I. Einleitung
Mit der Neufassung des Arbeitsförderungsrechts im Sozialgesetzbuch (SGB III) wurde ein grundlegender Richtungswechsel in der deutschen Arbeitsmarktpolitik vorgenommen. Durch die Vereinfachung von Regelungen, erweiterte Förderung von Berufsrückkehrerinnen und Ungelernten, Aktivierbarkeit von Sozialplanmitteln, durch neue Instrumente (Eingliederungsverträge, Trainingsmaßnahmen und Einstellungszuschüsse bei Neugründungen), Stärkung der Autonomie der Arbeitsämter, experimentelle und übertragbare Budgets und Elemente laufender Erfolgskontrolle wurde versucht, das Regelwerk den veränderten Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt anzupassen.
Die Gesetzesreform beinhaltet gleichzeitig eine Abkehr von der versorgenden Rolle der Arbeitsmarktpolitik. Arbeitnehmer müssen persönliche Risiken künftig zunehmend selbst tragen und die Verantwortung für ihre Lage am Arbeitsmarkt übernehmen. Das gleiche gilt in abgeschwächter Form für die Arbeitgeber, die bei ihren Entscheidungen verantwortungsvoll die Belange der Beschäftigten berücksichtigen sowie Entlassungen (und damit die Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitsförderung) vermeiden sollen (§ SGB III). Mitwirkungspflichten bei der Vermittlung und Beratung (§§ 38, 39 SGB III) ergänzen diese besondere Verantwortung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
Die Auswirkungen dieser beachtlichen Neuerungen werden sich erst in einigen Jahren klar zeigen. Bereits jetzt läßt sich jedoch schon erkennen, daß die Konturen eines neuen arbeitsmarktpolitischen Leitbildes schärfer herausgearbeitet und in weiteren Reformschritten umgesetzt werden müssen. Die vollzogenen Reformen und Neuerungen, so die hier verfolgte These, sind noch inkongruent. Den erhöhten Anforderungen an die Eigenverantwortung stehen nicht die nötigen Instrumente und angemessenen Infrastrukturen gegenüber, mit denen Arbeitnehmer/innen und Arbeitgeber/innen auch tatsächlich befähigt werden, ihrer „besonderen Verantwortung“ gerecht zu werden. Im folgenden möchten wir daher der Frage nachgehen, durch welche Reformen die Balance zwischen einer erweiterten Verantwortung der Arbeitsmarktakteure einerseits und der dazu notwendigen Befähigung andererseits besser aus-tariert werden kann. Wir gehen zunächst auf die Grundlagen eines auf Eigenverantwortung und Befähigung aufbauenden Leitbildes ein, vor dessen Hintergrund dann die Reformoptionen erarbeitet werden sollen, die sich sowohl auf die Organisation als auch auf die Finanzierung , der Arbeitsmarktpolitik beziehen.
II. Grundzüge einer ausbalancierten Reform der Arbeitsmarktpolitik
Die vielfältige Literatur zur Zukunft der Arbeit zeigt, daß es immer unklarer wird, was das „Normalarbeitsverhältnis“ 2 ist und welche Erwerbs-form für den einzelnen und die Gesellschaft mit welchen Chancen und Risiken verbunden ist. Einerseits gelten atypische Erwerbsformen in Abgrenzung zum Normalarbeitsverhältnis als weniger verrechtlicht bzw. sozial abgesichert, andererseits können sie Vorformen zum Normalarbeitsverhältnis darstellen und Brücken dazu bilden. Wovon wir aber bei aller Vielfalt der Prognosen mit Sicherheit ausgehen können, sind häufigere Positionswechsel innerhalb der Erwerbsbiographie. Es ist daher zunehmend mit kritischen Übergängenzwischen verschiedenen Formen der Erwerbstätigkeit zu rechnen, in denen Qualifikationen anzupassen oder'berufliche Netzwerke neu aufzubauen sind. Diese Übergänge werden mit Zeitaufwand und möglicherweise auch mit Einkommenslücken verbunden sein. In Zukunft werden nicht nur das Risiko der Arbeitslosigkeit, sondern auch vielfältige andere Beschäftigungsrisiken -wie berufliche Abstiege -abzusichern sein.
Im Rahmen eines Vollbeschäftigungsziels, das dauerhafte Beschäftigungsfähigkeit bei geregelten variablen Beschäftigungsverhältnissen von Männern und Frauen anstrebt, hat Arbeitsmarktpolitik die Aufgabe, Handlungsoptionen zu eröffnen und Flexibilität bei dem Wechsel zwischen verschiedenen Formen der Erwerbs-und Nichterwerbstätigkeit herzustellen. Damit sich unerwünschte individuelle Arbeitsmarktlagen nicht unproduktiv verfestigen, gilt es, institutioneile Arrangements zu begründen, die Übergänge zwischen unterschiedlichen Beschäftigungsformen auf Dauer anlegen, regeln und begünstigen. Systematisch lassen sich dabei fünf Arbeitsmarktübergänge unterscheiden, die durch dauerhafte und in beide Richtungen begehbare Beschäftigungsbrücken zu fördern sind: (1) Übergänge zwischen verkürzter und vollzeitiger abhängiger Beschäftigung, ’ (2) Übergänge zwischen Arbeitslosigkeit und Beschäftigung, (3) Übergänge zwischen Bildung und Beschäftigung, (4) Übergänge zwischen privater und beruflicher Tätigkeit, (5) flexible Übergänge von der Arbeit in die Rente. „Übergangsarbeitsmärkte“ können die geeignete institutioneile Form sein, die widersprüchlich erscheinende Anforderung«von Flexibilität und Sicherheit in Einklang zu bringen
In welchem Verhältnis steht die'Reform des Arbeitsförderungsrechts zu diesem Ziel? Die Rechtsveränderungen zielen vor allem auf stärkere individuelle Verantwortung und auf die Bereitschaft zu höherer Flexibilität. Dieser Eigenverantwortung wird bei den Erwerbspersonen durch die Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln bei der Aufnahme einer Beschäftigung und durch die Rücknahme von Leistungen Nachdruck verliehen Nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit ist nun jede Beschäftigung zumutbar, die unabhängig vom Berufsabschluß ein Nettoentgelt in Höhe des Arbeitslosengeldes einbringt; auch höhere Bendelzeiten müssbn dann in Kauf genommen werden. Beim Arbeitslosengeld wurden die Altersgrenzen für einen verlängerten Bezug deutlich angehoben und bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) die Entgelte gesenkt,. Diese Betonung von Pflichten und drohenden Sanktionen im Gegenzug zu Rechten und Ansprüchen entspricht ganz der neuen Arbeitsethik („workfarism“), die in den arbeitsmarktpolitischen Programmen der Blair-Regierung Oder in der großen Sozialhilfereform der Clinton-Regierung zum Ausdruck kommt.
