I. Demokratische Transition ohne Konsolidierung?
Am 21. März 1990 wurde Namibia, das frühere Südwestafrika, unabhängig. Mit diesem Ereignis ging die mehr als hundertjährige Kolonialepoche in Afrika endgültig zu Ende. Der Zeitpunkt kam nicht von ungefähr. Dekolonisation und demokratische Transition erklären sich weitgehend aus den weltpolitischen Veränderungen jener Zeit, der rapiden Auflösung des Ostblocks und der massiven Demokratisierungswelle, die damals den gesamten afrikanischen Kontinent erfaßt hatte. Der Neuanfang in Namibia, gekennzeichnet durch eine liberale Verfassung mit einem unwiderruflichen Grundrechtskatalog, einem Mehrparteiensystem und einem klaren Bekenntnis zum Privateigentum, wurde damals gleichsam zum Hoffnungsträger afrikanischer Entwicklung hoch-stilisiert und der neue Staat international als demokratischer Modellfall mit viel Vorschußlorbeeren bedacht.
Knapp zehn Jahre später werden die großen Erwartungen in dieses Experiment schrittweise aufgegeben. Die demokratische Konsolidierung läßt auf sich warten. Die unbestreitbaren Anfangserfolge eines demokratischen Übergangs und einer friedlichen Politik der nationalen Versöhnung verblassen, weil die versprochene Überwindung der ererbten sozio-ökonomischen Gegensätze nur sehr langsam voranschreitet. Dagegen werden die Anzeichen einer systematischen Patronagepolitik, die die Staatsführung und ihre Klientel in ostentativer Weise privilegiert, immer augenscheinlicher. Auch wenn die formaldemokratischen Strukturen unangetastet bleiben, zeigt das präsidiale Regierungssystem immer deutlichere Anzeichen zunehmender Machtkonzentration und ungeschminkter Bereicherung für einige wenige. Zwar kann sich das Land in einem vordergründigen Demokratievergleich noch immer mit der Mehrheit der schwarz-afrikanischen Staaten messen, doch läßt sich auch in Namibia die wachsende Zahl undemokratischer Indizien nicht übersehen und schönreden.
Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist, daß sich in Namibia aufgrund der außen-und innenpolitischen Entwicklungsbedingungen ein politisches System herausgebildet hat, das nach Erdmann als „neopatrimoniales Mehrparteiensystem“ bezeichnet werden kann. Gemeint ist damit ein besonderer Fall afrikanischer Transition, der durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist:
-Der internationale Einfluß auf Regierungsform und Wirtschaftsordnung hat wegen der großen Außenabhängigkeit immer eine wichtige Rolle gespielt.
-Trotz eines äußerlich intakten formaldemokratischen Rahmens ist eine zunehmend sichtbare Hinwendung zu klientelistischen und neopatrimonialen Herrschafts-und Verteilungsformen zu konstatieren.
-Die ständige Fluktuation zwischen formaler Beachtung demokratischer Regeln und deren Verletzung führt zu Blockaden der Liberalisierungs-und Demokratisierungsprozesse, so daß von einer „verzögerten Transition“ gesprochen werden muß.
II. Demokratiefördernde und hemmende Wirkungen des Transitionsprozesses
Den folgenden Ausführungen liegt die These zugrunde, daß die Art der Transition und der Charakter des vorhergehenden Regimes für die Demokratisierung des Landes wesentlich waren. In Namibia haben die europäischen, weißen Siedler den Unabhängigkeitsprozeß, ähnlich wie früher in Kenia oder Simbabwe, erheblich erschwert und verzögert. Das Apartheidsystem konnte erst nach langen, gewaltsamen Auseinandersetzungen und durch internationalen Druck endgültig in die Knie gezwungen werden. Ähnlich wie in Südafrika handelt es sich in Namibia um eine Mischform zwi-sehen einer vom Volk bitter erkämpften und einer durch Eliten über lange Jahre ausgehandelten Systemtransformation. Doch anders als in Südafrika ging es in Namibia bei den Übergangsverhandlungen nicht um einen ausschließlich intern ausgehandelten Pakt, sondern um einen extern vermittelten Kompromiß, der nur durch starken politischen Druck des Auslands (Amerikaner, westliche Kontaktgruppe, UNO/UNTAG [= United Nations Transition Action Group], Kuba und Südafrika) zustande kam und schließlich von allen am Konflikt beteiligten Gruppen, einschließlich der Südwestafrikanischen Befreiungsbewegung (SWAPO) und der „internen Parteien“, akzeptiert wurde.
Die sich verändernde weltpolitische Lage in den achtziger Jahren hat auch die innenpolitische Entwicklung beeinflußt. Daß Namibia nach der Unabhängigkeit einen ausgesprochen liberal-demokratischen Weg einschlug, war einige Jahre zuvor noch sehr unwahrscheinlich, weil die SWAPO als sozialistisch orientierte Kaderorganisation zu dieser Zeit gar nicht daran dachte, ein demokratisches Mehrparteiensystem zuzulassen. Die bis Ende des Jahrzehnts, d. h. bis zum Ende des Ost-West-Konflikts, verzögerte Dekolonisation erleichterte jedoch die Einführung der Demokratie, und zwar aus folgenden Gründen -In der Siedlerkolonie Namibia wurde nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur die menschenverachtende Apartheid südafrikanischen Musters, sondern zugleich eine demokratische Regierungsform eingeführt -allerdings zunächst nur für die weiße, herrschende Minderheit, später aber schrittweise auch für die Schwarzen, obwohl Pretoria damit nur die den eigenen Zielen dienende „interne Lösung“ durchsetzen wollte. Die auf diese Weise geschaffenen gemischtrassischen politischen Instanzen, die in ihrer Struktur und Funktion den modernen Demokratien weitgehend entsprachen, erlaubten eine Vorerfahrung mit der Demokratie.
