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Mikro-Außenpolitik: Über die Rückgewinnung außenpolitischer Wirkungsmacht im Zeitalter der Globalisierung | APuZ 23/1999 | bpb.de

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APuZ 23/1999 Ambivalenzen des Globalisierungsprozesses Chancen und Risiken der Globalisierung Politische Ökonomie der Globalisierung Mikro-Außenpolitik: Über die Rückgewinnung außenpolitischer Wirkungsmacht im Zeitalter der Globalisierung Globalisierung und Umweltpolitik Die Rolle des Nationalstaates

Mikro-Außenpolitik: Über die Rückgewinnung außenpolitischer Wirkungsmacht im Zeitalter der Globalisierung

Ernst Hillebrand

/ 15 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Globalisierung unterhöhlt Wirkungsmacht und -weise traditionell betriebener zwischenstaatlicher Außenpolitik. Neue supra-und transnationale Akteure gewinnen an Gewicht. Zentrale innerstaatliche Steuerungsaufgaben des Staates lassen sich nur noch in einem Mix innen-und außenpolitischer Initiativen realisieren. Die hierarchische Steuerungsfähigkeit staatlicher Apparate sinkt angesichts wachsender Partizipations-und Teilhabeansprüche organisierter Interessen und Gruppen weltweit. Außenpolitik muß daher ein Instrumentarium entwickeln, das geeignet ist, dem sich entwickelnden „global governance“ -Systems zu entsprechen. Gleichzeitig muß sie bei den realen Gestaltungsgrößen außen-und außenwirtschaftspolitischer Optionen und Haltungen von Staaten ansetzen: den organisierten sozialen, politischen und ökonomischen Interessen. Außenpolitik muß sich ein Instrumentarium für derartig sektor-und themenspezifische transnationale politische Verfahren zulegen.

I. Außenpolitik im Zeitalter der Globalisierung -eine Problembeschreibung

Mit der heraufziehenden Ära der Globalisierung geht ein politisches Zeitalter zu Ende: Die „westfälische“ Ordnung der Welt, deren (fast) ausschließliche Akteure National-und Territorial-staaten waren, beginnt sich aufzulösen. „Die Welt des ausgehenden 20. Jahrhunderts“, schrieb Ernst-Otto Czempiel schon vor fast einem Jahrzehnt, „ist keine Staatenwelt mehr“ Diese Feststellung gilt nach außen wie nach innen: Der „gebietsanstaltsmäßigen“ Herrschaft des Staates (Max Weber) geht weltweit zunehmend beides verloren: das „Gebiet“ ebenso wie der Charakter der „Anstalt“. Finis mundi.

Die ökonomischen und technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben zu einer wachsenden Interdependenz der Staaten und Gesellschaften der Erde und zur Internationalisierung breiter Politikfelder und Lebensbereiche geführt. Dieser Prozeß führt in seiner Konsequenz zu einer Schwächung der äußeren und inneren Handlungsautonomie von Staatsapparaten und Staaten. Parallel hierzu steigt der Bedarf für internationale Lösungen und Politikansätze in einer wachsenden Zahl von Politikfeldern. Die Möglichkeit von ausschließlich innerstaatlicher Problemverarbeitung verringert sich stetig. Problemlösungen setzen in zunehmendem Maße einen Mix von binnen-und außenorientierten Maßnahmen unter aktiver Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure voraus .

Es stellt sich die Frage, wie angesichts dieser Veränderungen weiterhin eine effiziente und wirksame nationalstaatliche Außenpolitik betrieben werden kann. Aus ganz pragmatischen Gründen bleibt der Bundesrepublik gar nichts anderes übrig, als sich an dem sich ausbildenden System internationaler Organisationen, Institutionen und Regime aktiv zu beteiligen. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob man einer „realistischen“ Perspektive oder einem neuen Institutionalismus anhängt In beiden Perspektiven stellt sich die Frage, wie Außenpolitik gestaltet werden muß, um unter geänderten Bedingungen handlungsmächtig zu bleiben. Außenpolitik, dies ist die These, bedarf einer konzeptionellen Modernisierung, die den geänderten Wirkungsweisen von Politik unter den Bedingungen der „Entgrenzung“ des Politischen und der Internationalisierung fast aller Lebens-und Politikbereiche entspricht. Notwendig ist damit eine neue Aufgabenteilung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen.

