Die jüngste internationale Finanzkrise hat die wohl intensivste Debatte seit der Bretton-Woods-Konferenz von 1944 über Ausgestaltung und Rahmenbedingungen, die sogenannte „Architektur“, des internationalen Finanzsystems ausgelöst Konsens hat diese Debatte bislang nicht hervorgebracht. Angesichts des mit der Überwindung der Krise schwindenden Reformdrucks ist damit auch kaum zu rechnen. Doch sind auf politischer Ebene, namentlich im Rahmen der G-7, zuletzt während der jüngsten Jahresversammlung von IWF (Internationaler Währungsfond) und Weltbank im September 1999 in Washington, Beschlüsse gefaßt worden, die durchaus Merkmale einer „neuen Architektur“ für die internationalen Finanzmärkte tragen.
I. Die Finanzkrise von 1997/99: Mangel an globaler Regulierung?
Die Währungs-und Finanzkrise, die im Juli 1997 zuerst Thailand und in den folgenden Monaten Malaysia, die Philippinen, Südkorea und Indonesien ergriff, wurde spätestens ab Sommer 1998 - mit der partiellen Zahlungseinstellung Rußlands und dem Verfall des Rubelkurses sowie dem zunehmenden Druck auf den brasilianischen Real -als eine Krise des internationalen Finanzsystems diagnostiziert.
Mit der Ausweitung der Krise entfalteten sich auch Thesen über ihre Ursachen und die daraus abgeleiteten Vorschläge zur Krisenüberwindung und -prävention. Vor allem wurde deutlich, daß die jüngste Krise kein singuläres regionales Phänomen, sondern lediglich die vorerst letzte in einer längeren Reihe von „Post-Bretton-Woods“ -Krisen ist
Auf der Ebene der Krisenländer werden zum einen mikroökonomische, das heißt ordnungs-und strukturpolitische Defizite ausgemacht, insbesondere im Bereich des Bankwesens, des Konkursrechts und der Wettbewerbspolitik. Gerade hinsichtlich der fünf asiatischen Krisenländer wurden diese Defizite meist als Ausdruck tiefer liegender struktureller Mängel des -noch kurz zuvor aus denselben Gründen hochgelobten -asiatischen Modells genannt: des hohen Stellenwerts persönlicher Beziehungsgeflechte statt transparenter, wettbewerbsorientierter und regelgebundener Investitionsentscheidungen. Zum anderen wurden falsche makroökonomische Politiken kritisiert, vor allem die Politik fester Wechselkurse der nationalen Währung. Darüber hinaus aber wurde unter dem Eindruck der Krise auch sehr kontrovers diskutiert, zumal die aufstrebenden asiatischen Marktwirtschaften (einerging markets) den zweiten Schritt vor dem ersten taten, als sie ihre Kapitalmärkte weitgehend deregulierten, ohne daß die volle Liberalisierung der Güter-und Dienstleistungsmärkte sowie der ungehinderte Zugang für ausländische Direktinvestitionen verwirklicht waren
Im Verlauf der Krise richteten sich Kritik und Reformdruck jedoch zunehmend auf die Regelungen und Institutionen des internationalen Finanzsystems. Auch hier gilt es wieder zu unterscheiden: mikroökonomisch-ordnungspolitische Defizite, vor allem bei den internationalen Standards für Banken und für neue Akteure an den Finanzmärkten auf der einen Seite und die Kritik an falschen makroökonomischen Vorgaben sowie mangelhafter wirtschaftspolitischer Überwachung namentlich seitens des IWF auf der anderen Seite.
Als gewichtiger Krisenfaktor gelten auch die Mängel des Risikomanagements durch die westlichen Geschäftsbanken, sowohl in der Risikobewertung als auch beim Umgang mit den modernen Techniken der Risikobegrenzung und -Verteilung bei Finanzmarkt-Derivativprodukten wie Optionen, Terminkontrakten etc.
