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Verdeckte Armut in der Bundesrepublik Deutschland. Begriff und empirische Ergebnisse für die Jahre 1983 bis 1995 | APuZ 18/1999 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 18/1999 Die Entwicklung der Einkommensverteilung und der Einkommensarmut in den alten und neuen Bundesländern Eine Frage der Gerechtigkeit Armut und Reichtum in Deutschland Prekärer Wohlstand. Spaltet eine Wohlstandsschwelle die Gesellschaft? Verdeckte Armut in der Bundesrepublik Deutschland. Begriff und empirische Ergebnisse für die Jahre 1983 bis 1995 Armut im Kindes-und Jugendalter

Verdeckte Armut in der Bundesrepublik Deutschland. Begriff und empirische Ergebnisse für die Jahre 1983 bis 1995

Udo Neumann

/ 13 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Unter verdeckter Armut wird im allgemeinen der Nichtbezug von Sozialhilfe trotz potentieller Anspruchsberechtigung verstanden. Verdeckt arme Personen müssen also mit einem Einkommen auskommen, das unterhalb des vom Gesetzgeber formulierten soziokulturellen Existenzminimums liegt. Die empirischen Ergebnisse zeigen, daß verdeckte Armut in erheblichem Ausmaß in der Bundesrepublik vorhanden ist. Im gesamten Untersuchungszeitraum von 1983 bis 1995 ist festzustellen, daß auf einen Sozialhilfeempfänger mindestens eine verdeckt arme Person kommt. In Ostdeutschland ist die Situation noch gravierender. Auf einen Sozialhilfeempfänger kommen mindestens noch zwei weitere Personen, die potentiell anspruchsberechtigt sind. Würden alle verdeckt Armen ihre Ansprüche geltend machen, kämen auf die Kommunen Mehrausgaben für laufende Leistungen zum Lebensunterhalt von rund 4, 5 Milliarden DM zu. Angesichts der bereits getätigten Ausgaben für laufende Leistungen zum Lebensunterhalt von rund 14, 5 Milliarden DM würde dies einen potentiellen Mehraufwand von mehr als 30 Prozent bedeuten. Zu den Problemgruppen gehören vor allem die Familien mit mehreren Kindern und die Alleinerziehenden. Beide Gruppen weisen weit überdurchschnittlich hohe Armutsquoten auf. Aber auch Arbeitslose sind deutlich stärker von verdeckter Armut betroffen als nicht arbeitslos gemeldete Personen. Eine besondere Gruppe bilden die sogenannten „working poor“. Dabei handelt es sich um erwerbstätige Personen, deren Einkommen nicht ausreicht, um das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern. Die „working poor“ weisen zwar keine überdurchschnittlich hohen Armutsquoten auf, sie sind aber in erheblichem Ausmaß von verdeckter Armut betroffen. Als Hauptursachen für verdeckte Armut lassen sich vor allem mangelnde Kenntnisse der Sozialhilfe, Angst vor Stigmatisierung und bewußter Verzicht nennen.

I. Vorbemerkung

Schaubild: Schematische Darstellung der Sozialhilfe

In der wissenschaftlichen Literatur finden sich zahlreiche Definitionen von Armut und mindestens ebenso viele Versuche, Armut empirisch zu messen. Bei der Anwendung von relativen Einkommensarmutsgrenzen, subjektiven Armutsgrenzen oder der Gleichsetzung des Sozialhilfebezugs mit Armut liegt die Beweislast und damit die normative Begründung dessen, was Armut ist, bei dem Wissenschaftler, der diese Messungen als Armutsmessungen bezeichnet und nicht etwa werturteilsfrei als bloße Einkommensungleichheit. Armut aber impliziert in ihrer Konnotation immer sozialpolitischen Handlungsbedarf, Einkommens-ungleichheit hingegen nicht. Bei der verdeckten Armut hat der Wissenschaftler diesen Begründungsbedarf nicht, denn verdeckte Armut ist de jure -abgeleitet aus dem Bundessozialhilfegesetz -gleichzusetzen mit Armut, die sozialpolitischen Handlungsbedarf impliziert.

