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Der Sozialstaat in der Globalisierung | APuZ 49/1999 | bpb.de

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APuZ 49/1999 Der Sozialstaat in der Globalisierung Möglichkeiten und Grenzen supranationaler Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik. Das Beschäftigungskapitel des Amsterdamer Unionsvertrages Re-Regulierung der internationalen Finanzmärkte? Kippt die Globalisierung den Sozialstaat?

Der Sozialstaat in der Globalisierung

Walter Hanesch

/ 21 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag setzt sich mit den Überlebensperspektiven des deutschen Sozialstaatsmodells im Zeitalter der Globalisierung auseinander. Ausgehend von den unterschiedlichen Wohlfahrtsstaatsmodellen werden zentrale Dimensionen des Globalisierungsprozesses und ihre möglichen Konsequenzen für den Sozialstaat erörtert. Gängige Hypothesen unterstellen als Folge einer verschärften Standort-und Systemkonkurrenz Reformdruck für das deutsche Sozialstaatsmodell und eine Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten für nationalstaatliche Politik. Die in der Debatte angeführten Indikatoren für die Notwendigkeit eines Umbaus des Sozialstaats erweisen sich allerdings bei näherer Betrachtung als kaum haltbar. Vielmehr hat sich das deutsche Modell besser bewährt, als dies seine Kritiker wahrhaben wollen. Ausgehend von den Kosten einer Preisgabe des deutschen Sozialstaatsmodells werden abschließend mögliche Zukunftsperspektiven erörtert.

I. Der Sozialstaat vor neuen Herausforderungen

In der gegenwärtigen Debatte um den Umbau des Sozialstaats in der Bundesrepublik haben die veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zunehmend an Bedeutung gewonnen. Mit dem Hinweis auf den weltweiten Prozeß der Globalisierung wird die These vertreten, die Handlungsspielräume für nationale sozialstaatliche Politik seien enger geworden und daher sei die Aufrechterhaltung des bisherigen deutschen Sozialstaatsmodells nicht länger mit dem Globalisierungsprozeß vereinbar. Alle nationalstaatlichen Regierungen seien mehr oder weniger gezwungen, die bestehenden Modelle von Sozialstaatlichkeit in Richtung eines nationalen Wettbewerbsstaates umzubauen. Offen bleibt in der Debatte, ob es sich dabei zwangsläufig um ein mehr oder weniger einheitliches, an neoliberalen Prinzipien ausgerichtetes Modell handelt, oder ob doch noch Spielräume für unterschiedliche Optionen im Hinblick auf Ziele und Instrumente nationaler Sozialstaatlichkeit bestehen.

Eine Auseinandersetzung mit der Frage nach den Perspektiven des Sozialstaats im Zeitalter der Globalisierung setzt zunächst einmal eine Klärung dessen voraus, was mit dem Begriff des Sozial-oder Wohlfahrtsstaates umschrieben werden soll. Tatsächlich lassen sich im europäischen wie im außereuropäischen Raum vielfältige Ausprägungen von Sozialstaatlichkeit beobachten. Gemeinsam ist all diesen vielfältigen Varianten das Grund-verständnis, daß durch staatliche Interventionen in dem durch Privateigentum und Gewinnstreben geprägte Marktgeschehen ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit und sozialem Ausgleich hergestellt werden soll. Dabei soll -in Anlehnung an Bernd Schulte -ein wohlfahrtsstaatliches Arrangement dann als Sozialstaat bezeichnet werden, wenn dieses dem Staat normativ -d. h. rechtlich verbindlich als Aufgabe durch das Recht und insbesondere durch das Verfassungsrecht -vorgegeben wird.

Der Vergleich von Sozial-bzw. Wohlfahrtsstaaten kann nicht allein auf den Umfang, die Struktur und die Finanzierung der sozialen Sicherungsleistungen abstellen vielmehr umfaßt jeder Typus eine spezifische Kombination von arbeitsmarkt-politischen Regulierungen, sozialen Sicherungsleistungen und -rechten, spezifischen Formen der sozialen Dienstleistungsproduktion sowie eines Steuer-und Abgabensystems, durch die ein jeweils bestimmtes Maß an sozialer Sicherheit und sozialökonomischer Umverteilung erreicht werden soll. In der international vergleichenden Wohlfahrtsbzw. Sozialstaatsforschung sind unterschiedliche Typologien von Sozialstaaten entwickelt worden, von denen bis heute die Typologie von Esping-Andersen am einflußreichsten geblieben ist.

Da im vorliegenden Beitrag die Diskussion der eingangs genannten Fragestellungen vor allem mit Blick auf die staatlichen Elemente von Wohlfahrtsstaatlichkeit und hier wiederum besonders auf den Bereich der sozialen Sicherung geführt wird sollen im folgenden in Anlehnung an Esping-Andersen und die Kommission der Europäischen Union drei Sozialstaatstypen im Sinne von sozialen Sicherungstypen unterschieden und den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt werden:

Der liberale oder angelsächsische Sozialstaatstypus beinhaltet einen vergleichsweise geringen Grad an arbeitsmarktpolitischer Regulierung. Zugleich kombiniert er vergleichsweise niedrige Leistungsniveaus in den staatlichen Sicherungssystemen mit umfangreichen Fürsorgeleistungen und großer Verbreitung individueller Bedürftigkeitsprüfungen. Soziale Sicherung ist damit nahezu ausschließlich auf den Schutz vor Armut beschränkt, während weitergehende Sicherungsbedürfnisse an den freien Markt verwiesen sind. Der sozialdemokratische oder skandinavische Sozialstaatstypus umfaßt universalistisch ausgerich-tete, primär steuerfinanzierte Sicherungssysteme mit hohem Sicherungsniveau, bei denen das Ziel der Armutsbekämpfung mit dem der Lebensstandardsicherung verknüpft ist. Der hohe Stellenwert des Ziels einer Integration in den Arbeitsmarkt verbindet weitgehende soziale Sicherungsrechte mit entsprechenden Pflichten zur Teilnahme am Beschäftigungssystem.

