Notwendigkeit der Ansetzung eines „Dinges an sich“.
So wenig uns diese idealistische Konstruktion Kants zu überzeugen vermag, so gültig und fruchtbar sind andererseits Kants Gedanken über die moralische Freiheit in seiner „Grundlegung der Metaphysik der Sitten“ und in der „Kritik der praktischen Vernunft“. Das für uns Entscheidende ist die Verbindung des Freiheitsgedankens mit dem Begriff des Gesetzes. Zur Freiheit des Willens gehört nach Kant als Korrelat der „Kategorische Imperativ". Auf diesem Wege vermag er die Freiheit gegen schrankenlose Willkür und absolute Ungebundenheit abzugrenzen. Die moralische Freiheit enthält zugleich den Imperativ, so zu handeln, daß die Maxime unseres Willens die Form der Tauglichkeit zu einer allgemeinen Gesetzgebung annimmt. Der Gemeinschafts-Aspekt dieses moralischen Freiheitsbegriffs ist zu erkennen. Kant gewinnt den griechischen Gedanken der Bindung an die Gemeinschaft zurück, allerdings nicht im Sinne des Aristoteles, sondern im kosmopolitischen Sinne des Hellenismus.
Hier ist auch einer der Gründe zu greifen, warum Kants Freiheitsbegriff im deutschen Volke effektiv so wenig zur Gewinnung, Erhaltung und Verteidigung der politischen Freiheit beigetragen hat. Bei den von nen des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts liegt der Schwerpunkt ganz auf der inneren oder sittlichen Freiheit des Menschen, die keine Macht der Welt ihm rauben kann, in der Freiheit des Herzens und des Gedankens. Diese innere Freiheit braucht aber nicht unbedingt mit politischer Freiheit, die fälschlich als äußere verstanden wurde, verbunden zu sein. Sie ist und bleibt in jeder Beziehung — auch im unfreien Staate — unantastbar. Ähnlich ist auch der an sich wertvolle kantische Gesetzesgedanke in einer verhängnisvoll oberflächlichen Weise mißverstanden worden und hat den bereits erwähnten blinden Gesetzesglauben der obrigkeitshörigen Staatsbürger und den freiheitsfeindlichen Rechtspositivismus im staatstheoretischen Denken der Folgezeit erheblich begünstigt
Der absolute Freiheitsbegriff der Moderne Fast alle Spielarten des modernen Freiheitsbegriffes stehen unter dem Zeichen zunehmender Preisgabe des Kowplewentärgedankens der Bin-
dnng und Einordnung
Will man den Gymnasiasten einen Eindruck vom absoluten Freiheitsbegriff der Moderne geben, dann empfiehlt es sich, ihn an einem der bekanntesten Dramen von Jean Paul Sartre zu entwickeln, an den „Fliegen“. Sartres atheistischer Existentialismus setzt ein bindungsloses Individuum voraus, das wie Orest alle konventionellen Bindungen von sich abstreift und wie ein Gott unabhängig alle Werte aus sich heraus setzt. Es trifft seine Wähl in absoluter Initiative und Einsamkeit. Es richtet sich weder nach vergangenen Entscheidungen, noch erkennt es Bindungen an eine feste Ordnung, religiöse Tradition oder Wertethik an. Nach Sartre ist der Mensch zunächst da. Er formt sich in jedem Augenblick zu neuer Essenz. Insofern ist er Herr seines Wesens. Diese absolute Freiheit ist aber, ontisch verstanden, eine Illusion und ÜlberSteigerung, da der Mensch sich Gott gleichsetzt
Seine Freiheit kann nicht die grundlose Freiheit der autonomen und selbstsidreren Subjektivität des neuzeitlichen Menschen sein. Diese verzichtet auf den unentbehrlichen Korrelatbegriff der Selbstbegrenzung und fragt nicht danach, ob der Mensch, wenn er Freiheit für sich in Anspruch nimmt, auch die Freiheit der Mitmenschen respektieren muß. Hier könnte Kants kategorischer Imperativ etwas wesentliches sagen. Wo jedoch diese moderne Subjektivität nur an sich selbst gebunden ist und isoliert bleibt, dort fehlt ihr wesensmäßig das Moment der Selbstbeschränkuig zu Gunsten eines Du oder die Rücksicht auf die Bindung an eine höhere Instanz. Man könnte diesen abgründigen autonomen Freiheitsgedanken auch am Übermenschen Friedrich Nietzsches aufzeigen, und zwar ist hier der Zug menschlicher Selbstüberhebung und Hybris noch deutlicher zu greifen als bei Sartre.
Wir dürfen nicht übersehen, daß gerade dieser souveräne Freiheitsbegriff im 20. Jahrhundert politische Abenteurer ermächtigt hat. die moralische Anarchie gewaltsam zu ordnen und an Stelle des Nihilismus eine neue Autorität mit den Mitteln des Totalitarismus aufzurichten. Die Massen, die mit dem autonomen Freiheitsgedanken nichts anzufangen wußten, gaben sich damit zufrieden, daß ihnen ein souveräner Führer mit Parteipropaganda und -Schulung ein autoritäres System auf-nötigte, das sie der Anstrengung enthob, sich selbst eine feste Autorität zu wählen, und in ihnen eine Zeitlang sogar die Illusion der Geborgenheit hervorrief. Andererseits leisten auch die Vertreter des betont individualistischen Freiheitsgedankens der Entwicklung zum Totalitarismus Vorschub, weil gerade sie sich um das Politische und Soziale nicht kümmern, sondern die Welt der zwischenmenschlichen Beziehungen vielfach als Welt des „Man“ bzw.des Kollektiven beiseiteschieben und in selbstgewollter Einsamkeit, in einem nach außen abgeschirmten Bereich der Innerlichkeit ihr Selbstsein zu vollziehen versuchen, während es nach der antiken Tradition nur durch die Einordnung in eine Gemeinschaft verwirklicht werden kann.
Gefährdung unserer Freiheit durch die moderne Technik und Wirtschaft Aus der Entwicklung des neuzeitlichen Denkens hat sich noch eine weitere Gefahr ergeben: Unsere Freiheit ist nämlich heute durch die einseitige Entfaltung der modernen Technik und Wirtschaft bedroht. Der moderne Mensch der autonomen Freiheit hat auf diesen Gebieten ein Betätigungsfeld für seinen schrankenlosen Machtwillen und Fortschrittsglauben erhalten. Sein ungehemmter Freiheitsdrang hat eine riesige, umfassende Organisation geschaffen, einen technisch-wirtschaftlichen Apparat, der zunehmend Macht über ihn selbst gewinnt, ihn in seinem Menschsein beschneidet und seinen Freiheitsraum einengt.
Der äußerlich imponierende Siegeszug dieser Großmächte des industriellen Zeitalters gründet sich auf die Errungenschaften der mathematischen Naturwissenschaft, die das selbstsichere Gegenstandsdenken Descartes’ zu einer umfassenden Weltbetrachtung mathematisch-physikalischer Art ausgebaut hat und mit Zählen und Messen die Natur zu erfassen oder gar zu beherrschen sucht. Maß und Zahl sind für den modernen Menschen schlechthin der letzte Maßstab aller Dinge geworden. Es wäre ungerecht und vermessen, Recht und Geltung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Methode in Frage zu stellen: