I. Einleitung
Politischer Protest in der alten Bundesrepublik ist seit Anfang der siebziger Jahre zu einem Standard-thema politikwissenschaftlicher Forschungen avanciert. Wenig Aufmerksamkeit fand dabei bislang die Frage nach externer Einflußnahme auf westdeutsche Protestbewegungen.
Trotz Öffnung der ostdeutschen Archive liegen auch zehn Jahre nach dem Untergang der SED-Herrschaft über die kommunistischen Unterwanderungs-und Beeinflussungsversuche gegenüber politischen Protestbewegungen in der Bundesrepublik neben einschlägigen Dokumentationen des Verfassungsschutzes nur wenige, zumeist aus der Vor-Wende-Zeit stammende Analysen vor Auch neuere zeithistorische Untersuchungen, beispielsweise über die Studentenbewegung der sechziger Jahre, verzichten zumeist auf eine Auswertung entsprechender DDR-Archivalien Inzwischen ist es jedoch möglich, anhand der überlieferten Quellen aus den Apparaten der SED, der von ihr gelenkten Massenorganisationen und Institutionen sowie des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) externe Einwirkungen auf politische Entwicklungen in der Bundesrepublik zu rekonstruieren und zu bewerten. Im folgenden soll dies anhand zweier für die Geschichte der Bundesrepublik bedeutender Protestbewegungen geschehen -der Studentenbewegung der sechziger und der Friedensbewegung der achtziger Jahre. Da es sich in beiden Fällen um komplexe historische Vorgänge handelt, muß sich die Analyse auf eine skizzenhafte Darstellung beschränken, die an anderer Stelle vertieft werden soll
Seit Gründung der beiden deutschen Staaten entfaltete die SED vielfältige Anstrengungen, um in Westdeutschland eine linke Opposition zu formieren. In den fünfziger Jahren ging es dabei vor allem um die Verhinderung der Wiederbewaffnung und der Integration der Bundesrepublik in die westliche Staatengemeinschaft, während in den sechziger Jahren die völkerrechtliche Anerkennung der DDR im Mittelpunkt stand. In den siebziger und achtziger Jahren zielte die SED vorrangig auf eine Stabilisierung des Status quo sowie auf die Verhinderung von westlichen Rüstungsanstrengungen. Zur Durchsetzung dieser Ziele bediente sie sich in der Bundesrepublik neben der (ab 1956 verbotenen) KPD und ihrer Nachfolgeorganisation, der DKP. verschiedener Vorfeld-oder Tarnorganisationen sowie . einzelner mit der SED verbundener Kader in den Gewerkschaften, in der SPD und anderen politischen Gruppierungen. Für diese „Westarbeit“ (bis zum Mauerbau: „gesamtdeutsche Arbeit“) unterhielt die SED einen zentral gelenkten Apparat, der auch die Bezirke und die Massenorganisationen der DDR umfaßte und kontinuierlich in der Bundesrepublik Einfluß nahm Anfang der sechziger Jahre hatte dieser Apparat beispielsweise allein auf Bezirks-und Kreisebene 473 „feste Verbindungen“ zu „fortschrittlichen Kräften“ in der Bundesrepublik, von denen 209 SPD-Mitglieder und 75 SPD-Funktionäre waren Darüber hinaus war das MfS in Parteien und Verbänden mit einer bis heute unbekannten Zahl an Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) und sogenannten Kontaktpersonen (KP) veran-kert, die Informationen beschafften und zur Beeinflussung mittels „aktiver Maßnahmen“ eingesetzt werden konnten.
II. Studentenbewegung
Bei den Bemühungen, Einfluß auf kritische westdeutsche Studenten zu gewinnen, konzentrierten sich die SED und die von ihr angeleiteten Apparate der FDJ und der (illegalen) KPD anfangs auf den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), der bis zum Unvereinbarkeitsbeschluß vom November 1961 offizieller Studentenverband der SPD war. Eine Schlüsselrolle spielte dabei die sogenannte „Konkret“ -Fraktion, die sich um die gleichnamige Hamburger Zeitschrift gruppierte. Das Blatt war 1955 auf Beschluß des Zentralrates der FDJ gegründet worden und wurde überwiegend aus der DDR finanziert Ihrem langjährigen Chefredakteur Klaus Rainer Röhl zufolge wurde die „Konkret“ -Gruppe durch „Instrukteure“ der illegalen KPD angeleitet und die „praktische Zusammenarbeit“ bei konspirativen Zusammenkünften in Ostberlin besprochen Außer über das Blatt selbst, das in studentischen Kreisen beträchtliche
Popularität genoß, nahm die „KonkreV-Fraktion über ihre Kader Einfluß, die ihre Position im SDS unter anderem dadurch ausbauten, daß sie an Universitäten, an denen es keinen SDS gab, neue SDS-Gruppen gründeten; bei Bundesdelegiertenkonferenzen standen diesen automatisch zwei Stimmen zu Im Oktober 1958 wurde mit Oswald Hüller erstmals ein Vertreter der orthodoxen Linken zum Bundesvorsitzenden gewählt. Mit Verfahrenstricks gelang es der „Konkret“ -Fraktion wenig später, beim Westberliner Kongreß der studentischen Anti-Atom-Ausschüsse (Januar 1959) und beim Kongreß „Für Demokratie -gegen Restauration und Militarismus“ in Frankfurt (Mai 1959) Resolutionen durchzusetzen, die den Vorstellungen der SED weit entgegenkamen
Unterlagen des MfS zeigen, daß der Staatssicherheitsdienst in dieser Zeit gezielt Agenten in den SDS einschleuste; von einigen sind umfangreiche IM-Vorgänge überliefert. Im Auftrag der Staatssicherheit „floh“ beispielsweise der ehemalige FDJ-Funktionär Peter Heilmann nach Westberlin, um sich dort in der SPD und im SDS zu engagieren 1959 wurde er als Vertreter der „gemäßigten Mitte“ in den Bundesvorstand des SDS gewählt, nachdem Oswald Hüller unter dem Druck der SPD zuvor von seinem Amt suspendiert worden war. Vor allem zwischen 1959 und 1961 lieferte er der Staatssicherheit regelmäßig Einschätzungen zur Situation im SDS, übermittelte interne Beschlüsse und Sitzungsprotokolle und gab taktische Hinweise, wie der Verband von der SED am wirkungsvollsten instrumentalisiert werden könnte. 1959 verpflichtete das MfS auch den nach Westberlin geflüchteten Studenten Walter Barthel, der der FDJ interne Unterlagen aus dem SDS angeboten hatte Als „Zielstellung“ wurde ihm vorgegeben, die hauptamtliche Sekretärsstelle des Berliner SDS zu besetzen, wozu er seine „bisherige linke Einstellung schrittweise auf die Position des 3. Weges bringen“ sollte Tatsächlich wurde Barthel im Februar 1960 Berliner Landessekretär, von wo aus er das MfS mit zahlreichen Berichten, Personencharakteristiken und Einwirkungsvorschlägen belieferte. Dem Staatssicherheitsdienst führte er im September 1961 einen weiteren Mitarbeiter zu, den damaligen Gruppenvorsitzenden am Otto-Suhr-Institut, Dietrich Staritz, der 1962 in den politischen Beirat des Westberliner SDS-Vorstandes gewählt wurde In Absprache mit dem MfS betätigten sich beide bald auch als Informanten des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Alle drei Genannten spielten im Berliner SDS, der mit 200 Mitgliedern etwa ein Viertel der gesamten Mitgliedschaft stellte, eine wichtige Rolle. Den überlieferten Aktenvorgängen zufolge lag ihre Aufgabe vor allem darin, aus erster Hand über verbandsinterne Vorgänge und Kräftekonstellationen zu