I. Vorbemerkung: zur Begriffs-verständigung
Es dürfte nützlich sein, eingangs kurz zu klären, was in dem nachstehenden Aufsatz unter unmittelbarer oder direkter Demokratie und deren Rechten und Verfahren verstanden wird. Der Wortgebrauch in der umfangreichen Debatte ist nicht einheitlich.
Hierzu rechnen wir zum einen jene politischen Entscheidungsrechte des Staatsbürgers, durch die er an den das Gemeinwesen betreffenden verbindlichen Sachentscheidungen unmittelbar mitwirkt und die das für das repräsentativ-parlamentarische Verfassüngsmodell konstitutive Wahlrecht ergänzen. Diese beiden Typen von politischen Teilhaberechten werden in der klassischen Unterscheidung von repräsentativer und plebiszitärer Demokratie abgebildet Das direktdemokratische Entscheidungsrecht des Staatsbürgers findet sich in der Urform von Volksversammlung (in der klassischen Gestalt der antikgriechischen polis, der US-neuenglischen town meetings und der Gemeindeversammlungen in der Schweiz) sowie in Volks-/Bürgerbegehren und -entscheiden (Plebiszit, Referendum). Ferner wird hier auch die direkte Wahl (Urwahl) einzelner Amtsträger und deren Abberufung (Abwahl, recall) im Wege des Volks-/Bürgerentscheids zu den direktdemokratischen Staatsbürger-rechten gezählt Zwar sind sie -insoweit der Wahl von Abgeordneten vergleichbar -auf die Wahlentscheidung über Personen gerichtet, die als politisch verantwortliche Sachwalter agieren sollen, und weisen darin einen Zug repräsentativ-mittelbarer Demokratie auf. Darin jedoch, daß der Staatsbürger mit der Direktwahl des Amtsträgers die Handhabe erhält, diesen unmittelbar zu wählen, anstatt ihn mittelbar durch die Volksvertreter bestellen zu lassen, ist ein unmittelbar politischer Konnex des Bestimmungsrechtes gegeben, der es geboten und zweckmäßig erscheinen läßt, die unmittelbare Wahl (und auch Abwahl) zum Repertoire direkt-demokratischer Rechte zu rechnen.
II. 40 Jahre „alte“ Bundesrepublik: Die Vorherrschaft des repräsentativ-mittelbaren Demokratiemodells
Die Wiederbegründung des demokratischen Verfassungsstaates nach dem Ende der Hitler-Tyrannei war insgesamt von einer auffallenden Zurückhaltung gegenüber der Einführung von Elementen der direkten Demokratie gekennzeichnet. Das Grundgesetz, das am 23. Mai 1949 in Kraft trat, war „streng repräsentativ“ konzipiert. Zwar heißt es in Art. 20, Abs. 2, Satz 2 GG, die Staatsgewalt werde „vom Volk in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt“, womit neben dem Wahlrecht auch direktdemokratische Entscheidungsrechte angesprochen werden. Überdies ist in Art. 28, Abs. 1, Satz 3 GG -an die Adresse der Landesgesetzgeber festgelegt, daß in den Gemeinden an die Stelle der gewählten Vertretung die (direktdemokratische) „Gemeindeversammlung“ treten könne. Sieht man von der Volksentscheidung in Fragen der Länderneugliederung ab (Art. 29 GG) ent hält sich das Grundgesetz jedoch streng repräsentativ jeglicher plebiszitäref Regelung.
Als Kronzeuge für die „anti-plebiszitäre“ Grund-stimmung, die im Parlamentarischen Rat herrschte, wird vielfach Theodor Heuss, liberaldemokratisches Mitglied des Rates und erster Bundespräsident der neuen Republik, mit seiner Warnung zitiert, Volksabstimmungen seien „in den großräumigen Demokratien die Prämie für jeden Demagogen“ Bei dieser Ablehnung waren indessen weniger die „Weimarer Erfahrungen“ als vielmehr, vor dem Hintergrund des heraufziehenden Ost-West-Konflikts, die Sorge vor den politischen Unwägbarkeiten plebiszitärer Verfahren bestimmend Die verfassungsrechtliche und -politische Diskussion blieb über Jahre von der Auffassung geprägt, daß sich die Väter und Mütter des Grundgesetzes bewußt für eine strikt repräsentative, wenn nicht anti-plebiszitäre Ausrichtung des Grundgesetzes entschieden haben
Die meisten der von den westlichen Besatzungsmächten in den Jahren 1946/47 -also vor der Gründung der Bundesrepublik -gebildeten Länder nahmen in ihre (unter starker Einwirkung der Besatzungsmächte ausgearbeiteten) Verfassungen Vorschriften zur Volksgesetzgebung bzw. zu verschiedenen Formen von Referenden auf Praktisch spielten diese jedoch über Jahrzehnte kaum eine Rolle -sei es, daß die Verfahrenshürden zu hoch waren, sei es, daß die politikkulturellen Voraussetzungen für ihre Inanspruchnahme fehlten.
