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Die Welt der Wochenenden. Auf dem Weg in die Freizeitgesellschaft | APuZ 31/1999 | bpb.de

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APuZ 31/1999 Die Zeiten ändern sich Vom Umgang mit der Zeit in unterschiedlichen Epochen Die innere Uhr Im Geschwindigkeitsrausch Die Welt der Wochenenden. Auf dem Weg in die Freizeitgesellschaft Zeit lassen. Ein Plädoyer für eine neue Zeitpolitik

Die Welt der Wochenenden. Auf dem Weg in die Freizeitgesellschaft

Bernd Guggenberger

/ 19 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Es sind vor allem zwei -scheinbar gegensätzliche -Tendenzen, die jetzt und künftig das vertraute Bild des „freien Wochenendes“ von Grund auf erschüttern könnten: Da ist zum einen die drastische Verkürzung der Wochen-, Jahres-und Lebensarbeitszeit. Wer nur noch wenig mehr als fünf Prozent der gesamten Lebenszeit arbeitet -für den dehnt sich das Leben gewissermaßen zu einem nicht enden wollenden Wochenende. Ein Erwerbstätiger schläft heute schon, auf die Jahresarbeitszeit bezogen, doppelt so lange wie er arbeitet. Die Wochenenderfahrung weitet sich aus und erobert sich immer größere Bereiche des Wochenalltags. Wenn aber „alles“ Wochenende wird, ist nichts mehr Wochenende. Dem „freien Wochenende“ droht der sanfte Tod des gleichförmig-immerwährenden Wochenendtriumphes. Zum anderen aber geht es dem arbeitsfreien Wochenende an den Kragen, weil die Unternehmen aus Wettbewerbs-und produktionstechnischen Gründen immer ungeduldiger sein Ende fordern. Wie die Lockerung der Ladenschlußzeiten zeigt, wird das arbeitsfreie Wochenende wohl auf Dauer schwerlich dem Sog der kontinuierlich aktiven Gesellschaft mit ihrem linearen Nachfrage-und Angebotsverhalten widerstehen können. Wir sind auf dem Weg in die Kontinuitätsgesellschaft -die Gesellschaft, die rund um die Uhr und rund um die Woche kontinuierlich aktiv ist. In Wahrheit verschränken und verstärken sich diese beiden -eben nur scheinbar widersprüchlichen -Tendenzen wechselseitig, denn eine freizeitaktive und konsumtive Wochenendgesellschaft zwingt gleichzeitig eine immer größere Anzahl ihrer Mitglieder dazu, für die anderen das Riesenrad zu drehen und die Pizza zu backen.

Dieser Essay beginnt mit einem Dementi: Die Welt der Wochenenden gibt es nicht mehr; aber es gibt die Welten des Wochenendes.

Das ist keine ganz unwichtige Korrektur unserer Themenformulierung, besagt sie doch, daß das einheitliche Gesicht des Wochenendes verschwunden ist. Je nachdem, wer einer ist, wird er das Wochenende in einer jeweils ganz anderen Wochenendwelt verbringen, als viele andere: Je nachdem, welcher Altersgruppe er angehört, welcher Bildungsschicht er zuzurechnen ist, wo er lebt und wohnt, in welchen Kreisen er sich bewegt, welchen Zirkeln, Gruppen und Gemeinschaften er sich zugehörig fühlt, wird er ein jeweils ganz anderes Wochenende erleben -mit anderen Menschen und anderen Aktivitäten, in anderen Landschaften und anderer Umgebung, mit anderen Gedanken und anderen Gefühlen, anderen Erwartungen und anderen Erfahrungen.

Ob aber überhaupt das Wochenende für jemanden eine eigene Welt darstellt, darüber entscheidet vor allem, was er die Woche über tut: Das klarste Eigenprofil gewinnt das Wochenende für den, der die Woche über hart arbeitet und die Arbeit, die er verrichtet, nicht gerade mit Inbrunst liebt. Er ist am deutlichsten bemüht, am Wochenende die größtmögliche Distanz zur Welt der Arbeit zu legen. Kurzum: Das Wochenende kann nur schätzen (und es gleichsam „arbeitsförmig“ durchplanen und zelebrieren!), wer es die Woche über schmerzlich vermißt. Das „Saturday-Night-Fever“ bricht nur bei jenen aus, die es die ganze Woche über zurückdämmen mußten! Sie, die von der Woche Müh’ und Last Gezeichneten, bevölkern den Erlebnispark Wochenende. Zum Wochenendfetischisten wird eben nur, wer auch blind und ohne Englischkenntnisse jenen Stoßseufzer unterschreibt, der so viele amerikanische Bürowände ziert: „Thanks God, it’s Friday!“

