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Der gütige Hegemon und die unsichere Mittelmacht: deutsch-amerikanische Beziehungen im Wandel | APuZ 29-30/1999 | bpb.de

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APuZ 29-30/1999 Der gütige Hegemon und die unsichere Mittelmacht: deutsch-amerikanische Beziehungen im Wandel Europa und Amerika -Rivalen oder Partner? Konfliktlinien in der Atlantischen Allianz

Der gütige Hegemon und die unsichere Mittelmacht: deutsch-amerikanische Beziehungen im Wandel

Helga Haftendorn

/ 25 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In dem Beitrag wird die These aufgestellt, daß sich die Art der deutsch-amerikanischen Beziehungen aus der Beziehungsstruktur -und damit aus den Macht-und Abhängigkeitsverhältnissen -zwischen beiden Staaten ergibt. Ebenso, wie sich diese seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gewandelt haben, veränderte sich auch der Charakter der Beziehungen. Ein großer Einschnitt war das Ende des Ost-West-Konflikts und die deutsche Vereinigung. Daraus ergibt sich die Frage nach der gegenwärtigen Struktur der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Sie bestimmt die Prozesse, mit denen Lösungen für aktuelle multilaterale und bilaterale Probleme gesucht werden. Die Problemlösung bereitet gegenwärtig gelegentlich Schwierigkeiten, weil beide Staaten noch nicht zu einer ein-vernehmlichen Beziehungsstruktur gefunden haben. Diese reicht -mit allen daraus entstehenden Problemen -vom Anspruch auf eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen einer „gütigen Führungsmacht“ und einer „großen Mittelmacht“ bis zum Abhängigkeits-und Respektverhältnis zwischen einer „hegemonialen Weltmacht“ und einem „Vasallen und Tributpflichtigen“. Zum Glück gibt es gegenwärtig aber wenig offene Fragen in den bilateralen Beziehungen, die einer raschen Lösung bedürfen. Schwieriger zu lösen sind eine Reihe multilateraler Probleme, die außer Deutschland auch seine Partner in der Europäischen Union betreffen. Dies gilt zunächst für einige Handelskonflikte, bei denen sich beide Seiten gegenseitig unfaire Praktiken vorwerfen. Obwohl die USA den Prozeß der europäischen Integration in der Vergangenheit politisch unterstützt haben, sind künftig Konflikte dann nicht ausgeschlossen, wenn die Europäische Union nicht nur an Wirtschaftsmacht, sondern auch an politischem Gewicht gewinnt. Zu einem wesentlichen Problem wird die transatlantische Zusammenarbeit jedoch dann, wenn die Europäer Rechte und Verantwortlichkeiten beanspruchen, ohne zu entsprechenden Leistungen bereit zu sein -oder wenn ihre Initiativen amerikanischen Interessen zuwiderlaufen.

I. Die Entwicklung der deutsch-amerikanischen Strukturen

1999 -Jahr der Gedenktage: 50 Jahre Ende der Berliner Blockade, 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland, 50 Jahre Atlantisches Bündnis. Wer denkt noch daran, daß seit Inkrafttreten des Besatzungsstatuts am 21. September 1949 ebenfalls 50 Jahre vergangen sind, seitdem die Bundesrepublik Deutschland vertragliche Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika unterhält? ln dem vorliegenden Beitrag wird die These vertreten, daß sich die Art der deutsch-amerikanischen Beziehungen aus den Macht-und Abhängigkeitsverhältnissen zwischen beiden Staaten ergibt. Ebenso wie sich diese seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gewandelt haben, veränderte sich auch der Charakter der Beziehungen. Ein großer Einschnitt war zweifellos das Ende des Ost-West-Konflikts und die deutsche Vereinigung. Daraus ergibt sich die Frage nach der gegenwärtigen Struktur der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Sie bestimmt die Art der Prozesse, mit denen Lösungen für aktuelle multilaterale und bilaterale Probleme gesucht werden, weniger die Art der Probleme selbst. Die Schlußfolgerung liegt nahe, daß die Problemlösung gegenwärtig gelegentlich Schwierigkeiten bereitet, weil beide Staaten noch nicht zu einer einvernehmlichen Beziehungsstruktur gefunden haben. Diese reicht -mit allen daraus entstehenden Problemen -vom Anspruch auf eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen einer „gütigen Führungsmacht“ und einer „unsicheren Mittelmacht“ bis zum Abhängigkeits-und Respektverhältnis zwischen einer „hegemonialen Weltmacht“ und einem „Vasallen und Tributpflichtigen“

Im Besatzungsstatut wurden die Beziehungen zwischen den drei westlichen Siegermächten und dem westdeutschen Staat für die Zeit geregelt, während der dieser -sozusagen auf Bewährung -unter ihrer Vormundschaft stand. An die Stelle der bisherigen Militärregierungen trat eine Alliierte Hohe Kommission, welche die Beziehungen zwischen Siegern und Besiegtem bestimmte. Wie bereits die Übergabezeremonie andeutete, waren dies keine gleichberechtigten Beziehungen. Konrad Adenauer, eine Woche zuvor zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik gewählt, war zusammen mit den Mitgliedern seines Kabinetts zur Verkündung des Besatzungsstatuts auf den Petersberg bei Bonn gebeten worden. Während die Alliierten Hohen Kommissare auf dem roten Teppich standen, der ihren hervorgehobenen Status markierte, sollten die deutschen Regierungsvertreter in gebührendem Abstand davor verharren. Als das Dokument dem Bundeskanzler verkündet werden sollte, trat Adenauer einen Schritt vor und befand sich nun ebenfalls auf dem roten Teppich. Dieser Schritt symbolisierte den Anspruch auf zumindest protokollarische Gleichberechtigung. In der Folge -bis zur Wende 1989/90 -suchten alle deutschen Regierungschefs, den Handlungsspielraum der Bundesrepublik gegenüber den USA Schritt für Schritt zu erweitern, ohne allerdings immer bereit zu sein, die damit -verbundenen Lasten zu übernehmen.

Unter den Bedingungen des Kalten Krieges wandelte sich das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik zu einem solchen zwischen Schutzmacht und Schützling. Nunmehr saß Bonn weitgehend gleichberechtigt mit am Verhandlungstisch. Die Ablösung des Besatzungsregimes und die Aufnahme in das Atlantische Bündnis sollten der Bundesrepublik Schutz vor einer mili-tärisch überlegenen und politisch aggressiven Sowjetunion bieten. Nur die enge Anlehnung an die USA versprach ein glaubwürdiges Maß an Sicherheit. Die anderen europäischen Staaten -Frankreich, Großbritannien -waren zu schwach, um ihr einen vergleichbaren Schutz zu bieten. Die engen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten wurden damit zur „Staatsraison“ 4des westdeutschen Teilstaates.