Handelt es sich bei diesen Problemen überwiegend um eher technische Fragen (obwohl auch ihre Regelung eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen nationalen Finanzsektoren spielt), so bewegen sich die Kritik am IWF und die daraus abgeleiteten Forderungen auf politisch sehr kontroversem Terrain. Denn sie kommen zum Teil zu diametral entgegengesetzten Schlußfolgerungen. Drei Punkte sind es hier vor allem, die kritisiert werden: -Die schnelle Liberalisierung der Kapitalmärkte in den Krisenländern auf Druck des IWF. Mit dieser Linie setzte der IWF den „Washington Consensus“ von 1991 um, die Einigung der G-7-Staaten und der Internationalen Finanzinstitutionen (IFIs, also IWF und Weltbankgruppe) auf weltweite und vollständige Liberalisierung der Märkte, insbesondere der Kapitalmärkte, auch in den Transformationsländern und emerging markets. Diese Politik, die die betreffenden Länder den starken Schwankungen kurzfristiger Kapitalströme (der „Spekulation“) aussetzte, ohne daß ihre Währungen und die jeweilige Zahlungsbilanzstruktur dem gewachsen waren, wurde nicht nur vom malaysischen Premier Mohamad Mahathir kritisiert, sondern auch von namhaften amerikanischen Ökonomen wie Jagdish Bhagwati und Paul Krugman oder dem ehemaligen Direktoriumsmitglied der Deutschen Bundesbank Claus Köhler -Eine der Situation unangemessene Verknüpfung der Stützungsprogramme des IWF für die Krisen-länder mit (wirtschafts-) politischen Auflagen. Hier kommt die Kritik aus zwei Richtungen: Einerseits wurde kritisiert, daß der IWF zu Beginn der Krise in Ostasien zunächst den betroffenen Ländern Thailand, Philippinen und Indonesien klassische Stabilisierungsmaßnahmen -Haushaltskürzungen, Zinserhöhungen, schnelle Sanierung bzw. Schließung zahlungsunfähiger Banken -auferlegte und durch die damit bewirkte Kredit-und Liquiditätsverknappung den Verlauf der Krise, insbesondere ihre Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung, möglicherweise verschärfte Auch die zum Teil scharfen Strukturanpassungs-und Marktöffnungsauflagen des IWF gegenüber einigen der ostasiatischen Krisenstaaten, vor allem . Südkorea, sind unter Experten nicht unumstritten Andererseits wird zu viel Großzügigkeit des IWF bei der Vergabe von Stützungskrediten moniert -vor allem natürlich gegenüber Rußland. -Die Bezeichnung des IWF als „moralischer Anstifter“ der jüngsten Krise. Einerseits habe er aufgrund unzureichender Überwachung der Daten aus den Mitgliedsländern trotz klarer Warnsignale die Krise nicht vorhergesehen -aus politischen Erwägungen nicht vorhersehen wollen -und aufgrund seiner fehlenden Transparenz auch privaten Marktteilnehmern keine Chance eingeräumt, die Warnsignale richtig zu interpretieren. Andererseits habe er durch seine bisherigen Stützungsmaßnahmen, z. B. gegenüber Mexiko bei dessen Finanz-krise 1994/95, die Erwartung unter den Marktteilnehmern hervorgerufen, auf jeden Fall für die Zahlungsfähigkeit von Schuldnerländern einzustehen. Resultat sei die Förderung leichtfertiger Verschuldungs-bzw. Kreditgewährungspraktiken (moral hazard) seitens westlicher Finanzinstitute ebenso wie von Seiten der emerging marketsSchuldner.
II. Die Re-Regulierung der Finanzmärkte in der Diskussion
Die Krise brachte während ihres Höhepunktes von Sommer 1998 bis in das erste Quartal 1999 einige sehr weitgehende Vorschläge zur Reform des internationalen Finanzsystems hervor.
