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Umweltpolitik und Welthandelsordnung Konfliktfelder und Lösungsansätze | APuZ 46-47/1999 | bpb.de

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APuZ 46-47/1999 Die neue WTO-Runde: Meilenstein auf dem Weg zu einer globalen Wirtschaftsordnung für das 21. Jahrhundert Umweltpolitik und Welthandelsordnung Konfliktfelder und Lösungsansätze Die USA vor der Millennium-Runde der WTO Die deutsch-europäische Verhandlungsposition bei der WTO-Handelsrunde Die Entwicklungsländer vor der neuen WTO-Runde

Umweltpolitik und Welthandelsordnung Konfliktfelder und Lösungsansätze

Michael Pflüger

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Anliegen des Umweltschutzes sind in den letzten Jahren vermehrt in Konflikt mit der Wehhandelsordnung geraten. Die Abstimmung des Regelwerkes des Welthandels mit den nationalen und internationalen Umwehpolitiken zählt zu den großen Herausforderungen, mit denen sich die Wehhandelsorganisation (WTO) gegenwärtig konfrontiert sieht. Dabei zeigt sich, daß die Reibungsflächen zwischen dem Welthandel und dem Umweltschutz kleiner sind, als der erste Anschein erwarten läßt. Die Schaffung einer zentralen Wehumwehorganisation erscheint sinnvoll, um die internationale Umwehpolitik schlagkräftiger zu machen.

I. Einleitende Bemerkungen

Die Anliegen des Umweltschutzes sind in den letzten Jahren vermehrt in Konflikt mit der Welthandelsordnung geraten. Der Disput zwischen den USA, Kanada und der Europäischen Union um das europäische Einfuhrverbot für Fleisch hormonbehandelter Rinder ist hierfür ein aktueller Beleg. Die Abstimmung des Regelwerkes des Welthandels mit den nationalen Umweltpolitiken einerseits und den multilateralen Umweltschutzabkommen andererseits zählt zu den großen Herausforderungen, mit denen sich die Welthandelsorganisation (WTO) gegenwärtig konfrontiert sieht. Vor allem aus Kreisen von Umweltschützern sind Forderungen nach einer „Ökologisierung“ der Welthandelsordnung laut geworden. Vertreter des Freihandels hingegen verweisen auf die bereits bestehenden Möglichkeiten, innerhalb der Welthandelsordnung Umweltziele zu verfolgen und warnen vor einer Überforderung und Zweckentfremdung der WTO. In der Diskussion steht auch die Forderung nach Schaffung einer Weltumweltorganisation. Im folgenden werden zunächst die Wurzeln der Konflikte freigelegt. Bevor auf Vorschläge zur Lösung dieser Konflikte eingegangen werden kann, ist grundsätzlich zu klären, in welcher Beziehung die Ziele des freien Handels und des Umweltschutzes zueinander stehen.

II. Zu den Wurzeln der Konflikte

Das Regelwerk des Welthandels wurde in einer Zeit entwickelt, bevor das allgemeine Umweltbewußtsein erwachte Daher überrascht es nicht, daß der Begriff „Umwelt“ im 1947 abgeschlosse­ neu Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommen (GATT) -das den freien Handel durch Regelbindung der Nationen fördern soll -nicht vorkommt. Das GATT fußt im wesentlichen auf drei Prinzipien: erstens dem Grundsatz des wechselseitigen Abbaus von Handelshemmnissen; zweitens den Prinzipien der Meistbegünstigung und Nichtdiskriminierung, die eine Ungleichbehandlung der Anbieter in verschiedenen Ländern verbieten, und drittens dem Grundsatz der Inländerbehandlung, welcher fordert, daß ausländische Anbieter keinen (künstlichen) Wettbewerbsnachteilen gegenüber inländischen Produzenten ausgesetzt werden dürfen. Unter den Handelsrestriktionen räumt das GATT den Zöllen den Vorrang vor anderen Handelshemmnissen ein. Unter Vorbehalten sind Ausnahmen von diesen generellen Regeln (in Artikel XX) und eine Entbindung von den Verpflichtungen des GATT (in Artikel XXV/5) erlaubt. Für die Umweltpolitik von Belang sind insbesondere die Artikel XX (b) und (g), die unter gewissen Bedingungen handelsbeschränkende Maßnahmen -zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen und zur Erhaltung erschöpflicher Naturschätze -zulassen.

Das Zeitalter systematischer Umweltpolitik beginnt in den sechziger Jahren Im Mittelpunkt standen anfänglich nationale und regionale Umweltprobleme. Die internationale Umweltpolitik erlebte ihre Anfänge 1972 durch die UNO-Konferenz über die menschliche Umwelt in Stockholm. Auf dieser Konferenz artikulierte sich bereits ein Konflikt, der auch heute noch zu den fundamentalen Problemen der internationalen Umweltpolitik gehört: die Spannung zwischen den umweltpolitischen Forderungen der Industrieländer und den Entwicklungszielen der ärmeren Länder. Trotzdem wurde auf dieser Konferenz ein Konsens über dreierlei erzielt: die Gründung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), die Berücksichtigung von Umweltgesichtspunkten durch andere UN-Organisationen und eine Befürwortung des Verursacherprinzips in der Umweltpolitik. Seit der Stockholmer Erklärung wurden eine Vielzahl internationaler Umweltabkommen geschlossen. Einen Höhepunkt erlebte die internationale Umweltpolitik in der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro, in welcher sich die Teilnehmerstaaten auf das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung verpflichteten. Mit diesem Leitbild soll gleichzeitig dem Entwicklungsziel der Entwicklungsländer und den Bedürfnissen zukünftiger Generationen entsprochen werden