Der konservative oder kontinentaleuropäische Sozial-bzw. Wohlfahrtsstaat -dem auch die Bundesrepublik zuzurechnen ist -weist ebenfalls ein hohes Leistungsniveau sozialer Sicherung auf und verbindet das Ziel der Lebensstandardsicherung gleichermaßen mit dem der Armutsverhinderung. Dabei bilden lohnarbeitszentrierte und beitragsfinanzierte Sozialversicherungssysteme den Kernbereich sozialer Sicherung. Diese werden ergänzt durch weitgehende Regulierungen des Arbeitsmarkts durch den Staat und die Sozialpartner.

Wenn heute in Deutschland und Westeuropa über die Zukunft des Sozialstaats im Zeitalter der Globalisierung diskutiert wird, so steht zumeist die Frage im Vordergrund, ob und inwieweit die kontinentaleuropäische und/oder die skandinavische Variante von Sozialstaatlichkeit unter den veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen noch eine Zukunft hat. Demgegenüber steht die Vereinbarkeit des angelsächsischen Modells mit einer globalisierten Wirtschaft in der Regel außer Frage, gilt dieser Typus doch ohnehin -insbesondere in der US-amerikanischen Ausprägung -als das Modell, das am stärksten kapital-und marktgerecht ausgestaltet ist.

II. Zum Prozeß der Globalisierungsich

Der Begriff der Globalisierung wird trotz seiner Bedeutung für die wirtschafts-und sozialpolitische Diskussion höchst unterschiedlich definiert und uneinheitlich verwendet; häufig bleiben Debatten über Globalisierung mißverständlich Zudem ist umstritten, ob und inwieweit es sich bei den Phänomenen, die heute mit dem Begriff der Globalisierung umschrieben werden, tatsächlich um neue Entwicklungen handelt, die -wie in dieser Debatte zumeist suggeriert wird -grundlegend veränderte Rahmenbedingungen für eine nationale sozialstaatliche Politik beinhalten. Schließlich wird kontrovers beurteilt, inwieweit Folgen der Globalisierung heute tatsächlich in der Bundesre-publik empirisch nachweisbar sind. So gehen etwa Prinz und Beck so weit, die Bedeutung der Globalisierung für nationale Politik vor allem in der Sphäre der Politik selbst zu suchen, da gravierende Auswirkungen der angeblichen Globalisierung bis heute empirisch nicht nachzuweisen seien

In einem beispielhaften Definitionsversuch lassen sich nach Jürgen Hofmann fünf politisch-ökonomische Dimensionen des Globalisierungsprozesses unterscheiden:

Als wichtigster Indikator der Globalisierung gilt -nicht nur für Hofmann -das rasche Wachstum des Welthandels in den beiden letzten Jahrzehnten. Allerdings haben trotz dieser Expansion in den hochentwickelten Staaten Import und Export gegenwärtig erst wieder die Größenordnung der entsprechenden Quoten vor dem Ersten Weltkrieg erreicht. Zudem ist der Welthandel nach wie vor auf den Handel zwischen den hochentwickelten Volkswirtschaften konzentriert, dabei spielt die Lohnhöhe nur eine untergeordnete Rolle. Als neues Element ist neben dem intersektoralen der intrasektorale Handel hinzugetreten, d. h., der Handel zwischen den Branchen wird dabei zunehmend durch den Handel innerhalb der einzelnen Wirtschaftssektoren ergänzt und überlagert. Gefördert wird die Expansion des Welthandels durch den sukzessiven Abbau von Handelshemmnissen. Als ein zweiter Indikator für die Globalisierung gilt die Tatsache, daß seit Mitte der achtziger Jahre die Auslandsinvestitionen dramatisch angestiegen sind. Sie signalisieren eine gestiegene Mobilität des Kapitals und werden in der Standort-debatte zumeist mit der Gefahr des Exports von Arbeitsplätzen verbunden. Allerdings bewegen diese Kapitalströme primär zwischen den hochentwickelten Staaten (Unternehmensübernahmen und Marktsicherung), wobei der Höhe der Löhne bzw.der Lohnkosten eine eher marginale Rolle zukommt.

Explosionsartig zugenommen haben -dies ist der dritte Indikator -die Geld-und Kapitalströme, die auf den internationalen Finanzmärkten auf der Suche nach den höchsten Renditen „herumvagabundieren“. Mit der wachsenden Bedeutung der Finanzmärkte geht ein Wandel der Unternehmenspolitik und Unternehmenskultur einher, die zunehmend durch die kurzfristigen Interessen der Aktionäre (shareholder value capitalism) bestimmt werden.

Durch die Verbreitung neuer Kommunikationstechnologien und das Sinken der Transport-und Kommunikationskosten haben sich -vierter Indikator -die Möglichkeiten für eine weltweit vernetzte Produktion potenziert, wodurch interregionale bzw. zwischenstaatliche Produktivitäts-, Qualifikations-und Lohnkostenunterschiede im Zuge flexibler Produktionsstrategien zunehmend besser ausgenutzt werden können. Auch dieser grenzüberschreitende Handel innerhalb einzelner Branchen und innerhalb großer multinationaler Konzerne ist bisher auf die hochentwickelten Volkswirtschaften konzentriert.