In auffallendem Gegensatz zu ihrer Bereitschaft, 'auf Landesebene Referenden vorzusehen, sahen die Länder durchweg davon ab, in ihren Kommu-nalverfassungen Referenden auf der kommunalen Ebene einzuführen Für diese Zurückhaltung lassen sich mehrere Gründe vermuten:
Zum einen gab es für kommunale Referenden in den westdeutschen Ländern bzw. ihren Vorläufern keine gesetzgeberische Tradition. Während der Weimarer Republik sahen allein die Länder Sachsen und Thüringen kommunale Referenden vor Zum andern und vor allem ließ die noch weithin herrschende, von der überkommenen staatsrechtlichen Lehre bestimmte Auffassung, daß -staatsrechtlich gesehen -die kommunale Selbstverwaltung Teil der Landesexekutive, ihre Aufgaben also mittelbare Staatsverwaltung und die Kommunal-vertretungen Verwaltungsorgane seien, wohl kaum Platz für die Forderung, dem Gemeindebürger direktdemokratische Entscheidungsrechte zusätzlich zu seinem Wahlrecht für die Kommunal-vertretung -einzuräumen
Diese Zurückhaltung gegenüber direktdemokratischen Entscheidungsrechten wurde in dreifacher Hinsicht -allerdings mit bezeichnendem Ausnahmecharakter -durchbrochen:
Zum einen sahen die Verfassungen und Gemeindeordnungen von Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Baden-Württemberg für (Zwerg-) -Gemeinden (direktdemokratische) Gemeindeversammlungen an Stelle von (repräsentativ-demokratischen) Gemeindevertretungen vor. In Baden-Württemberg wurde diese Regelung in den siebziger Jahren aufgehoben, nachdem von ihr kaum Gebrauch gemacht worden und sie als Ergebnis der Gemeindegebietsreform praktisch gegenstandslos geworden war
Zum andern: Es dauerte bis 1956, ehe das Land Baden-Württemberg als einziges Land Bürgerbegehren und -entscheide für seine Gemeinden einführte und hiermit bis in die späten achtziger Jahre kommunalverfassungsrechtlicher Einzelgänger blieb.
Schließlich war auch die Direktwahl des Bürgermeisters, die nach 1945 zunächst in Bayern (neben der Direktwahl des Landrats) und 1955 in Baden-Württemberg eingeführt wurde (Süddeutsche Bürgermeister-Rats-Verfassung) ein -allerdings gewichtiger und folgenreicher -Sonderling im Konzert der unterschiedlichen Kommunalverfassungsmodelle der Länder
Die Vorherrschaft des repräsentativ-demokratischen Verfassungsmodells schien zumal auf der kommunalen Ebene ernsthaft herausgefordert, als die Politik-und Verwaltungswelt der Bundesrepublik von einer Welle politischer Diskussionen, Proteste und Initiativen ergriffen wurde, die sich in einem wichtigen demokratie-und parlamentarismuskritischen Strang gegen das Monopol und die Legitimität der repräsentativ-demokratischen Institutionen und Verfahren wandte. Die Bürgerinitiativen, die vielerorts gegen Planungsentscheidungen der Kommunen Sturm liefen, markierten den Protest gegen die Undurchsichtigkeit und Undurchlässigkeit der repräsentativ-und parteien-demokratisch geprägten Entscheidungsstrukturen der Kommunen; sie forderten mehr partizipative Beteiligungsrechte Die von der sozialliberalen Koalition nach 1969 proklamierte Politik der inneren Reformen bezog die politischen Entscheidungs-und administrativen Verarbeitungsstrukturen in ihre Reformabsichten ausdrücklich ein und schrieb sich -in der berühmten Formel, die Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung von 1969 aussprach -„Mehr Demokratie wagen!“ aufs Banner.
Die unterschiedlichen politischen, ideologischen und sozialstrukturellen Strömungen und Anstöße (Studentenrevolte, politische Protestbewegungen, Außerparlamentarische Opposition, Soziale Bewegungen, Bürgerinitiativen usw.) trafen -sich überlappend und wechselseitig verstärkend -in den späten sechziger und den frühen siebziger Jahren in einer Vielfalt, Breite und Wucht zusammen, die in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel war. Vor dem Hintergrund einer politischen Kultur, die -wie international vergleichende Untersuchungen belegten in den fünfziger Jahren noch stark obrigkeitsstaatlich geprägt war, summierten sich diese Anstöße und Anläufe zu nichts weniger als einer partizipatorischen Revolution, die das Selbst-und Rollenverständnis des Bürgers in seinem Verhältnis zu Staat und Gesellschaft tiefgreifend ummodelte und eine Zäsur in der politischen Kultur der Nachkriegs-Republik bedeutete.
