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Konfliktlinien in der Atlantischen Allianz | APuZ 29-30/1999 | bpb.de

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APuZ 29-30/1999 Der gütige Hegemon und die unsichere Mittelmacht: deutsch-amerikanische Beziehungen im Wandel Europa und Amerika -Rivalen oder Partner? Konfliktlinien in der Atlantischen Allianz

Konfliktlinien in der Atlantischen Allianz

Tilman Mayer

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Deutschland manövrierte sich im 20. Jahrhundert zweimal in die internationale Isolation und reagiert deshalb besonders sensibel auf Störungen im transatlantischen Verhältnis. Die USA haben Deutschland mehr als andere Mächte nach dem Krieg und besonders 1989/90 unterstützt. Deshalb liegt ein deutsches Interesse darin, die USA in Europa präsent zu halten, um jeglichen innereuropäischen Gegensätzen die Möglichkeit zur Entfaltung zu entziehen. Zur erwähnten Sensibilität gehört es auch, das transatlantische Beziehungsgeflecht auf Spannungsmomente hin zu befragen. Mittels der eher im Ausland zunehmenden Anwendung geopolitischer Argumentationsmuster wird auf den partnerschaftlichen Charakter der europäisch-atlantischen Zusammenarbeit verwiesen. Besonders aufmerksam registriert werden deshalb Thesen zur Multipolarisierung der Welt, zum multilateralen Charakter des Verhältnisses Europas zu den USA und die politischen Konnotationen der Schaffung eines sogenannten Eurolandes. Deutschland kann sich vor diesem Hintergrund nicht allein mit dem europäischen Integrationismus befassen, sondern hat auch die Aufgabe, für den transatlantischen Zusammenhalt zu sorgen. Der Beitrag begründet, daß bei dieser außenpolitischen Aktivität eine Sowohl-als-auch-Haltung einzunehmen zwar naheliegt, aber eher als harmonistische denn als realistische Position beurteilt werden müßte.

I. Einleitung

Die Schlußfolgerung einer Untersuchung zur amerikanischen Außenpolitik mag für manche schokkierend wirken: „Die europäische Einigung war nicht das Ziel, sondern das Ergebnis der containment-Politik.“ Die europäische Integration, d. h. die Außerkraftsetzung innereuropäischer Gegensätze, hatte im beginnenden Kalten Krieg, in der globalen Perspektive der Seemacht USA, eine instrumentell-strategische Funktion als Bollwerk gegenüber einer siegreichen, sich bis nach Berlin erstreckenden totalitären Macht gehabt. Natürlich gab es auch in den USA vehemente Befürworter der Einigung Europas aus normativen Gründen, wie es in Europa bekanntlich namhafte Politiker waren, die das Einigungswerk in Gang setzten und es aus historischen Gründen beförderten. Allerdings existierten diese Politiken und Politiker auch schon in den zwanziger Jahren. Damals, sagte man zu Recht, war die Zeit dafür nicht reif. Aber noch wichtiger ist, daß das westeuropäische Projekt nach wie vor nicht aus sich selbst heraus gedieh, nicht nur entlang der deutsch-französischen Annäherungs-und Freundschaftspolitik gestaltbar war, sondern es entwickelte sich, weil dieses westeuropäische Randgebiet weltpolitisch wichtig ist, es zum Einflußbereich der amerikanischen Global-strategie gehört. Deshalb bot sich die europäische Einigung als notwendiges Befriedungsinstrument der westlichen eurasischen Randzone an.

Das ökonomische Florieren der europäischen Integration -nicht zu vergessen: angestoßen durch den Marshall-Plan -ist eine Erfolgsstory geworden, deren Philosophie des „immer engeren Zusammenschlusses“ innereuropäisch immer mehr die Finalitätsfrage aufwerfen dürfte, das heißt also, ob etwa gesamteuropäisch ein Zentralstaat am Ende des Integrationsprozesses entstehen soll. Aus der Erfolgsgeschichte wachsen aber auch Probleme, insofern sich Europa als Währungsraum zu einem Konkurrenten der USA entwickelt und damit zu einer Belastung innerhalb der nordatlantischen Beziehungen.

II. Geoökonomische Distanzierung Europas von den USA?

Heute wie vor 50 Jahren ist die europäische Integration keinesfalls nur eurozentrisch zu verstehen, sondern allein in einem globalen Kontext, der in Europa und besonders in Deutschland gerne ignoriert wird. Zugespitzt lautet deshalb die These, daß wichtiger, als die normative Sinnhaftigkeit der europäischen Integration aus europäischer Sicht die US-interessenbestimmte Unterstützung der Entstehung der westeuropäischen Integration Gewicht hatte. Und diese realistische Analyse der Genese des westeuropäischen Projekts kommt nun mit der Entstehung des „Eurolandes“ vollends wieder zum Tragen, darstellbar etwa über die hier zentral aufgeworfene, berechtigte Frage, ob nicht europäisch-amerikanische Interessenunterschiede wegen der möglichen geoökonomischen Distanzierung Europas („Euroland“) von den USA durch die Einführung des Euro zunehmen könnten. Deutscherseits bestünde an dieser Distanzierung kein Interesse, sie wäre auch nicht intendiert gewesen -was immer und wie deutlich sich Paris seinerseits äußert. Jedenfalls stünde sie in einem eklatanten Widerspruch zur geostrategischen, transatlantischen Allianz, und letztlich entstünde daraus auch eine Belastung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses, dem Deutschland (West) seine Anerkennung im Nachkriegseuropa verdankt und noch mehr die entscheidende Absicherung des Wiedervereinigungsprozesses von 1989/90. Im deutschen Interesse liegt deshalb die fortdauernde Präsenz der USA in Europa -eine besondere geopolitische und neue Situation für den Kontinent um damit nicht mehr mit Frankreich und England allein (gelassen) zu sein. Die geostrategisch bewährte Freundschaft hat Deutschland zur Einheit verhelfen, denn die USA brauchen den Kern Europas als Ruhepol -und nicht etwa ein Deutschland, das zwischen Ost und West changiert. Zugleich mag die bewährte Alli­anz im Interesse Frankreichs und Englands liegen, weil die Macht in der Mitte des Kontinents in Bündnisverpflichtungen eingebunden ist. Deutschland ist als geographisch vorgegebene Macht in der Mitte wie als Mittelmacht daran interessiert, zu Rußland gute Beziehungen zu pflegen und das Land vor einer Isolierung zu bewahren An der Westbindung Deutschlands besteht parteiübergreifend dennoch kein Zweifel. Jedenfalls war nur auf ihrer Grundlage und über die Präsenz der Amerikaner die Wiedervereinigung möglich.