Auch wenn es sich nur um eine „Scheindemokratie“ von Pretorias Gnaden handelte, so erlaubte sie doch -wie Huntington bemerkt -
eine erste Erfahrung von Partizipation und Konkurrenz und ermöglichte das Entstehen einer rassenübergreifenden Zivilgesellschaft.
-Spätestens seit dem Zusammenbruch der autoritären Regime des Ostblocks wurde die „Demokratie“ zur international einzig legitimierten Herrschaftsform. Diktaturen und Einparteiensysteme können seit dieser Zeit kaum mehr auf internationale Akzeptanz hoffen und haben nur geringe Chancen, extern gefördert zu werden. Entsprechend war für Namibia die Übernahme demokratischer politischer Strukturen als Ergebnis der internationalen Verhandlungen gleichsam vorbestimmt. Die Akzeptanz einer liberal-demokratischen Verfassung sicherte dem Land gerade in der Start-phase hohe Anerkennung und erhebliche Entwicklungshilfeleistungen.
-Es ist ein offenes Geheimnis, daß die Vereinten Nationen (VN) der SWAPO positiv gesonnen waren. Als einzig legitime Repräsentantin Namibias verfügte die SWAPO über außerordentlich gute informelle Kontakte und konnte sich der moralischen Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, auch der westlichen Länder bei einem Bekenntnis zur Demokratie, weitgehend sicher sein. Wäre sie aus den Unabhängigkeitswahlen wegen einer tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Manipulation Südafrikas nicht als Sieger hervorgegangen, so ist davon auszugehen, daß auch die VN die Wahl nicht anerkannt hätten.
-Das Bekenntnis zur Demokratie erwies sich somit für SWAPO als Eintrittskarte zur Macht.
Ob sich die führenden Akteure nach jahrelangen ideologischen Solidaritätsbezeugungen für sozialistisch-revolutionäre Ideale tatsächlich mit liberal-demokratischen gesellschaftspolitischen Vorstellungen identifizierten, muß bezweifelt werden. So beklagt Dobell in ihrer äußerst gründlichen Untersuchung zum Befreiungskampf der SWAPO die erschreckende Abwesenheit konsistenter demokratischer Über-zeugungen. Dominant war lediglich der Wille zur Dekolonisation und Unabhängigkeit, gesteuert durch den Drang, sich selbst in den Sesseln der Macht zu etablieren.
III. Verfassung und Rechtsstaatlichkeit
Fundament des demokratischen Namibia ist die Verfassung, die Anfang 1990 -nur drei Monate nach den Unabhängigkeitswahlen -ohne Gegenstimme von der Verfassunggebenden Versammlung verabschiedet wurde. Dieser überraschend schnell ablaufende Einigungsprozeß, der einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg endgültig beendete, geht auf jahrelange internationale Verhandlungen und einen schon 1982 erzielten Kompromiß zurück, sich auf demokratische Verfassungsprinzipien für ein unabhängiges Namibia zu einigen Dennoch ist die Eile und Kompromißbereitschaft der Parteien im verfassungsgebenden Prozeß bemerkenswert. Denn die SWAPO, von der man trotz wiederholter Bekenntnisse zur Demokratie nach einem Wahlsieg eher eine Abwendung von den früheren Zugeständnissen erwartete, erklärte überraschenderweise zu Beginn der Verfassungsverhandlungen die „Prinzipien“ von 1982 zur „Heiligen Kuh“, über die nicht mehr verhandelt werden brauche. Auch andere Fragen wie Wahlrecht, die Form des Präsidialsystems und Vorkehrungen zur Einrichtung einer zweiten Kammer wurden durch einen Parteienkompromiß ungewöhnlich schnell gelöst. Insgesamt überrascht die schnelle Einigung auf die Spielregeln einer parlamentarischen Demokratie, die im wesentlichen von westlichen Verfassungsberatern vorgeschlagen wurden, denn weder das schwarze noch das weiße Spektrum in Namibia können auf eine bemerkenswerte demokratische Tradition zurückblicken. Vieles deutet somit darauf hin daß die SWAPO bewußt darauf verzichtete, weitergehende Forderungen nach einer sozialistischen und zentralistischen Verfassungsinterpretation zu thematisieren. Zeitraubende, kontroverse Diskussionen wurden schon deswegen gemieden, weil nach den Wahlen und der Beendigung der VN-Zahlungen an die Befreiungsbewegung die SWAPO-Kassen leer waren und die Übernahme der Macht immer mehr zu einem materiellen Problem wurde.
