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Neue Wege aus der Arbeitslosigkeit | APuZ 14-15/1999 | bpb.de

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APuZ 14-15/1999 Massenarbeitslosigkeit und Massenwohlstand. Das Janusgesicht unseres Kapitalismus zum Jahrhundertende und die Optionen der Beschäftigungspolitik Personelle Einkommensverteilung, Arbeitsproduktivität und Beschäftigung Der Erfolg des amerikanischen Beschäftigungsmodells und seine Ursachen Gesicherte Erkenntnis oder vage Vermutungen? Neue Wege aus der Arbeitslosigkeit

Neue Wege aus der Arbeitslosigkeit

Jürgen Kühl

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Zusammenfassung

Der Rückgang der Arbeitslosigkeit -Ende Januar 1999 um 368 000, immerhin um 7, 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr -war hauptsächlich aktivierender, expansiver und innovativer Arbeitsmarktpolitik zu verdanken, während bis Anfang 1998 gravierende Mittelkürzungen und Restriktionen vorgenommen wurden sowie Sparabsichten vorherrschten. Auf finanziell hohem Niveau verstetigt und verstärkt um das 100 000-Stellen-Programm für junge Menschen, zielt Arbeitsmarktpolitik auf Vermeidung weiterer Arbeitslosigkeit in Millionenhöhe. Neue Wege aus der Unterbeschäftigung bedürfen EU-weiter Beschäftigungspolitik im Rahmen eines durchfinanzierten Beschäftigungspaktes und der entsprechenden EU-Leitlinien. Deren nationale Umsetzung, die Beschäftigungswirkungen eines Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit sowie die Arbeitszeitpolitik verheißen mittelfristig einen Millionenabbau der Arbeitslosigkeit, unterstützt vom rückläufigen Erwerbspersonenpotential.

I. Arbeitslosigkeit läßt sich abbauen

Abbildung: Rückgang der Arbeitslosigkeit im Vorjahresvergleich nach Bundesländern (Rangfolge) Stand: Dezember 1998 Quelle: Bundesanstalt für Arbeit, eigene Berechnungen TMSG.

Trotz 1993 bis 1997 gesunkener Erwerbstätigkeit und deshalb um 965 400 Personen gestiegener Arbeitslosigkeit hat die alte Bundesregierung die Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik 1993 von 64 auf 37 Milliarden DM im Jahr 1997 zurückgefahren. Die Novellen des Arbeitsförderungsgesetzes (AEG), das Arbeitsförderungsreformgesetz (AFRG vom 1. 4. 1967) und die Grundintention des Sozialgesetzbuches III (SGB III) ab 1. 1. 1998 waren im Ergebnis Spargesetze. „Statt eines Beitrages zur Halbierung Erhöhung der Arbeitslosigkeit“ befanden die AFRG-Kritiker durchaus zutreffend

Ende 1998 wurden 324 270 weniger Arbeitslose (-7, 2 Prozent) registriert als zum Jahreswechsel 1997/98. Alle Bundesländer (vgl. Abbildung) verzeichneten weniger Arbeitslose als im Vorjahr. Unterschiedliche Ausgangsniveaus, regional differenzierte Wirtschafts-und Beschäftigungsentwicklung, die Verteilung der Arbeitsmarktmittel nach neuen Indikatoren und die Landesbemühungen wirken stets zusammen.

Mit 7, 27 Millionen Zugängen zur Arbeitslosigkeit hatten die 181 Arbeitsämter 1998 einen ebenso starken Andrang zu bewältigen wie 1997. Jeder Arbeitsvermittler hatte monatlich 710 Arbeitsuchende zu betreuen, 1991 waren es erst 560, ein Anstieg um fast 30 Prozent. Doch diesen 7, 27 Millionen Zugängen Arbeitsloser standen im Jahr lediglich 3, 83 Millionen Stellenangebote der Betriebe und Verwaltungen gegenüber, immerhin aber 559 000 mehr als 1997. Die Arbeitsämter schöpften mit 3, 67 Millionen Vermittlungen fast alle Stellenangebote aus, setzten immer mehr finanzielle und technische Vermittlungshilfen ein und schafften ein neues Rekordergebnis. Infolgedessen sank die Arbeitslosenzahl im Westen Deutschlands jeden Monat gegenüber dem Vorjahr, im Osten war dies erst im zweiten Halbjahr der Fall -die Wende zum Abbau der Arbeitslosigkeit.