Die wirtschaftliche Gesundung der Bundesrepublik und der Fortschritt der europäischen Integration reduzierten allmählich das Maß der Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten. Der Übergang zu flexiblen Wechselkursen 1971 und das Scheitern des amerikanischen Versuches, 1982 das deutsch-sowjetische Erdgas-Röhrengeschäft zu Fall zu bringen, waren wichtige Wegmarken zu einem größeren Handlungsspielraum in den wirtschaftspolitischen Beziehungen. Auch das politische Gewicht der Bundesrepublik wuchs, vor allem, nachdem es ihr gelungen war, mit der Ost-politik der sozialliberalen Koalition einen Modus vivendi mit der Sowjetunion und den mittel-und osteuropäischen Staaten zu erzielen, der ihre politische Verwundbarkeit reduzierte. Bei dem Gipfel von Guadeloupe, als es um die Konzipierung des NATO-Doppelbeschlusses ging, saß Bundeskanzler Helmut Schmidt gleichberechtigt mit seinem amerikanischen, britischen und französischen Kollegen am Konferenztisch. Die Bundesrepublik war zum Juniorpartner der Supermacht USA geworden. Zu einer Mitführungsrolle -„Partner in Leadership“ -, wie sie Präsident Bush bei seinem Deutschlandbesuch im Frühjahr 1989 anbot, war sie allerdings zu diesem Zeitpunkt angesichts ihrer militärischen und deutschlandpolitischen Abhängigkeiten noch nicht in der Lage.

Die USA übten ihre Führungsrolle in der Regel jedoch so aus. daß die überlebenswichtigen Interessen des Partners berücksichtigt wurden. Als Gegenleistung für die militärische Schutzzusage erwartete Washington von seinem Partner Lasten­ teilung ebenso wie Anpassung an die eigenen Vorgaben. Der Versuch der Bundesrepublik, ihre Entspannungspolitik aus der Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen Anfang der achtziger Jahre herauszuhalten, wie auch ihr Fernbleiben vom Golfkrieg zehn Jahre später trugen ihr in Amerika viel Kritik ein. Diese war um so lauter, als Washington zu Recht darauf verweisen konnte, daß im Kalten Krieg die Sicherheit der Bundesrepublik gewährleistet und nach seinem Ende die deutsche Vereinigung sehr wesentlich mit Hilfe der USA erreicht worden war. Der Prozeß der deutschen Vereinigung machte erneut die Abhängigkeit Deutschlands von den Interessen und Zielen der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges deutlich. Er zeigte aber auch, daß sich die Bundesrepublik auf den Beistand und die Unterstützung Washingtons verlassen konnte. Als „gütiger Hegemon“ verfolgten die USA in diesem Prozeß kein eigenes Interesse -es sei denn das der Befriedung und Stabilisierung des europäischen Kontinents -, sondern unterstützten nach Kräften die deutsche Vereinigung.

Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Wiedervereinigung Deutschlands änderten sich die Rahmenbedingungen der deutschen Außenpolitik und damit auch das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Die Bundesrepublik hatte ihre Abhängigkeit in der Deutschlandpolitik überwunden und die Ablösung der Alliierten Vorbehaltsrechte erreicht. Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts fehlt eine akute militärische Bedrohung, die sie in der Vergangenheit dazu zwang, Schutz unter dem Schirm der von den USA angebotenen nuklearen Abschreckung zu suchen. Auch innenpolitisch wurden die Voraussetzungen für eine aktive Außenpolitik geschaffen, welche die Benutzung militärischer Instrumente einschließt. Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der SFOR-Mission in Bosnien und die Mitwirkung am Kampfeinsatz gegen Serbien zeigen dies. Gleichzeitig erreichte der Prozeß der europäischen Unionsbildung mit der Verabschiedung der Verträge von Maastricht und Amsterdam eine neue Qualität. Damit erwächst den USA auf dem europäischen Kontinent allmählich ein politischer Partner, möglicherweise jedoch auch ein Konkurrent, auf den Gebieten der Handels-und Währungspolitik.

Diese tiefgreifenden Änderungen in den weltpolitischen Strukturen wirken sich auch auf die transatlantischen Beziehungen aus. Wie definieren die USA und Deutschland ihre gegenwärtigen Beziehungen, welche Trends zeichnen sich für die künftige Entwicklung ab? „Definition“ ist in diesem Zusammenhang nicht als ein formaler Akt zu ver-stehen, sondern vielmehr als eine langsam entstehende, von Eliten und Öffentlichkeit geteilte Einschätzung, für die in der Folge eine prägnante und zustimmungsfähige Formulierung geprägt wird. Sie muß Aussagen über die Rolle Amerikas in Europa ebenso wie über die Deutschlands in den transatlantischen Beziehungen enthalten. Wie könnte die Struktur der deutsch-amerikanischen Beziehungen gegenwärtig auf den Begriff gebracht werden? Können diese Beziehungen wirklich schon als eine „reife Partnerschaft“ konzeptionalisiert werden, um einen Lieblingsbegriff deutscher Atlantiker zu benutzen? Sie verstehen darunter eine enge Kooperation zwischen Deutschland und den USA, die zwar nicht problemfrei ist, bei der aber beide Staaten die Interessen des jeweils anderen Partners respektieren. Wie die neueste Umfrage des Chicago Council on Foreign Relations zeigt, ist das Interesse amerikanischer Eliten an Europa weiterhin groß, aber dieses wird weder als ernst zu nehmender Partner noch als gefährlicher Konkurrent wahrgenommen. Die in der Vergangenheit warmen, freundschaftlichen Gefühle in der amerikanischen Öffentlichkeit haben sich so weit abgekühlt, daß sie auf einer Stufe mit denjenigen für Brasilien rangieren, hinter den positiven Empfindungen für andere europäische Staaten wie Großbritannien und Italien Auf deutscher Seite sitzt seit dem Regierungswechsel im Oktober 1998 eine Generation an den Schalthebeln der Macht, die ihre politische Sozialisation in den Protestdemonstrationen gegen Amerika und seinen Krieg in Vietnam empfangen hat. Welche Bedeutung mißt diese neue Elite den Beziehungen mit Amerika bei, welche Gefühle hegt sie gegenüber den Vereinigten Staaten?

