I. Einleitung
Ein Gespenst geht um in Europa -das Gespenst der Globalisierung Alle Intellektuellen des alten Europa haben sich zu einer Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet Dabei werden nahezu alle wirtschaftlichen und sozialen Übel nicht nur in Europa, sondern auch in den weniger entwickelten Staaten auf das , Grundübel der Globalisierung'zurückgeführt. Multinationale Konzerne, Spekulanten, der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die Deutsche Bundesbank sowie konservative politische Kräfte werden quasi als Agenten der Globalisierung dingfest gemacht. Um sich von Gespenstern zu befreien, helfen Aufklärung (aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit) und Empirie. Dieser Beitrag ist in aufklärerischer Absicht verfaßt.
Zunächst wird gezeigt, worin die Fehlurteile in der Globalisierungsdiskussion bestehen. Dabei kann auf vorliegende empirische Untersuchungen zurückgegriffen werden, welche die Diskussion auf eine rationale Basis stellen können. In diesem Beitrag wird aber noch einer weiteren Frage nachgegangen: Warum wird mit so großem emotionalem Engagement über eine abstrakte wirtschaftliche Erscheinung diskutiert, und wie ist zu erklären, daß diese so gravierend falsch interpretiert wird?
Diese Frage entzieht sich einer ökonomischen Beantwortung. Sie verweist vielmehr auf den Bereich der Politik. Globalisierung erweist sich hier letztlich als ein Phänomen, das nur politökonomisch erklärt bzw. verstanden werden kann.
II. Fehlurteile über Globalisierung
Die Globalisierung begann -folgt man Historikern -am 15. November 1975: mit dem ersten Weltwirtschaftsgipfel in Rambouillet bei Paris Gemeinhin wird , Globalisierung'mit der nachlassenden Bedeutung nationalstaatlicher Grenzen für wirtschaftliche Aktivitäten erklärt, bedingt durch erstens weitgehende Liberalisierung von Güter-, Kapital-und Faktormärkten sowie zweitens technischen Fortschritt (, dritte industrielle Revolution'), insbesondere im Bereich der Informations-und Kommunikationstechniken. Daraus folgend werden weitreichende Konsequenzen diagnostiziert: Gesellschaften und Kulturen, die in der Vergangenheit sehr weit voneinander entfernt waren, rücken einander näher und vermischen sich. Die Bedingungen des wirtschaftlichen und politischen Handelns werden nicht mehr national, sondern weltumspannend -, global'-determiniert: „Die global agierende Wirtschaft untergräbt die Grundlagen der Nationalökonomie und der Nationalstaaten.“ Daraus wird geschlossen, daß der Wettbewerb der Nationen sich extrem verschärfe und für nationale Politik kein Raum mehr bleibe. „Die Macht des Geldes erhebt sich über die gesellschaftspolitische Macht des Staates und ersetzt den Gesetzgeber, den Willen des Volkes, durch sogenannte , Marktgesetze', die von niemandem verantwortet werden und für deren Auswirkungen niemand zur Rechenschaft gezogen werden kann.“
Den transnationalen Unternehmen wächst neue Macht zu: Sie können Arbeit dahin exportieren, wo die Kosten und Auflagen für den Einsatz der Arbeitskräfte möglichst niedrig sind. Darüber hinaus sind sie in der Lage, Produkte und Dienstleistungen zu zerlegen und arbeitsteilig an verschiedenen Orten der Welt zu erzeugen. Sie sind außerdem in der Position, Nationalstaaten oder eigene Produktionsstandorte gegeneinander aus-zuspielen und auf diese Weise einen „globalen Kuhhandel“ um die billigsten Steuer-und günstigsten Infrastrukturleistungen zu betreiben