Neben jenen, für die am Freitag Nachmittag das Leben beginnt, das so ganz Andere des arbeitsbestimmten Daseins, gibt es auch die ostentativen Wochenendmuffel: Sie inszenieren am Wochenende nicht das Außeralltägliche, sondern verhalten sich „wie immer“. Für diejenigen, für die ohnehin immer Wochenende ist, gibt es keinen Grund, sich ausgerechnet am Wochenende besonders wochenendkonform zu verhalten: etwa (noch) länger zu schlafen, oder (noch) mehr fernzusehen, außer Haus zu essen oder sich ganz besonders zu kleiden. Sie können es sich leisten, an Samstagen und Sonntagen, wenn alles sich drängelt, auch mal zu Hause zu bleiben -nicht auch am Skilift in der Schlange zu stehen oder sich nicht auch noch im überfüllten Schwimmbad zu tummeln, den Ausstellungsbesuch auf Donnerstag vorzuziehen und einzukaufen, wenn das arbeitende Volk zur „Steigerung des Bruttosozialprodukts“ gerade mal wieder „in die Hände spuckt“. Über die „Welt der Wochenenden“ zu sprechen, ist deshalb nicht ganz einfach, weil es am Wochenende einfach alles gibt -und auch das Gegenteil von allem! Ruhe, Beschaulichkeit und spießig-fromme Häuslichkeit nicht weniger als hektische (Auto-) Mobilität, Erlebnisprasserei und körperliche Verausgabung bis zum Exzeß; Muße und Kontemplation ebenso wie die Flucht in den Zweitjob oder die Schwarzarbeit (jeder siebte Erwerbstätige, das heißt über vier Millionen Bundesbürger, machen mittlerweile einen Teil ihrer Freizeit mehr oder weniger regelmäßig zur Arbeit und damit zu einer zweiten Einkommensquelle!); es wird gemeinschaftlich gesungen, musiziert und gelesen, es wird aber auch, und zwar ungleich häufiger, zu Hause und in der Vereinzelung die Video-und Fernsehdroge konsumiert -mit bis zu einem guten Dutzend Spielfilmen an einem einzigen Wochenende; man geht spazieren, besucht das Theater oder ein gutes Restaurant, aber man bleibt auch zu Hause, schläft länger und macht sich in den eigenen vier Wänden wieder einmal nützlich; man bleibt allein, aber man erinnert sich auch gerade am Wochenende gern, daß der Mensch „keine Insel“ ist, daß er Freunde hat und Verwandte, Kinder, Enkel, Tanten und Großeltern, die man alle „übers Wochenende“ immer schon besuchen wollte; man treibt Sport, läuft Ski, spielt Tennis oder Fußball, segelt oder surft, aber man erholt sich auch und ruht sich aus; gerade noch jeder zehnte -mit abnehmender Tendenz bei den Jungen -„heiligt“ noch den Sonntag im herkömmlichen, religiösen Sinn des Wortes, für die anderen ist er eine Säkularmetapher für Familie und Freunde, für Fußball und Skat. Es gibt keine einheitliche Wochenendkultur mehr. Wer am Sonntagmorgen, sagen wir um elf Uhr, seine Wohnung verläßt, wird ganz unterschiedlich gewandeten Freizeit-Zeitgenossen begegnen, von denen (fast) jeder (fast) irgendwo anders hin unterwegs ist: Wenige nur noch (deutlich unter zehn Prozent!) folgen dem Sonntags-Ruf der Kirchenglocken -und auch sie sind längst nicht mehr, wie noch die Generation ihrer Eltern vor 20, 30 Jahren, eindeutig am feierlich-dunklen Kirchgangsgewand zu identifizieren. Der Trend zum kirchenfreien Wochenende verstärkt sich etwa im selben Maße wie der Trend zur „kinderlosen Freizeitkultur“. Es sind nicht mehr die Familien mit Kindern, die das Bild des Wochenendes prägen. Das Wochenende ist, aller Erlebnisorientierung zum Trotz, „erwachsen“ geworden; und es hat seinen Charakter vom eher Häuslich-Musischen zum Aushäusig-Sportiven hin verändert, vor allem zu den professionellen und geräteintensiven Leistungs-und Unterhaltungsofferten. Gewiß gibt es hier Unterschiede zwischen Stadt und Land, doch diese beginnen zu verblassen. Dies gilt vor allem für die nachwachsende Generation der 14-bis 29jährigen. Deren „Wort zum Sonntag“ lautet mit entwaffnender Offenheit: „Der Tag, an dem ich ausschlafen kann.“

Wenn 38 Prozent der befragten Jugendlichen vor allem dies zum Stichwort „Sonntag“ einfällt, sind sie vielleicht gar nicht so weit von der ursprünglichen christlichen Sonntagsbestimmung entfernt, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte. Denn auch der Schöpfer „ruhte“ bekanntlich nach sechs anstrengenden Schöpfungstagen, betrachtete sein Werk, sah, „daß es gut war“.

