I.
Seit Heinrich Lübke dem zehn Jahre lang amtierenden Theodor Heuss nachgefolgt ist, wird das Stück „Strukturelle Funktionen und individuelle Ausstattung des Präsidentenamts“ in der deutschen Öffentlichkeit alle fünf Jahre neu aufgeführt, wobei sich die entsprechenden Beiträge so an die neun oder zehn Monate vor der nächsten Bundesversammlung zu häufen beginnen, um dann nochmals aufgewärmt zu werden, wenn der neue Präsident ein Jahr im Amt war und jedermann erstaunt feststellt, daß er seine Aufgabe zwar anders, aber genauso gut oder fast genauso gut wie der alte erfüllt.
Meist beginnen solche Betrachtungen mit dem Verweis auf die kärgliche institutioneile Ausstattung des Amtes, welches faktisch dem Bundespräsidenten wesentlich weniger gestaltenden Einfluß einräumt als dem Bundesverfassungsgericht. Dem folgt dann der Hinweis darauf, daß sich die ja durchaus gegebenen, von manchen als gewichtig, von manchen als weniger gewichtig eingeschätzten Kompetenzen in starkem Maß auf die Repräsentation und auf das bedeutsame, die Öffentlichkeit orientierende Halten von Ansprachen beschränken. Arnulf Baring, in dessen Monographie „Machtwechsel“ man einige der klügsten Beobachtungen zu unserem Thema findet, hat in diesem Zusammenhang den Bundespräsidenten den „wichtigsten Meinungsbildner im Lande“ genannt -dies vor nunmehr schon sechzehn Jahren, also lange vor der Amtszeit Richard von Weizsäckers und Roman Herzogs Sind in derartigen Aufrissen die wesentlichen Funktionen skizziert, wozu auch noch in Krisenzeiten die „politischen Reserve-funktionen“ gehören, so folgt dem zumeist der Blick auf die individuelle Persönlichkeit des jeweiligen Amtsinhabers.
Theodor Eschenburg hat damit den Anfang gemacht. In seiner erstmals 1956 erschienenen Monographie „Staat und Gesellschaft in Deutschland“ können wir lesen, der Bundespräsident sei ein Mann, „der nur über wenig potestas verfügt, der aber immerhin die Aussicht hat, durch persönliche auctoritas in etwa auszugleichen, was ihm an potestas fehlt“ 35 Jahre später hat das Josef Isensee in ähnlichem Sinne entfaltet: „Die politischen Führungs-und Entscheidungsaufgaben liegen grundsätzlich bei Parlament und Regierung. Der Bundespräsident ist nur sehr spärlich mit materiellen Kompetenzen ausgestattet, darin vergleichbar dem englischen Monarchen. Doch während jener von den Objektivationselementen des Amts getragen wird, muß dieser seine Subjektivität in das Amt einbringen, um ihm Substanz zu geben. So hängt der Repräsentationserfolg am seidenen Faden subjektiver Momente, der rhetorischen Fähigkeit, der Amtscourage, des Feingefühls, der persönlichen Ausstrahlung. Da die politische Tat von Verfassungs wegen versagt ist, bleibt mehr oder weniger das politische Wort übrig . . ,“
Auf diesen Grundton sind zahllose Aufsätze oder Monographien gestimmt, aber eben hier beginnen auch die Fragen. Sind es wirklich nur die verfassungsrechtlichen Determinanten des Amts sowie subjektive Momente, die den Ausschlag geben, oder wirken nicht auch andere Faktoren auf die Profilierung des jeweiligen Amtsträgers mit: Krisen oder Abwesenheit von Regierungskrisen, die Koalitionsgegebenheiten; die Persönlichkeit der jeweiligen Bundeskanzler; jenes schwer faßbare Ensemble von Meinungsströmungen, das man den „Zeitgeist“ nennt; der Stil des Amtsvorgängers, von dem sich der Nachfolger im Interesse eigener Profilierung absetzen möchte; die Einflüsse der hohen Beamten und der Redenschreiber, auf die sich alle Präsidenten nach Theodor Heuss eingelassen haben; das Echo bei den Medien und in Meinungsumfragen; ausländische Vorbilder, die abschrecken oder zur Nachahmung anregen -und manches andere mehr? Dazu im folgenden einige Beobachtungen. Ich beginne aber mit einer Frage: Wie ist es zu erklären, daß trotz der kleinen Bibliothek voller kluger Monographien, Aufsätze und Zeitungsartikel, die bisher jeder Bundespräsident hervorgelockt hat, so vergleichsweise wenige zeitgeschichtlich ernst zu nehmende Monographien existieren? Rudolf Morsey, dem wir die bisher einzige aus den Akten gearbeitete Biographie eines Bundespräsidenten verdanken und der am Beispiel Heinrich Lübkes demonstriert hat, wie viel die Untersuchung selbst einer recht spröden Gestalt erkennen läßt, wenn man gründlich genug recherchiert und professionell vorgeht -Morsey also hat Anfang der neunziger Jahre das Fehlen systematischer Untersuchungen über die Rolle der Bundespräsidenten, ihre Einflußnahme auf die Politik, auf die öffentliche Meinung und auf das Zeitbewußtsein konstatiert Seither hat sich die Lage nicht gebessert.
Zwar wird von Zeit zu Zeit eine Biographie über Theodor Heuss in Aussicht gestellt, die nun wirklich ein Desiderat wäre, doch wir warten noch immer. Die Bundespräsidenten Gustav Heine-mann, Walter Scheel, beides hochinteressante Persönlichkeiten -Fehlanzeige, jedenfalls dann, wenn man von einer Biographie erwartet, daß sie auch und vor allem auf den amtlichen Akten beruhen sollte. Statt dessen fehlt es allerdings nicht an Redensammlungen und Lebensabrissen aus journalistischer Feder, wobei im Untertitel zumeist das angebliche Profil herausgearbeitet wird: also etwa zu Gustav Heinemann „Der unbequeme Präsident“ oder der „Bürgerpräsident“ zu Walter Scheel „Präsident des Ausgleichs“ und zu Karl Carstens „Im Dienste unseres Staates“ Diese und andere Akzente mögen zutreffend sein oder auch nicht -jedenfalls handelt es sich nicht um kritisch erarbeitete wissenschaftliche Biographien. An systematisch angelegten, diachronen Studien zum Präsidentenamt auf gesicherter empirischer Basis herrscht gleichfalls Mangel.