II. Das außenpolitische Handlungsdilemma des Nationalstaates

Aktuell läßt sich ein wachsendes praktisches Handlungsdilemma klassischer nationalstaatlicher Außenpolitik beobachten. Dieses beruht auf einer Kombination mehrerer Entwicklungen:

1. Die Globalisierung führt zu einer Verlagerung von Handlungsfähigkeit und Wirkungsmacht weg von nationalstaatlichen Akteuren und Politikforen. Seit 1945 gewannen und gewinnen supranationale Institutionen (wie die UNO oder die EU-Kommission) und internationale Organisationen (wie der Internationale Währungsfonds IWF, die Weltbank oder die Welthandelsorganisation WTO) an stetig wachsender politischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Große transnationale Konzerne -die „global players" -haben in einigen Bereichen die Fesseln nationalstaatlicher Regulierungsversuche weitgehend abgeschüttelt und quasi-politische Wirkungsmacht und Handlungsautonomie erheblichen Ausmaßes gewonnen. Im Zuge dieser Entwicklung sehen sich auch politische Einheiten unterhalb der staatlichen Ebene gezwungen, über den traditionellen politischen Bezugsrahmen -den jeweiligen Nationalstaat -hinauszugreifen und internationale Aktivitäten zu entwickeln. Die Schaffung von EU-Verbindungsbüros deutscher Bundesländer in Brüssel -wo inzwischen mehr Ländervertreter als Bonner Diplomaten arbeiten -oder die spektakuläre Zunahme von internationalen Handelsbüros amerikanischer Bundesstaaten sind hierfür nur Beispiele Sie illustrieren aber die Erosion des nationalstaatlichen Politikrahmens sowohl durch globalisierende wie durch „lokalisierende“ Dynamiken, in deren Zuge politische Einheiten über-wie unterhalb der Ebene des Nationalstaates eine wachsende Bedeutung erhalten 2. Innergesellschaftliche Wandlungsprozesse in den meisten Staaten führen dazu, daß die Institutionen klassischer Politik immer weniger in der Lage sind, Politik im Alleingang zu formulieren, zu entscheiden und -im Inneren wie im Äußeren -umzusetzen. Im Zuge von Differenzierungs-und Modernisierungsprozessen schwindet die hierarchische Steuerungsfähigkeit von Staaten weltweit Bei allen Unterschieden in Ausprägung und Geschwindigkeit sind sowohl in den „posttraditionellen“ Industriegesellschaften als auch in den Staaten der Dritten und Vierten Welt zum Teil rapide innergesellschaftliche Differenzierungs-und Pluralisierungsprozesse zu beobachten. In der Folge entstehen zunehmend aus-differenzierte soziale, kulturelle und politische Milieus und Gruppen, die politisch handlungswillig und -fähig sind Diese Entwicklung steigert die Komplexität politischer Prozesse und die Zahl der an diesen Verfahren beteiligten Akteure erheblich. Verfahren der hierarchischen Steuerung machen im Laufe dieses Prozesses zunehmend „Verhandlungslösungen“ Platz, in denen nicht formale Entscheidungskompetenz, sondern die soziale Akzeptanz des Entschiedenen zum entscheidenden Gradmesser der „Rationalität“ von Politik wird 3. In der „Welt-Risikogesellschaft“ findet ein grundlegender Wandel der Themen und Gegenstände von Politik statt, für den der klassischen (Ressort-) Außen-und Sicherheitspolitik kaum Handlungsmöglichkeiten und Instrumente zur Verfügung stehen. Im Zeitalter der „hergestellten Unsicherheiten“ muß der Begriff der Sicherheit national und international neu definiert werden