1. Verfassung und Verfassungswirklichkeit
Grundsätzlich muß im Rückblick auf die ersten Jahre nach der Unabhängigkeit konstatiert werden, daß Verfassung und Recht weitgehend geachtet und implementiert wurden: Wahlen wurden in den vorgeschriebenen Fristen abgehalten, die demokratischen Kontrollorgane respektiert, neue Regionen geschaffen und entsprechende Regional-und Kommunalparlamente eingerichtet. Obwohl die SWAPO 1994 beinahe eine DreiviertelMehrheit im Parlament erreicht hatte und seitdem die Verfassung legal hätte verändern können, hat sie sich anfänglich sehr zurückgehalten. In den letzten Jahren hat sich die Situation jedoch geändert. Im Vordergrund steht die Frage der Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten Nujoma. In der Verfassung ist nur eine einmalige Wiederwahl des Präsidenten vorgesehen, um von vornherein einen demokratischen Machtwechsel sicherzustellen und einen eventuellen Personenkult, wie er aus afrikanischen Einparteienstaaten bekannt ist, zu verhindern. Für den führungsstarken Präsidenten war es relativ leicht, trotz lautstarker Einwände der Opposition und einiger Intellektueller, eine Verfassungsänderung durchzusetzen. Der SWAPO-Apparat, schon seit den Zeiten des Exils völlig hierarchisch auf die Person Nujomas ausgerichtet, folgte willig und sicherte sich mit dieser Fortschreibung existierender Strukturen den ungeschmälerten Beibehalt der bestehenden politischen und wirtschaftlichen Pfründe. Auch wenn unzweideutig konstatiert werden muß, daß die SWAPO aufgrund ihrer Zweidrittel-Mehrheit die Verfassung legal ändern konnte, so ist gerade die Frage einer dritten Amtszeit des Präsidenten zu einem Testfall der Demokratie hochstilisiert worden: Um einer möglichen Kritik entgegenzuwirken, hatte sich der Präsident bereit erklärt, die Verfassungsänderung mit einer Bestätigung durch ein Referendum zu verknüpfen. Angesichts der klaren Majoritäten in beiden Häusern des Parlaments wurde jedoch auf das Plebiszit verzichtet und die Änderung Ende 1998 durchgesetzt Der Verfassung wurde mit dieser „Lex Nujoma“ zwar formell Genüge getan, doch der demokratische Geist der Verfassung, der den periodischen Wechsel an der Staatsspitze fordert, mißachtet.
2. Ist der Rechtsstaat in Gefahr?
Kritiker der Regierung, die die Entwicklung des neuen Namibia mit großer Skepsis verfolgt haben, gestehen ein, daß sich Regierung und Verwaltung seit der Unabhängigkeit bemerkenswert korrekt und rechtsstaatlich verhalten haben. Der Übergang von der alten zur neuen Ordnung erfolgte weitgehend problemlos. Willkürakte und Rechts-unsicherheiten, wie sie während der Apartheidszeit an der Tagesordnung waren, gibt es in Nami-bia -von Ausnahmen abgesehen -nicht mehr. Dies ist auf eine insgesamt gut funktionierende Justiz zurückzuführen, die gerade, was ihre Führungspersonen angeht, zweifellos integer ist. Ein Problem stellt allerdings die Rechtsprechung auf den unteren (Magistrats-) Ebenen dar. Hier wird der Mangel an ausgebildetem Justizpersonal spürbar. Nicht zuletzt deswegen sind in ländlichen Regionen traditionelle Rechts-und Strafverfolgungsstrukturen wiederaufgelebt, die z. B. Viehdiebstahl brutal, aber zugleich sehr effektiv ahnden. Die innere Sicherheit war in Namibia angesichts der stabilen Regierungsstrukturen nie ein ernstes Problem. Wenn überhaupt, stellten in den ersten Monaten nach der Unabhängigkeit marodierende bewaffnete Banden, die sich mit den neuen politischen Strukturen nicht abfinden wollten, ein Problem dar. Es handelte sich zum einen um Aktivitäten weißer, rechtsextreme; Todesschwadronen, zum anderen um Übergriffe ehemaliger Südafrika oder der SWAPO nahestehender bewaffneter Gruppen, die nach Auflösung ihrer Verbände nicht entwaffnet werden konnten. Die Ausschreitungen konnten bald unter Kontrolle gebracht werden. Insgesamt kann der Polizei und den Sicherheitskräften in der Verbrechensbekämpfung zwar eine zu geringe Effektivität, nicht aber ein Mangel an rechtsstaatlicher Loyalität vorgeworfen werden. Schwierigkeiten gab es allerdings bei der zivilen Integration der mehr als 000 ehemaligen Befreiungskämpfer, die immer wieder durch politische Demonstrationen auf sich aufmerksam gemacht haben und erst vor kurzem durch eine pauschale Übernahme in den Staatsdienst -eine fragwürdige und extrem teure Lösung -zufriedengestellt werden konnten.
Nicht immer in den Grenzen des Rechtsstaats bewegt sich der vor einigen Jahren geschaffene Geheimdienst (NCIS = Namibian Central Intelligence Service). Er beschattet zunehmend Personen und Gruppierungen, die eventuell regime-feindlich sein könnten. Dies deutet auf eine zunehmende Unsicherheit der Regierung hin und kann als erstes Indiz für die Entfremdung der Staatselite von der Bevölkerung interpretiert werden. Auch wenn bisher nicht von systematischer Einschüchterung gesprochen werden kann, hat es doch schon einige rechtswidrige Übergriffe gegenüber der sogenannten „enemy press“ und gegenüber regierungskritischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gegeben 8.