Die Gründe dafür sind evident. Die Dreißig-Jahr-Sperre auf amtlichem Schriftgut erlaubt es bisher nicht, über die Bundespräsidenten nach Lübke gesicherte Angaben zu machen. Barings bereits erwähnte Studie „Machtwechsel“ füllt immerhin für Heinemann und Scheel eine Lücke, weil sich dieser Autor jahrelang im Bundespräsidialamt aufhalten konnte, somit für die Rolle im jeweiligen Kontext der Koalitionen und für die nie völlig festgelegten Karriereziele oder die individuellen Machtspiele um die Bundespräsidenten Gespür entwickelt und über den präsidentiellen dinner table hinweg viele Informationen erhalten hat, die wir ihm freilich ungeprüft abnehmen müssen, da sich derlei naturgemäß nur partiell durch Quellen-nachweise erhärten läßt. Besonders hinderlich sind im Fall längst verblichener Bundespräsidenten die Verschlußsachen (VS) -Bestimmungen, welche auch über die Dreißig-Jahr-Grenze hinaus in Kraft sind. Ich selbst könnte darüber berichten, wie es mir nicht gestattet wurde, aus dem in der Forschung seit längerem wohlbekannten Bestand der Gesprächsaufzeichnungen Heuss -Adenauer im zweiten Band meiner Adenauer-Biographie aus dem Jahr 1991 einige wörtliche Zitate anzuführen. Erst 1997 durfte der gesamte Bestand von Rudolf Morsey und mir mit Hans Peter Mensing als Bearbeiter in der Rhöndorfer Ausgabe veröffentlicht werden Der Kenner weiß im übrigen, daß unsere sehr begrenzte Möglichkeit, die Innenseite präsidentieller Macht oder Ohnmacht in Augenschein zu nehmen, nur ein Teilaspekt der Wissensdefizite in bezug auf die letzten Jahrzehnte des bundesdeutschen Regierungssystems ist. Wer die einschlägigen deutschen Publikationen mit dem vergleicht, was Jahr für Jahr über das zeitgenössische amerikanische oder das britische Regierungssystem erscheint, wundert sich immer wieder. Leider müssen wir uns also für die Periode nach 1969 weitgehend auf die Außenansicht der Bundespräsidenten, auf allenfalls selektiv bekannt gewordene amtliche Akten und auf mündliche Informationen stützen.
II.
Daß Theodor Heuss zu den eindrucksvollsten Gestalten in der Frühgeschichte der Bundesrepublik gehört, hat noch niemand im Ernst bestritten. Aber trifft es wirklich zu, daß er das Präsidenten-amt auf Dauer geprägt hat? Ich bin in der Tat dieser Meinung. Seine musterbildende Rolle wird durchaus nicht überschätzt. In einer umfassenden Würdigung durch Karl Dietrich Bracher, die 1965 vom seinerzeitigen Theodor-Heuss-Archiv veröffentlicht wurde, hat dieser beim Blick auf die zehn-jährige Präsidentschaft zu Recht ausgeführt: „So wurde die Präsenz eines überparteilichen Organs rascher als erwartet im öffentlichen Bewußtsein verankert, während Unsicherheit und Zerspaltung, Staatsenthaltung und Machtkonflikte noch die neue Demokratie belasteten. Dies ist die historische Funktion und zugleich die politische Bedeu-tung, die Theodor Heuss dem Amt zu leihen und als gute Tradition den folgenden Bundespräsidenten weiterzugeben versucht hat.“
Ähnlich Horst Möller, der über einen längeren Zeitraum Gelegenheit zur participant observation präsidialer Amtsführung hatte: „Zweifellos prägte Heuss als erster Bundespräsident den Stil des Amtes: Er wollte ein überparteilicher, ein repräsentierender, redender und reflektierender Präsident sein.“ 11 Dies sind nur zwei Stimmen aus einem großen Chor von Historikern, Politologen und Journalisten, die durchweg eine vergleichbare Bewertung artikuliert haben. Ich möchte jedoch die Aufmerksamkeit auf einen anderen Aspekt lenken. Daß und weshalb es im Parlamentarischen Rat dazu kam, die politischen Zuständigkeiten des Bundespräsidenten -verglichen mit dem Reichs-präsidenten der Weimarer Republik -bis auf wenige Zweige zurückzustutzen, ist seit den Arbeiten von Friedrich Karl Fromme und Erhard M. Lange wohlbekannt. Immerhin war aber die Neigung noch nicht völlig verschwunden, es im Grundgesetz wieder mit einer präsidentiellen Demokratie zu versuchen. Ein semipräsidentielles System, mit dem man in der Weimarer Republik keine guten Erfahrungen gemacht hatte, wirkte freilich abschreckend. Doch das amerikanische Vorbild schien einigen akzeptabel. Der Abgeordnete Max Becker hatte anfänglich dafür plädiert, und Anfang 1949 hatten Thomas Dehler und Becker bei der zweiten Lesung im Hauptausschuß nochmals einen entsprechenden Vorstoß unternommen. Das alles ist wohlbekannt. Weniger bekannt ist hingegen, daß sich bei einer Umfrage des Instituts Mehrheit der befragten Deutschen in den Westzonen für ein Präsidialsystem aussprach. Auf die Frage: „Sind Sie für eine möglichst starke Stellung des Präsidenten wie in den USA oder für einen möglichst starken Einfluß des Parlamentes?“ sprachen sich 41 Prozent für einen starken Präsidenten aus (50 Prozent der Männer, 34 Prozent der Frauen), während nur 23 Prozent für ein starkes Parlament plädierten (28 Prozent der Männer, 19 Prozent der Frauen); 28 Prozent der Befragten war das gleichgültig Prozent der Männer, 40 Prozent der Frauen). Einige wenige antworteten: „Keines von beiden“ und zeigten sich unentschieden 14. Blicke nach den USA, wo damals Truman während der Berliner Blockade hohes Ansehen erworben hatte, mögen zur Sympathie für das amerikanische Modell beigetragen haben. Jedenfalls waren die Auffassungen in der Breite der Bevölkerung längst nicht so eindeutig wie im Parlamentarischen Rat, wo -wie wir wissen -Theodor Heuss aufgrund der Weimarer Erfahrungen nachdrücklich für das institutioneile Konzept plädiert hat, das dann ins Grundgesetz einging.
Die Frage, wie es zu erklären ist, daß dann ungeachtet der ersichtlich geringen Machtfülle des Amtes Kurt Schumacher -die mit großem Abstand stärkste Potenz in der SPD -am 12. September 1949 gegen Heuss in den Ring trat und dabei verlor, hat schon viele Federn in Bewegung gesetzt. Taktische Überlegungen mögen durchaus ihre Rolle gespielt haben. Jedenfalls entsprach der Griff des SPD-Führers nach dem Präsidentenamt durchaus einer nicht allein deutschen Tradition, wonach ein Präsident eben mehr sein soll als bloß Repräsentationsfigur, „Staatsnotar“ oder „Reservemacht“. Man darf dabei nicht völlig vergessen, daß schließlich auch Theodor Heuss zu dem Zeitpunkt, da er antrat, Bundesvorsitzender der FDP gewesen ist. Daß das Amt des Bundespräsidenten unter einem Präsidenten Schumacher hochgradig politisiert worden wäre mit der Folge eines völlig anderen Rollenverständnisses, ist zu vermuten, gehört freilich zugleich ins Feld der Spekulation verwiesen.
Eine Ausweitung der präsidentiellen Zuständigkeiten ist später nur einmal konkret betrieben worden. Eigenartigerweise war es Mitte der fünfziger Jahre ausgerechnet Theodor Heuss, einer der Erzväter der institutioneilen Regelungen des Grundgesetzes, der im Zusammenspiel mit der FDP-Fraktion jetzt den militärischen Oberbefehl für den Bundespräsidenten reklamierte -was natürlich verfassungssystematisch eine ganz unmögliche Konstruktion gewesen wäre Auf allen Seiten spielte dabei parteipolitische Taktik eine Rolle. Dies war jedenfalls der einzige Zeitpunkt in der bundesdeutschen Verfassungsgeschichte, zu dem eine Ausweitung der kärglich bemessenen Zuständigkeiten des Bundespräsidenten wenigstens noch als Möglichkeit aufgeblitzt ist. Wie Adenauer im Frühjahr 1959 für einige Wochen die Vorstellung haben konnte, vom Präsidentenamt aus in großem Stil gestaltend auf die Außenpolitik einwirken zu können, wird für immer ein Rätsel bleiben.