Die in dieser Zeit angestellten Überlegungen lassen sich in vier Gruppen einteilen:
1. Die „marktliberale“ Option, wie sie etwa von Milton Friedman oder Anna Schwartz vertreten wird
-Eine weitgehende Reduzierung der Rolle des IWF auf seine klassische Aufgabe der Zahlungsbilanzstützung unter makroökonomischen Auflagen Rückzug des IWF aus der ordnungs- undstrukturpolitischen Konditionierung seiner Stützungsprogramme. -Volle Liberalisierung der Kapitalmärkte und flexible Wechselkurse sollen dazu führen, daß solche Stützungen nur begrenzt erforderlich sind. -Mittel der IFIs dürfen nicht dazu verwendet werden, private Gläubiger auszuzahlen. Statt dessen sollten private Kreditversicherungslösungen angestrebt werden, um sicherzustellen, daß die Kosten der Risikoabsicherung in die Marktpreise (Zinssätze, Optionsprämien u. a.) bei internationalen Finanztransaktionen eingehen, statt als externe Kosten bei Staaten und internationalen Finanzinstitutionen anzufallen. 2. Die pragmatische Option, wie sie im Rahmen der Zusammenkunft der G-7-Finanzminister beschlossen wurde und inzwischen umgesetzt wird: -Stärkere Fokussierung von IWF und Weltbank auf ihre jeweiligen Kernaufgaben, verbesserte Transparenz bei der Aufbereitung und Offenlegung ökonomischer Länderdaten durch IWF und Weltbank; -Anpassung internationaler Bankenregeln, vor allem des im Rahmen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ausgehandelten „Baseler Abkommens“ über die Eigenkapitalstandards international tätiger Geschäftsbanken, an die veränderten Gegebenheiten und neuen Akteure auf den internationalen Finanzmärkten; -verbesserte finanzpolitische Koordination und Kooperation der G-7-Staaten. 3. Die ordnungspolitische global governance-Option: Kompetenzausweitung der internationalen Finanzinstitutionen und Stärkung bzw. Ausbau globaler Regime für die internationalen Finanzmärkte. Zu dieser Option gehören: -die nicht zuletzt vom IWF selbst vorgebrachte Ausweitung und förmliche Festschreibung seiner Rolle als globales Refinanzierungsinstitut letzter Instanz (lender of last resort) oder gar seine Weiterentwicklung zu einer Art Welt-Zentralbank; -der Ausbau der BIZ zu einem globalen Bankenaufsichtsinstitut bzw. die Errichtung einer World Financial Authority (WFA) oder Organization (WFO), die die globale Regulierung der Finanzmärkte übernehmen sollen, in Anlehnung an die Aufgaben der Welthandelsorganisation (World Trade Organization -WTO) für die internationalen Waren-und Dienstleistungsmärkte; -eine globale Koordination nationaler Währungs-und Finanzpolitiken, mit dem Ziel wenn schon nicht eines neues Festkurs-Währungsregimes der wichtigsten Weltwährungen, eines „Bretton Woods II“, so doch zumindest einer Stabilisierung der Wechselkurse der drei Weltleitwährungen US-Dollar, Euro und Yen in Gestalt vereinbarter Wechselkurszielzonen. 4. Die „dirigistische“ Option einer Abkehr von freien Kapitalmärkten durch Wiedereinführung von Kontrollen vor allem des kurzfristigen Kapitalverkehrs, eventuell ergänzt durch eine Steuer auf Devisentransaktionen.
