Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Politik im Unterhaltungsformat. Zur Inszenierung des Politischen in den Bildwelten von Film und Fernsehen | APuZ 41/1999 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 41/1999 WWW. Neugier und Vernetzung. Ein kulturgeschichtlicher Essay Von der Generation X zur Generation @. Leben im Informationszeitalter Politik im Unterhaltungsformat. Zur Inszenierung des Politischen in den Bildwelten von Film und Fernsehen IT-Sicherheit und Schutzrechte im Internet

Politik im Unterhaltungsformat. Zur Inszenierung des Politischen in den Bildwelten von Film und Fernsehen

Andreas Dörner

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Beitrag zeigt auf, daß die politische Realität in der Gegenwartsgesellschaft weitgehend zu einer Medienrealität geworden ist, die den Regeln des Unterhaltungsmarktes folgt. Politische Akteure nutzen zunehmend die Mittel der Unterhaltungsformate der Massenmedien zum Machtgewinn, und die Medien-Macher wiederum greifen immer häufiger auf Themen, Ereignisse und Akteure aus dem politischen Feld zurück. Das Bild des Politischen, wie es in Filmen, Fernsehserien, Talk-und Spielshows erscheint, ist daher nachhaltig durch die Stilmittel und Bildwelten der Unterhaltungskultur geprägt. Politik im Modus der Unterhaltung erreicht besonders viele Bürger, weil sie das Politische mit einem „Feel-Good“ -Faktor und mit utopischen Qualitäten inszeniert. Bildästhetik und Musiksprache erreichen eine emotionale Intensität, wie sie ansonsten dem politischen Diskurs meist fremd geworden ist. Die neuen Unterhaltungsöffentlichkeiten können dabei, trotz mancher Defizite, durchaus positive Wirkungen entfalten: Sie eröffnen kommunikative Partizipationsmöglichkeiten, produzieren gemeinsame Wissensbestände auch über sozialstrukturelle Schranken hinaus, bieten leicht zugängliche Kommunikationsforen und vermögen wertvolle Traditionsbestände der politischen Kultur zu stabilisieren. Die Folgerung lautet deshalb, daß mit „apokalyptischer“ Kulturkritik an den neuen Realitäten wenig gewonnen ist. Statt dessen gilt es, die Eigenheiten von Unterhaltungsöffentlichkeiten möglichst genau zu analysieren, um allen politischen Akteuren eine differenzierte Reaktion auf die veränderten Verhältnisse zu ermöglichen.

I. Politische Unterhaltung und unterhaltende Politik

Wie gewinnt man eine Landtagswahl gegen den seit langer Zeit erfolgreich amtierenden und in der Bevölkerung beliebten Ministerpräsidenten? Klaus Breuer, Spitzenkandidat der wichtigsten Oppositionspartei im Land, hat die Zeichen der Zeit erkannt und weiß, wie der Machterwerb im Zeitalter der Erlebnisgesellschaft zu bewerkstelligen ist: Er stellt seine attraktive Ehefrau Babette in den Mittelpunkt der Wahlkampagne. Die nämlich ist nicht nur jung und schön, sondern auch ein populärer Musicalstar, dem das ältere wie das jüngere Publikum zu Füßen liegt. Babette Breuer tritt schließlich kurz vor dem Wahltermin in einer TalkShow auf, in der sie mit einer schwungvollen Gesangseinlage vollends die Herzen der Zuschauer und somit die entscheidenden Stimmen für ihren Mann gewinnt. Der neue Ministerpräsident heißt Breuer, und das attraktive junge Paar eröffnet den ersten Presseball der Legislaturperiode mit einem temperamentvollen Tango.

Diese Geschichte ist fiktiv, könnte sich aber doch so ereignet haben. Sie wird erzählt in dem Fernsehfilm Rache ist süß der im Stil einer Doppelgänger-und Verwechselungskomödie die Grundregeln des politischen Handelns in der heutigen Unterhaltungsöffentlichkeit vorführt. Nicht etwa überzeugende Programme oder die Professionalität der politischen Akteure sind am Wahltag die entscheidenden Voraussetzungen für den Erfolg, sondern die Fähigkeit, auf der Klaviatur des Entertainment zu spielen. Gleichzeitig ist der Film ein gutes Beispiel für die in der deutschen Medienkultur beobachtbare Tendenz, politische Themen, Ereignisse und Akteure als Material in Unterhaltungssendungen zu verwenden. Die „neue Intimität“ zwischen Politik und Unterhaltungskultur, welche die Realität des Politischen am Ende des 20. Jahrhunderts prägt, enthält beides: Politiker, die sich der gängigen Unterhaltungsformate bedienen, und Medien, die den politischen Prozeß als Hintergrund für ihre Krimi-oder Komödienhandlungen verwenden

Beides führt dazu, daß das öffentliche Bild des Politischen immer deutlicher durch die Stilmittel und Bildsprachen des Entertainment gestaltet wird Die Massenmedien, allen Voran das Fernsehen, durchdringen heute den Alltag nahezu aller Bürger. Wir verbringen durchschnittlich viermal soviel Zeit mit dem Konsum von Medien wie mit persönlichen Gesprächen. Der Fernseher ist zwar noch nicht wie in amerikanischen Haushalten durchschnittlich jeden Tag sieben Stunden eingeschaltet, aber die hiesigen Verhältnisse gleichen sich dem immer mehr an *Bedenkt man schließlich, wie sehr auch die normale Alltagskommunikation durch mediale Vorgaben, durch Themen, Figuren und Zitate vor allem aus Fernseh-und Radioprogrammen, bestimmt ist, dann wird klar, in welchem Maße unsere Gesellschaft zur Medien-gesellschaft geworden ist. Inhaltlich werden die Programmangebote eindeutig dominiert durch Unterhaltungsformate. Was in den Vereinigten Staaten vom Beginn der massenmedialen Kommunikation an galt, hat sich in Deutschland mit der Einführung des dualen Rundfunksystems in den achtziger Jahren ebenfalls durchgesetzt: Wer sich auf dem Markt der Medien behaupten will, der muß auf attraktive Unterhaltung setzen. Das gilt nicht zuletzt auch für die öffentlich-rechtlichen Anbieter, die sich daher ständig in einem schwierigen Balanceakt zwischen Bildungsauftrag und Quote befinden.

