I. Einleitung
Die Bundesrepublik Deutschland ist faktisch zum Einwanderungsland geworden; dies wird heute von niemandem mehr bestritten. Deutschland weist heute mit ca. 7, 3 Millionen Ausländern und einem Bevölkerungsanteil von 8, 9 Prozent an der Gesamtbevölkerung mit den höchsten ausländischen Bevölkerungsanteil aller großen europäischen Staaten auf Insgesamt liegt zwar die Bundesrepublik Deutschland mit diesem Bevölkerungsanteil auf Platz vier in Europa, dabei ist aber zu beachten, daß die europäischen Staaten mit größerem Ausländeranteil, d. h. insbesondere Luxemburg und die Schweiz, insoweit nur schwer mit Deutschland vergleichbar sind. Gegenüber 1986 bedeutet das einen Anstieg von 4, 5 Millionen auf heute 7, 3 Millionen Ausländer. Jeder 11. Einwohner der Bundesrepublik Deutschland ist also nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Das scheint nicht allzuviel, ist aber doch beträchtlich, wenn man den kurzen Zeitraum bedenkt, in dem sich diese Entwicklung vollzogen hat und zugleich die Relation zu den großen EU-Nachbarstaaten Frankreich, Großbritannien und Italien einbezieht. Insgesamt läßt sich sagen, daß Deutschland das mit Abstand bedeutendste europäische Einwanderungsland geworden ist. Europäische Ausländer-und Asyl politik ist daher von elementarer Bedeutung für Deutschland.
Die wichtigste Gruppe der in Deutschland lebenden Ausländer sind die türkischen Staatsangehörigen, die mit 2, 08 Millionen weit vor allen anderen Personengruppen liegen und auch die EG-Freizügigkeitsberechtigten aus allen EU-Staaten zahlenmäßig erheblich übertreffen. Ein großer Teil der heute im Bundesgebiet lebenden Ausländer ist in den sechziger Jahren aufgrund der Anwerbevereinbarungen Deutschlands mit der Türkei, Jugoslawien, Italien und anderen Ländern nach Deutschland gekommen. Viele sind als Angehörige der Anwerbegeneration im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland eingereist oder bereits in Deutschland geboren. Die Statistik zeigt, daß von den 2, 1 Millionen türkischer Staatsangehöriger die weitaus größte Zahl sich schon sehr lange im Bundesgebiet aufhält. Fast zwei Drittel aller türkischen Staatsangehörigen leben schon zehn Jahre und länger in der Bundesrepublik
Insgesamt sind 21, 7 Prozent aller Ausländer bereits in Deutschland geboren; von der Altersgruppe der bis unter Achtzehnjährigen sind es 1, 11 Millionen oder 65, 4 Prozent, bei den unter Sechsjährigen gar 87, 5 Prozent. Knapp zwei Drittel aller Migrantenkinder unter 18 Jahren sind bereits hier geboren und besuchen die Schule.
Der langen Aufenthaltsdauer entspricht, daß die meisten türkischen Staatsangehörigen mittlerweile einen gesicherten Aufenthaltsstatus erworben haben, nämlich Ende 1996 insgesamt über eine Million eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung und ca. 271 000 eine befristete Aufenthaltsberechtigung Ähnliches gilt für die Ausländer aus anderen Anwerbestaaten.
Die Probleme, die sich aus der allzu raschen und im wesentlichen unkontrollierten Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zum Einwanderungsland ergeben haben, sind bekannt und Gegenstand zahlreicher Studien und Aufsätze Als Stichworte seien lediglich erwähnt: der hohe Anteil der Ausländer an der Arbeitslosigkeit mit 18, 9 Prozent im Jahre 1998, die weit überproportionale Abhängigkeit von Ausländern mit 22, 9 Prozent als Empfänger von der Sozialhilfe der deutlich geringere Anteil ausländischer Jugendlicher an qualifizierender schulischer und beruflicher Bildung und schließlich die vielfach zum Gegenstand politischer Patentrezepte gewordene hohe Beteiligung bestimmter Gruppen von Ausländern und insbesondere jugendlicher Ausländer an Drogen-und Gewaltdelikten sowie schwerer Kriminalität Überzeugende Konzepte zur Lösung der hieraus entstandenen Probleme sind bislang nicht ersichtlich. Weder das Ausländerrecht noch die Ausländerpolitik haben mit dieser Entwicklung Schritt gehalten. Nicht etwa, daß nicht zahlreiche differenzierte Regelwerke geschaffen worden wären, die die Rechtsstellung der verschiedenen Ausländerkategorien der Asylbewerber (AsylVfG), der Kontingentflüchtlinge (Kontingentflüchtlingsgesetz) und der EG-Freizügigkeitsberechtigten (EWG-Aufenthaltsgesetz) geregelt hätten. Das Ausländergesetz von 1990 weist gegenüber dem Ausländergesetz von 1965 zahlreiche differenzierte Regelungen für Familienangehörige, jugendliche Ausländer, humanitäre Flüchtlinge usw. auf. Das Ausländergesetz von 1965 hatte sich demgegenüber noch im wesentlichen mit einer Generalklausel zur Regelung des Aufenthaltsrechts aller Ausländer unter Hinweis auf den Begriff der „Belange der Bundesrepublik Deutschland“ begnügt.
II. Zentrale Punkte der ausländer-politischen Reformdiskussion
1. Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts Eines der emotionalsten rechtspolitischen Themen des deutschen Ausländer-und Staatsangehörigkeitsrechts betrifft den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht, das auf dem -mittlerweile vielfach geänderten -Reichs-und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 basiert, knüpft im Grundsatz an das Abstammungsprinzip an. Deutscher Staatsangehöriger wird, wer entweder von der Mutter oder dem Vater die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt. Dabei kommt es schon jetzt häufig zu doppelten Staatsangehörigkeiten -dann nämlich, wenn Vater und Mutter unterschiedlicher Staatsangehörigkeit sind, was in der Bundesrepublik Deutschland bei über 50 000 gemischtnationalen Eheschließungen pro Jahr immer häufiger der Fall ist. Daneben kann ein Ausländer eingebürgert werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, wie z. B. eine bestimmte Aufenthaltsdauer, die Fähigkeit, den Lebensunterhalt zu sichern und die strafrechtliche Unbescholtenheit. Mit dem Ausländergesetz von 1990 und einer nachfolgenden Änderung von 1993 sind Einbürgerungsansprüche ins Gesetz aufgenommen worden. Einen Anspruch haben insbesondere junge Ausländer, die nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 23. Lebensjahrs die Einbürgerung beantragen, wenn sie seit acht Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, sechs Jahre im Bundesgebiet eine Schule besucht haben und nicht wegen einer Straftat verurteilt worden sind.
Entsprechendes gilt für Ausländer, die seit 15 Jahren rechtmäßig ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. In beiden Fällen ist grundsätzlich Voraussetzung, daß die bisherige Staatsangehörigkeit aufgegeben wird. Von diesem Grundsatz werden allerdings eine ganze Reihe von Ausnahmen gemacht, so insbesondere, wenn ein Heimatstaat die Entlassung verweigert, nicht in angemessener Zeit über den Entlassungsantrag entscheidet oder -was insbesondere für jugendliche Ausländer wichtig ist -wenn der Heimatstaat die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit von der Leistung des Wehrdienstes abhängig macht und wenn der Ausländer den überwiegenden Teil seiner Schulausbildung in deutschen Schulen erhalten hat und im Bundesgebiet in deutsche Lebensverhältnisse und in das wehrpflichtige Alter hineingewachsen ist
Nun wird seit langem argumentiert, daß diese Regelungen unzureichend seien. Sie führten nämlich dazu, daß einer großen Zahl von Ausländern, und insbesondere der in der Bundesrepublik aufgewachsenen Ausländergeneration, eine volle Integration in das politische Leben vorenthalten bleibe, sofern sie nicht bereit seien, sich von ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit zu lösen, oder aus anderen Gründen die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Einbürgerungsgesetzgebung in anderen europäischen Staaten, in der -im einzelnen unterschiedlich -den Nachfahren der im „ursprünglichen Gaststaat“ geborenen Einwanderer ein gesetzliches Aufenthaltsrecht kraft des „ius soli“ gegeben und auf diese Weise das Abstammungsprinzip mit den einwanderungspolitischen Realitäten in Einklang gebracht würde. In der Tat ist es richtig, daß nicht nur in den angelsächsischen Ländern, sondern auch in Frankreich, den Niederlanden und anderen EU-Staaten ein erheblich größerer Prozentsatz von Personen die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates entweder durch gesetzliche Staatsangehörigkeitsverleihung kraft ius soli oder Einbürgerung erlangt, als dies in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist.
