I. Vorbemerkung
In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Maastricht über die Gründung der Europäischen Union 1 finden sich zwei Aussagen, die das Thema dieses Beitrags verdeutlichen. Zunächst stellt das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf den Schutz der Grundrechte des Grundgesetzes fest: „Auch Akte einer besonderen, von der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt einer supranationalen Organisation betreffen die Grundrechtsberechtigten in Deutschland. Sie berühren damit die Gewährleistungen des Grundgesetzes und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, die den Grundrechtsschutz in Deutschland und insoweit nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum Gegenstand haben ... Allerdings übt das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht in Deutschland in einem , Kooperationsverhältnis zum Europäischen Gerichtshof aus, in dem der Europäische Gerichtshof den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der Europäischen Gemeinschaften garantiert, das Bundesverfassungsgericht sich deshalb auf eine generelle Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards .. . beschränken kann.“
Wenn das BVerfG Akte der Europäischen Gemeinschaften an den deutschen Grundrechten messen will, dann impliziert dies, daß ein solcher Hoheitsakt der EG gegebenenfalls auch wegen Verstoßes gegen deutsche Grundrechte in Deutschland keine Rechtswirkungen entfalten kann. Damit wäre der elementare Grundsatz vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts außer Kraft gesetzt. Was bedeutet in diesem Lichte das vom BVerfG so benannte „Kooperationsverhältnis“ mit der Aufgabenteilung zwischen „jedem Einzelfall“ und der „generellen Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards“?
Bezüglich der Ausübung von Hoheitsbefugnissen durch die EG stellt das BVerfG fest: „Würden etwa europäische Einrichtungen oder Organe den Unions-Vertrag in einer Weise handhaben oder fortbilden, die von dem Vertrag, wie er dem deutschen Zustimmungsgesetz zugrunde liegt, nicht mehr gedeckt wäre, so wären die daraus hervorgehenden Rechtsakte im deutschen Hoheitsbereich nicht verbindlich. Die deutschen Staatsorgane wären aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert, diese Rechtsakte in Deutschland anzuwenden. Dementsprechend prüft das Bundesverfassungsgericht, ob Rechtsakte der europäischen Einrichtungen und Organe sich in den Grenzen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte halten oder aus ihnen ausbrechen.“
Mit diesem -fast schon drohenden -Satz stellt das BVerfG klar, daß die Entscheidung, ob die EG ihre Handlungen auf eine vertraglich eingeräumte Ermächtigungsnorm stützen kann oder sich einer solchen nur rühmt, letztlich von ihm selbst getroffen wird. Bedenkt man, daß gemäß Art. 164 EGV der EuGH in Luxemburg für die Auslegung der Verträge zuständig ist und damit auch für die Entscheidung der Frage, ob eine Vertragsvorschrift ein Handeln der EG trägt oder nicht, so wird die in dieser Aussage liegende potentielle Kampfansage der Bundesverfassungsrichter an die Kollegen in Luxemburg deutlich.
Im folgenden soll dem Bedeutungsgehalt dieser Aussagen des BVerfG nachgegangen werden. Dabei ist zunächst notwendig, die grundlegenden Funktionsprinzipien der EU darzustellen. Im Anschluß daran werden die beiden Bereiche Grundrechtsschutz und Kompetenzverteilung näher beleuchtet.
II. Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft
„Aus alledem ist zu schließen, daß die Gemeinschaft eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts darstellt, zu deren Gunsten die Staaten, wenn auch in begrenztem Rahmen, ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben, eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind.“
1. Das Prinzip der enumerativen Einzelermächtigung
Ebenso wie es in einem Bundesstaat unabdingbar ist, die Ausübung der hoheitlichen Befugnisse jeweils der Zentrale (dem Bund) bzw.den konstituierenden Gliedstaaten (den Ländern) zuzuordnen, muß auch in einem „Staatenverbund“ wie der Europäischen Union eine Kompetenzverteilung stattfinden. Sowohl für die EG als auch für die EU folgt die in den Verträgen vorgenommene Kompetenzverteilung dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Das bedeutet, daß die EG nur dann tätig werden kann, wenn eine Vorschrift in den Verträgen ein solches Tatigwerden explizit vorsieht Der Schluß von der Aufgabe (Art. 2 EGV) auf eine dahingehende Handlungsbefugnis ist nicht zulässig. Das Subsidiaritätsprinzip (Art. 3 b Abs. 2 EGV) und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 3 b Abs. 3 EGV) ergänzen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Es handelt sich dabei um Kompetenzausübungsschranken, die bei ihrem Eingreifen ein Handeln der EG selbst dann ausschließen, wenn eine Handlungsbefugnis der EG aus dem EGV an sich ableitbar wäre.
2. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts
Der Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts bedeutet, daß sowohl das primäre Gemeinschaftsrecht als auch das sekundäre Gemeinschaftsrecht jedem nationalen Recht, also auch dem nationalen Verfassungsrecht, vorgeht. Schon 1964 hat der EuGH im Fall Costa/ENEL entschieden, daß die Verträge eine eigenständige und autonome Rechtsquelle darstellen und daß den Vertragsvorschriften deshalb „keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften Vorgehen können“, wolle man nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage stellen In der Entscheidung Internationale Handelsgesellschaft hat der EuGH diese Feststellung dahingehend präzisiert, daß die Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht auch dann nicht in Frage gestellt werden kann, wenn geltend gemacht wird, daß Grundrechte oder grundlegende Strukturprinzipien einer nationalen Verfassung verletzt seien Im Gegensatz zu einem Bundesstaat, bei dem das Bundesrecht das nachgeordnete Recht der einzelnen Länder schlechthin bricht genießt das Gemeinschaftsrecht jedoch nur einen Anwendungsvorrang im Einzelfall.
3. Die unmittelbare Wirkung von Gemeinschaftsrecht
Völkerrechtliche Verträge, und um solche handelt es sich auch bei den Gemeinschaftsverträgen, berechtigen und verpflichten grundsätzlich nur die Staaten, die sie abgeschlossen haben. Es ist nicht selbstverständlich, daß die Bürger dieser Staaten daraus Rechte für sich ableiten und diese gegen ihren eigenen oder gegen einen anderen Vertragsstaat geltend machen können. Allerdings ist völkerrechtlich anerkannt, daß völkerrechtliche Verträge durchaus Rechte und Pflichten nicht nur für Vertragsstaaten, sondern auch für Einzelne begründen können, wenn dies dem objektiven Zweck des Vertrages und der Absicht der vertrags-schließenden Parteien entspricht. Mag man auch bei Abschluß der Gemeinschaftsverträge in den fünfziger Jahren eine solche Wirkung nicht unbe-dingt vorausgesehen haben, so ist diese doch in den Verträgen sichtbar angelegt Die Unionsbürger können mithin unmittelbar aus den Vorschriften der Gemeinschaftsverträge Rechte ableiten. Hauptanwendungsfall dafür sind die Grundfreiheiten der Europäischen Gemeinschaft, die Freiheit des Waren-, Dienstleistungs-und Kapitalverkehrs sowie die Freizügigkeit der Personen.
Im Rahmen des Sekundärrechts unproblematisch ist die unmittelbare Wirkung von Verordnungen, ist sie doch in Art. 189 Abs. 2 EGV expressis verbis angeordnet. Eine EG-Verordnung gilt wie ein nationales Gesetz nach Verabschiedung durch die zuständigen EG-Organe und Veröffentlichung im Amtsblatt der EG bzw. nach einem dort genannten Zeitpunkt des Inkrafttretens. Es bedarf keiner weiteren Handlungen des nationalen Gesetzgebers mehr.
Problematischer hingegen ist die unmittelbare Wirkung von Richtlinien Art. 189 Abs. 3 EGV bestimmt, daß die Richtlinie für jeden Mitglied-staat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich ist, dem Mitglied-staat jedoch die Wahl der Form und der Mittel zur Erreichung dieses Zweckes obliegt. Der nationale Gesetzgeber muß eine Richtlinie durch einen eigenen Gesetzgebungsakt zuerst in das nationale Recht umsetzen. Dennoch ist seit langem anerkannt, daß auch Richtlinien unmittelbar, d. h. ohne dazwischentretendes nationales Gesetz, Rechte für einzelne Bürger begründen können Ein Mitgliedstaat soll einem Bürger, der sich auf ein ihm in einer Richtlinie eindeutig gewährtes subjektives Recht berufen will, nicht entgegenhalten können, er habe die Richtlinie noch nicht in sein nationales Recht umgesetzt. Der mitgliedstaatliche Rekurs auf gemeinschaftsrechtswidriges Verhalten ist damit ausgeschlossen. Mit dieser Ausdehnung der Richtlinienwirkung wollte der EuGH vertragswidriges Verhalten der Mitgliedstaaten -ein solches stellt die nicht fristgemäße oder inhaltlich falsche Umsetzung einer Richtlinie dar -sanktionieren
4. Der Schutz der Grundrechte in der EU
Als Rechtsgemeinschaft kann man nur eine Gemeinschaft bezeichnen, die die fundamentalen Rechte der Menschen schützt, die diese Gemeinschaft bilden und die von dem Handeln dieser Gemeinschaft betroffen sind. Als die Römischen Verträge 1957 geschlossen wurden und am 1. Januar 1958 in Kraft traten, war nicht absehbar, welche Integrationsdynamik dadurch freigesetzt worden war. Man verstand die Gemeinschaft -und so hieß sie ja damals auch -als Wirtschaftsgemeinschaft, so daß die Notwendigkeit der Verankerung eines Grundrechtskatalogs im E(W) GV nicht evident war