Die periodisch stattfindenden Verhandlungsrunden des GATT blieben von den aufkeimenden umweltpolitischen Maßnahmen zunächst unberührt Noch zu Beginn der achten und bislang letzten GATT-Runde waren Umweltfragen kein zentraler Verhandlungsgegenstand. Zentrale Ergebnisse dieser „Uruguay-Runde“ waren die Überführung des „GATT 1947“ in das „Neue GATT“, die Regelbindung des Dienstleistungshandels, ein verbessertes Streitschlichtungsverfahren, allgemeine Zollsenkungen und Liberalisierungsschritte in den Bereichen Landwirtschaft, Textil und Bekleidung sowie die Gründung einer Welthandelsorganisation (WTO). Die Rio-UNCED-Konferenz hinterließ beim Abschluß der Uruguay-Runde allerdings insofern ihre Spuren, als das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung in die Präambel des WTO-Abkommens aufgenommen wurde. Weitere Neuerungen von umweltpolitischem Belang finden sich in den „gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Regeln“ und den Regeln über technische Handelshemmnisse, die die Vorbehalte des Artikels XX in mancherlei Hinsicht lockern, in anderer Hinsicht aber verschärfen, in der Festschreibung der Zulässigkeit der Subventionierung eines Teils der Anpassungskosten der Firmen an neue Umweltgesetze und in der Aufnahme einer Ausnahmeklausel in das Dienstleistungsabkommen Es fällt nicht schwer nachzuvollziehen, daß die Welthandelsordnung und die Umweltpolitik miteinander in Konflikt geraten mußten. Eine erste Wurzel dieses Konfliktes kann in der Zunahme der Berührungsflächen zwischen dem Außenhandel und den Umweltschutzanliegen in den letzten Jahrzehnten gesehen werden. Zwei Entwicklungen sind hierfür verantwortlich: Zum einen ist vor allem in den Industrieländern die Sensibilität gegenüber Umweltproblemen und mithin der Anspruch an die Umweltpolitik ständig gestiegen. Dies ist auf den gewachsenen Wohlstand und die damit steigende Nachfrage nach sauberer Umwelt und die immer härter werdende wissenschaftliche Erkenntnis über die Relevanz einiger globaler Umweltprobleme, wie z. B.des Ozon-Problems, zurückzuführen. Auch ist verstärkt ins Bewußtsein gerückt, welchen Anspruch das starke Wachstum der Weltbevölkerung an den Ressourcenbestand und die Regenerationsfähigkeit des Umweltsystems stellt. Zum anderen erleben wir derzeit -bedingt durch den Abbau von Handelshemmnissen und Kapitalmobilitätsbarrieren sowie die weltweit wachsende Akzeptanz der marktwirtschaftlichen Ordnung und der Freihandelsidee -eine Phase der Internationalisierung des Wirtschaftens, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Der steigende Konkurrenzdruck auf den Güterund Faktormärkten sensibilisiert aber die hiervon Betroffenen für Unterschiede in den nationalen Sozial-und Umweltpolitiken. Die institutioneile Ausgangsposition, vor deren Hintergrund sich die geschilderten Entwicklungen vollziehen, ist die zweite Wurzel des Konfliktes. Die internationale Umweltpolitik ist bislang in einer Vielzahl bilateraler und regionaler Abkommen verankert und institutionell innerhalb der Vereinten Nationen zersplittert: in dem Umweltprogramm UNEP, dem Entwicklungsprogramm UNDP und der Kommission für nachhaltige Entwicklung UNCSD Eine zentrale Institution, welche internationale Umweltschutzbelange fördert und durchsetzt, gibt es bislang nicht. Das GATT auf der anderen Seite hat sich zu einem erfolgreichen Vehikel für den Freihandel entwickelt und ist institutionell durch die WTO gestärkt worden. In Konfliktfällen zwischen Freihandels-und Umweltinteressen vertritt das GATT -auch nach den Modifikationen im Zuge der Uruguay-Runde -naturgemäß die ersteren. In Ermangelung einer zentralen umweltpolitischen Organisation, die vielleicht auf anderen Wegen für Abhilfe hätte sorgen können, wurden Streitfragen an das GATT bzw. an die WTO herangetragen, mit Ergebnissen, die oft genug zur Frustration von Umweltschützern geführt haben.

Gesetze, die nationale Umweltgüter betreffen, sind bereits zum Gegenstand von Streitschlichtungsverfahren des GATT und der WTO geworden. Noch unter dem alten GATT für Aufsehen gesorgt hat 1991 der sogenannte „Thunfischfall“. Weil Delphine in großer Zahl zu Opfern der Fangmethoden mexikanischer Fischer wurden, hatten die USA ein Importverbot gegenüber mexikanischem Thunfisch verhängt, denn ein US-amerikanisches Gesetz schreibt den eigenen kommerziellen Fischern vor, Fangmethoden einzusetzen, bei denen Delphine geschont werden Mexiko hatte gegen dieses Importverbot geklagt und von dem GATT-Ausschuß recht bekommen. In der Begründung verweist der Ausschuß auf das Hoheitsrecht Mexikos, und er billigt ausdrücklich die Verwendung eines „dolphin safe“ -Labels in den USA. Ähnliche Streitfälle haben sich in den letzten Jahren gehäuft Für Schlagzeilen hat jüngst auch die Weigerung der Europäischen Union gesorgt, die Einfuhr von Hormonrindfleisch zu gestatten. Ein WTO-Schiedsgericht hat den hiergegen vorgebrachten Klagen der USA und Kanadas mit dem Verweis auf fehlende wissenschaftliche Evidenz für eine Gesundheitsgefährdung inzwischen stattgegeben und ihnen das Recht auf Strafzölle eingeräumt. Konfliktstoff versprechen auch multilaterale Umweltschutzabkommen. Von den bis dato ungefähr 200 abgeschlossenen Abkommen beinhalten 20 ein Verbot des Handels mit bestimmten Stoffen, wie z. B. die Basler Konvention über den grenzüberschreitenden Transport von Sondermüll, oder sie erlauben den Einsatz von Handelssanktionen als Instrument zur Durchsetzung der Abkommen, wie z. B. das Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht Die Verträglichkeit sol-cher Handelsklauseln mit dem geltenden WTO-Recht ist allerdings fragwürdig. Auch wenn es in dieser Frage noch nicht zu einer Anrufung des GATT gekommen ist, erscheinen Konflikte vorprogrammiert. Würde beispielsweise ein Nichtunterzeichner der Basler Konvention, dem der Marktzugang von einem Signatar des Abkommens verweigert wird, weil er Stoffe zur Weiterverarbeitung importiert, deren Handel dieses Abkommen verbietet, eine Klage vor der WTO Vorbringen, so würde dieser Klage mit hoher Wahrscheinlichkeit stattgegeben Ein ähnliches Problem könnte sich auch bei den Regelungen zum Schutze der Ozonschicht, die bislang als Musterbeispiel erfolgreicher internationaler Umweltpolitik gefeiert werden, ergeben Strenge Fristen für den Ausstieg aus der Produktion und Verwendung von Stoffen, die die Ozonschicht schädigen (FCKW und andere) galten und gelten bislang vor allem für die Industrieländer, die bislang auch die Hauptverursacher des Problems waren. Daß ein Trittbrettfahrerverhalten begrenzt blieb, wird vor allem der Drohung mit Handelssanktionen bei Nichteinhaltung zugeschrieben. Konflikte könnten sich ergeben, wenn die (längeren) Ausstiegsfristen für Transformations-und Entwicklungsländer bindend werden.