Der ursprüngliche Kernbereich . einer Arbeitslosenversicherung, nämlich die Versicherung des individuellen Risikos,, unverschuldet arbeitslos zu werden, wurde damit weiter zurückgenommen und teilweise privatisiert. Somit kann ein immer größerer Anteil der Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (Berufsausbildung, Förderung und Erhaltung von Arbeitsplätzen, Wiederherstellung der Beschäftigungsfähigkeit, allgemeine Ausbildung, Sprachförderung bis hin zur Struktur-und Regionalpolitik) nicht mehr dem Bereich klassischer Sozialversicherung zugeordnet werden Bei diesem Anteil handelt es sich eher um ein öffentliches Gut, das einem breiteren Personenkreis zugute kommt.
Es lohnt sich, die mit der Gesetzesreform eingeleitete Neujustierung von Kosten, Nutzen, Risiken und Verantwortung in der Arbeitsmarktpolitik theoretisch genauer zu betrachten. Die Theorie öffentlicher Güter unterscheidet zwei Anlässe, die einmal getroffene Unterscheidung in private und öffentliche Güter zu überdenken. Der erste -in der Literatur als Allmendeproblem stilisierte -Anlaß ist die zerstörerische Übernutzung des öffentlichen Gutes, die dadurch entsteht, daß einzelne aus selbstsüchtigen Motiven das System überstrapazieren. In einer Privatisierung der persönlichen Arbeitsmarktrisiken kann danach der Versuch gesehen werden, den vermeintlich eigennützigen und selbstverschuldeten Bezug von Leistungen des Systems der Arbeitslosenversicherung einzudämmen, oder -um im Bild der Versicherung zu bleiben -das Ausnutzungsverhalten („moral hazard“) zu begrenzen. Die zugrundeliegende Annahme überwiegend motivational bedingter Arbeitslosigkeit ist jedoch empirisch wie theoretisch fragwürdig 7. Auch wenn man der Annahme folgte, sind die daraus gezogenen Schlußfolgerungen in der neuen Arbeitsförderung nicht konsequent umgesetzt.
Wenn es darum geht, Passivität und Immobilität am Arbeitsmarkt zu sanktionieren, wäre es folgerichtig, im Gegenzug Anreize zu Mobilität und Eigeninitiative zu geben. Für die Gestaltung der fünf Übergänge des Arbeitsmarkts hieße dies, die teilweise Rücknahme der Sicherungsleistungen durch befähigende Infrastrukturen und Spielregeln zu kompensieren. Die Übernahme von Verantwortung setzt erstens die Beteiligung an Entscheidungen voraus, die Risiken enthalten, beispielsweise über Art und Umfang von Arbeitsfördermaßnahmen. Zweitens müssen die Akteure mit den Kompetenzen und Ressourcen ausgestattet sein, die sie in die Lage versetzen, tatsächlich mehr Verantwortung zu übernehmen. Schließlich sollten, drittens, auch finanzielle Anreize die Aufrechterhaltung oder Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit während des gesamten Erwerbszyklus unterstützen.
Ein zweiter Grund, die Nutzen und Kosten neu zu verteilen und die Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Bereich in der Arbeitsmarkt-politik neu vorzunehmen, sind Externalitäten, also Nutzen-und Produktionsinterdependenzen. Arbeitsmarktpolitik kann in dieser Sichtweise externe Effekte für Individuen oder Betriebe verursachen und umgekehrt („Mischgut“). Zum Beispiel kann ein einzelner Betrieb von den Weiterbildungsaktivitäten des Arbeitsamts so profitieren, daß er eigene Weiterbildungsangebote unterläßt. Ein anderes Beispiel ist die oftmals angeführte mangelnde Initiative von Arbeitslosen, durch die dem System der Arbeitslosenversicherung externe Kosten aufgebürdet werden. Durch die Neujustierung von Anreizen und Sanktionen sollen die Kosten dieser Effekte den Verursachern zugewiesen (internalisiert) und positive Nutzenüberflüsse (spillovers) besonders belohnt werden. Gefragt wird dabei also danach, ob Arbeitsmarktpolitik per se eine öffentliche Angelegenheit ist oder ob nicht das Gut „flexible Beschäftigungsverhältnisse“ durch private oder durch privat-öffentliche Arrangements genauso gut oder gar besser gestaltet werden kann als in staatlicher Regie.
Aus der Perspektive der Arbeitsmarktpolitik als Mischgut folgt, daß die Übergänge zwischen verschiedenen Erwerbs-und Nichterwerbsphasen durch gemischt privat-öffentliche Arrangements gestaltet werden sollten. Hierzu ist dem Staat eine neue Rolle zuzuweisen: Anstatt durch eine hierarchische Zentralinstanz sollte Arbeitsmarktpolitik in Kooperation zwischen privaten und öffentlichen Akteuren erbracht werden. Dies setzt eine intensivere Interaktion der jeweils Beteiligten voraus. Der Staat ist dann weniger der Erbringer als der Vermittler und Ermöglicher von Leistungen. Bei der Finanzierung wird sich die neue Arbeitsmarkt-politik zunehmend auf Mischfinanzierungssysteme stützen, die diejenigen in die Finanzierung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen einbeziehen, die von positiven Externalitäten profitieren, d. h., sie wendet sich vom Prinzip der Vollfinanzierung ab und beschränkt sich auf die Kofinanzierung. Dabei können in unterschiedlichen Kombinationen Löhne oder Gehälter mit Transferzahlungen aus beitragsfinanzierten Fonds oder Steuermitteln oder mit Finanzmitteln der Unternehmen zusammengeführt werden.