II. Definition

Schaubild: Schematische Darstellung der Sozialhilfe Quelle: Eigene Darstellung

In Deutschland gibt es keine vom Gesetzgeber festgelegte „Armutsgrenze“. Die Sozialhilfeschwelle wird daher als „quasi-offizielle Armutsgrenze“ bezeichnet. Eine Person ist dann sozialhilfebedürftig, wenn das Einkommen geringer ist als das im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) definierte Existenzminimum Die Sozialhilfebedürftigkeit kann in zwei Komponenten unterschieden werden: die bekämpfte Armut und die verdeckte Armut

Mit dem Begriff der bekämpften Armut werden jene Personen bezeichnet, die sozialhilfeberechtigt nach dem Bundessozialhilfegesetz sind und die Leistungen der Sozialhilfe auch beziehen. Nach der offiziellen Argumentation der ehemaligen Bundesregierung sind die Personen, die Sozialhilfe beziehen, nicht mehr als arm zu bezeichnen: „Die Sozialhilfe bekämpft Armut, sie schafft sie nicht. Wer die ihm zustehenden Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nimmt, ist nicht mehr arm. Als arm können im Gegenteil Personen angesehen werden, die Anspruch auf Sozialhilfe haben, diesen Anspruch aber nicht geltend machen.“

Unter den Begriff der verdeckten Armut werden Personen subsumiert, deren Einkommen unterhalb der Sozialhilfeschwelle liegt und die trotz des bestehenden Rechtsanspruches auf Sozialhilfe diese Leistungen nicht in Anspruch nehmen. Diese Personen müssen also mit einem Einkommen leben, das unterhalb des offiziell definierten soziokulturellen Existenzminimums liegt.

Der Terminus verdeckte Armut ist darauf zurückzuführen, das dieser Personenkreis in keiner offiziellen Statistik geführt wird und damit in der öffentlichen Wahrnehmung verdeckt bleibt. Zudem bleibt dieser Sachverhalt auch neben der amtlichen Statistik empirisch verborgen, da wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema -etwa im Vergleich zur relativen Einkommensarmut -kaum durchgeführt werden. Darüber hinaus ist festzustellen, daß verdeckt arme Personen oft selber nicht in der Lage sind, mögliche Ansprüche auf Sozialhilfe zu erkennen und auch in diesem Sinne von verdeckter Armut gesprochen werden kann.

In wissenschaftlichen Untersuchungen zur verdeckten Armut werden Begriffe wie „verschämte Armut“ bzw. „offene Armut“ „latente Armut“ und „Dunkelziffer der Armut“ häufig synonym verwendet. In der publizistischen Öffentlichkeit tauchen neuerdings Begriffe wie „verschämte“ oder „versteckte Armut“ auf, die ebenfalls synonym mit dem hier verwendeten Begriff der verdeckten Armut gebraucht werden.

Die folgenden empirischen Ergebnisse beziehen sich auf einen Teilbereich der Sozialhilfe, nämlich der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt Um diese Hilfeart im System der Sozialhilfe zu verorten, ist es sinnvoll, kurz auf die Sozialhilfe und ihre Leistungen einzugehen.

Die Sozialhilfe wird in zwei Leistungen unterschieden: die Hilfe in besonderen Lebenslagen und die Hilfe zum Lebensunterhalt (vgl. Schaubild).

Die Hilfe in besonderen Lebenslagen (HBL) dient zur Überbrückung außergewöhnlicher Notlagen, z. B. drohender Gesundheitsschäden. Beispiele hierfür sind die vorbeugende Gesundheitshilfe, die Hilfe zur Pflege und die Krankenhilfe.