Diese Diagnose ist allerdings nicht gerade neu, sie ist -in leicht modifizierter Form -bereits im Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 zu finden Nun sagt dies allerdings noch nichts darüber aus, ob bzw. in welchem Maße die mit der (neuen) Globalisierung verbundenen Ängste gerechtfertigt sind. Zunächst einmal sollen im folgenden kurz die faktischen Irrtümer der Globalisierungsdiskussion offengelegt werden 1. Das Welthandelsvolumen hat sich seit 1950 versechzehnfacht, während das Weltsozialprodukt sich verfünfeinhalbfacht hat. Das Weltexportvolumen ist von sieben auf fünfzehn Prozent gestiegen. Aber: 1950 ist ein Bezugsjahr, in dem der Welthandel auf einen Tiefpunkt gesunken war! Bereits zwischen 1880 und 1913 (!) hatte der Außenhandel von Ländern wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland einen Anteil am inländischen Sozialprodukt, der erst zwischen 1970 und 1990 wieder erreicht wurde. Und immer noch sind die Produkt-märkte selbst benachbarter Länder wesentlich voneinander abgegrenzt geblieben. 2. Vertraut man dem Eindruck, den die Medien vermitteln, müßte man zu dem Schluß kommen, daß zumindest für Kapital ein einheitlicher Weltmarkt vorhanden sein muß und das Kapital sofort dorthin fließt, wo sich auch nur marginal höhere Renditen erwirtschaften lassen. Aber auch hier gilt, daß ein globaler Kapitalmarkt noch nicht existiert. Es soll nicht bestritten werden, daß der Kapitalfluß über die nationalen Grenzen gestiegen ist, und zwar weitaus stärker, als das Sozialprodukt gewachsen ist. Dennoch weist der Kapitalmobilitätsindex momentan einen deutlich niedrigeren Wert auf als in den Perioden 1910 bis 1914 und 1950 bis 1954. Ein weiteres Indiz dafür, daß es keinen globalen Kapitalmarkt gibt, sind die relativ hohen realen Renditedifferenzen zwischen einzelnen Ländern. Wäre Kapital vollkommen mobil, müßten diese Differenzen weitestgehend verschwunden sein. Selbst bei den vielbeschworenen Direktinvestitionen im Ausland kann zwar konstatiert werden, daß diese vor allem seit den achtziger Jahren angestiegen sind, sie haben aber (in Relation zum jeweiligen inländischen Bruttoinlandsprodukt [BIP]) in vielen Industrieländern noch nicht einmal das Niveau des Jahres 1914 wieder erreicht (dies gilt für die Niederlande, Großbritannien, Frankreich und Deutschland). Was sich geändert hat ist, daß momentan wesentlich mehr Länder am internationalen Kapitalverkehr teilnehmen als jemals zuvor und die Brutto-Kapitalflüsse über die Ländergrenzen hinweg wesentlich höher sind (dies gilt insbesondere für Umsätze im Devisenhandel, die in 25 Jahren auf das Hundertfache gestiegen sind, und im Handel mit Aktien und Wertpapieren). 3. Trotz relativ großer Migrationsströme ist die weltweite Mobilität des Faktors Arbeit gering.
Nach Schätzungen der Internationalen Labour Organization (ILO) leben momentan etwa 80 Millionen Personen in Ländern, in denen sie nicht geboren sind. Zwei Faktoren haben großen und gegensätzlichen Einfluß auf Wanderungsbewegungen: die gesunkenen Reisekosten und die steigenden Einkommen in den Entwicklungsländern. Der erstgenannte Faktor erhöht, der zweite senkt die Arbeitsmobilität. Weiterhin muß konstatiert werden, daß Immigranten oft Arbeitsplätze einnehmen, welche die inländischen Arbeitnehmer nicht akzeptieren. So ist es auch nicht verwunderlich, daß die Zahl der Immigranten kaum einen Einfluß auf die Löhne niedrig qualifizierter Arbeitnehmer hat. 4. Ob der Staat handlungsfähig ist oder nicht, kann in erster Linie an seinen Einnahmen und Ausgaben abgelesen werden. Hier zeigt sich in diesem Jahrhundert ein stetig ansteigender Trend; der Anteil des Staates am BIP ist von 10 Prozent (1913) auf über 45 Prozent (1998) angestiegen. Entsprechend hoch sind die Steuersätze insbesondere bei der Einkommensteuer, aber -speziell in Deutschland -auch die Sozialversicherungsbeiträge.'Hier sind also keine Anzeichen einer Erosion der staatlichen Einnahmequellen aufgrund von Steuerflucht zu erkennen.