Auf die Frage, welche Organisations-und Finanzierungsstrukturen der Produktion eines „Mischgutes Arbeitsmarktpolitik“ zugrunde liegen könnten und wie negative Anreize durch positive ergänzt werden können, werden wir in den nachfolgenden Abschnitten genauere Antworten suchen. Wir beginnen mit dem Aspekt der Organisation.
III. Stärkung wettbewerblicher Steuerungselemente
Versteht man Arbeitsämter im oben erläuterten Sinne als Vermittler, teilweise auch „Produzenten“ arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, so repräsentieren in einem Marktmodell die arbeitsmarkt-politischen Träger und Unternehmen die Angebotsseite und Arbeits-, Aus-und Weiterbildungssuchende, Wiedereinsteiger in das Berufsleben und -in einigen Fällen -auch Unternehmen die Nachfrageseite. In einem idealen, effizienten Markt würde die Nachfrageseite nach Arbeitsfördermaßnahmen sowohl das Angebot an unterschiedlichen Maßnahmetypen als auch das Spek trum der durchführenden Träger kennen (Markt-transparenz). Sie würde ferner selbst entscheiden können, ob und an welchen Maßnahmen sie teilnimmt (freier Marktzugang). Anreize, eine kostengünstige Maßnahme zu wählen, würden über Preise in Verbindung mit einer Budgetrestriktion hergestellt.
Unter den optimalen Marktbedingungen ist auf der Nachfrageseite allenfalls die Markttransparenz gegeben. Dazu tragen die Bildungs-und Projekt-träger durch eigene Öffentlichkeitsarbeit bei, und Weiterbildungsdatenbanken sowie Arbeitsmarkt-börsen bieten weitere Informationen an. Dies nützt den Arbeitslosen, Bildungsinteressierten und Wiedereinstiegswilligen allerdings wenig. Es besteht für sie kein freier Marktzugang, da sie in der Regel genau definierte individuelle Leistungsvoraussetzungen erfüllen müssen, um zum begünstigten Personenkreis einer bestimmten Maßnahme zu gehören Nicht alle Versicherten haben also im Falle der Arbeitslosigkeit oder Bildungsbedürftigkeit die gleichen Zugangsrechte zu Maßnahmen. Darüber hinaus werden sie vom Arbeitsamt in Maßnahmen zugewiesen, wobei sie oftmals weder den Maßnahmentyp noch den durchführenden Träger selbst auswählen dürfen. Sie sind daher darauf angewiesen, daß die Arbeitsverwaltung im Zweifel besser als sie selbst weiß, welche Maßnahme zum besten Ergebnis am Arbeitsmarkt führt.
Natürlich verfügt die Arbeitsverwaltung über detaillierte Kenntnisse der regionalen Arbeitsmärkte und kann folglich abschätzen, welche Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt für welche Gruppen zu guten Eingliederungsergebnissen führen können. Mit der gestärkten Kompetenz der Arbeitsämter vor Ort und der nun eingeführten Rechenschaftspflicht (Eingliederungsbilanzen) wird sich diese Fähigkeit vermutlich weiter verbessern Auf der anderen Seite verfügen jedoch auch die Arbeits-, Aus-und Weiterbildungssuchenden über hochspezialisierte Informationen, nämlich hinsichtlich ihrer individuellen Kenntnisse, Fähigkeiten, Bedürfnisse, Lebensentwürfe und Motivation. Daher wird nur eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme, die sowohl hinsichtlich der Arbeitsmarktlage als auch der persönlichen Dispositionen stimmig ist, erfolgversprechend sein. Da sich die individuellen Anforderungen nicht auf die Zugehörigkeit zu einer arbeitsmarktpolitischen „Zielgruppe“ reduzieren lassen, ist ein freier oder wenigstens mitbestimmter Marktzugang, so unsere These, ein bedeutendes Element befähigender Arbeitsmarktpolitik. Die im Arbeitsförderungsrecht in diesem Aspekt noch vorhandene Inkongruenz spiegelt sich auch in der Verteilung der Kosten und Nutzen wieder: Die Arbeitsverwaltung entscheidet zwar über den optimalen Mitteleinsatz (Teilnehmerkreis, Maßnahmetyp, Träger), im Falle des Scheiterns sind aber die Kosten von den Betroffenen zunehmend selbst zu tragen, indem die Leistungen bei (erneuter) Arbeitslosigkeit herab-und die Zumutbarkeitsgrenzen heraufgesetzt wurden
Unter den Vorzeichen dieser gestörten Balance stellt sich auch die Frage nach der Berechtigung, die Förderung überwiegend auf Zielgruppen zu konzentrieren. Sicherlich ist es die Aufgabe der Arbeitsförderung, besonders die Möglichkeiten von benachteiligten Bildungs-und Arbeitsuchenden zu verbessern (§ 1 SGB III) und bei Ermessensleistungen die Zielgruppen angemessen zu berücksichtigen (§ 7 Abs. 3 SGB III). In einem voll solidarischen System, das Risiken vergesellschaftet, muß Schwachen zweifellos zu Lasten der Starken geholfen werden. Dies ist auch unter Kosten-Nutzen-Aspekten angezeigt, da Personen mit besonderen Problemen am Arbeitsmarkt dem System der Arbeitslosenversicherung langfristig die höchsten Kosten verursachen. Wenn nun jedoch einige Mitglieder der Solidargemeinschaft ihre persönlichen Arbeitsmarktrisiken zunehmend individuell finanzieren müssen, steht die Rechtfertigung in Frage, mit den Finanzmitteln, zu denen alle Arbeitnehmer beigetragen haben, dauerhaft vorrangig bestimmten Gruppen zu helfen. Die Verantwortung für eine adäquate Maßnahmen-wahl kann ein Individuum den regional gut informierten Arbeitsämtern nur dann überlassen, wenn diese nicht „parteiisch“ zur Förderung bestimmter Personengruppen verpflichtet sind. Sonst muß es in die Lage versetzt werden, für sich selbst Partei zu ergreifen.