III. Die geopolitische, geoökonomische und geostrategische Tradition in den USA

Die amerikanische geographische Lage zwischen dem pazifischen und atlantischen Ozean liefert wie im seelenverwandten England heute wie damals Gründe, über Land und Meer bzw. Land-und Seemächte nachzudenken. Erneut ist die Renaissance geopolitischer Analysen festzustellen, insbesondere entlang angloamerikanischer Traditionen. Längst gibt es eine neue Strategie der „balance of power“ auf der Weltebene Es stellt sich nun die Frage, welche Rolle das „Euroland“ spielen wird. Verselbständigt sich Europa? Wird das „Euro-land“ zur Gefahr für die Dollar-Währungszone? Doch zunächst stellten sich klassisch-geopolitische Themen. Der britische Geograph Haiford Mackinder vertrat die sogenannte Herzlandtheorie, nach der der eurasische Festlandsraum der Dreh-und Angelpunkt des Weltgeschehens sei. Skandinavien, Westeuropa, der nordafrikanische Raum, der Nahe Osten und Ostasien mit Indien und China bildeten den „inner or marginal crescent“, den outer crescent dagegen (zufällig?) die englischsprachigen Länder Großbritannien, Kanada, USA, Südafrika, Australien, aber auch Japan. Das eurasische „world Island“ beherrsche die Welt. Die Weltgeschichte spiele sich im Kampf zwischen heartland und marginal crescent ab bzw. zwischen der eurasischen Landmacht und der die breite

Küstenregion beherrschenden Seemacht; zwischen ihnen könne eine „balance of power“ bestehen, aber auch eine Hegemonie. Zuvor hatte bereits der amerikanische Admiral Alfred Thayer Mahan die Bedeutung der Seemächte hervorgehoben, und zwar im engeren Sinne als überlegene Kriegsflotten, vor allem aber als Mächte, die Überseehandel mit dem Erwerb von Stützpunkten und entsprechend weitläufigen, seegestützten Kontrollen von Weltrouten und Küstenstreifen verbanden. Man könnte sagen, daß die USA bis heute navalistisch geblieben sind. Mehr noch, diese Seemachtspolitik ist heute auch dafür verantwortlich, daß der Globalisierungsprozeß abgesichert werden kann. Die weltweite Präsenz der USA in der Tradition des britischen und später des amerikanischen Stützpunktdenkens sichert den globalen Kapitalismus, ja macht ihn überhaupt erst möglich.

Mahans expansionistisches Denken war mit der Empfehlung zur Bildung von Kolonien, Überseemärkten und Handelsflotten klar in den britischen, imperialen Traditionen eingebettet. Er dachte in der Tradition von Seemächten: „In any Operation, under all circumstances, a decisive naval superiority is to be considered as a fundamental principle, and the basis upon which every hope of success must ultimately depend.“ Die Mahanschen Schriften und Reflexionen im 20. Jahrhundert können hier nicht nachgezeichnet werden, zumal Imperialismus, Internationalismus und Interventionismus in den USA sich ablösten und liberale weltpolitische Auffassungen von der amerikanischen Mission bezüglich Demokratie und Menschenrechten hinzutraten. Immerhin sind damit im Kern diejenigen Zusammenhänge offengelegt, die die Außenpolitik bzw. die Global-und Weltpolitik der USA im gesamten 20. Jahrhundert charakterisieren -eine Logik, aus der sich der Zusammenhang von Geopolitik, Geostrategie und Geoökonomie ergibt. Die Erde oder der Globus werden zum Entfaltungsraum einer Supermacht (Geopolitik), die zur Absicherung ihrer Interessen sich globaler, politikstrategischer Politiken bedienen muß (Geostrategie) und die dafür erforderlichen ökonomischen Grundlagen, z. B.den freien Zugang zu sogenannten strategischen Rohstoffen, offenhalten will. Deshalb bedurfte es schon länger dieser globalen Geoökonomie, aus der heraus erst der erwähnte globale Kapitalismus der vergangenen zwei Jahrzehnte hat entstehen können. Stefan Fröhlich weist auf einen Satz Mackinders von 1919 hin, wonach die Welt als ein „closed political System“ aufzufassen sei, wo „every explosion of social forces, instead of being dissipated in a surrounding circuit of unknown space and barbaric chaos, will be sharply reechoed from the far side of the globe, and weak elements in the political and economic organism of the world will be shattered in consequence“ Der in Deutschland erst seit einigen Jahren auftretende Eindruck, durch Globalisierung würden Entfernungen an Bedeutung verlieren, es entstünde das berühmte „global village“, stellt sich für Staaten mit Seebezug anders dar. Die insulare geopolitische Lage z. B. Großbritanniens, der USA oder Japans fordert geradezu zur Artikulation globaler Interessen heraus, um den insularen Raum unabhängig von gegenüberliegenden Meeresküsten abzusichern. Daß deshalb die Geopolitik in den USA sich in der Tradition von Mahan, Mackinder und vieler anderer selbständig entwickelt, in den amerikanischen Internationalen Beziehungen der Politikwissenschaftler beachtet wird und in der amerikanischen Geostrategie der Streitkräfte ihren Niederschlag findet, versteht sich von selbst. Aus dieser Konstellation heraus entstand das Interesse am westeuropäischen Integrationismus unter dem Dach der NATO -und stets unterstützt von amerikanischem Kapital.