Daraus kann gefolgert werden, daß zwar die Volkswirtschaften näher zusammengerückt sind, daß sie aber weit entfernt davon sind, einen Weltmarkt zu bilden. Empirisch zumindest läßt sich das . Gespenst Globalisierung nicht nachweisen.
III. Ökonomik der Globalisierung
1. Das Prinzip vom komparativen Vorteil Die Fehlurteile über Globalisierung sollen mit ökonomischen Überlegungen im folgenden weiter abgebaut werden. Am Anfang steht zunächst die simple Frage: Warum wird eigentlich Außenhandel betrieben? Die Antwort darauf ist beinahe trivial:
Man exportiert Güter und Dienstleistungen, um andere Güter und Dienste importieren zu können.
Dies ist eine der einfachsten Methoden, den Wohlstand in den am Austauschprozeß beteiligten Staaten zu erhöhen. Schließlich nehmen die Staaten freiwillig am Außenhandel teil, niemand zwingt sie dazu. In der deutschen Wirtschaftspolitik hat man sich angewöhnt, den Export als Garant für Arbeitsplätze anzusehen. Dies ist ein neo-merkantilistisches Fehlurteil, das seine Basis im Vulgärkeynesianismus hat. Daher ist folgende Aussage kaum haltbar: „Der substitutive Handel exportiert Wissen (in Form von kapitalintensiven Produkten) und importiert Arbeitslosigkeit (in Form von arbeitsintensiven Produkten).“ Natürlich ist es richtig, daß die Exporte einen Teil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage darstellen. Sinken oder steigen sie plötzlich, hat dies kurzfristig Auswirkungen auf die Konjunktur, d. h., es kann ein Konjunktureinbruch bzw. ein Konjunkturaufschwung ausgelöst werden. Aber dies ist nur ein kurzfristiger Effekt; mittel-bis langfristig ist es völlig gleichgültig, woher die Nachfrage kommt. Entscheidend ist: Jedem Export von Waren muß auch irgendwann einmal ein Import gegenüberstehen, ansonsten verschenkt man seine Waren an das Ausland.
Außenhandel ist in erster Linie deshalb wohlfahrtssteigernd, weil er zu einer effizienteren internationalen Arbeitsteilung führt. Dies ist unmittelbares Ergebnis eines der wichtigsten Theoreme, die die Volkswirtschaftslehre zu bieten hat, des auf David Ricardo zurückgehenden Theorems der komparativen Kostenvorteile. Es lehrt, daß es nicht auf absolute Kostenunterschiede beim Handel ankommt: Daß die Lohnkosten in China nur einen winzigen Bruchteil der europäischen ausmachen, führt nicht dazu, daß die gesamte Produktion, die Arbeit einsetzt, nach China auswandert. Es kommt darauf an, welche Produkte in Europa bzw. China relativ kostengünstiger produziert werden. Dies kann dazu führen, daß Textilien überwiegend in China und Autos überwiegend in Europa produziert werden. Das Theorem impliziert ferner, daß die komparativen Kostenvorteile bei denjenigen Gütern liegen, für die hauptsächlich die relativ reichlich vorhandenen Inputfaktoren verwendet werden. Daraus resultierte die Arbeitsteilung zwischen den Ländern, auf der der Außenhandel letztlich basiert. 2. Inter- und intraindustrieller Handel Neben diesem statischen Effekt zeigt sich eine wichtige Entwicklungsdynamik beim Außenhandel: Der Außenhandel war anfangs interindustrieller Natur: Rohstoffreiche Länder lieferten Rohstoffe oder rohstoffintensive Produkte, fruchtbare Länder tauschten diese gegen Agrarerzeugnisse. Dies hat sich radikal geändert: Deutschland beispielsweise betreibt mittlerweile überwiegend intraindustriellen Handel. Autos werden in Deutschland produziert und z. B. nach Frankreich exportiert; Frankreich produziert aber ebenfalls Autos und exportiert diese u. a. nach Deutschland; d. h., mittlerweile werden zwischen entwickelten Ländern überwiegend Güter ausgetauscht, die man auch selbst herstellt -nur in einer etwas anderen Variante. Dies zeigt, daß mit der wirtschaftlichen Weiterentwicklung keineswegs der Handel aufhört. Genausowenig ist die These haltbar, daß weniger entwickelte Länder auf ewig nur arbeitsintensive Agrarprodukte exportieren können. Außenhandel stoppt nicht die wirtschaftliche Weiterentwicklung eines Landes, sondern unterstützt sie, wie die Empirie eindrucksvoll belegt
Der kritische Punkt der Globalisierung ist der Strukturwandel, der unvermeidbar mit ihr verbunden ist. Strukturwandel bedeutet, daß bestimmte Tätigkeitsbereiche bzw. Industrien in einem Land verschwinden, während andere an Bedeutung gewinnen und expandieren. Damit geht einher, daß es -zumindest kurzfristig -Globalisierungsgewinner und -Verlierer gibt. Gewinner sind diejenigen, deren Tätigkeitsbereiche expandieren, Verlierer die schrumpfenden Sektoren.