Die Gefährdungen, die von Fehlentwicklungen im technologisch-industriellen Bereich ausgehen, stellen heute -zumindest im europäischen Kontext -das am schwersten zu kalkulierende und potentiell destruktivste Gefahrenpotential dar. Klassische Sicherheitspolitik ist gegen Gefährdungen des Ökosystems der Erde ebenso machtlos wie gegen Katastrophen des Tschernobyl-Typs oder die nicht eingrenzbaren Folgekosten von perversen Effekten wirtschaftlicher oder technologischer Veränderungen in anderen Ländern (exemplarisch veranschaulicht an den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgeschäden von BSE in ganz Europa). Eines der grundlegenden Probleme in diesem Bereich bleibt -trotz der Weiterentwicklung des internationalen Rechts -die Tatsache, daß klassische Diplomatie an Souveränitäts-und Völkerrechtskategorien gebunden bleibt, die explizit staatlicher Einmischung in „klassisch“ innenpolitische Belange anderer Staaten (und damit präventiver Politik) enge Grenzen stecken. Die vor kurzem trotz massiver Bedenken der westlichen Nachbarländer erfolgte Inbetriebnahme des slowakischen Kernkraftwerks Mohovce ist ein Beispiel für dieses Dilemma.

III. Die Notwendigkeit gesellschaftspolitisch agierender Außenpolitik

Das Schwinden der Grenzen zwischen Außen-und Innenpolitik im Zuge der allgemeinen „Entgren-zung“ des Politischen muß sich auch in der operativen Konzeption von Außenpolitik niederschlagen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich eine wesentliche Modifikation des Charakters internationaler Beziehungen unter den Bedingungen weitestgehender Interdependenz vor Augen zu halten: Außenpolitik wird in einem wachsenden Maße zu einer Politik der Einwirkung auf politische Entscheidungsprozesse und Bewertungen in anderen Staaten und Gesellschaften werden müssen. Die Fähigkeit eines jeweiligen Landes, „to get other countries to want what it wants“, wird, um eine nicht gerade unproblematische Formulierung Joseph Nyes zu benutzen, zunehmend in das Zentrum der Prozesse in der internationalen Politik rücken

Eine derartige Einflußpolitik muß bei den realen Gestaltungsgrößen der politischer Optionen eines Landes ansetzen: den organisierten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Interessen, die in innenpolitischen Diskursprozessen die Positionen des jeweiligen Landes in der internationalen Arena definieren. Gefordert ist die Schaffung von politikfeld-, themen-und zielgruppenspezifischen Dialog-und Interaktionszusammenhängen unterhalb der Ebene staatlicher Apparate. Partner derartiger Prozesse sind auf beiden Seiten nicht Staaten bzw. staatliche Institutionen, sondern die Institutionen der Zivilgesellschaft und die aggregierten und organisierten sozialen und wirtschaftlichen Interessen. Ziel ist es, assoziative Politiknetzwerke auf transnationaler Ebene zu schaffen, die systematisch mit den staatlichen Entscheidungsapparaten rückgekoppelt sind, ohne den Selbststeuerungstendenzen komplexer „post-traditioneller“

Gesellschaften entgegenzuwirken oder diese unterlaufen zu wollen. Der Außenpolitik betreibende Nationalstaat verschwindet in diesem Prozeß nicht.

Aber er bedient sich eines neuen institutioneilen Instrumentariums, mit dessen Hilfe er -im Sinne eines „enabling state“ -über finanzielle und organisatorische Leistungen wirkungsorientiertes außen-gerichtetes Handeln gesellschaftlicher Akteure ermöglicht und damit indirekt Handlungs-und Gestaltungsspielräume zurückgewinnt. Derartige internationale Dialogprozesse sollen im Folgenden als „Mikro-Außenpolitiken“ bezeichnet werden.