IV. Modernere Ansätze der Geopolitik

Die hiermit skizzenhaft aufgezeigte Folie zur amerikanischen Seemachtentwicklung und ihrer weltpolitischen Interessenwahrnehmung entlang geopolitischer Denkansätze offenbart eine andere Sichtweise auf die europäische Agenda. Um Mißverständnisse auszuschließen, sei angemerkt, daß die deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht auf die Position West-Deutschlands als eines amerikanischen Brückenkopfs auf dem Festland reduziert werden können. „Was der amerikanische Sieger anzubieten hatte -den liberalen Rechtsstaat, die offene Gesellschaft, die dezentrale Machtverteilung, die freie Wirtschaft -, wurde von den Westdeutschen geradezu begierig aufgesogen und viel erfolgreicher verinnerlicht als in den traditionsgebundenen Gesellschaften Englands oder Frankreichs. Gewiß: Die demokratische Moderne kam auf den Panzerketten der U. S. Army daher, aber sie wurde von den Besiegten sehr rasch als Geschenk be-und ergriffen ... Die Amerikaner brachten Startkapital, Sicherheit und offene Märkte in die Partnerschaft ein: als strategisches Glacis, als getreue Verbündete, die den größten europäischen Beitrag zum Nordatlantikpakt (NATO) lieferten.“

Natürlich spielte das geopolitische Denken auch in der Phase des Ost-West-Gegensatzes eine Rolle, ging es ja gerade um die jeweiligen ideologisch entgegengesetzten und besetzten Räume. Henry Kissinger und Zbigniew Brzezinski z. B. haben sich mit entsprechenden Äußerungen einen Namen gemacht. Letzterer hat in den neunziger Jahren eine Studie vorgelegt in der er die gesamte Welt und alle geostrategisch wichtigen Staaten durchdiskutiert -manchmal in einem etwas zu selbstbewußt vorgetragenen Tonfall und anscheinend im Bewußtsein, sozusagen nachrömisch wieder eine imperiale Macht global repräsentieren zu können. Über das eurasische „Spielfeld“ sagt Brzezinski, daß dies der Ort sei, wo Amerika „irgendwann ein potentieller Nebenbuhler um die Weltmacht erwachsen könnte“ Brzezinski unterstützt ohne Zweifel und mit Nachdruck die europäische Integrationsbewegungv identifiziert aber bei einem der „geostrategischen Akteure“ -Frankreich -dennoch ein eigenes geostrategisches Konzept, „das sich in einigen wesentlichen Punkten von den Vorstellungen der Vereinigten Staaten unterscheidet“. Frankreich neige „zu taktischen Schachzügen, mit denen es Rußland gegen Amerika und Großbritannien gegen Deutschland auszuspielen versucht, obwohl es auf die deutsch-französische Partnerschaft angewiesen ist, um die vergleichsweise schwache Position auszugleichen“ Frankreichs geostrategisches Interesse sei unübersehbar auf eine stärkere Rolle Europas gegenüber den USA ausgerichtet, ohne deshalb antiamerikanisch sein zu müssen.

V. Die euro-französische Sonderrolle

Die eigenständige Politik Frankreichs kann nicht dazu führen, das geostrategische Interesse der USA an Europa und damit am eurasischen Kontinent oder Küstenstreifen zu schwächen, zumal rund ein Fünftel des amerikanischen Handels mit dieser Randzone abgewickelt wird. Noch viel stärker ist das neue Rußland mit den EU-Staaten geoökonomisch verknüpft; 40 Prozent seines Außen-handelsumsatzes erzielt es mit der EU, der GUS-Anteil schrumpfte auf 20 Prozent Die geoökonomische Interdependenz West-und Osteuropas hat also ansatzweise begonnen und ist für alle Beteiligten von Interesse. Sie macht deutlich, daß hier ein gemeinsamer Wirtschaftsraum Kontur erhält.

Frankreichs Interesse läuft darauf hinaus, daß die EU auf allen Gebieten ein „wichtiger Handlungsträger des 21. Jahrhunderts wird“, wie Staatspräsident Chirac am 26. August 1998 anläßlich der Konferenz der französischen Botschafter in Paris erklärte und zwar deshalb, „weil... Europa entscheidend zum Gleichgewicht der Welt beitragen muß. Weil ein auf der internationalen Bühne starkes Europa für Frankreich das beste Mittel ist, um seinen Einfluß zu wahren und seine Interessen in einer globalisierten Welt zu vertreten.“ Frankreich wolle die „unabwendbare Entwicklung einer multipolaren Welt“ fördern. Der Euro verhelfe Frankreich wieder zu einer -mit anderen Ländern geteilten -monetären Souveränität. Er verhelfe Europa, Amerika gegenüber auf dem wichtigen Gebiet der Währung ebenbürtig zu sein. Ebenbürtigkeit ist kein unstatthaftes Ziel, aber der ehemalige Präsidentenberater Henry Kissinger äußert doch Bedenken, wenn der französische Standpunkt allzu instrumenteilen Charakter erhält: Wenn Europa „absichtlich eine Politik betreibt, die darauf hinausläuft, sich selbst durch einen Standpunkt gegenüber den Vereinigten Staaten zu definieren, dann wird es gefährlich, und ich höre so etwas zu oft von Franzosen, die in der politischen Verantwortung stehen“

Wenn man die Einführung des Euro einmal als Kompensation für die Zustimmung Frankreichs zur Wiedervereinigung ansieht -was ein zeitgeschichtlich durchaus legitimer Interpretationsansatz ist -, also von ökonomischen Erklärungen und Begründungen absieht, aus denen heraus der Euro gefördert wurde, so wird auch in der Währungspolitik ein politischer Mehrwert entdeckt, daß also die Einführung der europäischen Währung, wie das Chirac-Zitat zeigt, auch dazu dient, eine politische Gegenposition aufzubauen. Deutschland wurde eingebunden; den USA gegenüber konnte eine neue bipolare Eigenständigkeit demonstriert werden -die klassische Ausgangslage für eine räumlich, ökonomisch und strategisch gegenüber den USA latent oppositionelle Rolle nach der bipolaren Epoche bis 1989, wenn auch diesmal und bisher nur währungspolitisch angelegt Aber allein schon die bipolare Intention, innerhalb eines Freundschaftsbündnisses artikuliert, wird politische Kosten verursachen.