Diese Inkongruenz könnte insbesondere durch die Stärkung der individuellen Wahlfreiheit bei der Auswahl von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen abgeschwächt werden. Ein gestärktes Mitspracherecht kann sich auf den Maßnahmetyp und -träger beziehen, bis hin zu einem verbindlichen Rechtsanspruch auf die Teilnahme an Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik. Damit würde erstens die bislang tendenziell noch vernachlässigte Information über die individuelle Disposition des Arbeit-suchenden im Sinne einer besseren Allokation der Mittel aktiviert. Zweitens stünde -insbesondere bei der (Wieder-) Einführung des Rechtsanspruchs -der gesteigerten Verantwortung ein höheres Maß an Befähigung gegenüber. Ein gestärktes Mitspracherecht könnte sich auch im Initiativrecht auf Ausarbeitung eines Aktionsplans zur Wiedereingliederung ausdrücken, wobei eine Schiedsstelle Konfliktfälle zwischen individuellen Vorstellungen und Arbeitsverwaltung schlichten würde. Nimmt das Individuum das Initiativrecht nicht wahr, muß es auf die Pläne der Arbeitsverwaltung eingehen. Ergebnis solcher Aushandlungsprozesse wären Aktionspläne, die spätestens nach, drei Monaten Arbeitslosigkeit aufgestellt werden müßten
Auf der Finanzierungsseite könnte ein Rechtsanspruch auf Arbeitsmarktpolitik in einem Extrem darauf hinauslaufen, eine prinzipielle Deckungsfähigkeit der Ausgabentitel für passive Unterstützungsleistungen (Arbeitslosengeld und -hülfe) mit Ausgaben für aktive Maßnahmen einzuführen, über die. jede/r Arbeitslose entscheiden kann. Personen könnten ihre erworbenen Ansprüche auf Arbeitslosengeld und -hülfe demnach eigenständig zum „Erkaufen“ von Leistungen ihrer Wahl einsetzen. Derartige Vorschläge sehen beispielsweise vor, daß Arbeitslose ihr Arbeitslosengeld kapitalisiert einem Unternehmen als Einarbeitungszuschuß, Qualifizierungsgutschein oder gar als Existenzgründungshilfe zur Verfügung stellen. Aber nicht nur Erwerbslos'e könnten in den Genuß dieser Deckungsfähigkeit kommen. Auch Beschäftigte könnten im Sinne präventiver Arbeitsmarktpolitik einen Teil ihrer in der Arbeitslosenversicherung „zwangsgesparten“ Mittel nach einer bestimmten Ansparzeit zur Verbesserung ihrer Arbeitsmarktlage einsetzen dürfen. Zum Beispiel könnte die Ansparung für aufstiegsorientierte Maßnahmen der Jobrotation oder für betriebliche Weiterbildung genutzt werden. Hier wäre daraufzu achten, daß sich die Betriebe in angemessener Weise an den Kosten beteiligen.
Das Problem dieser weitreichenden Vorschläge ist sicherlich, daß die individuelle Verfügungsmacht über die Mittel der Arbeitslosenversicherung noch stärker als bisher die Übernahme individueller Risiken beinhalten müßte. Sind die Ansprüche auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung ohne Erfolg aufgebraucht -z. B. weil eine falsche Maßnahmenwahl getroffen wurde oder der Arbeitsmarkt schlicht keine Beschäftigungsmöglichkeiten bietet -, stellt sich die Frage, wie dann die Einkommenssicherung und weitere notwendige Arbeitsmarktmaßnahmen gewährleistet werden können. Sind diese Ergebnisse von individuellen Wahlhandlungen nicht abgesichert, führt der Vorschlag zu einer reinen Beitragsäquivalenz und läßt das Solidarprinzip außen vor. Damit würden die Probleme der zuletzt eingeleiteten Reformen des Arbeitsförderungsrechts sogar noch verschärft. Um zu einer besseren Balance zwischen Verantwortung und Befähigung zu kommen, schlagen wir daher einen mittleren Weg vor. Die Wahlfreiheiten sollten zwar erhöht werden, die Entscheidungen jedoch in Abstimmung, Kooperation und entsprechenden Vereinbarungen mit den Arbeitsämtern getroffen werden, welche über die solidarische Umverteilung einen Teil der Risiken übernehmen. Finanzierungsseitig könnten der regelgebundene Bundeszuschuß und die Spaltung der Arbeitsmarktbeiträge zum Zuge kommen, auf die wir weiter unten eingehen.
Auch durch die Regulierung der Angebotsseite, also der Träger arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, entstehen bedeutende Marktunvollkommenheiten. Die erste besteht darin, daß kein freier und kostenloser Markteintritt und -austritt der Anbieter gegeben ist. Dabei können objektive, Institution nelle und strategische Markteintrittsbarrieren für Träger arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen unterschieden werden Objektive Barrieren bestehen, wenn hohe spezifische Investitionen den Markteintritt erschweren oder riskant machen, z. B. für die aufwendige Konzipierung von Weiterbildungsprogrammen. Institutioneile Eintrittsbarrieren beziehen sich auf Institutionen, die den Markteintritt verhindern oder erschweren. Eine solche Barriere wird beispielsweise vom Arbeitsförderungsrecht aufgebaut, wenn nur bestimmte Träger für dieDurchführung einzelner Maßnahmen zugelassen werden (z. B. nur Mitglieder eines der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege für soziale Projekte). In gleicher Weise wirkt die „freihändige“ Vergabe von Beschäftigungsprojekten an Träger, die der Arbeitsverwaltung bekannt sind, anstelle einer öffentlichen Ausschreibung. Ein anderes Beispiel sind komplexe Förder-und Finanzierungskonditionen, die nur von „Insidern“ bewältigt werden können. Strategische Eintrittsbarrieren werden schließlich von denjenigen Marktteilnehmern errichtet, die ihn gegen Konkurrenten abschotten wollen. In der arbeitsmarktpolitischen Praxis spielen diese z. B. bei Finanzierungskoalitionen eine Rolle, bei denen sich mehrere Träger zusammenschließen, um einen Anteil der regionalen Fördermittel für sich zu sichern.