Mit der Internationalisierung des produktiven und des Geldkapitals verändert sich -Indikator fünf -die Rolle der einzelnen Volkswirtschaften und Nationalstaaten. Sie werden zunehmend Wettbewerber um dieses Kapital und drohen damit in wachsendem Maße in ihrer Handlungsfähigkeit nach innen wie nach außen eingeschränkt zu werden. Insofern resultiert aus der Globalisierung die Gefahr eines Autonomieverlusts nationaler Politik, wobei die nationalstaatlichen Reaktionen diesen Kreislauf noch zu verstärken drohen („Globalisierungsfalle“

Zwangsläufige Folge der skizzierten Internationalisierung des Wirtschaftsprozesses ist ein Strukturwandel, der die einzelnen Länder und Volkswirtschaften höchst unterschiedlich trifft. Strukturwandel bedeutet, daß bestimmte Branchen, Betriebe und Arbeitsplätze in einem Land verschwinden, während andere Länder entsprechende Zuwächse verzeichnen können. Damit geht einher, daß es zumindest kurzfristig Globalisierungsgewinner und -Verlierer geben muß, und zwar auf der nationalen, der regionalen und der lokalen Ebene. Offen ist bisher, ob es sich bei Standortwettbewerb und Strukturwandel um ein positives oder ein negatives Summenspiel handelt, ob dabei also -betrachtet man Gewinner-und Verliererländer zusammen -per saldo Wachstums-und Beschäftigungsgewinne erzielt werden oder ob sich der Strukturwandel vor dem Hintergrund stagnierender oder gar schrumpfender Produktion und Beschäftigung vollzieht. So betont etwa der Sachverständigenrat, die Vorstellung sei falsch, im Systemwettbewerb könne ein Land immer nur auf Kosten eines anderen Erfolg haben: Stattdessen könnten aus seiner Sicht verbesserte Angebotsbedingungen überall zu verstärkter ökonomischer Aktivität, zu mehr Beschäftigung und zu höheren Einkommen führen, es sei denn, daß ein Standort allzuweit hinter den anderen zurückfällt und damit auf der Verliererseite bleibt In jedem Fall wachsen die Anforderungen an nationale Politik, während zugleich ihre Handlungsbedingungen erschwert werden oder nationales Gegensteuern gar völlig unmöglich wird.

Als eine Gegenbewegung zu den beschriebenen Globalisierungstendenzen läßt sich der Prozeß der Europäischen Integration verstehen, ist damit doch der Tendenz zur Internationalisierung der Wirtschaft eine Form supranationaler Politik zumindest auf europäischer Ebene entgegengesetzt worden, die allerdings bisher noch unvollständig geblieben ist. Auch nach Einführung der Währungsunion fehlt bisher auf der EU-Ebene eine politische Instanz zur Formulierung und Durchsetzung einer europäischen Wirtschafts-, Beschäftigungs-und Sozialpolitik

III. Auswirkungen der Globalisierung auf den Sozialstaat

Durch die Globalisierung wird -so eine gängige Hypothese -ein ökonomischer Strukturwandel beschleunigt, durch den die Arbeitsmärkte, die nationalen Sicherungs-und Finanzierungssysteme und die Verteilungsrelationen unter einen starken Anpassungsdruck gesetzt werden.

Folgt man z. B. Otto G. Mayer geraten vor allem die gering qualifizierten Arbeitskräfte eines hochindustrialisierten Landes wie Deutschland unter den doppelten Konkurrenzdruck einer möglichen Zuwanderung billiger ausländischer Arbeitskräfte oder der Einfuhr von Gütern und Diensten aus sogenannten Billiglohnländern. Umgekehrt liegt der komparative Vorteil eines Landes wie Deutschland in der Produktion technologie-und for-schungsintensiver Produkte. Diese verlangt neben Geld-und Sachkapital (hoch) qualifizierte Arbeit. Während daher im Zuge der Globalisierung die Nachfrage nach gering qualifizierter Arbeit sinkt, nimmt sie umgekehrt nach hochqualifizierter Arbeit zu. Während dadurch am Markt für unqualifizierte Arbeit tendenziell ein Überangebot entsteht, ist der Markt für hochqualifizierte Fachkräfte durch einen Nachfrageüberschuß gekennzeichnet. Als Folge dieser Verschiebung der Knappheitsverhältnisse zwischen Angebot und Nachfrage bei un-und hochqualifizierter Arbeit entsteht zunehmender Druck auf die Löhne für unqualifizierte Arbeit, umgekehrt besteht eine Tendenz zur Verteuerung qualifizierter Arbeit. Die Schlußfolgerung lautet, die Globalisierung erfordere ein Auseinanderdriften der Einkommen zugunsten der Besitzer von Sach-bzw. Geldkapital und Humankapital und zu Lasten gering qualifizierter Arbeit. Die anhaltende Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik wird zumeist als ein Indikator dafür gesehen, daß die Spreizung der Einkommensverteilung bisher noch nicht in ausreichendem Maße erfolgt ist

Die Globalisierung erzwingt also nach Mayer einen verstärkten Standortwettbewerb der immobilen Faktoren -insbesondere der unqualifizierten Arbeitskräfte -einer Region bzw. eines Landes mit denen anderer Regionen bzw. Länder um die mobilen Produktionsfaktoren. Für die Zukunft wäre danach zu erwarten, daß das mobile Kapital und die mobilen hochqualifizierten Arbeitskräfte nur insoweit zu direkten Steuern und Sozialabgaben herangezogen werden können, wie die Produktivität der immobilen Faktoren einer Region die anderer Regionen übersteigt. Mayer kommt somit zu dem Schluß, daß künftig vor allem die immobilen Faktoren gefordert sein werden, die sozialen Leistungen mit ihren Einkommen zu tragen und zugunsten von mehr Beschäftigung auf Umverteilung zu Lasten der mobilen Faktoren zu verzichten. Letztlich wären es damit die Arbeitnehmer selbst -und hier wiederum vor allem die gering qualifizierten, älteren, gesundheitlich beeinträchtigten etc. -, die den Großteil der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme übernehmen müßten Indem die Globalisierung den Besitzern von Geld-, Sach-und zum Teil auch Humankapital (im Sinne von qualifiziertem Arbeitsvermögen) neue bzw. erweiterte Möglichkeiten zur Mobilität zwischen Regionen und Nationen eröffnet, wächst ihnen ein bisher unbekanntes Drohpotential in den industriellen Beziehungen gegenüber den Gewerkschaften, aber auch gegenüber der nationalstaatlichen Politik etwa in den Bereichen der Umwelt-, der Steuer-und der Sozialpolitik zu.