Chirac spricht jedoch von einer multipolaren Welt. Damit hat Frankreich eine Konzeption aufgegriffen, die auch die postsowjetische Außenpolitik bestimmt, um der verbliebenen einzigen Super-macht USA von Moskau aus zu zeigen, daß sie nicht, wie sie es immer wieder zum Ausdruck bringt, die einzige Weltmacht sei. Paris argumentiert hier (wie schon öfter in der Geschichte des 20. Jahrhunderts) wie Moskau und neuerdings auch wie Peking. Die Betonung liegt jeweils auf einer Äquidistanz gegenüber den USA. Natürlich kann der Pariser Anspruch, selbst einer der Pole zu sein in der multipolaren Welt französischerseits allein nicht erfüllt werden. Die Diplomatie Frankreichs -immerhin die zweitgrößte auf der Welt -ist gefordert, um u. a. auch die deutsch-französische Partnerschaft für dieses Unterfangen zu mobilisieren oder um im Weltsicherheitsrat entsprechend abzustimmen woraus jeweils der besondere Rang Frankreichs in der Welt -via Europa, wenn es sein muß -unterstrichen wird. Der Euro unterfüttert, wenn er gelingt, dieses multipolare Denken. Aus ihm entwickeln sich regionale Einflußräume. Peking denkt jedenfalls so, Moskau nicht weniger mit Bezug auf das nahe Ausland, und in Paris gibt es -abgesehen von den viel zurückhaltenderen Äußerungen der Politiker -auch geopolitische Schulen, die eine „Achse Wien-Budapest“, eine „baltische Föderation“, eine „Balkan-Föderation“ lieber heute als morgen verwirklicht sehen würden, um Gegengewichte gegenüber dem „deutschen Block“ zu haben und um „sich von der amerikanischen Vormundschaft zu emanzipieren“ So ließe sich aus französischer Sicht ein erweitertes Europa zum Nutzen Frankreichs entwickeln. Dieser „politische Voluntarismus“ (G. Nonnenmacher) mag illusorisch sein, aber er ist Teil der französischen diplomatischen Aktivitäten.

Der Atlantizismus jedenfalls, in dessen Rahmen deutscherseits gedacht wird, bedarf keiner Multi-polarität, da er nicht polar, sondern kooperativ-partnerschaftlich angelegt ist. Deshalb ist das euro-amerikanische Verhältnis seiner Konstruktion nach gerade kein bipolares und soll es nicht werden, sehr wohl aber aus französischer Sicht der viel stärkeren Betonung der europäischen (Op-) Position. Den Kernpunkt einer potentiellen Bruch-linie -einer analytisch benennbaren, nicht einer schon aufgetretenen -stellt deshalb die Definition der weltpolitischen Lage als multipolare dar. Sie hat Indikatorwert, so unscheinbar und deskriptiv der Begriff auch sein mag Die diplomatisch-politisch-strategische Umsetzung dieses Postulats gaullistischer Tradition widerspräche aber, jedenfalls als außenpolitische Grundlage, der deutschen Politik, dem Atlantizismus. Sofern und falls also mit der Einführung des Euro währungspolitisch die Multipolaritätsthese untermauert wird -und es wäre abwegig, dies zu bestreiten -, muß mit der Einführung des Euro von Anfang an auf dieses Konfliktpotential hingewiesen werden. Dem deutsch-französischen Tandem in der EU können realistische Hinweise dieser Art nur zuträglich sein. Es wäre unredlich, die atlantische Richtungsentscheidung der deutschen Außenpolitik nach dem Krieg im aktuellen währungspolitischen und ökonomischen Themenspektrum der vermeintlich nur innereuropäischen Angelegenheiten nicht anzusprechen.

Tatsächlich entsteht durch den europäischen Währungsraum eine noch stärkere Asymmetrie zwischen dem wirtschaftlichen Potential der EU und ihren schwachen sicherheitspolitischen Fähigkeiten -ein Defizit, das die USA immer noch bzw. immer wieder ausgleichen müssen, womit sie weiterhin die Risiken der atlantischen Sicherheitskonstruktion tragen Die währungspolitische Verselbständigung Europas stellt den Kontinent -jedenfalls der Intention nach -wirtschaftlich besser, und zwar womöglich langfristig zu Lasten der amerikanischen Währung, was wiederum die Sicherheitsarchitektur bzw. die beschriebenen geo-politischen Verknüpfungen von geostrategischer Sicherheitsgarantie (Kosovo u. a. m.) und geoökonomischen Separierungstendenzen im gemeinsamen geopolitisch-atlantischen Raum belasten könnte.

Gefördert wird diese Entwicklungstendenz durch außenpolitische Beratungen, die der gegenwärtigen deutschen Regierung entgegenkommen dürften. In ihnen wird eine europäische „Wcltpolitik“ formuliert, die „defensiv“ sein, „auf sanfter Macht“ und „nur im äußersten Notfall auch auf militärischer Gewalt“ beruhen solle Der Gewalt-begriff dürfte sich in der Realität insbesondere gegen die Interventionspraxis der USA richten, die bei diesen Interventionen durchaus auch geoökonomische Interessenwahrnehmung betreiben (Golfkrieg) und realpolitisch strategische Energie-ressourcen abzusichern gedenken -im Zweifel auch unabhängig von Zustimmungsvorbehalten Moskaus oder Pekings. Ansonsten wäre die einzige verbliebene Supermacht nur Mandatar der Vereinten Nationen -und als solche muß sie sich nicht verstehen, auch völkerrechtlich nicht.