Hier wird wiederum die Unterscheidung in interbzw. intraindustriellen Handel wichtig. Bei interindustriellem Handel werden ganze Tätigkeitsbereiche in andere Länder verlagert, z. B. die Werften-und Stahlindustrie, während andere Bereiche, z. B. die chemische und die Computerindustrie, expandieren. Sowohl für die Eigentümer als auch für die Arbeitnehmer der verschwindenden Industrien ist dies schmerzlich, weil beide Gruppen über ihre Sach-und Humankapitalinvestitionen Ressourcen unwiederbringlich , versenkt'haben (man spricht daher auch von sunk costs). Das bedeutet, daß beide Gruppen diese Investitionen auf null abschreiben müssen. Dies trifft die Arbeitnehmer weitaus härter als die Anteilseigner, da die künftige Möglichkeit der Einkommenserzielung für die Arbeitnehmer viel stärker reduziert worden ist als für die Anteilseigner. Humankapital ist im Gegensatz zu Sachkapital an Personen gebunden. Personen aber werden älter, und damit sinken ihre Aussichten beträchtlich, von neuem Humankapital bilden und in dem verbleibenden Rest ihrer Erwerbsarbeitszeit amortisieren zu können. Diese Neuinvestitionen brauchen sie aber, wenn sie in den expandierenden Sektoren Beschäftigung finden wollen. Daher besteht hier tatsächlich sozial-und arbeitsmarktpolitischer Handlungsbedarf. Bei intraindustriellem Handel ist dies ganz anders. Hier ist der Strukturwandel wesentlich einfacher zu bewerkstelligen, und zwar in erster Linie deshalb, weil die in einem Unternehmen freigesetzten Arbeitnehmer ihre Qualifikation in der Regel nicht abschreiben müssen, sondern weiterverwerten können. Der Grund dafür ist die Tatsache, daß durch den Handel zwar einzelne Unternehmen aus dem Markt ausscheiden, nicht aber ganze Branchen wie bei interindustriellem Handel. Die entlassenen Arbeitnehmer können daher ohne Reinvestitionen in Humankapital in anderen Unternehmen relativ leicht wieder Beschäftigung finden.
Diese Unterschiede zwischen inter-und intraindustriellem Handel erklären, warum Ängste aufkommen, wenn weniger entwickelte Länder verstärkt auf den Weltmarkt treten und vor allem Industrieprodukte, d. h. Massenerzeugnisse, sehr günstig anbieten können. Man wirft dann diesen Ländern vor, daß sie Sozial- oder Ökodumping betreiben weil sie bei industriellen Massenerzeugnissen komparative Kostenvorteile erzielt haben. Dies sind die Auswirkungen des interindustriellen Handels. Die Ängste um die Arbeitsplätze in diesem Bereich sind begründet, denn die Industrie hat bereits in großem Umfang Arbeitsplätze abgebaut und wird dies in den nächsten Jahren weiter tun müssen. Es ist allerdings illusorisch zu glauben, daß dieser Prozeß aufzuhalten sei oder sich gar umkehren ließe. Es ist auch gar nicht sinnvoll, dies zu wollen. Wie andere Industrieländer bereits gezeigt haben, ist es besser, den Strukturwandel hinzunehmen und für eine Kompensation der Verlierer zu sorgen -und zwar aus den zusätzlichen Einkommen der Gewinner. (Solange es eine Besteuerung der Einkommen gibt, wird das teilweise automatisch der Fall sein. Die Globalisierungsgewinne durch den Strukturwandel dürften jedenfalls groß genug sein, um dies tun zu können, ohne den Gewinnern den gesamten Gewinn wegzunehmen.) Wie gezeigt, besteht wenig Anlaß zu der Befürchtung, daß die Globalisierung für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in den industrialisierten Ländern eine Gefahr sein könnte. Es bleibt daher zu fragen, warum die Globalisierungsdiskussion so vehement geführt wird. Mit dem Ziel diese Frage zu beantworten, soll im folgenden die politische Rationalität der Globalisierungsängste geprüft werden.