Die Mehrzahl der politischen Akteure hat die Folgen dieser Entwicklung längst erkannt. Das Medienpublikum ist zugleich auch Elektorat, jeder Wähler ist auch Mediennutzer. Die Erreichbarkeit der potentiellen Wählerschaft ist am besten über den Kanal der massenmedialen Unterhaltungsformate zu sichern Politische Akteure und Institutionen müssen daher nicht nur ihre gesamte Selbstpräsentation den veränderten Wahrnehmungsgewohnheiten und Erwartungshorizonten eines durch die Bilderflut der Medienunterhaltung sozialisierten Publikums anpassen, sondern auch den Weg in die Unterhaltungsforen hinein wählen, wenn sie die knapp gewordene Ressource Aufmerksamkeit erheischen wollen.

Im Bundestagswahlkampf 1998 hat Gerhard Schröder anschaulich vorgeführt, was es heißt, die Funktionslogik der medialen Erlebnisgesellschaft im Prozeß des demokratischen Machterwerbs zu nutzen. So wurden beim großen SPD-Parteitag, der im Frühjalir 1998 in Leipzig stattfand, die sonst eher sachlich und nüchtern daherkommenden Akteure in eindrucksvoller Licht-und Farbästhetik in Szene gesetzt. Schwungvolle popmusikalische Darbietungen rahmten das Geschehen ein, und beim Höhepunkt der Show wurde schließlich Schröders neuer Wahlkampfspot überlebensgroß auf der Bildschirmwand zelebriert In einer Bildästhetik, die stark angelehnt war an den visuellen

Code von MTV-Musikvideoclips, trat der Kanzlerkandidat als ein souveräner Macher auf, der in der Lage ist, vorhandene Visionen in politische Realität umzusetzen.

Verstärkt wurde diese Ästhetik des „Machers“ durch eine geschickt eingesetzte musikalische Rahmung. Es ertönte die hymnische Filmmusik aus der Hollywood-Produktion Airforce One (1997). Die Semantik dieses populären Films, in dem der amerikanische Präsident (Harrison Ford) als heroischer Streiter für sein Land durch entschlossenes Handeln im Alleingang eine ganze Gruppe von Terroristen besiegt, verlieh dem niedersächsischen Ministerpräsidenten und Kanzler-kandidaten -zumindest für den Moment der Inszenierung -ebenfalls die außeralltägliche Aura des politischen Erlöserhelden, mit dessen Erscheinen alles besser werden kann. In dieser Inszenierung vollzog sich das, was für die Präsenz des Politikers in der medialen Erlebnisgesellschaft zunehmend typisch wird: die Transformation des realen Akteurs in eine „hyperreale“ Medienfigur, an die sich Bedeutungen, Werte, Sehnsüchte und Sinnverheißungen anlagern Diesen Status einer Medienfigur hat Schröder weiter dadurch gefördert, daß er als niedersächsischer Ministerpräsident, also sich selbst spielend, auch in Unterhaltungsformaten des Fernsehens auftrat. So gab es im Mai 1998 großen Presserummel, als bekannt wurde, daß der Kanzlerkandidat Dreharbeiten für einen Auftritt in der Serie Gute Zeiten, Schlechte Zeiten absolviert hatte. Hier wurde ganz bewußt eine vor allem beim jüngeren Publikum populäre Serie genutzt, um dem Politiker an der Seite von Popstars wie „Oli P.“ ebenfalls medialen Kultstatus zu verleihen.

Die SPD-Wahlkampfstrategen haben damit freilich nur gelehrig das umgesetzt, was amerikanische Polit-Profis ausführlich vorexerziert hatten. So hat das Team um Bill Clinton schon zu Beginn der neunziger Jahre die etablierten seriösen Medien im Hintergrund belassen und statt dessen auf Unterhaltungsmedien gesetzt Talk-Shows, insbesondere auf den Sendern MTV und CNN, waren die bevorzugten Foren des Kandidaten. Clinton bezog sich in seinen Äußerungen oft auf Elvis Presley, den Rock’n Roll Star, der für die Generation Clintons ein wichtiger Sozialisationsfaktor gewesen war. Elvis symbolisierte eine nonkonformistische Kultur, die sich von der älteren Generation nichts mehr sagen läßt. Dieses Image des Rebellen ließ sich rhetorisch gut verbinden mit der Proklamation des Wechsels, die in Clintons Motto „Time for a change in America“ Ausdruck fand. Nicht zufälligerweise wurde Clinton durch die bekannte Szene-Zeitschrift „Rolling Stone“ massiv unterstützt. Der Höhepunkt dieser medienkulturellen Kampagne fand Anfang Juni des Jahres 1992 statt, als Clinton mit schwarzer Sonnenbrille einen musikalischen Auftritt in der Arsenio Hall-Show hatte. Er spielte auf seinem Saxophon Elvis Presleys Hit Heartbreak Hotel; mit dieser Inszenierung als Popstar gewann Clinton die Offensive in der amerikanischen Medienöffentlichkeit zurück, die er zuvor an Ross Perot verloren hatte.

Am Ende der neunziger Jahre läßt sich für die westlichen Demokratien ohne Übertreibung formulieren, daß ein Spitzenpolitiker nur dann wirklich Aussicht auf Erfolg hat, wenn er bereit ist, in die Unterhaltungsformate zu gehen und dort Imagepolitik und Impression Management zu betreiben. Wer etwa in Deutschland nicht wenigstens einmal zum Talk bei Alfred Biolek und Harald Schmidt oder in eine Show wie Wetten daß? eingeladen wird, der hat aufgrund mangelnder Medienprominenz zu wenig Öffentlichkeitsmacht, um politisch etwas zu bewegen.

Dieser Entwicklung zur unterhaltenden Politik korrespondiert die Tendenz der Medien, politische Themen, Ereignisse und Akteure als Material für Unterhaltungssendungen zu nutzen. Auch hierbei haben die USA über lange Zeit eine Vorreiterrolle gespielt. Das amerikanische Kino hat stets politische Sujets gewählt, von den Anfängen bei D. W. Griffith’ Birth of a Nation (1915) über den Klassiker Mr. Smith Goes to Washington (1939) bis zu den zahlreichen Filmen in den neunziger Jahren, in denen der Präsident eine tragende Rolle spielt Auch im Fernsehen ist das Politische stets präsent. In fast allen Serien, auch in den Polizei-und Justiz-serien, werden seit langem schon Wahlen für politische Ämter von Staatsanwälten, Sheriffs und Bürgermeistern immer wieder thematisiert Kommentare zur Tagespolitik durchziehen vor allem die Situationskomödien, weil hier im Produktionsablauf schnell auf aktuelle Ereignisse reagiert werden kann. Außerdem gibt es Serien, die sich ganz dem Politischen verschrieben haben: All in the Family mit der Zentralfigur des rechtsaußen stehenden, nur in Vorurteilen denkenden Archie Bunker; Grandpa Goes to Washington, wo ein Kongreßabgeordneter und pensionierter Politologe im Mittelpunkt steht; oder Spin City, eine aktuelle Serie, die auf vergnügliche Weise die Kommunalpolitik in New York City anhand der Figur des Deputy Mayor Michael Flaherty thematisiert. The Simpsons schließlich, eine Kult-Zeichentrick-Serie, die sich im amerikanischen Abendprogramm vor allem an Erwachsene wendet, ist voll von politischen Geschichten und Seitenhieben auf Amtsträger und Institutionen