Dessenungeachtet wurden aber schon in den ursprünglichen Verträgen grundrechtliche Positionen geschützt, d. h. Rechtspositionen für die Bürger geschaffen, die im nationalen Rechtsrahmen (Teil-) Aspekte bestimmter Grundrechte darstellen. Das gilt z. B. für das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 6 EGV), die Freizügigkeit für Arbeitnehmer (Art. 48 ff. EGV), die Niederlassungs-und Dienstleistungsfreiheit (Art. 52 ff., 59 ff.), die Freiheit des Kapitalverkehrs (Art. 67, 73 a EGV ff.) oder die spezielle Pflicht zur Gleich-behandlung von Mann und Frau bezüglich des Arbeitsentgelts (Art. 119 EGV). Durch den Vertrag von Maastricht hinzugekommen sind das allgemeine Aufenthaltsrecht (Art. 8a EGV) und das Wahlrecht für Kommunalwahlen und Wahlen zum Europäischen Parlament (Art. 8 b EGV).
Mit fortschreitender Integration hat der EuGH darüber hinaus Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten entnommen (entwickelt) Allerdings genügt das bloße Vorhandensein einer grundrechtlichen Position in einer mitgliedstaatlichen Verfassung nicht für die Entstehung eines gemeinschaftsrechtlichen Grundrechts. Andererseits müssen auch nicht alle Mitgliedstaaten ein bestimmtes Recht anerkennen, bevor dieses Recht gemeinschaftsrechtlich gewährt werden kann. Der EuGH hat diesen Ansatz auch auf die Europäische Konvention zum Schutze der Grundfreiheiten und Menschenrechte von 1950 und auf andere internationale Verträge mit grundrechtlichem Gehalt, denen die Mitgliedstaaten beigetreten sind oder die sie unterzeichnet haben, ausgedehnt Diese Rechtsprechung ist mit dem Maastrichter Vertrag durch Art. F Abs. 2 EUV primärrechtlich übernommen worden. Danach achtet die Union -und damit auch die EG -die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. Auf diese Weise fanden u. a. die Vereinigungsfreiheit die Kommunikationsfreiheit die Religionsfreiheit der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit und der Schutz des Privatlebens (Achtung der Privatsphäre und des Familienlebens) Eingang in die Gemeinschaftsrechtsordnung
5. Der institutioneile Rahmen dieser Rechtsgemeinschaft
Diese vier Fundamentalprinzipien werden durch die institutioneile Struktur der Gemeinschaft abgesichert. Im Mittelpunkt stehen dabei der Ministerrat als „Hauptgesetzgebungsorgan“ der EG und der EuGH als Kontrollinstanz. Was den Vorrang des Gemeinschaftsrechts und seine unmittelbare Wirkung angeht, ist der EuGH als Rechtsprechungsorgan die zentrale Überwa chungsinstanz. Dabei wird er durch die Kommission unterstützt, die gemäß Art. 169 EGV Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten einleiten kann. Vor allem aber wird der EuGH dabei durch die Gerichte der Mitgliedstaaten unterstützt, die im Wege des Vorlageverfahrens (Art. 177 EGV) dem EuGH Gelegenheit geben, die Einhaltung der genannten Grundprinzipien (Vorrang, unmittelbare Anwendbarkeit und Grundrechte) zu überwachen * Die institutioneile Absicherung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung und damit der Kompetenzabgrenzung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten gestaltet sich etwas schwieriger. Die Verantwortung für Beschlüsse auf Gemeinschaftsebene ist breit gestreut. Zunächst muß die das Initiativrecht ausübende Kommission eine tragfähige Rechtsgrundlage für ihre Gesetzgebungsvorschläge finden. Die Hauptverantwortung trifft jedoch den Ministerrat, in dem die Mitgliedstaaten am unmittelbarsten ihren Einfluß geltend machen können, denn der Rat setzt sich aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaates zusammen (Art. 146 Abs. 1 EGV). Darüber hinaus können die Gemeinschaftsorgane und die Mitgliedstaaten vor dem EuGH Nichtigkeitsklage gegen jeden Gesetzgebungsakt mit der Begründung erheben, es fehle an einer Einzelermächtigung in den Verträgen (Art. 173 EGV). Schließlich können die Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ durch Änderung der Gründungsverträge -dies ist allerdings nur möglich, wenn alle Mitgliedstaaten zustimmen -jederzeit Kompetenzen „zurückholen“.