VI. Dilemma

Die USA stehen vor einem Dilemma: Sie müssen den europäischen Einigungsprozeß fördern. Ein Rückfall in alte europäische, nationalstaatlich-isolierte Gegensätzlichkeiten und Scharmützel würde die globale Politik der USA erheblich beeinträchtigen. Zugleich können sie sich aber nicht in die Interna des Einigungsprozesses einmischen. Die strittige Frage bei allen Konzeptionalisierungen ist stets der Grad der Einheit und Einigung Europas, derzeit diskutiert unter dem Rubrum „Vertiefung“ oder mit der Frage formuliert: Wieviel national-staatliche Vielfalt verträgt die EU?

Von einem internationalistischen Ansatz kann bei den sozialdemokratischen Regierungen Europas trotz der Euro-Einführung nicht gesprochen wer-den Mithin ist auch für die nächsten ein bis zwei Jahrzehnte davon auszugehen, daß ein bundesstaatliches Europa nicht entsteht. Zugleich aber wird eine erweiterte Union und NATO hohe Integrationskapazitäten und der Euro zugleich die Aufmerksamkeit binden. Es wird vom Erfolg, d. h.der Stabilität des Euro abhängen ob er die transatlantischen Beziehungen belastet oder nicht. Im schlimmsten Fall wären die Europäer ganz mit sich beschäftigt und nicht in der Lage, im eurasischen Raum partnerschaftlich mit den Amerikanern zu agieren. Im Euro-Erfolgsfall träten womöglich Belastungen für den US-Dollar auf

VII. Alternativen

In dieser Situation bieten sich Lösungen an, die schon vor Jahren diskutiert wurden Sie haben den Sinn, die Geschäftsgrundlage der transatlantischen Beziehungen zu erneuern, vor allem nach nicht ausschließbaren währungspolitischen Turbulenzen. Einmal ist von einem geoökonomisch sinnvollen, die nördliche Hemisphäre verdichtenden gemeinsamen transatlantischen Markt die Rede, von dem erwartet werden könnte, daß er einen Wachstums-schub für die Weltwirtschaft auslösen würde. Dabei ist dann auch eine Entscheidung nötig, wie währungspolitisch kooperiert werden kann, ob es z. B. ein Wechselkursbündnis geben muß, was ja bereits im Rahmen der Globalisierungsdebatte diskutiert wurde. Jedenfalls bedarf es der Erneuerung der transatlantischen Partnerschaft, nicht multilateraler oder gar multipolarer Anläufe, die zur Distanzierung von den USA führen. Partnerschaft ist das passende Stichwort, von dem amerikanischerseits auch immer wieder gesprochen wird, so z. B.der Abteilungsleiter im US-Außenministerium, Marc Grossmann, am 1. Oktober 1998 vor dem World Council in Houston: „Die Vereinigten Staaten sind die einzige verbliebene Supermacht der Welt. Aber wir können und sollten nicht alleine handeln, wenn es um die Verteidigung der gemeinsamen Werte und Interessen des Westens geht. In der heutigen, zunehmend interdependenten Welt brauchen wir solide, verläßliche und effektive Partner zur Erlangung unserer außenpolitischen Ziele ... Der Kalte Krieg ist zwar vorbei, die Notwendigkeit einer Partnerschaft und eines Bündnisses mit Europa besteht jedoch fort. Heute ist unser Schicksal nicht weniger eng verbunden als vor 50 Jahren. Wenn Europa in Frieden lebt, ist Amerika sicherer. Wenn es Europa gut geht, geht es auch Amerika gut. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat beide Seiten des Atlantiks gelehrt, daß wir eine Partnerschaft benötigen, in der Europa auf uns zählen kann und wir auf Europa. Diese Lektion müssen wir für das 21. Jahrhundert ebenfalls lernen.“

Zweitens müßte das geostrategische Konzept der Osterweitenmg der einzig verläßlichen Sicherheitsstruktur, der NATO, umgesetzt werden. Dabei ist insbesondere Rußland zu beachten und durch neue Formen der Hilfen zu integrieren. Seine Vision, einen geopolitischen Beitrag im eurasischen Raum zu leisten, benötigt teilnehmende Unterstützung. Die nördliche Hemisphäre kann nur über Rußland räumlich und staatlich konsolidiert werden. Ein zerfallendes Rußland kann sich die Welt nicht auch noch leisten. Das eurasische Festland wie seine Küsten haben nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes noch nicht zu einer festen Ordnung gefunden. Im übrigen ist die räumliche Entwicklung Chinas offen, wenn man daran denkt, daß ein nicht auszuschließendes postsozialistisches China neue Entwicklungskräfte freisetzen würde

Schließlich müßte die EU beginnen, sich im Erweiterungsprozeß auch endlich der ungelösten und aufgeschobenen Finalitätsdiskussion des europäischen Integrationsprozesses zu stellen -zu welchem Ende bzw.organisatorischem Ziel der „immer engere“ Zusammenschluß führt, da sonst die über Jahrzehnte geweckten Erwartungen des Integrationi^mus sich gegen die EU richten, weil der Zusammenschluß bei allen Gipfelkonferenzen des Europäischen Rates von den Medien eigenmächtig jeweils als zu wenig zielführend kritisiert wird. Deshalb ist viel Realismus erforderlich Wenig Realismus (im Sinne einer Universalisierbarkeit) kennzeichneten die konservativen britischen Europapositionen Thatchers und Majors, die zwar im Ton der Verallgemeinerbarkeit vorgetragen worden waren, in der politischen Praxis aber wohl nur den britischen Standpunkt beschreiben sollten, nicht jedoch eine gesamteuropäische Vision mittrugen, für die auf dem Kontinent hätte geworben werden müssen. Die Thatcherschen antideutschen Ressentiments verhinderten vielmehr diese Sicht mit der Folge der Selbstisolierung des Vereinigten Königreiches. So wurde den britischen Argumenten wenig Aufmerksamkeit zuteil. Der Konservative Leon Brittan hatte 1995 noch sehr bedenkenswerte Vorschläge unterbreitet, wie die Handlungsfähigkeit der EU zu bewahren sein würde Brittan hatte zur Handlungsfähigkeit der EU-Kommission die Bildung von Voll-und Junior-kommissaren vorgeschlagen. Auch bedürfte es seiner Ansicht nach zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten eines „Ausschusses der Parlamente“, in welchem Mitglieder sämtlicher nationaler Parlamente vertreten sein würden, wodurch mehr Bürgernähe und Verantwortlichkeit der Parlamentarier entstehen könnte. Der national gewählte Abgeordnete könnte über die Delegation in den Ausschuß europapolitisch mitentscheiden. Diese Überlegungen fanden damals wenig Beachtung, werden aber vielleicht wieder interessant, wenn die Osterweiterung der EU praktisch umgesetzt werden muß. Im Konzert eines sozialdemokratischen Europa wird es erneut auf den britischen Standpunkt insofern ankommen, als Großbritannien den transatlantischen Brückenschlag am vorbehaltlosesten verteidigt (und noch nicht in die Euro-Vision eingebunden ist), seinerseits also die hier entwickelte Trias aus Geopolitik, -Ökonomie und -Strategie mit-trägt. Der neue europäische Währungsraum muß in dieser Kaumqualität Gegenstand der Untersuchung werden.