In Deutschland hat sich in den letzten Jahren ebenfalls eine Kultur des politischen Entertainment herausgebildet. Eine feste Institution des linksliberalen politischen Diskurses ist beispielsweise die Lindenstraße geworden. Hier werden nicht nur ständig kritische Kommentare zur Tagespolitik eingeflochten, sondern auch Modelle des sozialen und politischen Engagements vorgeführt. Die Bürger der Lindenstraße setzen sich erfolgreich gegen rechtsradikale Umtriebe zur Wehr, integrieren griechische und türkische Ausländer ebenso wie Ostdeutsche und Aussiedler, gründen Bürgerinitiativen zur Verkehrsberuhigung von Straßen, führen Protestaktionen gegen Atomstrom durch und fördern auf Nachhaltigkeit angelegte Energieprojekte -und sie leben bzw. anerkennen schließlich alternative Lebensstile von der Patchtvor/c-Familie über die Homosexuellen-Ehe bis zur Wohngemeinschaft von Rentnern. Der gesamte Political-Correctness-Kanon der gegenwärtigen politischen Öffentlichkeit in Deutschland kann zuverlässig den Folgen dieser populären Dauerserie entnommen werden.

Daneben hat sich aber auch eine neue Kultur der Polit-Thriller herausgebildet. Interessant sind dabei weniger die eher konventionellen Agenten-Krimis wie die Tresko-Trilogie (1996), sondern die politisch dimensionierten neuen Filme der Tatort-Reihe in der ARD oder der Rosa-Roth-Reihe im ZDF Aber auch die privaten Anbieter haben hier nachgezogen. In dem ambitionierten Polit-Thriller Macht (1998) wird ein Spitzenpolitiker und Kanzlerkandidat entführt, und der Film zeigt nach und nach, wie alle politischen Akteure -selbst das sympathisch erscheinende Entführungsopfer -in fragwürdige Machenschaften verstrickt sind. Eine von moralischen Normen befreite „Realpolitik“ erscheint hier als unverzichtbare Bedingung des politischen Erfolges. Das Happy-End des Films hat zugleich utopische Qualitäten, weil der Politiker -geläutert durch Frau und Kind -am Ende seine Verfehlungen ohne Not öffentlich eingesteht, Wiedergutmachung gelobt und von seinen Ämtern zurücktritt. Und der ästhetisch an das neuere Hollywood-Kino angelehnte Film Götterdämmerung -morgen stirbt Berlin (1999) zeigt, wie eine junge Historikerin durch beherztes Eingreifen die vollständige Zerstörung der neuen deutschen Hauptstadt durch einen alt-und neonazistisch motivierten Terroranschlag verhindert. Politische Komödien wie Der Papagei (1992), in der Harald Juhnke als Marktschreier und abgehalfterter Schauspieler zum Kandidaten einer Rechtspartei erkoren wird, oder Schtonk (1992), wo der Kult um die gefälschten Hitler-Tagebücher aufs Korn genommen wird, runden das Bild ab.

II. Unterhaltung: Utopische Welten mit Feel-good-Faktor

Um nun verstehen zu können, warum Medienunterhaltung heute so allgegenwärtig geworden ist und politische Bedeutsamkeit erlangt hat, muß man die Charakteristika unterhaltender Kommunikationsformen offenlegen. Was ist Unterhaltung, und was macht sie auch im Feld des politischen Handelns so attraktiv? Der Schlüssel zum Verständnis liegt in dem besonderen Realitätsmodus von Unterhaltungswelten. Im Anschluß an Alfred Schütz’ Theorie der sozialen Konstruktion von Wirklichkeiten kann Unterhaltung als spezifischer Sinnbereich bestimmt werden, der durch einen Als-ob-Modus charakterisiert ist

Die Als-ob-Welt kann demnach eine im klassischen Sinne fiktionale Welt sein, wie sie z. B. in Spielfilmen oder Fernsehserien entworfen wird. Oder aber es handelt sich um Spielwelten, deren Als-ob-Realität erst durch die (konstitutiven) Spielregeln erschaffen wird; dazu zählen Wettkampfspiele (Sport, Quiz, Game-Show) und Glücksspiele. Als-ob-Welten bleiben dabei stets auf die Logik der Alltagswelt als „ausgezeichnete Wirklichkeit“ (Schütz) bezogen, haben aber einen anderen Erkenntnisstil. Sie sind freigestellt von der Dringlichkeit des alltagsweltlichen Handelns, sind losgelöst von den raum-zeitlichen Regeln, denen unser Alltagsleben unterliegt, und sie bieten vor allem über die Identifikation eine Möglichkeit, ganz unterschiedliche Rollen und Erfahrungsräume durchzuspielen. Identifikation stellt die Brücke zwischen der dargebotenen Welt und der eigenen Erfahrung dar, sie ermöglicht Teilnahme an der fiktionalen Realität und ist somit auch Voraussetzung für mögliche spätere Transfers von Wissens-und Erfahrungssegmenten in die Alltags-welt der Mediennutzer.

Die Als-ob-Welten sind in der Regel durch eine reduzierte Komplexität gekennzeichnet und somit besonders orientierungsfreundlich. Diese Orientierungsfreundlichkeit aber macht das Unterhaltende wiederum politisch so bedeutsam: Politikbilder, Deutungsmuster, Wahrnehmungsfolien der Unterhaltungskultur sind deshalb ein so wichtiges Moment von politischer Kultur, weil sie Medien-nutzern in angenehmen, entspannten und von Alltagslasten befreiten Situationen eingängige Schemata zur Wahrnehmung, Deutung und Sinngebung von politischer Realität vermitteln. Wenn Unterhaltung eine Möglichkeit bietet, in Stimmungen einzugreifen, wie sich mit Blick auf die amerikanische Forschung zeigen läßt dann eröffnen Bilder des Politischen im Unterhaltungsmodus besonders effektive Vermittlungsmöglichkeiten, weil hier eine Rahmung mit ausgesprochen positiven emotionalen Randbedingungen vorhegt. Man fühlt sich wohl, glaubt sich in einer von pragmatischen Zwecken und politischen Ideologien losgelösten Situation zu befinden und nimmt daher die angebotenen Deutungsmuster bereitwillig auf.

