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Den globalen Wandel durch globale Strukturpolitik gestalten | APuZ 52-53/1999 | bpb.de

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APuZ 52-53/1999 Den globalen Wandel durch globale Strukturpolitik gestalten Der harte Faktor der Weltveränderung: Die demographischen Entwicklungen bis zum Jahre 2050 Konflikte von morgen. Wahrnehmungen, Kategorien und Folgerungen Humanitäre Hilfe in globalen Konflikten

Den globalen Wandel durch globale Strukturpolitik gestalten

Hans-Joachim Schellnhuber/Benno Pilardeaux

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Bis in die Neuzeit hat die menschliche Zivilisation „nur“ einzelne Arten, Gewässer oder Böden geschädigt. Seit Beginn der industriellen Revolution wurden jedoch ganze Ökosysteme vernichtet und planetarische Regelkreisläufe gestört. Dadurch können Dynamiken angestoßen werden, die die gesamte „Betriebsweise“ des Systems Erde gefährden. Diese globale Umwelttransformation ist eng verknüpft mit dem Wachstum der Weltbevölkerung, den weltweiten Lebensstiländerungen, mit dem weiter anwachsenden Nord-Süd-Gefälle und mit der ökonomischen Globalisierung -dieser Gesamtprozeß wird als „Globaler Wandel“ bezeichnet. Mit ihm sind Risiken (und Chancen) assoziiert, mit denen sich die Staatengemeinschaft dringend auseinandersetzen muß. Dazu sollten u. a. die 1992 auf dem Erdgipfel von Rio vereinbarten Maßnahmen der Agenda 21 umgehend konkretisiert und verstärkt umgesetzt werden. Darüber hinaus müßte jedoch über eine perspektivische „planetarische Raumordnung“ nachgedacht werden, welche es zuläßt, daß die stofflichen und energetischen Ressourcen der Erde am richtigen Ort durch den richtigen Nutzer ausgeschöpft werden. In diesem Zusammenhang ergäbe sich auch ein Konzept für den überfälligen Nord-Süd-Ausgleich. Für das Konzept und die Implementierung einer solchen Neuordnungsvorstellung leistet die aktuelle Debatte um eine „globale Struktur-politik“, welche verstärkt auf die internationalen Rahmenbedingungen einer nachhaltigen Entwicklung blickt, wertvolle Beiträge. Eine solche Politik kann aber nur erfolgreich sein, wenn sie hinreichende finanzielle Unterstützung erhält, wobei nicht nur die „klassischen“ Forderungen nach einer Aufstockung der Mittel für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit ins Auge zu fassen sind, sondern auch innovative Aquirierungsverfahren, wie etwa Steuern auf den internationalen Devisenhandel oder den Luftverkehr.

I. Merkmale und Rahmenbedingungen des Globalen Wandels

In der südindischen Metropole Chennai (vormals Madras) leben knapp vier Millionen Menschen, davon etwa 1, 5 Millionen in Elendsvierteln ohne Wasserversorgung. Die Wasservorräte der Stadt werden knapper, und Versorgungsengpässe sind an der Tagesordnung. Weil der Regen den Wasserverbrauch nicht mehr aufwiegen kann, dringt mit sinkendem Grundwasserspiegel Meerwasser in die unterirdischen Trinkwasservorräte ein. Wie lange diese Entwicklung ohne gravierende soziale Krisen weiterlaufen kann, weiß niemand.

Auch aus dem Südpazifik erreichen uns bedenkliche Meldungen. Die ersten -glücklicherweise unbewohnten -Eilande des Inselstaates Kiribati sind im Meer verschwunden, möglicherweise bereits infolge der globalen Erwärmung. Nach neuesten Prognosen des US-amerikanischen Zentrums für Atmosphärische Studien erhitzt sich die Erde schneller und stärker als noch vor wenigen Jahren vorausgesagt. Deshalb wird ein säkularer Anstieg der globalen Temperatur um 1, 4 bis 4, 0 Grad Celsius immer wahrscheinlicher -noch 1995 galt eine Temperaturerhöhung von 0, 8 bis 3, 5 Grad Celsius als Erwartungswert. Damit steigt vermutlich auch der Meeresspiegel schneller und höher als bisher angenommen: Statt zwischen 13 und 94 cm wird er nun voraussichtlich zwischen 17 und 99 cm zulegen. Zurückzuführen sind diese veränderten Prognosen, die vorläufigen Charakter haben und mit dem bald erscheinenden 3. Sonderbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses über Klimaänderungen (IPCC) vermutlich weiter verbessert werden, auf eine korrigierte Einschätzung der zu erwartenden S 02-Emissionen. Eine Bedrohung der kleinen Inselstaaten prognostizierte die Wissenschaft bereits seit langem; nun wird die Frist kürzer.

Klimawandel und Trinkwasserverknappung sind nicht die einzigen, wohl aber mit die bekanntesten Schäden, die der Mensch seiner natürlichen Umwelt zufügt. In den vergangenen 50 Jahren gingen weltweit auch ein Drittel der fruchtbaren Böden verloren. Die vom Tropenwald bedeckte Fläche, auf der zwei Drittel aller Tier-und Pflanzenarten leben, wurde in etwa halbiert. In den kommenden 30 Jahren wird ein weiteres Viertel dieser tropischen Artenvielfalt verschwinden, und der Druck auf die natürlichen Ressourcen steigt weiter: Die Weltbevölkerung hat im Oktober 1999 die Sechs-Milliarden-Grenze überschritten, gleichzeitig wachsen die Konsumansprüche in fast allen Gesellschaften. Ökonomische Globalisierung, kulturelle Transformation, wachsendes Nord-Süd-Gefälle und globale Umweltveränderungen verschränken sich am Ende des zweiten Jahrtausend zu dem, was der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) als „Globalen Wandel“ bezeichnet. Der Mensch als Verursacher dieses Wandels ist damit selbst zum globalen Akteur geworden, der die Dynamik der Erdentwicklung entscheidend beeinflußt. Dies ist die wichtigste Erkenntnis seit den Warnungen des Club of Rome in den siebziger Jahren, in denen noch das Problem der Ressourcenverknappung im Vordergrund stand. Doch was sind die wichtigsten globalen Entwicklungen, die in der Lage sind, das Gesicht der Erde langfristig und möglicherweise unumkehrbar zu verändern, was treibt sie an, und vor allem, welche Dynamik steckt in ihnen?