6. Zwischenergebnis
Der kurze Überblick hat gezeigt, daß das grund-und kompetenzrechtliche Konfliktpotential im Verhältnis der Gemeinschaft zu den Mitgliedstaaten in den Gründungsverträgen und in der Rechtsprechung des EuGH durchaus eine angemessene Berücksichtigung gefunden hat. Das Problem der Kompetenz-und damit Machtverteilung zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft wurde mit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zumindest auf dem Papier zugunsten der Mitgliedstaaten entschieden, die auch institutionell, vor allem über den Ministerrat, ganz entscheidend das gemeinschaftliche Handlungsinstrumentarium kontrollieren. Auch der EuGH als Streitschlichtungsorgan kann Kompetenzüberschreitungen unterbinden, wenn er z. B. von einem Mitgliedstaat angerufen wird. Darüber hinaus schützt der EuGH, in Zusammenarbeit mit den Gerichten der Mitgliedstaaten, die Unionsbürger über den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor Eingriffen der Mitgliedstaaten in die gemeinschaftsrechtlich gewährten subjektiven Rechte (z. B. die Marktfreiheiten) und sorgt gleichzeitig über den von ihm gewährten gemeinschaftsrechtlichen Grundrechts-standard dafür, daß das unmittelbar geltende Gemeinschaftsrecht nicht die Grundrechte der Bürger verletzt.
III. Konfliktpotential Grundrechtsschutz
Der EuGH sichert die Grundrechte der Unionsbürger. Was aber, wenn er dies in einer Weise tut, die hinter den Schutz zurückfällt, den das BVerfG in vergleichbaren innerstaatlichen Fällen gewähren würde? Müssen die Deutschen einen Eingriff in ein grundgesetzlich garantiertes Grundrecht durch einen gemeinschaftlichen Rechtsakt hinnehmen, wenn ein identischer deutscher Rechtsakt vom Bundesverfassungsgericht wegen eines vergleichbaren Grundrechtsverstoßes kassiert würde?
1. Der frühe Lösungsansatz des BVerfG
Das BVerfG hat die Frage zunächst (1967) mit einem klaren „Ja“ beantwortet. Die damals noch als Wirtschaftsgemeinschaft firmierende EWG bilde eine selbständige Rechtsordnung, die von der deutschen Rechtsordnung zu unterscheiden sei. Eine unmittelbar wirkende Rechtsnorm (Verordnung) der EWG könne nicht als Ausfluß deutscher Staatsgewalt angesehen werden. Für Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen Rechtsakte der Gemeinschaft sei man daher nicht zuständig Der Betroffene muß den -vermeintlichen -Eingriff hinnehmen. Damit war das Problem aber keineswegs gelöst. EG-Verordnungen gelten zwar unmittelbar, d. h., es bedarf keines Handelns der nationalen Gesetzgeber mehr. Aber ebenso wie bei innerstaatlichen Gesetzen bedeutet das nicht, daß die Verwaltung entbehrlich wäre. Was das Gesetz (die EG-Verordnung) generell abstrakt formuliert, muß die Verwaltung in eine konkrete Einzelfallentscheidung umsetzen. Die EG verfügt aber mit ganz wenigen Ausnahmen nicht über eine eigene gesetzesausführende Verwaltung. Sie bedient sich vielmehr grundsätzlich der Verwaltungen der Mitgliedstaaten. Die konkreten Einzelfallentscheidungen der jeweils zuständigen deutschen Behörden stellen aber sehr wohl Handlungen der deutschen öffentlichen Gewalt dar. In der berühmten „So/ö«ge-/“ -Entscheidung von 1974 hat das Gericht mit dieser Argumentation die Zuständigkeitshürde überwunden und sich die Beurteilung der Vereinbarkeit der gemeinschaftsrechtlichen Norm, auf deren Grundlage die nationale Verwaltung den Vollzugsakt erlassen hatte, mit dem Grundgesetz Vorbehalten, solange das Gemeinschaftsrecht keinen dem Grundgesetz adäquaten Grundrechtskatalog enthält Zwölf Jahre später erging die ebenso berühmte „Solange-Il“ -Entscheidung, in der das BVerfG feststellte: „Solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gemeinschaften, einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleichzuachten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt, wird das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, nicht mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen.“ Mit „Solange-II“ hatte die Ausgangsfrage eine Antwort gefunden. Im Einzelfall sind -gemessen am internen deutschen Maßstab -Grundrechtsverletzungen durch Gemeinschaftsakte auch dann hinzunehmen, wenn sie auf deutsche Verwaltungsbehörden zurückgehen, die das Gemeinschaftsrecht vollziehen, weil der gemeinschaftliche Grundrechtsschutz aufs Ganze gesehen dem deutschen Standard ebenbürtig ist. Verknüpft wurde dies mit dem Vorbehalt, daß der Grundrechtsschutz durch den EuGH auf dem qualitativ vergleichbaren Niveau verbleiben müsse, und damit mit einer Warnung an den EuGH: Das BVerfG steht zurück, solange der EuGH gut arbeitet -und was gut ist, entscheidet das BVerfG.