Unterhaltungserlebnisse sind in der Regel mit einem „Feel-good“ -Faktor verbunden. Die Als-ob-Welten des Entertainment sind deshalb so attraktiv, weil sie sich zwar einerseits auf unsere alltags-weltlichen Erfahrungen mit der „ausgezeichneten Wirklichkeit“ im Sinne von Schütz beziehen, gleichzeitig jedoch „besser“ sind. Unterhaltende Als-ob-Welten sind utopisch -und zwar weniger in der Weise, daß sie uns Modelle einer besser organisierten Gesellschaft präsentieren, sondern indem sie eine Emotion des Utopischen, ein Gefühl der besseren (politischen) Wirklichkeit vermitteln Dieses politische „Feel good“ wird ermöglicht auf zwei analytisch zu trennenden, aber stets zusammenwirkenden Zeichenebenen: Auf der Ebene der repräsentierenden Zeichen sind beispielsweise die Charaktere klarer, die Helden moralischer, die Konflikte einfacher zu lösen als in der realen Welt unserer Alltagserfahrung. Auf der Ebene der nichtrepräsentierenden Zeichen werden unsere Emotionen besonders intensiv angesprochen, weil es hier Korrespondenzen zwischen der Logik der Zeichen und der Logik des Fühlens gibt, die eine besonders unmittelbare Wirkung ermöglichen. Musik, Farbigkeit, Struktur des Bildaufbaus, Bewegung und Rhythmus sind solche Zeichenformen. Ob beispielsweise eine Filmszene als spannend, beängstigend, trostlos oder aber ermutigend und triumphal erfahren wird, ist maßgeblich durch die begleitende Musik gesteuert. Richard Dyer macht schließlich deutlich, daß die Gefühlsqualitäten utopischer Unterhaltungserlebnisse auf ganz bestimmte Entbehrungen und Probleme in der realen Welt bezogen sind.

Aus dieser „Passung“ erklärt sich, warum Unterhaltung so gut funktionieren kann. Die entsprechenden Gefühlsqualitäten sind: Überfluß im Gegensatz zur realen Knappheit, Energie im Gegensatz zur realen Verbrauchtheit und Schwäche, Intensität im Gegensatz zu Langeweile und Monotonie, Transparenz und Spontaneität im Gegensatz zu Manipulation und Täuschung, Gemeinschaft im Gegensatz zur Fragmentierung der realen Alltagswelt Bezieht man diese Spezifika der Unterhaltung auf den Bereich der politischen Kommunikation, dann bedeutet dies, daß das Politische im Modus orientierungsfreundlicher Als-ob-Welten erfahren und verarbeitet wird. Diesen Welten eignet zugleich das Potential eines utopischen Emotionsmanagements, das uns fühlen läßt: Die politische Welt kann auch anders sein, nämlich intensiv, energiegeladen, transparent und gemeinschaftlich. Machen wir das Gesagte an einigen Beispielen deutlich: In dem amerikanischen Film Top Gun (1986) wird mit professionell gehandhabten ästhetischen Mitteln das Bild einer voll integrierten militärischen Gemeinschaft entworfen, in der ehrgeizige und schöne junge Menschen im Dienste einer guten Sache nicht nur sinnvoll für die nationale Gemeinschaft kämpfen, sondern dabei gleichzeitig auch ihre Abenteuerlust ausleben und Karriere machen können. Dieses utopische Bild einer attraktiven und sinnvollen Gemeinschaft hat in Amerika nicht nur das positive Image des Militärs wiederhergestellt, das nach der Vietnam-Erfahrung stark in Frage gestellt war, sondern es hat durch geschicktes Emotionsmanagement auch zahlreiche junge Männer dazu bewogen, sich freiwillig zu den US-Marinefliegern zu melden *Independence Day (1996) zeigt uns im Angesicht einer die Existenz der freien Menschheit bedrohenden Gefahr durch außerirdische Invasoren die Utopie der (unter amerikanischer Führung) solidarisch vereinten Weltgemeinschaft, die durch gemeinsames Handeln die Gefahr abwendet. Der amerikanische Präsident ist ein junger, attraktiver und mutiger Militärflieger (Bill Pullman), und den entscheidenden Schlag gegen die Aggressoren führt ein Team, das aus einem verspielten Intellektuellen (Jeff Goldblum) und einem lebenslustigen Schwarzen (Will Smith) besteht -eine anschauliche Integrationsutopie. Aber politische Utopien sind auch in weniger martialischen Kontexten präsent. So wird in Dave (1993) die Möglichkeit einer guten, integeren und sozial gerechten Politik vorgeführt, und -um ein deutsches Beispiel anzuführen -in dem schon erwähnten Thriller Götterdäm­ merung -morgen stirbt Berlin (1999) gelingt es einer jungen, attraktiven Historikerin, durch hartnäckige Recherchen und schließlich auch durch beherztes Handeln die gesamte Hauptstadt vor dem Untergang in einem Flammeninferno zu bewahren.

In allen Fällen ist beobachtbar, daß die Attraktivität und emotionale Wirksamkeit der Erzählungen durch eine ausgefeilte Bildästhetik und vor allem durch gezielt eingesetzte Musikpassagen sichergestellt wird. Diese Mittel finden dann auch in der realen Politik ihre Verwendung. Kommen wir hier noch einmal auf das Beispiel Gerhard Schröder zurück. Dieser hatte seinen Videoclip auf dem Leipziger Parteitag mit der Musik aus dem Film Airforce One rahmen lassen. Der entscheidende Effekt dieser hyperrealen Transformation ist eine Fiktionalisierung des realen Akteurs. Schröder, der Kanzlerkandidat, wird in der Rahmung der heroischen Filmmusik zu Schröder, dem Superhelden, der die Gewißheit ausdrückt, die politische Malaise des reformblockierten Deutschland beheben zu können. Die unterhaltende Inszenierung versetzt das Politische in den Modus einer Als-Ob-Welt, die spielerischer und bunter ist als die „reale“ Welt. Das Politische erscheint interessant und attraktiv, obwohl -oder vielleicht auch gerade weil -es von realen Handlungskonsequenzen weitgehend abgelöst ist.