Hausgemachter Klimawandel

Der Mensch hat seit Beginn der Industrialisierung einen erheblichen Anstieg von Treibhausgasen in der Atmosphäre verursacht. Die am stärksten zum anthropogenen Treibhauseffekt beitragenden Gase sind Kohlendioxid, Methan und Distickstoffoxid. Sie werden hauptsächlich durch die Verbrennung fossiler Energieträger, durch Landnutzungsänderungen und durch die Landwirtschaft freigesetzt. In den letzten 100 Jahren hat sich die globale Temperatur bereits um ca. 0, 6 Grad Celsius erhöht. Die absehbare Verschiebung von Klimazonen, der Anstieg des Meeresspiegels und die sich verändernde Häufigkeit von Dürren, Starkniederschlägen oder Stürmen gefährden Millionen von Menschen. Daher haben die Vereinten Nationen 1989 die „Internationale Dekade für die Reduzierung von Naturkatastrophen“ ausgerufen. Allein durch Hochwasser oder Hangrutschungen warenzwischen 1992 und 1995 fast 800 Millionen Menschen bedroht

Verknappung und Verschmutzung von Süßwasser

Auch der globale Wasserkreislauf ist in diesem Jahrhundert bereits verändert worden. Wasser ist die Grundlage allen Lebens und durch nichts zu ersetzen. Um so gravierender ist es, daß in vielen Regionen durch Bewässerungslandwirtschaft, Industrialisierung und Verstädterung mehr Wasser verbraucht wird, als sich neu bilden kann. Bereits heute haben nach Angaben der Vereinten Nationen rund zwei Milliarden Menschen keinen sicheren Zugang zu sauberem Trink-oder Süßwasser. Infolgedessen leidet die Hälfte der Bevölkerung in den Entwicklungsländern an wasserbedingten Krankheiten, die insgesamt jährlich fünf Millionen Menschen das Leben kosten. Weltweit werden nur fünf Prozent der Abwässer gereinigt. 70 Prozent des globalen Wasserverbrauchs werden heute für die Nahrungsproduktion benötigt. Aufgrund der raschen Bevölkerungsentwicklung wird die Wasserentnahme am stärksten in Afrika und Teilen Asiens zunehmen. In Nordamerika wird es vor allem der weiter steigende Pro-Kopf-Verbrauch sein, der den Wasserbedarf wachsen läßt. Der WBGU hat die zukünftige Entwicklung der globalen Wasserentnahme abgeschätzt Die Prognose zeigt, daß sich in den kommenden 30 Jahren der Wasserbedarf der Industrie etwa verdreifachen wird. Die Landwirtschaft wird rund 18 Prozent mehr Wasser benötigen als heute. Auch für die Haushalte wird ein stark erhöhter Wasserbedarf vorausgesagt, vor allem in Afrika und Asien, wo das Bevölkerungswachstum hoch ist.

Schleichende Zerstörung der Böden

Boden ist eine weitere unersetzliche natürliche Ressource, die schleichend zerstört wird. Etwa 15 Prozent der Böden weltweit sind deutlich durch den Einfluß des Menschen geschädigt; dieser Prozeß schreitet ungebremst voran Da ständig neue Böden bewirtschaftet werden, blieb die Ackerfläche in den letzten 30 Jahren allerdings annähernd stabil. Besonders gravierend ist die Situation in den Trockengebieten, wo 70 Prozent der Fläche von Bodenzerstörung betroffen sind. Trockengebiete machen 40 Prozent der globalen Landfläche aus. In Zentralasien, Nordwestchina, Nordafrika und im Sahel beträgt die jährliche Ausbreitungsrate der Bodenzerstörung 0, 5-0, 7 Prozent. Bei einer Ausbreitungsrate von 0, 5 Prozent werden jährlich rund 80 000 km 2 Böden degradiert -das entspricht knapp der Fläche Österreichs. Mit der Bodendegradation direkt verknüpft ist der Verlust der Arten-und Genvielfalt des jeweiligen Standorts.

Massive Minderung der Arten-und Genvielfalt

Die Biosphäre der Erde befindet sich mitten in einer Phase des Massenaussterbens. Vergleichbares hat es seit dem Verschwinden der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren nicht gegeben. Es wird geschätzt, daß täglich zwischen einer und 130 Arten verschwinden. Es ist daher angemessen, heute von der „ 6. Auslöschung“ in der Erdgeschichte zu sprechen. Während die fünf vorausgegangenen Krisen durch natürliche Ereignisse ausgelöst wurden, wird der aktuelle Verlust der Arten-und Genvielfalt überwiegend durch den Menschen verursacht. Wie viele Arten es gibt, ist allerdings unbekannt -gezählt wurden bisher 1, 75 Millionen, die Hälfte davon Insekten. Die moderne Landwirtschaft, die zunehmende Ausweitung von Infrastruktur in die Landschaft (Siedlungen, Straßen) und die Einschleppung gebietsfremder Arten sind wichtige Triebkräfte dieser Entwicklung. Die Vielfalt von Arten und Genen erfüllt global gesehen eine wichtige ökologische Regelungsfunktion (z. B. für den Wasser-kreislauf); sie ist aber vor allem auch der Schlüssel zur Neuzüchtung von Nahrungspflanzen und für die Entdeckung von Naturstoffen zur Herstellung neuer Medikamente.

Belastungsprobe durch Bevölkerungswachstum

Das Wachstum der Weltbevölkerung wird die Erde bis Mitte des nächsten Jahrhunderts, wenn nach neuesten Schätzungen der Vereinten Nationen die Neun-Milliarden-Grenze erreicht sein wird, auf eine schwere Belastungsprobe stellen: Es gilt, diese neun Milliarden Menschen, die Nahrung, Wasser, Raum und Energie benötigen, angemessen zu versorgen. Allerdings wächst die Bevölkerung langsamer, als bisher angenommen. Lag die Wachstumsrate von 1990 bis 1995 noch bei 1, 46 Prozent, so beträgt sie von 1995 bis heute nur noch 1, 33 Prozent jährlich. Dies bedeutet aber immer noch einen Zuwachs von 78 Millionen Menschen pro Jahr. Die Konzentration des Bevölkerungswachstums in den Entwicklungsländern ist indes mehr Ausdruck der dort herrschenden Armut als deren Ursache. Wie lange die Nahrungsproduktion mit dem Welt-bevölkerungswachstum mithalten kann, ist nicht abzusehen. Die globale Pro-Kopf-Getreideproduktion stieg dank der „Grünen Revolution“ seit 1969 kontinuierlich an. Die Steigerungen konzentrierten sich auf Asien und die Industrieländer. In Afrika südlich der Sahara ist die Pro-Kopf-Getreideproduktion jedoch seit dem Ende der sechziger Jahre rückläufig.