Der jüdische Sabbat, der christliche Sonntag, der muslimische Freitag -das sind alles Versuche des Menschen, sein soziales Zeitregime mit der kosmischen und geophysikalischen Zeitordnung zu synchronisieren. Dem Sonntag als dem aus der Alltagsarbeit herausgehobenen Tag, als in Deutschland durch Artikel 140 Grundgesetz geschütztem Ruhetag hat sich in diesem Jahrhundert der von der Arbeiterbewegung erkämpfte freie Samstag zugesellt. Samstag und Sonntag sind als erwerbsarbeitsfreies Wochenende zu einer „kulturellen Einheit“ zusammengewachsen: „Seit es den freien Samstag gibt“, schreibt der Theologe Friedhelm Hengsbach, „hat sich die Gestalt des Sonntags verändert, hat sich eine profilierte Wochenendkultur herausgebildet. So ist der Samstag von Eigenarbeit am Haus, im Garten, mit dem Auto geprägt, vom gemeinsamen Einkäufen in der Innenstadt am Morgen, vom Erlebnis einer durch Flohmärkte, Straßentheater, politische Infostände gewandelten Innenstadt, von häuslicher Kommunikation am Nachmittag, von außerhäuslichen Veranstaltungen für die jüngere Generation am Abend. Der Sonntag hat demgegenüber Merkmale eines langsameren Lebens angenommen: Ausruhen, Ausschlafen, primärgruppenzentrierte Kommunikation, Sport. Gottesdienst, gemeinsame Mahlzeiten, Besuche, Reisen.“

Trotz aller Kritik, von der noch die Rede sein wird: Die Errungenschaft des modernen freien Wochen-endes ist, Hengsbach zufolge, ein sozial und kulturgeschichtlich höchst bedeutsames „Abwehrsignal gegen den Totalitätsanspruch der Wirtschaft, die aktuell mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit, mit den verlängerten Ladenöffnungszeiten und der Ausweitung des privaten Medienangebots die letzten Nischen gesellschaftlicher und privater Zeit verwirtschaften will. Erwerbsarbeitsfreier Samstag und Sonntag sind Tage der eigenen Identität, die sich nicht durch mehr Geld verbiegen läßt.“

Innehalten, sich die Zeit zum Bilanzieren und zum vergleichenden Betrachten nehmen -dies sind nach wie vor höchst aktuelle Sonntagsbestimmungen. Ob allerdings von der kontemplativen Beschaulichkeit alter, ferner Zeiten noch viel lebendig ist, mag man bezweifeln; auch, ob das sonntägliche Schlafbedürfnis noch dem „Werk der Woche“ geschuldet ist oder nicht doch mehr der Disco-Nacht von Samstag zu Sonntag. Längst ist nämlich das, was mehr als ein Drittel der Bevölkerung in seiner Freizeit tut, nach eigener Auskunft um vieles erschöpfender als das, was der Arbeitsplatz abverlangt. Nicht das Quantum des individuell vergossenen Schweißes macht offensichtlich Arbeit zur Arbeit, zu etwas Ungeliebtem, Wider-ständigem, sondern unsere Begleitgefühle: Er verstehe nicht, meinte einmalig scheinheilig Marc Twain, wieso eigentlich Tüten-Kleben Arbeit sei und Mont-Blanc-Besteigen Sport. Wir dürfen sicher sein, daß er ganz gut verstanden hat: Arbeit wird zur Arbeit im Kopf, nicht unter unseren Händen!

Daß wir mit unserer Arbeit „im Krieg“ liegen, macht uns zu wochenendhungrigen Freizeitfetischisten, für die sich das Panorama des Lebens auf die Verheißungs-Trias Freitag-Samstag-Sonntag verengt. Was die Arbeit heute so schwer erträglich macht, ist gewiß nicht mehr -wie einst -die schwere physische Belastung; nein, was uns trotz ihrer äußerlich so viel milderen Formen die Arbeit so unversöhnlich macht, ist ihre Bornierung und Engführung, ist die systematische Trennung von Arbeit und Vergnügen. Eine Liebesheirat war es nicht, die der moderne Mensch mit seiner Arbeit einging, eher schon eine schnöd-berechnende Vernunftliaison. Und die Ehe, die sie heute führen, ist trotz der ungeahnt hohen Mitgift nie glücklich geworden. „Wer die Arbeit kennt undnach ihr rennt und sich nicht drückt, der ist verrückt“, reimt der Volksmund. Und „Arbeit adelt“, zitiert er den Dichter, jedoch nicht ohne hinzuzufügen: „Wir bleiben bürgerlich!“

Die Wahrheit ist wohl: Wir haben die Arbeit allzu hart vom „Vergnügen“ oder allgemeiner: von allem, was nicht unmittelbar zu ihr gehört, getrennt. Wir haben ihr mit dem Seziermesser des rationalen Effektkalküls alles amputiert, was die alten, quasiarchaischen Tätigkeiten in der Jagd, in der Landwirtschaft, bei der Traubenlese, im Wald, trotz ihrer gewiß nicht romantisch zu verklärenden Härte, affektiv um so vieles reicher erscheinen ließ. Der Prozeß der Rationalisierung hat das große Heer der arbeitenden Menschen an den Rand der Produktion abgedrängt, auf die von der Maschine übriggelassene Restarbeit beschränkt -einen kargen, armseligen, immer dürftiger werdenden Rest an den Nahtstellen einer heute überwiegend computergestützten Fertigung. Der beinahe totale Bedeutungsverlust des Menschen in und während vieler Arbeiten und die „Bornierung“ seiner kommunikativen Bedürfnisse auf den -makabrerweise so geheißenen -„Dialog mit der Maschine“ sprechen eine eindeutige Sprache.