IV. Politische Rationalität der Globalisierungsdiskussion
1. Ansichten über Globalisierung Ein Überblick über die Literatur zur Globalisierung zeigt, daß eine Vielzahl von Ansichten innerhalb zweier Grundauffassungen vertreten wird: 1. Globalisierung als Phänomen stellt ein Problem dar:
-Globalisierung zwingt die Staaten dazu, zur Aufrechterhaltung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit ihre Staatseinnahmen und -ausgaben aneinander anzupassen.
-Infolge der Globalisierung droht ein race to the bottom, d. h. ein Herunterkonkurrieren von Leistungen des Staates und der sozialen Sicherung, der nur durch internationale Standards aufgefangen werden kann.
-Globalisierung führt zu einem Wettbewerb der Systeme und Standorte, der angenommen und als Chance begriffen werden muß.
2. Globalisierung als Phänomen stellt kein Problem dar: -Die Globalisierung ist nicht in der Lage, quantitativ oder qualitativ die Handlungsfähigkeit von Staaten in ökonomischer oder politischer Hinsicht zu beschränken. Keines der vorhandenen sozialen und ökonomischen Probleme kann durch Globalisierung erklärt werden.
-Die Globalisierungs-und Standortdebatte wird nur benutzt, um den Abbau von Sozialleistungen und -Standards sowie eine Umverteilung von unten nach oben durchzusetzen.
-Globalisierung bedeutet eine Verbesserung der weltweiten Arbeitsteilung und wird zu einer bedeutenden Erhöhung des weltweiten Wohlstands führen.
Die weiter oben präsentierten Ergebnisse lassen zunächst nur den Schluß zu, daß sich zumindest bisher weder die Befürchtungen der Kritiker noch die Hoffnungen der Befürworter der Globalisierung bestätigt haben. Zwar läßt sich nicht leugnen, daß die internationale Arbeitsteilung zugenommen hat, aber gravierende Auswirkungen konnten empirisch nicht nachgewiesen werden. Löst man sich erst einmal vom Schreckgespenst Globalisierung, kann man dahinter erstens große Ängste, zweitens politische Absichten und drittens das Streben nach Publicity erkennen. Die Ängste vorallem um den Arbeitsplatz bereiten den Boden, auf dem politische Absichten sich kaschieren und hohe Auflagen flott geschriebener Bücher erzielen lassen.
Um die Dynamik, die sich in den letzten Jahren mit dem Schlagwort der Globalisierung entwickelt hat, begreifen zu können, ist es hilfreich, die Rolle und die Motive der an dieser Diskussion beteiligten Parteien zu beleuchten. Dabei handelt es sich um das Publikum, das nicht nur die mittlerweile Legion gewordenen Werke über Globalisierung liest, sondern auch Wahlen entscheidet, die Verfasser der Globalisierungsbücher, die verantwortlichen Politiker, die sich an dieser Diskussion beteiligen, und die Wirtschaftswissenschaftler, die diesem Phänomen in der Mehrheit eher gelassen gegenüberstehen. 2. Globalisierung in der politischen Diskussion Über das Phänomen der Globalisierung liegt eine Fülle von vor allem populärwissenschaftlicher Literatur vor. Das heißt, es wird den Lesern leicht gemacht, der Argumentation der Verfasser zu folgen, ohne sich dabei übermäßig anzustrengen oder zu langweilen. Zugleich bekommen sie das Gefühl vermittelt, sich politisch weiterzubilden. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn die Ausführungen auf einer fundierten ökonomischen Analyse beruhten. Leider ist dem nicht so. Statt dessen tritt an die Stelle einer Analyse die Warnung vor einer fremden, unbestimmten Macht.