IV. Handlungsfelder und Bedeutung von Mikro-Außenpolitik

1. Mikro-Außenpolitik wird tendenziell notwendig sein, um das System internationaler Regime möglich und praktisch umsetzbar zu machen. Die inhaltlichen Positionen von Staaten in den internationalen Verhandlungsarenen ebenso wie ihre Bereitschaft zur tatsächlichen Umsetzung restringierender internationaler Normen werden von äußerem Druck gleichermaßen abhängen wie von den entsprechenden innenpolitischen Meinungsbildungsprozessen und Machtverhältnissen Dies gilt von der Frage der Sozialklauseln in den internationalen Handelsbeziehungen (die ohne internationale Kooperation der Gewerkschaften und Stärkung der Gewerkschaftsbewegung in den relevanten Schwellenländern kaum zu erzielen bzw. umzusetzen sein werden) bis zur Frage des Schutzes der „global commons“ (wer den Regenwald Brasiliens schützen will, tut vermutlich gut daran, dafür Sorge zu tragen, daß die Indianer-und Landlosenbewegungen des Landes stärker werden; wer die Blockade niedriger internationaler Grenzwerte für Klimagase durch die Regierung der USA verhindern will, tut gut daran, mit der Umweltschutzbewegung in diesem Land zu kooperieren). 2. Dialogorientierte internationale „Gesellschaftspolitik“ ist in einer interdependenten Welt aber auch ein wesentliches und zentrales Element von Legitimationsschaffung für die heraufziehende „globale Ordnung“. Jürgen Habermas weist im Zusammenhang mit dem europäischen Integrationsprozeß auf den wesentlichen Unterschied zwischen einer neu zu schaffenden demokratischen Ordnung für Europa und den bestehenden Nationalstaaten hin: Letztere hätten in der Ideologie der nationalen Identität einen vorgegebenen Träger von kollektiver Identität gehabt, auf dessen Basis sich die politischen und sozialen Integrationsprozesse abgespielt hätten. Die zukünftigen Europäer können auf derartig „Vorgängiges“ nicht mehr zurückgreifen. Die politische Legitimität wird sich daher stärker denn je aus dem Verfahren der politischen Willensbildung selbst ableiten müssen. Habermas sieht hierfür die einzige Chance in den Verfahren einer auf öffentlichen Diskurs gestützten „deliberativen" Politik, die nicht nur rationale Ergebnisse erwarten läßt, sondern auch über breite Partizipations-und Artikulationsmöglichkeiten die Legitimität der erzielten Ergebnisse sicherstellt

Wenn dies im europäischen Rahmen richtig ist, so gilt es im weltweiten Rahmen -für die „hinter ihrem Rücken zu einer unfreiwilligen Risikoge-meinschaft vereinigten Bürger der Weltgesellschaft“ -noch mehr. Globalisierungsprozesse greifen tief in die politische, soziale und kulturelle Ordnung aller Staaten der Erde ein. Dies gilt auch für das sich ausbildende System internationaler Regime und Institutionen. Gleichzeitig wird sich -ob man dies will oder nicht -die Weltgemeinschaft noch stärker als bisher in „decision-makers“ und „decision-takers“ einteilen. Eine Akzeptanz dieser Entwicklungen ist nur dann zu erwarten, wenn die Verfahren internationaler Politik diesen Prozessen eine gewisse Legitimität zu geben erlauben. Dazu sind Dialog und Koordination, vor allem aber Partizipation der jeweiligen organisierten sozialen, politischen und kulturellen Interessen notwendig

3. Die aktive Beteiligung gesellschaftlicher Akteure an den Verhandlungsprozessen im Rahmen des internationalen Systems wird auch notwendig sein, um Akzeptanz für die zu schaffende institutioneile Struktur der „global governance“ herzustellen. In vielen Bereichen finden internationale Abkommen und Regime ihre Legitimierung für breite Teile der Öffentlichkeit bereits heute nicht mehr durch die Beteiligung der (demokratisch legitimierten) Regierungen am Verhandlungsprozeß, sondern durch das „Gütesiegel“ einer aktiven Beteiligung von nationalen und internationalen Organisationen und Institutionen zivilgesellschaftlichen Typs. Diese (durchaus nicht unproblematische) Art der „Substituierung“ demokratischer Kontrolle durch die Partizipation von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) an der Politikformulierung hat in den verschiedenen internationalen Konferenzen der letzten Jahre eine neue Qualität erhalten Außenpolitik muß dadurch, daß sie diese Partizipation (auch an den Verhandlungsdelegationen) ermöglicht und aktiv Verantwortung an diese Institutionen delegiert, dieser Entwicklung in zunehmendem Maße Rechnung tragen.