Die ablehnende Haltung, die die bisherigen Ausschuß-Entscheide bei Umweltschützern gegenüber dem GATT bzw.der WTO verursachten, erscheint in mancherlei Hinsicht verständlich. So wurden die Entscheide hinter verschlossenen Türen von Experten getroffen, die weder die Kompetenz noch die Legitimation besitzen, Umweltschutzinteressen zu vertreten. Aber auch wenn sich die WTO inzwischen erkennbar um mehr Transparenz bemüht, Umweltexperten in ihre Verfahren einbezieht oder plant, auch Nichtregierungsorganisationen die Teilnahme an Verfahren und die Möglichkeit von Eingaben zu gestatten ist und bleibt sie die Instanz zur Sicherung möglichst freien Handels. Umweltschützer vermuten daher, daß sie in Konfliktfällen zwangsläufig den kürzeren ziehen. Dieser Spannungszustand zwischen den Welthandelsregeln und der Umweltpolitik ist nicht nur für die Advokaten des Umweltschutzes unbefriedi­ gend. An Rezepten, wie diesem Spannungszustand Abhilfe geleistet werden könnte, mangelt es nicht. Bevor auf diese eingegangen wird, gilt es allerdings, die Beziehungen zwischen den Zielen des freien Handels und des Umweltschutzes zu klären.

III. Sind Konflikte unvermeidlich?

1. Zur Komplementarität von Handel und Umweltpolitik

Die Reibungsflächen zwischen Außenhandel und Umweltpolitik sind kleiner, als der erste Anschein erwarten läßt Zwei Einsichten sind für diese Einschätzung grundlegend: Zum einen verfolgen Vertreter des Freihandels und Umweltschützer ein gemeinsames Ziel, und zwar die Förderung der gesellschaftlichen Wohlfahrt. Zum anderen stellt der Außenhandel für sich genommen im Regelfall gar nicht die eigentliche Ursache von Umweltproblemen dar. Werden Politikmaßnahmen gewählt, die an den Wurzeln der Umweltprobleme ansetzen, so ist eine Vertiefung der wirtschaftlichen Integration dem Umweltziel sogar eher förderlich. Diese zweite Einsicht wird nachfolgend näher beleuchtet. Das klassische Argument für die Vorteilhaftigkeit des Außenhandels lautet, daß sich die beteiligten Nationen auf die Herstellung dessen konzentrieren können, was sie eingedenk technologischer, klimatischer oder sonstiger Gründe „gut“ können, und im Austausch jene Güter erhalten, in denen andere Länder produktive Vorteile haben. Aber auch aus anderen Gründen führt der Außenhandel zu Wohlfahrtssteigerungen, so beispielsweise, weil eine Marktvergrößerung den Wettbewerbsdruck erhöht, das Ausnutzen von Größenvorteilen in der Produktion ermöglicht und Impulse für die Entwicklung und Ausbreitung des technischen Fortschritts liefert Der Außenhandel kann als Triebfeder von Wachstum und Entwicklung betrachtet werden. Dies kommt auch dem Umweltziel zugute, weil dadurch ein Beitrag zum Abbau der Armut und damit zu einer Verringerung des Bevölkerungswachstums geleistet wird, weil der Wettbewerbsdruck zum effizienteren Umgang mit den Ressourcen zwingt und weil sich umweltschonender technischer Fortschritt schneller ausbreiten kann. Natürlich führen wachsende Realeinkommen auch zu einem höheren Ressourcenverbrauch pro Kopf und zu höheren Umweltbelastungen. Mit wachsendem Realeinkommen wächst allerdings auch die Nachfrage nach sauberer Umwelt. Empirische Untersuchungen zeigen, daß sich Umweltbelastungen im Entwicklungsprozeß typischerweise zunächst erhöhen, ehe Realeinkommensschwellen erreicht sind, ab denen eine Stabilisierung und Abnahme einsetzt Nimmt man das Entwicklungsziel der ärmeren Länder ernst -wie dies im Leitbild der nachhaltigen Entwicklung geschieht -, so kann die Konsequenz nur lauten, eine schnelle Überwindung verschmutzungsintensiver Entwicklungsstadien zu unterstützen. Eine Strategie der Marktöffnung und Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung kann hierzu einen zentralen Beitrag leisten.

Die These, daß materielle Wohlfahrtsgewinne des Außenhandels zwangsläufig durch ökologische Schäden aufgehoben würden, läßt sich nicht aufrechterhalten. Der Außenhandel ist auch dann von Vorteil, wenn die Umweltbelastungen des Wirtschaften berücksichtigt werden. Allerdings müssen die wirtschaftenden Akteure mit den sozialen Kosten ihrer Aktivitäten konfrontiert werden. Durch den Einsatz umweltpolitischer Instrumente (z. B. Umweltsteuern oder Umweltzertifikate) kann eine solche Internalisierung erreicht werden. Da die Umweltpräferenzen aufgrund des Entwicklungsstandes oder aus kulturellen oder anderen Gründen voneinander abweichen können, werden unterschiedliche Länder unterschiedliche Umweltstandards wählen. Sind die Umweltprobleme nationaler Natur, so wäre ein Ökodumping-Vorwurf gegenüber einem Land mit niedrigeren Standards daher unhaltbar.