Ein wichtiges Indiz für die Rechtsstaatlichkeit ist die korrekte und verantwortungsvolle Verwendung öffentlicher Mittel. Der frühere Finanzminister Herrigel, der sehr restriktiv wirtschaftete, war in dieser Hinsicht ein Vorbild. Im Frühjahr 1992 war er nicht bereit, aus politischen und finanziellen Überlegungen die Entscheidung für den Kauf eines regierungseigenen Flugzeuges für den Präsidenten und seine Regierungsmannschaft mitzutragen; er trat zurück. Die Nachfolger Herrigels als Finanzminister agierten weniger strikt und erwiesen sich auch äußerst prestigeträchtigen Wünschen und Bedürfnissen der Staatsspitze gegenüber willfähriger. Bezeichnend ist, daß der Rechnungshof (auditor general) das Haushaltsgebaren der Regierung in den letzten Jahren mehrfach scharf kritisiert hat. So ist der Haushalt 1996/97 ohne Nach-bewilligungen um 193 Mio. N$überschritten worden, obwohl im Berichtsjahr die Staatsverschuldung schon um 22 Prozent aufgestockt wurde Die haushaltspolitischen Konsequenzen des jüngst eingegangenen Militärengagements Namibias im Kongo werden möglicherweise die Staatsausgaben ins Unermeßliche steigern, und es besteht die Gefahr, daß die Haushaltsdisziplin aufgrund der mangelnden Transparenz dieses Einsatzes vollends verlorengeht.
In den letzten Jahren hat es nachweislich eine Reihe von Korruptionsfällen in Regierung und Verwaltung gegeben, bei denen öffentliche Gelder der privaten Bereicherung dienten. So wurden fiktive Lehrergehälter gezahlt und offiziell abgerechnet. Ein Staatssekretär im Außenministerium verkaufte zollfrei eingeführte Luxuslimousinen auf private Rechnung. Minister ließen sich fruchtbares Farmland im Norden übereignen, mit öffentlichen Mitteln Brunnen bohren und einzäunen. Lukrative Positionen im staatlichen und parastaatlichen Bereich werden in nepotistischer Weise an Angehörige oder Freunde vergeben. Hinzu kommen viele Lizenz-und Immobiliengeschäfte, die sich im halblegalen Raum bewegen. Anzuerkennen ist, daß alle schweren Fälle, soweit sie durch Recherchen der zuständigen Kontrollorgane oder der Medien bekannt wurden, juristisch verfolgt oder durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse geprüft wurden. Allerdings ließ die juristische Strafverfolgung oft sehr lange auf sich warten, und politische Konsequenzen wurden, vor allem wenn Personen aus der SWAPO-Führung oder der Regierung involviert waren, nur zögerlich oder gar nicht gezogen. Hier deutet sich an, daß bei der erdrückenden Regierungsmehrheit der SWAPO die Kritik der Opposition, der Öffentlichkeit und der Rechtsprechung kaum ausreicht, um die Regierung zum Handeln zu zwingen. In einer zunehmenden Mißachtung parlamentarisch-demokratischer Gepflogenheiten wird die Arroganz der Macht immer sichtbarer.
Abschließend sei auf die politisch schwerwiegende Hypothek der SWAPO-Gefangenenlager in Angola verwiesen, die bereits im Wahlkampf 1989 eine Rolle spielte. Es geht um schwere Menschenrechtsverletzungen, deren Ausmaß, Hintergründe und personelle Verwicklungen bis heute nicht ganz aufgeklärt sind. Rein juristisch sind die involvierten Personen aufgrund einer Amnestie vom Juni 1989 nicht mehr zu belangen. Für die Regierung, die sich hinter ihrer Politik der „Nationalen Versöhnung: Forgive and Forget“ versteckt, ist die Nichtbehandlung dieses Themas jedoch aus politisch-moralischer Perspektive problematisch. Daß es Gefangenenlager gegeben hat, in denen vermeintliche oder tatsächliche „Spione Südafrikas“ festgehalten und zu Geständnissen gezwungen wurden, steht außer Frage und kann angesichts der Bedrohung durch die südafrikanische Besatzungsarmee durchaus verstanden werden. Unverständlich bleibt jedoch, daß sich die SWAPO von den menschenverachtenden Folterungen, unter denen auch Unschuldige gelitten haben, nie offiziell distanziert hat. Ein wesentlicher Grund dafür könnte sein, daß prominente Regierungsmitglieder offensichtlich an den Geschehnissen beteiligt waren, heute aber nicht bereit sind, frühere Verfehlungen einzugestehen und daraus politische Konsequenzen zu ziehen. Die Hoffnung der Regierung, daß das dunkle Kapitel bald völlig vergessen sein würde, hat sich nicht erfüllt. Durch die Publikation des Buches von Pastor Groth, Namibia: The Wall of Silence in dem die Folterungen bezeugt sind, ist die Diskussion 1996 wieder aufgebrochen und hat die Regierung -gerade in einer Zeit, als in Südafrika die Truth Commission tagte -in große Verlegenheit gebracht
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Organe des Rechtsstaates formell zufriedenstellend funktionieren. Es sind jedoch zunehmend Tendenzen festzustellen, daß Verfassung und Verfassungswirklichkeit auseinanderfallen und die Regierung aus ihrer Machtfülle heraus den ge-gebenen Rechts-und Verfassungsrahmen zur Absicherung der eigenen Herrschaft und zur persönlichen Bereicherung benutzt und die demokratischen Kontrollmechanismen ignoriert.