2. Das Maastricht-Urteil des BVerfG
Im Maastricht-Urteil ist das BVerfG nur in einem Punkt von dieser Linie abgewichen und hat seinen Kontrollanspruch ausdrücklich auf Akte der Gemeinschaft ausgedehnt, bei denen kein deutscher Hoheitsakt als Anknüpfungspunkt vorliegt. Auch nicht-deutsche Hoheitsakte betreffen den Grundrechtsberechtigten in Deutschland und berührten damit die Schutzaufgabe des BVerfG.
Das BVerfG übe seine Aufgabe jedoch in Kooperation mit dem EuGH aus Dieser gewährleiste den Grundrechtsschutz „im Einzelfall“, das BVerfG beschränke sich auf die „generelle Gewährleistung“ der unabdingbaren Grundrechts-standards. Für unabdingbar hält das BVerfG dabei den Wesensgehalt der Grundrechte Der Begriff vom Wesensgehalt eines Grundrechts entstammt dem Art. 19 Abs. 2 GG. Jedes den Einzelnen belastende hoheitliche Handeln stellt einen Eingriff in ein Grundrecht dar, kann aber dennoch unter bestimmten Bedingungen zulässig sein. Der Begriff des Wesensgehalts definiert dagegen den Teil der Grundrechtsverbürgung, der der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist. Der Wesensgehalt, der für jedes Grundrecht gesondert zu bestimmen ist, bildet eine äußerste Grenze des staatlichen Zugriffs
Im Ergebnis sind die grundrechtsrelevanten Aussagen im Maastricht-Urteil eine Bestätigung des Solange-II-Urteils Der Grundrechtsschutz wird durch den EuGH „in jedem Einzelfall“ ohne Dazwischentreten des BVerfG solange gewährt, wie die Wesensgehaltsgrenze nicht tangiert wird. Ob und wann dies der Fall ist, entscheidet das BVerfG: Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts findet eine Grenze im Wesensgehalt der deutschen Grundrechte.
3. Testfall Bananenmarktordnung
Am 1. Juli 1993 trat die Verordnung über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen in Kraft und damit eines der bisher und über die EG hinaus wohl umstrittensten Regelwerke der Gemeinschaft Diese Verordnung bezweckt die Bevorzugung von Bananen aus bestimmten Herkunftsgebieten gegenüber den marktbeherrschenden „Dollarbananen“, die vor allem aus Ländern Mittelamerikas und Ecuador eingeführt werden. Die Verordnung versucht dieses Ziel durch die Einrichtung von Zöllen und (De-facto-) Kontingenten sowie durch ein kompliziertes Vergabesystem für Einfuhrlizenzen zu erreichen. Insbesondere für die (bisherigen) Importeure von Dollarbananen bedeutete das neue Regime einen erheblichen Eingriff in ihre Geschäftstätigkeit bis hin zur Existenz-bedrohung. Solche Maßnahmen wären innerstaatlich an den Art. 14 GG (Eigentumsschutz) und 12 GG (Berufsfreiheit) zu messen.