Eine weitere Marktunvollkommenheit besteht darin, daß der Preis für die Leistungen der Träger oftmals-noch nach dem Selbstkostenprinzip gebildet wird, indem die tatsächlich entstandenen Kosten -teilweise mit Hilfe von festen Verrechnungssätzen oder unter Anwendung von Obergrenzen -abgerechnet werden. Das heißt, daß im Rahmen der Abrechnungsvorschriften keine Budgetrestriktion vorhanden ist und Sparen nicht belohnt wird. Durch dieses Verfahren besteht die Gefahr der Verschwendung; entsprechende Presseenthüllungen bringen die öffentliche Beschäftigungsförderung regelmäßig in Verruf. Es entstehen dadurch auch negative Anreize bei den Maßnahmen. Bildungsträgern erwachsen z. B. bei vorzeitigem Maßnahmeabbruch von Teilnehmern finanzielle Nachteile, weil deren Teilnahmegebühren nicht mehr abgerechnet werden können. Folglich haben die Träger kein Interesse, einen Übergang ihrer Teilnehmer in reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu fördern. Auch diese kontraproduktiven Anreize stehen der individuellen Ver-. antwortungsübernahme entgegen.
Als Folge der verschiedenen Markteintrittsbarrieren sowie des fehlenden Preismechanismus leidet der Wettbewerb unter den Trägern, und somit wird entweder die höchste Qualität der Leistung und/oder der dafür zu entrichtende minimale Preis nicht voll ausgeschöpft. Bei einer erweiterten Wahlfreiheit auf der Nachfrageseite könnte der Wettbewerb dadurch angeregt werden, daß die „Kunden“ sich das Leistungsangebot selbst auswählen. Bei der weitreichenden Variante, in der Arbeitslose die Leistungen mit knappen Mitteln aus ihrer Arbeitslosenunterstützung selbst einkaufen, entstünde sogar eine harte Budgetrestriktion. Eine Regulierungsmöglichkeit auf der Angebots-seite besteht darin, unter den Trägern einen Wettbewerb um Fördermittel zu organisieren. Dies kann z. B. durch die wettbewerbliche Vergabe von Maßnahmen geschehen, wie es erstmals in größerem Umfang von der Treuhandanstalt bei Strukturanpassungsmaßnahmen in Ostdeutschland erfolgreich praktiziert wurde Der Vorrang der Vergabe von ABM im gewerblichen Bereich ist in der letzten Reform des Arbeitsförderungsrechts entsprechend gestärkt worden. Möglichkeiten der Vergabe bestehen aber grundsätzlich auch im nichtgewerblichen Bereich der öffentlichen Beschäftigungsförderung, und sie kann auch bei der Förderung von Aus-und Weiterbildungsträgern Produktivitätsreserven aufdecken. Allerdings sind der Vergabe auch Grenzen gesetzt, und sie ist nicht universell für alle Maßnahmetypen anwendbar. So sind insbesondere die Leistungen in sozialen Projekten schwer ausschreibetauglich zu definieren und standardisieren, oder das Projektmanagement ist ein so integraler Bestandteil von Projektdurchführung und -erfolg, daß es nicht ausgewechselt werden kann (z. B. Aids-Projekte von Betroffenen für Betroffene).
Ein funktionales Äquivalent zur Vergabe kann bei Beschäftigungsprojekten aber auch die Durchführung in Regie einer Gebietskörperschaft sein Ein Träger, der ein originäres institutionelles Interesse am Arbeitsergebnis hat und zudem an den Kosten beteiligt ist, wird eine Maßnahme ähnlich effektiv organisieren wie ein anderer Träger, der sich im Wettbewerb behaupten muß. Bei Trägern mit primär beschäftigungspolitischen Interessen (z. B. Beschäftigungsgesellschaften) besteht dagegen kein eigener Anreiz zum kostensparenden und effizienten Arbeiten, so daß hier ein wettbewerbliches Verfahren notwendig ist. Schließlich gibt es unterschiedliche Organisationsmodelle für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, die den Wettbewerb z. B. durch Konkurrenz um Fördermittel einbeziehen. Es wäre dann Aufgabe der Arbeitsämter, diese Modelle zu realisieren. Auch bei ihnen müßten dafür allerdings die Handlungsoptionen und -ressourcen weiter erhöht werden, um sie dazu auch zu befähigen.
Ein weiteres Problem bei der Regulierung der Angebotsseite ist die gering entwickelte Leistungsbeobachtung, sowohl auf der Ebene der Trägerarbeitsmarktpolitischer Maßnahmen als auch auf der Ebene der Arbeitsämter als Vermittler dieser Leistungen. Ein erster Schritt Zur Behebung dieses Problems wurde mit der Einführung von Eingliederungsbilanzen bei der Arbeitsverwaltung bereits gegangen. So kann ein fruchtbarer Wettbewerb zwischen den Arbeitsämtern entstehen, und durch die Nachvollziehbarkeit (, accountability‘) ihrer Aktivitäten werden die Arbeitsämter ihre öffentliche Anerkennung verbessern. Eine breite und in den Regionen institutionalisierte Evaluierungsforschung muß freilich hinzukommen, um die tatsächlichen Nettoeffekte sowie deren Nachhaltigkeit zu überprüfen
Als Fazit bleibt festzuhalten: Wettbewerbliche Elemente könnten in einigen Bereichen die Effizienz der Leistungserbringung der Arbeitsverwaltung erhöhen, und sie sind oftmals als funktionale Entsprechung von zugemuteter Eigenverantwortung zu sehen. Für die Arbeitsämter als Vermittler der Leistungen leitet sich daraus ab, daß zusätzliche Freiheitsgrade in den Handlungs-und Managementoptionen nötig sind. Das gleiche gilt für die Arbeits-und Bildungssuchenden, deren Wahlfreiheiten zu erhöhen sind. Dieser Neujustierung von Handlungskompetenzen stehen auch veränderte Finanzierungskonstellationen gegenüber, die nachfolgend diskutiert werden.