Meist leben die Menschen aufgrund von Armut in großer Ernährungsunsicherheit; die fortschreitende Umweltzerstörung wird in den kommenden Jahren aber eine immer wichtigere Rolle dabei spielen. In Afrika südlich der Sahara liegt die Verfügbarkeit von Nahrung mehr als 20 Prozent unter dem globalen Durchschnitt. Insgesamt leiden nach Angaben der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO) heute 800 Millionen Menschen an Hunger und Unterernährung. Treffen die optimistischen Voraussagen der FAO über die Bevölkerungsentwicklung und landwirtschaftliche Produktionssteigerung zu, dann könnte sich die Zahl der Unterernährten zukünftig verringern. Allerdings sind die Wirkungen möglicher Klimaänderungen, von Bodenerosion, von Wassermangel oder von sozialen Krisen dabei überhaupt nicht berücksichtigt.

Unterernährung und hohe Erkrankungsrisiken sind direkt miteinander verknüpft. Obwohl sich die Gesundheitsversorgung in den letzten Jahrzehnten verbessert hat, sterben in den Entwicklungsländern noch rund 17 Millionen Menschen jährlich an heilbaren infektiösen und parasitären Krankheiten. Hepatitis B, Tuberkulose oder Malaria sind in Industrieländern beherrschbar, in Entwicklungsländern kommen dieselben Krankheiten häufig einem Todesurteil gleich. Durch eine Klimaerwärmung werden sich die Lebensbedingungen für einzelne Erreger noch verbessern (beispielsweise für Malaria), so daß zukünftig Krankheiten an heute nicht betroffenen Orten (wieder) auftreten könnten. Wie gut solche Veränderungen bewältigt werden, wird von Land zu Land stark schwanken.

Globale Entwicklungsunterschiede

Das Wohlstandsgefälle zwischen Industrie-und Entwicklungsländern hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen, und damit haben sich auch die regionalen Unterschiede in der Fähigkeit, Krisen zu meistern, weiter vertieft. Zwar gab es in einigen Ländern des Südens eine positive ökonomische Entwicklung, die große Zahl der Entwicklungsländer ist dennoch sehr arm geblieben. Dieses „Entwicklungsdilemma“ prägt und belastet

den globalen Wandel wie kaum eine andere Determinante.

So ist die Einkommensarmut immer noch weit verbreitet. In den Entwicklungsländern ist der Anteil der Menschen, die über weniger als einen US-Dollar pro Tag und Person verfügen, zwischen 1987 und 1993 von 1, 2 auf 1, 3 Mrd. Menschen gestiegen Am weitesten verbreitet ist die Einkommens-armut in Afrika südlich der Sahara und in Süd-asien, wo rund 45 Prozent (266 von 590 Mio. Menschen) bzw. 40 Prozent . (515 Mio. von insgesamt 1, 3 Mrd.) der Bevölkerung davon betroffen sind. Nach Angaben des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) ist heute der Anteil des ärmsten Fünftels der Weltbevölkerung am Globaleinkommen auf 1, 1 Prozent gesunken, während er 1989 noch 1, 4 Prozent und 1960 noch 2, 3 Prozent betrug. Entsprechend hat sich die Kluft zwischen dem globalen Einkommensanteil der reichsten 20 Prozent und der ärmsten 20 Prozent aller Menschen weiter auseinanderentwickelt: 1960 betrug das Verhältnis 30: 1, 1991 lag es bei 61: 1 1994 erreichte es den bisherigen Höchstwert von 78: 1 Dieses wachsende Wohlstandsgefälle macht die Gesellschaften offenbar sehr unterschiedlich anfällig gegenüber den Risiken des globalen Wandels. Grundlegend für eine vorsorgende Politik ist es daher, die individuellen Bewältigungskapazitäten der Staaten zu verbessern.

II. Unkalkulierbare Dynamiken

Neben diesen Trends und Rahmenbedingungen ist in den letzten Jahren die sich selbstverstärkende Dynamik von Teilprozessen des globalen Wandels als eine weitere Risikodimension erkannt worden. Wesentliches Merkmal dieser Entwicklung ist die wahrhaft planetarische Systemwirksamkeit menschlicher Eingriffe. So übersteigt der Inhalt der derzeit weltweit betriebenen 40 000 Staudämme das Volumen aller Flüsse der Erde um das Fünffache. Täglich kommt ein neuer Staudamm hinzu. Der globale Stickstoff-und Schwefelkreislauf wird bereits etwa zur Hälfte durch den Menschen bestimmt, beim Kohlenstoffkreislauf macht dieser Anteil fünf Prozent aus. Entscheidend ist die Frage, inwieweit hierdurch die Dynamik des ganzen Erdsystems beeinflußt wird. Abholzung und Treibhauseffekt