Das „Euroland“ dürfte in vielerlei Hinsicht das Aktivitätsspektrum seiner Politiker absorbieren, obgleich eine größere weltpolitische Aufmerksamkeit Europas dringend erforderlich wäre, um den Globalisierungsprozeß sinnvoll zu bewältigen Auch hier wird die Erwartung geweckt, daß Amerika diese Aufgabe schultert. Niemand kann sagen, wie sich der Euro weiter entwickeln, wie er aufgenommen und wie er sich stabilitätspolitisch behaupten wird Doch die Kehrseite der Euro-Medaille dürfte zunächst jedenfalls die latente Strapazierung der atlantischen Beziehungen sein. Der Euro hat auch seinen politischen Preis. Deshalb müßte zu einem realpolitischen Konzept der EU gehören, daß sie ein längerfristig angelegtes Nach-Euro-Szenario entwikkelt und für den Fall der Fälle bereithält getreu dem Satz von Kardinal de Bernis: „Man muß mit allem rechnen, darf aber nicht alles befürchten.“ Niemand kann wollen, den einmal beschlossenen Euro kurzfristig zur Disposition zu stellen. Andererseits ist die europäische Integration so wertvoll, daß sie nicht für alle Zeiten irreversibel von Turbulenzen eines Währungsprojektes abhängig gemacht werden darf. Im Zweifel wäre es wichtiger, den transatlantischen Zusammenhang zu pflegen. Im übrigen sollten die wieder von Berlin aus regierenden Deutschen ihrerseits nicht eine multipolare Weltordnung betreiben Deutschland (West) war über fünf Jahrzehnte an der Seite der USA bestens aufgehoben. Dieses Vertrauenskapital bildet nach wie vor die wichtigste Währung der Deutschen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Stefan Fröhlich, Amerikanische Geopolitik. Von den Anfängen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, Landsberg 1998, S. 144.

  2. Welche Empfindlichkeiten in Rußland bestehen, zeigt der Aufsatz von Igor F. Maximytschew, Übergang zu was? Russisch-deutsches Verhältnis zwischen gestern und morgen, in: Mut. (1995) 1, S. 28-35.

  3. Nicholas Spykman z. B. schrieb in seiner „Geography of Peace“: „Balanced power on the Eurasian Continent is one of the objectives for which we are fighting and the establishment of such an equilibrum and its preservation will be our objective when the fight is won.“ Zit. in: S. Fröhlich (Anm. 1), S. 138.

  4. Alfred Thayer Mahan, The Influence of Sea Power upon History 1660-1783, Boston 1890, S. 397; Charles Clover, Dreams of the European Heartland. The Reemergence of Geopolitics, in: Foreign Affairs, 78 (1999) 2.

  5. S. Fröhlich (Anm. 1), S. 56; ebenso Haiford Mackinder, Democratic Ideals and Reality, London 1919, S. 241 f.

  6. Josef Joffe, Amerika und Deutschland, in: Karl Kaiser/Joachim Krause (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Bd. 3: Interessen und Strategien, München 1996, S. 118. Auf die von Joffe implizit angesprochene vierte, kulturelle Seite in der Geopolitik sei hier, obgleich wichtig, nicht weiter eingegangen. Vgl. dazu Josef Joffes Beitrag in: Transatlantische Partnerschaft. Perspektiven der amerikanisch-europäischen Beziehungen, Landsberg 1997.

  7. Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Weinheim 1997. Vgl. die skeptische Sicht von Charles William Maynes, Der Preis der Vorherrschaft. Risiken der „wohltätigen Hegemonie“ für Amerika und die Welt, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, (1998) 9, S, 1061-1069.

  8. Z. Brzezinski, ebd., S. 64.

  9. Ebd. S. 68 und S. 94 ff. Vgl.ders., A geostrategy for Eurasia, in: Foreign Affairs, 77 (1997) 5, S. 50-64.

  10. Vgl. Andrej Sagorgski, „Geopolitik“ versus „Geowirtschaft“, in: Wostok, 40 (1995) 8.

  11. Frankreich-Info, Bonn, Nr. 78 vom 31. 8. 1998.

  12. Auszüge von Gesprächen mit Helmut Schmidt, zit. in: Welt am Sonntag vom 5. 4. 1998, S. 37, Quelle: Helmut Schmidt, Jahrhundertwende, Berlin 1998; Karl-Eckhard Hahn urteilt: „Die Integration ist als rationale Reaktion auf die Mittellage im deutschen Interesse, nicht aber ein letztlich französisch geleiteter Kontinentalblock mit antiamerikanischem Akzent.“ Ders., Westbindung und Interessenlage. Über die Renaissance der Geopolitik, in: Heimo Schwilk/Ulrich Schacht (Hrsg), Die selbstbewußte Nation, Berlin 1994, S. 339. Vgl. auch das Interview mit Andrei Markovits, Nörgeln über den großen Onkel, in: Der Spiegel vom 21. 6. 1999, S. 38-42.