Eine Massenarbeitslosigkeit von 4, 2 Millionen -das sind 12 Prozent der abhängigen zivilen Erwerbspersonen (ohne Bundeswehr) -zum Jahreswechsel 1998/99 ist dem gesamtwirtschaftlichen Defizit an Arbeits-und auch betrieblichen Ausbildungsplätzen geschuldet. Für 1998 wird eine durchschnittliche Erwerbstätigenzahl von 34 Millionen geschätzt, genau soviel wie 1997. Doch erstmals seit der Vereinigung verringerte sich die Beschäftigung nicht mehr, sondern sie nimmt zu: im Westen seit Mai, im Osten seit August 1998. Allerdings ist dies den beschäftigungsschaffenden Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik -Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM), betrieblichen Einstellungshilfen -sowie der Förderung betrieblicher Ausbildungsplätze zu verdanken

Im Jahresverlauf 1997 war die Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen aufgrund finanzieller und gesetzlicher Restriktionen stark eingeschränkt worden. Nachdem im Januar 1998 noch 480 000 Teilnehmer weniger als im Vorjahr zu verzeichnen waren, gab es im Dezember schon 150 000 mehr: An den drei wichtigsten Maßnahmen -Förderung der beruflichen Weiterbildung (374 550), ABM (284 300) und SAM (227 800) -nahmen insgesamt 887 000 Personen teil. In den beiden wichtigsten Ausgabebereichen (Eingliederungstitel und Kapitel 3, siehe S. 32) gab die Bundesanstalt für Arbeit (BA) 1998 mit 35, 5 Milliarden DM rd. 2, 6 Milliarden DM mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik aus als 1997. Selbst wenn diese Expansion im Frühjahr 1998 sogenannten untergesetzlichen Maßnahmen d. h. ohne Änderungen des SGB III, Erleichterungen im Vollzug der Arbeitsmarktpolitik und weiterhin wahlpolitischen Prioritäten zu verdanken war, im Ergebnis wurde Arbeitslosigkeit abgebaut, wenn auch vorrangig mit Arbeitsmarktpolitik.

II. Der aktive Abbau von Arbeitslosigkeit geht weiter

Für 1999 sind zwei zentrale Entscheidungen bereits getroffen, von zwei weiteren wird ein zusätzlicher beschäftigungspolitischer Schub beim Abbau der Arbeitslosigkeit erwartet. Erstens hat die neue Bundesregierung am 9. Dezember 1998 den Haushalt der BA über 105 Milliarden DM mit 11 Milliarden DM Bundeszuschuß in der vorgelegten Fassung von Selbstverwaltung und Verwaltung ohne Kürzungen, ohne globale Minderausgabe und ohne restriktive Vorgaben gebilligt. Im Eingliederungstitel, der die wichtigsten Maßnahmen wie berufliche Bildung, ABM, betriebliche Einstellungshilfen, Hilfen für benachteiligte Auszubildende und berufliche Rehabilitation umfaßt, sind mit 27, Milliarden DM 2, 1 Milliarden DM mehr als 1998 vorgesehen, ein Viertel des gesamten Etats. Hinzu kommen 600 Millionen DM für ein ABM-Sachkostenprogramm des Bundes. Im Kapitel 3, sonstige Leistungen der aktiven Arbeitsförderung wie Berufsausbildungsbeihilfe, Kurzarbeitergeld, Förderung selbständiger Tätigkeit, SAM, sind zusätzliche Mittel veranschlagt, vor allem 723 Millionen DM mehr für SAM, die noch um 500 Millionen DM aus Bundesmitteln verstärkt werden. Alles in allem stehen der BA 1999 rd. 5, 1 Milliarden DM mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung als 1998.

Die wichtigste Neuerung ist also die Sicherung der Finanzmittel auf hohem Niveau: „Berechenbarkeit, Kontinuität und Verläßlichkeit“, hat Bundesarbeitsminister Walter Riester vor der BA-Präsidentenund Direktorentagung am 9. /10. 12. 1998 in Nürnberg zugesagt. Durch Schwerpunktsetzungen mit Finanzierung, mit drei-bis vierjähriger Planung, mit mehrjährigen Verpflichtungsermächtigungen sowie einer Verlängerung der arbeitsmarktpolitischen Sonderbedingungen für die neuen Länder bis Ende 2006, dem Endjahr der neuen EU-Strukturfonds, läßt sich dieses Ziel erreichen. Eine Finanzierungsreform, Regelbindung des Bundeszuschusses zur BA und Rechtsansprüche auf bestimmte Leistungen können für die SGB-Ill-Novelle erörtert werden, die auch die Frage stärkerer Beitrags-oder Steuerfinanzierung der Arbeitsmarktpolitik regelt 4. 9 Zweitens wurde gleich nach der Bundestagswahl für junge Menschen bis 25 Jahre ein Sofortprogramm für 100 000 Ausbildungs-und Arbeitsstellen gefordert, danach im IV. Quartal 1998 konzipiert, im Maßnahmeteil flexibel angelegt, an bereits Bewährtem orientiert und mit gut 3, 1 Milliarden DM finanziert (zwei Mrd. Ausgaben in 1999, Ermächtigungen für mehrjährige Maßnahmen bis 2001). Die Mittel, Maßnahmedetails und Durchführungshinweise waren Anfang Januar 1999 in den Arbeitsämtern, die besondere Programmgruppen beauftragt haben, Bildungs-und Beschäftigungsträger einschalten, Betriebe und Verwaltungen kontaktieren, sozialpädagogische Betreuung vorsehen und völlig neue Formen erproben, um schwer erreich-und ansprechbare Jugendliche gleichwohl in Ausbildung und Arbeit zu bringen. Mehrere zehntausend Jugendliche wurden bereits von den Arbeitsämtern betreut, viele tausend haben schon einen Ausbildungsoder Arbeitsplatz, nur ganz wenige erhielten eine Sperrzeit oder Kürzung der Sozialhilfe, wenn sie die vielfältigen Angebote ausschlugen