Die Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) unterscheidet die einmaligen und die laufenden Leistungen. Zu den einmaligen Leistungen gehören z. B. Wäsche und Hausrat, wenn sie aufgrund der aktuellen Lebenssituation (z. B. während einer Schwangerschaft, nach einem Diebstahl) angeschafft werden müssen. Die laufenden Leistungen umfassen den laufenden Bedarf an Ernährung, Kleidung, Aufwendungen für Körperpflege, Unterkunft, Heizung und Hausrat. Die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt wird gewährt, wenn Personen nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln -z. B. Einkommen, Vermögen, Transfers aus anderen Bereichen des sozialen Sicherungssystems -zu sichern. Die Sozialhilferegelsätze sind die Grenzen, an denen dieser Bedarf gemessen wird Die im folgenden vorgestellten Ergebnisse zur verdeckten Armut beziehen sich ausschließlich auf die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Als verdeckt arm werden Personen bezeichnet, die Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt haben, aber -aus welchen Gründen auch immer -diese Leistungen nicht in Anspruch nehmen.

III. Ausmaß und Aufwendungen

Tabelle 1: Ausgewählte Armutskennziffern zur verdeckten Armut für die Jahre 1983 bis 1990 Quellen: (1) (5): Statistisches Bundesamt (Hrsg), Fachserie 13, Reihe 2 Sozialhilfe, Stuttgart u. a. verschiedene Jahrgänge; (2) (3) (4) (6): eigene Berechnungen mit dem Sozio-ökonomischen Panel, Querschnitt der Wellen 1 (1983) bis 8 (1990) ohne Personen in Einrichtungen.

In den Tabellen 1 und 2 finden sich ausgewählte Armutskennziffern zur verdeckten Armut für die Jahre 1983 bis 1990 sowie 1991 und 1995 Es ist zu erkennen, daß die verdeckte Armut von 1983 bis 1986 kontinuierlich abnimmt. Im Jahr 1983 leben 4, 4 Prozent der Bevölkerung in verdeckter Armut, im Jahr 1986 sind es lediglich 2, 9 Prozent. In den folgenden Jahren bis 1990 ist kein eindeutiger Trend zu erkennen. Die Quoten der verdeckten Armut bewegen sich um die Drei-Prozent-Marke. In den Jahren 1991 und 1995 betragen die Quoten der verdeckten Armut in Westdeutschland 3, 2 Prozent. Besonders hervorzuheben ist das hohe Ausmaß der verdeckten Armut in Ostdeutschland. Im Jahr 1991 beträgt die Quote der verdeckten Armut 5, 6 Prozent und im Jahr 1995 4, 2 Prozent. Die hohe Quote der verdeckten Armut in Ostdeutschland dürfte zum einen damit zu begründen sein, daß das BSHG 1991 auf die neuen Bundesländer übertragen wurde und es sich damit um eine relativ neue Gesetzgebung handelt, bei der es auch anfangs zu Verwaltungsproblemen gekommen ist. Zum anderen sollte man berücksichtigen, daß das BSHG die Nachfolge der Sozialfürsorge der ehemaligen DDR angetreten hat. Es ist anzunehmen, daß das negative Image der ehemaligen Sozialfürsorge zum Teil auf das BSHG übertragen wurde und auch dies zur Nichtinanspruchnahme der Sozialhilfe beigetragen hat. Für die Zukunft dürfte eine Angleichung des Ausmaßes der verdeckten Armut in Ost-und Westdeutschland zu erwarten sein.

Eine häufig benutzte Kennziffer zur Beschreibung der verdeckten Armut ist die sogenannte „Dunkelziffer der Armut“. Bei diesem Quotienten wird der Anteil der verdeckt Armen ins Verhältnis zum Anteil aller Sozialhilfebedürftigen (verdeckt Arme und Empfänger von laufender HLU) gesetzt. Auch bei der Dunkelziffer der verdeckten Armut ist festzustellen, daß sie von 1983 bis 1986 deutlich von 69, 8 Prozent auf 54, 7 Prozent abgenommen hat. In den darauffolgenden Jahren ist ein Auf und Ab der Dunkelziffer zu beobachten. Mit 48, 5 Prozent erreicht die Dunkelziffer der verdeckten Armut für Westdeutschland im Jahr 1995 ihren tiefsten Stand im Beobachtungszeitraum von 1983 bis 1995. Wiederum hervorzuheben sind die sehr hohen Dunkelziffern in Ostdeutschland. Im Jahr 1991 beträgt die Dunkelziffer 80, 0 Prozent und im Jahr 1995 70, 0 Prozent. Mit anderen Worten: in Ostdeutschland nehmen von 100 Sozial-hilfebedürftigen lediglich 30 Prozent die ihnen zustehenden Leistungen in Anspruch, die restlichen 70 Prozent der Anspruchsberechtigten gehen leer aus. In absoluten Zahlen ausgedrückt befinden sich in Ostdeutschland rund 650 000 Personen und in Westdeutschland rund 2 123 000 Personen in verdeckter Armut In Deutschland insgesamt sind es damit 2 773 000 Personen. Addiert man zu dieser Zahl die Empfänger von laufender HLU hinzu, so sind im Jahr 1995 rund 5, 3 Millionen Personen sozialhilfebedürftig.