berichten sowie Personen zu benennen, die für das MfS oder für die FDJ ansprechbar erschienen. Darüber hinaus machten sie Vorschläge für das Auftreten der mit der SED verbundenen Kader und die Beeinflussungsversuche der FDJ. Heilmann, der im Mai 1959 an dem umstrittenen Frankfurter Kongreß teilgenommen hatte, warnte beispielweise das MfS davor, daß durch das Vor-preschen der Hüller-Fraktion der Bogen überspannt werden könnte. In seinem Bericht monierte er, daß die „Konkret“ -Gruppe Forderungen gestellt hätte, die sogar weit über die der Sowjetunion hinausgegangen seien Wenig später schlug er vor, „durch ernsthafte Betrachtungen über die DDR, in der Positives und Negatives miteinander abgewogen werden, wobei zweifellos in geschickter Weise das Positive überwiegen kann, zu wirken.......... Konkret'müßte darüber hinaus seinen Freunden empfehlen, intensiv und praktisch im SDS mitzuarbeiten, ohne sich zunächst in ideologische Debatten zu schmeißen.“
Auch Barthel benannte in seinen Berichten immer wieder Ansatzpunkte für eine Stärkung der SED-freundlichen Positionen im SDS. Nach dem Ende der finanziellen Zuwendungen durch die SPD empfahl er etwa, daß die FDJ verstärkt in das dadurch entstandene Vakuum eindringen sollte. „Dazu ist es notwendig, daß sich sofort geeignete SDS-Mitglieder, die über die FDJ lanciert werden können, bereit finden, Funktionen zu übernehmen. ... Ich schlage vor, daß die FDJ die ihnen bekannten und befreundeten SDS-Genossen dahingehend instruiert, daß diese von sich aus an [es folgen zwei Namen von SDS-Funktionären] oder Barthel herantreten und ihre Bereitschaft zur Mitarbeit zu erkennen geben.“ Im Vorfeld der Bundesdelegiertenkonferenz im Oktober 1960 informierte er auch über die akuten Finanzprobleme des SDS und schlug vor, daß dem SDS „ein gewisser Betrag“ zur Finanzierung des Transportes der Delegierten überwiesen wird Schon am folgenden Tag fertigte das MfS eine ausführliche „Information“, in der es hieß; „Vorschlag für die FDJ! Hier besteht die Möglichkeit, sich mit einem PKW anzubieten. Die bisherige finanzielle Lage des SDS ist denkbar ungünstig, da zur Zeit nur noch 5 DM auf dem Konto vorhanden sind. Zur Finanzierung des Transportes und aller anfallenden Unkosten wäre es erforderlich, daß die geplante Infiltrierung von Geld durch die FDJ schnellstens durchgeführt wird. Anfang November finden die Neuwahlen zum Landesvorstand des SDS in Berlin statt. ... Dies wäre wiederum eine Möglichkeit, einen geeigneten Kandidaten der FDJ zu lancieren.“ Barthel schlug dem MfS dafür eine ganz bestimmte SDS-Vertreterin vor und meinte, die FDJ solle sofort mit ihr sprechen und sie dazu bringen, daß sie, wenn er sie danach frage, Zusage und sich bereit erkläre, die Nachfolge des Organisationssekretärs im Landesvorstand zu übernehmen. „Damit wäre für ein weiteres Jahr die systematische Kontrolle des SDS-Landesvorstandes gewährleistet.“ Zur finanziellen Unterstützung des SDS durch die FDJ empfahl er wenig später, daß diese „nicht kampagnenhaft vorgenommen, sondern in der bekannten Weise regelmäßig mit Beiträgen zwischen 20 und 80 DM erfolgen [solle], mit einem monatlichen Durchschnitt von etwa 300 DM
Auch nach der Trennung zwischen SPD und SDS suchten MfS und SED den Studentenverband als „Speerspitze“ einer linken Opposition zu instrumentalisieren. Insbesondere bei der „Entlarvung“ ehemaliger Nationalsozialisten im westdeutschen Staatsapparat, beim Kampf gegen die Notstandsgesetze, bei den Protesten gegen den Vietnamkrieg und bei der Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung der DDR bedienten sie sich des studentischen Protestpotentials in der Bundesrepublik.