Die Sorge, daß im Zuge der Internationalisierung der Wirtschaftsprozesse ein Unterbietungswettlauf von Umweltstandards -zur Erreichung eines umweltfernen Ziels -ausgelöst werden könnte, ist theoretisch hingegen durchaus gerechtfertigt. Allerdings existieren direktere und damit geeignetere wirtschaftspolitische Instrumente als handelspolitische Eingriffe, um die Ursachen eines sol-chen Wettbewerbs zu beseitigen. Als Beispiel kann das Problem der Arbeitslosigkeit in Europa herangezogen werden. Einzelne Regierungen könnten versucht sein, durch die Wahl laxer Umweltstandards Firmen in ihr Land zu locken, um dergestalt für mehr Beschäftigung zu sorgen. Was sich aber für den einzelnen Staat rechnet, rechnet sich dann nicht mehr, wenn alle Staaten so handeln. Der Wettlauf endet in geringen Umweltstandards in allen Nationen, ohne daß in einem Land irgendein zusätzlicher Arbeitsplatz entstanden wäre. Hieraus die Schlußfolgerung zu ziehen, man müsse deshalb die Grenzen für das Kapital schließen, wäre allerdings falsch. Dadurch würde man das Problem der Arbeitslosigkeit nicht lösen, sich aber der Vorteile der internationalen Spezialisierung berauben. Angezeigt wären hier direkte Maßnahmen zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit wie z. B. Lohnsubventionen oder ein Abbau der Steuerlasten zur Verringerung der Schere zwischen Brutto-und Nettolöhnen.

Sind die Umweltprobleme grenzüberschreitender Natur, wie z. B.der saure Regen, die Ozon-Problematik oder der Treibhauseffekt, so sind die Bürger eines Landes auch dann von den Handlungen der Firmen und Haushalte in anderen Ländern betroffen, wenn die nationalstaatlichen Grenzen für Güter-und Kapitalströme geschlossen sind. Mit dem Außenhandel per se haben transnationale Umweltprobleme daher nichts zu tun. Unstrittig ist, daß hier allein kooperative Lösungen Abhilfe leisten können. Klar ist auch, daß bis dato keine supranationale Behörde existiert, die kooperative Verhaltensweisen im Umweltbereich durchsetzen könnte. Die entscheidende Hürde, die bei transnationalen Umweltgütern zu überwinden ist, ist das Problem des Trittbrettfahrerverhaltens. Sind die Grenzen für Güter-und Kapitalströme offen, so verschärft sich dieses Problem. Belastet ein Staat im Alleingang seine verschmutzenden Firmen mit zusätzlichen Umweltsteuern, so ist nicht nur der Umwelt kaum gedient. Vielmehr erhöhen sich auch die Kosten dieser Vorreiterinitiative, weil die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Firmen gegenüber der ausländischen Konkurrenz leidet und weil sich für heimische Firmen der Anreiz ergibt, den Standort zu verlagern. Ein Argument, der internationalen Arbeitsteilung abzuschwören, ist dies allerdings nicht. Der Kern des Problems ist die Erreichung kooperativen Verhaltens. Hier ergibt sich nun wiederum ein Berührungspunkt zwischen Handel und Umweltschutz, weil neben positiven Anreizinstrumenten wie z. B. Transfers finanzieller oder technologischer Art oder politisch-moralischer Überzeugungsarbeit auch Handelssanktionen -als negative Anreizinstrumente -eingesetzt werden können, um kooperatives Verhalten zu erreichen.

2. Reibungsflächen

Wenn trotz dieser Überlegungen, die veranschaulichen, daß die Ziele des Freihandels und des Umweltschutzes prinzipiell nicht im Konflikt ste-hen müssen, sondern eher komplementär sind, heute oft von einem Spannungsverhältnis die Rede ist, so kann dies folgende Gründe haben.

1. Es wird ein Politikversagen vermutet, etwa der-gestalt, daß die notwendige umweltpolitische Lenkung (d. h. die Konfrontation der Verschmutzer mit den sozialen Kosten) unterbleibt, oder in der Form, daß die Umweltpolitik zweckentfremdet wird, weil die eigentlich angezeigten Politikmaßnahmen auf anderen Feldern (z. B. Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit) nicht durchgeführt werden. Die empirische Forschung kommt bislang allerdings zum Schluß, daß umweltpolitische Maßnahmen kaum Auswirkungen auf die Standortentscheidungen der Firmen haben Die Sorge eines Unterbietungswettlaufs von Umweltstandards erscheint daher unberechtigt. Ein Staatsversagen im ersteren Sinne ist hingegen nicht leicht von der Hand zu weisen. So formuliert beispielsweise der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), daß „. . . die politischen Entscheidungsträger in manchen Einzelstaaten nicht notwendigerweise ihre Maßnahmen am wohlfahrtstheoretisch gebotenen Internalisierungsbedarf ausrichten beziehungsweise anhand von Umweltqualitätszielen nach Maßgabe der einheimischen Bevölkerung bestimmen“ In krasser Form findet sich ein solches Politikversagen in undemokratischen Ländern. Allerdings lehrt die Ökonomische Theorie der Politik, daß auch in demokratischen Ländern in den politischen Entscheidungsprozessen gut organisierbare Partikulafinteressen eher zum Zuge kommen als allgemeinere Anliegen, wie beispielsweise der Umweltschutz Von Ökodumping zu sprechen, wenn den Verschmutzern nicht ihre gesamten sozialen Kosten angelastet werden, erscheint legitim. 2. Eine Spannung zwischen dem Freihandelsziel und dem Interesse des Umweltschutzes läßt sich auch aus einer unterschiedlichen Einschätzung der Effektivität und Legitimität von Handelssanktionen als Durchsetzungsinstrument für kooperatives Verhalten bei grenzüberschreitenden Umweltproblemen ableiten.

3. Die vielleicht dornigsten Problemfelder heute haben weder mit einem Politikversagen noch mit grenzüberschreitenden Umweltproblemen physischer Natur etwas zu tun, sondern ergeben sich aus unterschiedlichen ethischen Einstellungen gegenüber Produkten und Produktionsweisen und aus abweichenden Einschätzungen der Gesundheitsgefährdungen, die mit dem Import und Verzehr oder Gebrauch eines Gutes verbunden sind. Der „Thunfisch-Fall“ steht stellvertretend für die erste Problemklasse, der „Hormon-Fall“ für die zweite. In beiden Fällen prallen das Selbstbestimmungsrecht der Länder und das Ziel freien Handels aufeinander.