Die vorangegangene Darstellung der verdeckten Armut hat gezeigt, das auf einen Sozialhilfeempfänger mindestens eine weitere Person kommt, die Anspruch auf Leistungen hat, diese aber nicht wahrnimmt. Was bedeutet das für Ausgaben der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt? Darüber gibt die Armutslücke Auskunft. Summiert man die Ansprüche aller verdeckt armen Personen auf, so erhält man die Armutslücke. Dieser Betrag gibt an, wieviel DM die Kommunen zusätzlich aufbringen müßten, wenn alle verdeckt armen Personen ihre Ansprüche geltend machen würden. Sarkastisch formuliert ist das der Betrag, den die Kommunen durch die Nichtinanspruchnahme von Leistungen der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt einsparen. Als potentieller Mehraufwand findet sich in den Tabellen 1 und 2 der relative Betrag in Prozent, der zusätzlich zu den bereits getätigten Ausgaben anfallen würde, wenn alle verdeckt Armen ihre Ansprüche geltend machen würden.

Für Deutschland bewegt sich die Armutslücke zwischen 2, 41 Milliarden DM im Jahr 1985 und 4, 478 Milliarden DM im Jahr 1995. Der potentielle Mehraufwand bewegt sich zwischen 30, 6 Prozent im Jahr 1990 und 86, 4 Prozent im Jahr 1983. Im gesamten Beobachtungszeitraum ist -im Gegensatz zur Entwicklung der Ausgaben für laufende HLU -kein kontinuierlicher Anstieg der Armutslücke zu beobachten. Offenbar ist es so, daß die Korrelation von Ausmaß und Ausgaben des laufenden HLU-Bezugs und verdeckter Armut nur gering ist. Das heißt: Steigen die Empfängerzahlen für laufende HLU an, bedeutet dies nicht, daß im gleichem Ausmaß die verdeckte Armut zurückgeht und umgekehrt. Ebenso verhält es sich bei den Ausgaben für laufende HLU und der Armutslücke der verdeckten Armut.

Betrachtet man sich die Dunkelziffern der Armut, die um die 50-Prozent-Marke liegen -auf einen Empfänger laufender HLU kommt dann ca. eine verdeckt arme Person -, so ist zu erkennen, daß sich der potentielle Mehraufwand für laufende HLU nicht etwa verdoppelt. Vielmehr liegt er grob betrachtet zwischen 30 und 40 Prozent. Die Formel, daß eine Verdoppelung der Sozialhilfeempfänger-zahlen, durch Beseitigung der verdeckten Armut, zu einer Verdoppelung der Ausgaben für laufende HLU führt, trifft nicht zu. Dies läßt sich damit begründen, daß es sich bei den verdeckt armen Personen überwiegend um sogenannte „Aufstocker“ handelt, die zusätzlich zu einem bereits vorhandenem Einkommen einen Anspruch auf laufende Leistungen zum Lebensunterhalt haben.