Das Verhältnis ist nüchterner geworden. In der Ära Kohl dominierten auf deutscher Seite die Bande der Tradition und der Dankbarkeit gegenüber den USA für ihre Hilfe und Unterstützung, nicht zuletzt beim Prozeß der deutschen Vereinigung. Sie wurden ergänzt durch die freundschaftlichen Gefühle, die Helmut Kohl und George Bush füreinander empfanden. Nach dem Amtsantritt der Clinton-Administration traten an ihre Stelle ein freundlicher Respekt für den „pflegeleichten“ Partner jenseits des Atlantiks; die bilateralen Beziehungen waren problemlos. Der Generationswechsel in Deutschland -mehr als der Wechsel von einer christdemokratisch-liberalen zu einer rot-grünen Koalition -führt dazu, daß das Abhängigkeits-und Respektverhältnis zwischen der „gütigen Hegemonialmacht“ und dem „selbstbewußten Vasall“ durch den Anspruch auf gleichberechtigte Partnerschaft ersetzt wird. Die Deutschen erwarten von den USA die Berücksichtigung deutscher wie europäischer Interessen, vor allem aber rechtzeitige Konsultationen -nicht nur Informationen! -, ehe sie wichtige Entscheidungen treffen. Von dem Verbündeten erwarten die Amerikaner vor allem die Übernahme weltpolitischer Verantwortung und entsprechender finanzieller Lasten. Die Entsendung von Bundeswehreinheiten nach Mazedonien und Albanien sowie nun in den Kosovo dient daher auch dem Zweck, den deutschen Anspruch auf gleichberechtigte Mitsprache physisch zu untermauern. Entgegen steht ihr jedoch weiterhin die asymmetrische Beziehungsstruktur.

II. Problemlösung in den deutsch-amerikanischen Beziehungen

Die Struktur der Beziehungen bestimmt die Art der Prozesse, mit denen Lösungen für aktuelle multilaterale und bilaterale Probleme gesucht werden. In keiner Periode der deutsch-amerikanischen Beziehungen waren diese spannungs-oder problemfrei. Besonders belastend waren die Konflikte in der Deutschland-und der Sicherheitspolitik, d. h. in denjenigen Polilikbereichen, in denen das Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten besonders ausgeprägt war. Beispiele für derartige Konflikte waren die Auseinandersetzungen über die angemessene Reaktion des Westens auf das Berlin-Ultimatum Chruschtschows. Während die Regierung Adenauers auf eine harte und unnachgiebige Haltung drängte, ihre Zustimmung zu einer militärischen Aktion aber zurückhielt, suchten die USA nach Verhandlungsofferten und schlugen z. B. die Errichtung einer internationalen Zugangsbehörde für den Berlin-Verkehr vor -Vorschläge, welche die Bundesregierung nicht verhindern, deren Verwirklichung sie jedoch durch vorzeitiges Bekanntwerden torpedieren konnte Andere Konflikte ergaben sich Anfang der sechziger Jahre durch die Absicht der USA, die militärische Strategie der NATO zu ändern. Durch eine stärkere Abstützung auf konventionelle Streitkräfte sollte der Ein-satz von Kernwaffen hinausgezögert und damit das Risiko der Vernichtung der USA verringert werden. Dies schien angesichts der Tatsache geboten, daß die Sowjetunion auf dem Gebiet der weitreichenden Waffensysteme mit dem Westen gleichgezogen hatte, in der Bundesrepublik wuchs jedoch die Sorge, daß die nukleare Abschreckung dadurch an Glaubwürdigkeit verlieren und Deutschland im Konfliktfall zum konventionellen Kriegsschauplatz werden könnte. Sie gab daher erst ihre Zustimmung zum Strategiewandel, nachdem das Bündnis die Bedeutung taktischer Nuklearwaffen als Bindeglied zwischen konventionellen und nuklearen Waffensystemen (Triade) bestätigt hatte Ein weiterer Konflikt ergab sich aus der Absicht der USA, der Proliferation von Kernwaffen durch den Abschluß eines Nichtverbreitungs-Vertrages Einhalt zu bieten. Auf deutscher Seite mischten sich sicherheitspolitische Befürchtungen mit solchen wirtschaftlicher und politischer Natur, da dieser Vertrag ebenfalls der DDR zum Beitritt offenstehen sollte. Auch in diesem Fall konnte die Bundesregierung das Zustandekommen des NV-Vertrages nicht verhindern, sondern nur den deutschen Beitritt hinauszögern.

Während bei sicherheits-und deutschlandpolitischen Konflikten die USA stets am längeren Hebel saßen und die Bundesrepublik ihre Initiativen nicht verhindern, höchstens modifizieren konnte, gestalteten sich die wirtschaftlichen Beziehungen zunehmend ausgeglichener. Während Washington 1962 noch die Erfüllung des Erdgas-Röhren-Geschäftes mit der Sowjetunion blockieren konnte, war dies bei einer ähnlichen Vereinbarung 1982 nicht mehr der Fall In der Wirtschaftsund Währungspolitik war die Bundesrepublik, gestützt auf ihre Wirtschaftsmacht und auf die enge Kooperation mit den europäischen Partnern, zu einem gleichberechtigten Mitspieler geworden. In vielen Fällen konnte sie ihr wirtschaftliches Potential im Tausch gegen Zugeständnisse auf anderen Gebieten einsetzen, z. B. als sie den USA eine Stützung des Dollars zusagte und damit drastische Reduzierungen der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland vermeiden konnte

Die Asymmetrie zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten führte dazu, daß beide Staaten verschiedene Instrumente benutzten, um die jeweils andere Seite zum Einlenken und zur Berücksichtigung der eigenen Interessen zu veranlassen. Die Weltmacht USA konnte einseitig vergehen und in der Regel darauf vertrauen, daß sich der schwächere Partner -wenn auch nicht ohne Murren sowie mit zeitlichem Verzug -anpaßte. Dieser mußte die Mittel seinen Möglichkeiten und dem ihm zur Verfügung stehenden Handlungsspielraum anpassen. Die Waffe des Schwachen war zunächst das , Presseleck -eine Kunst, die Konrad Adenauer der Sieger-und Schutzmacht gegenüber perfekt beherrschte. Erst nachdem die Bundesrepublik als ernst zu nehmender Verhandlungspartner akzeptiert wurde, konnte sie durch das Einlegen eines Vetos die Modifizierung amerikanischer Pläne erreichen. Gestützt auf ihre gewachsene Wirtschaftsmacht hatte sie schließlich die Möglichkeit, mit einer Strategie des Junktims durch Zugeständnisse auf wirtschaftlichem Gebiet ähnliche in der Sicherheits-und Deutschlandpolitik zu erzielen -den Feldern, auf denen ihre Abhängigkeit am ausgeprägtesten war. Erst als sie den USA partnerschaftlich gegenübertreten konnte -oder aber die Unterstützung ihrer europäischen Partner hatte vermochte sie mit Aussicht auf Erfolg eigene Alternativvorschläge zu präsentieren.