IV. Lösungsansätze

1. Teilordnungen und Gesamtwohl

In den drei aufgezählten Spannungsfeldern ist eine Einigung zwischen den jeweils legitimen Interessen des Umweltschutzes und des Freihandels zu finden. Der SRU formuliert zu Recht, daß hierbei „das GATT/WTO-System keinen Vorrang gegenüber anderen Regelungswerken für sich in Anspruch nehmen kann“ und daß die „durch ein einzelnes Regelsystem bestimmten Handlungsmöglichkeiten nur soweit reichen dürfen, wie den aus dem Gesamtzusammenhang aller (Teil-) Ordnungen abzuleitenden Gemeinwohlzielen in hinreichendem Umfang genügt wird“''. Aus den bisherigen Überlegungen folgt, daß es fruchtbar ist, bei der Abstimmung der beiden Ordnungen die Komplementarität von Freihandel und Umweltpolitik im Hinblick auf das Wohlfahrtsziel auszubeuten. Der Leitgedanke der nachhaltigen Entwicklung ist hier eine hilfreiche Brücke. Schließlich erscheint es aus Effizienzgründen sinnvoll, eine klare Trennung der Aufgaben des GATT -als Regelsystem zur Förderung des freien Welthandels -und eine Regelinstanz für die Umwelt vorzunehmen.

2. Schaffung einer Weltumweltorganisation GEO?

Die grundlegenden Überlegungen deuten den Bedarf einer zentralen Regelinstanz für die Umwelt bereits an Ein zentraler Grund für die Schaffung einer Weltumweltorganisation (GEO -Global Environmental Organization) hat mit der Internationalisierung der Wirtschaftsprozesse und den aufgezählten Spannungsfeldern gar nichts zu tun, wohl aber mit der Erkenntnis, daß eine wachsende Anzahl von Umweltproblemen nicht mehr lokaler, sondern globaler Natur ist. Durch Zentralisierung der bisher institutionell zersplitterten Bemühungen könnte ein Bollwerk für den internationalen Umweltschutz entstehen, welches das Umweltziel langfristig auf ähnliche Weise gegen kurzfristige Länderinteressen durchsetzen könnte wie das GATT die Freihandelsidee im Bereich des Handels. Der GEO wären unter anderem die Aufgaben zuzuweisen, als Schiedsstelle bei transnationalen Umweltkonflikten zu agieren sowie die Regelung globaler Umweltprobleme und die Produktkennzeichnung voranzutreiben. Die GEO würde andererseits ein institutionelles Gegengewicht zum GATT bilden und könnte im Konfliktfall mit Freihandelsinteressen als legitimierter Advokat des Umweltziels auftreten. Mit der Schaffung der Behörde ist natürlich noch nicht geklärt, wie im Konfliktfall die Spannung zwischen Umwelt-und Freihandelsziel beseitigt würde. Denkbar wäre beispielsweise die Errichtung eines paritätisch mit Advokaten beider Interessen besetzten Ausschusses, der in Streitfragen eine Lösung finden müßte. Konflikten ließe sich allerdings dadurch Vorbeugen, daß die Regelinstanzen bei der Entstehung und Fortentwicklung der jeweiligen Abkommen Zusammenarbeiten. So könnte das GATT die Schlußfolgerungen der GEO übernehmen, wie es bereits die Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) übernimmt. Andererseits könnte das GATT bei der Entwicklung und Fortschreibung von internationalen Umweltabkommen den Status eines Beobachters und Beraters einnehmen. Eine Kooperation des GATT und der GEO wäre für beide Seiten fruchtbar. Eine Sanktionierung von Handelsprovisionen durch das GATT würde der GEO „Zähne“ bei der Durchsetzung internationaler Umweltabkommen verleihen. Für die WTO und den Freihandel wäre eine solche Kooperation von Vorteil, weil die WTO einbringen könnte, daß nur dann handelseinschränkende Maßnahmen ergriffen werden, wenn keine effektiveren Instrumente existieren und daß etwaige Handelsprovisionen den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und Transparenz entsprechen und nicht protektionistischen Interessen dienen.

Aus verschiedenen Gründen ist allerdings nicht damit zu rechnen, daß es zur baldigen Gründung einer Weltumweltorganisation kommen wird. So würde die Einrichtung einer neuen Umweltbehörde zunächst einmal ein Finanzierungsproblem aufwerfen. Auch ist mit Widerständen von den bisherigen UN-Institutionen zu rechnen, die in der GEO aufgehen müßten. Ganz grundlegend bestehen aber auch Ressentiments gegen die Abgabe von nationaler Souveränität. In diesem Zusammenhang ist wiederum die Nord-Süd-Problematik von besonderer Relevanz, denn die Entwicklungsländer werden sich gegen die Schaffung einer Institution verwahren, die vor allem den Umwelteifer des Nordens spiegelt und ihre eigenen Entwicklungsinteressen bedroht. Ein anderes fundamentales Problem betrifft die Konkretisierung des umweltpolitischen Leitbildes einer zukünftigen GEO. Dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung zuzustimmen, war nicht zuletzt wegen dessen Unschärfe und Unverbindlichkeit leicht. Für die praktische Umsetzung muß dieses Leitbild in konkrete Regeln gegossen werden, die sich in der Praxis in Handlungsanweisungen umsetzen lassen. Während die Vorteilhaftigkeit des internationalen Tausches und die daraus abgeleitete Freihandelsidee zu den Lehren der ökonomischen Theorie gehören, die von den meisten Ökonomen -egal welcher Denkschule -geteilt werden, findet sich in der heutigen Umweltökonomik, neben einer neoklassischen Denkrichtung, die als konkrete Regeln z. B. das Konzept der Internalisierung und das Verursacherprinzip anbietet, auch eine Denkschule, die sich als „Ökologische Ökonomie“ bezeichnet und die radikalere Regeln für den Umweltschutz und die Ressourcenschonung fordert Selbst wenn sich diese Spannung aufheben und andere Widerstände gegen eine Weltumweltorganisation brechen ließen, wird internationale Umweltpolitik ein mühsamer Prozeß sein, wie die Erfahrungen mit dem GATT auf dem Feld des Außenhandels zeigen.