Ein Kernpunkt der deutschen Diskussion ist häufig die Frage der Mehrstaatigkeit gewesen, während in anderen westeuropäischen Staaten sehr viel intensiver die Voraussetzungen für die Integration diskutiert worden sind; die Frage der Aufgabe oder Beibehaltung der alten Staatsangehörigkeit ist eher als nebensächlich angesehen worden oder wird jedenfalls nicht als zentrales Problem der Staatsangehörigkeitsreform angesehen. Gegen eine Zulassung der Doppelstaatigkeit, wie dies zum Teil in anderen europäischen Ländern der Fall ist, wird vor allem die Gefahr gewisser Loyalitätskonflikte, der Rechtsunsicherheit im internationalen Schutz und bei der Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge und einer Unvereinbarkeit mit dem Integrationskonzept geltend gemacht. Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit solle -so im wesentlichen die Argumentation der Gegner einer doppelten Staatsangehörigkeit -im Anschluß an eine vollzogene Integration stattfinden. Davon könne man nicht sprechen, wenn ein Ausländer nicht bereit sei, sich aus den Bindungen seines bisherigen Heimatstaates zu lösen
In der Praxis haben sich freilich aus der doppelten Staatsangehörigkeit keine unlösbaren Probleme ergeben. Wenn sich in vielen westeuropäischen Immigrationsländern der Grundsatz einer verstärkten Mehrstaatigkeit für die eingewanderten Wanderarbeitnehmer und ihre Kinder durchgesetzt hat, so beruht dies auf einer veränderten Einschätzung der Funktion der Staatsangehörigkeit als Abgrenzungs-und Zuordnungskriterium in den internationalen Beziehungen. Die Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, die internationale Kommunikation und eine wachsende Transnationalisierung aller Lebensbereiche lassen auch das Staatsangehörigkeitsverständnis nicht unbeeinflußt. Die Abgrenzungsfunktion tritt zugunsten der Bedeutung der Staatsangehörigkeit als Zugehörigkeit zu einem politischen Gemeinwesen in den Hintergrund.
Das erleichtert es, die Frage von Loyalität und nationaler Identifikation differenzierter zu beantworten, als dies mit der Formel von der ungeteilten Loyalität, die nur einem Staat gegenüber geschuldet werden kann, der Fall ist. Loyalität als Ausdruck der Zugehörigkeit zu einem Staatsvolk ist in der sozialen und politischen Realität insbesondere der eingewanderten Ausländer und ihrer Abkömmlinge ein komplexes Phänomen. Die doppelte Staatsangehörigkeit spiegelt diese Komplexität genauer wider als ein eindimensionales Loyalitätsverständnis. Gleichzeitig macht sie es möglich, sich auch mit dem Staat, in dem man dauerhaft lebt, voll zu identifizieren und die mit der Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte und Pflichten zu übernehmen, ohne die überkommenen Bindungen aufzugeben.
Die beschriebenen Veränderungen bedeuten nicht, daß die Staatsangehörigkeit ihre Funktion als zentrales Zuordnungskriterium in den internationalen Beziehungen im „postnationalen“ Zeitalter verliert. Wenn emphatische Befürworter doppelter Staatsangehörigkeit davon schwärmen, sie könnten sich vorstellen, überall in der Welt zu leben, und jeder sollte möglichst drei, vier oder mehr Staatsangehörigkeiten besitzen, so verkennt dies ebenso die Realitäten wie das eindimensionale Loyalitätsverständnis. Der Nationalstaat ist nach wie vor trotz aller Globalisierung und Internationalisierung der zentrale Anknüpfungspunkt für die Zugehörigkeit eines Menschen zu einer Gemeinschaft, für die Frage der Verantwortlichkeit und Solidarität und für die internationale Schutzausübung. Selbst im europäischen Rahmen ist die Unionsbürgerschaft bislang nicht viel mehr als ein Konglomerat verschiedener Rechte, das die Staatsangehörigkeit nicht ersetzen kann. Staatsangehörigkeit bleibt daher der völkerrechtliche und staatsrechtliche Ausdruck für ein umfassendes Rechtsverhältnis zwischen Bürger und staatlicher Gemeinschaft mit gegenseitigen Rechten und Pflichten.
Dies setzt dem Konzept der doppelten Staatsangehörigkeit immanente Grenzen. Nur soweit sie in der Realität eine Zugehörigkeit zu mehreren politischen Gemeinschaften reflektiert, ist ihre Aner5 kennung legitim. Doppelte Staatsangehörigkeit ist daher nicht konzipiert, um Steuer-und Unterhaltspflichten oder strafrechtlicher Verfolgung zu entgehen. Sie ist auch kein Vehikel zur Einführung des multikulturellen Weltbürgers. Ihre Rechtfertigung erhält sie nur aus der Notwendigkeit, eingewanderten Ausländern und ihren Kindern Gleich-behandlung bei politischen Rechten einzuräumen und gleichzeitig ihrer besonderen Befindlichkeit Rechnung zu tragen.
Doppelte Staatsangehörigkeit birgt daher Risiken, aber sie bringt auch Vorteile mit sich. Insbesondere ermöglicht sie es, die auch im deutschen Interesse liegende Zugehörigkeit der eingewanderten Ausländer zu Deutschland und zu seinem politischen System in politische Mitwirkungsrechte umzuwandeln und damit die Voraussetzungen für eine aktive und verantwortungsvolle Teilnahme am politischen Prozeß zu schaffen. Risiken liegen insbesondere darin, daß unter Umständen politische Mitwirkungsrechte kumuliert ausgeübt werden können, ohne daß Doppelstaater in gleicher Weise die daraus folgenden Konsequenzen zu tragen haben. Eher vernachlässigen können wird man dagegen die Probleme, die sich im Hinblick auf die Wehrpflicht und den diplomatischen Schutz ergeben. In der Praxis ergeben sich hieraus jedenfalls keine nennenswerten Konflikte. Das schließt nicht aus, daß in Krisenzeiten auch Konfliktsituationen entstehen können, die Doppelstaater vor gewisse Loyalitätskonflikte stellen. Letztlich handelt es sich aber hier um kein spezifisches Problem der doppelten Staatsangehörigkeit, sondern um eine Konsequenz der seit mehreren Jahrzehnten anhaltenden starken Immigration in alle westeuropäischen Staaten. Im übrigen kann von einer ungerechtfertigten Privilegierung schon deshalb keine Rede sein, weil deutsche Mehrstaater alle mit der deutschen Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte und Pflichten in gleicher Weise wie jeder andere Deutsche besitzen.
Der am 21. März 1999 in die erste Lesung verabschiedete Entwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts sieht -basierend auf dem „Optionsmodell“ der F. D. P. -eine Einführung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt im Inland vor. Danach erwirbt ein Kind ausländischer Eltern durch die Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil erstens seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und zweitens eine Aufenthalts-berechtigung oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt.
Ein Deutscher, der danach die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat und zugleich eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt, hat jedoch mit Erreichen der Volljährigkeit zu erklären, ob er die deutsche oder die ausländische Staatsangehörigkeit behalten will. Erklärt er, daß er die ausländische Staatsangehörigkeit behalten will, oder gibt er keine Erklärung bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres ab, so geht die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. Erklärt er, daß er die deutsche Staatsangehörigkeit behalten will, so ist er verpflichtet, die Aufgabe oder den Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit nachzuweisen. Gelingt dieser Nachweis bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres nicht, so geht die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, sofern keine Beibehaltungsgenehmigung erteilt worden ist. Es ist davon auszugehen, daß zukünftig in einer großen Zahl von Fällen eine Beibehaltungsgenehmigung erteilt werden wird, da hierauf ein Rechtsanspruch bereits dann besteht, wenn die Aufgabe oder der Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit nicht möglich oder nicht zumutbar ist oder im Falle einer Einbürgerung nach Maßgabe von § 87 des Ausländergesetzes Mehrstaatigkeit hinzunehmen wäre oder hingenommen werden könnte.
Die große politische Attraktivität des „Optionsmodells“ liegt darin, daß dem zentralen Einwand der Gegner der Mehrstaatigkeit, die Reform führe dauerhaft zu einem „Zweiklassenvolk“, bestehend aus den privilegierten Doppelstaatern mit doppelten politischen Rechten und zweifelhafter Loyalität und den „Nurdeutschen“, die allein auf Deutschland angewiesen seien, die Spitze genommen wird. Durch die zeitlich bis zur Erreichung des Volljährigkeitsalters hinausgeschobene Erklärungspflicht wird einerseits von Anfang an eine völlige rechtliche Gleichstellung der im Inland geborenen Kinder ausländischer Eltern, die sich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten, erreicht.