V. Eine neue Architektur von Außenpolitik

Unter der Bedingung, daß innen-und außenpolitische Problemlagen in vielen Bereichen untrennbar verbunden sind, ist es ein logischer Schritt, die wichtigsten innenpolitischen Kräfte aktiv und direkt an der Ausgestaltung der Außenbeziehungen zu beteiligen. Den dichter gewordenen Interaktions-und Interdependenzzusammenhängen der globalisierten Welt muß Politik ein entsprechend dichtes politisch wirksames Kommunikationsnetz entgegensetzen, in dem sich transnationale „Politiknetzwerke“ konstituieren können.

Langfristig ergibt sich aus dieser Sicht die Perspektive einer neuen „Architektur“ von Außenpolitik. Die „drei Säulen“ der Außenpolitik wären dann: ein weiterhin fortbestehender Bereich traditioneller multi-und bilateraler zwischenstaatlicher Beziehungen (etwa im Verteidigungs-und Sicherheitsbereich), ein Bereich der Aushandlung und Überwachung internationaler Regime und der Beteiligung an internationalen Institutionen sowie ein weitgehend von den betroffenen gesellschaftlichen Institutionen selbst betriebener Bereich themen-und zielgruppenspezifischer Mikro-Außenpolitiken. Im Idealfalle ergibt sich aus dieser Konstruktion eine wechselseitige Verstärkung der Wirkungsmacht des Handelns sowohl der staatlichen wie der nichtstaatlichen Akteure

Im Bereich der Mikro-Außenpolitiken hätte der außenpolitische Apparat in diesem Arrangement vor allem drei Aufgaben: -Er ermöglicht und unterstützt internationale Aktivitäten deutscher gesellschaftlicher, politischer und sozialer Institutionen und Organisationen. -Er berät die internationalen Aktivitäten staatlicher und regionaler Institutionen (Bundesbehörden, Länder, Landesbehörden, Kommunen).

-Er achtet auf die Vereinbarkeit der Aktivitäten mit den allgemeinpolitischen Zielvorgaben deutscher Außenpolitik, wie sie durch das Parlament definiert werden.

Auf praktisch-operativer Ebene würde dies bedeuten, daß vernünftige „Verkoppelungspunkte“ zwischen dem gesellschaftspolitischen Bereich der Außenpolitik und dem engeren administrativ-bürokratischen Apparat der Ministerien geschaffen werden müssen. Zu denken ist an themenspezifische Diskussions-und Partizipationsforen, in denen die im Ausland aktiven Institutionen und Organisationen gemeinsam mit dem Ministerialapparat und dem Parlament über Positionen, Zieleund Strategien diskutieren. Dort hätten wiederum die verschiedenen Organisationen die Möglichkeit, ihre in ihren Außenbeziehungen gewonnenen Positionen und Erkenntnisse in den politischen Apparat und seine Diskussionskanäle zurückzuspeisen.

Eine derartige Strategie stellt eine Reihe von Bedingungen an die Akteure auf deutscher Seite:

Die im Ausland aktiven Akteure müssen wirkungsmächtig sein: Das heißt, sie müssen hinreichend mit dem politischen System der Bundesrepublik verknüpft sein, um als Interaktions-und Kommunikationspartner von Institutionen in den anderen Ländern ernst genommen werden zu können. Deliberative Politik im internationalen System erfordert, daß sich im Verlauf des Prozesses eine vernünftige Chance zur Beeinflussung von Politik auf allen Seiten eröffnet. Im Sinne des von Habermas skizzierten Problemverarbeitungsprozesses deliberativer Politik müßten die Akteure daher weniger auf der Ebene der „politischen Öffentlichkeit“ als vielmehr im Bereich der äußeren und inneren Peripherie des eigentlichen politischen Systems angesiedelt sein