3. Ökologischer Reformbedarf des GATT

Die Ansichten über den ökologischen Reformierungsbedarf des GATT divergieren stark. Befürworter des Umweltschutzes präsentieren einen langen Katalog von Änderungsvorschlägen, während stramme Freihändler nur geringen Reformbedarf erkennen wollen Selbst wenn man den Standpunkt einnimmt, daß man die WTO überfordern und in einen Interessenkonflikt zwingen würde, wenn man ihr neben dem Freihandelsziel zusätzlich noch Umweltbelange zuordnete, kommt man angesichts der beschriebenen aktuellen und potentiellen Spannungen mit der Umweltpolitik nicht umhin, einen Reformierungsbedarf der WTO zu konstatieren. Eine Strategie des „Weiter so wie bisher“ wäre gefährlich, weil einzelne Länder um so mehr geneigt sein könnten, unilaterale Handelsmaßnahmen gegen andere Länder mit niedrigeren Standards vorzunehmen. Andererseits könnte die Bereitschaft der entwickelten Länder zur Aufrechterhaltung einer liberalen Handelsordnung und zu einer weiteren Vertiefung multilateraler Handelsrunden abnehmen. Schließlich würde die Entstehung von weiteren regionalen Handelsabkommen mit Umweltnebenabkommen (wie z. B. die Nordamerikanische Freihandelszone -NAFTA) zu einer vermehrten regionalen Zersplitterung der internationalen Umwelt-und Handelspolitik führen.

Es ist nicht unplausibel anzunehmen, daß der öffentliche Druck hinsichtlich einer Ökologisierung der WTO davon abhängt, ob es gelingt, eine Weltumweltorganisation zu etablieren oder nicht. Gibt es keine solche, so erscheint der Anpassungsdruck größer Als Übergangslösung wäre ein mit internationalen Experten besetzter Ausschuß -ähnlich dem International Panel on Climate Change -in Erwägung zu ziehen, der später in der GEO aufgehen würde und in der Interimszeit deren Funktionen wahrnimmt und fortentwickelt und den skizzierten Druck auf die WTO mindert Darüber hinaus hat es die WTO selbst in der Hand, durch eine Reihe von Verfahrensänderungen den ersten Druck zu verringern. Als Minimalstrategie könnte die WTO eine Informationsrolle im Hinblick auf die Möglichkeit der Konfliktlösung durch nichthandeisbezogene Maßnahmen übernehmen und private Aktionen, wie z. B. die Einführung von Öko-Siegeln, Konsumentenboykotte oder die Annahme freiwilliger Verhaltens-kodizes durch Firmen ermuntern Der 1994 geschaffene Ausschuß für Handel und Umwelt in der WTO kann als Teil einer solchen Strategie verstanden werden. Bemühungen um mehr Transparenz und Offenheit seitens der WTO sind ebenfalls nicht zu leugnen. Auch wäre es sinnvoll, zukünftig bereits schon im Vorfeld bzw. im Zuge der Verhandlungen neuer Handelsabkommen unter angemessener Beteiligung der Öffentlichkeit die Umweltnebenwirkungen der angestrebten Liberalisierungsschritte zu erforschen und, darauf aufbauend, Empfehlungen für begleitende Reformen der Umweltpolitik abzuleiten

Vor allem aber muß sich die WTO mit den drei Spannungsfeldern, die im vorherigen Abschnitt identifiziert wurden, auseinandersetzen. In welcher Art und Weise etwaige Regeländerungen in das GATT einfließen -ob in der Form von Änderungen des Vertragstextes oder in Form von Zusätzen, Ausnahmeregelungen, Nebenabkommen oder Reinterpretationen des bisherigen Vertragstextes -, ist eine Frage, die vor allem den juristischen Sachverstand fordern wird Die inhaltliche Auseinandersetzung sollte die grundsätzliche Komplementarität des Außenhandels und des Umweltziels berücksichtigen.

V. Fazit

1. Aus divergierenden nationalen Umweltpolitiken oder einem vermuteten Politikversagen Forderungen nach Aufnahme einer ÖkodumpingKlausel in das GATT abzuleiten oder nach einer Harmonisierung der Umweltstandards und handelspolitischen Eingriffen oder Handelssanktionen zu rufen erscheint schon deshalb problematisch, weil ein zumindest partielles Politikversagen in allen Nationen vermutet werden kann Auch steht es grundsätzlich keiner Nation an, über die Umweltziele anderer Länder zu befinden. Dies gilt heute insbesondere für die Industrieländer, die aufgrund ihres Wohlstandes ganz andere Prioritäten haben als Länder, die sich in der Entwicklung befinden. Ein anderer Einwand gegen solche Forderungen lautet, daß hierdurch ein Einfalltor für Interessengruppen geschaffen würde, die weniger das Umweltziel als ihre eigenen Partikularziele zu verwirklichen trachten. 2. Eine generelle Ablehnung von Handelssanktionen als Instrument zur Erreichung und Durchsetzung kooperativen Verhaltens im Umweltbereich läßt sich nur schwer begründen Multilaterale Umweltabkommen, die Handelssanktionen als Durchsetzungsinstrument vorsehen und die von allen WTO-Mitgliedern unterzeichnet worden sind, sind auch heute schon WTO-kompatibel. Zweifel sind allerdings angebracht, ob Handelssanktionen bei globalen Umweltproblemen als Instrument zur Erreichung von Kooperation sichere Vorteile gegenüber positiven Anreizinstrumenten besitzen, etwa weil man dem sanktionierten Land Handels-und somit Einkommensgewinne versagt, die dem Umweltziel förderlich wären. Das Problem der Legitimität von Handelssanktionen stellt sich vor allem wegen der unterschiedlichen Einstellungen der einkommensstarken Industrieländer und der einkommensschwachen Entwicklungsländer gegenüber globalen Umweltproblemen. Die Entwicklungsländer können mit gutem Recht behaupten, daß der Großteil dieser Probleme den heutigen Industrieländern anzulasten ist. Bei der Verteilung der Lasten eines multilateralen Umweltabkommens sollte dies genauso berücksichtigt werden wie die unterschiedlichen Einschätzungen der Dringlichkeit, welche einem konkreten globalen Umweltproblem -in Relation zu anderen Problemen, etwa der regionalen Verschmutzung oder der Entwicklung -beigemessen werden. Die ablehnende Haltung von Entwicklungsländern gegenüber einer Legitimierung von Handelssanktionen ist nicht zuletzt durch die Sorge begründet, daß ihnen die Industrieländer hierdurch einen unangemessen hohen Anteil der Kosten aufbürden könnten. Würde eine solche Lastenverteilung hingegen in einvernehmlicher internationaler Abstimmung erfolgen, so wäre -unter Vorbehalten wie z. B. jenem der Verhältnismäßigkeit -die Festschrei-bung der Zulässigkeit von Handelssanktionen als Druckmittel gegen Trittbrettfahrer im WTO-Recht durchaus erwägenswert Der Sachverständigenrat für Umweltfragen erachtet überdies einseitige Handelsmaßnahmen bei unmittelbarer Betroffenheit eines Importlandes zur Abwehr einseitig grenzüberschreitender Umweltschäden und bei Bedrohung von Ressourcennutzungsrechten dann für zulässig, wenn der oder die Schädiger eindeutig identifizierbar und andere Bedingungen erfüllt sind Dieser Vorschlag ist insofern skeptischer zu beurteilen als der vorige, als es in konkreten Situationen schwer fallen wird zu beurteilen, ob diese Bedingungen tatsächlich erfüllt sind, und weil sich bei zwei oder wenigen beteiligten Nationen keine unüberwindbaren Hürden für Verhandlungslösungen stellen sollten.