Im November 1965 stellte der Zentralrat der FDJ fest, daß sich „im SDS ein Prozeß zur realeren politischen Aufgabenstellung“ vollziehe. „Ein ehemaliges vordergründiges Anliegen des SDS, nicht nur kritisch zur Bundesrepublik, sondern auch zur DDR zu sein und beim Auftreten in der DDR der .Demokratisierung 1 und Liberalisierung 1 zum Durchbruch zu verhelfen“, so heißt es in einer „Konzeption zur weiteren Einflußnahme der FDJ auf den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS)“, finde nur noch geringe Unterstützung und Resonanz. Der erweiterte Einfluß der progressiven Kräfte habe sich unter anderem „in der personellen Vertretung linker Kräfte im Beirat des SDS (Deppe-Marburg, Helberger-Westberlin)“ und in den „konsequenteren Aktivitäten des Bundesvorstandes“ gezeigt. Diese Kräfte konzentrierten sich insbesondere in den SDS-Gruppen von Köln, München, Münster, Mannheim, Hamburg, Kiel und Karlsruhe. „Die gegenwärtigen Positionen des SDS ergeben weitere und neue Möglichkeiten, durch verstärkte Bemühungen unsererseits die Beziehungen zu dieser Studentenorganisation -zu den Gruppen und Leitungen -auszubauen, um zur weiteren progressiven Entwicklung beizutragen.“
Als Zentren SED-freundlicher Traditionalisten fungierten unter anderem die 1966 gegründete Novembergesellschaft in Westberlin und der aus ihr hervorgegangene Republikanische Club (RC); der RC bildete in den späten sechziger Jahren eine der Schaltstellen der Berliner Studentenbewegung. In beiden Organisationen war das MfS mit Barthel und Staritz im inneren Zirkel vertreten. Einer Übersicht aus dem Jahr 1969 zufolge führte die Hauptverwaltung A (HVA) im RC daneben drei weitere Inoffizielle Mitarbeiter und vier Kontakt-personen Darüber hinaus wurde der RC von dem FDP-Bundestagsabgeordneten William Borm unterstützt, der als Einflußagent vom Leiter der HVA, Markus Wolf, persönlich geführt wurde. Angeblich stellte er dem Club bei seiner Gründung 150 000 DM zur Verfügung, die aus der Kasse der HVA stammten Die Bedeutung dieser politischen Aktivitäten für die SED kann man daran ermessen, daß die MfS-Berichte darüber häufig direkt an Parteichef Walter Ulbricht gingen
Vom MfS infiltriert waren auch die Versuche, in Berlin eine massenwirksame linke Zeitung ins Leben zu rufen. In der fünfköpfigen Vorbereitungskommission des vom „Spiegel“ -Herausgeber Rudolf Augstein unterstützten Projektes war das MfS zunächst mit Heilmann und Barthel vertreten, von denen letzterer einen Großteil der Vorarbeiten leistete. Nach dem Rückzug Augsteins entwickelte Barthel dann die Idee, ein zumindest im Wahlkampf wöchentlich erscheinendes Extrablatt in Form einer Boulevard-Zeitung herauszugeben, von dem 1967 mehrere Ausgaben in Auflagen von 10 000 bis 50 000 Exemplaren erschienen. Daraus entstand schließlich der „Berliner Extra-Dienst“, der über ein Jahrzehnt lang als Sprachrohr linker Traditionalisten fungierte und dessen Geschäftsführer Walter Barthel wurde. Zwei ehemalige Mitarbeiter der HVA berichteten nach der Wende, daß das Blatt eng mit dem MfS verbunden gewesen sei. Die zweimal wöchentlich erscheinende Zeitung sei von der für „aktive Maßnahmen“ zuständigen Abteilung X „massiv gefördert“ worden und hätte „ohne unsere redaktionellen Beiträge und ohne unser Geld gar nicht leben können“; ihr Chefredakteur Carl Guggomos hätte beim Staatssicherheitsdienst den Decknamen „Gustav“ getragen Diese Aussagen werden indirekt durch einen von Markus Wolf unterschriebenen Plan vom Februar 1969 bestätigt, in dem unter . anderem die „Herausgabe einer Sonderausgabe“ des „Extra-Dienstes“ und die Veröffentlichung einer Artikelserie darin beschlossen wurde