Angesichts des ungewöhnlichen Ausmaßes politisch-gesellschaftlicher Unruhe, der Reichweite der politischen Forderungen und des Grades soziokultureller Veränderungen muß erstaunen, wie wenig sich davon in direktdemokratischen Veränderungen politischer Strukturen und Verfahren niedergeschlagen hat. Dies gilt zum einen für die Bundesebene. So lehnte die Enquetekommission Verfassungsreform in ihrem 1974 vorgelegten Schlußbericht die Aufnahme von Plebisziten in das Grundgesetz ab Aber auch die Landesgesetz-geber sahen keine Veranlassung, die Kommunal-verfassungen direktdemokratisch nachzurüsten. Allerdings trugen sie den verfassungspolitischen, politikpraktischen und -kulturellen Veränderungen, von denen die kommunale Politik-und Verwaltungswelt seit den sechziger Jahren -nicht zuletzt wegen des verstärkten Eindringens der politischen Parteien in die kommunale Ebene -ergriffen wurden, durch die Einführung kommunalrechtlicher Regelungen Rechnung. Diese waren geeignet, die Einbindung und den institutioneilen Gleichklang der kommunalen mit der Bundes-und Landes-ebene zu bekräftigen, die Kommunen kommunalverfassungspolitisch wie -rechtlich als „voll ausgebildete politische Systeme“ anzuerkennen und damit der überkommenen staatsrechtlichen Interpretation der kommunalen Selbstverwaltung als Teil der Landesexekutive und der Kommunalvertretungen als Verwaltungsorgane den Boden zu entziehen Jedoch wurde hierdurch das repräsentaüv-demokraUsch-parlamentarische Element der kommunalen Selbstverwaltung verstärkt und das direktdemokratische blieb vernachlässigt.
Hinsichtlich direkter Teilhaberechte hatte es mit bundes-und landesgesetzlichen Regelungen sein Bewenden, durch die die (konsultative) Mitwirkung der Bürger insbesondere in Planungsverfahren eingeführt wurde, sei es als Öffentlichkeits-, sei es als Betroffenenrechte Durchweg handelte es sich um „unechte“ Teilhaberechte, d. h. um solche, die sich auf die (konsultative) Anhörung, Information und Mitwirkung in Planungsverfahren (z. B. vorgezogene Bürgerbeteiligung im Bauplanungsverfahren beziehen und sich in diesen erschöpfen, während die Entscheidungen ungeschmälert bei den repräsentativ-demokratischen Vertretungskörperschaften bleiben.
III. Direktdemokratischer Regelungsschub in den neunziger Jahren
Hatten sich die Bundesländer seit ihrer Bildung nach dem Zweiten Weltkrieg über 40 Jahre lang bemerkenswert sperrig gezeigt, die bestehenden Kommunalverfassungen um direkt-demokratische Komponenten zu erweitern, und bewahrten sie ihre direktdemokratische Prüderie selbst vor dem Hintergrund der partizipatorischen Revolution der sechziger und siebziger Jahre, so wurde die Kommunalgesetzgebung der Länder seit den frühen neunziger Jahren geradezu von einer direktdemokratischen Woge ergriffen. Demgegenüber verdient hervorgehoben zu werden, daß im Gegensatz zu den Ländern die Bundesebene an ihrer Unwilligkeit, plebiszitäre Elemente in die Bundesverfassung aufzunehmen, beharrlich festhielt, wie das Scheitern entsprechender Vorstöße im Prozeß der Deutschen Einigung und insbesondere der Ausgang der Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission demonstrierten
1. Gemeindeversammlungen
Der direktdemokratische Aufschwung in der Kommunalgesetzgebung der Länder ging allerdings an der urdemokratischen Einrichtung der Gemeinde-versammlungen völlig vorbei. Unter den „alten“ Bundesländern sind diese derzeit allein in der Gemeindeordnung von Schleswig-Holstein für Zwerggemeinden bis 70 Einwohner vorgesehen (§ 73 GO SH) und werden dort gegenwärtig in 29 Gemeinden praktiziert Als einziges ostdeutsches Bundesland hat Brandenburg in seiner Gemeindeordnung von 1993 die Gemeindeversammlung für Gemeinden mit weniger als 100 Einwohnern vorgesehen; derzeit bedienen sich ihrer rund 30 Gemeinden.
Angesichts dessen, daß in den alten Bundesländern durch die zwischen Mitte der sechziger und siebziger Jahre durchgeführten Gemeindegebietsund Gemeindeorganisationsreformen die Zahl der Gemeinden -bundesweit -von rund 24 000 auf etwas über 8 000 durch Zusammenlegung und Eingemeindung reduziert wurden und hierbei vor allem die meisten Zwerggemeinden in größeren Gemeinden aufgingen sind jedenfalls in den westdeutschen Ländern die gemeindestrukturellen Voraussetzungen für direktdemokratische Gemeindeversammlungen kaum mehr gegeben, von ihrer fehlenden Verankerung und Abstützung (Akzeptanz) in einer entsprechenden kommunalen Politiktradition und -kultur ganz zu schweigen. Anders als in der Schweiz, wo unter ganz anderen gemeindestrukturellen, politiktraditionellen und kulturellen Bedingungen in mehreren Kantonen die urdemokratischen Gemeindeversammlungen nach wie vor die bestimmenden Träger der lokalen Demokratie sind ist in den in Schleswig-Holstein und Brandenburg derzeit noch praktizierten direktdemokratischen Gemeindeversammlungen eher ein „liebenswürdiges, aber anachronistisches Kuriosum“ denn eine lebensfähige Alternative zum repräsentativ-demokratischen Modell zu sehen.