Auf die besondere Situation in Ostdeutschland, mit dem hohen Ausmaß der verdeckten Armut, wurde bereits eingegangen. Entsprechend der hohen Dunkelziffer sind auch die potentiellen Mehraufwendungen sehr hoch. Im Jahr 1991 betragen sie 257, 8 Prozent und im Jahr 1995 101, 2 Prozent. Auch hier ist anzunehmen, daß zukünftig eine Annäherung des potentiellen Mehraufwandes an das westdeutsche Niveau stattfinden wird.

IV. Problemgruppen

Tabelle 2: Ausgewählte Armutskennziffern zur verdeckten Armut für die Jahre 1991 und 1995 Quellen: (1) (5): Statistisches Bundesamt (Hrsg), Fachserie 13, Reihe 2 Sozialhilfe, Stuttgart u. a. verschiedene Jahrgänge; (2) (3) (4): Udo Neumann/Markus Hertz, Verdeckte Armut in Deutschland, Forschungsbericht im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, Institut für Sozialberichterstattung und Lebenslagenforschung (ISL) (Hrsg.), Frankfurt am Main 1998.

Unter Problemgruppen werden im folgenden Personen verstanden, die im Vergleich zur Gesamtbevölkerung deutlich überproportional von verdeckter Armut betroffen sind. Eine Ausnahme bilden jedoch die sogenannten „working poor“. Bei ihnen handelt es sich um Personen, die erwerbstätig sind und trotzdem mit einem Einkommen leben müssen, das unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums liegt. Dieser Personenkreis ist zwar nicht überproportional von Armut betroffen, kann aber dennoch als Problemgruppe bezeichnet werden, da das Erwerbseinkommen nicht ausreicht, um ein Leben oberhalb der Armutsgrenze zu gewährleisten.Die folgenden empirischen Aussagen beziehen sich auf das Jahr 1995 Dabei handelt es sich immer um die Armutsquoten der jeweiligen Gruppe. Die Datenbasen sind Personen; wenn von Familien oder Haushalten gesprochen wird, sind damit also immer die Personen gemeint, die in diesen Haushalten leben.

Die höchsten Armutsquoten weisen die Familien mit mehreren Kindern auf. Vor allem die Paare mit Kindern unter und ab 16 Jahren sind besonders von verdeckter Armut betroffen; von diesen Familien leben 8, 4 Prozent in verdeckter Armut. In Ostdeutschland ist die Armutsquote dieser Familien fast doppelt so hoch 5 Prozent) wie in Westdeutschland (7, 1 Prozent). Aber au Jahren 12 sind besonders von verdeckter Armut betroffen; von diesen Familien leben 8, 4 Prozent in verdeckter Armut. In Ostdeutschland ist die Armutsquote dieser Familien fast doppelt so hoch (13, 5 Prozent) wie in Westdeutschland (7, 1 Prozent). Aber auch die Alleinerziehenden 13 weisen überdurchschnittlich hohe Armutsquoten auf (7, 5 Prozent), wobei sie in Ostdeutschland ebenfalls stärker von verdeckter Armut betroffen sind (10, 8 Prozent) als in Westdeutschland (6, 7 Prozent). Als Vergleichsgröße seien an dieser Stelle die Paare ohne Kinder genannt, die mit Abstand die geringsten Armutsquoten (0, 7 Prozent) aufweisen.

Die oben vorgestellten Ergebnisse zu verschiedenen Haushaltsformen spiegeln sich auch in der Betrachtung der Haushaltsgröße wider. Es ist nicht überraschend, daß nahezu parallel mit der Haushaltsgröße die Armutsquoten ansteigen. Vor allem Haushalte mit mindestens fünf Personen sind von verdeckter Armut betroffen (8, 0 Prozent). Auch bei dieser Gruppe sind die Armutsquoten in Ostdeutschland deutlich höher (15, 2 Prozent) als in Westdeutschland (6, 8 Prozent).