Die „marktliberale“ und die „dirigistische“ Option blieben ordnungspolitische Außenseiterpositionen: Erstere bietet -in der Logik neoklassischer Theorie -zwar effiziente Lösungen für marginale bzw. punktuelle Abweichungen vom Gleichgewicht. nicht aber für die Möglichkeit einer massiven weltweiten Kreditkrise, die nicht nur jedes Kreditversicherungsregime überfordern, sondern vor allem inakzeptable soziale Kosten durch Wachstums-und Beschäftigungseinbrüche in den Krisenländern verursachen würde, bevor sich ein neues Gleichgewicht einstellt. Die dirigistische Lösung könnte zwar weltweite Finanzkrisen verhindern, aber nur um den Preis erheblicher Wohlfahrtsverluste gerade in den aufstrebenden Ländern durch die Behinderung der Kapitalströme und die Verteuerung von Kapital als Produktionsfaktor. Die politische Diskussion über eine „neue Finanzarchitektur“ fand somit zwischen der „pragmatischen“ und der weiter gehenden global governance-Opüon statt.
Die in der Wissenschaft schon länger kritisch diskutierte Option, den IWF zum international lender of last resort zu machen, wurde nicht zuletzt durch den Chefvolkswirt des IWF selbst, Stanley Fischer, in die Diskussion gebracht Sie impliziert, daß der IWF über seine bestehende Quotenausstattung hinaus die Möglichkeit der Geldschöpfung im Krisenfall erhält. Soll diese Geldschöpfungskompetenz jedoch nicht zu einer unkontrollierbaren Geldvermehrung führen, bedingt sie, wie unter anderem Barry Eichengreen ausführt volle, den nationalen Zentralbanken übergeordnete, geld-und währungspolitische Zentralbankfunktionen -keine realistische Perspektive auf globaler Ebene.
Die in unterschiedlichen Varianten auf politischer Ebene wie in der wissenschaftlichen Literatur diskutierte Errichtung einer WFA/WFO orientiert sich an den positiven Erfahrungen mit der gestärkten WTO. Eine solche WFA/WFO sollte, aufbauend auf der Infrastruktur der BIZ und der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO), deren Funktionen übernehmen und damit zugleich den ordnungspolitischen Rahmen für eine lender of last resortFunktion des IWF schaffen. Auch in diesem Fall gibt es derzeit keine Bereitschaft unter den maßgeblichen G-7-Staaten, eine solche supranationale Institution mit exekutiven Kompetenzen zu schaffen. Ordnungspolitisch umstritten sind auch die Überlegungen für eine Stabilisierung der Welt-währungsordnung. Die Idee einer Rückkehr zu einem weltweiten System fester Wechselkurse („Bretton Woods II“) spielte zwar kaum eine Rolle, das vor allem von Fred Bergsten seit langem propagierte Konzept einer förmlichen währungspolitischen Kooperation zwischen den G-7-Staaten mit dem Ziel vereinbarter Wechselkurszielzonen der drei Weltleitwährungen Dollar, Euro und Yen schien jedoch durch die Krise zusätzliche Legitimation erhalten zu haben. Vor allem zeigte die Krise, daß der bisherige „Untätigkeitskonsens“ (Bergsten/Henning) der G-7-Staaten nicht länger tragbar war. Das Konzept fand zwar die Unterstützung Japans, dessen Wirtschaft durch die starken Schwankungen des Dollar-Yen-Kurses besonders betroffen ist, wurde darüber hinaus aber weder durch die amerikanische noch durch europäische Regierungen und Zentralbanken positiv aufgenommen. Es reflektiert damit gerade in seiner vergleichsweise gemäßigten Zielsetzung die politischen Widerstände der großen Weltwirtschaftsmächte gegen jegliche Ansätze einer übernationalen Bindung ihrer wirtschafts-und währungspoliti-sehen Souveränität im Rahmen erweiterter Modelle einer wirtschaftspolitischen Weltregierung.