III. Unterhaltungsöffentlichkeit: politische Defizite und Potentiale

Unterhaltende Politik und politische Unterhaltung haben aufgrund ihrer ästhetischen Attraktivität und emotionalen Intensität die Erreichbarkeit des Publikums und damit auch der potentiellen Wählerschaft erheblich gesteigert. Es stellt sich dabei allerdings die Frage, ob dieser Popularitätsgewinn mit Kosten verbunden ist, die letztlich die Substanz des Politischen im Feuerwerk der Unterhaltungskultur auflösen. In der Geschichte der wissenschaftlichen Beschäftigung mit populär-kulturellen Phänomenen gibt es „Apokalyptiker“ und „Integrierte“ Die „Apokalyptiker“, deren Reihe von Kulturkonservativen wie Matthew Arnold über die Frankfurter Schule bis zur heutigen Kulturkritik reicht, haben immer die Kosten in den Vordergrund gestellt. Die Funktion der „Kulturindustrie“ ist demnach das Vorgaukeln des guten Lebens mit dem Ziel der Integration, Affirmation oder, wie es der Untertitel des entsprechenden Kapitels bei Horkheimer und Adorno drastisch ausdrückt, des „Massenbetrugs“ Demgegenüber behaupten die „Integrierten“ entweder, daß Unterhaltung ein bisweilen auch lehrreicher Spaß sei, oder aber sie sehen in der modernen Populärkultur sogar große Potentiale für die politische Selbstverwirklichung und den „Widerstands-kampf“ der Bürger, die im Staat ansonsten nicht viel zu bestimmen haben -letztere Sicht wird vor allem in bestimmten Arbeiten der Cultural Studies propagiert

Illusion und Blendwerk für die unterdrückten Bürger einerseits, Selbstfindungs-und Befreiungsinstrument andererseits -ein angemessenes Bild läßt sich letztlich nur durch eine abgewogene Erörterung der Vor-und Nachteile entwickeln: 1. Zunächst sollte nicht unterschätzt werden, daß Mediennutzung tatsächlich politische Partizipationsräume eröffnet. Damit ist zunächst gemeint, daß mediale Angebote in Gesprächen und Diskussionen in der Alltagswelt verarbeitet und zur Meinungsbildung genutzt werden können So werden z. B. auch in den über das Internet verknüpften Fan-Gemeinden von Unterhaltungsserien Diskussionen über die politischen Inhalte geführt Weiterhin können Medienangebote zum Anlaß und Aufhänger für politische Aktionen gemacht werden. Die amerikanische Hausfrau Terry Rakolta hat beispielsweise das negative Bild der Familie in der Serie Married . . . with Chitdren (dt. Eine schrecklich nette Familie) zum Anlaß genommen, eine großangelegte Kampagne gegen die Serie zu führen und Werbekunden wie Coca Cola oder McDonald’s zum Rückzug ihrer Aufträge zu bewegen Und die Ausstrahlung des Films The Day After wurde 1982 in den USA zum Kern einer landesweiten Aktion gegen Atomwaffen gemacht. Vor allem in den Vereinigten Staaten nutzen Parteien, Interessenverbände und Watch Dog-Gruppen immer wieder die Ausstrahlung von Sendungen dazu, Probleme zu thematisieren und politische Aufmerksamkeiten zu steuern -in Deutschland beginnen die politischen Akteure erst, dieses Potential zu entdecken. 2. Unterhaltungsöffentlichkeiten bieten den Rahmen für „Interdiskurse“ die den Autismus von gesellschaftlichen Teilsystemen und hochspezialisierten Diskursen zu überwinden vermögen und das Politische -wie reduziert auch immer -allgemein zugänglich halten. Vor allem populäre Sendungen vermögen, auch in Zeiten weitgehender Differenzierung und Pluralisierung im Mediensystem große Publikumsgruppen zu erreichen. Sie bieten eine kommunikative Infrastruktur, die zur Thematisierung von politischen Problemen genutzt werden kann. Unterhaltungsöffentlichkeiten sind also in gewissem Maße dazu geeignet, den Fragmentierungstendenzen des öffentlichen Diskurses entgegenzusteuern. 3. Hinzu kommt, daß soziale Asymmetrien in der gesellschaftlichen Wissensverteilung in diesem Bereich weniger greifen. Sozialstrukturelle Unterschiede sind hier weitgehend zu vernachlässigen. So hat Oliver Stones Filmepos JFK (1991), in dem der mysteriöse Mord an Präsident John F. Kennedy als Verschwörung von Exilkubanern, Militärs, Geheimdienstlern und Wirtschaftslobby dargestellt wird, in den USA heftige öffentliche Debatten ausgelöst Der Film und die Diskussion waren bald Professoren und Politikern ebenso bekannt wie Angestellten, Arbeitern und Schülern. 4. Filme und erfolgreiche Fernsehserien wirken an der Setzung von öffentlichen Themen mit. In einer Zeit der Informations-und Reizflut ist Aufmerksamkeit ein besonders knappes Gut. Daher müssen die Bildwelten, an denen sich eine Reflexion anschließen kann, bewirtschaftet und knapp gehalten werden. Die Marktmechanismen der populären Medienkultur leisten eine solche Verknappung, indem ein relativ kleines Segment der insgesamt produzierten Angebote jeweils so in den Mittelpunkt rückt, daß sehr viele Menschen ihre knappe Zeit und Aufmerksamkeit diesem Angebot zuwenden. JFK zählte im Jahr 1991 mit über 70 Mio. Dollar Erlös in den USA zu den meistgesehenen Filmen. Titanic hat in der Saison 1997/98 sogar weit über eine Milliarde Dollar erwirtschaftet und weltweite Diskussionen nicht nur über die den Tod überwindende romantische Liebe, sondern auch über den Fortschrittsmythos und die Gefahren einer blinden Technikgläubigkeit am Ende des 20. Jahrhunderts ausgelöst 5. Unterhaltungsöffentlichkeiten ermöglichen in diesem Sinne die Herausbildung von dem, was die neuere Kommunikationssoziologie als -„öffentliche Meinung“ mit wichtigen Orientierungsfunktionen für das Publikum beschreibt In der öffentlichen Meinung kristallisiert sich auch der Wertekonsens einer Gesellschaft heraus. So zeigen die Beispiele, die oben für die neue Inszenierung des Politischen in deutschen Unterhaltungsfilmen herangezogen wurden, daß die Themen NS-Vergangenheit und Rechtsradikalismus/Neonazismus in der deutschen Unterhaltungsöffentlichkeit dominieren. Die Medienangebote spiegeln und verstärken hier zugleich einen Konsens, der die bundesrepublikanische Gesellschaft über Jahrzehnte hinweg stabil integriert hat: die deutliche Ablehnung aller Artikulationen von rechtsradikalen oder NS-orientierten Positionen 6. Schließlich sind Unterhaltungsöffentlichkeiten auch ein wichtiger Faktor für die Stabilisierung von politischen Kulturen. Indem sie Normalitätserwartungen bedienen und sich aus Marktgesichtspunkten in aller Regel im konsensfähigen Bereich bewegen, festigen sie Traditionsbestände. Während in den USA bestimmte Muster wie der Republikanismus und der Individualismus durch ihre stets neue Inszenierung in den Unterhaltungsmedien auch nach mehreren Jahrhunderten noch immer im öffentlichen Wahrnehmungsraum präsent sind läßt sich für Deutschland immerhin konstatieren, daß in Krimis und Komödien mit antinazistischen Werten ein wichtiger Teil des politisch-kulturellen Selbstverständnisses, der sich nach 1945 herausgebildet hat, auf unterhaltsame Weise lebendig gehalten wird. Diese Leistungen zeigen an, daß Unterhaltungsöffentlichkeiten in der modernen Gegenwartsgesellschaft durchaus Integrationsfunktionen wahrnehmen können.