Für die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen spielt die Vegetationsbedeckung der Erde eine entscheidende Rolle Waldzuwachs bremst den anthropogenen Treibhauseffekt, Entwaldung beschleunigt ihn. Nur wenn die Speicherwirkung der Vegetation erhalten bleibt und sie zukünftig sogar verstärkt werden kann, ist ein langfristiger Schutz des Klimas möglich Dessenungeachtet wurden nach Angaben der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft zwischen 1990 und 1995 rund 650 000 Quadratkilometer Tropenwald zerstört, etwa die zweifache Fläche Deutschlands. Allein durch die Waldbrände in Indonesien kamen 1998 rund 60 000 Quadratkilometer hinzu. Tropischer Urwald speichert besonders viel Kohlenstoff. Das Wachstum der Wälder in der Nordhemisphäre gleicht derzeit die negativen Wirkungen durch Abholzung noch aus, die Biosphäre ist also insgesamt (noch) eine sogenannte „Senke“ für Treibhausgase. Diese so wichtige Eigenschaft ist aber nicht nur durch die Zerstörung von Wäldern, sondern auch durch die Klimaänderung selbst gefährdet: Wenn Wälder wegen der globalen Erwärmung verschwinden und insbesondere der Bodenkohlenstoff der borealen Wälder freigesetzt wird, dann könnte sich im nächsten Jahrhundert die Biosphäre zu einer sogenannten „Kohlenstoffquelle“ entwickeln, also insgesamt mehr Kohlenstoff freisetzen als aufnehmen. Im schlimmsten Fall droht sogar ein „galoppierender“ Treibhauseffekt, wenn durch die globale Erwärmung die Dauerfrostböden auftauen und damit große Mengen des Kohlenstoffs freigesetzt würden. Auch die Mobilisierung der ozeanischen Methanhydrate, die riesige Mengen an Treibhaus-gasen enthalten, würde die katastrophale Entwicklung noch verstärken. Diesen Prozeß könnte die Weltgemeinschaft nicht mehr kontrollieren.

„Abschalten“ des Golfstroms

Der Eingriff des Menschen in die Atmosphäre kann auch zu plötzlichen, dramatischen Umschwüngen führen, da sich das Klimasystem nichtlinear verhält. Beispielsweise könnte die Tiefenwasserbildung im Nordatlantik unterbrochen werden, mit möglicherweise fatalen Auswirkungen auf Europa, wo durch „Abschalten“ des Golfstroms eine „kleine Eiszeit“ ausgelöst werden könnte. Eine solche Dynamik wäre in der Lage, die europäische Agrarproduktion lahmzulegen und im Extremfall eine Emigration nach Süden auszulösen.

Verschiebung von Klimazonen

Die Erwärmung der Atmosphäre wird zu einer Verschiebung der Klimazonen führen. Direkt betroffen ist die Landwirtschaft, da sich mit einem sich ändernden Klima die Gunststandorte verlagern. Aber auch in den Meeren hinterläßt der Klimawandel seine Spuren, da beispielsweise Korallenriffe empfindlich auf geringfügige Erhöhungen der Wassertemperatur reagieren. So wurde das Ausbleichen von Korallenriffen -also eine Gefährdung ihrer Lebens-und Funktionsfähigkeit und damit Indikator für globale Veränderungen -bereits 1963 an der Südküste Jamaikas beobachtet. Auch 1982/83, 1991/92, 1994 und 1998 wurden tote oder stark geschädigte Korallen vor allem in der Karibik, dem östlichen Pazifik und dem Indischen Ozean gefunden. Mit dem Verfall der Korallenriffe steht die Stabilität der meisten tropischen Küsten zur Disposition.

Mehr Niederschläge durch globale Erwärmung

Wahrscheinlich wird der Klimawandel auch die globalen Niederschläge erhöhen, allerdings mit erheblichen regionalen Unterschieden. Neuere Modelle, die der WBGU in Zusammenarbeit mit dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und dem Zentrum für Umweltforschung der Gesamthochschule Kassel erstellt hat prognostizieren, daß in einem wärmeren Klima mehr Niederschläge auf die Landmassen fallen könnten, vor allem in den hohen Breiten und in Teilen der Tropen und Subtropen. In anderen Regionen könnte es hingegen weniger regnen. Hiervon wären etwa große Teile Brasiliens, das südwestliche Afrika sowie West-und Nord-Australien betroffen.

Überlagerung von Umwelt-und Entwicklungsproblemen

Neben der Veränderung des regionalen Wasserhaushalts wird es durch den Klimawandel weitere Auswirkungen auf die natürliche Lebensumwelt des Menschen geben. Im neuesten Sonderbericht des IPCC von 1998 werden die Entwicklungsländer als besonders anfällig für den Klimawandel bezeichnet, teils wegen der nachteiligen Umwelt­ bedingungen, teils wegen der fehlenden gesellschaftlichen Problemlösungspotentiale. Eine der Schlüsselbotschaften ist denn auch, daß viele Länder bereits mit der Anpassung an die Klimavariabilität der Gegenwart überfordert sind. Für die meisten Entwicklungsländer wird übereinstimmend erwartet, daß es im Verlauf der Klimaerwärmung zu mehr Todesfällen durch Malaria, Denguefieber oder Gelbfieber kommen wird. In Afrika wird eine Zunahme der Krankheitsfälle in den Großstädten des Nordens und für höhergelegene Orte wie Nairobi oder Harare prognostiziert. In Südamerika, so die Prognose, werden sich Malaria, Denguefieber und Cholera nach Süden und in die Berggebiete ausbreiten. Afrika wird als der für Klimaänderungen anfälligste Kontinent bezeichnet, da dort die Fähigkeiten zu Problemlösungen besonders schwach sind. Vor allem die Trockengebiete werden betroffen sein. Dagegen wird für die Hochplateaus des östlichen und äquatorialen Afrika prognostiziert, daß sich dort durch mehr Niederschläge die Produktivität der Böden erhöht. Allerdings wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß trotz dieser quasi „ausgleichenden“ Effekte die Bodendegradation durch einen wachsenden Nutzungsdruck auf die natürlichen Ressourcen insgesamt zunehmen wird. Da Afrikas Landwirtschaft im wesentlichen auf Regen-bzw. Trockenfeldbau beruht und das Überleben der Menschen zu einem Großteil direkt oder indirekt hiervon abhängig ist, werden durch den Klimawandel gravierende Folgen für die Ernährungssicherheit erwartet, insbesondere durch möglicherweise steigende Dürrerisiken. Auch die Küsten Afrikas werden nachteilig vom Klimawandel betroffen sein. Mehrere Studien gehen davon aus, daß eine Zerstörung des nördlichen Nildeltas durch Überschwemmungen und Bodenerosion zu erwarten ist. Es bleibt festzuhalten, daß in vielen Fällen eine kritische Situation erst durch eine Überlagerung von Umwelt-und Entwicklungsproblemen entsteht.