IV. Zur Finanzierung interaktiver Arbeitsmarktpolitik
Wie bereits ausgeführt, entspricht einer Betrachtung der Leistungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik als ein Mischgut eine gemischte Finanzierung, bei der alle profitierenden Akteure einen Beitrag entsprechend der ihnen zufallenden Nutzen leisten. Die Bundesrepublik ist neben Österreich das einzige Land in der OECD, das die Arbeitsförderung fast ausschließlich aus Beiträgen finanziert Das belastet sowohl die Lohnnebenkosten der Unternehmen als auch das Nettoentgelt der Arbeitnehmer. Bei abnehmendem Anteil der aktiven, abhängig beschäftigten Erwerbsbevölkerung sinkt die Bemessungsgrundlage. Da Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik positive Effekte weit über den Kreis der Beitragszahler hinaus haben, ist dieser Finanzierungsmodus nicht sachgerecht („Inkongruenzproblem“). Dies gilt insbesondere auch für die Subvention eines Niedriglohnsektors, die nach aktuellen Vorschlägen aus Beitragsmitteln finanziert werden soll.
Der Staat könnte durch einen regelgebundenen Bundeszuschuß zum Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit in die Finanzierung aktiver Arbeitsmarktpolitik einbezogen werden Ein solcher Zuschuß würde sich an der Regel orientieren, daß Entlastungs-und Belastungswirkungen politischer Maßnahmen (hier der aktiven Arbeitsmarktpolitik) übereinstimmen. Da der Bundeshaushalt durch eine erfolgreiche aktive Arbeitsmarktpolitik mehr Rückflüsse an Steuern erhält, als er selbst zur Finanzierung der Maßnahmen beiträgt, sollte er auch als Kofinanzierer eingebunden werden. Die Regelbindung würde die Verstetigung der Ausgaben sicherstellen und prozyklische Effekte ausschließen. Der Zuschuß wäre an die Höhe der fiskalischen Entlastungseffekte (30 bis 40 Prozent) zu binden, die dem Bund durch aktive Arbeitsmarktpolitik zufließen. Der. entsprechende Betrag hätte 1993 etwa 18 Milliarden, das sind eineinhalb Prozentpunkte der Beitragseinnahmen der Bundesanstalt für Arbeit, entsprochen. Er wäre aufkommensneutral über eine Erhöhung der indirekten Steuern zu finanzieren Damit würden auch Selbständige und Beamte in die Finanzierung einbezogen. Die Voraussetzung für eine langfristige Beschäftigungsexpansion ist allerdings, daß sie nicht durch überproportionale Lohnerhöhungen zunichte gemacht wird und daß die Einnahmenzuwächse der Sozialversicherung für Beitrags-senkungen genutzt werden 1’.: Die gemeinhin bemängelten regressiven Verteilungswirkungen der indirekten Steuer können unter Umständen durch die Reintegration von Personen mit geringen Einkommen in den Arbeitsmarkt kompensiert werden.
Außer dem Bundeshaushalt profitieren je nach Maßnahmetyp auch die Länder, Kommunen sowie die Renten-und Krankenversicherung von aktiver Arbeitsmarktpolitik. Ein Beispiel sind Beschäftigungsprojekte, aus deren Gütern oder Dienstleistungen die Länder und Kommunen einen Nutzen ziehen können. Durch die saubere Zuordnung der Kosten zu den Nutzenempfängern würde sich die finanzielle Basis für Arbeitsmarktpolitik erweitern. Eine Lösungsmöglichkeit für dieses Inkongruenzproblem wäre ein Fonds, aus dem arbeitsmarkt-und beschäftigungspolitische Programme finanziert werden und in den die öffentlichen Institutionen entsprechend ihrer fiskalischen Entlastung aus den jeweiligen Maßnahmen einzahlen Grundlage für die Beiträge müßten fiskalische Be-und Entlastungsrechnungen sein Allerdings scheiterte die Realisierung eines solchen Fonds bislang unter anderem an den Widerständen der beteiligten Institutionen und an methodischen wie empirischen Zweifeln an der Zuverlässigkeit der zugrundeliegenden Berechnungen.
Ein weiterer Weg der Kostenaufteilung aüf die profitierenden Akteure sind Kofinanzierungsmodelle. Hierbei bietet die Bundesanstalt für Arbeit eine Teilfinanzierung bestimmter arbeitsmarktpolitischer Vorhaben an und versucht durch diesen Anreiz, andere Akteure zur Kofinanzierung zu bewegen. Solche Modelle sind zwischen einigen Unternehmen, Gebietskörperschaften und Parafiski (die Bundesanstalt für Arbeit oder andere Sozialversicherungsträger) seit einigen Jahren schon Realität. So beteiligen sich unter anderem die Europäische Gemeinschaft im Rahmen des Europäischen Sozialfonds, die Bundesländer sowie zunehmend auch die Kommunen an der Finanzierung beschäftigungspolitischer Maßnahmen
Hierfür sind auch instrumentelle Innovationen des Arbeitsförderungsrechts wie die Strukturanpassungsmaßnahmen verantwortlich, die für ihre Realisierung eine Kofinanzierung voraussetzen. Ein Kofinanzierungsmodell, das, Unternehmen einbezieht, ist im neuen Recht durch die Möglichkeit der Umwidmung von Sozialplanmitteln angelegt (§§ 254 ff. SGB III). Denkbare Einsatzfelder für Kofinanzierungsmodelle wären außer der öffentlichen Beschäftigungsförderung z. B. Maßnahmen der aufstiegsorientierten Jobrotation und Zielqualifizierungsmaßnahmen.