Diese Vorstellung, im Zeichen der Globalisierung einer externen Macht unterworfen zu sein, befreit von der Notwendigkeit, die Verantwortung für das eigene Schicksal zu übernehmen; das Gesetz des Handelns ist dem einzelnen aus der Hand genommen. Die gesichtslosen Mächte der Globalisierung, die anonymen Kräfte entfesselter Märkte sowie das namenlose internationale Spekulationskapital können für die eigene politische und ökonomische Misere verantwortlich gemacht werden, ohne daß man einen direkten angreifbaren Gegner ausmachen kann. Die Lösung der Probleme liegt damit nicht in einer Veränderung der eigenen Handlungsmuster, sondern darin, sich vor einem nicht greifbaren Phänomen -einem Phantom -zu schützen. Mit welchem Fetisch man die Mächte der Globalisierung auszutreiben gedenkt, ist dann lediglich eine Frage der jeweiligen Position und politischen Präferenzen.
Diese Überlegungen helfen vielleicht, die Rolle der Politiker im Gerangel um die Globalisierung zu klären: Die Globalisierung liefert die , passende Entschuldigung'für ökonomische und politische Probleme, die man mit den Mitteln der Politik bisher nicht lösen konnte. Das liegt jedoch nicht daran, daß sie nicht lösbar sind, sondern ist vor allem in dem Dilemma begründet, daß Politiker wiedergewählt werden wollen. Und hier liegt auch die Ursache dafür, daß Protektionismus und Neomerkantilismus -Ideen aus längst vergangenen Jahrhunderten -selbst in entwickelten Industrie-gesellschaften noch untergründig als mögliche Leitlinie angesehen werden. 3. Politökonomische Probleme der Globalisierung Wie bereits erwähnt, gibt es im Zuge einer stärkeren Einbindung eines Landes in die internationale Arbeitsteilung sowohl Gewinner als auch Verlierer. Das Problem liegt dabei in der Asymmetrie der Organisierbarkeit der Interessen der Gewinner und Verlierer der Globalisierung und in der unterschiedlichen Zurechenbarkeit der Gewinne und Verluste.
Während die Verluste in der Regel unmittelbar festgemacht und die Verlierer benannt werden können, ist dies bei den Gewinnen und Gewinnern der Globalisierung nicht ohne weiteres möglich. Ein Großteil der Gewinne fällt in Form steigender Wachstumsraten des Sozialproduktes und sinkender Preise an. Hinzu kommt, daß diese Effekte nicht unmittelbar eintreten, für den einzelnen kaum fühlbar und darüber hinaus auch mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sind. Man kann folglich nicht erwarten, daß der „normal“ informierte Bürger für eine außenwirtschaftliche Liberalisierung eintreten wird. Weder die sinkenden Preise für bestimmte Güter noch der neue Arbeitsplatz werden vom einzelnen auf die Zunahme der Arbeitsteilung zurückgeführt. Die kurzfristigen negativen Beschäftigungseffekte infolge des Strukturwandels treten hingegen unmittelbar in den davon betroffenen Branchen zu Tage. Sie betreffen die dortigen Beschäftigten direkt und werden von ihnen mit dem Auftreten ausländischer Konkurrenz in Verbindung gebracht.