Betrachtet man sich verschiedene Altersgruppen, so zeigt sich, daß Kinder und Jugendliche auffallend hohe Armutsquoten der verdeckten Armut aufweisen. Besonders die Gruppe der sieben-bis 17-jährigen ist von verdeckter Armut betroffen (5, 4 Prozent). Während in Ostdeutschland auch die Gruppe der bis sechsjährigen sehr hohe Armutsquoten aufweist (6, 0 Prozent), ist in Westdeutschland diese Gruppe deutlich weniger von verdeckter Armut betroffen (1, 8 Prozent). Dagegen tragen Personen ab 60 Jahre sowohl in West-(2, 6 Prozent) als auch in Ostdeutschland (2, 2 Prozent) ein unterdurchschnittliches Armutsrisiko.

Die Betrachtung der Haushaltsformen, der Haushaltsgröße und des Alters zeigt im großen und ganzen, daß große Familien mit mehreren Kindern besonders hohe Armutsrisiken aufweisen. Folglich sind damit Kinder und Jugendliche ebenfalls überdurchschnittlich häufig von verdeckter Armut betroffen 14.

Andere wichtige Merkmale zur Beschreibung der verdeckten Armut sind Arbeitslosigkeit und Erwerbstätigkeit. Arbeitslose 15 weisen deutlich höhere Armutsrisiken auf (5, 9 Prozent) als nicht arbeitslos gemeldete Personen (3, 0 Prozent). Dabei ist in Westdeutschland das Armutsrisiko höher (6, 2 Prozent) als in Ostdeutschland (5, 5 Prozent).

Erwerbstätige 16 Personen weisen zwar unterdurchschnittliche Armutsquoten auf, sie sind aber dennoch als Problemgruppe zu definieren, wenn das Erwerbseinkommen nicht ausreicht, um ein soziokulturelles Existenzminimum zu sichern. Diese Gruppe wird auch als „working poor“ bezeichnet. In Deutschland sind 2, 7 Prozent der erwerbstätigen Personen verdeckt arm. Auf Personen umgerechnet bedeutet dies, daß rund 900 000 Personen als „working poor“ zu bezeichnen sind. In Ostdeutschland sind die Armutsquoten der Erwerbstätigen höher (3, 6 Prozent) als in Westdeutschland (2, 4 Prozent). Wiederum auf Personen umgerechnet bedeutet dies, daß in Ostdeutschland rund 230 000 Personen und in Westdeutschland über 680 000 Personen trotz Erwerbstätigkeit ein Einkommen unterhalb des sozio-kulturellen Existenzminimums beziehen

V. Ursachen

Wie in den vorangegangenen Ausführungen festgestellt wurde, kommt auf einen Sozialhilfeempfänger mindestens eine verdeckt arme Person. Was sind nun die Ursachen für diese hohe Anzahl verdeckt armer Personen? Untersuchungen zu diesem Thema sind rar gesät. Ein frühe Untersuchung von Helmut Hart-mann für das Jahr 1979 kommt zu dem Ergebnis, daß vor allem fehlende Kenntnisse der Anspruchs-voraussetzungen und die Angst vor Stigmatisierung die beiden Hauptgründe für die Nichtinanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen von potentiell Anspruchsberechtigten sind. Eine jüngere Untersuchung von Richard Hauser und Werner Hübinger kommt für das Jahr 1991 zu ähnlichen Ergebnissen.

Im einzelnen stellte sich heraus, daß mehr als die Hälfte der verdeckt Armen (55, 8 Prozent) fälschlicherweise der Meinung waren, daß keine Sozialhilfe zusätzlich zu einem Arbeitseinkommen gezahlt werden kann; und 44, 4 Prozent der Befragten gingen davon aus, daß bei Erhalt von Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe keine zusätzliche Sozialhilfe bezogen werden kann. Zudem gingen 57 Prozent der verdeckt Armen davon aus, daß ihr Einkommen über der Sozialhilfeschwelle läge. Rund 70 Prozent der Befragten sind der Meinung, daß die Leistungen der Sozialhilfe bei späterer finanzieller Besserstellung zurückgezahlt werden müßten. Knapp die Hälfte der verdeckt Armen (47 Prozent) gaben an, daß es ihnen unangenehm sei, zum Sozialamt zu gehen, und sie deshalb auf mögliche Leistungen verzichteten.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß mangelnde Kenntnisse der Voraussetzungen für Sozialhilfe, Angst vor Stigmatisierung und Verzichtshaltung zu den wesentlichen Ursachen für verdeckte Armut gehören.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Im folgenden wird vereinfachend von Personen gesprochen, auch wenn damit immer Personen innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft gemeint sind. Zur Bedarfsgemeinschaft vgl. Dietrich Schoch, Die Bedarfsgemeinschaft bei der Hilfe zum Lebensunterhalt, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (NDV), 64 (1984) 11, S. 431 -436. Eine detaillierte Beschreibung des Systems der Sozialhilfe findet sich in Albrecht Brühl, Mein Recht auf Sozialhilfe, München 1996.