2. Kommunale Bürgerbegehren und -entscheide (Referenden)
Hatte Baden-Württemberg mit seinem 1956 eingeführten kommunalen Referendum bis in die späten achtziger Jahre allein gestanden, setzte in den anderen Bundesländern in den frühen neunziger Jahren ein Regelungsschub ein, durch den binnen kurzem kommunale Referenden in allen Bundesländern eingeführt wurden Für diesen kommunalverfassungsrechtlichen „Domino-Effekt“ lassen sich insbesondere zwei Anstöße identifizieren -Den Auftakt gab Schleswig-Holstein mit der Novellierung seiner Gemeindeordnung vom 2. 4. 1990, die als Ausdruck der landespolitischen Bemühungen zu sehen ist, auf die Barschel-Affäre mit einer Reform der politischen Institutionen zu reagieren -Einen weiteren Impuls gab die Kommunalverfassung der DDR vom 17. 5. 1990 in die die demokratisch gewählte Nachwende-DDR-Volkskammer -neben eigenen kommunalpolitischen Mitwirkungsrechten von Bürgerinitiativen und -bewegungen -Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in der erklärten Absicht aufnahm, hiermit ein Stück basisdemokratischen Erbes der ostdeutschen friedlichen Revolution zu bewahren In rascher Sequenz schlossen sich die anderen Länder an: so Hessen (1992), Rheinland-Pfalz (1993) und Nordrhein-Westfalen (1994) An die in ihnen zunächst fortgeltende DDR-Kommunalverfassung anknüpfend, verabschiedeten die neuen Länder 1993 und 1994 Kommunalordnungen, in denen durchweg kommunale Bürgerbegehren und -entscheide vorgesehen sind Das in Bayern mit Wirkung vom 1. 10. 1995 landesverfassungs-und kommunalrechtlich eingeführte kommunale Referendum verdient aus mehreren Gründen besondere Hervorhebung. Zum einen wurde diese Regelung im Wege eines Volksbegehrens „Mehr Demokratie in Bayern“ gegen eine widerstrebende Landtagsmehrheit initiiert und in dem am 1. 10. 1995 durchgeführten Volksentscheid mit deutlicher Mehrheit (57, 8 Prozent bei einer allerdings schmalen Abstimmungsbeteiligung von 36, 9 Prozent) durchgesetzt Zum andern ist das bayerische Kommunalreferendum darin „einmalig“ daß seine Verfahrenshürden deutlich niedriger sind als in den anderen Bundesländern. Als Ergebnis dieses Regelungsschubs wurden von den Ländern die Kommunalreferenden nicht nur für die Gemeinden sondern auch für die Landkreise eingeführt, worin ein weiterer Schritt zur „Parallelisierung zwischen Gemeinde-und Kreis-recht“ sowie Einebnung der institutionengeschichtlich bedingten Unterschiede zwischen Gemeinde-und Kreisverfassungen sichtbar wird.
Beteiligungserfordernisse (Quoren) für Bürger-begehren und -entscheid Im Verfahrensablauf der kommunalen Referenden sind zwei Stufen zu unterscheiden: deren Initiierung, die durchweg aus der Mitte der Bevölkerung (Bürgerbegehren) und in den meisten Bundesländern auch aus der Mitte der Kommunalvertretung (Ratsbegehren) erfolgen kann, und deren Entscheidung (Bürgerentscheid) durch Abstimmung der Bürger. Die Mindeststimmenzahl (Quorum) für das Zustandekommen eines Bürgerbegehrens (Initiativquorum) ist landesgesetzlich unterschiedlich -zwi-sehen 10 und 20 Prozent -geregelt. In einigen Bundesländern ist für das Initiativquorum eine prozentuale Staffelung vorgesehen, indem dieses mit steigender Gemeindegröße sinkt (bis auf sieben bzw.sechs Prozent bzw. drei Prozent damit soll dem Rechnung getragen werden, daß die Mobilisierung von Unterstützung für eine Initiative in größeren Städten erfahrungsgemäß schwieriger ist als in kleinen Orten. Die durch Volksentscheid eingeführte bayerische Regelung unterscheidet sich darin, daß das Initiativquorum für Gemeinden bis 10 000 Einwohner zehn Prozent beträgt, für Großstädte jedoch bis auf drei Prozent heruntergesetzt ist Für das zustimmende Votum im Bürgerentscheid wird in den meisten Bundesländern ein Doppeltes verlangt: zum einen, daß das Begehren von der (einfachen) Mehrheit der sich an der Abstimmung beteiligenden Stimmberechtigten gebilligt werde, und zum andern, daß die zustimmende Mehrheit eine Mindestzahl der Stimmberechtigten (Abstimmungsquorum) erreiche. Diesem Abstimmungsquorum, das in den landesgesetzlichen Regelungen zwischen 25 und 30 Prozent der Wahlberechtigten beträgt, liegt die Absicht zugrunde, zu verhindern, daß sich Bagatell-oder Zufallsmehrheiten durchsetzen. Die bayerische Regelung hebt sich auch darin von den anderen ab, daß ein Abstimmungsquorum nicht vorgeschrieben ist, also die einfache Mehrheit der sich an der Abstimmung Beteiligenden genügt.