Wenn sich aber das Konzept eines im Institutionengefüge sehr schwachen Bundespräsidenten relativ reibungslos durchsetzte und bald als natürlich erschien, so in erster Linie deshalb, weil der erste Bundeskanzler Adenauer allen Beteiligten -dem Kabinett, den Koalitionsfraktionen, dem Bundespräsidenten selbst und der deutschen Öffentlichkeit -Mal um Mal die neue Wahrheit einrieb, daß die Bundesrepublik eine Kanzlerdemokratie sei. Das betraf auch die meisten Bereiche, in denen Pleuss vielleicht hätte versuchen können, seine ohnehin nur marginalen Zuständigkeiten etwas auszuweiten.
Adenauer tat sein Bestes, Heuss aus den Kabinettsbildungen völlig herauszuhalten. Nur im Fall Thomas Dehler beharrte Heuss 1953 mit weitreichenden Folgen darauf, Dehler nicht wieder als Justizminister im Kabinett zu sehen, und Adenauer erwies sich als seinem Wunsch zugänglich. Nicht nur im Binnenverhältnis der Institutionen, sondern ebenso in den auswärtigen Angelegenheiten wurde zweifelsfrei klargestellt, wo die Glocken hingen -nämlich im Bundeskanzleramt und im Auswärtigen Amt, das bekanntlich bis zum Frühjahr 1955 von Adenauer in Personalunion geleitet wurde. Die wenigen Male, da Adenauer den Eindruck gewann, daß Heuss etwas aus der Reihe tanzte, überfiel er ihn mit vorwurfsvollen Briefen
Zwar dachte Heuss nach eigenem Bekunden durchaus nicht daran, dem Bundeskanzleramt oder dem Auswärtigen Amt seine Reden einzureichen
Doch versteht sich von selbst, daß bei Auslandsreisen Auswärtiges Amt und Bundespresseamt über die Ansprachen von grundsätzlicher Bedeutung informiert waren, so daß erforderlichenfalls diskrete Einwirkungen möglich wurden. Schließlich mußten ja die Übersetzungen hergestellt und die Pressearbeit vorbereitet werden. Noch Karl Carstens betonte in seinen Erinnerungen ausdrücklich, natürlich müsse der Bundespräsident bei Reden im Ausland „Einvernehmen mit der Bundesregierung herstellen“, und er fügte hinzu; „An diesen Grundsatz habe ich mich gehalten, auch wenn es mir manchmal schwerfiel.“
Ob bei einem anderen Kanzler und bei einem weniger ironischen, betont humanen und musischen Bundespräsidenten die Gewichte etwas anders austariert worden wären, mag man fragen. Nur kam eben im Verhältnis von Adenauer und Heuss nicht bloß der subjektiv-psychologische Faktor ins Spiel. In allen wesentlichen Fragen der Außenpolitik -feste Westbindung, Wiederbewaffnung, Antikommunismus -stimmte Heuss politisch mit dem Kanzler überein, während er zu einem Teil der eigenen FDP auf Abstand hielt.
Wollte der sich seiner Qualitäten durchaus bewußte Heuss somit neben dem Kanzler bestehen, dann war es nur natürlich, auf jene Felder auszuweichen, die ohnehin durch das Grundgesetz vorgegeben waren und auf denen er sich zudem lebenslang getummelt hatte. Anders und sehr viel nachdrücklicher als die Reichspräsidenten der Weimarer Republik (viel eher war der redefreudige Kaiser Wilhelm II. ein Vorbild) hat er an bedeutenden, weit ausholenden, anspruchsvollen Grundsatzreden seine Freude gehabt, welche natürlich viel maßvoller und verständiger waren als die einstigen kaiserlichen Rodomontaden. In diesen umfassenden Reden, in denen er wirklich gut war und die ihm verdienten Beifall einbrachten, wurde er gewissermaßen zum obersten Leitartikler der demokratischen Republik. Noch mehr wußte er es indessen zu schätzen, wenn man ihn nicht nur als den höchsten Leitartikler, sondern auch als den vornehmsten Feuilletonisten der Republik zu preisen geruhte. Theodor Heuss war stolz darauf, jede der-bedeutenderen Reden selbst verfaßt zu haben. An Adenauer schrieb er Anfang 1959 in dem nachmals berühmten zornigen Brief aus dem Urlaubs-ort Lörrach, als das gute Verhältnis der beiden über der Nachfolgefrage zerbrach: „Daß ich, von den Trivialitäten bei den . Beglaubigungenabgesehen, nie eine Rede gehalten habe, die ein anderer gemacht hat, war technisch wohl überflüssige Mühe, aber einfache Folge meiner Literaten-Vergangenheit.“
Johannes Gross spottete zwar später über die „Heussschen Manierismen“, deren man nach zehn Jahren überdrüssig geworden sei wobei er sicher in erster Linie auf dessen Reden anspielte. Doch die damals noch durch das humanistische Gymnasium geprägten deutschen Akademiker, die nach den Hitlerschen Exzessen insgeheim nach einem Philosophenkönig verlangten, erfreuten sich höchlichst dieses ins oberste Staatsamt gelangten Bildungsbürgers, der wie eine Reinkarnation der Paulskirchenprofessoren wirkte und darüber hinwegsehen ließ, daß die Politik der Koalition unter dem polarisierenden Adenauer -wie demokratische und nichtdemokratische Politik zu allen Zeiten -ein lautes, intrigenreiches, hartes und schmutziges Geschäft war.
Der zu allen Zeiten latenten Neigung vieler Deutscher, Streit und riskante Entscheidungen als fragwürdig zu betrachten, kam die nachdenkliche Abgehobenheit dieses so klug räsonnierenden, unkontroversiellen Präsidenten aufs schönste entgegen. Mit Heuss war nicht nur der redende Präsident gefunden, dessen Nachfolger auch künftig daran gemessen werden sollten, ob es ihnen (allerdings von Redenschreibern unterstützt) gelingen würde, alle lästigen Fragen der Innen-und der Außenpolitik, der jüngsten oder ferneren Vergangenheit und einer eher drohenden Zukunft intellektuell ins Schweben zu bringen und handliche Begriffe in den Diskurs zu werfen: „Unteilbares Deutschland“ etwa, oder „Kollektivscham“. Heuss machte zudem eine weitere Entdeckung, welche seine Nachfolger, so sie klug waren, beherzigen sollten: Er profilierte sich als integrierende Kraft.