So viel können wir mit Sicherheit sagen: Heute ist der Lebenshimmel geteilt, Arbeit und Freizeit existieren in zwei streng getrennten Sphären. Fast ausschließlich negativ ist die Freizeit auf die Arbeit bezogen: Weil sich aus der Arbeit nur so wenig Funken der Begeisterung schlagen lassen, richten sich alle Erwartungen auf Konsum-und Freizeitgenuß. Dies vor allem hat die „Welt der Wochenenden“ nach Geist und Gestalt verändert. Das Wochenende ergänzt und überhöht nicht mehr die Arbeitswelt, es konterkariert sie, steht nicht selten gar in schrillem Kontrast zu ihr. Neben und vielfach schon vor die einstige Sinnwelt der Arbeit schiebt sich die neue, konkurrierende Sinn-welt der Freizeit und des privaten Wochenendes. In der nachindustriellen Gesellschaft mit ihren stärker auf Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentfaltung ausgerichteten Werten müssen sich Arbeitswelt und Freizeitsphäre gleichermaßen an der Elle der Sinnerfüllung messen lassen. Vielfach hat hier schon die Freizeit die Arbeit überflügelt: Was diese uns vorenthält, erwarten wir uns von jener! Das einstige animal laborans mutiert zum erlebnishungrigen Wochenendwesen. Der klammheimliche Arbeitsfrust der Wochentage und die gänzlich schamenthemmte Freizeitlust am Wochenende stehen in einem engen, wechselseitigen Bedingungsverhältnis. Nur 28 Prozent der Erwerbstätigen finden Spaß und Erfüllung in der Arbeit, fast drei Viertel (72 Prozent) aller Berufstätigen hingegen müssen sich auf die Zeit nach der Arbeit, vor allem aufs Wochenende, vertrösten.

Für die Hälfte aller Arbeitnehmer findet Selbstverwirklichung ausschließlich in der Freizeit statt. Wo ein solcher Erwartungsdruck auf der Freizeit lastet, kann es nicht wundern, wenn die Statistik das Wochenende immer deutlicher auch als Aggressionszeit exponiert: An vielen Event-Locations der aktuellen Jugendszenen gehört die Gewalt zum gesuchten Thrill. Sie ist das Gegenstück zur zweiten Geißel der Wochenendgesellschaft: der Langeweile. Viele der aktuellen Wochenendvergnügen pendeln um die gegensätzlichen Pole von Apathieund Aktivitätsexzessen, letztere nicht selten gefördert durch die Einnahme von Aufputschmitteln. Wer sich mit überschießendem Erlebnisdrang in die Freizeitdroge „Wochenende“ stürzt, sucht auf ganz ähnliche Weise dem ungeliebten Wochenalltag zu entrinnen wie jener, der das Wochenende vor dem Bildschirm verdämmert. Von Freizeit im Sinne von eigenbestimmter Zeit kann in beiden Fällen nicht die Rede sein. „Kein Funke der Besinnung“ dürfe, meinte einst Theodor W. Adorno, „in die Freizeit fallen, weil er sonst auf die Arbeitswelt überspringen und sie in Brand setzen könnte“. Unterhaltung ist immer auch Unterhaltung. Besteht auch deshalb kein Interesse am souveränen, selbstaktiven Wochenendbürger? Hofiert man deshalb den betreuungsbedürftigen Zerstreuungspatienten?

Freizeit ist nie völlig unabhängig als das ganz Andere der Arbeit zu sehen. Mit tausend unsichtbaren Banden bleibt die Zeit außerhalb der Arbeit, die „Freizeit“, „an ihrem Gegensatz gekettet“ (Theodor W. Adorno). Die Freizeit ist nicht „frei“. Es ist vor allem die nach wie vor wirksame psychosoziale Determinationskraft der Arbeit selbst, die für viele den „Spielraum“ der Freizeit einschränkt. Was einem die Arbeit vorenthält, kann man nur sehr begrenzt und eher in Ausnahmefällen in der Freizeit ausgleichen. Gerade jene, die objektiv vielleicht am meisten Grund hätten, den Einschränkungen der Arbeitssituation zu entkommen, sind hierzu am wenigsten fähig. Zwischen der Unterforderung im Arbeitsalltag und der Überforderung am Wochenende besteht eine psychologische Kontinuität. Aus dem Arbeitnehmer wird der Freizeitnehmer, der sich per Knopfdruck ein Stück mundgerecht vorbereiteter Professionellenfreizeit von der Stange abruft. Er sucht unbewußt auch in der Freizeit -noch unter dem Deckmantel der Unterhaltung und des Nervenkitzels -nach der arbeitsbegleitenden Routine und der entscheidungsentlastenden Sicherheit im Rhythmus der Arbeitsmonotonie.