IV. Wahlen, Parlament und Parteien
1. Wahlen und Wähler: Demokratie ohne Demokraten
Im unabhängigen Namibia haben bisher vier Wahlen stattgefunden: Ende 1992 Regional-und Kommunalwahlen, im Dezember 1994 Parlaments-und Präsidentschaftswahlen, im Februar 1998 wieder Regional-und Kommunalwahlen und im Dezember 1998 Regionalwahlen Im Gegensatz zu den von der UNTAG organisierten und überwachten Unabhängigkeitswahlen von 1989 wurden diese Wahlen vom namibischen Staat in eigener Regie durchgeführt. Auch wenn es einige Pannen gegeben hat, wurde dem Land von internationaler Seite einhellig bestätigt, daß die Wahlen sehr gut organisiert und insgesamt „free and fair“ abgelaufen seien. Dies gilt insbesondere für den Vergleich mit den anderen afrikanischen Staaten, in denen mehrheitlich keine korrekten Wahlen stattfanden. Wenn es richtig ist, daß nicht die Transitionswahlen, sondern die Wahlen danach (, second elections ) als Lackmustest für das Funktionieren von Demokratie gewertet werden müssen, so ist Namibia nach diesem Indikator durchaus politische Reife zuzuerkennen Es ist nicht die Korrektheit der Wahlen, die aus demokratietheoretischer Perspektive problematisch ist, sondern der Trend der Ergebnisse: Mit den Wahlen zur Nationalversammlung 1994 erhielt die SWAPO bereits über 70 Prozent, bei den jüngsten Regionalwahlen sogar über 80 Prozent der Stimmen Die extremen Wahlsiege, die in freien Wahlen demokratisch erzielt wurden, lassen kritische Stimmen laut werden, die befürchten, das Land sei, ähnlich wie andere afrikanische Staaten zuvor, auf dem Weg in einen Einparteienstaat, wenn auch in einen „verfassungskonformen Einparteienstaat“
De facto gibt es, wie Ansprenger ausführt, eine Zweiteilung des Landes: Im Norden, wo allein die Ethnie der Ovambo fast die Hälfte der Bevölkerung ausmacht und wo der geographische Schwerpunkt des Befreiungskrieges lag, stimmen auch heute noch mehr als 95 Prozent für die SWAPO. Hier ist der „Einparteienstaat“ Realität. Im Zentrum und im Süden des Landes sind die Gewichte indes verteilt. Hier leben verschiedene Ethnien dicht nebeneinander, und die Parteipräferenz verteilt sich auch gleichmäßiger innerhalb der ethnischen Gruppen. Hier können sich auch die Oppositionsparteien wegen des proportionalen Wahlrechts behaupten. Auf das ganze Land bezogen, läßt sich von einem „dominant party System“ sprechen, in dem die größte, auf ethnisch-regionaler Basis ruhende Partei auf lange Zeit eine quasi-automatische Mehrheit haben wird. Dies ist nicht undemokratisch, wenn, wie noch zu diskutieren sein wird, z. B. die innerparteilichen demokratischen Mechanismen funktionieren
Was im Hinblick auf das Wahlverhalten der Bevölkerung bedenklich erscheint, ist das bislang wenig entwickelte demokratische Bewußtsein, vor allem in den ländlichen Regionen des Nordens. Wie Umfragen gezeigt haben, besteht eine extrem hohe Führungsorientierung, die sich an Präsident Nujoma und der mit ihm identifizierten SWAPO als Befreiungsbewegung festmacht. Nujoma und die SWAPO werden gewählt, weil sie aus Sicht der Wähler die Südafrikaner besiegt, Frieden gebracht und die Unabhängigkeit herbeigeführt haben. Ob sie den 1990 demokratisch übernommenen Regierungsauftrag verantwortungsvoll erledigt haben, interessiert (bisher) nicht. Im Gegenteil, alle Wahlen nach der Unabhängigkeit waren bisher durch Befreiungsrhetorik geprägt. Der Erfolg läßt sich schon daran messen, daß mehr als zwei Drittel der SWAPO-Wähler insistieren, ihre Partei auch dann noch zu unterstützen, wenn sie mit ihrer Politik überhaupt nicht mehr einverstanden wären
Allerdings muß diesen Feststellungen eine andere Tatsache entgegengehalten werden, deren demokratische Signifikanz noch nicht ganz zu durchschauen ist: Die Wahlbeteiligung ist von 1989 bis 1998 von 98 auf 33, 7 Prozent zurückgegangen. Mehrere Erklärungen bieten sich an: Neben einem mangelnden Verständnis demokratischer Opposition ist nicht genau auszumachen, wie groß politischer Protest und wie stark politische Apathie einzuschätzen ist
2. Parlament und Politische Parteien -Überlebt der Parlamentarismus?
Die Zunahme der SWAPO zur „dominant party“ und das schlechte Abschneiden der Opposition in den Wahlen haben dem parlamentarischen System und der repräsentativen Demokratie in Namibia eher geschadet als genutzt. Denn die absolute Übermacht einer Partei verführt auf Dauer zu Machtarroganz und Machtmißbrauch. Dennoch wäre es voreilig, von einem Niedergang des Parlamentarismus zu sprechen. Denn eine Bewertung der Parlamentsarbeit muß insgesamt durchaus positiv ausfallen. Neben der laufenden Diskussion politischer Ereignisse hat die Nationalversammlung eine Vielzahl wichtiger Gesetze verabschiedet, so z. B. zur Neugliederung der Regionen und Kommunen, zur Gleichberechtigung der Frauen, zum Arbeits-und zum Land-recht. Darüber hinaus wurden wichtige Vorhaben zur Dezentralisierung und zur steuerrechtlichen Erleichterung für ausländische Investoren auf den Weg gebracht.