Auch in diesem Punkt folgte er der Ratio eines Staatspräsidenten, der immer auch das ganze Volk im Auge haben soll. Selbst ein französischer Präsident der V. Republik oder ein Präsident der USA muß ja Tag für Tag den Spagat vollführen, einerseits ein Parteiführer zu sein, andererseits der Repräsentant der ganzen Nation. Für einen Präsidenten nach dem Grundgesetz, dem es verwehrt ist, eine Partei zu führen oder politisch zu gestalten, liegt es indessen nahe, sich über die Partei-gruppierungen, die ihn gewählt haben, hoheitsvoll zu erheben, um sich auch jenen zu öffnen, die eigentlich im gegnerischen Lager stehen. Wieweit dabei der Gedanke an die mögliche Wiederwahl mit im Spiel ist, läßt sich stets schwer entscheiden. Tatsache ist jedenfalls, daß Heuss es auf Anhieb fertigbrachte, eine Tradition zu begründen, die da lautet: Wenn die jeweiligen Oppositionsparteien ohnehin numerisch zu schwach sind, um einen eigenen Mann auf den Schild zu erheben, und wenn der Bundespräsident in der ersten Amtszeit auch die Kräfte der Opposition pfleglich behandelt hat, dann darf er für die zweite Amtszeit mit einer breiten Mehrheit rechnen, welche ihn natürlich zumindest moralisch verpflichtet, sich in diesen fünf Jahren noch etwas weiter als zuvor schon von seiner ursprünglichen parteipolitischen Herkunft zu entfernen.
So hat es Heuss geschafft, nach Ablauf von fünf Jahren bei der Wiederwahl im Jahr 1954 871 von 994 Stimmen der Bundesversammlung auf sich zu vereinen -wobei es ihm wohl am meisten Freude gemacht hat, daß die seit den Weimarer Zeiten gehaßte Parteifreundin Marie-Elisabeth Lüders nur eine einzige Stimme erhielt.
Das war musterbildend. Heinrich Lübke ist ähnlich vorgegangen, wenngleich er bei der Wiederwahl nicht ganz so erfolgreich war, Richard von Weizsäcker ebenso. Dieser Kalkül kann eigentlich nur dann nicht aufgehen, wenn die Mehrheitsverhältnisse auf seiten der oppositionellen Parteien zu eindeutig sind. Dann setzen diese ihren eigenen Kandidaten durch wie Karl Carstens im Mai 1979. Schließlich hat Heuss noch in einem weiteren Punkt musterbildend gewirkt, wenngleich ungewollt. Wer 10 Jahre als Bundespräsident hofgehalten hat und um den Globus gereist ist, vermag sich kaum mehr vorzustellen, daß ein Nachfolger die Sache auch nur halb so gut machen könnte wie er selbst. Aus der Vorgeschichte der Bundespräsidentenwahl 1959 ist uns wohlbekannt, welche listigen Eiertänze Heuss zeitweilig vollzogen hat, um vielleicht alle Beteiligten doch noch zu veranlassen, ihm eine Grundgesetzänderung, von der er möglicherweise den Nutzen gehabt hätte, auf silbernem Tablett anzubieten.
Wenn allerdings die amtierenden Präsidenten meinen, kein Mensch könne das Amt besser ausfüllen als sie selbst, so sind die Folgen ihrer so hohen Selbsteinschätzung zumeist betrüblich. Immer dann nämlich, wenn wieder eine Präsidentschaftswahl ansteht, ziehen natürlich die Parteiführer mit großer Selbstverständlichkeit die Sache an sich. Unter den Granden tritt dann das Hobbessche Gesetz wieder in Kraft: „Homo homini lupus“. Taktische Überlegungen, Parteiprestige, Koalitionsräson -alles hat nun bei der Bestimmung des neuen Kandidaten Gewicht, nur nicht die Wünsche und Erwartungen des verdienten Amtsinhabers. So ist es Heuss im Frühjahr 1959 ergangen, später Gustav Heinemann, um dessen Wünsche Wehner, Scheel und Brandt sich nicht kümmerten. Auch Richard von Weizsäcker mußte ähnlich trübe Erfahrungen machen. Die meisten Präsidentschaften, deren Amtsinhaber das letzte Jahr ihrer zweiten Amtszeit erreichen, pflegen deshalb mit Mißklang zu enden.
III.
Damit sind wir beim Wahlvorgang. Lassen sich beim Blick auf die Präsidentschaftswahlen Regelmäßigkeiten erkennen? Und welche? Zunächst zu den Kandidaten. Gibt es so etwas wie den klassischen Typ des aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten? Zweifellos reizt es die Parteiführer immer wieder einmal, hoch angesehene Spitzenpolitiker ins Spiel zu bringen, manchmal sogar sich selbst. Das Präsidentenamt kann dann als Höhepunkt und Abschluß einer großen Politikerkarriere verstanden werden -bisweilen jedoch auch als Abschiebebahnhof.
Die vielbelachte und häufig untersuchte Bundes-präsidentenwahl von 1959 zeigt im Vorfeld diesen Typ potentieller Kandidaten: Adenauer möchte den ungeliebten Kanzler-Kandidaten Ludwig Erhard in die Villa Hammerschmidt dirigieren, wird dann selbst beinahe abgeschoben oder läßt sich zeitweilig von der Präsidentschaft verführen, und auf seiten der SPD tritt mit dem damals auf dem Gipfelpunkt seines Ansehens stehenden Carlo Schmid gleichfalls ein Politiker der allerersten Garnitur ins Rennen, bleibt auch bis zum Schluß und verliert schließlich, während sich inzwischen Adenauer und Erhard schon längst wieder entfernt haben.
Zu den Spitzenpolitikern im Jahr 1969 zählen der ehemalige Außenminister und derzeitige Verteidigungsminister Gerhard Schröder von der CDU und Justizminister Gustav Heinemann von der SPD. Allerdings nimmt Heinemann innerhalb der SPD doch eher eine geachtete Außenseiterposition ein.
Die Bewerbung des FDP-Vorsitzenden und Bundesaußenministers Walter Scheel im Jahr 1974 ist ein weiterer typischer Fall, in dem ein bestens plazierter Spitzenpolitiker sich entschlossen zeigt, seine Laufbahn mit der Bundespräsidentschaft zu krönen, wobei es damals noch so aussieht, als sei Scheel 1979 eine zweite Amtszeit sicher.
Aus Sicht des Jahres 1979 muß man auch den Sieger dieser Präsidentenwahl, Karl Carstens, zu den Spitzenpolitikern rechnen, obwohl er eigentlich ein hoher Beamter war, der ab 1974 eine politische Blitzkarriere machte.
Zu den Spitzenpolitikern, die ihre Karriere mit der Präsidentschaft krönen möchten, zählt auch Johannes Rau, der 1994 kandidierte und dabei unterlag. Bei der bevorstehenden Wahl des Bundespräsidenten hat er denkbar gute Aussichten.