Gerade in Situationen, in denen wir die Freiheit zu allem möglichen haben, fühlen wir uns oft hilflos und überfordert. Dies sind meist die Situationen,in denen wir aus dem Bannkreis der Arbeit treten: am Wochenende, als Pensionäre, als Arbeitslose. Und hier trifft uns dann der Schock des beständigen Zwangs zur eigenen Entscheidung. Nichts liegt mehr fest, nichts ist eindeutig geregelt; wir müssen uns die Zeit selbst einteilen und uns unsere Orte selbst aussuchen. Dies ist der Grund, warum eine Arbeit, die vom Arbeitnehmer wenig dispositive Kompetenz und wenig eigene Tatkraft erfordert, so häufig ihre Fortsetzung in seichtestem Freizeitvergnügen findet. „Dem Gelangweilten“, meint Erich Fromm, „(fehlt) der Appetit auf das Leben, es fehlt ihm das tiefergehende Interesse an einer Sache oder an einem Menschen, er fühlt sich machtlos und resigniert.“

In der festgehaltenen, bewußten Langeweile steckt aber auch das Potential des unbeirrbar Selbstgewissen, in sich Ruhenden, ja des Kontemplativen, welches der Destruktivität der Emsigkeit sich entgegenstellt. Wir müssen wohl erst wieder ganz von vorn lernen, stillzusitzen, den Händen und Augen Einhalt zu gebieten, auch mal für Minuten und mehr ohne Radio oder Fernsehen auszukommen, uns ganz auf uns selber zu konzentrieren und uns mit uns selbst genug zu sein. Nicht die Langeweile ist das Problem, sondern unsere Ungeduld, ihr zu entkommen; nicht der Stillstand der Zeit, sondern unsere Unfähigkeit, stillzustehen und ihm standzuhalten. Den wochenendsüchtigen „Freizeit-Analphabeten“ der „Erlebnisgesellschaft“ (Gerhard Schulze) droht der Geistes-und Gemütszustand von Rummelplatzbesuchern zur dauerhaften Stimmungsnorm zu werden.

Arbeit und Freizeit müßten sich wieder näherkommen. Die Welt der Arbeit und die Welt der Wochenenden prallen hart, gelegentlich allzu hart aufeinander. Von klugen Pädagogen wissen wir, daß sie sich längst darauf eingestellt haben, ihre Schüler Montag morgens dort abzuholen, wo sie psychologisch stehen: „Hast Du gesehen, gestern, bei , Wetten daß’, wie die das Auto auf die Biergläser gestellt haben?“ Auch kluge Arbeitgeber müssen künftig wohl auf die außerberufliche Sinn-und Erlebniskonkurrenz reagieren und versuchen, den harten Bruch zwischen dem tätigkeits-und erlebnisintensiv erfahrenen Wochenende und dem „großen Rest“ so abzumildern, daß es nicht zu noch weiter gehenden Leistungsverlagerungen und Motivationsverschiebungen vom Beruf-ins Privatleben kommt. Vor allem könnten sie, viel stärker als bisher, auch am Arbeitsplatz jene neuartigen Wochenendkompetenzen ihrer Arbeitnehmer nutzen, welche diese sich als (ehrenamtliche) Organisatoren eines Vereinsabends, eines Schüleraustauschs oder einer Sportveranstaltung, aber auch als Surfer im Internet, Heimwerker oder in der Planungslogistik des Familienjahresurlaubs erworben haben.

Der Hauptunterschied zwischen der alten Welt der Wochenenden mit Feiertagsgewand, Glockenläuten, Besinnlichkeit und Sonntagsbraten und den schönen neuen Wochenendwelten mit ihren Bildern von der aktiven Powergemeinde der Jogger, Inline-Skater und Surfer, der Biker und Hiker, aber auch der weniger dynamischen Freizeitparkbesucher und der Bildschirmpassiven ist wohl der:

Die ältere Welt des Wochenendes stand im Zeichen von Zeitüberfluß und Gütermangel; die moderne Wochenendwelt ist, genau umgekehrt, durch Güterüberfluß und Zeitknappheit gekennzeichnet: Hektik, Streß, ewiger Termindruck -und das in Verbindung mit einem längst nicht mehr voll nutzbaren Berg an Gütern und Unterhaltungsangeboten. Was ist das eleganteste Surfbrett wert, wenn der einzig erreichbare See von Wochenendmitmenschen hoffnungslos übervölkert ist? Und was das teuer erworbene Alu-Rennrad, wenn sein Besitzer nur alle halbe Jahre Zeit findet, sich in den Sattel zu schwingen, vielleicht, weil er ja in seiner Freizeit auch noch surft, Musik hört, Ski läuft, tanzt und Tennis spielt?