  13. „Auf monetärem Gebiet und nur hier scheint eine neue Bipolarität in Reichweite zu sein“, so Dominique Moisi, Immer Ärger mit Paris, in: Rheinischer Merkur vom 12. 6. 1998, S. 6.

  14. „Was immer die jeweils konkreten Motive Pariser Regierungen waren, die europäische Integration zu beginnen, zu vertiefen, zu bremsen oder gar anzuhalten: die Konstante war spätestens seit 1958, als Charles de Gaulle die Fünfte Republik begründete, das Ziel, Europa zu einem . Pol der Macht'(Jacques Chirac) umzugestalten, mit dem Frankreich das Verschwinden eigenständiger Potentiale ausgleichen wollte -auf dem europäischen Umweg glaubte es, eine gleichberechtigte Rolle neben den anderen Weltmächten wiederfinden zu können.“ So Günther Nonnenmacher, Dosierte Konflikte -intakte Reibungsflächen. Frankreichs dialektisches Verhältnis zu den USA, in: Internationale Politik, (1998) 9, S. 22 f. Vgl. auch Ingo Kolboom, Dialog mit Bauchgrimmen? Die Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen, in: Europa Archiv, 49 (1994) 9, S. 257-264; Alain Mine, Die Wiedergeburt des Nationalismus in Europa, Hamburg 1992, S. 76.

  15. Eine fusionistische Sicht der deutsch-französischen Partnerschaft vertritt Klaus Bloemer, Abschied vom Nationalstaat -Die Zukunft der deutsch-französischen Union, Bonn 1996.

  16. „Gestützt auf seinen ständigen Sitz im Uno-Sicherheitsrat, präsentiert Frankreich sich als alternative westliche Stimme.“ D. Moisi (Anm. 13).

  17. Pierre Bdhar, Zentraleuropa im Brennpunkt: Analysen und Perspektiven einer kontinentalen Geopolitik, Graz 1994, S. 181 ff. Eine faszinierende, exzellente Studie, die in vielen Punkten interessante Analysen beisteuert, z. B. mit folgendem Hinweis auf Sibirien (S. 220): „Vom Besitz Sibiriens hängt die Zukunft der Welt -in erster Linie des benachbarten Europa -ab. Europa wird nur dann ein dauerhaftes, wirtschaftliches und strategisches Fundament, mit anderen Worten eine Zukunft haben, wenn es sich seiner eurasischen Verlängerung sicher sein kann.“ Vgl. zur französischen geopolitischen Schule auch Yves Lacoste, Geographie und politisches Handeln. Perspektiven einer neuen Geopolitik, Berlin 1990.

  18. Das scheint bei Ernst-Otto Czempiel übersehen zu werden, der für einen Multilateralismus eintritt: Europa und die transnationale Gemeinschaft, in: Aus Politik und Zeit-geschichte, B 1 -2/99 S. 12-21; ähnlich Franz Nuscheler, Eine neue Weltpolitik. Multilateralismus statt Pax Americana, in: Internationale Politik, 53 (1998) 11. Boris Jelzin hat im Vorfeld seines Staatsbesuches in der VR China der Nachrichtenagantur ITAR-TASS am 7. 11. 1997 gesagt: „Eine multipolare Welt ist das demokratischste Modell für einen Weltaufbau. Ich denke, daß es am ehesten den Interessen der Staaten, der kleinen, der mittleren und der großen entspricht. Gerade dieses Modell erlaubt es, das überaus reiche und schöpferische Potential aller Völker zu entfalten und die Lösung der schwierigsten Probleme der Welt sicherzustellen.“

  19. Vgl. Jens Hacker, Integration und Verantwortung. Deutschland als europäischer Sicherheitspartner, Bonn 1995.

  20. Vgl. auch das Focus-Interview mit Karl Lamers vom 20. 4. 1998, S. 89: „Das gibt Ärger mit Amerika.“ Lamers wies auf die Asymmetrie hin „zwischen dem wirtschaftspolitischen Riesen und dem sicherheitspolitischen Zwerg Europa. Der Euro verstärkt dieses Mißverhältnis. Das führt zum Zwist mit Amerika.“ Aufschlußreich dürfte vor diesem Hintergrund ein Bericht über Methoden und Strategien einer gewissen „Ecole de Guerre Economique“ gewesen sein, in: FAZ vom 2. 9. 1998, S. 12. „Lieblingsfeind“ der Ausbilder seien die Vereinigten Staaten und Japan, so erwähnen sie gegenüber der deutschen Reporterin. Auch nachrichtendienstliche Techniken werden eingeübt zum „Transfer von Geheimdienst-wissen an Wirtschaftsakteure“.

  21. Ernst-Otto Czempiel, Nichts gegen Rußland, in: Die Woche vom 3. 3. 1995. Czempiel spricht von der Sicherheit in Europa, in einem Europa der Staaten, die über keine Militärpotentiale verfügen, es sei sogar in diesem Denkansatz „.. . intendiert, die organisierte, militärische Gewalt aus den zwischenstaatlichen Beziehungen zu eliminieren“, so Czempiel in seinem Aufsatz: Die Organisation der Sicherheit in und für Europa, in: Beate Kohler-Koch (Hrsg.), Staat und Demokratie in Europa, Opladen 1992, S. 197.

  22. Insofern dürfte die Nationalstaatskritik Oskar Lafontaines nicht common sense sein. Vgl.ders., Deutsche Wahrheiten. Die nationale und soziale Frage, Hamburg 1990.

  23. Demoskopisch gesehen ist die einheitliche europäische Währung zusätzlich ein Problem. In Deutschland wurde der Euro zwischen April 1994 und August 1998 bei 12 Befragungen glatt abgelehnt, für den Euro sind allenfalls 20 Prozent, d. h. die Distanz von politischer Entscheidungsebene und befragter Bevölkerung (Volkssouverän) ist enorm groß -zu groß bezüglich einer demokratischen Legitimation? Vgl. IfD Allensbach, Archiv-Nummern 5094-6061.