Daneben gibt es einen zweiten Typ -den Verlegenheitskandidaten, der zur Überraschung der Öffentlichkeit und wohl auch zur eigenen Überraschung ins Amt kommt. Heinrich Lübke in der besonderen Konstellation des Jahres 1959 war ein solcher Verlegenheitskandidat. Zwar gehörte er dem Bundes-kabinett an. Doch genau besehen und ohne seinem Andenken zu nahe zu treten, darf man feststellen, daß er nicht einmal so recht aus dem zweiten Glied gewichtiger Politiker stammte, dem ich die Länder-ministerpräsidenten zurechnen würde oder politisch wirklich einflußreiche Mitglieder des Bundes-kabinetts. Lübke war 1959 eher ein Mann aus dem dritten Glied, über den Heuss an Toni Stolper herablassend schrieb: „... ein sehr ehrenwerter und sachlich gescheiter Mann . . . Ich habe ihm gegenüber den Bauerninteressen immer die Stange gehalten. Die (kinderlose) Frau, früher Studienrätin, kennt Sprachen und lernt jetzt Russisch.. .“
Eine ähnliche Verlegenheitslösung war auch Roman Herzog. Dieser ehemalige Kultusminister von Baden-Württemberg und Präsident des Bundesverfassungsgerichts gehörte zwar der Spitzen-garnitur der politischen Klasse in der Bundesrepublik an, saß aber niemals im Bundeskabinett, war kein Landesfürst und spielte auch in der Parteiführung der CDU keine Rolle von Gewicht -alles in allem zwar eine sehr viel breiter angelegte und versiertere Persönlichkeit als seinerzeit Heinrich Lübke, aber dennoch kein Mann, dessen Name sich ursprünglich aufdrängte.
Ein Sonderfall ist Richard von Weizsäcker. Im Mai 1974 stellte ihn die oppositionelle CDU auf, nachdem er -ganz von außen kommend -bereits 1969 im Vorfeld ins Spiel gebracht, von Gerhard Schröder bei der parteiinternen Auseinandersetzung aber ausgepunktet worden war Diejenigen in der CDU, die sich schon 1969 für ihn einsetzten -Helmut Kohl war einer von ihnen -erhofften sich von diesem öffentlich angesehenen Außenseiter-kandidaten Stimmenzufluß von seiten der FDP. 1974 war die Lage völlig anders. Jetzt war von Weizsäcker innerparteilich stark umstritten. Die einen in der eigenen Partei schoben ihn aber eben deshalb vor, weil sie signalisieren wollten, daß die CDU auch liberale und ostpolitisch der Entspannung verpflichtete Politiker von Format aufzustellen hatte. Die anderen, denen er mißfiel, nahmen seine Kandidatur hin, weil sie wußten, daß die CDU/CSU (ähnlich wie bald darauf die SPD 1979) ohnehin keine Chance haben würde, so daß sie den ungeliebten von Weizsäcker gerne in die Arena schickten, wohl wissend, er würde eine Wahlniederlage erleiden. Im Jahr 1984 allerdings war von Weizsäcker, jetzt Regierender Bürgermeister von Berlin, ein in weiten Teilen der eigenen Partei sehr angesehener, erfolgreicher Landes-fürst, dem der Parteivorsitzende und Bundeskanzler Helmut Kohl bei dessen zähem Streben ins Amt des Bundespräsidenten nichts mehr entgegensetzen konnte
IV.
Wie gestalten nun die auf ihr Amt jeweils durchaus unvorbereiteten Kandidaten dann, -wenn sie, wie seit längerem geplant oder auch unerwartet, zum Zug gekommen sind, ihre jeweilige Präsidentschaft? Zuerst: Sie tun fast ausnahmslos ihr Bestes, die Jahre, da sie konfrontative Parteipolitiker waren, rasch vergessen zu lassen. Fast ausnahmslos, denn es gibt in diesem Punkt eine einzige Ausnahme: Gustav Heinemann, der kurz nach der Wahl die CDU/CSU mit dem Ausspruch erboste, jetzt habe ein „Machtwechsel“ stattgefunden, und immer wieder einmal Reden hielt, die in wichtigen Sektoren des Parteienspektrums als recht einseitig empfunden werden mußten.
Fast regelmäßig läuft aber ansonsten alles ab, wie bereits angedeutet: Die Aussicht auf das schöne Amt entfesselt anfänglich einen Wirbelsturm von individuellen Leidenschaften, Personalkalkülen, Abneigungen, koalitionstaktischen Überlegungen und Prestigegesichtspunkten, wobei alles eine Rolle spielt, kaum aber die Frage, ob der Gewählte die Fähigkeit zur Integration besitzen wird, ob er über charismatische Ausstrahlung verfügt oder ob an ihm wenigstens die Kraft zu geistig überlegener, wegweisender, auch rhetorisch glänzender Darstellung zu entdecken ist. Bisher ist nur eine einzige Kandidatur mit dem Argument torpediert worden, der Betreffende sei nicht integrativ genug -die des konservativen Protestanten Stefan Heitmann, der linksliberalen Politikern und Jour nalisten verhaßt war und nicht über die Gabe gebot oder nicht bereit war, alle Tabus der politischen Korrektheit zu respektieren.
Eigenartigerweise erweist es sich aber dann jedes-mal, daß die inzwischen standardisierte Präsidentenrolle von Amtsinhabern recht unterschiedlichen politischen Gewichts, recht unterschiedlichen Temperaments, auch recht unterschiedlicher darstellerischer und intellektueller Begabung gemeistert werden kann. Am bemerkenswertesten ist jedoch jedesmal, wie dann, wenn die Entscheidung gefallen ist, die Konfrontation der Wahlphase rasch vergessen wird, während der Gewählte unverzüglich in die Rolle des integrierenden Bundespräsidenten hineinschlüpft.
So verhielt es sich beispielsweise nach der im Vorfeld ziemlich umstrittenen Wahl von Karl Carstens, dem es allerdings nach dem Intermezzo einiger konfrontativer Jahre als Anführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch nicht schwerfiel, nun wieder der gewohnten Rolle des allein dem Ganzen verpflichteten Staatsdieners zu entsprechen. Der noch amtierende Bundespräsident hat die Turbulenzen während und kurz nach seiner Wahl ähnlich rasch hinter sich gelassen.
Auffällig ist noch ein Weiteres. Die meisten neu gewählten Amtsträger sind entschlossen, sich im Stil ihres Auftretens von ihrem Vorgänger abzusetzen. Natürlich können sich nun auch die Unterschiede der Temperamente und des Staatsverständnisses ungebremster entfalten, wobei jeder neue Bundespräsident rasch erfährt -falls er das nicht ohnehin schon gewußt hat daß er Tag für Tag und Rede für Rede zwischen Fettnäpfchen einherschreitet.
Bei dem Bemühen, sich abzusetzen, lassen sich recht unterschiedliche Beobachtungen machen. Heinrich Lübke beispielsweise, der viel weniger als Theodor Heuss vor ihm oder andere nach ihm eine politische Spitzenbegabung war, zeigte sich in dem neuen Amt fest entschlossen, eigene Politik zu machen. Neben angeborener Dickschädeligkeit und einem gewissen Mangel an Souplesse waren es dabei auch die Umstände, die ihn dazu verleitet haben, zusehends auf eine Große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD zu drängen sowie eine gewisse Präferenz für ein sehr enges Zusammenwirken mit dem gaullistischen Frankreich zu bekunden. Das Parteiensystem der sechziger Jahre war nämlich vom Anfang bis zum Ende in Bewegung, die Exponenten divergierender innerparteilicher Strömungen rangen erbittert miteinander. Klaus Hildebrand hat es richtig gesehen, wenn er feststellte, in dieser Phase habe die Bonner Demokratie in ihrer Praxis „Anschluß an die parlamentarisch verfaßten Staaten des Westens“ gewonnen und die Sachzwänge parlamentarisch verfaßter Systeme meistern gelernt
Ein Bundespräsident kann sich in dieser Lage, da alles koalitionspolitisch im Fluß ist, nicht von der Politik absetzen; er muß -ob er dies möchte oder nicht (Lübke wollte aber ganz gerne) -von dem erhobenen Podest des gesamtstaatlichen Integrators herabsteigen und mitmischen. Mit Präsident Scalfaro waren unlängst bei der Krise der italienischen Republik ähnliche Erfahrungen zu machen. Überhaupt müssen Präsidenten in parlamentarischen Systemen, die durch periodische, oft häufige Regierungswechsel gekennzeichnet sind, ihr Amt parteipolitischer auffassen, als dies die meisten deutschen Bundespräsidenten bisher zu tun hatten. Bei Lübke kam allerdings auch noch ein weiteres Element ins Spiel, das nicht nur bezüglich der Bundespräsidenten bestens bekannt ist: der Faktor persönlicher Abneigungen. Die FDP und ihre Spitzenpolitiker waren ihm zuwider, sein Verhältnis zu Adenauer war fast durchweg unterkühlt, Erhard mochte er nicht, Schröder haßte er geradezu, ohne diesen allerdings 1961 und dann nochmals 1965 als Außenminister verhindern zu können, während er mit den Sozialdemokraten ganz leidlich auskam.