Freilich stehen dem deutliche Defizite gegenüber: 1. In der Unterhaltungsöffentlichkeit sind auch jene Probleme erkennbar, die sich allgemein für massenmediale Öffentlichkeiten feststellen lassen: Es gibt Zugangsbarrieren, Asymmetrien und Ungleichheiten bei der Präsenz von Teilnehmern und Meinungen, beim Einfluß von Sprechern und bei den Wissensvoraussetzungen Faktoren wie Geld, Prestige, Bildung und das soziale Kapital einflußreicher Netzwerke sind wichtige Steuerungsgrößen, die den Zugang zu den öffentlichen Foren steuern. 2. Das Politische wird im Unterhaltungsformat ohne Zweifel verkürzt, emotionalisiert und personalisiert. Eine adäquate, differenzierte Information über den politischen Prozeß kann hier nicht stattfinden. Aber Informationsdefizite sind bei der derzeitigen Politikmüdigkeit auch nicht das zentrale Problem. Man sollte bedenken, daß der emotionale Zugang zum Politischen, die Erfahrbarkeit seiner Relevanz in einer spannenden Bilderzählung, welche Identifikationsmöglichkeiten und Katharsismomente bietet, keine geringe Leistung in einer Welt darstellt, in der politische Akteure und Institutionen immer ferner und abstrakter zu werden drohen.

IV. Folgerungen

Politische Realität ist in der Gegenwartsgesellschaft zu einer Medienrealität geworden, und diese Medienrealität gehorcht heute weitgehend den Gesetzen des Unterhaltungsmarktes. Nicht gut oder böse, effektiv oder ineffektiv sind in diesem Kontext die Leitdifferenzen, sondern unterhaltsam oder langweilig. Diese neue (Medien-)

Realität des Politischen läßt sich nur um den Preis der Erfolglosigkeit dauerhaft ignorieren. Das große Potential an Politikvermittlung, das in der populären Medienkultur verborgen ist, wird tatsächlich auch jenseits von Partei-und Verbände-interessen zunehmend genutzt. So versuchen die öffentlich-rechtlichen Medienanbieter ihren (politischen) Bildungsauftrag dadurch wahrzunehmen, daß relevante Themen mit den Mitteln des Infotainment unterhaltsam aufbereitet werden. Und mitunter gelingt es auch, eigentlich ausgesprochen spröde Problematiken wie das Zoll-und Steuerrecht durch eine mediengerechte Gestaltung im Krimi-Format ebenso spannend wie interessant darzustellen: Die schwierigen Recherchen des sympathischen Zollfahnders Zaluskowski in der Serie Schwarz Rot Gold hat ein Millionenpublikum verfolgt. Nicht uninteressant ist schließlich, daß auch im deutschen Kontext zunehmend offenes und verdecktes Sponsoring von TV-Produktionen mit dem Ziel direkter oder indirekter symbolischer Politik erfolgt. So wurde die Miniserie Klinik unter Palmen (1996) mit dem Schwärzwaldklinik-Star Klaus-Jürgen Wussow in der Hauptrolle aus dem deutschen Entwicklungshilfe-Etat mit nicht weniger als 276 000 DM gefördert. Das Ministerium hat sich später auch an einer Tatort-Folge zum Thema Kinderprostitution beteiligt. Und ähnlich wie das amerikanische Pentagon hat der Bundesgrenzschutz den Produzenten der Serie Küstenwache (1997) ein ganzes Boot zum Billig-tarif überlassen, um so ein positives Bild von der eigenen Organisation auf den Bildschirm zu bringen. Allerdings zeigt gerade auch die Klinik unter Palmen, daß derartige Unternehmen gründlich mißlingen können, weil die politische Botschaft vor lauter Südsee-Ambiente, Herz-Schmerz-Geschichten sowie Sex-and-Crime-Elementen gar nicht mehr erkennbar ist.

Gleichwohl ist offensichtlich, daß die populäre Medienkultur mit ihren Unterhaltungsformaten ein Potential an politischer Kommunikation bietet, das vor allem hinsichtlich der Erreichbarkeit des Publikums und der emotionalen Intensität der Medienrezeption konkurrenzlos erscheint. Dieses Potential könnte, vor allem durch die öffentlich-rechtlichen Anbieter, noch besser genutzt werden. So wäre die oft blutleere Europa-Thematik über eine verstärkte Berücksichtigung von Unterhaltungsangeboten aus anderen EU-Ländern mit Leben zu füllen, indem uns die Alltagswelten aus den Nachbarstaaten anschaulich nähergebracht werden. Außerdem sind Serien denkbar, die -beispielsweise, indem sie eine europäisch-gemischte Studenten-WG in den Mittelpunkt stellen -die Schwierigkeiten des interkulturellen Miteinander im neuen Europa auf vergnügliche Weise thematisieren. Aber auch andere Problembereiche des politischen und gesellschaftlichen Lebens könnten, etwa im Stil der überaus erfolgreichen Linden-straße, im Unterhaltungsformat verarbeitet werden, ohne daß dies gleich zur Trivialisierung und Entpolitisierung dieser Themenfelder führen muß