Typen von Bürgerbegehren Die Bürgerbegehren lassen sich in drei Typen unterscheiden Erstens sind Bürgerbegehren zu nennen, ip denen die Initiatoren eine kommunale Angelegenheit, in der die Kommunalvertretung noch nicht tätig geworden ist oder bewußt untätig geblieben ist, auf die kommunalpolitische Tagesordnung setzen (initiierende Begehren). Sodann können Bürgerbegehren darauf gerichtet sein, einen von der Kommunalvertretung bereits gefaßten Beschluß anzugreifen und aufzuheben, zu „kassieren“ (kassatorische Begehren). Schließlich können sie darauf zielen, einen von der Kommunalvertretung vorbereiteten Beschluß zu verhindern (präventives Begehren). Die beiden letzteren (kommunalpolitisch brisanten) Varianten überwiegen bislang in der kommunalen Praxis bei weitem
Die Gegenstände von Bürgerbegehren und Bürger-entscheiden In den meisten Kommunalverfassungen ist festgelegt, daß sich die kommunalen, Referenden mit „wichtigen Gemeindeangelegenheiten“ befassen und sich auf diese beschränken. Einige enthalten hierzu einerseits Positiv-und andererseits Negativ-kataloge, in denen Angelegenheiten aufgezählt werden, für die Bürgerbegehren unzulässig sind. Bei den für Bürgerbegehren unzugänglichen kommunalen Themen handelt es sich durchweg -neben den „staatlichen Auftragsangelegenheiten“ -um die innere Organisation der Kommunalverwaltung und die kommunalen Finanzen, insbesondere die Haushaltssatzung und die Festlegung von kommunalen Abgaben; aus letzterem folgt die grundsätzliche Unzulässigkeit haushaltsrelevanter Initiativen Eine spürbare weitere Einschränkung ergibt sich in einigen Bundesländern daraus, daß Bürgerbegehren in Angelegenheiten für unzulässig erklärt sind, „die im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens oder eines förmlichen Verwaltungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung oder eines abfallrechtlichen, immissionsschutzrechthchen, wasserrechtlichen oder vergleichbaren Zulassungsverfahrens zu entscheiden sind“ Damit sind kommunalpolitisch brisante Fragen, wie beispielsweise der Standort einer Müllverbrennungsanlage, die für kommunale Referenden geradezu prädestiniert zu sein scheinen, von diesen ausdrücklich ausgenommen. In weitgehender Übereinstimmung schreiben die Kommunalverfassungen (wiederum mit Ausnahme Bayerns) ferner vor, daß das Bürgerbegehren, sofern es kostenrelevant ist, einen Kostendekkungsvorschlag enthalte Erforderlich sind hierbei zum einen Angaben zur Höhe der zu erwartenden Kosten zum anderen ist schlüssig darzulegen, auf welche Weise diese (etwa durch Kosteneinsparungen oder -Umschichtung im kommunalen Haushalt) finanziert werden sollen. Zwar stellt das Junktim des Kostendeckungsvorschlags erhebliche Anforderungen an den Sachverstand der Initiatoren. Jedoch weist die Vorschrift zugleich darauf hin, daß sich das Verbot haushalts-relevanter Initiativen auf Haushaltsentscheidungen im engeren Sinn bezieht, das Einbringen kostenrelevanter Vorhaben nicht ausschließt.
Zulässigkeitsprüfung Über die Zulässigkeit des Bürgerbegdhrens entscheidet in fast allen Ländern die Kommunalvertretung -außer in Schleswig-Holstein, wo sie von der Rechtsaufsichtsbehörde geprüft wird. Abgesehen davon, daß die Kommunalvertretung mit der Prüfung dieser rechtlich teilweise noch weithin ungeklärten Fragen oft fachlich überfordert sein dürfte, ist diese Regelung kommunalverfassungspolitisch problematisch, da die Kommunalvertretung gegenüber dem Bürgerbegehren und seinen Initiatoren, vor allem im Falle von kassierenden und präventiven Initiativen, Konfliktgegner und Partei ist In der kommunalen Praxis erweist sich die Zulässigkeitsprüfung bislang als durchaus gravierende Hürde, an der zwischen 40 und 50 Prozent der Bürgerbegehren hängen bleiben
Demokratie hat auch im Falle der kommunalen Referenden ihre Kosten. Vorliegende Informationen deuten darauf hin, daß die von den Kommunen für einen durchgeführten Bürgerentscheid aufzuwendenden Kosten in Mittelstädten (50 000 Einwohner) bei rund vier Mark und in Großstädten (über 100 000 Einwohner) bei rund einer Mark liegen.