Verweilen wir aber noch einen Augenblick bei der Neigung, sich von dem Vorgänger abzusetzen. Heuss schreibt kunstvoll ziselierte Reden, Lübke liest schlichte Reden ab und erschreckt die hohen Beamten jedesmal, wenn er vom Manuskript abweicht und zu improvisieren beginnt. Er selbst und nach ihm auch Gustav Heinemann neigen ganz ausgeprägt dazu, die Öffentlichkeit zu belehren. Wolfgang Jäger, dem wir gute Beobachtungen zum Redenstil der Bundespräsidenten verdanken, bemerkte zu Recht über Lübke, er habe das Staats-amt zuweilen buchstäblich als Kanzel betrachtet, von der herab er sich gedrungen fühlte, in durchaus patriarchalisch-obrigkeitsstaatlichem Verständnis „die guten Sitten zu predigen und die bösen zu schelten“ Ähnlich politisch und vergleichbar eigenwillig -wenngleich mit Vorstellungen, die denen seines Vorgängers durchaus konträr entgegengesetzt waren -verstand sich auch Gustav Heinemann, zumindest in manchen seiner Ansprachen. Heinrich Böll hat ihn deshalb anerkennend einen „Radikalen im öffentlichen Dienst genannt“
Heinemann hatte den protokollarischen Prunk des Amtes fast auf Null reduziert. Seine Staatsbesuche verstand er als Büßgänge, bei Staatsempfängen entfiel der Frackzwang, gutbürgerliche Smoking-Kleidung war nun zugelassen. Wurden Botschafter akkreditiert, so standen bloß zwei Posten unter Gewehr, und Heinemann hat es auch für demokratisch gehalten, die Tore der Villa Hammerschmidt symbolisch für Personen zu öffnen, die weder zuvor noch danach mit der politischen Klasse zu tun hatten. Zum Neujahrsempfang 1971 wurden auch ostentativ geladen: sieben Bauarbeiter (zwei von ihnen Ausländer), fünf Krankenschwestern, vier Entwicklungshelfer, eine Apothekerin, die Inhaberin eines Hutsalons, ein Strafvollzugsbeamter, ein Bewährungshelfer Auch damit setzte er übrigens Standards. Seither sieht sich jeder Bundespräsident veranlaßt, immer größere Scharen von Gästen, die Kinder nicht zu vergessen, wenigstens einmal im Jahr mit Würstchen, Ballons, Säften und Sekt -unter Verleihung von Auszeichnungen an ausgewählte Bürger oder Nichtbürger -zur Gartenparty zu bitten.
Walter Scheel hingegen machte vorerst mit vielem von dem Schluß, soweit sich derlei Gepflogenheiten überhaupt einstellen lassen. Er hielt sich ans internationale Protokoll, ließ vor Botschaftern wieder einen Ehrenzug der Bundeswehr auftreten statt bloß eines Trommlers und eines Pfeifers und verlegte das militärische Zeremoniell bei Staatsbesuchen vom Flughafen ins Bundespräsidialamt. Jeder der Bundespräsidenten betreibt, der Bedeutung des Amtes entsprechend, seine eigene Pressearbeit. Das hat sich über die Jahre hinweg intensiviert und verändert, analog zu durchaus vergleichbaren Entwicklungen beispielsweise im Bundeskanzleramt, in allen großen Bundesministerien oder in den Regierungen der Länder. Die Imagepflege wird routinierter, die Bände mit Reden der Bundespräsidenten werden voluminöser. Zwar sind seit den Tagen von Theodor Heuss wichtigere Ansprachen immer wieder einzeln oder auch in Sammelbänden erschienen. Seit längerem aber scheint alles verbreitenswert. Walter Scheel und Karl Carstens beispielsweise haben es in der fünfjährigen Amtszeit jeder auf fünf Bände Reden und Interviews mit jeweils rund 2 000 Druckseiten gebracht. Die Nachfolger sahen keinen Grund, dies zurückzufahren.
Von Weizsäcker vor allem, doch auch der gegenwärtige Bundespräsident sind zudem konsequent dazu übergegangen, einzelne ihrer Reden oder Interviews als ganz überragend wichtig herauszuarbeiten -sei es, weil sie das kollektive Erinnern orientieren wollten wie von Weizsäcker in seiner Ansprache zum 8. Mai 1945, sei es, weil sie unkonventionelle Kritik an der „Machtbesessenheit“ der Parteien artikulieren oder die allgemeine Malaise des Reformstaus in einer „Ruck“ -Rede zur Sprache bringen wollten, in der allerdings die Verantwortlichen -also in erster Linie Sozialpolitiker und Gewerkschaften -nicht allzu präzise benannt werden durften.
Zu solchen und anderen Reden, die zumeist erwähnt werden, wenn von der orientierenden Funktion des Bundespräsidenten die Rede ist, treten zahlreiche Interviews oder sonstige Auftritte, zunehmend auch im Fernsehen, schließlich sogar nachdenkliche Fernsehgesprächsrunden, wie sie etwa Bundespräsident Herzog unter seinem Vorsitz im Schloß Bellevue versammelte.
Seitdem der sangesfreudige Bundespräsident Scheel eine Schallplatte besungen hat („Hoch auf dem gelben Wagen“), reizt es, der Öffentlichkeit auch Einblick in die Freizeitgestaltung der Präsidenten zu gewähren, um „human Interest“ zu erwecken. Karl Carstens verband Freizeitgestaltung mit Öffentlichkeitsarbeit, indem er in Gesellschaft zahlreicher Wanderfreunde auf „offiziellen“ Strecken allein in den ersten vier Jahren seiner Amtszeit 1 124 Kilometer wandernd zurücklegte und „inoffiziell“ weitere 500 Kilometer Selbst über die karitativen Tätigkeiten der Präsidenten-gattinnen, die seit Gründung des Müttergenesungswerks durch Elly Heuss-Knapp im Januar 1950 gute Tradition sind, wird gleichfalls zunehmend intensiver berichtet. Auch in dieser Hinsicht werden im Schloß Bellevue neue Maßstäbe gesetzt, wo Frau Herzog, unbeschadet ihrer karitativen Tätigkeiten, auch regelmäßig als Fernsehköchin in Gesellschaft anderer Küchenmeister beeindruckt. Die Bundespräsidenten versehen also in den letzten beiden Jahrzehnten ihr öffentliches Wirken eher weniger als mehr zurückhaltend mit einer kräftigen Prise Infotainment, weil sie -wie die meisten modernen Politiker neben ihnen -erkannt haben, daß das Publikum nicht bloß ernsthaft belehrt, sondern zugleich unterhalten und menschlich angerührt werden möchte. Und so wie zuvor schon die Bundeskanzler finden sich schließlich auch die Bundespräsidenten bereit, schön photographierte Bildbände von sich her-steilen zu lassen.