Die im Ausland aktiven Akteure müssen authentisch sein: Sie müssen über eine echte eigene institutionelle Interessenlage verfügen, um als glaubwürdige Partner in themenorientierten politischen Dialogverfahren mit Institutionen anderer Gesellschaften auftreten zu können Dieses thematische „Betroffensein“ ist um so mehr notwendig, als zwischen Dialogteilnehmern aus verschiedenen Teilen der Erde zwangsläufig asymmetrische Beziehungen auftreten werden. In der Regel werden die Institutionen aus den Industrieländern über größere finanzielle und institutioneile Ressourcen und damit Durchsetzungschancen verfügen. Einen Einmischungs-und Manipulationsvorbehalt wird man nur dann minimieren können, wenn den schwächeren Teilnehmern das authentische Interesse des Gegenübers an einer für beide Seiten lukrativen Lösung auf der Basis gemeinsamer Probleme vermittelbar ist

Die im Ausland aktiven Akteure müssen über das für politische Prozesse notwendige Vertrauenskapital verfügen: Dieses ist aber -gerade angesichts der massiven und disruptiven Einwirkungen von Globalisierungsprozessen auf das ökonomische, politische und kulturelle „setting“ von Gesell-schäftenweltweit -nicht „ex nihilo“ im Rahmen kurzfristiger Austauschprozesse zu erhalten. Vertrauen beruht auch in der Politik neben der Nachvollziehbarkeit der Motivationen des Handelnden (s. o.) auch auf der „gemachten Erfahrung“ positiv verlaufenen gemeinsamen Handelns. Dies bedeutet, daß die Akteure der mikro-außenpolitischen Aktivitäten mit Konstanz, Kontinuität und maximaler zeitlicher und räumlicher Präsenz agieren sollten. Eine rein punktuelle Intervention wird hier weit weniger wirkungsmächtig sein.

Art und Form der Organisation der Dialogprozesse durch die beteiligten Akteure müssen sicherstellen, daß konsensuelle Ergebnisse erzielt werden können: Nicht nur das Verhalten der beteiligten Akteure, sondern der institutionelle oder organisatorische Rahmen der Dialogprozesse selbst muß durch Partizipationsmöglichkeiten, Beeinflußbarkeit für alle Beteiligten und durch Transparenz der Verfahren ein konsensuelles Ergebnis möglich machen. Einbeziehung -„Inklusion“ -als wesentliches Ziel deliberativer Politik muß sich auch auf der praktischen Ebene konkretisieren

Durch eine Verkoppelung von transnationalen Netzwerkaktivitäten mit klassischen außenpolitischen Verfahren ist ein langfristiger Gewinn an außenpolitischem Einfluß insgesamt zu erwarten: Es ist evident, daß derjenige, der Politiknetzwerke aufbaut und finanziell unterhält, über ein weit höheres Maß an „Zentralität“ in den Netzwerken verfügt als ein reiner (und sei er ein noch so aktiver) Teilnehmer. Unter der Prämisse, daß Außenpolitik eben genau auf diese „weichen“ Formen politischer Einflußgewinnung zunehmend abzielen wird, ist dies ein nicht zu unterschätzender Punkt.

Denn die Frage ist langfristig nicht, ob man derartige Formen von Außenpolitik überhaupt will oder nicht. Sie werden über kurz oder lang von Staaten, Gruppen und Unternehmen zur Durchsetzung ihrer Positionen in der internationalen Politik benutzt werden. Bereits Anfang der neunziger Jahre nannte Joseph S. Nye die Fähigkeit zur Organisation und Definition von Foren, zur Verknüpfung von Themen und zur Benutzung internationaler Organisationen „the art of the power game“ der kommenden Epoche internationaler Politik

VI. Nebeneffekte

Die aktive Organisationen Einbeziehung der und Institutionen einer politiknahen „Zivilgesell-schäft“ in die Gestaltung und Formulierung deutscher Außenpolitik entspricht auch der Forderung nach mehr Partizipation der Gesellschaft an den politischen Verfahren, die in der demokratietheoretischen und praktisch-politischen Debatte immer wieder gestellt werden Sie wäre somit auch ein Beitrag zur Modernisierung und Legitimationssteigerung eines in die Jahre gekommenen politischen Systems. Angesichts der durch die Globalisierung verursachten Entgrenzung der Politikbereiche erscheint die Öffnung auch des außenpolitischen Bereiches für eine verstärkte Partizipation der Gesellschaft als ein logischer, wenn nicht sogar unumgänglicher Schritt.