Häufigkeit und Gegenstände von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in der Praxis
Während -im Rückblick auf die bisherige Praxis der kommunalen Referenden in Baden-Württemberg, wo seit deren Einführung im Jahr 1956 insgesamt nicht mehr als knapp 200 Bürgerbegehren registriert worden sind -mit guten Gründen skeptisch gefragt werden konnte, ob „bei so vielen Hindernissen Bürgerbegehren und Bürgerentscheid . . . noch als realistische Partizipationschance anzusprechen“ seien hat sich das Bild seit dem Beginn der neunziger Jahre jedenfalls in denjenigen Bundesländern deutlich geändert, die dufch niedrige Initiativ-und Abstimmungsquoren (oder, wie in Bayern, durch Verzicht auf letzteres) den Zugang zum kommunalen Referendum erleichtert haben. Einsamer Spitzenreiter ist Bayern, wo in den ersten zwei Jahren 390 Bürgerbegehren und 256 Bürgerentscheide, also jahresdurchschnittlich knapp 200 Bürgerbegehren und knapp 130 Bürgerentscheide (bei rund 2 000 Gemeinden) gezählt wurden Dem folgen die anderen Ländern mit merklichem Abstand. Im Land Schleswig-Holstein, das den gesetzgeberischen Reigen in der Einführung kommunaler Referenden eröffnet hatte, fanden im ersten Jahr nach der Einführung neun Bürgerentscheide (bei rund 1 000 Gemeinden) statt Hessen (mit 426 Gemeinden) kam in den ersten vier Jahren jahresdurchschnittlich auf acht Bürgerentscheide und Nordrhein-Westfalen (mit: 396 Gemeinden) in den ersten zweieinhalb Jahren jahresdurchschnittlich ebenfalls auf acht Bürgerentscheide
In Bayern lag die durchschnittliche Beteiligung an den Abstimmungen über die (ersten rund 60) Bürgerentscheide bei rund 55 Prozent; sie war in den kleineren Gemeinden deutlich höher als in den größeren Städten
Die Erfolgsquote der Bürgerbegehren, also der Anteil der erfolgreich durchgeführten Bürgerentscheide an der Gesamtzahl der zustande gekom menen Bürgerbegehren, betrug in Hessen in den ersten Jahren rund 40 Prozent
Das Themenspektrum der Bürgerbegehren ist weitgefächert und weist länderspezifische Profile auf, in denen sich auch die unterschiedlichen landesgesetzlichen Regelungen zu Gegenstand und Reichweite der kommunalen Referenden widerspiegeln dürften. In Bayern stehen Verkehrsprojekte (mit rund 30 Prozent) im Vordergrund. Es folgen öffentliche Infrastruktur-und Versorgungseinrichtungen (Bäder, Stadtwerke, Schulen -mit rund 25 Prozent), Bauleitpläne (mit rund 15 Prozent) und Entsorgungsprojekte (Müll, Wasser -mit rund zehn Prozent) In Hessen stehen obenan öffentliche Infrastruktur-und Versorgungseinrichtungen (rund 30 Prozent), Wirtschaftsprojekte (z. B. Gewerbegebiete -mit rund 25 Prozent), Verkehrsprojekte (mit rund 15 Prozent) und Entsorgungsprojekte (mit reichlich zehn Prozent) In Nordrhein-Westfalen drehten sich die Bürgerentscheide bislang vorrangig um verkehrsregelnde, insbesondere verkehrsberuhigende Maßnahmen (rund 20 Prozent) und um den Erhalt bzw. die Errichtung von Schulen (rund 20 Prozent)
Von den vorliegenden instruktiven Fallberichten zu einzelnen kommunalen Referenden seien hier solche hervorgehoben, die auf die Erhaltung von kommunalen Einrichtungen zielten, deren Schließung die Kommunalvertretung gerade diskutierte oder bereits entschieden hatte, beispielsweise die Erhaltung der Eingangsklassen in einem städtischen Gymnasium 'oder von öffentlichen Schwimmbändern In solchen kassatorischen bzw. , präventiven Referenden, in denen die Initiatoren und die Kommunalvertretung bzw.deren Mehrheit die kommunalpolitischen Klingen kreuzen, ist das Spannungsverhältnis zwischen dem direktdemokratischen und dem repräsentativ-demokratischen Politik-und Entscheidungsmodell mit Händen zu greifen. Bundesweite Aufmerksamkeit erregten zwei bayerische kommunale Referenden, als sich Münchener Bürger -mit knapper Mehrheit -für den (verkehrspolitisch und -planerisch problematischen) Bau dreier Tunnel am „Mittleren Ring“ entschieden und die Bürger von Feldafing dem Bau eines Museums für die weltbekannte Buchheimsche Gemäldesammlung mit deutlicher Mehrheit eine Abfuhr erteilten -zwei Referenden, die kaum als Paradebeispiele für die kommunalpolitische Weisheit des „kommunalen Volkssouveräns“ gelten können.
Wie demokratietheoretisch und kommunalpolitisch aufregend der Eintritt der Referenden in die kommunale Politikwelt auch ist, so sollte nicht verkannt werden, daß sich Bürgerbegehren und -entscheide in der kommunalen Politikpram bislang (sieht man von Bayern ab) eher noch als eine Ausnahme-und Randerscheinung darstellen Indessen mindert dies nicht die Einschätzung, daß durch die Einführung des Referendums als direktdemokratisches Entscheidungsverfahren die kommunal-politischen Karten grundsätzlich neu gemischt worden sind.