Der EuGH hat in einer Entscheidung von 1994 die Verordnung für rechtmäßig gehalten und eine Verletzung entsprechender allgemeiner Rechtsgrund-sätze des Gemeinschaftsrechts verneint Diese Entscheidung ist auf erhebliche Kritik gestoßen. Insbesondere die Berufsausübungsfreiheit sei vom EuGH nicht ausreichend gewürdigt worden, und eine akzeptable Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sei unterblieben. Statt dessen habe der EuGH allzusehr den weiten Ermessensspielraum des Gemeinschaftsgesetzgebers betont Das Argument des EuGH vom weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers reflektiert zwar nicht nur das demokratische (Mehrheits-) Prinzip, sondern auch die Tatsache, daß die Gemeinschaft eine Einrichtung souveräner Staaten darstellt, ist aber der natürliche Feind eines ausgeprägten Grundrechtsschutzes. Grundrechte sind als Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat Minderheitenschutzrechte. Je weiter der Gestaltungsspielraum der Mehrheit reicht, desto geringer der autonome, dem hoheitlichen Eingriff entzogene Bereich der Bürger. Hat der EuGH mit seiner Entscheidung zur Bananenmarktordnung die Grundrechte in einem Maße mißachtet, das das BVerfG nach eigener Einschätzung zur Verteidigung des „unabdingbaren“ Grundrechtsstandards zum Einschreiten verpflichtet? Dieser Meinung ist das Verwaltungsgericht Frankfurt. In einem Normenkontrollantrag (Art. 100 Abs. 1 GG) an das BVerfG hat das VG die Ansicht vertreten, die Vorschriften der Bananenmarktordnung dürften in Deutschland wegen Verstoßes gegen deutsche Grundrechte nicht angewendet werden Noch hat das BVerfG nicht entschieden. Ist die hier vertretene Konzeption jedoch richtig, wird das BVerfG der Meinung des VG Frankfurt nicht folgen. Selbst wenn man unterstellt, daß die Bananenmarktordnung deutsche Grundrechte verletzt, so erreicht diese Verletzung weder für sich betrachtet noch im Verhältnis zum insgesamt bestehenden Grundrechtsstandard ein Niveau, das es rechtfertigen würde, von einer Verletzung des Wesensgehalts eines Grundrechtes (etwa der Berufsfreiheit) zu sprechen. Es ist daher schwer vorstellbar, daß das BVerfG diese Sache zum Anlaß nehmen wird, die Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft in eine Existenzkrise zu stürzen.
4. Fazit
Die Haltung des BVerfG zur Frage des Grund-rechtsschutzes gegenüber Rechtsakten der Gemeinschaft ist rechtlich außerordentlich problematisch. Es gibt im nationalen Recht keine Grundlage für die „ Solange“ -Konstruktion des Gerichts, nach der eine -folgt man dem Gericht -bestehende Prüfungskompetenz unter bestimmten Bedingungen nicht ausgeübt wird. Das BVerfG ist entweder zur Prüfung durch das GG und/oder einfache Gesetze (BVerfGG) befugt und dann auch dazu verpflichtet oder nicht. Die Befugnis, die Einhaltung der Gemeinschaftsverträge -und damit auch der Gemeinschaftsgrundrechte -zu überprüfen, ist durch das Zustimmungsgesetz zu diesen Verträgen -und damit auch zu Art. 164 EGV („Der Gerichtshof sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrags“) -an die Gemeinschaft und damit an den EuGH abgetreten worden. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gilt absolut. Allerdings ist die Abtretung von Befugnissen an eine internationale Gemeinschaft nicht grenzenlos möglich, wie nunmehr Art. 23 GG zeigt. Stellt sich heraus, daß der Beitritt zu einer solchen Gemeinschaft im Beitrittszeitpunkt innerhalb dieser Grenzen stattfand, daß aber sukzessive eine diese Grenzen sprengende Entwicklung stattgefunden hat, bietet das allgemeine Völkerrecht Korrektur-instrumente an. Letztendlich kann sich ein Mitgliedstaat unter Berufung auf den völkerrechtlichen Wegfall der Geschäftsgrundlage („clausula rebus sic stantibus“) im Extremfall aus einem solchen Vertragswerk lösen oder in Verhandlungen mit den Partnern weniger scharfe Konsequenzen suchen. Diese Konsequenz zu ziehen ist Sache (und Risiko!) des Mitgliedstaates, und der Mitgliedstaat hat zu entscheiden, welchem Verfassungsorgan (im Falle der Bundesrepublik: Bundesregierung, Parlament, BVerfG) die Feststellung einer solchen Lage obliegt. In diesem Sinne wäre eine Entscheidung des BVerfG zu verstehen, mit der ein Hoheitsakt der Gemeinschaft wegen Verstoßes gegen deutsche Grundrechte seiner innerstaatlichen Geltung beraubt würde. Das Risiko einer solchen Vorgehensweise trägt der jeweilige Mitgliedstaat. Könnte dieser sich mit seiner Position gegenüber den Partnern nicht durchsetzen wäre die Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechtsakts wegen eines innerstaatlichen Grundrechtsverstoßes als Vertragsbruch und somit als Verletzung des Völkerrechts zu qualifizieren, und die Bundesrepublik unterläge den völkerrechtlichen Haftungsfolgen.