III. Globale Strukturpolitik für Umwelt und Entwicklung

Wie gut die internationale Gemeinschaft die skizzierten Herausforderungen bewältigen kann, hängt wesentlich von ihrer Fähigkeit ab, bedrohliche Dynamiken rechtzeitig abzuwenden und die Staaten im Umgang mit dem globalen Wandel zu stärken. Wenn heute reagiert wird, wirken die Maßnahmen erst mit einiger Verzögerung und manchmal auch schon zu spät. Daher wird die vorsorgende Politik immer wichtiger. Eine solche globale Umwelt-und Entwicklungspolitik kann selbstverständlich nicht allumfassend und auf Dauer formuliert werden, da vielfach wesentliches Wissen noch fehlt und sich zudem die Präferenzen der politischen Akteure laufend wandeln. Es muß also schrittweise und unter Unsicherheit gehandelt werden. Werden neue Informationen gewonnen, dann gilt es, die gewählten Strategien erneut zu justieren. Wichtige Elemente einer so verstandenen „unscharfen Steuerung“ des globalen Wandels sind die vorsorgliche Begrenzung zu erwartender Störungen bzw. Fehlentwicklungen, eine Debatte über eine wünschenswerte und sinnvolle globale Raumordnung, das Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung der Staaten und die Bereitschaft zur Finanzierung notwendiger Maßnahmen.

Vorsorgliche Begrenzung zu erwartender Störungen

Zunächst geht es darum, jene Entwicklungen zu identifizieren, die als absolut „nicht-nachhaltig“ eingestuft und daher ausgeschlossen werden müssen. Um katastrophale und unumkehrbare Ereignisse zu vermeiden, muß auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse im gesellschaftlichen Diskurs bestimmt werden, was noch als akzeptabel erscheint bzw. was nicht. Das Ergebnis sind soge-nannte „Leitplanken“, also Grenzlinien, die nicht überschritten werden dürfen. Der WBGU hat beispielsweise für die Klimapolitik Leitplanken vorgeschlagen und hält eine Erwärmung um zwei Grad Celsius, bezogen auf den vorindustriellen Wert, bzw. eine Erwärmungsrate von 0, 2 Grad Celsius pro Dekade, für gerade noch tolerierbar. Heute beträgt der Abstand zur Temperatur-Leitplanke nur noch etwa 1, 3 Grad Celsius Ebenso sind Leitplanken für soziale Standards zur weltweiten Ernährungs-und Gesundheitssicherung vorstellbar. Auch für den Erhalt der biologischen Vielfalt läßt sich eine Leitplanke in Form einer unbedingt einzuhaltenden globalen Mindestgröße für Schutzgebiete ermitteln. Zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der Biosphäre legt der WBGU voraussichtlich Anfang 2000 ein neues Gutachten vor Können noch keine Leitplanken im Sinne präzise quantifizierbarer Grenzen festgelegt werden -wie im Fall einer internationalen Süßwasserpohtik -, müssen sich die Akteure an allgemeinen Prinzipien orientieren. Für den nachhaltigen Umgang mit Wasser hat der WBGU solche allgemeinen Prinzipien formuliert und diese als „Hydrologische Imperative“ bezeichnet. Sie umfassen unter anderem die Sicherstellung der Grundversorgung der jetzigen Generation mit Trinkwasser, die Erhaltung des globalen Süßwasserdargebots für künftige Generationen, die Sicherstellung fairer Zugangs-und Nutzungsrechte, die Beachtung der politischen Selbstbestimmung im Umgang mit Süßwasser sowie die Erhaltung aller international geschützten Süßwasser-Ökosysteme.

Die Bestimmung konkreter, also quantifizierter (ökologischer und sozialer) Leitplanken könnte ein internationales „Gremium zur Bewertung globaler Risiken“ übernehmen, wie es der WBGU jüngst empfohlen hat Dieses Gremium hätte die Aufgabe, die Ergebnisse der weltweit operierenden Beobachtungssysteme in einem regelmäßig erscheinenden „Globalen Risikobericht“ zu bündeln, auszuwerten, für die wesentlichen Politikbereiche die „Sicherheitsstreifen“ zu bestimmen und so als globales Frühwarnsystem zu fungieren. Bestehende internationale Institutionen sind überwiegend nachsorgend orientiert, d. h., sie reagieren (oft zu spät) auf bekannte Risiken. Weil bisher zwischen der Entdeckung eines Risikos und der Bildung eines internationalen Regimes oftmals eine lange Zeitspanne liegt -im Fall der FCKW waren es knapp Jahre -, sollte künftig auf die Früherkennung viel größerer Wert gelegt werden. Hierdurch würden die Kosten der Nachsorge gespart oder zumindest gesenkt werden.

Steuerung des globalen Wandels durch globale Raumordnung

Wie aber könnte eine Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf entsprechend rechtzeitige Warnungen aussehen? Zweifellos sollte hier auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen zurückgegriffen werden. Dieses reicht von der Steigerung der Ressourcenproduktivität nach dem „Faktor-Vier-Konzept“, bei dem durch eine neue industrielle Revolution entscheidende Zuwächse bei der Nutzung von Energie, Rohstoffen und Transportsystemen erreicht werden sollen (Effizienzsteigerung) bis zu einem globalen „Umwelt-und Entwicklungsmanagement“, bei dem unter Nutzung des vorhandenen Systemwissens lenkend in die Geschicke unseres Planeten eingegriffen werden könnte 15. Bei letzterem geht es darum, die ohnehin stattfindenen Eingriffe des Menschen in eine wünschenswerte Richtung zu lenken. Eine Grundeinsicht ist in diesem Zusammenhang, daß der Mensch -global gesehen -seine natürliche Umwelt häufig „am falschen Ort nutzt“

Deshalb wird es darauf ankommen, die globalen Stoff-und Energieflüsse so umzusteuern, daß die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit genutzt und dennoch erhalten werden. Hier muß von der Politik und der Zivilgesellschaft darüber nachgedacht werden, wie eine geeignete globale Raumordnung zukünftig aussehen könnte. Warum sollte beispielsweise nicht versucht werden, die intensiv sonnenbestrahlten Wüsten für die Erzeugung von Solarenergie zu nutzen oder Regionen mit hohen Niederschlägen für die Ansiedlung von Industrien mit großem Wasserbedarf?