Nicht nur Arbeiten, auch Konsumieren kostet Zeit. Wo viele Güter um immer knapper werdende Zeitressourcen konkurrieren, kommt der „Freizeit“ nicht nur die Freiheit, sondern auch die Zeit abhanden. Eine Studie des Hamburger BAT-Freizeit-Forschungsinstituts ergab: Deutschlands Jugend ist gestreßt wie nie. Das Leben der 14-bis 19jährigen ist verplant und ausgebucht. Die Folgen: Nervosität, Aggressionen und krankhafter Egoismus. Grund für die fatale Entwicklung ist der selbstgesetzte Anspruchsdruck. Die Terminkalender der Jugendlichen sind randvoll. Besonders das Wochenende ist bis auf die letzte Minute durch-organisiert. Je größer das Konsumangebot, desto schlimmer der Streß. Sie wollen um jeden Preis „dranbleiben“, nur nichts auslassen, bloß alles mitnehmen! Nur logisch, wenn solche ärgerlichen Erscheinungen wie das Schlangestehen vor der Kinokasse bei vielen den Wunsch wecken, Amok zu laufen. Jeder vierte Jugendliche gab an, daß Zeitverschwendungen dieser Art ihn zur „Weißglut“ treiben.

Wie reich die armen Leute sein können und wie arm und gehetzt die Reichen -das hat uns Michael Ende in seinem Erwachsenenmärchen „Momo“ vor Augen geführt.

Mehr als jeder zweite der „jungen Erlebnisgeneration“ zwischen 14 und 29 Jahren ist „gerne bereit, mehr zu arbeiten, um sich in der Freizeit mehr leisten zu können“ -modische Freizeitkleidung, Sport-und Hobbyartikel, Unterhaltungselektronik. Ungefähr dieselbe Anzahl aus der jüngeren Generation fürchtet, aufgrund der kostspieligen Freizeitbeschäftigungen „über ihre Verhältnisse zu leben“. So schafft sich am Ende die „neue Not der Notlosigkeit" (Peter Sloterdijk), die uns nötigt, immer dort zu sein, wo am schrillsten gelacht wird, ihre ganz eigenen Nöte.

Aus Zivilisation wird „Zuvielisation". Längst gibt es so etwas wie den Terror der Sachen'. Wer viel hat, hat immer auch viel abzustauben! Und zum Terror der Sachen gesellt sich die Qual der Wahl'.

Zwei Drittel aller Jugendlichen bekunden, die sie die Woche über am meisten beschäftigende Frage laute: „Was mache ich am Wochenende?“ Die neue „Not der Notlosigkeit“ beschert uns neuartige Wahl-und Entscheidungszwänge: Ibiza oder die Malediven, Off-road-Car oder Limousine, Disco oder Kino, Fußball oder Tennis, Buch oder Konzertbesuch? Doch wo die Not so groß ist, ist auch das Rettende nah. Im Computerzeitalter erscheint uns der so dringend benötigte Entscheidungshelfer für die angebotsreichen Wochenenden als Smart Agent oder Knowboter (in jeweils speziellen Wochenendversionen), der für uns -nach Maßgabe unseres von ihm „erkannten“ Persönlichkeitsprofils -auswählt und Entscheidungen trifft, Kinoplätze bucht oder ein Opernabo, Einladungen verschickt oder absagt.

Der Trend zur Singularisierung und die offensive Selbstbezüglichkeit prägen den Wochenendwelten ihren Stempel auf. Vor allem einzelne („Singles“), die sich immer wieder zu amöbenhaft fluiden Gruppen und Grüppchen formen, bevölkern die Wochenendbühnen. Familien-und Verwandtschaftsbande spielen am Wochenende eine immer geringere Rolle. Seit den achtziger Jahren entdeckt in unseren Breitengraden das Sippenwesen Mensch mit geradezu bekenntnisinniger Emphase seine Individualnatur. „Selbstbehauptung und Selbstverwirklichung bilden das hervorstechendste Trendmerkmal (. . .) Egozentrische Züge prägen das neue Selbstbild des modernen Narziß“ -so das Resümee des Psychoanalytikers Horst-Eberhard Richter.

Die neue Singularisierung hat viele Gesichter. Das „Freiheitsstreben“ steht ganz oben an. „Freiheit“ und „Selbstverwirklichung“ rangieren in allen empirischen Studien der späten achtziger und frühen neunziger Jahre als Zielwerte weit vor „Familie“ und „Ehe“ als Synonyme lästiger Pflicht. Partnerschaft, Ehe und Familie scheinen dem neuesten Freiheitsdrang der freizeitaktiven Wochenendgesellschaft mehr und mehr zum Opfer zu fallen. Es sind in erster Linie die Frauen, die jenen Trend zum „Single“ ausgelöst haben, jenen steilen Anstieg der Kurve der Alleinstehenden, der sich in allen Großstädten beobachten läßt. In Zürich, Hamburg und Amsterdam ist bereits jeder zweite Haushalt ein Ein-Personen-Haushalt. Für die soziale Dimension unserer Existenz sind längst Freunde und Bekannte wichtiger als Nichten und Neffen, Onkel und Tanten, ja vielfach auch als Eltern und Großeltern, Geschwister und Stiefgeschwister. Auf dem freien Markt der Beziehungen läßt sich all das paßgenau und situativ „anheuern“ und nacherwerben, was die Sippe und der Zufall der Verwandtschaftschoreographie uns vorenthalten.