  24. Zu weiteren Überlegungen vgl. Henrik Müller/Thomas Straubhaar, Das trojanische Pferd der Währungsunion, in: Franfürter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 5. Juni 1999, S. 15.

  25. Beispielhaft ist etwa das gemeinsame Programm von EU und den USA mit dem Namen Neue Transatlantische Agenda (NTA), vgl. Internationale Politik, (1998) 2, S. 61 ff.; vgl. aber auch Henry Kissinger, Chance und Risiko der Währungsunion, in: Welt am Sonntag vom 10. 5. 1998, S. 34.

  26. Für ein Wechselkursbündnis votiert der zuletzt aus der Euro-Diskussion bekannte Wilhelm Hankel, Zur Krise verführt. Ein Plädoyer für ein monetäres Völkerrecht, in: Die Zeit vom 1. 10. 1998, S. 44. Für ein neues Bretton-Woods-System einer neuen Weltwährungsordnung mit stabilen und angemessenen Wechselkursen zwischen Yen, US-Dollar und Euro und gegen die „währungspolitische Anarchie“ optiert Peter Bofinger, Zweites Bretton Woods, in: Welt am Sonntag vom 1. 11. 1998, S. 73. Andere widersprechen, weil sie das Ausbleiben von Strukturreformen befürchten oder weil sie am Interesse Amerikas zweifeln, sich währungspolitisch derart festzulegen.

  27. Marc Grossmann, Eine euroatlantische Partnerschaft für das 21. Jahrhundert, in: Amerika Dienst vom 21. Oktober 1998, S. 2. In einem ZEIT-Interview vom 19. November 1998 erwartet John Kornblum einen „aktiven Partner“, der eine „tragendere Rolle“ übernehmen möge; vgl. auch Reinhard Meier-Walser (Hrsg.), Transatlantische Partnerschaft. Perspektiven der amerikanisch-europäischen Beziehungen, Landsberg a. L. 1997.

  28. Skeptische Positionen bezüglich Chinas nehmen qin Richard Bernstein/Ross H. Munro, The Coming Conflict with China, New York 1997; vgl. wiederum Henry Kissinger, Eine bewußte Isolierung Chinas wäre verhängnisvoll, in: Welt am Sonntag vom 9. 11. 1997, S. 6: Michael Stürmer, Hegemonie oder Gleichgewicht, in: Die Politische Meinung, (1998) 1, S. 86-95.

  29. Vgl. Jean-Jacques Rosa, L’erreur europeenne, Paris 1998; vgl. auch Joseph Fischer, Die Selbstbeschränkung der Macht muß fortbestehen, in: FAZ vom 10. 8. 1998, S. 9: „Wir müssen die Debatte über die finale Gestalt der Europäischen Union heute beginnen ... Im Kern wird es dabei um die Frage gehen, wie sich Nationalstaaten und Europäische Union zueinander verhalten werden.“

  30. Vgl. Leon Brittan, Die europäische Herausforderung. Strategien für den Aufbruch ins nächste Jahrtausend, Bergisch Gladbach 1995.

  31. Vgl. Heinz Brill, Politische Geographie -Geopolitik -Geostrategie, in: Österreichische Militär Zeitschrift, (1983) 3, S. 235 ff.; Friedrich Korkisch, Geopolitik -Geostrategie -Geoökonomie, in: ebd., (1987) 1, S. 18-27; Konrad Seitz, Die neue Welt der Geo-Ökonomie: Das globale Ringen um die technologische Vorherrschaft, in: Karl Kaiser/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die neue Weltpolitik, Baden-Baden 1995, S. 247.

  32. Neben unvermeidlichen Globalisierungstendenzen gibt es solche, deren Abwehr naheliegt, wie das bei Fehlentwicklungen in der kapitalistischen Epoche immer wieder nötig war. So schreibt Denis Duclos, Internationale Hyperbourgeoisie, in: Le Monde Diplomatique vom August 1998: „Wenn die kapitalistische Politik Leute, die die Kapital-zirkulation anheizen, höher bewertet als diejenigen, die Werte schaffen, orientiert sich das Ranking nicht mehr an der produktiven, sondern an der kapitalanlegenden Bourgeoisie.“

  33. Vgl. die kritische Analyse des Kölner Ökonomen Christian Watrin, Es droht eine Wende zum politischen Geld. Über die Aufgaben der Europäischen Zentralbank gibt es verschiedene Ansichten, in: Deutsche Tagespost vom 11. 4. 1998, S. 15.

  34. Nicht nur die EU, auch Deutschland wird zu Realismus aufgefordert, so von Robert B. Zoellick, Abschied von der Selbstbeschränkung. Deutsche Außenpolitik aus der Sicht der USA, in: Internationale Politik, 53 (1998) 12. Jedenfalls sollte alle politisch Handelnden darauf bedacht sein, besser als im Herbst 1989 auf unerwartete Ereignisse vorbereitet zu sein.

  35. Aus Gründen befürchteter erneuter deutscher Überheblichkeit, die von Berlin ausgehen könnte, erhebt Günther Hellmann Einwände gegen die von ihm auch bei der regierenden Linken festgestellte angebliche „nationale Normalitätssehnsucht“. Günther Hellmann, Nationale Normalität als Zukunft? Zur Außenpolitik der Berliner Republik, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, (1999) 7, S. 837-847, hier S. 846.

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Tilman Mayer, M. A., Dr. phil. habil., geb. 1953; Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Würzburg. Veröffentlichungen u. a.: Nationale und supranationale Identität, in: Europäische Rundschau, (1993) 1; (Hrsg. zus. mit B. Estel) Das Prinzip Nation in modernen Gesellschaften. Länderdiagnosen und theoretische Perspektiven, Wiesbaden 1994; Nationalstaat, in: Staatsbürgerlexikon, hrsg. von Gerlinde Sommer/Raban Graf von Westphalen, München 1999.