Die Höhe der Zuweisungen der Bundesanstalt für Arbeit könnte auf der Grundlage regionaler Arbeitsmarktindikatoren oder wiederum auf Basis von Berechnungen der budgetären Be-und Entlastungseffekte bestimmt werden. Beteiligt sich die Bundesanstalt z. B. an bestimmten Projekten oder Maßnahmen mit 50 Prozent, müßten Unternehmen, Länder oder Kommunen die fehlenden 50 Prozent mobilisieren; Dadurch könnte die Arbeitsverwaltung ähnlich wie bei der Anrechnung von Spenden auf die Einkommensteuer solche Projekte identifizieren, die von Akteuren vor Ort als sinnvoll und somit als finanziell förderungswürdig angesehen werden. Wenn zwei oder mehr Kofinanziers die Kosten übernehmen, müssen sie auf dem Wege freiwilliger Verhandlungen eine Einigung über die jeweiligen Finanzierungsbeiträge erzielen. Erscheinen die Transaktionskosten dabei als zu hoch -sie steigen mit der Anzahl der beteiligten Akteure -, kann es sinnvoll sein, daß die Bundesanstalt für Arbeit Korridore festlegt, in denen sich die Kostenteilung bewegen sollte, oder sich als Mediator in die Verhandlungen einschaltet. Nun zur Einnahmeseite der Finanzierung. Die Gestaltung der Arbeitgeberbeiträge hat zweifellos Einfluß auf die betrieblichen Beschäftigungsanreize; dennoch hat sich der Gesetzgeber mit dieser Seite der Finanzierung bisher kaum beschäftigt. Hier stellt sich die Frage, welche Bemessungsgrundläge und welche Tarifstruktur Anreize für eine beschäftigungsintensive Personalpolitik setzt, ohne die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu vermindern. Als alternative Bemessungsgrundlage wird seit Jahrzehnten u. a. . die Wertschöpfungssteuer diskutiert, bei der nicht nur der Faktor Arbeit (Löhne), sondern auch der Faktor Kapital zur Finanzierung der sozialen Sicherung herangezogen wird. Die Bemessungsgrundlage für die Arbeitgeberbeiträge ist danach die Bruttowert-Schöpfung, die neben der Lohn-und Gehalts-summe die Gewinne, Fremdkapitalzinsen, Mieten, Pachten, Unternehmenssteuern und Abschreibungen einschließt. Diese Bemessungsgrundlage wäre fast doppelt so hoch wie die bisherige. Die Beitragssätze könnten daher halbiert und die Arbeitseinkommen bzw. die Lohnnebenkosten der Unternehmen entsprechend entlastet werden wodurch Beschäftigungsanreize entstünden.
Die Wertschöpfungssteuer ist insbesondere wegen der im Vergleich zur lohnbezogenen Beitragsfinanzierung starken Belastung kapitalintensiver Unternehmen und den davon erwarteten Wettbewerbs-schädigungen nach wie vor umstritten. Allerdings würden umgekehrt die bislang stark mit Lohnnebenkosten belasteten, arbeitsintensiven Dienstleistungsbereiche bei einer Wertschöpfungssteuer expandieren können. Eine vergleichbare Wirkung wird derzeit durch die Subventionierung eines Niedriglohnsektors aus Beitragsmitteln angestrebt, bei der Betriebe mit Beschäftigung in den unteren Lohnsegmenten bevorzugt würden. Fraglich ist, ob von einer alternativen Bemessungsgrundlage nicht positivere Beschäftigungseffekte ausgehen würden. Hier schließt sich ein weiteres Argument für die Erweiterung der Bemessungsgrundlage an, das eher systematischer Art ist: Ein Abgabensystem, das nicht nur eine Versicherungsfunktion, sondern auch eine solidarische Funktion hat, sollte grundsätzlich an der Leistungsfähigkeit ansetzen. Hierfür ist die Wertschöpfung zwar kein optimaler, aber immerhin ein besserer Indikator als die beitragspflichtigen Löhne und Gehälter.
Nun zur beschäftigungswirksamen Reform der Tarifstruktur der Arbeitgeberbeiträge: Ein Vorschlag, der unabhängig von der zugrundeliegenden Bemessungsgrundlage durchführbar ist, sieht vor, eine vom Risiko abhängige Gestaltung der Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung einzuführen, die Ausnutzungseffekte begrenzt Ähnlich wie bei der Kfz-Haftpflichtversicherung würden die Beiträge der Unternehmen nach diesem Vorschlag von ihrem Entlassungsverhalten in der Vergangenheit abhängen, so daß sich die Kooperation zwischen Unternehmen und der Versicherung kostensenkend auswirkte. Damit würden Anreize zum Sparen erzeugt. Einen Schritt weiter gedacht könnten Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung auch bei Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze reduziert werden. Sie hätten dann die Wirkung arbeitsplatzschaffender Lohnsubventionen, wie sie in Ostdeutschland im Rahmen der Strukturanpassungsmaßnahmen bereits gewährt werden. Auch an Bonus-Malus-Systeme für beschäftigungsfreundliche Arbeitszeitarrangements („Bestrafung“ von ständigen Überstunden durch höhere Beitragssätze, „Belohnung“ für qualifizierte Teilzeitarbeitsplätze durch niedrigere Beitragssätze) wäre zu denken.. Eine derartige Reform der Tarifstruktur würde die Beschäftigungsanreize der Unternehmen gegenüber dem Status quo verbessern. Die Gestaltung der Vor-und Nachteile bei der Tarifstruktur müßte sich jedoch jeweils am Durchschnitt der jeweiligen Branche orientieren, damit Branchen mit besonderen Strukturproblemen nicht durch „Bestrafung“ in weitere Abwärtsspiralen gezogen werden
Auf der Arbeitnehmerseite der Finanzierung stellt sich das Problem etwas anders. Hier ist einerseits zu fragen, wie das individuelle Interesse an einer vorbeugenden Aktivität zur Erhaltung oder Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit gesteigert werden kann, und andererseits, wie die Arbeitsuchenden durch gestärkte Verfügungsgewalt über die Mittel ihre Befähigung zur Verantwortungsübernahme erhöhen können. Oben wurden die Nachteile eines reinen Äquivalenzprinzips in der Finanzierung aufgeführt (unzumutbare individuelle Sicherungungsrisiken). Eine diskutable Lösung, welche diese Nachteile vermeidet, könnte in der Aufspaltung des Beitrags zur Bundesanstalt für Arbeit Hegen. Der erste Beitrag diente der solidarischen Risikosicherung und der zweite der individuellen Pflege der Beschäftigungsfähigkeit. Der erste Beitrag zur Arbeitslosenversicherung würde also, wie bisher, Ansprüche auf Arbeitslosengeld begründen und damit das individuelle Risiko, arbeitslos zu werden, versichern, der zweite berechtigte zu Leistungen, welche die Erwerbschancen verbessern. Dazu würden nicht nur Maßnahmen der Weiterbildung und Arbeitsförderung gehören, sondern beispielsweise auch die etwaige Aufstockung des Einkommens durch ein Teilzeitarbeitslosengeld, wenn z. B. zum Berufs(wieder) einstieg vorübergehend eine Teilzeitbeschäftigung angenommen wird Eine solche Regelung liefe auf eine prinzipielle Deckungsfähig- keit zwischen „passiven“ und „aktiven“ Mitteln der Arbeitsmarktpolitik hinaus, zumindest was den zweiten Beitragsteil anbelangt. Wenn die Arbeitsuchenden an der Finanzierung aktiver Maßnahmen in ähnlicher Weise beteiligt wären wie an der Finanzierung ihrer Arbeitslosigkeit, würden ihre Ansprüche an das Preis-Leistungs-Verhältnis ebenso steigen wie ihre Motivation, das Beste aus der Maßnahme herauszuholen. Dies könnte die Effizienz der Beschäftigungsförderung verbessern.