Die Zeichen der Zeit gar verweisen auf den Siegeszug des Immateriellen -der hyperrealen Parallelwelten im digitalen „Cyberspace“: TeilhaTe ohne Anwesenheit lautet die Formel, Dabeisein ohne die Last der Verantwortung. Sollte nicht in einer Welt, in der alles Simulation ist, wo alles abstrakter wird, auch bald der Lebenspartner und die Familiencrew aus jenem Stoff sein, den unsere gerade aktuellen Träume weben? Wer sich mit „Data-glove" und passender Software von einem ewig jungen James Dean zum Traualtar geleiten oder wenigstens in die Disco entführen lassen kann, muß nicht mit den Hinzens und Kunzens von nebenan auf Zeit und Ewigkeit sein Leben teilen.

So, wie im wirklichen Leben von bald der Hälfte der Großstadtmenschen in Berlin und Basel, in Zürich und in Paris heute schon der Lebenspartner dem Lebensabschnittspartner Platz gemacht hat, könnte nach dem Vorbild der französischen Bildschirmtextvariante des „Minitel" mit seinen anonymen Erotikbotschaften bald auch schon der Liebhaber dem Bildschirmliebhaber und die Familie aus Fleisch und Blut den fluiden Wahl-Verwandtschaften der virtuellen Wunschfamilie weichen: Barbiepuppenkids zu den Familienfesten und der Lieblingsonkel zum Wochenend-Monopoly. Wenn das Soziale so zerbröselt -wen wundert’s, daß unsere Wochenenden immer und immer öfter auch im Zeichen der Sozialreparatur stehen? Eine Gesellschaft, deren Mitglieder im Laufe ihres Lebens durchschnittlich dreizehnmal umziehen, muß pausenlos in Bewegung sein, um sich ein Mindestmaß an Kontakten zu erhalten, Freundschaften zu pflegen und das „Wiedersehen“ zu organisieren. Eine heillos auf Sozial-Reparatur eingeschworene Gesellschaft wie die unsere ist zu unaufhörlicher Mobilität und Kompensationshektik verpflichtet -und dies nicht zuletzt, um sich ein weniges jener Kontinuität zu bewahren, die sie durch ihre rastlose Selbstbewegung immer wieder zerstört.Das freie Wochenende, so wie wir es noch immer kennen, strukturiert unsere gesellschaftliche Zeit. Ihm verdanken wir als Ruhepol und Rhythmus-geber zu einem gar nicht zu überschätzenden Teil auch unsere gesellschaftliche Identität. Es sind vor allem zwei -scheinbar gegensätzliche -Tendenzen, die -jetzt und künftig -das vertraute Bild des „freien Wochenendes“ von Grund auf erschüttern könnten: Da ist zum einen die drastische Verkürzung der Jahres-und Lebensarbeitzeit, die über die ebenfalls nicht unerhebliche Verkürzung der individuellen Wochenarbeitszeit noch deutlich hinausgeht: Ein Menschenleben mit einer statistischen Lebenserwartung von 75 Lebensjahren umfaßt knapp 650 000 Stunden, von denen gegenwärtig, mit deutlich abnehmender Tendenz, noch ca. 55 000 Stunden gearbeitet werden, -das sind bereits deutlich weniger als neun Prozent der gesamten Lebenszeit! Und auch dieser Anteil wird schrumpfen. Die durchschnittliche Erwerbsstundenzahl könnte auf weniger als 35 000 Stunden pro Arbeitsleben sinken, also gerade noch etwas mehr als fünf Prozent der gesamten Lebenszeit betragen!

Wer nur noch fünf Prozent der gesamten Lebenszeit arbeitet -für den dehnt sich das Leben gewissermaßen zu einem nicht enden wollenden Wochenende. Ein Erwerbstätiger schläft heute schon, auf die Jahresarbeitszeit bezogen, doppelt so lang, wie er arbeitet: Von den insgesamt 8 760 Stunden des Jahres wendet er für die Arbeit noch knapp 1 500 Stunden auf, für’s Schlafen knapp 3 000!

Hieran wird deutlich: Nicht nur für Arbeitslose, Rentner und Studenten, auch für den im ganz normalen Erwerbsleben Stehenden dehnt sich die Wochenenderfahrung und erobert sich immer weitere Bereiche des Wochenalltags. Wenn aber „alles“ Wochenende wird -ist nichts mehr Wochenende; denn gerade das Außeralltägliche begründet ja seinen Reiz. Wenn der Wochenalltag wie das Wochenende anfängt, kann die Woche sich auch nicht mehr zum Wochenende runden. Unser Zeitwohlstand meuchelt das „freie Wochenende“. Dem Wochenende droht der sanfte Tod des Erfolges: des gleichförmig-immerwährenden Wochenendtriumphes.