Für die Zukunft ebenso wichtig ist aber ein anderer Aspekt der oben skizzierten Politik: die zu erwartenden Rückkoppelungs-und Lerneffekte. In einer interdependenten Welt kann der Wert von Außen-kontakten nicht nur in Form von erzieltem „Einfluß“ gemessen werden. Genauso wichtig erscheinen die Lern-und Transferprozesse, die sich für die bundesdeutsche Gesellschaft durch ein dichtes Netz von außenpolitischen Kontakten ergeben. Zeitgemäße Gesellschaften sind immer stärker auch lernende Gesellschaften, die „best practice“ aus anderen Staaten und Gesellschaften aufnehmen und zur Lösung eigener Probleme adaptieren. Die Umwandlung der europäischen und der deutschen Gesellschaft von einer „Belehrungskultur“ in eine „Lernkultur“ ist aber kein selbstlaufender Prozeß Dies verlangt politikfeld-, themen-und zielgruppengenaue Transferprozesse auch nach innen. Auch diese sind staatlicherseits nicht (mehr) organisierbar. Notwendig ist gerade hier die aktive Partizipation der betroffenen Akteure und Interessen selbst. Für die vielbeschworene langfristige Sicherung des „Standorts Deutschland“ ist dies eine wesentliche Voraussetzung.

Gleichzeitig kann man sich die Frage stellen, was die Alternative zur Unterfütterung der Globalisierungsprozesse durch eine Politik der dichten Interaktion wäre. Die negativen Reaktionen auf Globalisierungs-und Modernisierungsprozesse sind als reflexartige Ablehnung von Interdependenz, Komplexität und Transformation in allen Gesellschaften der Erde schon heute erkennbar. Die „Verteidigung der Traditionen mit traditionellen Mitteln“ -um eine Formel Anthony Giddens’ zu verwenden -artikuliert sich im islamischen Fundamentalismus ebenso wie in den Wahlergebnissen von Deutscher Volksunion (DVU) und Front National. Das Vertrauen auf die integrative Wirkung ökonomischer Prozesse allein ist in dieser Hinsicht sicherlich nicht ausreichend: „Der Synkretismus in der Automobilproduktion ist immer noch leichter zu erreichen als die friedliche Mischung der Weltanschauungen.“ Will man das Feld der Politik nicht den negativen Reflexen der „halbierten Moderne“ überlassen, ist es notwendig, einen ausreichenden Aufwand im Bereich internationaler Gesellschaftspolitik zu betreiben. Diese erfordert -ebenso wie der Synkretismus in der Automobilproduktion -Investitionen in die Orte, Verfahren und Träger von globalem politischem Bewußtsein und Problemlösungen. Verglichen mit den Kosten einer disruptiven Entwicklung ist dies noch alle Male billiger.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ernst-Otto Czempiel, Weltpolitik im Umbruch, München 1991. S. 87.

  2. Vgl. James N. Rosenau, Along the domestic-foreign Frontier, Cambridge 1997; Michael Zürn, Regieren jenseits des Nationalstaats, Frankfurt am Main 1998; Fritz W. Scharpf, Demokratische Politik in der internationalisierten Ökonomie, MPlfG-Working Paper, 97/9, November 1997 (MPIfG = Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung).

  3. Zu den beiden Positionen siehe einerseits Werner Link, Die Neuordnung der Weltpolitik, München 1998; andererseits M. Zürn (Anm. 2) sowie Dirk Messner/Franz Nuscheler, Global Governance, Organisationselemente und Säulen einer Weltordnungspolitik, in: dies., . Weltkonferenzen und Weltberichte’, Bonn 1996, S. 12-36.