Ein gutes Zeugnis muß -zumindest für die erste Legislaturperiode -auch dem parlamentarischen Stil ausgestellt werden: Die Spielregeln wurden exakt befolgt, die Anwesenheitslisten ernst genommen und die Debatten -zumindest von der jeweiligen Führungsriege -aggressiv und zum Teil scharf geführt. Die Parlamentserfahrung, die die internen Parteien schon vor der Unabhängigkeit erworben hatten, spielte dabei anfangs eine Rolle. In der laufenden Legislaturperiode konnte die Opposition ihre Kontrollaufgaben jedoch schon nicht mehr so effektiv wahrnehmen wie früher. Abgesehen davon, daß sie zahlenmäßig erheblich geschrumpft ist, fehlt es ihr spürbar an fähigem Personal und an Geschlossenheit.
Allerdings seien einige institutionelle Mängel genannt, die die Arbeit der Legislative sehr erschweren und die Kontrollfunktion des Parlaments stark behindern: Eine effektive Kontrolle kann schon deswegen nicht stattfinden, weil allein die Mitglieder des Kabinetts, die als Minister und stellvertretende Minister aus dem Parlament rekrutiert werden müssen, mit 40 Personen die Mehrheit der 72 Abgeordneten ausmachen. Aufgrund des proportionalen Listenwahlrechts ist der einzelne Parlamentarier in erster Linie seiner Partei verpflichtet. Sollte sich also einer der Volksvertreter als zu eigenständig erweisen und sich dem Kurs der Partei widersetzen, so kann diese einen anderen Vertreter ins Parlament entsenden. Das nationale Listensystem führt gleichfalls dazu, daß sich die Wähler, vor allem in den entfernten ländlichen Regionen, politisch nur unzureichend vertreten fühlen. Denn die Abgeordneten haben keine Wahlkreisverpflichtungen, halten sich zumeist nur in der Hauptstadt auf und haben kaum Bezug zur Basis. Um dem Mangel an regionaler parlamentarischer Repräsentanz entgegenzutreten, hat die Verfassung eine zweite Kammer, den National Council, vorgesehen. Die Mitglieder des Nationalrates stammen aus 13 Regionalversammlungen, die jeweils zwei ihrer Mitglieder in den Nationalrat entsenden. Allerdings besitzt der Nationalrat nur begrenzte Kompetenzen: Er besitzt kein Vetorecht, kann also die Gesetze der Nationalversammlung nur kritisieren und zur Beratung zurückverweisen. Trotz solcher Beschränkungen hat es in den letzten Jahren eine Reihe von Konflikten zwischen dem Nationalrat und der Nationalversammlung gegeben. Obwohl SWAPO in beiden Häusern über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, kommt es in Sachfragen immer wieder zu Auseinandersetzungen, in denen SWAPO-Politiker mit SWAPO-Politikern streiten. Hier stoßen institutioneile Interessen aufeinander, die unabhängig von der parteipolitischen Grundorientierung artikuliert werden. Darüber hinaus sind mit den Local Authorities zusätzliche Gegenkräfte entstanden, die die Wünsche und Forderungen der Basis nach „oben“ weitergeben und auf Erfüllung ihrer Ansprüche pochen. Weil sowohl die regionalen als auch die lokalen Vertretungskörperschaften demokratisch gewählt worden sind und wiedergewählt werden wollen, kommt es fast notwendigerweise zu Konflikten zwischen den unterschiedlichen Repräsentations-und Entscheidungsebenen. Auf diese Weise ist ein neuartiges Kontrollelement entstanden, das anstelle der schwächer werdenden parlamentarischen Opposition eventuell eine wichtige Rolle im demokratischen Wettbewerb spielen wird Allerdings versucht die Regierung gegenwärtig durch einen neuen Gesetzentwurf, die Macht der Zentrale wieder zu stärken, indem sie die „Gouverneure“, die exekutiven Spitzen der Regionalverwaltungen, nicht mehr von den Regionalversammlungen wählen, sondern direkt vom Präsidenten ernennen lassen will.