3. Direktwahl des Bürgermeisters und Landrats
Wie eingangs dargestellt, ist die Direktwahl des Bürgermeisters als unmittelbares PersonalbtsXxmmungsrecht der Gemeindebürger deren. direktdemokratischen Entscheidungsrechten zuzurechnen Der direkt gewählte, mit exekutiven Zuständigkeiten ausgestattete Bürgermeister wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst (nebst dem direkt gewählten Landrat) in Bayern und dann 1956 in Baden-Württemberg als Schlüsselfigur der Süddeutschen Bürgermeister-Rats-Verfassung installiert und blieb für Jahrzehnte auf diese beiden Länder beschränkt. Erst in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren kam in den anderen Bundesländern Bewegung in die Diskussion um die Urwald des kommunalen Politik-und Verwaltungschefs, dies vor allem aus zwei Antrieben: -Zum einen kam, maßgeblich von Gerhard Banner angestoßen, in Nordrhein-Westfalen eine Debatte in Gang in der das Norddeutsche Rats-modell mit seiner Allzuständigkeit der Kommunal-vertretung und mit seiner aus Bürgermeister (als Vorsitzendem der Kommunalvertretung) und Stadtdirektor (als Verwaltungschef) bestehenden „Doppelspitze“ als vor allem steuerungs-und verwaltungspolitisch untauglich kritisiert und wirksame Abhilfe in der Einführung des (süddeutschen) direkt gewählten Bürgermeisters als Politik-und Verwaltungschefs gesehen wurde. Dieser Diskussionsstrang hatte einen eher managerialen, auf die Verbesserung der „Regierbarkeit“ der kommunalen Politik-und Verwaltungswelt gerichteten Grundzug. -Einen stärker demokratietheoretischen Anstoß lieferte der deutsche Einigungsprozeß dadurch, daß in den ostdeutschen Diskussionen die Einführung des direkt gewählten Bürgermeisters von Anfang an auch als eine Stärkung der direktdemokratischen Entscheidungsrechte des Gemeinde-bürgers aufgefaßt wurde In einem „wahren Siegeszug der plebiszitären Bürgermeisterverfassung“ wurde binnen drei Jahren die Direktwahl des mit eigenen exekutiven Zuständigkeiten ausgestatteten Bürgermeisters in allen und die des Landrats in fast allen Ländern (außer in Brandenburg, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen) eingeführt
4. Abwahl des Bürgermeisters und des Landrats
Die Direktwahl des Bürgermeisters und des Land-rats wurde in den meisten Ländern mit der Möglichkeit seiner vorzeitigen Abberufung (Abwahl, recall im Wege eines Bürgerentscheids (Personalreferendum) eingeführt. Wie die Beratungen (1993/94) über die neuen Kommunalverfassungen in den ostdeutschen Ländern erkennen lassen, gab die Regelung der Direktwahl des am Süddeutschen Modell orientierten „starken“ Bürgermeisters zur verfassungsrechtlichen und -politischen Überlegung Anlaß, zugleich ein direktdemokratisches Gegenge wicht und eine kommunalpolitische „Notbremse“ zu schaffen Verfahren für die Abwahl des Bürgermeisters sind inzwischen in fast allen Bundesländern (mit der auffälligen Ausnahme von Baden-Württemberg und Bayern, den beiden Erzländern des direkt gewählten Bürgermeisters!) in Kraft. Ähnliches gilt für die Abwahl des Landrats
Wie beim kommunalen (Sach-) Referendum sind für das Abwahlverfahren (als Persona/referendum) zwei Stufen zu unterscheiden; die Initiierung des Abwahlverfahrens (Abwahlbegehren) und der Bürgerentscheid über dieses. Hinsichtlich der ersteren ist hervorzuheben, daß allein in den Ländern Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein das Abwahl-verfahren durch Bürgerbegehren aus der Mitte der Bevölkerung selbst in Gang gesetzt werden kann. In den anderen Bundesländern kann nur ein Ratsbegehren, also aus der Mitte der Kommunalvertretung, eingeleitet werden Abgesehen davon, daß dies als verfassungsrechtlich widersprüchlich und unstimmig scheint, verrät der Ausschluß des Bürger-Abwahlbegehrens eine gehörige Portion Mißtrauen vor dem „kommunalen Volkssouverän“.
In den drei Bundesländern, die das Biirger-Abwahlbegehren vorsehen, kommt dieses als erster Verfahrensschritt zustande, wenn 25 Prozent (in Schleswig-Holstein) oder ein Drittel (in Sachsen) der Wahlberechtigten die Initiative unterstützen (Initiativquorum)
In Brandenburg lag diese Einstiegshürde zunächst verhältnismäßig niedrig bei zehn Prozent und wurde durch Gesetzesänderung vom 20. Mai 1998 in einer gestaffelten Regelung kräftig erhöht, die von 25 Prozent (in Gemeinden bis zu 20 000 Einwohnern) bis zu 15 Prozent (in Gemeinden mit mehr als 60 000 Einwohnern) reicht.