Die Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten der nationalen Wirtschafts-und Sozialpolitik resultiert aus der Tatsache, daß der nationale Produktionsstandort in zunehmendem Wettbewerb mit anderen potentiellen Produktionsstandorten steht und die nationale Politik sich in Konkurrenz zu den Politiken anderer Staaten bewähren muß. Mit der Möglichkeit von transnationalen Wanderungsbewegungen von Kapital und (insbesondere qualifizierter) Arbeit besteht die Gefahr, daß ein Wettbewerb nach unten einsetzt und die nationalen Sicherungs-und Verteilungsstandards unterlaufen werden. Mit dem Begriff des „Wettbewerbsstaates“ wird eine neue strategische Orientierung der Politik (nicht nur) der hochentwickelten Industriestaaten bezeichnet: Danach richten die Nationalstaaten angesichts wachsender Standortkonkurrenz ihre Interventionen und Regulierungen immer stärker darauf aus, ihre globale Wettbewerbsposition durch eine gezielte Wirtschafts-und Sozialpolitik zu fördern. Indem sie die eigenständige Ausgestaltung der Arbeits-und Sozialordnung zugunsten einer standortbezogenen und am globalen Wettbewerb orientierten Kostenkalkulation preisgeben, verlieren sie an Souveränität nicht zuletzt im Bereich der Arbeits-und Sozialpolitik

Aber nicht nur als Folge der Globalisierung, sondern auch als Ergebnis vorangegangener politischer Entscheidungen sehen sich die Nationalstaaten mit einer grundsätzlichen Einschränkung ihrer wirtschaftspolitischen Handlungsmöglichkeiten konfrontiert Internationale wirtschaftliche Verflechtungen und transnationale politische Vernetzungen bewirken gerade für ein hochgradig exportabhängiges Land wie die Bundesrepublik, daß sie ihre nationale Souveränität in den einzelnen Politikfeldern Schritt für Schritt an Akteurs-ebenen jenseits der Nationalstaaten abgeben muß. Dazu gehören Wirtschaftsgemeinschaften und Staatenbünde wie die Europäische Union ebenso wie Verhandlungen und Vereinbarungen in internationalen Organisationen (Internationaler Währungsfonds -IWF, Welthandelsorganisation -WTO, Internationales Arbeitsamt -ILO etc.). Dennoch bleibt für den westeuropäischen Raum die Frage, ob trotz verbesserter Kooperation und Koordination im EU-Rahmen der im Weltmaßstab vergleichsweise hohe soziale Sicherungsstandard und die vergleichsweise egalitären Verteilungsstrukturen weiter aufrechterhalten werden können

Auch wenn die genannten möglichen Konsequenzen grundsätzlich für alle Länder und Sozialstaatstypen relevant sind, werden die inhaltlichen Schlußfolgerungen durchaus differenziert gesehen. So hat gerade der Sachverständigenrat immer wieder betont, daß Standortwettbewerb stets auch Systemwettbewerb ist Dabei scheint in der bisherigen Debatte weitgehend Konsens darüber zu bestehen, daß das angelsächsische Sozialstaatsmodell am ehesten mit der Globalisierung zu vereinbaren sei, da in diesem Modell mögliche Zielkonflikte zwischen sozialer Sicherung und Erfordernissen des Arbeitsmarkts eindeutig zugunsten letzterer gelöst seien. Insofern besäßen die Staaten dieses Typus erhebliche Wettbewerbsvorteile und stünden daher unter vergleichsweise geringem Veränderungsdruck.

IV. Vom „Sozialstaat“ zum „Wettbewerbsstaat“?

Viele der genannten Hypothesen sind in ihrem theoretischen und empirischen Gehalt umstritten. So lassen sich bis heute keine erhöhten Wanderungsbewegungen des Faktors Arbeit innerhalb der Europäischen Union beobachten, wie sie für die Europäische Binnenmarktintegration vorhergesagt worden sind. Es scheint, daß sowohl bei den gering qualifizierten als auch bei gut und hochqualifizierten Arbeitskräften die Bereitschaft, den vertrauten sozialen und kulturellen Raum zu verlassen und möglichen ökonomischen Anreizen zu folgen, weitaus schwächer entwickelt ist, als dies zumeist prognostiziert wurde. Insofern ist das Drohpotential etwa der Humankapitalbesitzer weitaus geringer als erwartet. Aber auch die Wanderungsbewegungen des Geld-und Sachkapitals folgen nach wie vor anderen Gesetzmäßigkeiten, als in den Globalisierungsmodellen unterstellt wird. Das schließt freilich nicht aus, daß es künftig zu den prognostizierten Reaktionen und Gegen-strategien der privaten Marktakteure kommen könnte.

Dennoch konnten im Verlauf der neunziger Jahre in vielen europäischen Ländern Anpassungsprozesse „nach unten“ beobachtet werden. In einer Vielzahl von Ländern des skandinavischen und kontinentaleuropäischen Sozialstaatsmodells wurden in diesem Zeitraum Einschnitte im Geltungsbereich und im Leistungsniveau der sozialen Sicherung vorgenommen, die Steuersätze im Bereich der direkten Steuern herabgesetzt, die Regulierung des Arbeitsmarkts gelockert und der Druck auf die vom Arbeitsmarkt Ausgegrenzten verschärft Damit ist der Druck vor allem von dieser Seite her gewachsen, die nationale Sozialpolitik im Lichte internationaler Reformprojekte und -erfahrungen auf den Prüfstand zu stellen und das bisherige Sozialstaatsmodell „umzubauen“.