III. Konturen einer neuen Finanzarchitektur
Es ließe sich fragen, ob jene weitergehenden global governance-Vorschläge eine politische Chance auf Realisierung gehabt hätten, wenn das bedrohliche Szenario einer Deflationsspirale in eine weltweite Depression analog der Entwicklung in den dreißiger Jahren tatsächlich Wirklichkeit geworden wäre, wie es von einer Reihe namhafter Ökonomen wie Paul Krugman unter dem Eindruck der deflationären Entwicklung in Japan noch 1999 beschworen worden war. Spätestens als an dem wenig dramatischen Verlauf der brasilianischen Währungskrise im Januar 1999 sichtbar wurde, daß die 1997 ausgebrochene internationale Finanz-krise ihren Höhepunkt überschritten hatte und als unter Kontrolle angesehen werden konnte, war der Vorrang für moderate Renovierungsarbeiten an der bestehenden Finanzarchitektur vorgezeichnet. Für diese pragmatischen Ansätze waren bereits in den Jahren zuvor, vor allem unter dem Eindruck der mexikanischen Pesokrise von 1994/95 (die von Experten in engem Zusammenhang mit der jüngsten Finanzkrise gesehen wird), einige Grundlagen erarbeitet worden: -Der 1996 vorgelegte sogenannte Rey Report einer Arbeitsgruppe der Zentralbanken und Finanzminister der G-10-Staaten, die 1995 vom G-7-Gipfel in Halifax eingesetzt worden war, enthielt bereits wesentliche Vorschläge zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit des IWF in Finanzkrisen sowie zur Einbeziehung des privaten Sektors in die Krisenbewältigung. -Das bei der BIZ angesiedelte „Basel Committee on Banking Supervision“ (BCBS) legte im September 1997 seine 25 Core Principles for Effective Banking Supervision vor, durch die die Banken-aufsicht international auf eine neue Basis gestellt werden soll. -Unter dem Eindruck der Asienkrise rief Präsident Clinton im April 1998 in Washington eine Konferenz der Finanzminister und Zentralbank-gouverneure von 22 führenden Industrie-und Schwellenländern (G-22) zusammen, die in drei Arbeitsgruppen Vorschläge zur Reform des internationalen Finanzsystems ausarbeiten ließen. Diese wurden im Oktober 1998 vorgelegt und in einer förmlichen Erklärung der G-7-Staats-und Regierungschefs vom 30. Oktober 1998 positiv zur Kenntnis genommen. -Am Februar 1999 billigten die G-7-Finanzminister und Zentralbankgouverneure den Bericht von Hans Tietmeyer zur Einrichtung eines Forums für Finanzmarktstabilität („Financial Stability Forum“). Dem Forum, das im April 1999 unter dem Vorsitz des BIZ-Generaldirektors Andrew Crockett die Arbeit aufnahm, gehören an: je drei Repräsentanten der G-7-Staaten. ferner Vertreter von IWF. Weltbank, BIZ. OECD (Organization for Economic Cooperation and Development), der bei der BIZ angesiedelten Ausschüsse für das Globale Finanzsystem und für Zahlungsverkehr und Abrechnungssysteme sowie der IOSCO und der I A I S (Internationale Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden).
Inzwischen lassen sich, wie der Bericht der G-7-Finanzminister an den Kölner G-7-Gipfel im Juni 1999 21 deutlich machte, klare Konturen der künftigen politischen und regulativen Rahmenbedingungen der internationalen Finanzmärkte erkennen, sowohl institutionell als auch inhaltlich.
Institutionell spielen vor allem die G-7 in der künftigen „renovierten“ internationalen Finanzarchitektur eine stärkere Rolle. Die eher einseitig von den USA einberufene G-22-Ad-hoc-Gruppe dürfte keine Dauerexistenz erhalten. Im Forum für Finanzmarktstabilität haben sich die G-7 jedoch eine starke Koordinationsinstanz geschaffen, die bewußt proaktiv wirken, das heißt neue ordnungspolitische Herausforderungen auf, den internationalen Finanzmärkten frühzeitig erkennen und aufgreifen soll. Gestärkt wurde auch der IWF: Im
Januar 1999 trat die 1997 beschlossene Erhöhung der Quoten, d. h. Einlagen der Mitgliedstaaten, um 45 Prozent von 146 Milliarden Sonderziehungsrechten (SZR) auf 212 Milliarden SZR (290 Milliarden Dollar) in Kraft. Im April 1999 beschloß der IWF-Exekutivausschuß eine zusätzliche Kreditfazilität (dem IWF bei Zahlungsbilanzproblemen eines Landes zusätzlich zur Verfügung stehende Kredite) zur Krisenprävention, die contingency credit line (CCL). Auch die Verpflichtung zu stärkerer Transparenz bezüglich der dem IWF übermittelten Wirtschaftsdaten der Mitgliedsländer dürfte dessen Position eher stärken als schwächen, zumal es bislang nicht zu den diskutierten Einschränkungen der Konditionalität seiner Stützungsprogramme kam.