Andererseits wird ihnen, wie auch anderen Ausländern, die eingebürgert werden wollen, eine Entscheidung für oder gegen die deutsche Staatsangehörigkeit abverlangt, wenn sie das Alter erreicht haben, in dem sie eigenverantwortlich über ihre dauernde Zugehörigkeit zum deutschen Staatsvolk entscheiden können.
Der kritische Punkt des Optionsmodells liegt . weniger in verfassungsrechtlichen Hürden als in administrativen Problemen, die sich freilich erst dann ergeben, wenn die Option ausgeübt werden muß und mangels des Verlusts der anderen Staatsangehörigkeit die Frage auftaucht, ob und unter welchen Voraussetzungen ein deutscher Doppelstaater seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat oder ob der Verlust nicht deshalb ausscheidet, weil ihm die Aufgabe der anderen Staatsangehörigkeit nicht zumutbar war. Probleme könnten sich auch hinsichtlich der Systemgerechtigkeit der Regelung ergeben. Die mit der Geburt erworbene Doppelstaatigkeit begründet den vollen Status als Deutscher. Also erwerben auch die Kinder der zeitlich befristeten „Optionsdeutschen“ die volle deutsche Staatsangehörigkeit und die Staatsangehörigkeit der Eltern, während die Eltern sie mit dem Eintritt der Optionspflicht möglicherweise verlieren. Auch könnte man die Frage aufwerfen, ob den in Deutschland geborenen Kindern eine Integrationsentscheidung durch Option abverlangt werden darf, während bei anderen Doppelstaatern, die die deutsche Staatsangehörigkeit kraft Abstammung von einem deutschen Elternteil erlangen, dauerhaft die Mehrstaatigkeit akzeptiert wird. Freilich dürfte hier ein sachlicher Unterscheidungsgrund darin liegen, daß im einen Fall an die Abstammung von einem deutschen Elternteil angeknüpft wird und dabei idealtypisch von einem höheren Integrationsgrad ausgegangen werden kann, während bei der Geburt im Inland es zumindest nicht von vornherein als sachwidrig angesehen werden kann, hier eine besondere Entscheidung mit Erreichen der Volljährigkeit zu verlangen. Verfassungsrechtlich liegen die zentralen Fragen bei Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz, der kategorisch die Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit verbietet.
Historisch hat das Grundgesetz damit auf die nationalsozialistische Ausbürgerungsgesetzgebung reagiert. Bewußt ist der Staatsangehörigkeitsstatus als unentziehbar ausgestaltet worden. Hier wie in einer Reihe anderer Punkte ist das Grundgesetz deutlich über die Garantie vergleichbarer anderer Verfassungen hinausgegangen. Zugelassen ist freilich ein Verlust aufgrund eines Gesetzes auch gegen den Willen des Betroffenen, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird. Also muß die Frage beantwortet werden, ob der im Entwurf vorgesehene Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit für den Doppelstaater, der entweder gar nichts oder nur Unzureichendes unternimmt, um seine bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben, verfassungsrechtlich eine „Entziehung“ oder einen Verlust darstellt.
Einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts folgend, definiert man Entziehung zumeist als einen Verlust, den der Betroffene nicht beeinflussen oder vermeiden kann. Mit dieser Begründung hat das Bundesverfassungsgericht den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, wenn ein Deutscher auf Antrag eine ausländische Staatsangehörigkeit erwirbt, für verfassungsmäßig erklärt.
Daß die Sachlage beim Optionsmodell wesentlich komplizierter ist, liegt auf der Hand. Unter welchen Voraussetzungen kann ein in Deutschland aufgewachsener Doppelstaater den Verlust vermeiden, ist also die Nichtaufgabe seiner anderen Staatsangehörigkeit ein Ausdruck seiner freien Willensentscheidung?
Der Entwurf versucht, dieses Problem dadurch zu lösen, daß der Eintritt des Verlusts von einer behördlichen Entscheidung über die Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung abhängig gemacht wird. Sie beruht auf einer Prüfung, ob in Anlehnung an das geltende Einbürgerungsrecht Ausnahmesituationen vorliegen, in denen die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit nicht verlangt werden kann. So zum Beispiel, wenn die Forderung nach Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit eine „unzumutbare Härte“ bedeuten würde oder wenn der Heimatstaat die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit willkürhaft versagt oder über den vollständigen und formgerechten Entlassungsantrag nicht in angemessener Zeit entschieden hat.
Ein grundsätzliches Problem bei der Übertragung dieser Zumutbarkeitstatbestände liegt darin, daß sie stark von Wertungen und Interpretationsspielräumen abhängen. Bei der Frage, ob jemand eingebürgert werden kann, ist das unproblematisch. Nun wird aber der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit vom Vorliegen dieser Tatbestände abhängig gemacht und damit im Einzelfall die deutsche Staatsangehörigkeit nicht selten Gegenstand einer von unbestimmten Rechtsbegriffen und Wertungen abhängigen Prüfung. Unter Rechtssicherheitsgesichtspunkten ist es nicht unproblematisch, die Staatsangehörigkeit von unterschiedlich auslegbaren Zumutbarkeitskriterien abhängig zu machen. Ist es z. B. einer deutsch-iranischen Doppelstaaterin zumutbar, ein Paßbild mit Kopftuch als Bestandteil eines formgerechten Entlassungsantrags vorzulegen? Oder kann sich ein Doppelstaater weigern, eine Entlassungsgebühr zu entrichten? Freilich gibt es auch sonst im Staatsangehörigkeitsrecht unbestimmte Rechtsbegriffe, von deren Auslegung der Erwerb oder der Fortbestand der Staatsangehörigkeit abhängig ist. Eine Verfassungswidrigkeit wird sich daher nicht aus der Notwendigkeit richterlicher Konkretisierung ableiten lassen.
Verfassungsrechtlich liegt aber gerade der Unterschied zwischen unzulässiger Entziehung und zulässigem Verlust darin begründet, ob es der Doppelstaater selbst in der Hand hat, den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit abzuwenden. Dies wird man bejahen können, da der Entwurf durch eine Reihe von Ausnahmeregelungen sicherstellt, daß ein Verlust tatsächlich nur dann eintreten kann, wenn eine freie Willensentscheidung für oder gegen die deutsche Staatsangehörigkeit möglich ist.2. Die Diskussion um ein Einwanderungsgesetz In den letzten Jahren ist verstärkt von mehreren im Bundestag vertretenen Parteien, u. a.der SPD, der F. D. P. und den Grünen, ein Einwanderungsgesetz gefordert worden. Grundgedanke dieser Forderungen ist, daß an die Stelle der bisherigen Leitlinie: „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ eine zielgerichtete Steuerung der Einwanderung anhand von Quoten für bestimmte Kategorien von Einwanderern treten soll, ggf. gekoppelt mit einer Gesamtbegrenzung der Zuwanderung von Ausländern ins Bundesgebiet. Ein weiteres Ziel der Entwürfe ist die Integration der im Bundesgebiet lebenden Ausländer. Mit der Schaffung eines Zu-oder Einwandererstatus sollen die Rechte und Pflichten der Zuwanderer geregelt werden. Ihnen soll damit Sicherheit über das sie erwartende Integrationsprogramm und die damit verknüpften Integrationserwartungen bis zur Einbürgerung gegeben werden. Zu diesem Zweck erhalten sie Ansprüche auf Integrationshilfen, gesicherte Aufenthaltsrechte und Einbürgerungsansprüche.