3. Neopatrimoniale Parteienstruktur
Die parlamentarische Demokratie beruht auf funktionierenden Parteien. Die typischen Charakteristika namibischer Parteien lassen sich unter den Begriffen „personalistisch“, „(anti-) ethnisch“ und „zentralistisch“ zusammenfassen. Traditionell dominierten die kleinen, personalistisch orientierten Honoratiorenparteien. Politik war dementsprechend eine Patron-Klienten-Beziehung, in der Geld und „persönliche Verbindungen“ -auch ethnische Verwandtschaften -eine besondere Rolle spielten. Prominente Politiker mit charismatischer Ausstrahlung haben immer Parteigruppierungen um sich gesammelt. Dies gilt auch heute noch. Die Democratic Turnhalle Alliance (DTA) ist als Partei aus einer Allianz der Einzelgruppen entstanden, und selbst die SWAPO, die durch ihre historische Exilrolle als Sonderfall einzustufen ist, zeigt in der Person Nujomas und seinem Klientel-system das personalistische Element in besonderer Weise Symptomatisch für den autoritären Führungsstil sind die bis heute ungenügend ausgebildeten Parteistrukturen an der Basis. Der mit hohen Exekutivfunktionen ausgestattete, selbstherrlich regierende Präsident wird auch durch innerparteiliche Kontrollmechanismen nicht gebremst. Indiz für den Mangel an parteiinterner Demokratie ist die Tatsache, daß auf den SWAPO-Parteikongressen Diskussion zwar erlaubt, der gesamte Verlauf jedoch von oben gesteuert wurde und die Personalpolitik direkt in den Händen des Präsidenten lag. Dies zeigte sich besonders deutlich bei der Kandidatennominierung für die Parlamentswahl 1994 und bei den Wahlen für das Zentralkomitee der SWAPO 1997, bei denen der Präsident ein sehr weitgehendes Vorschlagsrecht für sich in Anspruch nahm Innerparteilicher Widerspruch wird gene-rell eher geahndet als befürwortet. Kritik von innen und von außen wird als „unpatriotisch“, „foolish“ oder „friedensgefährdend“ abgetan. Statt einer Streitkultur dominiert ein Klima der Unterordnung, des Duckmäusertums und der Angst, den Zugang zu profitablen Positionen, aber auch zum sozialen Netz der Machtklientel zu verlieren.
In den vergangenen Jahren hat es mehrere Versuche von Parteineugründungen gegeben, die alle ohne spürbare politische Wirkung geblieben sind. Beobachter sind sich einig, daß eine Veränderung des inzwischen verkrusteten Systems nur dann zustande kommen kann, wenn eine Protestbewegung aus dem Schoß der SWAPO herauswächst und damit auch weitgehend von Ovambo getragen wird. Wie ein politischer Keulenschlag hat allerdings die jüngste Aktion des ehemaligen Ministers, Gewerkschaftssekretärs und zuletzt Botschafters in London, Ben Ulenga, gewirkt, der aus Protest gegen das undemokratische Verhalten des Präsidenten sein Amt niedergelegt hat und nun offen eine Rückkehr zur Demokratie fordert. Das von ihm gegründete „Forum for the Future“ hat inzwischen zu einer Parteiengründung „Congress of Democrats“ geführt, die für die SWAPO zu einer echten Konkurrenz werden dürfte, da der charismatische Ulenga alle Voraussetzungen mitbringt, den Amtsinhaber herauszufordern: Er war prominenter Freiheitskämpfer, war auf Robben Island interniert und ist vor allem Ovambo. Viele sehen in ihm und seinen Aktivitäten die einzige Chance, einer weiteren Verkümmerung der demokratischen Strukturen zu einem autoritären, neopatrimonialen System zuvorzukommen.
V. Wachsende Bedeutung zivil-gesellschaftlicher Gruppen
Da die Parteien ihre demokratische Aufgabe bisher nur ungenügend wahrgenommen haben, stellt sich die Frage nach anderen Formen der politischen Bürgerbeteiligung und Machtkontrolle. Im Gegensatz zu vielen anderen afrikanischen Staaten haben in Namibia zivilgesellschaftliche Gruppen -ähnlich wie in Südafrika -trotz der Intoleranz des Apartheidsystems immer eine wichtige Rolle spielen können. Dies gilt vor allem für die Kirchen, die Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und die Presse. Im Hinblick auf eine demokratische Konsolidierung gilt es zu fragen, inwie-weit diese Organisationen, die großenteils den Befreiungskampf aktiv unterstützt haben, nun zu kritischen Akteuren im unabhängigen Namibia geworden sind. Die Ausführungen sollen sich im vorliegenden Zusammenhang auf zwei Akteure, die Kirchen und die Presse, beschränken:
Am Beispiel der Kirchen zeigt sich, welche Probleme mit dem Übergang zur Unabhängigkeit auftraten. Die Mehrheit der protestantischen Kirchen und weite Kreise innerhalb der katholischen Kirche haben den Befreiungskampf direkt unterstützt. Der Council of Churches of Namibia (CCN) war zum „religious arm of SWAPO“ geworden Nachdem die Euphorie über die errungene Unabhängigkeit verflogen war, änderte sich die Situation für die Kirchen . jedoch in dramatischer Weise. Eine Reihe von prominenten Mitarbeitern, die zuvor innerhalb kirchlicher Organisationen politisch abgetaucht waren, übernahmen Regierungsfunktionen, und die ausländische Unterstützung versiegte langsam, weil viele westliche Geber nun direkt mit der Regierung kooperieren konnten. Mit erheblich weniger personellen und materiellen Ressourcen ausgestattet, verlor der CCN bald an Bedeutung und geriet sogar in große finanzielle Schwierigkeiten