In der aktuellen deutschen Debatte wird vor allem die Existenz einer anhaltenden Arbeitslosigkeit als Beleg dafür herangezogen, daß aufgrund vielfältiger gesellschaftlicher und politischer Blockaden versäumt worden ist, den deutschen Sozialstaat den gewandelten Erfordernissen einer globalisierten Wirtschaft entsprechend umzubauen Bei dieser Analyse wird allerdings vernachlässigt, daß die Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik erst seit Mitte der neunziger Jahre höher liegt als etwa in den USA oder Großbritannien, während diese Länder über Jahrzehnte hinweg eine wesentlich schlechtere Arbeitsmarktbilanz aufwiesen Gerade der Blick auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt zeigt, daß sich die internationale Rangfolge und Erfolgsbilanzen schnell verschieben können: Während -wie Heinz Werner zu Recht feststellte -die Bundesrepublik noch zu Beginn der neunziger Jahre zur Spitzengruppe der arbeitsmarktpolitisch erfolgreichen Länder gehörte, hat sich dieses Bild Ende der neunziger Jahre verschoben. Nicht nur liegt die deutsche Quote höher als in den beiden genannten Vergleichsländern, sie verharrt zudem auf hohem Niveau, während sie in den USA und Großbritannien weiter sinkt.Als weiterer Indikator für ein zu geringes Beschäftigungsvolumen in der Bundesrepublik gilt, daß nach den international vergleichenden Statistiken der OECD die Erwerbsbeteiligung in den USA und in Großbritannien wie auch in anderen Ländern höher ist als in Deutschland In diesen Statistiken wird jedoch jede noch so geringe Beschäftigung miteinbezogen, was die Erwerbsquoten in den angelsächsischen Ländern mit ihrem hohen Anteil prekärer -im Sinne von geringfügiger -Erwerbs-arbeit nach oben treibt. Stellt man dagegen auf „normale“ Beschäftigungsformen ab. fallen die Relationen wesentlich günstiger für die Bundesrepublik aus. Dennoch besteht weitgehend Konsens darüber, daß der Umfang und das Andauern der Arbeitslosigkeit das zentrale arbeits-und sozialpolitische Problem der Bundesrepublik (nicht erst) in den neunziger Jahren darstellt. Die problematische Lage am Arbeitsmarkt läßt sich jedoch ohne Einbeziehung der Vereinigung und ihrer Folgen kaum sinnvoll interpretieren, was bei den angesprochenen Autoren in der Regel ausgeblendet bleibt. Werden jedoch die Ursachen der Arbeitsmarktmisere im verfehlten Vereinigungskonzept gesehen, ergeben sich andere Schlußfolgerungen, als wenn sie primär einem angeblich überholten Sozialstaatsmodell zur Last gelegt werden. Ähnlich verhält es sich mit weiteren Indikatoren für den Umbaubedarf des deutschen Sozialstaats, wie der Entwicklung der Sozialausgaben und der öffentlichen Verschuldung. Auch hierbei ist festzustellen, daß die Bundesrepublik bis 1989 durch ein im internationalen Vergleich außerordentlich niedriges Verschuldungsniveau gekennzeichnet war, was sich erst mit den Folgelasten der Vereinigung veränderte. Tatsächlich wurden die öffentlichen Lasten der Vereinigung weitgehend den sozialen Sicherungssystemen zugewiesen. Dem Beschäftigungseinbruch in den neuen Bundesländern wurde nicht mit einer aktiven Wirtschafts-und Beschäftigungspolitik begegnet; der drohende Anstieg der Arbeitslosigkeit mußte weitgehend mit Transfer-zahlungen und Überbrückungsprogrammen aus den Kassen der Sozialversicherung aufgefangen werden. Dennoch liegt die Sozialleistungsquote am Ende der neunziger Jahre kaum höher als im langjährigen Durchschnitt der letzten 30 Jahre Von einem Ausufern des Sozialstaats bzw.der entsprechenden Finanzierungslasten kann also keine Rede sein.

Auch die Entwicklung der Lohn-und Lohnnebenkosten ist wenig geeignet, als Beleg für Standort-Problemeder deutschen Wirtschaft zu dienen. Zwar liegt das nominale wie reale Lohnniveau in der Bundesrepublik vergleichsweise hoch und fällt auch der Anteil der Lohnnebenkosten in Deutschland im Vergleich zu den übrigen OECD-Staaten relativ hoch aus. Dem steht jedoch eine ebenfalls hohe Produktivität der Arbeit gegenüber, so daß -wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nachgewiesen hat -die Lohnstückkosten als einzig tauglicher Indikator für Lohnkostenvergleiche in der Bundesrepublik sogar vergleichsweise günstig ausfallen. Was dagegen speziell den hohen Anteil der Lohnnebenkosten betrifft, ist dieser -sieht man von den tarifvertraglichen und freiwilligen Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften bzw. Betriebsräten einmal ab -insbesondere darauf zurückzuführen, daß Sozialleistungen in der Bundesrepublik primär über Beiträge finanziert werden. Sicherlich wäre es möglich, die Sozialleistungen in höherem Maße als bisher über Steuern zu finanzieren, wie dies in den skandinavischen Ländern der Fall ist. In den Vorschlägen zur Senkung des Beitragsanteils der Sozialabgaben und damit der Lohnnebenkosten müssen allerdings alternative Finanzierungsformen genauer angegeben und deren Folgewirkungen berücksichtigt werden.