Um andererseits Böden und biologische Vielfalt zu erhalten und nachhaltig zu nutzen, sollten die Flächen, die bewirtschaftet werden, von vornherein in Schutzkonzepte integriert und Teil eines Gesamtplans werden. Es kann nicht allein darum gehen, zehn bis zwanzig Prozent der globalen Landfläche unter Schutz zu stellen, wohl aber darum, wie auf 90 oder 95 Prozent des Areals eine nachhaltige Nutzung verwirklicht werden kann. Daß dies finanzierbar ist, haben jüngst Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Nature“ am Beispiel der biologischen Vielfalt vorgerechnet Demnach würde ein effektives weltweites Schutzgebietssystem auf 15 Prozent der Landfläche der Erde jährlich ca. 27, 5 Milliarden US-Dollar kosten, einschließlich aller Ausgleichzahlungen für Nutzungsausfall. Der Löwenanteil der Investitionen würde in den Entwicklungsländern anfallen. Für Schutzgebiete werden heute weltweit rund sechs Milliarden US-Dollar ausgegeben, die „Globale Umweltfazilität“ (GEF) hat seit ihrer Einrichtung 1992 rund eine Milliarde US-Dollar in den Erhalt und die nachhaltige Nutzung der Biodiversität investiert. Die bestehende Finanzierungslücke von etwa 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr kann aber durchaus geschlossen werden. Für ein flächendeckendes globales Programm zum Biodiversitätsschutz über die Schutzgebiete hinaus ermitteln die Wissenschaftler einen Finanzbedarf von 300 Milliarden US-Dollar jährlich -eine Summe, die nach ihrer Ansicht leicht aufgebracht werden kann durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen für Verkehr, Energieproduktion, Wasserverbrauch oder Landwirtschaft, deren Höhe sie weltweit auf 950 bis 1 450 Milliarden US-Dollar jährlich schätzen.

Es wäre auch wünschenswert, daß die Zivilisation künftig mehr dem Süßwasser folgt als umgekehrt, wie das negative Beispiel der Wüstenstadt Las Vegas nahelegt. Gleiches gilt für die Landwirtschaft, für die sich mit die besten Anbaubedingungen in den Industrieländern der gemäßigten Breiten befinden. Stößt die Weltagrarproduktion eines Tages an ihre Grenzen, dann muß sie zwangsläufig über regionale „Optimierungen“ nachdenken. Natürlich sollte etwa die Reisproduktion in Asien ein Fundament der Getreideproduktion bleiben, aber gegenwärtig wird an zu vielen marginalen Standorten dem Boden mit nichtnachhaltigen Praktiken ein karger Ertrag abgerungen. Hochtechnologie-Industrien würden in den Trokkengebieten der Welt günstige natürliche Standortbedingungen finden, da reichlich Sonnenenergie vorhanden wäre und durch Industrieansiedlung keine Böden zerstört würden. Solarenergie könnte beispielsweise in Nordaustralien, im Sahel oder im Nahen Osten „geerntet“ werden, die Energie könnte entweder über direkten Fernstromtransport geleitet oder über Wasserstoffspeicherung exportiert werden. Schon mit heutigen Technologien würde dies lediglich die Verdoppelung des jetzigen Energiepreises implizieren. Die Regionen um die tropischen Regenwälder, wo sich weltweit die höchste biologische Vielfalt konzentriert, böten sich als Standort für Biotechnologiefirmen an.

Sicherlich darf bei solchen -heute noch utopisch anmutenden -Überlegungen nicht vergessen werden, daß die bestehenden Raumstrukturen über Jahrtausende kulturell beeinflußt gewachsen sind, daß die Qualifikation der Arbeitskräfte bei Standortentscheidungen eine große Rolle spielt, daß wir immer noch in Nationalstaaten leben und sich die Gesellschaften nicht von heute auf morgen an solche neuen Konzepte anpassen können. Aber diese Gedankenskizzen sollen helfen, die Zielrichtung für eine globale Raumordnung der Zukunft zu bestimmen, welche die Belastbarkeit der Ökosysteme nicht überstrapaziert. Ein solcher Weg kann allerdings nur beschritten werden, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen mit Hilfe einer globalen Strukturpolitik geschaffen werden, wie sie seit dem Erdgipfel in Rio de Janeiro formuliert, weiterentwickelt, bisweilen auch nur halluziniert wird.

Die Wirkungen des Erdgipfels von Rio de Janeiro

Angesichts der weltweit gravierenden Entwicklungsunterschiede -Massenarmut im Süden, hohes Konsum-und Produktionsniveau im Norden -ist eine wirksame Umwelt-und Entwicklungspolitik im Sinne einer globalen Strukturpolitik wichtiger denn je Hier haben die Weltgipfel der vergangenen Jahre zu Bevölkerung und Entwicklung (1994), sozialer Sicherheit (1995), Ernährung (1996), Siedlungswesen (1996) usw. wesentlich dazu beigetragen, das Bewußtsein der Öffentlichkeit zu schärfen und die Grundlage für ein „planetarisches Konzept“ zu schaffen. So wurde beispielsweise auf dem Weltsozialgipfel 1995 in Kopenhagen die soge-nannte 20-20-Initiative beschlossen, bei der sich Industrie-und Entwicklungsländer wechselseitig verpflichteten, jeweils 20 Prozent ihrer Entwicklungszusammenarbeit und 20 Prozent ihres Budgets für soziale Basisdienste aufzuwenden. Im Laufe der Zeit haben die unverbindlichen Empfehlungen mehr als nur moralische Verpflichtungen der Staatengemeinschaft bewirkt. So muß auf den jeweiligen „Plus-Fünf“ -Folgekonferenzen offengelegt werden, inwieweit die gemachten Versprechungen eingelöst werden konnten. Es entstand so ein Bezugssystem, an dem sich internationale Institutionen und Programme orientieren können. Auf dieser Grundlage kann die Staatengemeinschaft zukünftig durchaus aufbauen.

Gleichwohl reichen die verabschiedeten, völkerrechtlich unverbindlichen globalen Aktionspläne nicht aus, um das Ziel einer zukunftsfähigen Entwicklung erreichbar erscheinen zu lassen. Gleiches gilt für die 1992 eingerichtete UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung (CSD). Zwar sind ihre Verdienste mit Blick auf das gewachsene öffentliche Bewußtsein unbestritten, dennoch bedarf es dringend einer stärkeren Konkretisierung und konsequenteren Umsetzung der Agenda 21, des auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 verabschiedeten Aktionsplans.

Gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung der Staaten

Wirksamere, weil völkerrechtlich verbindliche Instrumente sind Konventionen, wie sie beispielsweise zum Schutz des Klimas (1992), der Böden in Trockengebieten (94) 19 und der biologischen Vielfalt (1992) verabschiedet wurden. In diesen Vertragswerken wurde erstmals die „gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung“ der Staaten zur Lösung globaler Umweltprobleme völkerrechtlich festgeschrieben. Allerdings sind bei diesen internationalen Über-einkünften zahlreiche Probleme auszumachen, insbesondere die Frage, wie mit Ländern umgegangen werden soll, die die getroffenen Vereinbarungen nicht einhalten. Es fehlen noch weitgehend Instrumente zur Erfüllungskontrolle, wie z. B. Berichtspflichten oder die Erstellung von Ranglisten in bezug auf Umweltzerstörung. Für den Extremfall bestehen bereits Sanktionsmöglichkeiten über den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der einschreiten kann, wenn durch Umweltzerstörung der Weltfrieden bedroht ist, was aber wohl kaum im voraus belegt werden kann. Vor allem aber kommt es darauf an, Extremfälle von Umweltvergehen vorbeugend zu vermeiden. Dies läßt sich sicherlich eher durch „sanfte“ Sanktionen erreichen: Kein Land der Welt sieht sich beispielsweise gern am unteren Ende einer Verschmutzerliste. Ein weiteres Problem ist der steigende Abstimmungsbedarf zwischen einzelnen Konventionen, wie bei der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls der Klimarahmenkonvention deutlich wurde. In der japanischen Kaiserstadt wurde 1997 vereinbart, daß die Industriestaaten den Treibhausgasausstoß bis zum Zeitraum 2008-2012 um mindestens fünf Prozent, bezogen auf 1990, reduzieren. Da hierbei auch die Wiederaufforstung von Wäldern als eine Klimaschutzmaßnahme zugelassen ist, bestehen unmittelbar Bezüge zu den beiden anderen Konventionen zum Bodenschutz in Trockengebieten und zum Erhalt der biologischen Vielfalt. Eine Koordination gab es im Vorfeld aber nicht. Unklar ist auch, wie sich die vereinbarte Förderung von Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern durch den sogenannten „Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung“ (Clean Development Mechanism) zu ähnlichen Instrumenten „benachbarter“ Konventionen verhält. Hier wird zukünftig verstärkt Abstimmung notwendig, um Doppelarbeit oder gar widersprüchliche Maßnahmen zu vermeiden.

Insgesamt erfüllen die Vereinten Nationen eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der Risiken des Globalen Wandels -nicht nur normativ, sondern auch operativ (z. B. durch das Welternährungsprogramm oder durch die Fonds und Programme des UN-Entwicklungsprogramms). Allerdings wird bereits seit geraumer Zeit eine Reformdebatte geführt, um die Rolle der Vereinten Nationen in einer zukünftigen Weltordnungspolitik zu stärken. Beispielsweise sind von der EU Reformvorschläge für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) gemacht worden. Dabei soll die Rolle von UNEP als Koordinator von Umweltinitiativen einzelner UN-Organisationen und von Sekretariaten einschlägiger Konventionen verbessert werden.

Aber auch die Welthandelsorganisation (WTO), die außerhalb des UN-Systems steht, ist gefordert. Hier muß bei den anstehenden Verhandlungsrunden darauf geachtet werden, daß das Verhältnis von Welthandels-und Weltumweltpolitik so gestaltet wird, daß die bestehenden internationalen Umweltregime als Meßlatte für umweltpolitisch motivierte Handelsmaßnahmen herangezogen werden. Auf diese Weise sollte der umweltpolitische Unilateralismus der großen Welthandelspartner zugunsten eines multilateralen Systems beendet werden

Finanzierung globaler Strukturpolitik

Ohne ausreichende Mittel wird globale Strukturpolitik nicht umgesetzt werden können. Doch woher sollen die Mittel in einer Zeit kommen, in der beispielsweise die staatlich geleistete öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) den niedrigsten Stand seit 50 Jahren erreicht hat? Sicherlich ist es zunächst erforderlich, die Industrieländer an die Einhaltung früherer Zusagen zu erinnern. Die wichtigste Zusage umfaßt die Selbstverpflichtung, 0, 7 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden. Sowohl die Agenda 21 als auch sämtliche weiteren UN-Gipfel der letzten Jahre haben das 0, 7 Prozent-Ziel bekräftigt. Wünschenswert und dem Problem-druck angemessen wäre es jedoch, ein Prozent des BSP in Entwicklungsländer zu transferieren, wie es 1980 von der Unabhängigen Kommission für Internationale Entwicklungsfragen („Nord-Süd-Kommission“) und mehrfach vom WBGU gefordert worden ist. Ebenso ist eine konsequente Fortsetzung der „Kölner Schuldeninitiative“ von 1999 notwendig, bei der die hochverschuldeten armen Entwicklungsländer besonders entlastet werden.

Auch der Haushalt der Vereinten Nationen (1995: ca. 2, 6 Milliarden US-Dollar) ist angesichts des bestehenden globalen Problemdrucks eher mager ausgestattet: Er macht nur vier Prozent des Haushalts der Stadt New York aus. Verschlimmert wird diese Schwäche durch die über Jahre hinweg angewachsenen Außenstände einer Vielzahl von Mitgliedstaaten mit dem Hauptschuldner USA. Diese nach den Worten des ehemaligen UN-General-sekretärs Boutros-Ghali bestehende „Einnahme-krise“ muß überwunden werden. 20 Ohne innovative Finanzierungsinstrumente wird kein Handlungsspielraum entstehen. Von allen derzeit diskutierten Ansätzen erhält die internationale Devisenumsatzsteuer („Tobin-Steuer“) mit die größte Unterstützung. Sie wurde von dem ehemaligen französischen Staatspräsidenten Francois Mitterrand auf dem Weltsozialgipfel 1995 in Kopenhagen gefordert und auch von Gro Hartem Brundtland empfohlen. Die Tobin-Steuer geht zurück auf den Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger James Tobin, der schon in den siebziger Jahren vorgeschlagen hatte, durch eine internationale Steuer den Gesamtumfang sowie spekulative Ausschläge der weltweiten Devisenmärkte zu begrenzen. Mit diesem Instrument, dessen Chancen auf eine internationale Durchsetzung allerdings derzeit noch gering sind, könnten umfangreiche Finanzmittel zur Finanzierung globaler Strukturpolitik gewonnen werden. Auch die Erhebung einer internationalen Luftverkehrs-steuer wäre denkbar.