Ein Einwanderungsgesetz ist jedenfalls insoweit, als damit eine Zuwanderung ins Bundesgebiet über Quoten geregelt werden soll, illusionär. Im besten Fall wird es sich um Regelungen handeln, die außer einer großen Bürokratie keine praktische Bedeutung haben werden. Im schlimmsten Fall wird durch die Schaffung eines Einwanderer-status der falsche Eindruck erweckt, Deutschland öffne sich für Einwanderer jeder Art und ermögliche damit -ähnlich wie die klassischen Einwanderungsländer USA, Kanada und Australien im letzten Jahrhundert -eine Einwanderung. Tatsächlich wird, ob mit oder ohne Einwanderungsgesetz, über Familiennachzug, Aufnahme von Flüchtlingen und EG-Freizügigkeit insbesondere aus den neu in die Europäische Union eintretenden Staaten eine beträchtliche Zuwanderung zum Zweck wirtschaftlicher Tätigkeit nach Deutschland stattfinden, ohne daß dies gesetzlich geregelt oder gar verhindert werden könnte. Ein Bedarf für eine Zuwanderung zum Zweck der Erwerbstätigkeit ist auf absehbare Zeit angesichts der hohen Arbeitslosenquote in Deutschland wie in den anderen westeuropäischen Nachbarstaaten nicht zu erkennen. Fraglich ist auch, ob sich das Ziel einer besseren Steuerung der Zuwanderung mit den vorgeschlagenen Instrumenten der Quotenfestsetzung und der Schaffung eines Einwanderungsstatus erreichen läßt. Der Hauptgrund hierfür ist, daß die rechtlichen und politischen Spielräume nicht zuletzt aufgrund der EG-rechtlichen Vorgaben in Wahrheit erheblich geringer sind, als es für eine substantielle Steuerung und Begrenzung weiterer Zuwanderung erforderlich wäre. Deutschland ist heute nicht mehr in der gleichen Situation wie vor 40 Jahren, als für eine rasch expandierende Volkswirtschaft ständig neue Arbeitskräfte gebraucht wurden. Eine stärker an wirtschaftlichen Vorgaben orientierte Auswahl von Zuwanderern müßte entweder in die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen eingreifen und z. B.den Familiennachzug, die humanitäre Aufnahme von De-facto-Flüchtlingen oder das vorläufige Anwesenheitsrecht von Asylbewerbern einschränken. Hierzu sind aber auch die Befürworter einer Einwanderungsgesetzgebung nicht bereit. Ein substantieller Handlungsbedarf zur gezielten Begrenzung und Steuerung der derzeit stattfindenden Nettozuwanderung von Ausländern in der Größenordnung von jährlich ca. 450 000 Personen ist daher momentan nicht sichtbar. Wollte man tatsächlich eine bessere Steuerung der Zuwanderung erreichen, so müßte man präzise bezeichnen, wo ggf.
Einschnitte vorgenommen werden sollen, um dem besser ausgewählten „Einwanderer“ Platz zu machen. Anderenfalls bliebe eine Einwanderungsgesetzgebung eine „Mogelpackung“, die wegen permanenter Quotenausschöpfung nicht zur Anwendung käme. Die Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Grünen ist daher mit Recht von der bisher vertretenen Linie, eine Einwanderung durch Quoten zu steuern, abgerückt.
Es bleibt das legitime Interesse, den Zuwanderern eine Perspektive zu geben, die ihre volle Einbeziehung in das politische und gesellschaftliche System Deutschlands vorsieht. Insoweit ist es in der Tat sinnvoll, klare integrationspolitische Vorgaben zu liefern und den im Bundesgebiet lebenden Ausländern klar und eindeutig zu sagen, daß sie in Deutschland nicht nur willkommen sind, sondern daß ihnen auch die Möglichkeit gegeben wird, als gleichberechtigte Mitglieder der inländischen Bevölkerung alle Rechte wahrzunehmen. Der Weg hierzu führt über die erleichterte Einbürgerung ebenso wie über erheblich verstärkte Möglichkeiten, schulische und berufliche Ausbildungen zu absolvieren und damit die sozialen Gräben, insbesondere für Jugendliche, zu überwinden. 3. Die Verschärfung des Rechts der aufenthalts-beendenden Maßnahmen für straffällige Ausländer Im Verlaufe der Bundestagswahl haben beide im Bundestag vertretenen großen Parteien angekündigt, das Ausländergesetz dahingehend reformieren zu wollen, daß straffällige Ausländer in Zukunft schneller ausgewiesen werden könnten. Die Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Grünen enthält hierzu keine Konkretisierungen. Zwar wird als Leitlinie die Bekämpfung der Kriminalität in den Vordergrund gestellt. Folgerungen für das Ausländerrecht werden daraus aber nicht gezogen. Tatsächlich läßt das Ausländergesetz grundsätzlich eine Ausweisung aufgrund von strafgerichtlichen Verurteilungen bereits jetzt zu. Bei Ausländern, die ein gesichertes Aufenthaltsrecht besitzen, weil sie schon lange Zeit im Bundesgebiet wohnhaft sind, schränkt es die Ausweisung allerdings erheblich ein. Im allgemeinen kann hier nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden, was in der Regel nur dann vorliegt, wenn gravierende Straftaten begangen worden sind und deshalb ein Ausländer rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Einen besonderen Schutz genießen schließlich Jugendliche und Minderjährige. Ein minderjähriger Ausländer, dessen Eltern sich im Bundesgebiet aufhalten, kann im allgemeinen überhaupt nicht ausgewiesen werden, es sei denn, er ist wegen serienmäßiger Begehung vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig verurteilt.
In Deutschland hat der Fall des mittlerweile 14 Jahre alten und damit strafmündig gewordenen Mehmet, der schon vor Erreichung seines 14. Lebensjahrs einen beachtlichen Rekord von über 40 gravierenden Straftaten, wie z. B. schwerer Einbruch und Raubüberfall, aufgestellt hatte, erhebliche Diskussionen ausgelöst. Daß Mehmet allein aufgrund seiner Minderjährigkeit nicht in die Türkei ausgewiesen und abgeschoben werden kann, steht im Hinblick auf den Familienschutz außer Frage. Aus diesem Grunde haben die bayrischen Behörden eine Ausweisungsverfügung auch gegenüber den seit langer Zeit beanstandungsfrei in Deutschland lebenden Eltern von Mehmet erlassen, gestützt auf das Argument, sie hätten ihre Aufsichts-und Sorgfaltspflicht gegenüber ihrem Sohn jahrelang in grober Weise vernachlässigt. Bayern hat eine Gesetzesinitiative im Bundesrat eingebracht, wonach in Zukunft ein gesonderter Ausweisungstatbestand der schwerwiegenden Verletzung der elterlichen Sorgfaltspflicht als Ausweisungstatbestand in das Gesetz eingeführt werden soll
Im Grundsatz kann kein Zweifel daran bestehen, daß ein legitimes Interesse besteht, schwer straffällige Ausländer auszuweisen und ggf. auch abzuschieben. Die bestehenden Ausweisungstatbestände sind an sich ausreichend, um bei Straffälligkeit aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu treffen. Erschwerend wirkt sich allerdings dabei aus, daß regelmäßig eine rechtskräftige Verurteilung verlangt wird. Ausweisungsentscheidungen haben aber nicht selten nur dann eine ausreichende Wirkung, wenn sie rasch vollzogen werden können.
Daher sollte in verstärktem Maße die Möglichkeit geschaffen werden, in besonderen Fällen auch ohne rechtskräftige Verurteilung Ausländer im Anschluß an die Begehung einer Straftat abzuschieben, insbesondere, wenn Vereinbarungen über die Verbüßung der Strafe im Ausland bestehen.
Neuerdings wird in verstärktem Maße gefordert, daß in Deutschland geborene und/oder aufgewachsene Ausländer überhaupt nicht mehr ausgewiesen werden dürfen, da sie in Deutschland ihre „Sozialisation“ erfahren hätten und daher auch die deutsche Gesellschaft für das Fehlschlägen der Integration „verantwortlich“ sei. In diese Richtung bewegen sich auch Vorschläge des Europäischen Parlaments und der EU-Kommission bei der Neuregelung der EG-Freizügigkeit. Darüber hinaus ist zu beachten, daß nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützt auf Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) auch schwer straffällige Ausländer nicht mehr ausgewiesen und abgeschoben werden können, wenn sie keinerlei Bindungen mehr zu ihrem Heimatstaat haben und die Ausweisung bzw. Abschiebung die im Aufenthaltsstaat bestehenden Bindungen stören würde.
Im übrigen darf die höhere Kriminalitätsrate bestimmter Kategorien von Ausländern nicht falsch interpretiert werden. Es ist richtig, daß bei bestimmten Arten von Straftaten, wie insbesondere Gewaltdelikten oder Drogenkriminalität, Ausländer in erheblich stärkerem Maße straffällig werden als Personen mit deutschem Paß. Dies gilt insbesondere auch für ausländische Jugendliche, bei denen der relative Anteil an bestimmten Formen der Gewaltkriminalität besorgniserregend angestiegen ist. Bei dieser Statistik darf aber selbstverständlich nicht außer Betracht bleiben, daß sehr sorgfältig zwischen verschiedenen Gruppen und Kategorien von Ausländern unterschieden werden muß. Es liegt auf der Hand, daß Berufsaussichten und soziale Schichtung für Kriminalitätsanfälligkeit eine erhebliche Rolle spielen. Hinzu kommt die starke Kriminalitätsbelastung als Folge illegaler Einwanderung, ausgelöst durch Kriegs-und Bürgerkriegssituationen, wie wir sie derzeit in Jugoslawien erleben. 4. Asylrecht Neuerdings ist das Asylrecht wieder in die rechts-politische Diskussion geraten. Beklagt wird die mit der Asylrechtsreform eingetretene Härte, die zu unmenschlichen Abschiebungen und einer Vorenthaltung des Schutzes für Schutzbedürftige führe. In diesem Zusammenhang wird auch die Rückgängigmachung der Asylrechtsreform von 1993 verlangt. In den Chor der Kritiker mischen sich auch Stim men, die darauf hinweisen, daß wesentliche Teile der Asylrechtsreform, insbesondere die „Drittstaatenregelung“, in Wahrheit nicht angewandt würden, weil in zahlreichen Fällen Asylbewerber, die aus „sicheren Drittstaaten“ eingereist seien, nicht in die Drittstaaten zurückgeschickt werden könnten, weil ein Nachweis ihrer Einreise aus diesen Staaten nicht geführt werden könne.