Eine marktförmig verfaßte Medienkultur ist zwar -aus guten Gründen -nur sehr bedingt politisch steuerbar, aber es sind auch jenseits der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einige Mittel der Kultur-und Förderpolitik sowie des Medien-Sponsoring vorhanden, deren Nutzung mit Sicherheit auch in den kommenden Jahrzehnten zunehmen wird. Angesichts der hier beschriebenen Entwicklungen hat es wenig Sinn, mit „apokalyptischen“ Mahnungen den Untergang der Kultur in der Mediengesellschaft zu beklagen, wie dies bei zahlreichen Kulturkritikern von links wie von rechts in Mode gekommen ist. Statt dessen gilt es, die veränderten Bedingungen öffentlicher Kommunikation mit all ihren Defiziten, aber auch ihren Potentialen möglichst genau zu beschreiben und auf die daraus erwachsenden Konsequenzen zu verweisen, damit alle politischen Akteure differenziert auf diese neue Lage reagieren können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Regie Bettina Woernle, Hauptdarsteller Henry Hübchen und Michaela Rosen (1996).

  2. Wie weit die Interaktion zwischen Politik und Unterhaltung schon fortgeschritten ist. wird auch deutlich an der Tatsache, daß Politiker als Talk-Master tätig werden. So hat der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Lothar Späth, mit Späth am Abend eine eigene Talk-Show im Nachrichtensender N-TV bekommen, und der ebenso streitbar wie medienbezogen agierende Kölner Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes wirkt seit August 1999 als Gastgeber in Amado und Antwerpes beim WDR mit; der frühere CDU-Politiker Heinrich Lummer wird ab Herbst in einem privaten Berliner Fernsehsender eine Talk-Show moderieren.

  3. Der Zusammenhang von Politik und Unterhaltungskultur wird umfassend behandelt in Andreas Dörner, Politische Kultur und Medienunterhaltung. Zur Inszenierung politischer Identitäten in der amerikanischen Film-und Fernsehwelt, Konstanz 1999.

  4. Vgl. Klaus Berg/Marie-Luise Kiefer, Massenkommunikation IV. Eine Langzeitstudie zur Mediennutzung und Medienbewertung 1964-1990, Baden-Baden 1992, S. 328; Stephen Ansolabehere u. a., The Media Game. American Politics in the Television Age, New York-Toronto 1993, S. 15.

  5. Zu den politischen Auswirkungen der wachsenden Bedeutung von Massenmedien in der Gegenwartsgesellschaft vgl. Ulrich Sarcinelli (Hrsg.), Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Beiträge zur politischen Kommunikationskultur, Bonn 1998; Jochen Hoffmann/Ulrich Sarcinelli, Politische Wirkungen der Medien, in: Jürgen Wilke (Hrsg.), Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1999, S. 720-747; Heribert Schatz (Hrsg.), Fernsehen als Objekt und Moment des sozialen Wandels. Faktoren und Folgen der aktuellen Veränderungen des Fernsehens, Opladen 1996. Die veränderte Präsentationslogik von Politik in der Mediengesellschaft beschreibt Thomas Meyer, Politik als Theater. Die neue Macht der Darstellungskunst, Berlin 1998. Daß freilich Kommunikationsprozesse schon seit langer Zeit als Konstituente der politischen Wirklichkeit angesehen werden, zeigt der ideen-geschichtliche Beitrag von Herfried Münkler/Markus Llanque, Ideengeschichte (Politische Philosophie), in: Otfried Jarren/Ulrich Sarcinelli/Ulrich Saxer (Hrsg.), Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch, Opladen-Wiesbaden 1998, S. 65-80.

  6. Schröder schreitet in diesem Spot elegant in seinem Büro umher. Der große Bildschirm auf der Bühne und die starke Rolle der Musik sind Stilmittel, die den amerikanischen Conventions entnommen sind.

  7. Vgl. dazu John Fiske, Media Maliers. Race and Gender in U S. Politics, Minneapolis-London 1996", S. 61 ff.

  8. Vgl. dazu Marion R. Just u. a., Crosstalk. Citizens, Candidates, and the Media in a Presidential Campaign, Chicago 1996; Dan Nimmo, The Electronic Town Hall in Campaign '92. Interactive Forum or Carnival of Buncombe?, in: Robert E. Denton (Hrsg.), The 1992 Presidential Campaign. A Communication Perspective, Westport-London 1994, S. 207-226.

  9. Hier sind u. a. zu nennen: JFK (1991), Dave (1993), The American President (1995), Nixon (1995), Independence Day (1996) und Airforce One (1997).

  10. Vgl. dazu James Combs, Polpop. Politics and Populär Culture in America, Bowling Green 1984, S. 86 ff.

  11. Vgl. Andreas Dörner, Medien als politische Identitätsgeneratoren. Zur Inszenierung des Republikanismus in der amerikanischen Medienkultur, in: Politische Vierteljahres-schrift, 39 (1998) 1, S. 3-27; ders., Die Simpsons -Zivilreligion im Fernsehformat, in: medien praktisch, 22 (1998) 2, S. 27-31.

  12. So nimmt die Tatort-Folge Bildersturm (1998) das (Medien-) Ereignis der Wehrmachtsausstellung zum Anlaß für einen Kriminalfilm, in dem ein Sohn früherer Opfer, der jetzt als Historiker tätig ist, Rache an ehemaligen Peinigern übt. In der Rosa Roth-Reihe wurden 1998 kurz nacheinander zwei entsprechende Folgen gesendet: In Jerusalem oder Die Reise in den Tod verschlägt es die Titelheldin aus privaten Gründen nach Israel, wo sie bald Zeugin eines Todesfalles wird. Ein älterer Herr, der früher Lokführer bei Judendeportationen war, sucht die Aufarbeitung seiner Schuld bei einem Überlebenden des Holocaust und kommt auf mysteriöse Weise dabei um. Gleichzeitig befindet sich in der Reisegruppe ein ehemaliger Kollege, den es, ebenfalls aus Sühnegründen, zur jüdischen Gedenkstätte Jad Vashem zieht. Beide Alten werden demonstrativ verfolgt von einem jungen Mann, der sich später als Kind jüdischer KZ-Opfer zu erkennen gibt. Er will Rache für den Tod seiner Eltern nehmen. In Wintersaat, einer nur wenige Wochen später ausgestrahlten Rosa-Roth-Folge, werden Probleme des Neonazismus reflektiert.