Damit zeigt sich eine wichtige Methode deutscher Politik: die Strategie des Multilateralismus. Bereits frühzeitig begriff die politische Führung der Bundesrepublik, daß sie ihre Ziele im Verein mit anderen Staaten besser erreichen und auf diese Weise ihre Schwäche überspielen konnte. Für die Mitgliedschaft im Atlantischen Bündnis bot es sich an, den Widerstand Frankreichs durch die Kooperation mit den USA und Großbritannien zu überwinden; während der Berlin-Krise avancierte dagegen das Frankreich de Gaulles zum wichtigsten Partner, mit dem die Bundesrepublik den angelsächsischen Avancen an die Sowjetunion -oder was sie dafür hielt -Paroli zu bieten suchte. Das Bemühen um enge Verbündete wurde in der Folge nicht nur als Notwendigkeit, sondern auch als Chance begriffen. Politische Initiativen wurden ebenso wie Gegenentwürfe zunächst mit einigen Partnern abgestimmt, ehe sie in einen größeren Kreis eingebracht oder gar öffentlich gemacht wurden. Der politische Multilateralismus wurde zum präferierten Politikstil. Das Ergebnis war ein erheblicher Bedeutungszuwachs für internationale Institutionen wie EG/EU, NATO und KSZE/OSZE. Sie beziehen nicht nur die Bundesrepublik in institutionalisierte Konsultationsgremien ein, sondern auch ihre Partner, insbesondere die USA. Der multilaterale Politikstil der Mittelmacht Deutschland trifft auf amerikanischer Seite auf einen Politikstil, der häufig -bei allen Bekenntnissen der Weltmacht USA zum Multilateralismus -11 zum unilateralen Vorgehen tendiert und dies aus wohlverstandenem Eigeninteresse auch weiterhin tun wird Die wiederholten Bekenntnisse der Clinton-Administration zu internationalen Organisationen werden konterkariert von der Weigerung der USA, Konventionen wie denjenigen zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes oder zum Verbot von Landminen beizutreten. Im Krieg gegen Serbien betonte die amerikanische Administration immer wieder die gemeinsame Verantwortung des NATO-Bündnisses; die militärischen Entscheidungen -so z. B. über den (Nicht-) Einsatz von Bodentruppen oder die Zielplanung für die Luftangriffe -wurden jedoch in Washington getroffen. Die Asymmetrie im Politikstil wird damit zu einem jeweils aktuellen Politikproblem.

III. Aktuelle Probleme der deutsch-amerikanischen Beziehungen

Unsichere Struktur und Asymmetrie der Politik-stile haben Auswirkungen auf die Lösung der aktuellen Probleme. Hinzu kommen unterschiedliche Perzeptionen des jeweils anderen Partners, seiner Interessen und Befindlichkeiten. Obwohl die politische Kultur beider Staaten immer ähnlicher wird gehen sie mit ihren sozialen Problemen sehr verschieden um. Beispiele dafür sind die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Regelung der Altersvorsorge oder die Sanierung des Gesundheitssystems. Die Nähe führt darüber hinaus zur Enttäuschung, wenn der scheinbar dem Deutschen so ähnliche Amerikaner ganz anders reagiert: mit nachhaltigem Interesse für das Sexualleben seines Präsidenten oder der Verteufelung des irakischen Herrschers Saddam Hussein. Dagegen wird den Deutschen in Amerika vielfach vorgeworfen, daß sie zu reaktiv seien. Es wird die Frage gestellt, wann sie endlich die Bürden der Vergangenheit abschütteln und bereit wären, eigene Initiativen zu entwickeln. Dabei wird freilich vorausgesetzt, daß diese sich in dem von der amerikanischen Politik gesteckten Rahmen bewegen. Tun sie es nicht -wie es bei dem deutschen Vorpreschen in der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens 1991 der Fall war -, wird Deutschland nationale Überheblichkeit vorgeworfen. Der Grat zwischen Eigeninitiative und Anpassung ist daher schmal. Zum Glück gibt es in den transatlantischen Beziehungen jedoch gegenwärtig wenig spektakuläre Sachprobleme, so daß eine politische Entfremdung zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten wenig wahrscheinlich ist.