Die Erfahrungen der Jahre 1992 und 1993 mit einer dramatisch ansteigenden Ausländerfeindlichkeit, einer Asylbewerberzahl von jährlich über 400 000 und einem drohenden Kollaps kommunaler Versorgungssysteme lassen eine Warnung vor einer Reform der Reform dringend angezeigt erscheinen. Eine Rückgängigmachung der mit der Grundgesetzänderung von Art. 16 a verbundenen Beschränkungen hätte möglicherweise eine fatale Signalwirkung im Hinblick auf eine erhebliche Verstärkung der illegalen Einwanderung. Dies gilt auch und gerade für die „sichere Drittstaatenregelung“. Richtig ist zwar, daß Art. 16 a Abs. 2 Grundgesetz mangels einer hinreichenden Kenntnis über Reisewege und Identität von Asylbewerbern häufig nicht zur Anwendung kommt. Zu berücksichtigen ist aber, daß im Rahmen der europäischen Regelung des Asylrechts intensiv an einem System gearbeitet wird, das eine Registrierung und Identifizierung von Asylbewerbern und illegal Einreisenden ermöglicht, um auf diese Weise eine illegale Weiterwanderung zu verhindern. Nur mittels eines derartigen Systems wird es letztendlich gelingen, die illegale Zuwanderung mittels Schleuserorganisationen zu stoppen. Das bedeutet zugleich, daß endlich ein System einer europäischen Erfassung und Aufnahme schutzbedürftiger Flüchtlinge geschaffen werden muß. Eine deutsche Regelung im Alleingang, die sich grundlegend von den auf der europäischen Ebene geschaffenen Prinzipien unterscheiden würde, würde die europäische Zusammenarbeit erheblich erschweren.
III. Europäische Rechts-entwicklungen
1. Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft zur Regelung des Ausländer-und Asylrechts nach dem Amsterdamer Vertrag Was kann in diesem konfliktgeladenen Feld von Europa erwartet werden? Mit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags wird die Europäische Gemeinschaft zahlreiche neue Regelungskompetenzen im Bereich „freier Personenverkehr, Asylrecht und Einwanderung“ erhalten. Damit ist ein enormer Kompetenzzuwachs für die Europäische Gemeinschaft und auf der anderen Seite ein Kompetenzverlust der Mitgliedstaaten in dem sensiblen Bereich des Einwanderungs-und Asylrechts verbunden. In Zukunft wird die Gemeinschaft die zur Vollendung des Binnenmarkts erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen zur Kontrolle der Außengrenzen und in der Asyl-und Einwanderungspolitik in Form von Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen erlassen können. Anders als die Rechtsakte, die bisher im Rahmen des „dritten Pfeilers“ des Vertrags von Maastricht erlassen wurden, ist dieses supranationale Sekundärrecht verbindlich, justitiabel, gilt unmittelbar und geht innerstaatlichem Recht vor
Glaubt man manchem Politiker, so ist von dieser neuen Kompetenznorm der EG nahezu alles zu erwarten. Die einen, die schon immer das Heil in einem Einwanderungsgesetz gesehen haben, sehen ein europäisches Ausländerrecht voraus, in dem endlich die als überholt angesehene Differenzierung zwischen Staatsangehörigen und Ausländern verschwindet. In einem für die Einwanderung im Rahmen großzügiger Quoten offenen Europa, das gleichzeitig Kriegs-, Bürgerkriegs-und Armutsflüchtlinge aller Art aufzunehmen hat, sollen künftig Drittstaatsangehörige nach wenigen Jahren alle Rechte von Unionsbürgern erhalten. Das Ausländerrecht würde sich damit quasi von selbst erledigen und zum „Einwanderungsrecht“ werden.
Andere setzen ihre Hoffnung auf eine europäische Einwanderungs-und Asylpolitik, mit der mittels einer durch die EU-Kommission festgesetzten Quotenregelung die Konzeption einer am ökonomischen Nutzen orientierten und begrenzten Zuwanderung realisiert wird. Der in die EU auf diese Weise einwandernde Drittstaatsangehörige würde ein EU-Aufenthaltsrecht in der gesamten Union erhalten und schrittweise in seiner Rechtsstellung dem Unionsbürger angeglichen. Es versteht sich von selbst, daß damit auch eine Vereinheitlichung des Staatsangehörigkeitsrechts einhergehen würde, obwohl sie eigentlich in der längerfristigen Perspektive nahezu bedeutungslos wird, weil von der Staatsangehörigkeit ohnedies nicht mehr viel abhängen wird.
Ob es sich bei diesen Vorstellungen um realistische Konzepte handelt und ob sie im Hinblick auf die Ziele und Grundsätze des Unionsvertrags notwendig und sinnvoll sind, sei hier dahingestellt. Notwendig ist eine nüchterne Analyse darüber, inwieweit die Rechtsstellung des Ausländers in Zukunft europarechtlich zu determinieren ist, d. h. mit anderen Worten, inwieweit wir eine einheit-liehe europäische Einwanderungs-, Asyl-und Integrationspolitik brauchen, inwieweit eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften durch Rahmenregelungen ausreicht und inwieweit eine bloße Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten genügt. Eine gewisse Skepsis ist schon deshalb angebracht, weil die Ausländer-und insbesondere die Integrationspolitik untrennbar mit den in den Mitgliedstaaten durchaus nicht einheitlichen Vorstellungen von Staat und Nation verknüpft sind. Eine EU-Initiative, die auf die Vereinheitlichung des Staatsangehörigkeitsrechts ausgerichtet wäre, greift daher bereits im Ansatz in das Identitätsverständnis der Mitgliedstaaten ein und ist daher vom Vertrag nicht gedeckt.
Dies schließt aber nicht aus, daß für die europäische Harmonisierung des nationalen Ausländerrechts ein dringender Bedarf besteht und daß aus diesem Grunde auch die Rechtsstellung des Ausländers in Zukunft sehr viel stärker gemeinschaftsrechtlich determiniert sein wird, als dies gegenwärtig noch der Fall ist. Dies ergibt sich aus der schlichten Tatsache, daß mit der Schaffung eines Binnenraums, in dem die internen Grenzkontrollen abgeschafft sind, die Steuerung und Kontrolle der Einreise an die Außengrenzen der Gemeinschaft verlagert wird. Der Maastrichter Vertrag hat daraus die Konsequenz gezogen und der Gemeinschaft eine Regelungskompetenz im Visumsrecht übertragen.
Die Harmonisierungsnotwendigkeit geht aber heute sehr viel weiter dadurch, daß in einem Europa ohne interne Grenzen faktisch der jederzeitige Wechsel des Aufenthaltslandes ermöglicht wird und auf diese Weise der Geltungsbereich des jeweiligen nationalen Ausländerrechts verlassen werden kann. Ausländer können sich daher in Zukunft nahezu ohne Probleme aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durch Überwechseln in das Territorium eines anderen EU-Staates entziehen, in dem die einmal erlassene Ausweisungs-oder Abschiebungsverfügung nicht gilt und daher erneut ein ausländerbehördliches Verfahren mit anschließendem gerichtlichen Rechtsschutz in Gang gesetzt werden muß.