Eine auch von der neuen Bundesregierung im Rahmen des neu geschaffenen „Bündnisses für Arbeit“ propagierte Lösung für die anhaltende Krise des Arbeitsmarkts und die Arbeitslosigkeit von Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen ist die Schaffung eines Niedriglohnsektors In Anlehnung an Konzepte und Erfahrungen vor allem in den USA wird für die Bundesrepublik eine Absenkung der Bruttolöhne für Niedrigqualifizierte insbesondere im Bereich des personenbezogenen Dienstleistungssektors gefordert, wobei der Bruttoeinkommensverlust durch eine verringerte Abgabenlast kompensiert werden soll. Ziel ist es, Angebot und Nachfrage in diesem Niedriglohnbereich deutlich auszuweiten. Berechnungen verschiedener Institute haben allerdings nachgewiesen, daß eine solche Reform nicht nur fiskalisch sehr teuer, sondern auch beschäftigungspolitisch wenig effizient wäre. Auch internationale Erfahrungen haben gezeigt, daß die mit einem Niedriglohnsektor verbundenen beschäftigungspolitischen Hoffnungen wenig realistisch sein dürften Tatsächlich taugt also weder die Arbeitsmarktentwicklung noch die Entwicklung der Sozialleistungen und Sozialabgaben oder die der öffentlichen Verschuldung dazu, die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Sozialstaatsmodells durch angeblich empirische Belege in Frage zu stellen Vielmehr hat sich das deutsche Modell bis Anfang der neunziger Jahre dem angelsächsischen Modell als überlegen erwiesen, und auch in den Jahren nach der Wiedervereinigung zeigt dieses Modell vergleichsweise gute Ergebnisse. Die vom Sachverständigenrat geforderte Systemkonkurrenz fällt also im Ergebnis bis heute keineswegs so aus, wie dies von den Kritikern des deutschen Sozialstaatsmodells erhofft und von seinen Befürwortern befürchtet wird.

V. Gibt es „alternative Optionen“ für die Zukunft des Sozialstaats?

In einer kritischen Auseinandersetzung mit den marktradikalen Empfehlungen als Antwort auf die Globalisierung hat Bert Rürup die Kosten einer Preisgabe des deutschen Sozialstaatsmodells hervorgehoben: Das vielgepriesene Modell der USA weist zwar im letzten Jahrzehnt eine hohe Beschäftigungsintensität und eine hohe Wachstumseffizienz auf, diese wurden und werden jedoch damit erkauft, daß einerseits ein immer kleinerer Teil der Arbeitsplätze von Vollzeitbeschäftigten mit Normalarbeitsverhältnissen besetzt ist und andererseits wegen der stark gesunkenen Reallöhne auch eine Vollzeitbeschäftigung in vielen Fällen zur Existenzsicherung nicht ausreicht. Der amerikanische Weg ist somit mit außerordentlich hohen sozialen Kosten im Hinblick auf Ungleichheit, Polarisierung und Armut verbunden. Das Arbeitslosigkeitsproblem ist somit lediglich gegen ein Einkommensproblem getauscht worden.

Die historischen Erfahrungen zeigen zudem, daß die Abkoppelung eines großen Teils der Bevölkerung von der Wachstumsdynamik zwar kurzfristig scheinbar effizient sein kann, mittel-und langfristig jedoch die Stabilität und Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft bedroht. Zudem ist die Gefahr groß, wenn die Verlierer der Globalisierung nicht durch sozialstaatliche Leistungen und Maßnahmen abgesichert bzw. (re-) integriert werden, daß der Widerstand gegen den Strukturwandel in Gesellschaft und Politik zunimmt und protektionistische Bewegungen Zulauf erhalten. Insofern ist der Sozialstaat weniger Barriere als vielmehr Wegbereiter einer weltmarktorientierten Modernisierungstrategie

Die Konsequenz der Globalisierung sollte in einer offensiven, auf einen an hoher Produktivität orientierten Strukturwandel setzenden Politik liegen Eine solche Politik ist zwangsläufig mit hohen individuellen Arbeitsmarktrisiken und gesellschaftlichen Anpassungslasten verbunden. Je mehr jedoch die Flexibilitäts-und Mobilitätsanforderungen an den einzelnen steigen, um so mehr gewinnen wohlfahrtsstaatliche Sicherungseinrichtungen subjektiv und objektiv an Bedeutung.

Eine stark exportorientierte Volkswirtschaft wie die der Bundesrepublik ist extrem von ihren gut qualifizierten und motivierten Arbeitskräften abhängig. Je größer die Bereitschaft der Bevölkerung ist, den ökonomischen Strukturwandel mitzutragen und die damit einhergehenden Risiken einzugehen, desto größer ist die Dynamik einer Volkswirtschaft. Die Forderung, der Staat solle sich aus der Verantwortung für die Risikoabsicherung zurückziehen und statt dessen einer Individualisierung der Risikoabsicherung Vorschub leisten, kann sich damit längerfristig nur als ein Irrweg erweisen.

Nach Krupp und Weeber gehört zu einer verantwortungsvollen und vorausschauenden Wirtschafts-und Sozialpolitik, die Vorzüge unseres Sozialsystems in die Standortdebatte einzubringen. Dennoch bleibt die Frage, ob im Rahmen nationalstaatlicher Politik das als richtig Erkannte überhaupt noch umgesetzt werden kann. Zwar sind auch im Rahmen der Europäischen Union zentrale wirtschafts-und sozialpolitische Kompetenzen auf nationaler Ebene verblieben. Insofern geht es weniger um die Frage, ob eine solche Politik gemacht werden kann, sondern ob die politischen Akteure glauben, sie sich leisten zu können. Sicherlich wird die Bereitschaft und Fähigkeit zu einer solchen Politik zum einen stark davon abhängen, welcher Kurs in den europäischen Nachbarländern gefahren wird. Zum anderen wird sie maßgeblich dadurch determiniert, in welchem Maße nationalstaatliche Sicherungs-und Regulierungsentscheidungen durch das Verhalten der privaten Marktakteure in Frage gestellt werden.