Unterschiedliche Akzentsetzungen gibt es vor allem hinsichtlich der Gestaltung der Beziehungen zu Rußland. Während Washington diese seinen strategischen Überlegungen unterordnet, wird die deutsche Politik zum einen durch die geographische Nähe Rußlands und zum anderen durch die in den vergangenen 25 Jahren entstandenen kooperativen Beziehungen geprägt. Schließlich war die deutsche Vereinigung nur mit der Zustimmung Moskaus und nicht gegen die Sowjetunion möglich. Daher hat sich die Bundesregierung im Kosovo-Konflikt darum bemüht, sowohl bei der militärischen Aktion gegen Serbien als auch bei den Bemühungen um eine politische Lösung Ruß-land mit ins Boot zu holen. Um eine solche zu erreichen, tendierten deutsche Politiker -mit Blick auf ihre eigene Öffentlichkeit ebenso wie aus Sorge vor einer langfristigen Belastung der deutsch-russischen Beziehungen -zu weitergehenden Kompromissen als die amerikanische Administration. Eine bisher ungelöste Frage in den bilateralen deutsch-amerikanischen Beziehungen ist die Entschädigung ausländischer Zwangsarbeiter des Zweiten Weltkrieges durch diejenigen Unternehmen wie die Deutsche Bank, das Volkswagenwerk oder die IG Farben, die damals von ihrer Arbeitskraft profitiert haben. Gegenwärtig wird die Errichtung eines Entschädigungsfonds diskutiert, in den die deutsche Wirtschaft freiwillig Beträge einzahlt und gegen den die Entschädigungsberechtigten Ansprüche geltend machen können. Die deutschen Unternehmen wollen jedoch Garantien dafür erhalten, daß sie dann von weite­ ren Einzelklagen verschont bleiben Zu Verstimmungen in beiden Ländern führt regelmäßig auch der von einflußreichen Persönlichkeiten in den USA geäußerte Vorwurf, die deutschen Behörden diskriminierten die Anhänger der Scientology-Sekte, wenn sie ihr den Status und die Privilegien einer " Religionsgemeinschaft verweigerten. Ein weiterer strittiger Punkt ist die Rückgabe derjenigen Akten des Staatssicherheitsdienstes (Stasi) der untergegangenen DDR, welche der amerikanische Geheimdienst in den Wirren der Wende in die USA geschafft hat. Möglicherweise bieten sich andere, in deutschem Besitz befindliche Stasi-bestände — z. B. kürzlich entdeckte Tonbänder -als Gegenleistung an. Es müßte auch möglich sein, den amerikanischen Befürchtungen Rechnung zu tragen, daß durch die Zugänglichkeit der Stasiunterlagen die Sicherheitsinteressen der USA tangiert werden könnten. Ein eher lokales Problem stellt die Forderung des amerikanischen Außenministeriums dar, die geplante Botschaft der USA am Brandenburger Tor in Berlin solle durch einen Sicherheitsstreifen vom öffentlichen Verkehr getrennt werden. Die Verhandlungen sind derzeit festgefahren. Die amerikanische Seite fordert nicht nur die Verlegung von zwei Seitenstraßen, sondern auch Eingriffe in die Gestaltung des Pariser Platzes. Wenn die Stadt dazu nicht bereit sei, erweise sich Berlin als „nicht hauptstadtfähig“ Der Berliner Senat muß jedoch seinerseits auf die öffentliche Meinung in der Stadt Rücksicht nehmen -zumal in einem Wahljahr. Neue Betonabsperrungen am Brandenburger Tor dürften -zehn Jahre nach dem Fall der Mauer an eben dieser Stelle -einen Proteststurm auslösen, der die Kontroverse über das geplante Holocaust-Mahnmal am selben Ort noch in den Schatten stellen würde.

Die bilateralen Probleme werden jedoch nicht an die große Glocke gehängt. Während Kompromisse gesucht und in geduldigen Verhandlungen meist auch gefunden werden, sind eine Reihe multilateraler Probleme, die außer Deutschland auch seine Partner betreffen, wesentlich schwieriger zu lösen. Dies gilt vor allem für eine Reihe von Handels-konflikten, bei denen die USA den Mitgliedern der Europäischen Union unfaire Praktiken vorwerfen. Besondere Aufmerksamkeit hat der „Bananenkrieg“ *erregt, bei dem Washington den EU-Mitgliedern vorwirft, durch ihre Bevorzugung der Bananenimporte aus den AKP-Staaten amerikanische Unternehmen und die Importe von Bananen aus dem Dollarraum zu benachteiligen. Im Gegenzug haben die USA eine Reihe europäischer Importe in die USA mit Strafzöllen belegt. Die in diesem Streit angerufene Welthandelsorganisation hat im April 1999 die EU zu einer stärkeren Öffnung ihres Marktes aufgefordert und die amerikanischen Strafzölle in einem gewissen Umfang für Rechtens erklärt. Ein weiterer Konflikt ist durch die Weigerung der EU entstanden, hormonbehandeltes Fleisch oder genmanipulierte landwirtschaftliche Erzeugnisse, die nicht besonders gekennzeichnet sind, in den Gemeinschaftsraum hineinzulassen. Der Konflikt entzündet sich hier am bisher nicht von den Europäern in zufriedenstellender Weise erbrachten Nachweis, daß derartige Produkte geeignet seien, Gesundheitsschäden zu verursachen. Einen weiteren Streitfall mit bisher ungewissem Ausgang stellt der amerikanische Vorwurf dar, die Europäer schotteten ihren Stahlmarkt vor Importen aus Asien ab. Diese wichen daraufhin auf den amerikanischen Markt aus und ließen das Defizit in der Handelsbilanz der USA unangemessen anwachsen.

Dagegen irritiert die Europäer die Praxis des US-Kongresses, politische Ziele mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu verfolgen. Die Auseinandersetzungen über die amerikanische Sanktionspolitik im Falle Kubas dauern mittlerweile fast 20 Jahre an. Auch der Irak und der Iran gehören zum Kreis derjenigen Länder, deren ausländische Handelspartner Washington mit Sanktionen bedroht. Die Deutschen ärgert vor allem, daß der Kongreß mit diesen Akten eine nachträgliche und über das Hoheitsgebiet der USA hinausreichende Gesetzgebungskompetenz beansprucht -und sich damit ungerechtfertigt in die Handelsbeziehungen dritter Länder einmischt. Während die EU seit langem eine Aufhebung der Sanktionen fordert, haben sich die USA bisher darauf beschränkt, sie durch administrative Maßnahmen zu entschärfen.

Verschiedene Beobachter sagen neue Spannungen in den transatlantischen Beziehungen voraus, wenn die Europäische Union auf dem mit den Verträgen von Maastricht und Amsterdam vorgezeichneten Weg voranschreitet. Die USA würden das Entstehen eines großen Wirtschaftsblockes auf dem europäischen Kontinent, der zu einem Konkurrenten für ihre Volkswirtschaft werden könnte, zu verhindern suchen Bisher verlief dieser Prozeß jedoch weitgehend einvernehmlich. Die USA unterstützen mit Nachdruck die Vertiefung und Erweiterung der EU. Dies schließt die Entscheidung zur Einführung einer gemeinsamen Währung ein. Sie sehen darin eine logische Fortführung ihrer Politik der Stabilisierung Europas, die 1947 mit der Verkündung des Marshallplans begann Von einem gefestigten, jedoch nach außen offenen europäischen Binnenmarkt versprechen sie sich Wachstumsimpulse und ein attraktives Investitionsklima. Sie machen aber ihre Unterstützung davon abhängig, daß keine nach außen abgeschlossene „Festung Europa“ entsteht, sondern daß der europäische Markt in den Weltmarkt integriert bleibt und mit diesem in einem engen Austausch steht. Gleichzeitig setzen sie auf die stabilisierende Funktion des Integrationsprozesses und dessen Beitrag zur Konsolidierung internationaler Institutionen. Sie wünschen sich ein auch politisch erstarktes Europa, das ein verläßlicher Partner der USA für die Verwirklichung gemeinsamer Ziele ist.