Auf der Leistungsseite sollte für den Erhalt und die Pflege der persönlichen Beschäftigungsfähigkeit ein höheres Entgelt entrichtet werden als bei der bloßen Lohnersatzleistung, auch wenn der Anreiz zur Teilnahme an beschäftigungsfördernden Maßnahmen in erster Linie von der gewonnenen Beschäftigungsfähigkeit und höheren Einkommenserwartungen herrühren sollte. Zu überlegen wäre daher unter anderem, ob das seit 1975 sukzessive auf das Niveau des Arbeitslosengeldes reduzierte Unterhaltsgeld für berufliche Weiterbildung von Arbeitslosen wieder angehoben werden sollte.
V. Resümee
Wir kommen zum Resümee. Die Frage, wie die Balance zwischen einer erweiterten Verantwortung einerseits und der dazu notwendigen Befähigung andererseits besser austariert werden kann als im reformierten Arbeitsförderungsgesetz (SGB III), haben wir versucht auf drei Ebenen zu beantworten. Ausgegangen sind wir von der Erosion des bisherigen Normalarbeitsverhältnisses, dessen neue Konturen zwar noch nicht festgelegt sind, jedoch zumindest durch zunehmend variierende Beschäftigungsverhältnisse gekennzeichnet sein werden. Der Erhalt und die ständige Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit werden in diesem Kontext zum vorrangigen Ziel einer zukunftsfähigen Arbeitsmarktpolitik. Dafür ist eine Stärkung der Befähigung zu mehr Eigenverantwortung und eine breitere Kooperation der arbeitsmarktpolitischen Akteure notwendig.
Im Hinblick auf die organisatorischen Reformen haben wir die Verstärkung von Wettbewerbselementen gerechtfertigt und die Bedingungen abgeleitet, unter denen Arbeitnehmer zu größerer Eigenverantwortung befähigt werden. Auf der Nachfrageseite des '„Marktes der Arbeitsförderung“ müssen Arbeits-und Weiterbildungssuchende sowie die Betriebe als mögliche „Kunden“ in stärkerem Maße mitbestimmen dürfen, welche Maßnahme öder welches Förderangebot für sie tauglich, ist, und sie sollten dabei nach Möglichkeit einer Budgetrestriktion unterliegen. Auf der Angebotsseite, kommt es dagegen darauf an, daß die objektiven, institutioneilen und strategischen Barrieren abgebaut werden, die den Marktzutritt beispielsweise im Geschäft der Weiterbildung oder der Arbeitsförderung behindern. Nicht in allen, aber doch in mehr Fällen als bisher wäre mehr wettbewerbliche Ausschreibung das geeignete Instrument dazu, während in anderen die Durchführung in eigeninteressierter Regie zu empfehlen ist.
Auf der Finanzierungsseite haben wir drei Ansatzpunkte diskutiert, welche die Balance von mehr dezentraler Verantwortung und entsprechender Befähigung verbessern könnten: Erstens folgt aus der Tatsache, daß sich das Gewicht der Arbeitsförderung zunehmend von einer reinen Versicherung auf präventive, und gestaltende Risikovorsorge verschiebt, eine stärkere Finanzierungsbeteiligung aus allgemeinen Steuermitteln. Ein geregelter Bundeszuschuß zur Finanzierung der (sich verändernden) Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit wäre dafür ein taugliches Instrument. Das erweiterte Kooperationsmodell impliziert auch komplexe Kofinanzierungsmodelle, die sich im Prinzip an den jeweiligen Nutzen-Kosten-Relationen orientieren sollten. Die Bundesanstalt für Arbeit könnte dabei ihre Finanzierungszusagen mit Anreizen zur Mobilisierung zusätzlicher privater, kollektiver oder staatlicher Mittel verknüpfen. Zweitens stellt sich die Frage nach einer Gestaltung der Arbeitgeberbeiträge zur Bundesanstalt für Arbeit, die Anreize für mehr Beschäftigung setzt und den Erhalt oder die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit belohnt; wir halten eine leistungsbezogene Bemessungsgrundlage der Beiträge und eine variable Tarifstruktur für tauglich, solche Anreize zu setzen. Drittens könnte eine Spaltung des Arbeitnehmerbeitrags in ein solidarisches und in ein weitgehend selbst bestimmbares Element zu mehr Eigenverantwortung in der Risikovorsorge befähigen. Auch in der Gewichtung dieser beiden Elemente ist die Übernahme größerer beschäftigungspolitischer Verantwortung ein Frage der Balance.