Damit läßt sich festhalten: Je mehr es gelingt, im Rahmen einer europäischen Koordinierung der nationalen Politiken einen Unterbietungswettbewerb im Hinblick auf die nationalen Sozialstandards (race to the bottom) zu verhindern, desto eher werden Freiräume für nationale Politik erhalten bleiben. Angesichts der nationalen Interessen und Egoismen dürfte dies allerdings keine leichte Aufgabe für die Zukunft sein. Kaum weniger schwierig dürfte es sein, das im shareholder value capitalism ausschließlich kurzfristig ausgerichtete unternehmerische Renditekalkül in Richtung langfristig ausgerichteter Unternehmensstrategien zu verändern, die die Ziele ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Kohäsion miteinbeziehen.

Insgesamt leidet die bisherige Debatte um die Zukunft des Sozialstaats im Zeitalter der Globalisierung darunter, daß der deutsche Sozialstaat ausschließlich als „Last“ definiert wird. Demgegenüber bleibt die Dimension der ökonomischen, sozialen und politischen Produktivität des Sozial-staats weitgehend ausgeblendet Wie wenig die neoklassische Wirtschaftstheorie die tatsächliche Bedeutung des Sozialstaats für den Wachstumsprozeß erfassen kann, zeigt sich schon daran, daß sie außerstande war, die hervorragende ökonomischen und sozialen Leistungen des deutschen Modells in den vergangenen Jahrzehnten zu erklären. War diese Phase doch dadurch gekennzeichnet, daß die Bundesrepublik bei nahezu allen Indikatoren bessere Werte aufwies als die Länder des angelsächsischen Modells. Erst seit Anfang der neunziger Jahre hat sich dies geändert und ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland größer als etwa in den USA und Großbritannien. Damit scheint endlich der empirische Beleg vorzuliegen, daß das letztere Modell dem deutschen in ökonomischer Hinsicht überlegen sei. Tatsächlich leidet diese Argumentation jedoch daran, daß die besondere Belastung der deutschen Wirtschaft und des deutschen Arbeitsmarkts durch die Vereinigung und die nachfolgende Transformationskrise in den neuen Bundesländern nicht berücksichtigt wurde. Würde man diese Effekte herausrechnen, stünde die neue Bundesrepublik kaum schlechter da als die alte.

Vieles spricht dafür, daß es keinen Königsweg für die Ausgestaltung von Sozialstaatlichkeit gibt, sondern -wie gerade die unterschiedlichen europäischen Sozialstaatstraditionen zeigen -eine Vielfalt möglicher Systeme und konkreter Ausgestaltungsvarianten. Auch wenn durch den Globalisierungsprozeß ein marktorientierter „Wettbewerb der sozialen Sicherungssysteme“ in Gang gesetzt wurde, muß dies keineswegs bedeuten, daß die Sozialstaatssysteme des skandinavischen und kontinentaleuropäischen Typus keine Überlebensperspektiven besitzen. Vielmehr könnte sich als Ergebnis des Systemwettbewerbs herausstellen, daß diese Modelle in ökonomischer wie in sozialer Hinsicht leistungsfähiger sind, als sich dies die neoklassischen Modellwelten vorspiegeln. Der im Zuge der Globalisierungsdiskussion erneut beschworene Gegensatz (trade-off) zwischen ökonomischer Effizienz und Gleichheit in kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Wirtschaftsgesellschaften ist bis heute mehr Behauptung als Wirklichkeit.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Berndt Schulte, Wohlfahrtsregime im Prozeß der europäischen Integration, in: Stephan Lessenich/Ilona Ostner (Hrsg.), Weiten des Wohlfahrtskapitalismus. Der Sozialstaat in vergleichender Perspektive, Frankfurt/Main -New York 1998, S. 258.

  2. Vgl. hierzu z. B. Walter Hanesch, Soziale Sicherung im europäischen Vergleich, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 34-35/98, S. 15-26.

  3. Vgl. Gösta Esping-Andersen, The three worlds of welfare capitalism, Cambridge 1990.

  4. Ausgeblendet bleiben damit insbesondere Fragen der Weiterentwicklung des Steuersystems und der künftigen Ausgestaltung der industriellen Beziehungen.

  5. European Commission, Social Protection in Europe 1993, Brüssel 1993, S. 15 ff.; dies., Social Protection in Europe 1995, Brüssel 1995, S. 9 f.

  6. Vgl. dazu z. B. Jürgen Friedrichs, Globalisierung -Begriff und grundlegende Annahmen, in: Aus Politik und Zeit-geschichte, B 33-34/97, S. 3-11.

  7. Vgl. Aloys Prinz/Hanno Beck, Politische Ökonomie der Globalisierung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23/99, S. 11-16.

  8. Vgl. Jürgen Hofmann, Ambivalenzen des Globalisierungsprozesses. Chancen und Risiken der Globalisierung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23/99, S. 3-10; Elmar Altvater/Birgit Mahnkopf, Grenzen der Globalisierung, Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft, Münster 1996.

  9. Vgl. Hans-Peter Martin/Harald Schumann, Die Globalisierungsfalle. Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand, Reinbek 1996.

  10. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1998. Bonn 1998, S. 204.