Zu Mißstimmungen hat jedoch der Luxemburger Beschluß des Europäischen Rates vom Dezember 1997 geführt, die Türkei explizit aus dem Kreis derjenigen Staaten auszuschließen, mit denen Beitrittsverhandlungen geführt werden sollen. Die USA würden eine EU-Mitgliedschaft der Türkei aus einer Reihe von Gründen sehr gerne sehen. Nach ihrer Auffassung könnte dadurch ein wichtiger Verbündeter an der Südflanke der Allianz -der zudem enge Beziehungen zu Israel, einem anderen engen Verbündeten der USA, unterhält -politisch und wirtschaftlich stabilisiert werden. Gleichzeitig erwartet Washington, daß durch eine engere Verbindung der Türkei mit den europäischen Staaten auch der islamische Fundamentalismus zurückgedrängt werden könne. Die USA sind ebenfalls an einer raschen Aufnahme der baltischen Staaten in die Union interessiert, in deren EU-Mitgliedschaft sie eine Alternative zum NATO-Beitritt sehen, gegen den Rußland heftig opponiert.

Die Europäer -hier vor allem die Franzosen -werfen den Amerikanern dagegen vor, sie seien nicht zu einer echten Teilung von Verantwortung bereit. Die Debatte über Rolle und Funktion der NATO zeige, daß sie verläßliche Verbündete für ihre globalen strategischen Ziele suchten, sich jedoch schwertäten mit Partnern, die zwar zur Kooperation bereit seien, jedoch auch eigenständige Ziele verfolgten. Vor allem die französische Regierung verweist in diesem Zusammenhang auf die zögerliche Bereitschaft der USA, die Entwicklung einer Europäischen Sicherheits-und Verteidigungsidentität sowie die Herausbildung eines europäischen Anteils innerhalb der NATO zu unterstützen. In Erinnerung bleibt auch der nachhaltige Streit über die Abstimmung und Zuordnung der im Rahmen des Atlantischen Bündnisses geplanten „Combined Joint Task Forces“ (CJTF), die dann zum Einsatz kommen sollen, wenn das Bündnis nicht als Ganzes involviert ist. Hier hat sich Washington ein Vetorecht Vorbehalten, da dem Einsatz von CJTF alle Bündnismitglieder zustimmen müssen. Noch ungeklärt ist die Frage der Besetzung des Postens des NATO-Oberbefehlshabers Süd, den sowohl die USA als auch Frankreich für sich beanspruchen. Während die USA argumentieren, daß diesem Kommando auch die 7. (US-) Flotte im Mittelmeer unterstehe, verlangt Paris diesen Posten für einen Europäer, da die USA bereits den Oberbefehlshaber Europa (SACEUR) stellten.

Das Hauptproblem in den europäisch-amerikanischen Beziehungen stellt jedoch der Komplex gegenseitiger enttäuschter Erwartungen dar. Die Amerikaner werfen den Europäern vor, daß diese zwar ein höheres Maß an Mitsprache in der internationalen Politik verlangten, ihren Anspruch jedoch nicht durch entsprechende Leistungen einlösten. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf deren klägliches Versagen in der Bosnien-Krise. Sie werfen ihnen vor, daß sie ohne eine kraftvolle amerikanische Führung auch im Hinblick auf den Kosovo nicht zur Intervention gegen Serbien bereit gewesen wären. Dem vielzitierten „Mann auf der Straße“ will es nur schwer einleuchten, warum die USA -und damit der amerikanische Steuerzahler -im Jahr etwa vier bis fünf Mrd. US-Dollar für den Einsatz amerikanischer Streitkräfte auf dem Balkan zahlen sollen, während die „reichen Europäer“ für diesen Einsatz einen wesentlich geringeren Betrag aufbrächten.

Die Schlußfolgerung liegt dann nicht fern, daß die NATO für die USA ihren Nutzen verloren habe und nur noch eine Bürde -oder, wie Stephen Walt argumentiert, eine leere Hülle -darstelle. Diese Gefahr werden gerade die Deutschen zu berücksichtigen haben.

Von Vertretern der Administration wird allerdings betont, daß auch künftig das Wohlergehen der Vereinigten Staaten „ebenso wie im 20. Jahrhundert in hohem Maße davon ab(hängt), was in Europa geschieht. Mit anderen Worten, die euro-atlantische Gemeinschaft ist unteilbar, und die Sicherheitsverbindungen über den Atlantik hinweg sind untrennbar.“ Insofern besteht auf beiden Seiten des Atlantiks ein Konsens darüber, daß das Atlantische Bündnis weder als Institution zur kollektiven Verteidigung nach Art. 5 des Washingtoner Vertrages von 1949 noch als Instrument zur gegenseitigen Konsultation und zum gemeinsamen Krisenmanagement nach Art. 4 verzichtbar ist Dies gilt auch für die nach 1990 geschaffenen Institutionen wie die „Partnerschaft für den Frieden“, den Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat und den NATO-Rußland-Rat, die zur Integration der mittel-und osteuropäischen Staaten in die transatlantische Sicherheitsstruktur dienen. Eine weitere Rolle kommt hinzu: Als „European Pacifier“ wie es Josef Joffe genannt hat, bieten die Vereinigten Staaten darüber hinaus Schutz vor den Sorgen und Verdächtigungen der europäischen Nachbarn, das wiedervereinigte Deutschland könnte das europäische Kräftegleichgewicht stören.

In Anerkennung ihrer gemeinsamen Ziele und Interessen haben die Europäische Union und die Vereinigten Staaten im Dezember 1995 eine „Neue Transatlantische Agenda“ vereinbart Sie enthält zum einen ein Bekenntnis zur Zusammenarbeit auf der Grundlage gemeinsamer Werte und Ziele und zum anderen einen breiten Katalog gemeinsamer Herausforderungen und Antworten auf den Gebieten Frieden und Stabilität, globale gesellschaftliche Herausforderungen, Welthandel und -unter dem Titel „Brückenschlag über den Atlantik“ -der Festigung der transatlantischen Zusammenarbeit. Bisher hat diese Agenda allerdings erst eine geringe Wirkung entfaltet. Zum einen handelt es sich bei den aufgelisteten Problemen um Fragen, die -wie die NATO-Reform und die Bewältigung der Krise auf dem Balkan -bereits zum Standardrepertoire europäisch-amerikanischer Abstimmungsprozesse gehören, zum anderen hat die bloße Auflistung gemeinsamer Aktionsfelder nicht dazu beigetragen, die bestehenden Interessenunterschiede zu überwinden.