Sowohl der CCN wie auch die Einzelkirchen standen nach der Unabhängigkeit vor der Aufgabe, ihr kirchliches und politisches Selbstverständnis neu zu formulieren. Statt Apartheid und Befreiungskampf sahen sich die Kirchen jetzt mit sozialer Ungerechtigkeit, Korruption und mit dem Verfall der öffentlichen Moral konfrontiert. Die neue Regierung zur Verantwortung zu ziehen und öffentlich zu kritisieren erschien den Kirchenführern jedoch zu delikat, weil persönliche Beziehungen sowie ethnische und politische Gemeinsamkeiten aus der Zeit des Befreiungskampfes klare Stellungnahmen aus Verbundenheit, Rücksichtnahme oder gar Angst äußerst schwierig machten. Aufschlußreich war die 1995/96 wieder aufgelebte Diskussion um die Folterung der SWAPO-Spione in den Erdlöchern in Angola, weil nicht nur der SWAPO-Führung, sondern auch den Kirchen vorgeworfen wurde, das Unrecht verschwiegen zu haben, obwohl gerade die Bischöfe durchaus informiert gewesen seien. Allerdings ließen sich mutige religiöse Gruppen trotz massiver staatlicher Einsprüche nicht einschüchtern und gründeten zusammen mit Menschenrechtsorganisationen das Informationsforum „The Wall of Silence“, das weiterhin um die Aufdeckung des begangenen Unrechts bemüht ist. Die namibischen Medien haben sich immer politisch artikuliert. Auch wenn es nach der Unabhängigkeit durch Fusion und Strukturveränderungen eine „Marktbereinigung“ gegeben hat, besitzt Namibia, auf die Bevölkerung bezogen, immer noch ein dichtes Mediennetz. Rundfunk und Fernsehen stehen wie vor der Unabhängigkeit unter staatlicher Aufsicht, sind jedoch unabhängiger und objektiver als früher und scheuen sich nicht, auch regierungskritische Sendungen auszustrahlen. Allerdings hat es in den letzten Jahren immer wieder Konflikte zwischen der NBC (Namibia Broadcasting Corporation) und der Regierung gegeben. So stoßen die sehr viel gehörte, tägliche Radiosendung „Chatshow“, bei der die Hörer ihre Meinung sagen können, und die häufig kritische TV-Magazinsendung „Talk of the Nation“ immer wieder auf große Empfindlichkeiten. Doch trotz kontroverser Standpunkte blieben diese Sendungen bisher weitgehend unzensiert. Im Pressebereich ist der Freiheitsspielraum deutlich größer. Es gibt regierungskritische, regierungseigene und regierungsfreundliche Presseerzeugnisse. Die Mehrheit der Presseorgane, darunter die deutschsprachige Allgemeine Zeitung, sind Oppositionszeitungen und werden von der DTA kontrolliert. So sehr sie früher die Interessen der Übergangsregierung vertreten haben und im alten System verhaftet waren, so mutig treten sie heute als Korrektiv gegen eine übermächtig werdende Staatselite auf. Als Antwort hat die Regierung 1991 im Gegenzug als eigenes Sprachrohr die Wochenzeitung New Era gegründet, die publizistisch wenig interessant ist, aber große Verbreitung gefunden hat. Besonders interessant, weil unabhängig, ist die Stellung des auflagenstärksten Presseorgans The Namibiern. Obwohl im Befreiungskampf pro-SWAPO eingestellt, ist die Zeitung seit der Unabhängigkeit immer kritischer geworden und zeigt die Verfehlungen und Korruptionsfälle der Regierenden gnadenlos auf.
Insgesamt stellen die namibischen Medien das Rückgrat der Zivilgesellschaft dar. Sie haben sich trotz Kritik und Drohungen nicht mundtot machen lassen und den Wünschen der Staatselite nicht gebeugt. Ihre Adressaten sind allerdings mehrheitlich die städtischen Mittelklassen.
VI. Ausblick
Es wäre sicherlich voreilig, schon jetzt über Erfolg und Mißerfolg der demokratischen Entwicklung in Namibia zu urteilen. Auch wenn die demokratische Konsolidierung zunehmend von autoritären und neopatrimonialen Herrschaftselementen überlagert und verdrängt wird, so kann doch erst nach einem längeren Zeitraum Bilanz gezogen werden. Solange der Rechtsstaat intakt ist und die demokratischen Institutionen noch nicht völlig pervertiert sind, können politische Selbstheilungskräfte, die aus der Zivilgesellschaft gespeist werden, noch sehr viel bewirken. Allerdings reicht es nicht aus, den Blick nur nach innen zu richten. Die hohe wirtschaftliche und politische Außenabhängigkeit des bevölkerungsarmen Landes gewährt Namibia auch in der Region kaum eine „Schonfrist“ Die Zuspitzung der Kongokrise, der wieder auflebende Angolakonflikt und die Sezessionsversuche in der Caprivi-Region drohen zu einem gefährlichen Stabilitätsrisiko im südlichen Afrika zu werden. Da die internationale Gemeinschaft eine so wichtige Geburtshelferrolle gespielt hat, sollte sie sich auch heute noch ihrer Verantwortung bewußt sein und darauf achten, daß die politischen und ökonomischen Verpflichtungen, die dieses Land schon durch seine verfassungsmäßige Festlegung auf good governance, accountability und market economy eingegangen ist, nicht leichtfertig zugunsten der Macht-und Bereicherungsinteressen einer Minderheit vergessen werden. Der langjährige, opfervolle Befreiungskampf des namibischen Volkes wäre dann zumindest teilweise umsonst gewesen.