3. Auch in Streitfragen, die unterschiedliche Einschätzungen über Produktionsverfahren oder das Gefährdungspotential von Produkten zum Gegenstand haben, müssen Kompromisse zwischen dem legitimen Selbstbestimmungsrecht der Länder in der Umweltpolitik und dem Ziel freien Handels gefunden werden. Da die Souveränität der Länder zu achten ist, erscheint es nicht akzeptabel, daß Länder mit höheren Präferenzen für ein Umweltziel sich anmaßen, anderen diese Präferenzen aufzuzwingen. Die Wertschätzung für Umweltgüter ist einkommensabhängig und häufig kulturspezifisch. Zum Beispiel ist es nicht legitim, den Mexikanern, die im Vergleich zu den Amerikanern weniger Wert auf den Schutz von Delphinen und mehr Wert auf die Produktivität der Thunfischindustrie legen, die amerikanischen Moralvorstellungen zu oktroyieren. Die nationale Souveränität zu respektieren erfordert aber auch, daß US-oder EU-Bürger nicht gezwungen werden dürfen, ein Gut importieren und konsumieren zu müssen, wenn sie dessen Produktionsverfahren (im „Thunfisch-Fall“) mißbilligen oder aber Bedenken haben, weil sie schwerwiegende Gesundheitsgefährdungen befürchten (im „Hormonfall“). Ein naheliegender Weg, das Selbstbestimmungsrecht beider Seiten zu berücksichtigen, ohne die internationale Arbeitsteilung zu beeinträchtigen, besteht in der Einführung von Öko-Siegeln. Für die WTO scheint diesbezüglich insofern Änderungsbedarf angezeigt, als sie anerkennen sollte, daß Güter, die unterschiedlich hergestellt werden, in den Augen der Bürger unterschiedliche Produkte sind bzw.sein können. In der Frage der Beurteilung von handelseinschränkenden Maßnahmen wie Einfuhrverboten sind zwei Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Einerseits werden dadurch auch Einkommenszuwächse unterbunden, die das Zielland der Maßnahmen zu umweltschonender Produktion führen würden, und andererseits stellt sich auch hier das Problem, daß Einzelinteressen ihre protektionistischen Ziele betreiben und damit einen den Welthandel gefährdenden Domino-Effekt auslösen könnten. Gerade wegen des letztgenannten Problems wird man also nicht umhin können, die Intentionen von solchen Handelsrestriktionen zu prüfen. Will ein Land eine Importrestriktion vornehmen, auch wenn die Möglichkeit der Produktkennzeichnung besteht, etwa weil es diese für nicht ausreichend hält, um Gesundheitsgefährdungen vorzubeugen (das Beispiel Genfood kommt hier in den Sinn), so könnte es Zweifel an der Integrität seiner Position und die Vermutung puren Protektionismus dadurch zerstreuen, daß es Handelskonzessionen auf anderen Feldern anbietet Eine Weltumweltorganisation oder eine entsprechende Vorläuferinstitution wäre im Prozeß der Überprüfung einer Importrestriktion ein hilfreiches institutionelles Pendant zur WTO, welches die Interessen des Gesundheits-und Umweltschutzes vertreten könnte.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur Entwicklung der Welthandelsordnung vgl. WTO, Trading into the Future, Genf 19982; Heinz Hauser/Kai-Uwe Schanz, Das Neue GATT, München -Wien 1995; Deutsche Bundesbank, Internationale Organisationen und Abkommen im Bereich von Währung und Wirtschaft, Sonderdruck, Frankfurt a. M. 1992 und 1997; Daniel C. Esty, Greening the GATT: Trade, Environment, and the Future, Institute for International Economics, Washington, D. C. 1994, S. 46ff. und Appendix A.

  2. Zur Entwicklung der Umweltpolitik vgl. Kym Anderson, Environmental Standards and International Trade, in: M. Bruno/B. Peskovic (Hrsg.), Annual World Bank Conference on Development Economics 1996, World Bank, Washington, D. C. 1997; D. C. Esty, ebd.; Ernst Ulrich von Weizsäcker, Erdpolitik. Ökologische Realpolitik an der Schwelle zum Jahrhundert der Umwelt, Darmstadt 19944; Karl-Göran Mäler, International Environmental Problems, in: Oxford Review of Economic Policy, 6 (1990), S. 80-108.

  3. Zum Leitbild der Nachhaltigkeit vgl. Gro Harlem Brundtland, Unsere gemeinsame Zukunft. Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven 1987; Michael Common, Sustainability and Policy. Limits to Economics, Cambridge 1985.

  4. Eine Ausnahme stellt z. B. das in der Tokio-Runde als Nebenabkommen abgeschlossene -aber nicht für alle GATT-Mitglieder verbindliche -Abkommen über technische Handelsbarrieren dar, welches solche technischen Regulierungen und Standards für zulässig erklärt, die zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie der Umwelt dienen. Vgl. Wilhelm Alt-hammer, Internationale Aspekte der Umweltpolitik, Tübingen 1998, S. 221.