Ist das Personenkult? Ist es ein Abgehen von der Ernsthaftigkeit des Amtes? Wer so fragt, verkennt die moderne Form des Politikmachens, die eben auch darin besteht, für die eigentliche Botschaft durch ein weich gezeichnetes Medienbild Empfänglichkeit zu schaffen.
V.
Greifen wir nun nach Erörterung des Wegs zur Präsidentschaft und der Amtsgestaltung nochmals die Frage des politischen Gewichts des Bundespräsidenten auf. Kommt es im politischen System der Bundesrepublik Deutschland überhaupt auf den Bundespräsidenten an? Und lassen sich bei den Amtsinhabern von Heuss bis Herzog doch Unterschiede der Einflußnahme auf den politischen Entscheidungsprozeß feststellen?
Daß jeder Bundespräsident Einfluß auf die Politik ausgeübt hat, ist unbestritten. Dieser Einfluß wäre freilich gering zu veranschlagen, wollte man unter dem Politischen allein die Fragen von Machterringung, Machterhalt und Machtverlust der Regierungen sowie die Einflußnahme auf Gesetzgebung und Gestaltung der Außenpolitik verstehen. Dabei macht sich nämlich bemerkbar, daß das bundesdeutsche Regierungssystem ungeachtet der für Demokratien nun einmal typischen Daueraufgeregtheit und ungeachtet vieler Bedrohungen bisher durch ein Höchstmaß an Regierungsstabilität ausgezeichnet war. Somit ist die in den juristischen Kommentaren so breit erörterte Funktion der „Reservemacht“ bisher überhaupt nicht getestet worden.
Wahrscheinlich gab es nur eine einzige Phase, in welcher der Bundespräsident die Möglichkeit hatte, auf die großen Weichenstellungen konkret einzuwirken. Dies waren die Jahre 1952/53 mit ihrem komplizierten Hin und Her um die Westverträge zwischen Bundesregierung, Opposition, Bundespräsident und Bundesverfassungsgericht. Hätte damals ein anderer Bundespräsident amtiert, der nicht so durchaus standhaft wie Heuss die Linie der Regierung durch Skylla und Charybdis hätte steuern helfen, wäre Adenauer möglicherweise im Bundesverfassungsgericht und in der Villa Hammerschmidt aufgelaufen -mit weitreichenden Auswirkungen auf die künftige Entwicklung. Auch die Entscheidungen zur Auflösung des Bundestags 1972 und 1982 waren Momente, bei denen es verfassungsrechtlich auf den Bundespräsidenten ankam. Doch da die Auflösung 1972 wegen des Patts von Bundesregierung und Opposition gleicherweise gewünscht wurde, brauchte der durchweg vorsichtige Heinemann, der sich anfangs auf keinen „Handgalopp“ einlassen wollte 29, keine Bedenken zu haben. Er ließ sich von den Vorsitzenden der drei Fraktionen im Deutschen Bundestag gemeinsam erläutern, daß sie keine Alternative zur Auflösung und zu Neuwahlen sähen und Unterzeichnete unmittelbar an diese nur eine Viertelstunde dauernde Besprechung die Auflösungsanordnung 30.
Im Oktober 1982 war die Lage etwas komplizierter. Karl Carstens ließ sich Zeit, da er gegen das von der neuen Koalition abgesprochene, künstlich herbeizuführende Mißtrauensvotum gemäß Artikel 68 GG Bedenken hegte. In insgesamt 17 Gesprächen mit maßgebenden Spitzenpolitikern aller Seiten überzeugte er sich jedoch, daß auch die SPD-Opposition trotz gewisser rechtlicher Bedenken im Grundsatz mit Neuwahlen einverstanden war 31. Ob die Bundestagswahlen anders ausgegangen wären, wenn er sich gegen die Auflösung entschieden und damit bis zum regulären Wahltermin eine unsichere Lage geschaffen hätte, weiß niemand.
Sieht man von diesen spektakulären Vorgängen ab, so zeigt sich erst recht beim Blick auf die Gesetzgebung, daß der Bundespräsident in keinem überragend wichtigen Fall den großen Gang der Entwicklung zu verändern suchte, geschweige denn verändert hat. Etwas überpointiert könnte man somit formulieren: Die Geschichte der Bundesrepublik wäre wahrscheinlich nicht anders verlaufen, wenn statt des nach den Artikeln 54-61 GG in Verbindung mit Artikel 68 GG tätigen Bundespräsidenten im Jahresrhythmus der jeweilige Präsident des Bundesrats die entsprechenden Funktionen wahrgenommen hätte.
Wie wir wissen, ist indessen der institutioneile Ansatz eine viel zu enge Betrachtungsweise. Zudem könnte -wann immer dies auch eintreten mag -bei labileren Mehrheitsverhältnissen dem Bundespräsidenten auch in der Bundesrepublik phasenweise eben doch eine Schlüsselfunktion zufallen. Daß es in den 50 Jahren bundesdeutscher Geschichte bisher nur einmal, zwischen dem 28. April 1972 und der Bundestagswahl am 19. November 1972, ungeklärte Mehrheitsverhältnisse gab, ist ein historischer Zufall und im internationalen Vergleich eigentlich ganz atypisch für parlamentarische Regierungssysteme. Auch am 27. September 1998 ist die von manchen erwartete Lage nicht eingetreten, in welcher es dem Bundespräsidenten hätte beschieden sein können, bei knappsten Mehrheitsverhältnissen vielleicht für wenige Tage eine Schlüsselrolle zu spielen.
Doch die Einflüsse des Bundespräsidenten auf die Spitzenpolitiker, auf die politische Klasse insgesamt und die breite Öffentlichkeit sind selbstverständlich sehr viel weitreichender. Daher besteht bei vielen Beobachtern eine ausgeprägte Neigung, in seiner verstärkenden, vorauseilenden oder nacheilenden Einwirkung auf den jeweils vorherrschenden „Zeitgeist“ die derzeit wichtigste Bedeutung des Bundespräsidenten zu sehen.