Daher taugt die Globalisierungsdiskussion vor allem zur Verteidigung des Status quo. Die Alternative wäre aber, die Globalisierung (d. h. die Zunahme der weltweiten Arbeitsteilung) zuzulassen und einen Teil der so erreichbaren Gewinne den Verlierern zur Verfügung zu stellen. Doch dies müßte auch politisch umgesetzt werden. Zusammenfassend kann man sagen, daß die Diskussion um die Globalisierung den Politikern dazu dient, die Verantwortung für Probleme im Inland nach außen zu verlagern. Zudem läßt sich unter dem Deckmantel der , Globalisierung'das eigene politische Programm etablieren; Globalisierung -oder der Kampf gegen dieses Phänomen -wird als Transportmittel eigener politischer Interessen genutzt. Globalisierung als politischesPhänomen kann letztlich als Metapher zur Erzielung von Konsens unter den Wählern gesehen werden. Für die Wähler ist die Verwendung des Begriffes der Globalisierung bequem. Da der Ertrag eines rationalen Wahlverhaltens in einem ungünstigen Verhältnis zu den damit verbundenen Informationskosten steht, ist es verständlich, daß sie sich auf vorliegende Urteile über Globalisierung verlassen. 4. Die Rolle der Wissenschaft Die Autoren populärwissenschaftlich geschriebener Bücher zum Thema Globalisierung bedienen die Wünsche der Politiker und der Wähler nach einer einfachen, leicht lesbaren Analyse dieses Phänomens -im Sinne der jeweiligen politischen Ideologie. Eine komplexe Welt mit verwirrenden, teils widersprüchlichen Phänomenen wird auf Denkschablonen reduziert und erlaubt es dem Leser, sein Weltbild wieder zu schließen. Auffällig ist, daß fast alle auf dem Markt befindlichen Bücher zur Globalisierung nicht von Ökonomen geschrieben wurden, sondern von Fachfremden: von Juristen, Ingenieuren, Politologen, Soziologen und Physikern.
In diesen Büchern werden Theorien, die in den letzten hundert Jahren ausgefeilt und empirisch überprüft wurden, in einem Absatz als falsch „entlarvt“, Axiome und Theoreme, auf denen eine ganze Wissenschaft seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar Jahrhunderten aufbaut, mit einem Federstrich für irrelevant und abwegig erklärt; und mit Argumenten, die einer empirischen und theoretichen Überprüfung oft nicht standhalten, werden einfache grundlegende Tatbestände geleugnet. Dabei baut die Argumentation der Globalisierungskritiker zumeist auf Einzelbeispielen auf, auf deren Basis dann umstandslos generalisierende Schlüsse gezogen werden, wobei in der Regel wichtige ökonomische Zusammenhänge und Erklärungsmechanismen ignoriert werden. Diese Methode erweist sich als recht überzeugend, gerade aufgrund der Schlichtheit der Argumente.
Bleibt zum Abschluß noch, ein Wort über die Rolle der Wirtschaftswissenschaften zu verlieren: Diesen kommt in der Globalisierungsdiskussion bisher allenfalls die Rolle des „Buhmanns“ zu.der blind für soziale Belange und dem Irrglauben funktionierender Märkte verfallen ist. Der Grund dafür, weshalb sich Ökonomen an der Globalisierungsdiskussion nicht beteiligen, liegt auf der Hand: Für sie bedeutet Globalisierung in erster Linie eine Zunahme der Arbeitsteilung und wird damit positiv beurteilt. Die Folgen von Außenhandel und Faktorwanderungen erfordern -überspitzt formuliert -aus ökonomischer Sicht keine weitere Diskussion. Hinzu kommt der Umstand, daß viele der in der Globalisierungsdiskussion geäußerten Argumente aufgrund ihrer -vorsichtig ausgedrückt -Fragwürdigkeit Ökonomen keinen Anlaß geben, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Oder -um es drastischer zu sagen: Die meisten Globalisierungsbücher werden von Ökonomen einfach nicht ernst genommen.
Doch dies könnte ein strategischer Fehler sein: Die Diskussion um die Zukunft der internationalen Arbeitsteilung ist zu wichtig, als daß man das politische Feld kampflos ökonomischen Laien und politischen Propagandisten überlassen dürfte. Ökonomie ist als Wissenschaft kein Selbstzweck, sondern soll der Wohlfahrt der Bürger aller Nationen dienen. Ihre Erkenntnisse bleiben jedoch ohne Wohlfahrtseffekte, solange sie nicht in die Politik und das Bewußtsein der Bevölkerung getragen werden. Insofern muß die Aufgabe der Ökonomen für die Zukunft auch darin gesehen werden, in der Globalisierungsdiskussion Position zu beziehen, den zahlreichen Fehlurteilen über Globalisierung entschlossen entgegenzutreten und Aufklärungsarbeit zu leisten.