  4. Während Anfang der siebziger Jahre nur vier amerikanische Bundesstaaten Außenhandelsvertretungen im Ausland hatten, haben heute alle 50 derartige Büros. Sämtliche Bundesstaaten sind bei der WTO akkreditiert. Vgl. Jessica T. Mathews, Power Shift, in: Foreign Affairs, 76 (Jan. /Feb. 1997) 1, S. 51-66, hier S. 65. Ausdruck dieser Entwicklung ist auch, daß bereits heute die „binnenorientierten“ Bonner Fachministerien 250 außenpolitisch ausgerichtete Referate haben; vgl: Die Zeit vom 9. Juli 1998, S. 3.

  5. Vgl. J. N. Rosenau (Anm. 2) und Hanns Maull, Internationale Politik zwischen Integration und Zerfall, in: Karl Kaiser/Hanns Maull, Deutschlands neue Außenpolitik, Bd. 2: Herausforderungen, München 1995, S. 1-22.

  6. Vgl. Renate Mayntz, Policy-Netzwerke und die Logik von Verhandlungssystemen, in: Adrienne Heritier (Hrsg.), Policy Analyse, PVS-Sonderheft 24, 1993, S. 39-56; Fritz W. Scharpf, Die Handlungsfähigkeit des Staates am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, in: Politische Vierteljahresschrift (PVS), 32 (1991) 4, S. 621-634.

  7. Vgl. ebd. sowie Anthony Giddens, Jenseits von Links und Rechts, Frankfurt am Main 1997, S. 165 -185; J. N. Rosenau (Anm. 2), S. 55-77 und S. 275-310. Zur Entwicklung in der Dritten Welt siehe auch Gerard Clarke, Non-Governmental Organizations (NGOs) and Politics in the DevelopingWorld, in: Political Studies, 46 (März 1998) 1, S. 36-52.

  8. F. W. Scharpf (Anm. 6).

  9. „Das Politische wird unpolitisch und das Unpolitische politisch.“ Vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft -Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main 1986, S. 305 und S. 25-111; ders., Die Erfindung des Politischen, Frankfurt am Main 1993, S. 35-53, sowie A. Giddens (Anm. 7), S. 141-148.

  10. Joseph S. Nye, Soft Power, in: Foreign Policy, (1990) 80, S. 153-171, hier S. 166.

  11. Vgl. grundsätzlich Achim Brunngräber, Über die Unzulänglichkeit kosmopolitischer Demokratie in einer trans-nationalen Welt, in: Peripherie, 18, (September 1998) 71, S. 69-92.

  12. Vgl. Jürgen Habermas, Die Einbeziehung des Anderen, Frankfurt am Main 1996, S. 128-184.

  13. Ebd. S. 7.

  14. Kritisch hierzu A. Brunngräber (Anm. 11), S. 82-90; siehe auch M. Zürn (Anm. 2), S. 240 f.

  15. Vgl. Hilmar Schmidt/Ingo Take, Demokratischer und besser? Der Beitrag von Nichtregierungsinstitutionen zur Demokratisierung internationaler Politik und zur Lösung globaler Probleme, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/97, S. 12-20; Marianne Beisheim, Nichtregierungsorganisationen und ihre Legitimität, in: ebd., S. 21-29; J. T. Mathews (Anm. 4).

  16. Vgl. grundsätzlich Thomas Risse-Kappen, Structures of governance and transnational relations: what have we learned?, in: ders. (Hrsg.), Bringing transnational relations back in, Cambridge 1995.

  17. Vgl. Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, Frankfurt am Main 1993, S. 399-467, hier S. 424-432; Rainer Schmalz-Bruns, - Reflexive Die demokratische Transformation moderner Politik, Baden-Baden 1995, S. 116 f.

  18. Vgl. R. Mayntz (Anm. 6), S. 47.

  19. Vgl, auch Russel Hardin, The Street-Level Epistemology of Trust, in: Politics and Society, 21 (Dec. 1993) 4, S. 505-529.

  20. Vgl. auch A. Brunngräber (Anm. 11), S. 87-90.

  21. J. S. Nye (Anm. 10), S. 158.

  22. Vgl. R. Schmalz-Bruns (Anm. 17), S. 213-271.

  23. Vgl. Wolfgang Lepenies, Selbstkritische Moderne, in: Internationale Politik, 51 (1996) 3, S. 3-14.

  24. Ebd., S. 6.

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