IV. Konfliktpotential Kompetenzverteilung
Das Problem der Machtbalance zwischen den konstitutiven Teilen eines mehrgliedrigen Gebildes und der Zentrale (im Bundesstaat zwischen Bund und Ländern bzw. Einzelstaaten oder Kantonen, in der Gemeinschaft zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten) ist keineswegs auf die Gemeinschaft beschränkt. Allenthalben wird eine zunehmende Zentralisierung konstatiert Im Falle der Gemeinschaft kommt hinzu, daß eine Reihe von Mitgliedstaaten der Gemeinschaft (z. B. Frankreich, Italien) über eine ausgeprägt zentral-staatliche Tradition verfügen und daher für „bundesstaatliche Bedenken“ weniger offen sind. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung als tragendes Grundprinzip der Gemeinschaft wurde schon gewürdigt. Die in den anfangs zitierten Äußerungen des BVerfG zum Ausdruck kommende Kritik der Kompetenzanmaßung seitens der Gemeinschaft wird meist mit folgenden Spezifika der Gemeinschaftsverträge in Zusammenhang gebracht: dem Auslegungsgrundsatz des „effet utile“, dem funktionellen Charakter der vertraglichen Kompetenznormen und mit der „Lückenfüllungskompetenz“ des Art. 235 EGV.
1. „Effet Utile“
Die Gemeinschaft verfügt nicht über einen ausformulierten Kompetenzkatalog analog den Art. 73 ff. GG. Vielmehr wurden in den Verträgen die Ziele und Aufgaben der Gemeinschaft definiert und einzelne Befugnisnormen zu deren Umsetzung geschaffen. Der EuGH und die anderen Gemeinschaftsorgane haben dies schon früh zum Anlaß genommen, diese Befugnisnormen mit Blick auf die zu erreichenden Ziele so, auszulegen, daß die Ziele der Gemeinschaft mit größtmöglichem Nutzen bzw. mit größtmöglicher Effektivität („effet utile“) erreicht werden können Dies muß auch vor dem Hintergrund gesehen werden, daß die Gemeinschaft als völlig neuartiger Versuch einer intensiven rechtlichen und politischen Zusammenarbeit und Integration zunächst der Stärkung bedurfte.
2. Art. 235 EGV -eine Generalermächtigung?
Art. 235 EGV illustriert in besonderem Maße das Problem der Kompetenzabgrenzung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaat. Art. 235 EGV ist als Befugnisnorm für den Fall formuliert worden, daß ein Handeln der Gemeinschaft erforderlich ist, um eines der Gemeinschaftsziele zu erreichen, ohne daß eine besondere Befugnisnorm in den Verträgen existiert Die potentielle Weite dieser Norm sollte verfahrensrechtlich kompensiert werden: Rechtsakte nach dieser Vorschrift können nur einstimmig beschlossen werden. Mit ihrer Zustimmung zu einem nach Art. 235 EGV zu beschließenden Rechtsakt erklären alle Vertragsparteien indirekt, daß sie die Voraussetzungen des Art. 235 EGV für gegeben betrachten Dennoch ist
Art. 235 EGV keine „carte blanche“ für die im Rat versammelten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten. Für Vertragsänderungen steht in Art. N EUV ein eigenes Verfahren bereit, welches in Abs. 3 auf die verfassungsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten zur Ratifikation von Verträgen verweist und damit auf eine direkte Beteiligung der nationalen Parlamente. Lückenfüllung nach Art. 235 EGV und Vertragsänderung sind daher zu unterscheiden Einen ersten Ansatz dazu hat der EuGH im Gutachten 2/94 geliefert und den Beitritt der EG zur EMRK mangels Befugnisnorm für unzulässig erklärt Art. 235 EGV ist keine Generalermächtigungsvorschrift.