  2. Vgl. Richard Hauser/Hclga Cremer-Schäfer/Udo Nouvertnd, Armut, Niedrigeinkommen und Unterversorgung in

  3. Bundestagsdrucksache BT-Drs. 13/3339: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Konrad Gilges, Gerd Andres. Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, Drucksache 13/1527, Armut in der Bundesrepublik Deutschland vom 28. 11. 1995, Bonn 1995, S. 2.

  4. Vgl. Klaus Kortmann, Zur Armutsdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland. Kritischer Vergleich vorgelegter Studien und Berechnungen auf der Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 56 (1976) 5, S. 144-149.

  5. Vgl. Frank Klanberg, Armut und ökonomische Ungleichheit in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main-New York 1978.

  6. Helmut Hartmann, Sozialhilfebedürftigkeit und „Dunkelziffer der Armut“, Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, Bd. 98, Stuttgart 1981.

  7. In wissenschaftlichen Untersuchungen wird fast ausnahmslos die verdeckte Armut auf den Nichtbezug von laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt bezogen. Prinzipiell ist es natürlich möglich, auch in anderen Bereichen der Sozialhilfe oder vorgelagerter sozialer Sicherungssysteme trotz potentiellem Anspruch keine Leistungen zu beziehen: so könnte man z. B. auch von verdeckten Wohngeldansprüchen sprechen.

  8. Der durchschnittliche Eckregelsatz für alle Bundesländer betrug zum Juli 1995 519 DM. Der Eckregelsatz ist der dem Haushaltsvorstand zustehende Betrag. Alle weiteren Haushaltsmitglieder erhalten einem ihrem Alter entsprechenden Anteil dieses Regelsatzes. Die Anteile variieren zwischen 50 und 90 Prozent des Eckregelsatzes (vgl. Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge [NDV], [1995] 8, S. 325.).

  9. Die Berechnung der verdeckten Armut orientiert sich an der Vorgehensweise wie sie im BSHG formuliert ist. Sie entspricht grob der folgenden Logik: Zu der Summe der Regel-sätze der Haushaltsmitglieder werden die entsprechenden Mehrbedarfe addiert. Hinzu kommen die tatsächlich zu zahlenden Wohn-und Heizkosten sowie die einmaligen Leistungen pauschaliert mit 10 % der Summe der Regelsätze. Damit ist der Bedarfssatz des Haushaltes ermittelt. Übersteigt dieser Bedarfssatz das Haushaltsnettoeinkommen so liegt verdeckte Armut vor. In diese Berechnung der verdeckten Armut gehen zum einen Pauschalierungen ein und zum anderen können nicht alle Mehrbedarfszuschläge berücksichtigt werden; insofern handelt es sich bei dieser Berechnung der verdeckten Armut um eine Schätzung. Zur konkreten Vorgehensweise der Berechnung vgl. Udo Neumann/Markus Hertz, Verdeckte Armut in Deutschland, Forschungsbericht im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, Institut für Sozialberichterstattung und Lebenslagen-forschung (ISL) (Hrsg.), Frankfurt am Main 1998, S. 26-31. Datenbasis für die Berechnungen ist das Sozio-ökonomische Panel (SOEP). Das SOEP ist ein repräsentativer Datensatz für die Bundesrepublik Deutschland (ausgeschlossen Nichtseßhafte, Obdachlose sowie teilweise Personen in Einrichtungen); vgl. Gert Wagner/Jürgen Schupp/Ulrich Rendtel, Das Sozio-ökonomische Panel (SOEP). Methoden der Datenproduktion und -aufbereitung im Längsschnitt, in: Richard Hauser/Notburga Ott/Gert Wagner (Hrsg.), Mikroanalytische Grundlagen der Gesellschaftspolitik, Bd. 2: Erhebungsverfahren, Analysemethoden und Mikrosimulation, Berlin 1994, S. 70-112.