Der vierseitige Plan mit „aktiven Maßnahmen“ zur Störung der Bundespräsidentenwahl in Westberlin, den Wolf 1969 an den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, sandte, zeigt exemplarisch, wie das MfS die politischen Vorgaben der SED umsetzte. Die Sowjetunion und die DDR protestierten seinerzeit massiv gegen das Vorhaben der Bundesrepublik, die Wahl des Bundespräsidenten in Westberlin durchzuführen. Mittels aller „nutzbaren operativen Verbindungen in APO-Kreise“ wollte die HVA die Proteste der Studentenbewegung gegen die Bundesversammlung unterstützen. „Hilfe“ wollte man nicht nur „bei der Organisierung politischer Demonstrationen (besonders bei der geplanten Veranstaltung des Republikanischen Klubs am 5. 3. in Westberlin)“ leisten, sondern auch „bei der Erarbeitung und Verbreitung von Flugblättern und anderen Agitationsmaterialien (insbesondere einer Agitationsschrift des Westberliner Republikanischen Clubs über den Zusammenhang zwischen den Bonner Berlin-Provokationen und den Nachteilen für die Westberliner Bevölkerung)“. Die erwähnte Sonderausgabe des „Berliner Extra-Dienstes“ rief auf der Titelseite zur „Begrüßung“ der Wahlmänner am 5. März vor deren Hotel auf. Dort kam es dann zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, als Studenten die Zufahrt blockierten. Dem Plan war eine Liste beigefügt, der zu entnehmen ist, daß die HVA zu diesem Zeitpunkt in der Westberliner APO über 17 Inoffizielle Mitarbeiter und zehn Kontaktpersonen verfügte. 14 von ihnen waren im SDS aktiv, je zwei im Sozialistischen Hochschulbund (SHB), bei den Jungsozialisten und in der „Vereinigung Unabhängiger Sozialisten“ (VUS) sowie fünf im ASTA der Freien und der Technischen Universität Auch in den siebziger und achtziger Jahren suchten SED und MfS an westdeutschen Universitäten Einfluß auszuüben, worüber bislang jedoch nur vereinzelt Unterlagen aufgefunden wurden. Abstrakte Hinweise finden sich in einer Forschungsarbeit über die „politisch-operative Bearbeitung der Hochschulen in der BRD und in Westberlin“, die 1976 im Auftrag von Markus Wolf angefertigt wurde und in der der Nutzung der Hochschulen für „politisch-aktive Maßnahmen“ ein eigenes Kapitel gewidmet wird
III. Friedensbewegung
Eine bedeutende Rolle für die SED spielte auch das politische Engagement von Friedensgruppen in der Bundesrepublik. Regelmäßig erarbeitete das Zentralkomitee Konzeptionen „für die weitere Entwicklung des Friedenskampfes in Westdeutschland“, für deren Umsetzung der eingangs zitierte Apparat der „Westarbeit“ verantwortlich war Auch hier liefen die Einflußnahmen auf mehreren Ebenen -über die von der SED angeleiteten kommunistischen Organisationen in Westdeutschland, über „neutrale“ DDR-Einrichtungen wie die Nationale Front oder der Friedensrat, über Funktionäre verschiedener Friedensvereinigungen in der Bundesrepublik sowie über geheime Operationen des Staatssicherheitsdienstes.