Inhaltlich ist es eine Kombination von Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz der Märkte und verstärkter, international koordinierter Regulierung sowohl innerstaatlicher wie internationaler Finanzmarktaktivitäten und -akteure, die für funktionsfähigere Märkte sorgen soll. Dazu gehören:
-die beschlossenen Maßnahmen zur zeitnahen Offenlegung und Harmonisierung der bei den internationalen Finanzinstitutionen anfallenden finanzstatistischen Daten;
-die Einbeziehung des privaten Sektors in die Bemühungen um stärkere internationale Transpa renz und Harmonisierung durch die Regelungsgremien der BIZ sowie der IOSCO und der IAIS;
-Druck auf die privaten Finanzmarktakteure, insbesondere Banken und Wertpapierfirmen, seitens der Aufsichtsbehörden, ihr Risikomanagement entsprechend den Empfehlungen des Baseler Ausschusses (BCBS) zum Umgang mit Finanzinstituten mit fremdfinanzierten und risikoreichen Kapitalanlagen, insbesondere hedge funds, (highly leveraged institutions -HLI) zu verbessern;
-die Stärkung der Finanzaufsicht in den Industrie-und Schwellenländern. So ist geplant, die Neufassung des Basler Abkommens von 1988 über Eigenkapitalerfordernisse Anfang 2000 zu verabschieden. Zudem sollen die nationalen Regulierungsbehörden der G-7-Staaten die Einhaltung aller internationalen Standards zum Kriterium für den Marktzugang ausländischer Banken machen:
-erhöhter Druck auf Offshore-Finanzzentren. sich an die internationalen Standards sowie an die 40 Empfehlungen der „Financial Action Task Force“ in ihrer Fassung von 1996 zu halten. Wichtige Fragen sind jedoch noch offen. Insbesondere wurde bislang keine Einigung darüber erzielt, ob private Gläubiger öffentlicher Anleihen von zahlungsunfähigen Staaten künftig durch eine obligatorische Klausel in den Anleiheverträgen zur Umschuldung herangezogen werden sollten. Auch gibt es keine abgestimmten währungspolitischen Empfehlungen an die Schwellenländer, welche Wechselkursregime sie anstreben sollen. Und schließlich vermeiden die bisherigen offiziellen Schritte einen der heikelsten Punkte der Debatte: Wie sollte der kurzfristige Kapitalverkehr, insbesondere die kurzfristige Auslandsverschuldung des privaten Sektors, in Entwicklungs-und Schwellen-ländern unter Kontrolle gehalten werden?