Zum anderen geht es dem arbeitsfreien Wochenende an den Kragen, weil die Unternehmen aus Wettbewerbs-und produktionstechnischen Gründen immer ungeduldiger sein Ende fordern. Für die einen -so für den früheren SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine in Übereinstimmung mit der IG Chemie -ist Wochenendarbeit unvermeidlich, für die anderen -so für den Altbundeskanzler Helmut Kohl (und für die IG Metall und die meisten anderen Einzelgewerkschaften) -bleibt der Sonntag (vorerst) heilig. Wie die Lockerung der Ladenschlußzeiten aber zeigt, wird das arbeitsfreie Wochenende wohl auf Dauer schwerlich dem Sog der kontinuierlich aktiven Gesellschaft mit ihrem linearen Nachfrage-und Angebotsverhalten widerstehen können. Die großen Städte fungieren immer mehr als „Taktgeber“ und „Kolonisatoren“ auf dem Weg in die Kontinuitätsgesellschaft, das heißt in die rund um die Uhr und rund um die Woche kontinuierlich aktive Gesellschaft. Sie nötigen nach und nach auch peripheren Regionen ihr Zeitregime auf und zwingen sie, sich aus den angestammten Rhythmen der Natur, dem Puls der Jahreszeiten, Nacht und Tag, Aussaat und Ernte zu lösen. „Der Sieg über die Sonne"', als den die russische Revolutionsavantgarde einst das Leninsche Elektrifizierungsprogramm feierte, könnte im „Sieg über den Sonntag" seine ironische (postsozialistische) Vollendung finden -in der förmlichen Anerkennung, daß der wirtschaftlichen Produktivität nun endgültig das letzte Wort in der Sache der sozialen Zeitordnung gebührt. In dieser Perspektive verschwände das Wochenende, weil die Gesellschaft nicht mehr bereit ist, den Preis für diese Form des gesellschaftlichen Zeitwohlstandes zu bezahlen.

In Wahrheit aber verschränken und verstärken sich beide Tendenzen wechselseitig, denn eine freizeitaktive und konsumtive Wochenendgesellschaft zwingt gleichzeitig eine immer größere Anzahl ihrer Mitglieder dazu, für die anderen das Riesen-rad zu drehen und die Pizza zu backen. Schon heute sind die Abweichungen vom „Normalarbeitstag“ enorm. Die Flexibilität ist viel größer, als es die öffentliche Meinung wahrhaben will: Jeder fünfte Erwerbstätige hat keine Fünf-Tage-Woche, er arbeitet auch an Feiertagen und Wochenenden und nicht selten auch in der Nacht. Jeder vierte Erwerbstätige verrichtet Schichtarbeit, zumeist in den verbreiteten Drei-Schicht-Systemen. Teilzeitarbeit ist für viele erwerbstätige Frauen (rund 4, 5 Millionen) der strategische Normalfall, inzwischen verstärkt auch an den Wochenenden. Hauptgrund für die deutliche Zunahme der Dienstleistungsarbeit am Wochenende ist die eben drastisch gestiegene Nachfrage der neuen Wochenendkundschaft, die informiert und unterhalten, bedient und betreut, verpflegt und versorgt sein will. „Niemand zählt das Heer der freiwilligen Wochenendarbeiter, die legal oder illegal auf dem Feld, auf dem Bau, in der Werkstatt, am Computer-Bildschirm oder beim Umzug anzutreffen sind, die auf Kongressen, Messen und Seminaren weilen oder sich Arbeit mit nach Hause nehmen. Fast niemand trifft die Unterscheidung zwischen Erwerbsarbeit, Sozialarbeit und unbezahlter Arbeit, die in vielfältigen Facetten vorkommt. Wie ist denn die Familienarbeit der Hausfrau oder des Hausmannes am Wochenende zu beurteilen? Wie ist die ehrenamtliche Arbeit zu rechtfertigen, an der auch die Kirchen in erheblichem Maße partizipieren? Wie ist die Sportarbeit zu qualifizieren, die gerade am Wochenende immer mehr professionelle Züge annimmt und den eigentlichen Sinn des Sonntags ins Gegenteil verkehrt?“ -fragt Rolf Stober in der Einleitung des Sammelbandes „Sonntags nie? Die Zukunft des Wochenendes“, -den er mit herausgegeben hat.

Die Zukunft des Wochenendes könnte sein Verschwinden und Verblassen sein -zum einen, weil es allzusehr im Zeichen des Überflusses und der Kommerzfreizeit steht; und zum anderen, weil eine Freizeit, die so viel kostet wie die unsere, immer mit Arbeit erkauft wird oder allgemeiner: mit der Dominanz produktiver Erwägungen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Bernd Guggenberger, Dr. phil., geb. 1949; zur Zeit Professor für Politische Wissenschaften an der FU Berlin und Direktor des Deutschen Instituts für Angewandte Sozialphilosophie (DIAS) in Bergisch Gladbach; freie Mitarbeit bei verschiedenen großen Tages-und Wochenzeitungen sowie bei Rundfunk und Fernsehen. Veröffentlichungen u. a.: Wenn uns die Arbeit ausgeht. Die aktuelle Diskussion um Arbeitszeitverkürzung, Einkommen und die Grenzen des Sozialstaats, München 1988; Einfach schön. Schönheit als soziale Macht, Hamburg 1995; Das digitale Nirwana, Hamburg 1997; Sein oder Design. Im Supermarkt der Lebenswelten, Hamburg 1998.