Ist ein Abwahlverfahren, sei es durch Bürger-Abwahlbegehren, sei es durch Ratsbegehren, in Gang gekommen, so ist die Abwahl des Bürgermeisters bzw.des Landrats durch Bürgerentscheid wirksam erfolgt, wenn zwei Stimmenerfordernisse erreicht sind: nämlich zum einen die Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Gemeindebürger für die Abwahl votiert, und dies zum andern mindestens 25 Prozent (in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen), 30 Prozent (in Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen) bzw. 50 Prozent (in Sachsen) der Wahlberechtigten sind (Abstimmungsquorum).
Angesichts dieser Verfahrensregelung mag es nicht verwundern, daß vom neuartigen direkt-demokratischen Abwahlverfahren bislang fast ausschließlich in Brandenburg (mit rund 1 700 Gemeinden) Gebrauch gemacht worden ist In den ersten drei Jahren (1994/1997) -also während der Geltung des verhältnismäßig niedrigen Initiativquorums von zehn Prozent -kamen zwölf Bürger-Abwahlbegehren zustande und führten zu Bürgerentscheiden, die in sechs Fällen mit der Abwahl des Bürgermeisters (drei hauptamtliche und drei ehrenamtliche Bürgermeister) endeten Im gleichen Zeitraum wurden sechs Ratsbegehren gestellt, von denen vier mit der Abwahl des Bürgermeisters (zwei hauptamtliche und zwei ehrenamtliche Bürgermeister) ausgingen. Als weiterer spektakulärer Fall aus der jüngsten Zeit ist die durch Bürger-Abwahlbegehren eingeleitete und durch den Bürgerentscheid vom 17. Mai 1998 (mit einer Mehrheit von 87, 5 Prozent) vollzogene Abwahl des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Potsdam hinzuzufügen Im Ergebnis wurden in Brandenburg bislang rund zehn Prozent der hauptamtlichen (und 0, 3 Prozent der ehrenamtlichen) Bürgermeister durch Abwahl abgelöst.
Die sich teilweise vermischenden Motive für die vorzeitige Abwahl waren: tiefer Konflikt zwischen Bürgermeister und Kommunalvertretung (über Weichenstellungen in der Stadtentwicklung), Kritik am Führungsstil des Bürgermeisters, Zweifel an der fachlichen Kompetenz und Vorwürfe finanzieller Unkorrektheit
Auch in Sachsen wurde jüngst ein Abwahlverfahren gegen einen (Ober-) Bürgermeister eingeleitet und führte zu dessen Abwahl
In Brandenburg löste die sich zeitweise häufende Zahl von Abwahlverfahren und die dann tatsächlich erfolgende Abwahl insbesondere in den Fällen hauptamtlicher Bürgermeister eine heftige Diskussion in der politischen Öffentlichkeit und in den Medien („Bürgermeisterkegeln“, „basisdemokratischer Volkssport“) aus. Mit der Gesetzesänderung vom 20. Mai 1998 entschied sich der Landtag dafür, das Initiativquorum als Einstiegshürde für das Abwahlverfahren kräftig, nämlich auf 25, 20 bzw. 15 Prozent je nach Gemeindegröße heraufzusetzen damit bleibt die brandenburgische Regelung jedoch noch immer abwahlinitiativfreundlicher als die der beiden anderen Länder Sachsen und Schleswig-Holstein.
5. Die kommunalpolitischen Karten wurden neu gemischt
Die Entwicklung der verfassungsrechtlichen Rahmensetzung für kommunale Politik und Demokratie bietet seit den frühen neunziger Jahren ein verfassungs- und kommunalpolitisch wie auch politik-und kommunalwissenschaftlich fürwahr aufregendes Bild: Ähnelte sie über Jahrzehnte einem weithin ruhigen Gewässer, so gleicht die Welle landesgesetzlicher Regelungen seit Beginn dieses Jahrzehnts eher einer Stromschnelle, wenn nicht einem Sturzbach. In bemerkenswertem Gleichklang und beinahe im gesetzgeberichen Handumdrehen schritten die Länder mit der Einführung der kommunalen Referenden und der Direktwahl von Bürgermeister und Landrat zur direktdemokratischen Auf-und Umrüstung ihrer Kommunalverfassungen.
Selbstredend ist die bisherige Bestands-und Wirkungszeit der neuen Regelungen einfach zu kurz, um einigermaßen gesicherte Aussagen über deren langfristige Auswirkungen auf die kommunale Politik-und Verwaltungswelt zu machen. Indessen deuten die Erfahrungen und Informationen, die zum Praxistest der neuen direktdemokratischen Regelungen vorliegen, darauf hin, daß diese eine tiefgreifende Verschiebung der politischen Gewichte im kommunalverfassungsrechtlich und -politisch neuralgischem Dreieck von Gemeinde-bürger (direktdemokratischem „lokalem Volkssouverän“), Kommunalvertretung (repräsentativ-demokratischem Kommunalpariament) und Verwaltung, insbesondere Verwaltungsspitze (kommunaler Exekutive) ausgelöst und die Ausbildung eines neuen kommunalpolitischen Gleichgewichts mit neuen Formen und Mechanismen wechselseitiger Einflüsse und Kontrollen eingeleitet haben.