Auch die Effektivität des bereits 1990 mit der Transatlantischen Erklärung geschaffenen Instrumentariums zur gegenseitigen Konsultation läßt zu wünschen übrig. Die Bedeutung der zweimal jährlich stattfindenden Gipfeltreffen der Staats-und Regierungschefs der EU und der USA hängt von den zur Regelung anstehenden Fragen ab viele der vorgesehenen Arbeitsgruppen sind bisher nicht zustande gekommen. Bedauerlich ist, daß das vielleicht wirksamste Instrument gegenseitiger Abstimmung, die Treffen zwischen den Außenministern der EU-Ratspräsidentschaft und der USA, in hohem Maße von dem Interesse und den Terminplänen der beteiligten Politiker abhängig sind. So fand nach der Übernahme der Präsidentschaft durch Deutschland am 1. Januar 1999 das angesichts der offenen Handelsprobleme dringend erforderliche Treffen zwischen Außenminister Josef Fischer und seiner Amtskollegin Madeleine Albright aufgrund von Terminproblemen der amerikanischen Seite erst im Mai 1999 -im Schatten des Kosovo-Konflikts und am Ende der deutschen Präsidentschaft -statt.

Eine Lösung dieser Abstimmungsprobleme sollte jedoch nicht in der Errichtung weiterer Institutionen -die Errichtung eines Transatlantischen Gemeinsamen Marktes oder neue Konsultationsgremien nach dem Muster der Europäischen Politischen Zusammenarbeit -gesehen werden, wie sie der langjährige Koordinator für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, Werner Weidenfeld, vorgeschlagen hat Ein transatlantischer gemeinsamer Markt würde, um effektiv zu sein, schwierige Abstimmungsprobleme mit dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) und der Amerikanisch-Pazifischen Wirtschaftsgemein-Schaft (APEC) aufwerfen, zumal die USA ihre Wirtschaftsinteressen nicht regional, sondern global definieren. An transatlantischen oder anderen multilateralen Koordinierungsgremien mangelt es nicht; nur wird von ihnen nicht der richtige Gebrauch gemacht. Dieser Mangel läßt sich allein dadurch beheben, daß -trotz des Fortbestands der strukturellen Asymmetrien -auf beiden Seiten des Atlantiks das Bewußtsein dafür gestärkt wird, daß Europa und Amerika aufeinander angewiesen sind.

IV. Ausblick

Die gemeinsame militärische Aktion gegen Serbien stellte nicht nur die NATO, sondern auch die transatlantischen Beziehungen vor eine Bewährungsprobe. Das Vorgehen gegen das autoritäre und verbrecherische Regime von Präsident Milosevic erfolgte auf der Grundlage gleicher Werte und politischer Überzeugungen, und es wurde wesentlich dadurch erleichtert, daß die Alliierten mit der NATO über ein geeignetes institutionelles Instrumentarium verfügten, mit dem die Aktion koordiniert und ausgeführt werden konnte. Es wurde weiterhin dadurch erleichtert, daß die Struktur der Beziehungen und die Rollenverteilung weitgehend geklärt sind. Die Intervention kam maßgeblich auf Initiative, der Vereinigten Staaten zustande, der sich die Europäer anschlossen. Die Führungsfähigkeit und Führungsrolle der USA wird ergänzt durch die Bereitschaft der Europäer -eingeschlossen die Franzosen -, sich dieser freiwillig anzuschließen und unterzuordnen Mit der durch Vermittlung Rußlands zustande gekommenen Friedensregelung für den Kosovo ist der NATO eine Zerreißprobe erspart geblieben. Mit einer solchen wäre sie konfrontiert worden, wenn der Einsatz von Bodentruppen zur Niederschlagung des Milosevic-Regimes erforderlich gewesen wäre und die USA einen solchen befürwortet, die meisten Europäer diesen aber mit Entschiedenheit abgelehnt hätten. Aber auch die Durchsetzung einer Friedensregelung im ehemaligen Jugoslawien ist weiterhin voll von Herausforderungen. Was besagt dies für. die Zukunft? Um deutsch-amerikanische Konflikte in Zukunft zu vermeiden, zumindest aber zu verringern, sollten sich beide Seiten über die Asymmetrie der Strukturen sowie der Politikstile und darüber hinaus ihrer jeweiligen Verantwortung bewußt sein. Nicht nur in der Balkan-Politik der USA spiegeln sich das'Selbstverständnis und die Ansprüche einer Weltmacht -eines „gütigen Hegemons“ -wider, welche die Parameter des Handelns für die anderen Akteure setzt. Den Europäern bleibt zweierlei: Entweder sie bescheiden sich mit Schritten pragmatischer Anpassung, oder sie beschleunigen die Entwicklung der EU zu einer handlungsfähigen Politischen Union. Nur eine solche kann von gleich zu gleich mit den Vereinigten Staaten verhandeln. Eine wirksame Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik (GASP) setzt die Überwindung nationaler Interessen und Eigensüchteleien voraus. Der Weg dahin ist aber noch weit. Sollte jedoch eine solche engere Union zustande kommen, dann wären ihre verantwortlichen Politiker gut beraten, wenn sie in ihren Entscheidungen die Interessen Amerikas mitbedenken würden. Aber auch die Einflußmöglichkeiten des „gütigen Hegemons“ USA setzen letztlich voraus, daß diese ihre Macht zurückhaltend ausüben und die Interessen der Partner berücksichtigen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zum Begriff der Führungsmacht vgl. Charles Kindleberger, The World in Depression 1929-1939, London 1976; zur Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Führungsmacht vgl. Duncan Snidal. The limits of hegemonic stability theory, in: International Organization, 39 (Herbst 1985) 4, S. 579-614. Snidal unterscheidet zwischen einem „benevolent leadership model“ und einem „coercive leadership model“, ebd., S. 585-590.

  2. Vgl. Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, zit. in: Jürgen Jeske, Im Schatten der Weltmacht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 26. 5. 1999, S. 1.

  3. Hans-Peter Schwarz hat die Westbindung der Bundesrepublik -in Anlehnung an Waldemar Bessern -als ihre „Staatsraison“ bezeichnet. Auch wenn er primär auf die Westeuropapolitik abzielt, erforderte diese -worauf Schwarz auch hinweist -enge Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Vgl. Hans-Peter Schwarz, Die Politik der Westbindung oder die Staatsraison der Bundesrepublik, in: Zeitschrift für Politik. 22 (1975) 4, S. 307-337. Vgl. ferner Waldemar Bessern Prinzipienfragen der westdeutschen Außenpolitik, in: Politische Vierteljahresschrift, 9 (1968) 1, S. 28 -44.