Mit einer erheblichen Steigerung der staatlich geleisteten öffentlichen Entwicklungshilfe oder der Einführung diverser Steuern allein werden die nötigen vorbeugenden Maßnahmen zur Bewältigung der Risiken des globalen Wandels aber immer noch nicht zu finanzieren sein. Hierzu bedarf es der Zusammenarbeit aller Akteure -also der Staaten, der Wirtschaft und der Nichtregierungsorganisationen. Ein besonders interessanter Vorschlag ist die derzeit beim UN-Entwicklungsprogramm vorbereitete Einrichtung einer „Globalen nachhaltigen Entwicklungsfazilität“, um gemeinsam mit multinationalen Konzernen Projekte zur nachhaltigen Entwicklung zu gestalten Ein solcher Ansatz wäre auch für das UN-Umweltprogramm interessant und eine vielversprechende Ergänzung zur staatlich-multilateral finanzierten „Globalen Umweltfazilität“.

Die eingangs angeführte Wasserknappheit in Chennai oder der weitere Anstieg des Meeresspiegels werden nicht von heute auf morgen bewältigt bzw. verhindert werden können. Die angeführten Beispiele zeigen aber, daß die internationale Gemeinschaft unter Zugzwang steht, wenn sie nicht Zusehen will, wie die Lebensgrundlagen der Menschheit schleichend bzw. abrupt verloren gehen. Die Lage ist somit ernst, doch mit Phantasie und Kooperationsbereitschaft kann auch diese globale Herausforderung bewältigt werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Deutsches Rotes Kreuz (Hrsg.), Weltkatastrophenbericht 1997, Bonn 1997.

  2. Vgl. WBGU -Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, Welt im Wandel: Wege zu einem nachhaltigen Umgang mit Süßwasser, Jahresgutachten 1997, Berlin -Heidelberg -New York 1998.

  3. Vgl.ders., Welt im Wandel: Die Gefährdung der Böden, Jahresgutachten 1994, Bonn 1994.

  4. Vgl.ders., Welt im Wandel: Strategien zur Bewältigung globaler Umweltrisiken, Jahresgutachten 1998, Berlin -Heidelberg -New York 1999.

  5. Vgl. United Nations Development Programme (Hrsg.), Human Development Report 1992, New York Oxford 1992.

  6. Vgl. ebd.

  7. Vgl. WBGU, Ziele für den Klimaschutz. Stellungnahme zur dritten Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention in Kyoto, Bremerhaven f 997.

  8. Vgl.ders., Die Anrechnung biologischer Quellen und Senken im Kyoto-Protokoll: Fortschritt oder Rückschlag für den globalen Umweltschutz? Sondergutachten 1998, Bremerhaven 1998.

  9. Vgl.ders. (Anm. 2).

  10. Vgl. Intergovemmental Panel on Climate Change (Hrsg.), IPCC Special Report -The Regional Impacts of Climate Change: An Assessment of Vulnerability, Cambridge 1998.

  11. Vgl. WBGU (Anm. 7).

  12. Vgl.ders., Welt im Wandel: Erhalt und nachhaltige Nutzung der Biosphäre. Jahresgutachten 1999, Berlin -Heidelberg -New York 2000 (in Vorbereitung).

  13. Vgl.ders. (Anm. 4).

  14. Vgl. Hans-Joachim Schellnhuber/Volker Wenzel (Hrsg.), Earth System Analysis, Heidelberg 1998.

  15. Vgl. Ernst Ulrich von Weizsäcker/Armory Lovins/Hunter Lovins, Faktor vier. Doppelter Wohlstand -halbierter Naturverbrauch, München 1995.

  16. Vgl. Hans-Joachim Schellnhuber, Globales Umweltmanagement oder: Dr. Lovelock übernimmt Dr. Frankensteins Praxis, in: GünterAltner u. a. (Hrsg.), Jahrbuch Ökologie 1999, München 1998, S. 168-186.

  17. Vgl. Alexander James/Kevin Gaston/Andrew Balmford, Balancing the Earth’s accounts, in: Nature, (1999) 401, S. 232-324.

  18. Vgl. Heidemarie Wieczorek-Zeul, Nachhaltige Entwicklung durch Globale Strukturpolitik, in: Vereinte Nationen, (1999) 3, S. 100-103.

  19. Vgl. Benno Pilardeaux, Neue Verhandlungsrunde zur Desertifikationsbekämpfung. 2. Vertragsstaatenkonferenz der UNCCD in Dakar vom 30. 11. bis 11. 12. 1998, in: Nord-Süd Aktuell, (1998) 4, S. 788-791.

  20. Vgl. Frank Biermann. Internationale Umweltverträge im Welthandelsrecht (= Discussion Paper des Wissenschaftszentrum Berlin. FS II 99-403), Berlin 1999.

  21. Vgl. H. Wieczorek-Zeul (Anm. 18).

Weitere Inhalte

Hans-Joachim Schellnhuber, Dr. rer. nat., geh. 1950; Professor für Theoretische Physik an der Universität Potsdam; Direktor des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung; Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). -Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Volker Wenzel) Earth System Analysis, Heidelberg 1998; (zus. mit Siegfried Franck u. a.) Reduction of Biosphere Life Span as a Consequence of Geodynamics, Tellus B (im Druck); Earth System Analysis -Towards the Second Copernican Revolution, in: Nature (im Druck). Benno Pilardeaux, Dr. rer. nat., geb. 1963; wissenschaftlicher Mitarbeiter und Pressereferent in der Geschäftsstelle des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). -Veröffentlichungen u. a.: Innovation und Entwicklung in Nordpakistan, Saarbrücken 1995; The UN convention to combat desertification -an example for global risk management, in: C. A. Brebbia u. a., Risk Analysis, Boston 1998.