VI
Das Amt des Bundespräsidenten steht, so meine abschließende Feststellung, in einem doppelten Widerspruch. Dieser Widerspruch besteht einerseits darin, daß in der Gestalt des Bundespräsidenten eine Einzelperson das pluralistisch zerfaserte, aufgrund demokratischer Konfliktbereitschaft häufig auch polarisierte Staatsvolk zu repräsentieren hat. Er ist andererseits darin zu sehen, daß dieses gemeinsamer Wertvorstellungen ermangelnde, sittlich längst von der Rolle geratene Volk paradoxerweise dennoch von diesem höchsten Repräsentanten in vielen Grundsatzfragen politischer, sozialer und wirtschaftlicher Ordnung bis hin zu diffizilen sozialethischen Problemen Orientierung erwartet, wobei die Bundespräsidenten zunehmend freudiger dazu bereit sind, solchen Orientierungserwartungen freundlichst entgegenzukommen. Im Institutionengefüge demokratischer Verfassungsstaaten muß das Amt des Staatspräsidenten eher als Fremdkörper begriffen werden. Jedenfalls haben sich obrigkeitskritische republikanische und demokratische Bewegungen in der Regel immer dann, wenn sie seit den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts die altüberkommene Herrschaft ihrer Potentaten abschütteln wollten, auf den Kompromiß eingelassen, das Amt des Königs durch einen auf Zeit gewählten Präsidenten zu ersetzen. Dabei sind die politischen Zuständigkeiten eines solchen Präsidenten mehr oder weniger stark eingeschränkt worden -selbst dort, wo man diesen wie in der amerikanischen Bundesverfassung von 1787, in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 oder in der von de Gaulle etablierten Verfassung der Fünften Französischen Republik klar erkennbare quasi-monarchische Kompetenzen zugewiesen hat. Im heutigen Deutschland, in Italien oder auch in der Tschechischen Republik, wo derzeit der Intellektuellen-Präsident Vaclav Havel auf dem Hradschin amtiert, sind die ehemals monarchischen Zuständigkeiten nicht nur stärkstens beschnitten worden, sie sind auch viel besser getarnt als beispielsweise im heutigen Amerika oder Frankreich. Aber bei genauerem Zusehen lassen sie sich durchaus noch erkennen. Und man versteht die Eigentümlichkeiten unserer Bundespräsidenten-wahlen, erst recht aber die Amtsführung der jeweils obsiegenden Bundespräsidenten nur dann angemessen, wenn man auf die innere Spannung zwischen diesem verkappt monarchischen Element einerseits und dem demokratischen Gehalt der Präsidentschaft andererseits aufmerksam macht. Denn alle jene modernen Demokratien, an deren Spitze ein Staatspräsident steht, beruhen ja durchaus auf dem Prinzip der Volkssouveränität.
Demokratie ist Streit, ist Polarisierung, ist Interessen-und Meinungskampf -allerdings im Rahmen fester Regeln und in der Hoffnung, daß der Streit friedlich bleibt und zu einem -stets labilen -Konsensus führt. Aber mit einem derartigen System, in dem die politischen Mehrheiten im Bund und in den Ländern den Minderheiten gegenüberstehen, in dem innerhalb der Parteien Streit herrscht, in dem die Bundesregierungen mit den Länderregierungen ringen, in dem die Sozialpartner, die weltanschaulichen Lager und viele andere Gruppen einander mehr oder weniger offen befehden -mit einem derartigen System ist das Amt eines den Gesamtstaat repräsentierenden, dem Parteien-und Meinungsstreit übergeordneten republikanischen Wahlmonarchen nur schwer vereinbar.
Eigenartigerweise aber wollen oder können die modernen Demokratien auf eine solche repräsentative Spitze doch nicht verzichten, wobei dem verkappten Wahlmonarchen zumeist auch noch bestimmte Funktionen für den Fall von Regierungskrisen oder von Staatskrisen zugeordnet werden. Ja, es ist sogar festzustellen, daß gerade die nicht mit gewichtigen Zuständigkeiten ausgestatteten Staatspräsidenten gelegentlich neben der politisch-repräsentativen Funktion auch gewisse sakrale Elemente des seinerzeitigen Königtums mit einzubringen versuchen. So wie früher die Völker den Königen neben den im engeren Sinne politischen Aufgaben auch gewisse spirituelle Funktionen zugebilligt haben, so findet ein Präsident in weitgehend säkularisierten Gesellschaften wie der unseren erstaunlicherweise, aber offenkundig viel Zuspruch, wenn er sich in wohlüberlegten Staatsreden als eine Art weltlicher Oberpriester zu artikulieren versteht. Freilich darf er sich dabei von dem linksliberalen Meinungslager nicht weit entfernen.
Weshalb habe ich diese grundsätzlichen Überlegungen angestellt? Nun eben deshalb, weil sich die jeweiligen Präsidentschaftswahlen, denen stets ein ganz eigentümlicher Wahlkampf vorausgeht, aber auch das Rollenverhalten der Amtsträger von Theodor Heuss bis Roman Herzog nur dann richtig verstehen läßt, wenn man sie in einer dauerhaften Spannung zwischen dem Geist pluralistischer Demokratie einerseits und der kryptomonarchischen Natur des Amtes andererseits begreift. Dieser Umstand allein erklärt es, weshalb durchaus immer wieder streitige und politisch umstrittene Exponenten der Parteilager oder auch innerparteilich kontroverser Positionen in dieses Amt gewählt worden sind -in ein Amt, in dem sie sich doch gemäß der so einflußreich gewordenen Integrationstheorie Rudolf Smends verpflichtet sehen, „integrativ zu wirken“.
Die Selbstbeschränkung auf die repräsentative Funktion eines republikanischen Wahl-Monarchen wird dem Bundespräsidenten durch die Erkenntnis erleichtert, daß er in diesem repräsentativsten Staatsamt gegenüber der parlamentarisch verankerten Regierung genausowenig bewegen kann, wie das ein Monarch in den meisten der noch verbliebenen konstitutionellen Monarchien vermag. Die Repräsentationsfunktion mag in schlichten republikanischen Formen entfaltet werden. Doch ein Amtsinhaber, der für die verborgenen Möglichkeiten seines Amtes Gespür hat, kann -ohne dies zu proklamieren oder auch nur entsprechenden Verdacht aufzurühren -die uralten, in dem Amt verborgenen Elemente quasi-monarchischer Repräsentation zu gestalten versuchen. So kann ein derart auftretender und geschätzter Bundespräsident ein wenig mit dem vorherrschenden Mittelmaß versöhnen, das ansonsten tonangebend ist. Skeptisch-aufklärerischen Zeitgenossen mag die Befrachtung dieses höchsten Staatsamts mit Sinn-deutung, Sinnstiftung und umsichtiger Seelen-führung mißfallen. Der aufmerksame Beobachter aber erkennt darin eine in geistig oft öder politischer Landschaft durchaus reaktivierbare Komponente des monarchischen Prinzips, das in langen Perioden der Geschichte immer wieder einmal stärker oder schwächer hervorgetreten ist. So ist das Präsidentenamt ungeachtet seiner machtpolitischen Beschränkungen nach verschiedensten Richtungen hin gestaltungsfähig, und immer verbindet sich die Wirkung in die Gesellschaft hinein eben nicht allein mit der Person des Amtsinhabers. Sie ergibt sich auch aus dem Umstand, daß selbst die individualistisch zersplitterten Demokratien am Ende des 20. Jahrhunderts im Regelfall nur ein höchstes Amt besitzen, auf das sich bewußt oder unbewußt sehr hohe, vielleicht ganz überzogene Erwartungen richten. Je schärfer die geistige Krise empfunden wird, um so mehr verbinden sich mit dem Bundespräsidenten Orientierungserwartungen. Muß man daraus den Schluß ziehen, daß Bedeutung und Einfluß dieses Amtes eher zu-als abnehmen werden?