  11. Vgl. z. B. Rudolf Welzmüller, Europäische Währungsunion und Beschäftigungspolitik, in: Thorsten Schulten/Reinhard Bispink (Hrsg.), Tarifpolitik unter dem EURO. Perspektiven einer europäischen Koordinierung: Das Beispiel Metallindustrie, Hamburg 1999, S. 238 ff; Ulrich Walwei, Nationale und europäische Wege zu mehr Beschäftigung: Zu den Möglichkeiten und Grenzen einer europäischen Beschäftigungspolitik, in: Sozialer Fortschritt, 48 (1999) 6, S. 135 ff; Berndt Keller, Aktuelle Entwicklungen „europäischer“ Beschäftigungspolitik: Vom Weißbuch zum Beschäftigungskapitel, in: ebd., S. 141 ff.

  12. Vgl. Otto G. Mayer, Globalisierung und wohlfahrtsstaatliche Aufgaben, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33-34/97, S. 33 ff.

  13. Vgl. z. B. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1997, Bonn 1997, S. 200 ff.

  14. Vgl. O. G. Mayer (Anm. 12), S. 36.

  15. Vgl. z. B. Joachim Hirsch, Der nationale Wettbewerbs-staat. Staat, Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus, Berlin 1995.

  16. Vgl. z. B. Franz-Xaver Kaufmann, Herausforderungen des Sozialstaats, Frankfurt/Main 1997.

  17. Vgl. dazu Walter Hanesch, Social conditions and growing inequality in Europe: Is growing inequality in Europe an issue?, in: Friedrich Ebert Stiftung (Hrsg.), The debate on the growing income gap: trends and policy responses, Washington D. C. 1998.

  18. Vgl. Sachverständigenrat (Anm. 10).

  19. Vgl. z. B. die Übersichten in European Commission 1995 (Anm. 5); European Commission, Social Protection in Europe 1997, Brüssel 1997; Hans-Jürgen Bieling/Frank Deppe (Hrsg.), Arbeitslosigkeit und Wohlfahrtsstaat in Westeuropa. Neun Länder im Vergleich, Opladen 1997; Josef Schmid, Wohlfahrtsstaaten im Vergleich. Soziale Sicherungssysteme in Europa; Organisation, Finanzierung, Leistungen und Probleme, Opladen 1996.

  20. Vgl. z. B. Sachverständigenrat (Anm. 10); Zukunftskommission der Friedrich Ebert Stiftung, Wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit, sozialer Zusammenhalt, ökologische Nachhaltigkeit. Drei Ziele -ein Weg, Bonn 1998; Rolf G. Heinze/Wolfgang Streeck, An Arbeit fehlt es nicht, in: Der Spiegel, 53 (1999) 19, S. 33 ff.

  21. So liegt die gesamtdeutsche Arbeitslosenquote erst seit 1993 (und zwischenzeitlich von 1986 bis 1989) höher als in den USA und erst seit 1996 höher als in Großbritannien. Vgl. OECD, Employment Outlook 1999, Paris 1999, S. 224.

  22. Vgl. Heinz Werner, Beschäftigungspolitisch erfolgreiche Länder -Was steckt dahinter?, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, 31 (1998), S. 324 ff.

  23. Vgl. OECD (Anm. 21), S. 225.

  24. Vgl. z. B. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Sozialbericht 1997, Bonn 1997.

  25. Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, DIW-Wochenberichte, Berlin, zuletzt Nr. 38/1999.

  26. Vgl. Friedrich Ebert Stiftung (Anm. 20); R. G. Heinze/W. Streeck (Anm. 20).

  27. Vgl. z. B. DIW, Zuschüsse zu den Sozialversicherungsbeiträgen im Niedriglohnbereich: Wenig zielgerichtet und teuer, in: DIW-Wochenbericht. 66 (1999) 27; OECD, Labour market policies: new challenges. Policies for low-paid workers and unskilled job seekers, Paris 1997.

  28. Vgl. dazu auch Hans-Jürgen Krupp/Joachim Weeber, Die Zukunft des Sozialstaats vor dem Hintergrund der zunehmenden Globalisierung, in: Sozialer Fortschritt, 46 (1997) 11, S. 245 ff.

  29. Bert Rürup, Die Rolle des Wohlfahrtsstaates in Zeiten der Globalisierung, in: Frankfurter Rundschau vom 23. 11. 1998, S. 7; ders., Wohlfahrtsstaatliche Politik in der globalisierten Informationsgesellschaft, Bonn 1998.

  30. Vgl. Elmar Rieger/Stephan Leibfried, Die sozialpolitischen Grenzen der Globalisierung, in: Politische Vierteljahresschrift, 39 (1997) 4.

  31. Vgl. z. B. Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen: Berliner Memorandum. Innovation, Beschäftigung, Wachstum und Wettbewerb. Strategien zur Halbierung der Arbeitslosigkeit, Berlin 1997.

  32. Vgl. H. -J. Krupp/J. Weeber (Anm. 28).

  33. Vgl. z. B. Georg Vobruba (Hrsg.), Der wirtschaftliche Wert der Sozialpolitik, Berlin 1989; ders., Jenseits der sozialen Frage, Frankfurt/Main 1991.

  34. Vgl. Walter Hanesch, Zwischen Effizienz und Gerechtigkeit, in: Ernst-Ulrich Huster (Hrsg.): Reichtum in Deutschland, Frankfurt/Main -New York 1993.

Weitere Inhalte

Walter Hanesch, Dr. rer. pol., geb. 1947; Professor für Sozialverwaltung am Fachbereich Sozialpädagogik der Fachhochschule Darmstadt. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Arbeitsmarkt-, Sozial-und Armutspolitik, zuletzt u. a.: (Hrsg.) Sozialpolitische Strategien gegen Armut, Opladen 1995; Reform der Sozialhilfe, Düsseldorf 1996; (Hrsg.) Überlebt die soziale Stadt?, Opladen 1997.