Anfang der achtziger Jahre konzentrierten sich die Anstrengungen der SED darauf, die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Westeuropa zu verhindern. Als besonders erfolgreich erwies sich dabei der sogenannte Krefelder Appell, den nach Angaben seiner Initiatoren bis zum Herbst 1983 4, 7 Millionen Menschen Unterzeichneten Die Organisation der Kampagne lag in der Hand von Josef Weber, einem ehemaligen Wehrmachtsoberst, der seit Anfang der fünfziger Jahre in verschiedenen Friedenskampagnen tätig und Mitbegründer der Deutschen Friedensunion (DFU) war. Kontaktadresse der „Krefelder Initiative“ war die Bundesgeschäftsstelle der DFU, deren Direktorium Weber angehörte und die auch die Finanzierung übernahm.
Unterlagen aus dem Zentralkomitee der SED zeigen, daß die Geldmittel der DFU zum großen Teil aus der DDR stammten. Anfang der siebziger Jahre wurde sie von dort mit knapp fünf Millionen DM pro Jahr unterstützt; 1989 stellte die SED der DFU „Solidaritätsmittel“ in Höhe von 3, 1 Millionen DM zur Verfügung und finanzierte 31 hauptamtliche Mitarbeiter Die politische Anleitung der DFU erfolgte durch die DKP Die engen Verbindungen der Krefelder-Appell-Organisatoren in die DDR macht eine Notiz des Friedensrates anschaulich, in der die „Arbeitsgruppe BRD“ über ein Gespräch mit Josef Weber im Januar 1981 berichtet. Danach beklagte sich Weber direkt in Ostberlin über den „Versuch des Abwerbens von Persönlichkeiten, die den Appell unterzeichnet haben, wie zum Beispiel Prof. Dr. h. c. Karl Bechert, für andere Friedensorganisationen (erhält Briefe vom Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit, die einen anderen Inhalt haben als Briefe, die von Josef Weber im Aufträge des Unterzeichnerkreises an ihn gerichtet sind)“ Eine Woche später informierte der Leiter der Westabteilung des Zentralkomitees, Herbert Häber, den Generalsekretär der SED, Erich Honecker, über eine Zusammenkunft mit dem DKP-Vorsitzenden Herbert Mies und teilte unter anderem mit: „Ebenso wichtig ist die Bielefelder Initiative von Sozialdemokraten. Zu den Initiatoren gibt es Verbindungen. Es war und bleibt richtig, daß sich diese Initiative auf die Gewinnung von Mitgliedern und Funktionären der SPD konzentriert. Bestrebungen, sie möglichst rasch an den Krefelder Appell anzuschließen oder sogar dem bestehenden Komitee für Frieden und Abrüstung zuzuordnen, sind unterbunden worden.“
Auch das MfS hatte den Auftrag, die Anti-Raketen-Proteste in der Bundesrepublik zu fördern. Welche Bedeutung die Friedensbewegung für den Staatssicherheitsdienst hatte, kann man unter anderem den Sitzungsprotokollen seines obersten Führungsorgans, des sogenannten Kollegiums, entnehmen. Im Februar 1982 befahl Erich Mielke, die bundesdeutsche Friedensbewegung „stärker zu fördern und zu unterstützen“. Es gebe „sehr günstige Ansatzpunkte, um mit unseren Mitteln und Möglichkeiten politische Kräfte, die sich in dieser Bewegung engagiert haben, zu unterstützen sowie neue operativ bedeutsame Kontakte im Operati-onsgebiet herzustellen und zu nutzen“ Ein Jahr später unterstrich er vor dem Gremium erneut die Notwendigkeit, die Anti-Raketen-Bewegung in der Bundesrepublik „durch geeignete, wirksame aktive Maßnahmen, unter Nutzung [der] Mittel und Möglichkeiten des MfS“ zu stärken. „Es ist Aufgabe des MfS beizutragen, jene Kräfte zu unterstützen (in der SPD und FDP), die realistisch denken und jetzt für Aufhebung des Raketenbeschlusses eintreten.