  4. Vgl. Bush Declares Berlin Wall „Must Come Down“, Rede von Präsident Bush am 31. Mai 1989 in der Rheingoldhalle in Mainz, in: United States Information Service, U. S. Policy Information and Texts, Nr. 70 vom 1. 6. 1989, S. 1-7.

  5. Vgl. John E. Rielly, Americans and the World: A Survey at the Century’s End, in: Foreign Policy, 114 (Frühjahr 1999), S. 97-114.

  6. Zur Berlin-Krise vgl. Helga Haftendorn, Sicherheit und Entspannung. Zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1955-1982, Baden-Baden 19862, S. 123-141.

  7. Vgl. Helga Haftendorn. Kernwaffen und die Glaubwürdigkeit der Allianz: Die NATO-Krise von 1966/67, Baden-Baden 1994, S. 57-66.

  8. Vgl. Claudia Wörmann, Osthandel als Problem der Atlantischen Allianz. Erfahrungen aus dem Erdgas-Röhren-Geschäft mit der UdSSR, Bonn 1986 (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik, Nr. 38).

  9. Vgl. H. Haftendorn (Anm. 7), S. 252-263.

  10. Vgl. J. E. Rielly (Anm. 5), S. 102 ff.

  11. Vgl. Robert Kagan, The Benevolent Empire, in: Foreign Policy, 111 (Sommer 1998), S. 24-48. Kagan argumentiert jedoch, daß es den Europäern mit ihrem Multilateralismus nicht ernst sei. Wenn es dies wäre, würden sie mehr für ihre Verteidigung ausgeben und ein größeres Maß an internationaler Verantwortung übernehmen.

  12. Vgl. die Inaugural Address von Präsident William J. Clinton, in: United States Information Service, U. S. Policy Information and Texts, Nr. 8 vom 21. 1. 1993, S. 15-19.

  13. Dies ist eine These des neuen Koordinators der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, Karsten Voigt, u. a. in einem Vortrag vor dem gemeinsam von der Freien Universität Berlin und dem ASPEN-Institut veranstalteten Transatlantic Seminar am 25. Mai 1999. Im Unterschied dazu sprach sein Vorgänger. Werner Weidenfeld, vom „Kulturbruch mit Amerika“. Vgl.ders., Kulturbruch mit Amerika? Das Ende transatlantischer Selbstverständlichkeit, Gütersloh 1996.

  14. Vgl. Bodo Hombach, Fortschritte im Entschädigungsstreit, in: FAZ vom 8. 5. 1999, S. 13; Lösung bis zum 1. September angestrebt, in: ebd. vom 14. 5. 1999, S. 5.

  15. Vgl. Berlin: Der umstrittene Neubau der amerikanischen Botschaft: Im weiten Bogen um die Amerikaner herum, in: Der Tagesspiegel vom 15. 5. 1999, S. 14; ferner Aussage eines Angehörigen der US-Botschaft gegenüber der Verfasserin am 22. 5. 1999 in Berlin.

  16. Vgl. Transatlantischer Bananenstreit eskaliert. EU beantragt Verfahren wegen angedrohter Sanktionen, in: Der Tagesspiegel vom 26. 11. 1998; Die EU muß ihre Bananen-ordnung abermals ändern, in: FAZ vom 8. 4. 1999, S. 1.

  17. Als AKP-Staaten werden die ehemaligen Kolonien europäischer Staaten in Afrika, der Karibik und in der pazifischen Region bezeichnet, denen die EU im Lome-Abkommen, zuletzt 1990, Sonderkonditionen zugesagt hat.

  18. Vgl. Owen Harnes, America and the Euro Gamble, in: The National Interest, (Herbst 1998) 53, S. 125-128.

  19. Vgl. Strobe Talbott, Unsere gemeinsamen Aufgaben. Warum Amerika die Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union unterstützt, in: FAZ vom 26. 5. 1997, S. 10; ferner ders., Das neue Europa und die Nato. Herausforderungen der euro-atlantischen Zusammenarbeit, in: ebd. vom 5. 2. 1999, S. 11.

  20. Vgl. Stephen M. Walt, The Ties That Fray: Why Europe and America are Drifting Apart, in: The National Interest (Winter 1998/99) 54, S. 3-11.

  21. S. Talbott, Das neue Europa ... (Anm. 19).

  22. Vgl. Kommunique der Staats-und Regierungschefs der Mitgliedsländer der Atlantischen Allianz auf ihrem Gipfeltreffen am 24. April 1999 in Washington anläßlich des 50. Jahrestages der NATO, in: Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 24 vom 3. 5. 1999, S. 233-240.

  23. Josef Joffe, Europe’s American Pacifier, in: Foreign Policy, (Frühjahr 1994) 54, S. 64-82.

  24. Vgl. Neue Transatlantische Agenda, unterzeichnet beim Gipfeltreffen der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten am 3. 12. 1995 in Madrid (gekürzt), in: Internationale Politik, 51 (1996) 5, S. 111 — 132. Für eine Bewertung vgl. John Van Oudenaren, Die Neue Transatlantische Agenda in ebd S. 49-52.

  25. Vgl. Gemeinsame Erklärung zu den Beziehungen zwischen der EG und den Vereinigten Staaten vom 23. 11. 1990, in: Europa-Archiv, 46 (1991) 1, S. D 18-21.

  26. Vgl. Carola Kaps. Kein gutes Gesamtklima. Transatlantischer Gipfel in Washington, in: FAZ vom 18. 12. 1998.

  27. Vgl. W. Weidenfeld (Anm. 13), S. 115 ff.

  28. Vgl. Robert von Rimscha, Die Amerikaner müssen führen, in: Der Tagesspiegel vom 11. 4. 1999, S. 1.

Weitere Inhalte

Helga Haftendorn, Dr. phil., geb. 1933; Lehrstuhlinhaberin für Politische Wissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Theorie, Empirie und Geschichte der auswärtigen und internationalen Politik an der Freien Universität Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Sicherheit und Entspannung. Zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1955-1982, 2. Aufl., Baden-Baden 1986; Kernwaffen und die Glaubwürdigkeit der Allianz: Die NATO-Krise von 1966/67, Baden-Baden 1994; zahlreiche Beiträge zu den transatlantischen Beziehungen in Fachzeitschriften.