  5. Vgl. D. C. Esty (Anm. 1), S. 48 ff.; H. Hauser/K. -U. Schanz (Anm. 1); WTO (Anm. 1).

  6. Vgl. D. C. Esty (Anm. 1), S. 231.

  7. Zum „Thunfischfall“ vgl. z. B. D. C. Esty (Anm. 1); W. Althammer (Anm. 4); SRU, Umweltgutachten 1998 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen, Stuttgart 1998; WTO (Anm. 1).

  8. Vgl. die Auflistungen in D. C. Esty (Anm. 1), Appendix C; WTO, High Level Symposium on Trade and Environment, 15-16 March, zu finden unter den Web-Seiten der WTO: http: //Externer Link: http://www.wto.org/wto/environ/environm. htm (1999).

  9. Vgl. WTO (Anm. 1), S. 55.

  10. Vgl. Economist, A Survey of World Trade, Oktober 1998, S. 27; K. Anderson (Anm. 2), S. 329; WTO (Anm. 1), S. 56; Armin Sandhövel, Strategien für ein Miteinander von Umweltordnung und Welthandelsordnung, in: Zeitschrift für angewandte Umweltforschung, 11 (1998), S. 496-508.

  11. Vgl. Alice Enders/Amelia Borges, Successful Conventions and Conventional Success: Saving the Ozone Layer, in: Kym Anderson/Richard Blackhurst (Hrsg.), The Greening of World Trade Issues, New York 1992, S. 130-144; D. C. Esty (Anm. 1), S. 151 f. und S. 218 f.

  12. Vgl. Economist (Anm. 10), S. 28.

  13. Ausführliche Analysen der Beziehungen zwischen Umweltpolitik und wirtschaftlicher Integration finden sich in Jagdish N. Bhagwati/T. N. Srinivasan. Trade and the Environment: Does Environment Diversity Detract from the Case for Free Trade?, in: J. N. Bhagwati/R. E. Hudec (Hrsg.), Fair Trade and Harmonization. Prerequisites for Free Trade?, Vol. 1., Economic Analysis, Cambridge, MA. 1996, S. 159-223; Michael Pflüger, Globalisierung und Nachhaltigkeit, in: Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht, (1999), S. 135154; SRU (Anm. 7).

  14. Vgl. Rolf Kappel/Oliver Landmann, Die Schweiz im globalen Wandel, Zürich 1997, Kap. 3.

  15. Vgl. Ian Goldin/L. Alan Winters (Hrsg.), The Economics of Sustainable Development, Cambridge 1995.

  16. Als zentrale Ursache für dieses Ergebnis führt die Forschung die bislang geringen Kosten an, die den Firmen durch umweltpolitische Maßnahmen im Vergleich zu anderen Faktoren entstehen. Ausführlich hierzu: Arik Levinson, Environmental Regulation and Industry Location: International and Domestic Evidence, in: J. N. Bhagwati/R. E. Hudec (Anm. 13), S. 429-458; J. N. Bhagwati/T. N. Srinivasan (Anm. 13), S. 172 ff.

  17. SRU (Anm. 7), S. 328.

  18. Vgl. Bruno S. Frey, Umweltökonomie, Göttingen 19923, Kap. 8.

  19. Vgl. hierzu D. C. Esty (Anm. 1); K. Anderson (Anm. 2); ders., Environmental Standards and Labor Standards: What Role for the WTO?, in: A. O. Krueger, The WTO as an International Institution, Chicago-London 1998, S. 231-255; Kent Jones, Trade Policy and the Environment: The Search for an Institutional Framework, in: Außenwirtschaft, 53 (1998), S. 409-434; A. Sandhövel (Anm. 10).

  20. Vgl. M. Common (Anm. 3).

  21. D. C. Esty (Anm. 1), Kap. 2 charakterisiert das Spektrum.

  22. Diese Position wird von D. C. Esty auf S. 205 vertreten.

  23. Vgl. ebd., S. 214 f.; SRU (Anm. 7), S. 334.

  24. Vgl. K. Anderson (Anm. 20), S. 246; J. N. Bhagwati/T. N. Srinivasan (Anm. 13).

  25. Als Anknüpfungspunkt eignen sich beispielsweise die Erfahrungen mit dem Verhandlungsprozeß bei der Schaffung der Nordamerikanischen Freihandelszone; vgl. D. C. Esty (Anm. 1), S. 214 f.

  26. D. C. Esty, ebd., skizziert auf S. 216 die Möglichkeiten der Änderungen des GATT.

  27. Eine positivere Einschätzung von Harmonisierungsforderungen vertreten Daniel Rodrik, Sense and Nonsense in the Globalization Debate, in: Foreign Policy, Summer 1997, S. 19-37, insbes. S. 27ff., und W. Althammer (Anm. 4), Kap. 6. 4.

  28. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) hingegen lehnt in seinem jüngsten Jahresgutachten handelspolitische Sanktionen zur Durchsetzung umweltpolitischer Ziele oder multilateraler Lösungen für globale Umweltgüter ab. Vgl. SVR, Jahresgutachten 1998/99 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode. Drucksache 14/73SVR (1998), Ziffer 512.

  29. Vgl. hierzu J. N. Bhagwati/T. N. Srinivasan (Anm. 13), S. 198 f.

  30. Vgl. SRU (Anm. 7), S. 332. Eine genauere Analyse dieser Situation findet sich in J. N. Bhagwati/T. N. Srinivasan, ebd., S. 196 ff.

  31. Dieser Vorschlag wird in J. N. Bhagwati/T. N. Srinivasan, ebd., entwickelt.

Weitere Inhalte

Michael Pflüger, Dr. rer. pol., geb. 1962; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Allgemeine Wirtschaftsforschung, Abteilung für Wirtschaftstheorie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Veröffentlichungen u. a.: Neukeynesianismus und Marktmacht, Freiburg 1994; (zus. mit Oliver Land-mann) Verteilung und Außenwirtschaft. Verteilungswirkungen der Globalisierung, in: B. Gahlen/H. Hesse/H. J. Ramser (Hrsg.), Verteilungsprobleme der Gegenwart. Diagnose und Therapie, Tübingen 1998; Globalisierung und Nachhaltigkeit, in: Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht, (1999) 1.