“ In ähnlicher Weise äußerte sich auch Markus Wolf, als er im Januar 1982 vor der Parteiorganisation der HVA erklärte, daß mit deren Mitteln „ein nicht unerheblicher Beitrag zur weiteren Vertiefung und Ausweitung der Friedensbewegung in westeuropäischen NATO-Ländern und zur Einflußnahme auf die Entscheidungsfindung der betreffenden Regierungen geleistet“ worden sei. Trotz der erreichten Ergebnisse seien „weiter zunehmende Anstrengungen notwendig, um die Friedensbewegung in westeuropäischen Staaten mittels aktiver Maßnahmen weiter zu stärken und Spaltungsversuche abzuwehren“ Verantwortlich war dafür in erster Linie die HVA, in deren Jahresplänen entsprechende Aufgaben vorgegeben waren. Über ihr konkretes Vorgehen liegen aufgrund der Aktenvernichtung so gut wie keine Unterlagen vor. Erhalten geblieben ist jedoch ein „Konzept für aktive Maßnahmen zur Förderung der Friedensbewegung in der BRD“ vom August 1981, das zum Ziel hatte, „den nachrichtendienstlichen Einfluß auf die sich in der BRD entwickelnde Friedensbewegung zu erhöhen, diese zu stimulieren und zu stärken“. Als „Zentrum der Maßnahmen“ war danach die Herausbildung von Friedensinitiativen innerhalb der Gewerkschaften zu fördern. Durch das „aktive Wirken“ von Inoffiziellen Mitarbeitern und Kontaktpersonen sollten ferner kirchliche Organisationen und Einrichtungen beider Konfessionen in die Friedensbewegung eingebunden werden. Namentlich Gruppierungen wie „Pax Christi“, „Bund der Deutschen Katholischen Jugend" (BDKJ), Aktion „Ohne Rüstung leben", „Aktion Sühnezeichen“ sowie die von Martin Niemöller geprägte Evangelische Kirche in Hessen-Nassau sollten von der HVA unterstützt werden. Das Konzept macht eine Art Arbeitsteilung zwischen kommunistischen und geheimdienstlichen Kräften erkennbar. Das „operative Netz“, so heißt es da, könne die Arbeit der DKP nicht ersetzen, sondern sei „dort konzentriert, wo diese wenig wirksam ist“. Das MfS wollte vornehmlich in solchen Organisationen „aktive Arbeit“ leisten, die größere Einwirkungsmöglichkeiten auf SPD, FDP und Gewerkschaften hätten als die DKP, etwa beim Krefelder Appell, beim sozialdemokratischen Bielefelder Aufruf, beim Heidelberger Appell oder beim sogenannten Hamburger Forum. Auch in den Medien wollte man verschiedene Aktivitäten „fortsetzen“ wie die „Durchführung öffentlicher Foren und Pressekonferenzen von Politikern und Einzelpersönlichkeiten“ oder die „Veröffentlichung von Anzeigen in der Presse einschließlich lokaler Zeitungen“. Während des SPD-Parteitages im April 1982 wollte man durch Inoffizielle Mitarbeiter und Kontaktpersonen den politischen Druck auf die Parteiführung verstärken. „Eine wesentliche Aufgabe“, so heißt es in dem Konzept, „ist es, während der Tagung Initiativanträge zu formulieren und zu lancieren, um die Manöver der Führung zu unterlaufen.“