Zulassung von Drittstaatsangehörigen Umgekehrt ist es mit der Idee des europäischen Binnenmarktes nur schwer in Einklang zu bringen, daß Drittstaatsangehörige ihre Arbeitsleistung nur in einem Mitgliedstaat der Union anbieten dürfen, ihr Aufenthaltsrecht prinzipiell also national beschränkt ist. Das Schengener Durchführungsabkommen hat zumindest für den kurzfristigen Aufenthalt daraus die richtige Konsequenz gezogen, ein grenzüberschreitend für das gesamte Schengengebiet gültiges Schengenvisum einzuführen, das es künftig Ausländern erspart, für eine Reise durch die Europäische Union für jeden einzelnen Mitgliedstaat ein Visum einholen zu müssen. Das Schengener Abkommen hat darüber hinaus ein bis zu drei Monaten befristetes Einreise-und Aufenthaltsrecht für das gesamte Schengengebiet für diejenigen Drittstaatsangehörigen eingeführt, die im Besitz eines regulären Aufenthaltsrechts in einem der Mitgliedstaaten sind. Damit erschöpft sich die Notwendigkeit einer europäischen Harmonisierung nicht. Insbesondere im Bereich der Asyl-und Flüchtlingspolitik gibt es einen dringenden Regelungsbedarf.
Auch die Stellung sogenannter „Drittstaatsangehöriger“ wird nunmehr in Zukunft Gegenstand einer gemeinschaftlichen Regelungspolitik sein. Auch wenn es richtig ist, daß zunächst noch innerhalb eines Fünfjahreszeitraums jeder Mitgliedstaat praktisch noch ein Vetorecht hat, steht doch fest, daß sich in Zukunft einer mit großer Mehrheit beschlossenen einwanderungspolitischen Norm auch die Bundesrepublik Deutschland nicht wird entziehen können.
Die Kommission hat am 30. Juli 1997 einen Entwurf für einen Rechtsakt des Rates über die Ausarbeitung eines Übereinkommens zur Regelung der Zulassung von Staatsangehörigen dritter Länder in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorgelegt Der Kommissionsvorschlag enthält im wesentlichen Regelungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zum Zweck der Ausübung einer abhängigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit, der Aufnahme eines Studiums und der beruflichen Bildung, zu sonstigen Zwecken sowie zur Zulassung zwecks Familienzusammenführung. Schließlich sieht der Entwurf vor, daß die auf Dauer in einem Mitgliedstaat sich aufhaltenden Drittstaatsangehörigen in einer Reihe von Bereichen wie Unionsbürger behandelt werden sollen. Kritische Punkte sind insbesondere die Mindestaufenthaltsdauer für die Gewährung eines unionsweiten Aufenthaltsrechts für Ausländer, was nach dem Kommissionsvorschlag bereits nach fünf Jahren gewöhnlichen und rechtmäßigen Aufenthalts der Fall wäre.
Problematisch sind aber auch die Familienzusammenführungsregeln und insbesondere der in dem Entwurf vorgesehene Anspruch auf Familienzusammenführung nach bereits einem Jahr rechtmäßigen Aufenthalts. Nachzugsberechtigt sollen ferner nicht nur der Ehegatte und die minderjährigen Kinder, sondern auch alle sonstigen unterhaltsberechtigten Verwandten in aufsteigender Linie und alle sonstigen Verwandten in absteigender Linie sein, soweit Lebensunterhalt und Wohnraum gesichert sind. Der Bundesrat schätzt, daß sich auf der Grundlage des Vorschlags der Familiennachzug künftig verdoppeln würde Auch die Regeln über die Zulassung zur Ausübung einer abhängigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit erscheinen aus der Sicht des deutschen Ausländerrechts teilweise als zu weitgehend, während die Regeln über die Einreise und den Aufenthalt zum Zweck von Studium und Berufsausbildung eher zu restriktiv gehalten sind. Unabhängig davon ist jedoch schon jetzt klar, daß in absehbarer Zeit Drittstaatsangehörige unter der Voraussetzung, daß sie in einem Mitgliedstaat ein qualifiziertes Aufenthaltsrecht erhalten, ein Freizügigkeitsrecht für die gesamte Union beanspruchen können.
Darüber hinaus sind die mit der Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme eingeführten Regeln für Unionsbürger, die sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, auch auf Drittstaatsangehörige zu übertragen. Es ist unabdingbar, auch die steigende Zahl von Drittstaatsangehörigen, die sich innerhalb der Europäischen Union wirtschaftlich betätigen, im Hinblick auf soziale Risiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Erwerbsunfähigkeit den EG-Angehörigen gleichzustellen So ist z. B. nicht einsichtig, warum ein algerischer Staatsangehöriger, der in Frankreich arbeitet und während seines Urlaubs in Deutschland einen Unfall erleidet, den französischen, italienischen oder spanischen Staatsangehörigen bezüglich des Krankenversicherungsschutzes nicht gleichgestellt ist. Auch hierzu hat die Kommission einen Vorschlag vorgelegt, der auf die Einbeziehung von Drittstaatsangehörigen in den Anwendungsbereich der Verordnung 1408/71 abzielt
Asylrecht und Aufnahme humanitärer Flüchtlinge Im Bereich der humanitären Flüchtlinge und Asyl-bewerber hat der Vertrag von Amsterdam eine grundlegende Weichenstellung vollzogen. Der Rat ist nunmehr ermächtigt, asylpolitische Maßnahmen im Bereich einer europäischen Zuständigkeitsregelung zur Durchführung von Asylverfahren zu erlassen, das heißt, Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten, Mindestnormen für die Anerkennung von Staatsangehörigen dritter Länder als Flüchtlinge sowie Mindestnormen für die Verfahren in den
Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft zu treffen. Außerdem enthält der Vertrag ausdrücklich eine Kompetenz in bezug auf Flüchtlinge und vertriebene Personen in folgenden Bereichen: erstens Mindestnormen für den vorübergehenden Schutz von vertriebenen Personen aus dritten Ländern, die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können, und von Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen; zweitens Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme von Flüchtlingen und vertriebenen Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten. Dementsprechend betont die Koalitionsvereinbarung von SPD und Grünen die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Flüchtlings-und Migrationspolitik, deren Ziel eine ausgewogene Verantwortungs-und Lastenverteilung sein müsse. Die konkreten Vorschläge in dieser Richtung sind freilich bescheiden.
Überblickt man die vorhandenen Vorschläge und Rechtsakte, so ist augenfällig, daß im Bereich der Asyl-und Flüchtlingspolitik deutlich weniger erreicht worden ist als im Bereich der Einwanderungs-und Ausländerpolitik. Der Grund dafür ist offenkundig. Einmal sind die Gewichte völlig ungleichmäßig verteilt, da die Mitgliedstaaten insbesondere in bezug auf die Aufnahme von Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen eine grundsätzlich unterschiedliche Politik betrieben haben.
Die Bundesrepublik Deutschland hat nicht nur zeitweilig über drei Viertel aller in die Union einreisenden Asylbewerber aufgenommen, sondern mit ca. 360 000 Bürgerkriegsflüchtlingen auch den weitaus größten Teil der Kriegs-und Bürgerkriegs-flüchtlinge aus Jugoslawien in der Europäischen Union aufgenommen.
Es ist zwar verständlich, daß sich angesichts der Forderung nach „bürden sharing“ die Staaten, die eine erheblich restriktivere Aufnahmepolitik betrieben haben und die Schwierigkeiten einer Rückkehr als Folge einer vorübergehenden Schutzgewährung realistischer eingeschätzt haben als die Bundesrepublik, nun dagegen wehren, für eine ihrer Auffassung nach unverantwortliche Flüchtlingspolitik zur Kasse gebeten zu werden. Daß dies aber nicht der gemeinschaftsrechtlich zulässige Standpunkt sein kann, ergibt sich spätestens dann, wenn man die im Unionsvertrag niedergelegten Zielsetzungen europäischer Solidarität ernst nimmt. Mit der Verwirklichung des Binnenmarktes kann auch nicht mehr ignoriert werden, daß die Massenflucht nach Europa kein spezifisches Problem einzelner EU-Staaten darstellt, sondern die ganze Gemeinschaft angeht. Dies erfordert zunächst eine Angleichung der ein-zelstaatlichen Politiken und Maßnahmen in bezug auf den rechtlichen Status und die (sozialen und sonstigen) Rechte der aufgenommenen Personen Es ist offensichtlich, daß die unterschiedlichen Regelungen über die Rechtsstellung, insbesondere was die sozialen Rechte betrifft, die unkontrollierte Zuwanderung erheblich begünstigen. Nicht unproblematisch ist deshalb auch die von der Kommission vorgeschlagene weitgehende Angleichung der Rechtsstellung vorübergehend aufgenommener Flüchtlinge an diejenige der anerkannten Asylberechtigten
Kaum wesentlich weitergekommen sind die Verhandlungen über das „bürden sharing“. Die Resolution über „bürden sharing“, die vom Rat am 25. September 1995 angenommen worden ist erbringt wenig mehr als eine vage Aufzählung verschiedener Kriterien, die für ein derartiges „bürden sharing“ zugrunde gelegt werden könnten. Ob es realistisch oder auch nur sinnvoll wäre, eine europäische Zuständigkeit für die Festlegung von Quoten, die auf die einzelnen Länder verteilt werden, festzulegen, ist fraglich. Wie sollte auch sichergestellt werden können, daß Flüchtlinge in einem europäischen Binnenmarkt an dem ihnen zugewiesenen Ort verbleiben? Eine akzeptable Lösung könnte aber möglicherweise darin bestehen, eine besondere Kategorie von humanitären Flüchtlingen zu schaffen, deren Rechtsstatus europarechtlich definiert wird und für die, ungeachtet des Aufenthaltsort, die Europäische Gemeinschaft die Kosten trägt.