Auf einige dieser offenen Fragen versucht eine vom amerikanischen „Council on Foreign Relations“ einberufene Arbeitsgruppe unter Leitung von Carla Hills, Peter G. Peterson und Morris Goldstein in ihrem Anfang Oktober 1999 erschienenen Bericht Antwort zu geben. Ihre Empfehlungen gehen über das bisher Beschlossene in wesentlichen Punkten hinaus: (1) Der IWF sollte diejenigen Länder durch günstigere Kreditbedingungen belohnen, die wirksame Eigenanstrengungen zur Verminderung ihrer Krisenempfindlichkeit unternehmen. (2) Entwicklungs-und Schwellenländer mit schwachem Finanzsystem sollten kurzfristige Kapitalimporte in transparenter und nichtdiskriminierender Weise besteuern, etwa durch eine Bardepotpflicht nach dem Vorbild Chiles. (3) Der private Sektor, einschließlich der Gläubiger von Staatsanleihen, sollte zu Umschuldungen in vollem Umfang herangezogen werden. (4) Entwicklungs-und Schwellenländern sollte davon abgeraten werden, ihre Währung an eine andere Leitwährung zu binden. IWF und G-7-Staaten sollten ein solches Währungsregime nicht mit Krediten unterstützen. Zu diesem Punkt konnte allerdings auch die Arbeitsgruppe keine Einigkeit herstellen. Einige ihrer Mitglieder, darunter Fred Bergsten und Paul Volcker, betonten in einem Minderheitsvotum im Anhang des Berichts, daß sie ein Zielzonenregime zwischen den drei Leitwährungen für eine zwingende Voraussetzung der weltwirtschaftlichen Stabilisierung halten. IWF und Weltbank sollten wieder eine striktere Arbeitsteilung einführen, der IWF sich auf makroökonomische Politiken, die Weltbank auf Struktur-und Entwicklungspolitik beschränken.
IV. Bewertung und Ausblick
Die jetzt unter dem Titel „neue Finanzarchitektur“ beschlossenen Maßnahmen werden künftige Finanzkrisen nicht verhindern können. Dieser Anspruch wäre auch vermessen. Überzogene Ertrags-erwartungen, die damit einhergehende Verharmlosung von Spekulationsrisiken und deren mehr oder weniger krisenhafte Korrektur sind notwendige Begleiterscheinungen freier Märkte. Versuche, sie durch regulative Maßnahmen wirksam zu verhindern, gehen auf Kosten der Funktionsfähigkeit der Märkte und können Wohlfahrtsverluste nach sich ziehen, die möglicherweise dauerhaft höher sind als vorübergehende Wohlfahrtsverluste aus Krisen. In geschlossenen Volkswirtschaften, oder solchen mit geringer internationaler Verflechtung, stehen geld-, währungs-und fiskalpolitische Instrumente zur Verfügung, um die Kosten solcher Korrekturen an den Finanzmärkten intertemporal, interpersonal und auch international so zu verteilen, daß sich ihre unmittelbaren Auswirkungen auf das Wachstum der realen Wirtschaft in Grenzen halten. Die Globalisierung der Finanzmärkte beschränkt diese Möglichkeiten erheblich. Daraus den Schluß zu ziehen, daß es einer Art Wirtschafts-Weltregierung bedürfe oder zumindest entsprechender globaler Institutionen, die in Funktion und Aufgaben einer solchen nahekommen, ist wenig realistisch. Denn für eine nicht über die Märkte vermittelte internationale Verteilung der Kosten der Krisenprävention, -begrenzung und -bewältigung stehen keine hinreichenden zwischen-oder überstaatlichen politischen Mechanismen zur Verfügung.
Vor allem eine Perspektive weist über die gegenwärtigen moderaten Renovierungsarbeiten an der bestehenden internationalen Finanzarchitektur hinaus: Die regionale Integration von Währungsräumen entfaltet bereits heute eine gewisse Wirksamkeit. Die Einführung des Euro wirkt als starker Anstoß zur währungspolitischen Integration auch in anderen Regionen -auch wenn das Beispiel der Europäischen Währungsunion zugleich auf die weitreichenden politischen Voraussetzungen eines solchen Schrittes verweist. Regionale währungspolitische Integration kann daher mittelfristig eine sinnvolle Alternative zu Konzepten des politischen Ausbaus einer übernationalen globalen Finanzordnung sein. Es spricht viel für die Aussage des Chefökonomen der Inter-American Development Bank, daß es im Zuge der Globalisierung in nicht ferner Zeit eher fünf als 105 Währungen auf der Welt geben dürfte