Zur Förderung der Friedensbewegung arbeitete das MfS eng mit dem KGB zusammen. In einem Bericht vom September 1982 heißt es, daß gemeinsam mit dem sowjetischen Geheimdienst „wichtige Beiträge zur Vertiefung und Erweiterung der Friedensbewegung“ geleistet worden seien. Hervorzuheben seien insbesondere die „Maßnahmen zur Beeinflussung von Politikern der SPD/FDP-Koalitionsregierung sowie holländischer und belgischer Regierungskreise, die Initiierung von Aktionen mit Massencharakter (Massendemonstrationen, Konferenzen usw.)“. Im Zusammenhang mit dem Europa-Besuch von US-Präsident Reagan seien „gezielte und Maßnahmen mit Massencharakter“ in der Bundesrepublik und Westberlin „politisch und organisatorisch mitorganisiert und gestaltet“ worden. Diese „forderten die Verurteilung und Nichtrealisierung des Brüsseler Raketenbeschlusses, der Konfrontationspolitik von Reagan und Verhandlungen zwischen der UdSSR und den USA“. Die Bewegung „Generale für den Frieden“, so heißt es schließlich, „wurde weiter ausgebaut, tritt auf internationaler Ebene auf (einschließlich im Rahmen der UNO) und ist fester Bestandteil der Friedensbewegung“
In seinen „Erinnerungen“ beschreibt Markus Wolf ausführlich, wie das MfS die Gruppierung „Generale für den Frieden“ infiltrierte. Schon kurz nach deren Gründung sei eine „Quelle“ in Hamburg an den Organisator, Professor Gerhard Kade, herangetreten. Da dieser zu Gesprächen mit Abgesandten der DDR bereit schien, habe Wolf zwei Mitarbeiter zu ihm geschickt, die Vorgaben, im Auftrag des Ministerrates der DDR zu kommen. Als Kade diesen gegenüber meinte, ein jährlicher „Zuschuß“ von 100 000 DM würde der Gruppe „die Öffentlichkeitsarbeit entscheidend erleichtern“, habe Wolf diese Summe umgehend „bewilligt“. Obwohl die Gruppe kein Sprachrohr Moskaus gewesen sei, erkannte man Wolf zufolge „in Erklärungen der Generale den Einfluß wieder, den wir über Kade ausübten“
Den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft zufolge beruhte sogar die gesamte Gründung der Gruppe auf einer Initiative der HVA. Danach wurde der Abteilung I bereits Ende der siebziger Jahre die Aufgabe zugewiesen, in Zusammenarbeit mit der Abteilung II pensionierte Generale und Admirale, die als „Multiplikatoren“ für die militärpolitischen Positionen des Warschauer Paktes geeignet erschienen, zu einer „nachrichtendienstlich steuerbaren Gruppe zusammenzuführen“. Die Gruppe, der neben ehemaligen Militärs aus Norwegen, Portugal, England, Griechenland, Italien, Frankreich und den Niederlanden auch die westdeutschen Generale a. D. Gert Bastian und Günter Vollmer angehörten, sei in der Folgezeit mit einer Vielzahl von Argumentationspapieren und Hintergrundmaterialien versorgt worden, die von Mitarbeitern der HVA-Abteilung X zum Teil in enger Zusammenarbeit mit dem KGB ausgearbeitet worden seien. Diese Unterlagen seien ausschließlich durch Führungsoffiziere der Abteilung I und II weitergeleitet worden, die auch über eine „operative Verbindung“ zum Kölner Pahl-Rugenstein-Verlag verfügt hätten, in dem wichtige Schriften der Gruppierung erschienen Als die politische Dimension der „Generalsbewegung“ den nachrichtendienstlichen Rahmen gesprengt hätte, sei der Leiter der Abteilung Auslandsinformation des Zentralkomitees und Schwiegersohn Erich Honeckers, Manfred Feist, mit der weiteren Anleitung des Vorgangs beauftragt worden -nun übernahm der Friedensrat der DDR die Steuerung