Relativ große Fortschritte sind auf rechtlichem Gebiet bei der Rechtsstellung der Asylbewerber jedenfalls in bezug auf Verfahrensregeln und Zuständigkeitsgrundsätze gemacht worden. Das Dubliner Übereinkommen, das Anfang September 1998 in Kraft getreten ist, postuliert den Grundsatz, daß nur ein einziger EU-Staat für die Behandlung eines Asylbegehrens zuständig ist, und zwar entweder derjenige Staat, der ein Aufenthaltsrecht erteilt hat, oder derjenige Staat, über dessen Außengrenzen ein Asylsuchender illegal ins Gemeinschaftsgebiet eingereist ist. Wenn das Dubliner Übereinkommen sich bislang als für die Bundesrepublik Deutschland relativ nachteilig herausgestellt hat, so liegt dies nicht in den Grundstrukturen des europäischen Zuständigkeitssystems, sondern an den Schwierigkeiten, den erforderlichen Nachweis für die Zuständigkeit eines anderen Staates zu finden. Dies ist der entscheidende Grund dafür, daß bislang weder die deutsche „Drittstaatenregelung“ noch das Dubliner Übereinkommen in der Praxis funktioniert. Dies könnte sich aber dann ändern, wenn europaweit ein System zur Identifizierung und Registrierung von Asylsuchenden und illegal einreisenden Ausländern etabliert würde, das es ermöglicht, festzustellen, wer wann zu welchem Zweck in das Gemeinschaftsgebiet eingereist ist. Der Entwurf einer Konvention (EURODAC) über die Registrierung von Asylsuchenden muß schon im Hinblick auf die italienischen Erfahrungen auf illegal Einreisende ausgeweitet werden. Die Verhandlungen hierüber sind im vollen Gange.
Die Integration von Ausländern und Antirassismusprogramme Auch im Bereich der Ausländerintegration hat die Kommission nunmehr gewisse Kompetenzen, wenn auch nicht unbeschränkt, erhalten. Art. 113 EGV weist dem Rat nunmehr die Kompetenz zu, einstimmig geeignete Vorkehrungen zu treffen, „um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen“. Die Kommission leitet hieraus und aus den weiteren Kompetenzen der Gemeinschaft im Bereich der Einwanderungs-und Asylpolitik eine umfassende Kompetenz zur Verabschiedung gemeinschaftsweiter Integrationsprogramme ab. Eine gewisse Vorliebe ist insbesondere für „affirmative action“ -Programme erkennbar Dabei wird unter anderem vorgeschlagen, Quoten bei Arbeitsplätzen für diskriminierte ethnische Minderheiten vorzusehen. Unternehmen müßten die ethnische Zusammensetzung ihrer Betriebe offenlegen und für den Fall unfairer Verteilung rechtfertigen. Öffentliche Aufträge sollen nur bei einem entsprechenden Nachweis einer gleichmäßigen Berücksichtigung ethnischer Minderheiten vergeben werden können.
Nun wird niemand etwas gegen eine Konkretisierung der bereits in der Verfassung vorgesehenen Diskriminierungsverbote einwenden. Problematisch erscheint freilich, inwieweit in Zukunft Doppelstaater, gestützt auf ihre deutsche Staatsange-Hörigkeit und nichtdeutsche Herkunft, einen besonderen Minderheitenschutz und faktische Gleichberechtigung erlangen können. Die Koalitionsvereinbarung sagt nichts darüber aus, wer als Minderheit in diesem Sinne anzusehen ist und wie die faktische Durchsetzung gesellschaftlicher Teilhabe erreicht werden soll. Sollte die doppelte Staatsangehörigkeit zusätzlich zu einem privilegierten Zugang zu sozialen Leistungen aufgrund einer Minderheitenschutzgesetzgebung führen, so wäre ein gefährliches Maß an Mehrfachprivile'gierung erreicht. Es ist freilich nicht ausgeschlossen, daß Ansprüche in dieser Richtung erhoben werden. Die auch von Deutschland ratifizierte Rahmenkonvention des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten vom 1. Februar 1995 ist am 1. Februar 1998 in Kraft getreten. Es handelt sich dabei um den ersten rechtsverbindlichen Vertrag zum Schutze von nationalen Minderheiten. Bislang stand dabei außer Frage, daß eingewanderte Ausländer sich nicht auf die Vorschriften der Konvention berufen können, da die Konvention ausdrücklich nur von nationalen Minderheiten spricht. Im Hinblick auf die angekündigten Änderungen der Staatsangehörigkeitsgesetzgebung wird sich freilich zukünftig in erheblich größerem Maße die Frage stellen, ob und unter welchen Voraussetzungen eingewanderte Minderheiten die Privilegien der Konvention unter anderem im schulischen und kulturellen Bereich beanspruchen können. Deutschland hat bei der Ratifikation der Konvention eine Erklärung abgegeben, wonach nur bestimmte herkömmlich in Deutschland lebende Minderheiten, wie z. B. die Friesen und Sorben, in den Anwendungsbereich der Konvention fallen. Auch Österreich und Slowenien haben vor kurzem anläßlich der Ratifikation erklärt, daß sie nur solche Minderheiten als von der Konvention geschützt ansehen, die herkömmlich in dem betreffenden Gebiet leben und ihre angestammte Kultur bewahrt haben. Damit scheint eine Berufung auf Minderheitenschutz für türkische Staatsangehörige, die als Einwanderer nach dem Zweiten Weltkrieg in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, ausgeschlossen. Ob sich diese Auslegung der Konvention, die selbst keine Definition von Minderheiten enthält, durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.
Ich teile die im Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen dazu geäußerte Skepsis Durch die Anknüpfung sozialer, gesellschaftlicher und politischer Rechte und Pflichten an die kulturelle oder ethnische Zugehörigkeit wird die Abgrenzung zwischen Minderheiten und
Mehrheiten gefördert und der Integration ein Bärendienst erwiesen. Richtig und wichtig sind daher Förderungsmaßnahmen, nicht aber diskriminierende Regelungswerke. Es geht darum, daß gewisse Grundsätze, wie z. B. gewaltfreie Austragung politischer Konflikte, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheitsgrundsatz, unabhängig von kulturellen, ethnischen oder religiösen Orientierungen gelten. 2. Privilegierte Drittstaatsangehörige -die türkischen Staatsangehörigen unter dem Assoziationsabkommen der EG mit der Türkei Grundsätzlich liegt die Zuständigkeit für die Regelung der Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen nach geltendem Gemeinschaftsrecht bei den Mitgliedstaaten. Das schließt aber nicht aus, daß die Gemeinschaft, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) unter anderem im Fall „Demirel“ entschieden hat, die Rechtsstellung der Staatsangehörigen eines Staates, der mit der Gemeinschaft durch ein Assoziationsabkommen verbunden ist, regeln kann. Von praktischer Bedeutung ist dies insbesondere für die türkischen Staatsangehörigen, die in der Bundesrepublik Deutschland leben.