  10. Prozentuierungsbasen für das Jahr 1995: 15 475, 5 Millionen Personen in den Neuen Bundesländern und Berlin-Ost, 66 342, 0 Millionen Personen im früheren Bundesgebiet, entnommen aus: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Wirtschaft und Statistik, (1998) 4, S. 287.

  11. Die Ergebnisse beziehen sich auf die Untersuchung des ISL, vgl. U. Neumann/M. Hertz (Anm. 9).

  12. Diese außergwöhnliche Terminologie kommt dadurch zustande, daß dies ein Element einer Haushaltstypologie ist, die aus sich gegenseitig ausschließenden Kategorien besteht, die alle möglichen Haushaltsformen abdecken. Mit „Paare mit Kindern unter und ab 16 Jahre“ sind Paare -gleichgültig ob verheiratet oder nicht -gemeint, die mindestens ein Kind unter 16 Jahre und mindestens ein Kind ab 16 Jahre haben.

  13. Als „Alleinerziehende“ werden Personen bezeichnet, die die Pflege und Erziehung der Kinder durchführen, ohne daß jemand anderes mitwirkt. In der Regel handelt es sich um Frauen, die alleine mit ihren Kindern in einem Haushalt leben.

  14. Zu den „Erwerbstätigen“ gehören Personen, die regelmäßig voll-oder teilzeiterwerbstätig sind. Personen in Berufsausbildung gehören ebenfalls zu den Erwerbstätigen. Unregelmäßig Erwerbstätige, Wehrpflichtige und Zivildienstleistende werden nicht zu den Erwerbstätigen gerechnet.

  15. Bei der Interpretation der „working poor“ muß berücksichtigt werden, daß das Haushaltsnettoeinkommen Grundlage der Bestimmung für verdeckte Armut ist. Wenn eine Person erwerbstätig ist und trotzdem zu den verdeckt Armen gerechnet wird, bedeutet dies in den meisten Fällen nicht, daß ihr individuelles Erwerbseinkommen unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums liegt, sondern, daß es sich i. d. R. um Haushalte handelt, in denen das Einkommen eines Erwerbstätigen nicht ausreicht, um das soziokulturelle Existenzminimum der Haushaltsmitglieder zu gewährleisten. Trotz relativ hohem individuellen Erwerbseinkommen kann es also dazu kommen, daß die Haushaltsmitglieder unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums leben müssen.

  16. Vgl. H. Hartmann (Anm. 6).

  17. Vgl. Richard Hauser/Werner Hübinger, Arme unter uns. Teil 1: Ergebnisse und Konsequenzen der Caritas-Armutsuntersuchung, Deutscher Caritasverband e. V. (Hrsg.), Freiburg im Breisgau 1993, S. 122-129. Bei dieser Untersuchung handelt es sich um eine repräsentative Befragung von Klienten des Deutschen Caritasverbandes im Jahr 1991; Anmerkung der Redaktion'. Siehe auch die Beiträge der beiden Autoren in diesem Heft.

Weitere Inhalte

Udo Neumann, Dipl. -Soz., geb. 1961; Geschäftsführer des Instituts für Sozialberichterstattung und Lebenslagen-forschung -ISL -in Frankfurt am Main. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Markus Hertz) Verdeckte Armut in Deutschland, Forschungsbericht im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, Frankfurt am Main 1998; (zus. mit Werner Hübinger) Menschen im Schatten, Lebenslagen in den neuen Bundesländern, Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e. V. /Deutscher Caritasverband e. V. (Hrsg.), Freiburg im Breisgau 1998.