3. Funktionelle Kompetenzen
Ein großes Kompetenzverteilungsproblem im engeren Sinne liegt in der Funktionsbezogenheit der gemeinschaftsrechtlichen Befugnisnormen, die eine Erweiterung der Befugnisnormen tendenziell erleichtert. Die zahlenmäßig meisten Rechtsakte der EG sind binnenmarktbezogen, und es ist oft nicht schwer, einen grenzüberschreitenden Wirtschaftsbezug herzustellen und damit eine Kompetenz zu begründen
4. Testfall Tabakwerbeverbot
Der EuGH wird bald Gelegenheit haben, sich zu den Problemen der Abgrenzung funktioneller Kompetenzen zu äußern. Die heftig umstrittene Richtlinie zum Verbot der TabakWerbung konnte aufgrund des klaren Ausschlusses jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Art. 129 Abs. 4 EGV nicht als gesundheitsschützende Maßnahme verabschiedet werden. Ob die eher indirekten Anknüpfungspunkte an binnenmarktspezifische Gesichtspunkte, etwa Wettbewerbsvorteile für Tabakhersteller und Werbewirtschaft in Ländern ohne Werbeverbot, ausreichen, um für eine eigentlich die Marktfreiheit beschränkende Norm auf den Binnenmarkt regelnde Vertragsvorschriften zurückzugreifen, ist fraglich
5. Fazit
Das Tabakwerbeverbot läßt noch einen anderen Zusammenhang deutlich werden. Die Nutzung der Lückenfüllungskompetenz des Art. 235 EGV stößt auf die verfahrensrechtliche Grenze der Einstimmigkeit im Rat. Dies ist bei der Nutzung der funktionellen Binnenmarktkompetenzen (vgl. vor allem Art. 100 a Abs. 1 EGV) nicht der Fall. In diesem Bereich werden Rechtsakte im Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit (Art. 148 Abs. 2 EGV) beschlossen Der einzelne Mitgliedstaat hat dadurch ein Stück weit die Kontrolle über die Entwicklung der Kompetenzverteilung verloren. Diese Art der Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit hat erst mit der ersten Vertragsrevision Mitte der achtziger Jahre, der Einheitlichen Europäischen Akte, richtig Fuß gefaßt, und die zeitliche Koinzidenz mit der verschärften Kompetenzabgrenzungsdebatte ist daher kein Zufall. Diese Möglichkeit der Mehrheitsentscheidung ist der eigentliche Hintergrund der scharfen Äußerungen des BVerfG im Maastricht-Urteil. In einem System der Einstimmigkeit hätte das BVerfG die Beachtung der gemeinschaftlichen Kompetenz-grenzen zunächst von den eigenen beteiligten Bundesorganen (insb.der Bundesregierung) einfordern können. Nunmehr ist aber die Entwicklung einer konturierten Kompetenzabgrenzungsrechtsprechung durch den EuGH selbst unabdingbar.
V. Abschließende Bewertung und Ausblick: Kooperation oder Konflikt?
Das BVerfG versteht sich selbst als letzte Instanz, wenn es darum geht, ob die Gemeinschaft sich innerhalb der Grenzen der ihr übertragenen Befugnisse bewegt. Das gilt sowohl hinsichtlich etwaiger Verletzungen deutscher Grundrechte durch Gemeinschaftsrecht, als auch hinsichtlich der Inanspruchnahme von Kompetenzen seitens der Gemeinschaft. Das Bild von den Zustimmungsgesetzen zu den Gemeinschaftsverträgen und den sie tragenden Art. 23, 24 GG als Brücke, über die das Gemeinschaftsrecht in die deutsche Rechtsordnung einfließt, und von dem BVerfG als Brückenwächter wird häufig gebraucht ist aber zu ungenau. Auch die Letztentscheidungsbefugnis des EuGH (Art. 164 EGV) hat über diese Brücke die deutsche Rechtsordnung erreicht. In beiden Fällen kann es daher nur um die Frage gehen, was zu geschehen hat, wenn die Gemeinschaftsorgane in einer nicht mehr nachvollziehbaren Art von den die Gemeinschaftsrechtsordnung tragenden Grundprinzipien abweichen. Es kann nur um den Fall gehen, bei dem auch völkerrechtlich die rechtmäßige Lösung von diesem -nunmehr wesensverschiedenen -Gebilde möglich wäre.
In diesem Sinne erschließt sich auch das Wort vom Kooperationsverhältnis: Es geht nicht um Hierarchie, um den Fall des Letztentscheidungsrechts in einer konstruierten Extremsituation, sondern um die gemeinsame Arbeit an einem mit den mitglied-staatlichen Verfassungen in Einklang stehenden europäischen Integrationsprozeß Kooperation ist dabei durchaus auch wörtlich zu verstehen. Sie umfaßt auch das persönliche Kennenlernen der anderen Gerichte und der handelnden Personen sowie die Diskussion über aktuelle Rechtsentwicklungen. Bisher hat diese Art der Kooperation im Ergebnis funktioniert. Sie wird -so ist zu hoffen -auch in Zukunft funktionieren.