Das Assoziationsabkommen von 1963 und ein Zusatzprotokoll von 1970 sehen vor, daß die Freizügigkeit türkischer Staatsangehöriger schrittweise bis zu einem bestimmten, längst abgelaufenen Zeitpunkt hergestellt werden sollte, wobei man vereinbart hatte, sich von den Freizügigkeitsbestimmungen des EWG-Vertrags „leiten zu lassen“. Aus bekannten Gründen hat sich der Assoziationsrat auf konkrete Schritte zur Herstellung der Personenfreizügigkeit nicht einigen können. Beschlossen wurden im Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 lediglich einige, in ihrer Dimension eher bescheidene beschäftigungsrechtliche Vergünstigungen. Türkische Arbeitnehmer, die dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehören, sollten ein Recht auf Fortsetzung ihrer Beschäftigung bei dem gleichen Arbeitgeber nach einem Jahr ordnungsgemäßer ununterbrochener Beschäftigung haben. Nach drei Jahren sollte ihnen ein Recht auf einen Wechsel des Arbeitgebers im gleichen Beruf zustehen, nach fünf Jahren ununterbrochener Beschäftigung sollten sie in der Wahl ihrer Beschäftigung frei sein. Beabsichtigt war damit eine rein arbeitsrechtliche Privilegierung; türkische Staatsangehörige sollten nicht mehr vom arbeitsrechtlich grundsätzlich vorgesehenen Vor-rang inländischer und ihnen gleichgestellter EG-Arbeitnehmer abhängig sein. Der EuGH hat diese Vorschrift jedoch in einer ganzen Serie von Entscheidungen im Sinne eines „impliziten Aufenthaltsrechts“ interpretiert. Argumentiert wurde im wesentlichen damit, daß ein Recht auf Zugang zu Beschäftigung wirkungslos bliebe, wenn es die Mitgliedstaaten in der Hand hätten, einem türkischen Arbeitnehmer die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu verweigern.
Dies mag bis zu einem gewissen Grad plausibel erscheinen, jedenfalls insoweit, als es um eine rein arbeitsmarktpolitisch motivierte vorenthaltene Verlängerung des Aufenthaltsrechts geht. Hierauf hat sich der EuGH jedoch nicht beschränkt, sondern entgegen der Absicht der Vertragsparteien und dem Wortlaut des Assoziationsrechts ein assoziationsrechtliches Ausländerrecht kreiert, das faktisch ein Einwanderungsrecht für denjenigen türkischen Staatsangehörigen beinhaltet, der die beschäftigungsrechtlichen Voraussetzungen des Assoziationsratsbeschlusses 1/80 erfüllt.
Nun läßt sich natürlich darüber streiten, ob diese Rechtsprechung des EuGH nicht rechtspolitisch sinnvoll ist. In jedem Fall wäre es aber Sache des Gemeinschaftsgesetzgebers und der Mitgliedstaaten gewesen, die entsprechenden Regeln zu erlassen. Der EuGH hat die Grenzen der Rechtsfortbildung m. E. überschritten, und dies noch dazu in einem Bereich, wo besondere Sensibilität angebracht gewesen wäre, weil seine Rechtsprechung einen Mitgliedstaat in deutlich intensiverer Weise betrifft als alle anderen Mitgliedstaaten. 3. Die Auswirkungen der Europäischen Menschenrechtskonvention für Einreise und Aufenthalt von Ausländern Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß neuerdings nicht nur für das deutsche Ausländerrecht, sondern für das europäische Ausländerrecht in immer stärkerer Weise Vorgaben aus Art. 3 und Art. 8 EMRK abgeleitet werden. Obwohl die Europäische Menschenrechtskonvention als solche keine direkten Regelungen über Einreise und Aufenthalt von Ausländern enthält, haben Kommission und Gerichtshof in jüngster Zeit eine Reihe von Ableitungen, insbesondere gestützt auf Art. 3 und Art. 8 EMRK (Familienschutz), vorgenommen. Insbesondere Art. 3 EMRK spielt im Rahmen eines Schutzes vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen wie Abschiebung oder auch Zurückweisung eine zunehmend wichtige Rolle. Während ursprünglich Kommission und Gerichtshof nur eine Art Schutzpflicht angenommen haben, wenn ein Ausländer in einen Staat abgeschoben würde, in dem ihm Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würden, ist nunmehr der Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK in mehrfacher Hinsicht substantiell erweitert worden Zum einen hat der Gerichtshof entschieden, daß der Schutz vor Verbringung in einen Heimatstaat, in dem eine Person unmenschlicher Behandlung ausgesetzt wäre, auch dann greift, wenn diese Behandlung nicht durch den Heimatstaat und dessen Behörden zu verantworten ist, sondern von privater Seite ausgeht Gestützt darauf hat der Gerichtshof im Grundsatz die Anwendbarkeit des Art. 3 EMRK auch dann bejaht, wenn ein kolumbianischer Drogenhändler nach seiner Abschiebung befürchten müßte, in seinem Heimatstaat Opfer privater Racheaktionen durch die kolumbianische Drogenmafia zu werden, auch wenn im Einzelfall entgegen der Auffassung der Kommission die konkrete Gefahr verneint wurde Der Gerichtshof hat darüber hinaus auch neuerdings den Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung erheblich ausgeweitet. Als unmenschliche Behandlung ist auch die Fallgestaltung angesehen worden, daß ein Ausländer in seinem Heimatstaat, wenn er an einer lebensbedrohenden Krankheit leidet, nicht diejenige medizinische Behandlung erhält, die erforderlich ist, um einem drohenden Fortschreiten einer derartigen Krankheit Einhalt zu gebieten Daraus ergeben sich schwierige Abgrenzungsprobleme. Die Grenze zu dem Fall, in dem eine Person geltend macht, in ihrem Heimatstaat keine ausreichenden Lebensbedingungen mehr vorzufinden, ist jedenfalls nicht leicht zu ziehen.
Problematisch erscheint mir auch noch eine andere Entwicklung. Nach Auffassung des EuGH für Menschenrechte gilt Art. 3 absolut. Im Fall Chahal hat der Gerichtshof ausdrücklich entschieden, daß auch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit keine Einschränkung erlaubt Daraus ist der Schluß zu ziehen, daß im Falle eines Terroristen, der bekundet, bei jeder sich bietenden Gelegenheitin Deutschland türkische Einrichtungen mit Bomben in die Luft zu sprengen zu wollen, Abschiebungsschutz gewährt werden muß, ohne Rücksicht darauf, daß er eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit Deutschlands darstellt. Ich halte diese Rechtsprechung für verfehlt und mit den völkerrechtlichen Grundlagen der Gewährleistung des Schutzes vor politischer Verfolgung nicht vereinbar. Aus guten Gründen hat die Genfer Konvention in Art. 33 GK eine Klausel aufgenommen, wonach sich auf den Schutz der Genfer Konvention nicht berufen kann, wer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder wer eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde. Ähnliche Einschränkungen enthalten auch die einschlägigen Resolutionen, die im Rahmen der Vereinten Nationen über das territoriale Asyl verabschiedet worden sind. Es ist meines Erachtens problematisch, wenn auf dem Umweg über Art. 3 EMRK und die Ausdehnung des Begriffs der unmenschlichen Behandlung eine Absolutheit dieses Schutzes durchgesetzt wird, die von der Staatengemeinschaft nie in dieser Form gewollt worden ist. Sie beruht auch auf einer unrichtigen Prämisse. Ungeachtet der grundlegenden Pflicht, jeden Menschen vor Folter und unmenschlicher Behandlung zu schützen, kann es einem Staat nicht zugemutet werden, konkrete Gefährdungen für gewichtige Rechtsgüter -wie insbesondere die Sicherheit des Landes und der Bevölkerung -in Kauf zu nehmen, um einem Verfolgten Zuflucht zu ermöglichen.
Von ständig wachsender Bedeutung ist schließlich auch Art. 8 EMRK, aus dem die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EuGMR) einen Schutz vor Abschiebung und Ausweisung abgeleitet hat. Er greift insbesondere dann ein, wenn ein Ausländer keine wesentlichen Bindungen mehr zu seinem Heimatstaat aufweist und durch eine Ausweisung oder Abschiebung aus seinen familiären Beziehungen im Aufenthaltsstaat herausgerissen würde. Anders als bei Art. 3 EMRK verlangt der Gerichtshof aber insofern eine Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung und den privaten Interessen an der Erhaltung einer familiären Beziehung. Nach der Rechtsprechung des EuGMR führt diese Abwägung allerdings dazu, daß trotz schwerster Straftaten dann keine Ausweisung oder Abschiebung mehr zulässig ist, wenn ein Ausländer praktisch überhaupt keine Bindungen mehr zu seinem Heimatstaat hat, z. B. weil er im Aufenthaltsstaat geboren oder aufgewachsen ist, im Heimatstaat keine Familienangehörigen mehr hat und dessen Sprache und Kultur nicht versteht. Einige Mitglieder des Gerichtshofs wollen darüber hinausgehen und jedem im Aufenthaltsstaat aufgewachsenen Ausländer ein unentziehbares Aufenthaltsrecht bei Bestehen familiärer Beziehungen gewährleisten. Eine derartige Auslegung ist durch Art. 8 EMRK nicht gedeckt. Es ist nach wie vor ein souveränes Recht jedes Staates, ggf. aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber Ausländern zu treffen, die in schwerwiegender Weise gegen Strafgesetze verstoßen haben.