  13. Siehe dazu allgemein Alfred Schütz, Gesammelte Aufsätze, Bd. I Das Problem der sozialen Wirklichkeit, Amsterdam 1971; zum Realitätsmodus der Unterhaltung vgl. Mascha-Maria Stumm. Unterhaltungstheoreme bei Platon und Aristoteles. Eine Rückkehr zu den Ursprüngen der Diskussion um Funktionen und Wirkungen von Unterhaltung und der Versuch einer Auswertung fachfremder Literatur als Beitrag zur Klärung des kommunikationswissenschaftlichen Unterhaltungsbegriffes, Berlin 1996, S. 147.

  14. Vgl. Dolf Zillmann, Über behagende Unterhaltung in unbehagender Medienkultur, in: Louis Bosshart/Wolfgang Hoffmann-Riem (Hrsg.), Medienlust und Mediennutz. Unterhaltung als öffentliche Kommunikation. München 1994, S. 41-59; zu den Medien als Mitteln der politischen Emotionssteuerung vgl. Andreas Dörner, Medien und Mythen. Zum politischen Emotionsmanagement in der populären Medienkultur am Beispiel des amerikanischen Films, in: Ansgar Klein/Frank Nullmeier (Hrsg.), Masse -Macht -Emotionen, Opladen 1999 (i. E.).

  15. Die utopische Dimension von Unterhaltung wird überzeugend analysiert bei Richard Dyer, Entertainment and Utopia, in: Rick Allman (Hrsg.), Genre: The Musical. A Reader, London u. a. 1981, S. 175-189.

  16. Vgl. R. Dyer, ebd., S. 184.

  17. Vgl. dazu Douglas Kellner, Cultural Studies, Identity and Politics between the Modern and the Postmodern, London-New York 1995, S. 80.

  18. Vgl. Umberto Eco, Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur, Frankfurt/M. 1984.

  19. Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt/M. 1971, S. 108.

  20. Siehe vor allem die Arbeiten von John Fiske: Television Culture, London 1987; Reading the Populär, Boston 1989; Understanding Populär Culture, Boston 1989; Power Plays, Power Works, London 1993.

  21. Vgl. dazu William A. Gamson, Talking Politics, Cambridge u. a. 1992; Ulrich Sarcinelli, Demokratiewandel im Zeichen medialen Wandels? Politische Beteiligung und politische Kommunikation, in: Ansgar Klein/Rainer Schmalz-Bruns (Hrsg.), Politische Beteiligung und Bürgerengagement in Deutschland, Bonn 1997, S. 314-345.

  22. So findet auf den Internet-Seiten der Fangemeinde zur TV-Serie The Simpsons regelmäßig auch ein Meinungsaustausch über die politischen Gehalte der Sendungen statt. Mit Bezug auf die Folge Sideshow Bob Roberts (Erstausstrahlung 9. 10. 1994) beispielsweise äußerten sich bekennende Anhänger der Republican Party durchaus zustimmend zu der in dieser Folge gezeigten satirischen Kritik an dieser Partei; vgl. Andreas Dörner, Zivilreligion als politisches Drama. Politisch-kulturelle Traditionen in der amerikanischen Medien-kultur, in: Herbert Willems/Martin Jurga (Hrsg.), Inszenierungsgesellschaft. Ein einführendes Handbuch, Opladen-Wiesbaden 1998, S. 554.

  23. Vgl. J. Fiske (Anm. 7), S. 117.

  24. Vgl. dazu Kathryn C. Montgomery, Target Prime Time. Advocacy Groups and the Struggle over Entertainment Television, New York-Oxford 1989.

  25. Zum Begriff „Interdiskurs“ vgl. Jürgen Link/Ursula Link-Heer, Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 20 (1990) 77, S. 88-99.

  26. Vgl. Christina Holtz-Bacha, Das fragmentierte Medien-Publikum. Folgen für das politische System, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 42/97, S. 13-21.

  27. Vgl. die Dokumentation in Oliver Stone/Zachary Sklar, JFK. The Book of the Film, New York 1992.

  28. Nicht zufälligerweise hat die SPD in ihrem Wahlkampf 1998 auch das Tzta/tzc-Motiv aufgegriffen, um den „Untergang“ der Regierung ^ ohl zu beschwören.

  29. Vgl. Friedhelm Neidhardt, Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen, in: ders. (Hrsg.), Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen, Opladen 1994, S. 25 f.

  30. Vgl. Helmut Dubiel, Niemand ist frei von Geschichte. Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages, München 1999.

  31. Vgl. dazu ausführlich A. Dörner (Anm. 3), Kapitel 5.

  32. Vgl. Bernhard Peters. Der Sinn von Öffentlichkeit, in: F. Neidhardt (Anm. 29), S. 42-76.

  33. Während das Pentagon früher, etwa zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, direkt Filme von renommierten Regisseuren wie Frank Capra und John Ford produzieren ließ, hat es sich später darauf konzentriert, Filme wie Top Gun, die image-förderlich waren, dadurch zu sponsern, daß in großen Mengen Menschen und Material für die Filmarbeit zur Verfügung gestellt wurden; vgl. James Combs, Film Propaganda and American Politics. An Analysis and Filmography, New York 1994.

  34. Zu den problematischen Aspekten einer unterhaltenden „Präsentationslogik“ am Beispiel der in der Regel sehr anspruchslos produzierten Daily Soaps im deutschen Fernsehen vgl.den Beitrag von Udo Göttlich/Jörg-Uwe Nieland, Politischer Diskurs als Unterhaltung? Präsentationslogiken von Daily Soaps als Wegweiser, in: Heribert Schatz/Otfried Jarren/Bettina Knaup (Hrsg.), Machtkonzentration in der Multimediagesellschaft? Beiträge zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von politischer und medialer Macht, Opladen 1997, S. 188-200.

Weitere Inhalte

Andreas Dörner, Dr. phil., geb. 1960; Privatdozent; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Ludgera Vogt) Literatursoziologie. Literatur, Gesellschaft, Politische Kultur, Opladen 1994; (Hrsg, mit Ludgera Vogt) Sprache des Parlaments und Semiotik der Demokratie. Studien zur politischen Kommunikation in der Moderne, Berlin-New York 1995; Politischer Mythos und symbolische Politik. Sinnstiftung durch symbolische Formen am Beispiel des Hermannsmythos, Opladen 1995 (Taschenbuchausgabe Reinbek 1996); Politische Kultur und Medienunterhaltung. Zur Inszenierung politischer Identitäten in der amerikanischen Film-und Fernsehwelt, Konstanz 1999.