Insgesamt stellen Bund und BA 1999 für aktive Arbeitsmarktpolitik 43, 3 Milliarden DM bereit, rund fünf Milliarden mehr als Anfang 1998. Mit 52, 8 Milliarden DM wurde 1998 wieder sehr viel Arbeitslosengeld ausgegeben, um Arbeitslosigkeit statt Arbeit zu finanzieren. Das gilt auch für die 30, 4 Milliarden DM an Arbeitslosenhilfe aus Bundesmitteln. Während mit 2, 4 Milliarden DM 8, 7 Prozent mehr für Arbeitslosenhilfe an streng geprüfte Bedürftige ausgegeben wurden als 1997, verringerte sich die Ausgabe für Arbeitslosengeld der BA um 6, 4 Milliarden DM, immerhin -10, 8 Prozent. Auch 1999 sind weniger Leistungsempfänger eingeplant als 1998 sowie noch 52, 4 Milliarden DM für Arbeitslosengeld. Die gesamtfiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit haben sich seit 1991 um fast 100 auf 166 Milliarden DM im Jahr 1997 erhöht. Eine weitere Schieflage ist in der Finanzierung der Arbeitsmarktfolgen von Vereinigung, Privatisierung, bisherigem Aufbau Ost und unzureichender Re-Industrialisierung der neuen Länder auszumachen. In großer Solidarität westdeutscher Arbeitnehmer und Betriebe als Beitragszahler zur BA übertreffen die (bereinigten) Einnahmen der BA im Westen seit Jahren die Ausgaben dort, während z. B. 1998 in den neuen Ländern 11, 9 Milliarden DM eingenommen, aber 38, 7 Milliarden DM für aktive und passive Arbeitsmarktpolitik ausgegeben wurden. Man kann argumentieren, daß die flankierend konzipierte Arbeitsmarktpolitik ihre maximale Entlastung der Arbeitslosigkeit erreicht hat und ihr Entlastungspotential kaum noch steigern kann. Ähnlich könnten insbesondere die neuen Länder argumentieren, die 1 bis 3, 5 Prozent ihrer Landeshaushalte für ergänzende, verstärkende, BA-Maßnahmen verlängernde Arbeitsmarktpolitik ausgeben sowie landeseigene Programme aufgelegt haben und arbeitsmarktpolitische Infrastruktur finanzieren. Selbst wenn in den kommenden Jah-ren die Ausgaben von Bund, BA und Ländern für aktive Arbeitsmarktpolitik hoch bleiben, selbst wenn noch mehr der rd. 83 Milliarden DM passiver Ausgaben für Arbeitslosengeld und -hilfe aktiviert werden, es muß Beschäftigungspolitik hinzutreten, um die Arbeitslosigkeit in nennenswerten Schritten weiter abzubauen. Deshalb wird sowohl von einem Europäischen Beschäftigungspakt, den beschäftigungspolitischen Leitlinien und ihrer Umsetzung durch die europäischen Strukturfonds sowie die nationalen Aktionspläne als auch von den Ergebnissen des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewei bsfähigkeit eine mittelfristige Verringerung der Arbeitslosigkeit über die aktive Arbeitsmarktpolitik hinaus erwartet. Bei sinkendem Erwerbspersonenpotential (1998: -184 000 Personen, 1999: -274 000, 2000: -181 000) läßt auch der Angebotsdruck nach. In den neuen Ländern wird von der Angebotsseite mittelfristig keine Entlastung erwartet

Die am Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit Beteiligten streben u. a. eine innovationsfördernde Arbeitsmarktpolitik in der Infrastruktur, neue Ausbildungs-und Beschäftigungsfelder, auch für Geringqualifizierte, und verstärkte Berufsausbildung an

Ausgangspunkt ist die Analyse, daß eine Umsatzrendite (Gewinnanteil am Umsatz), die von 1, 6 Prozent im Jahr 1993 auf 6, 5 Prozent im Jahr 1998 sogar über den 1990er Spitzenwert von 4, 7 Prozent im Westen gestiegen ist, die Bruttoanlageinvestitionen im Unternehmenssektor nicht nachhaltig beflügelt hat. Die Umverteilung steigender Realeinkommen zugunsten der Unternehmen hat nicht den erwarteten Investitionsboom mit sich gebracht. Also blieb eine Ausweitung der Beschäftigung aus. Ferner waren das Wachstumstempo seit 1993 und die dahinter stehende Nachfrageentwicklung für eine Beschäftigungszunahme nicht hinreichend. Allein die Wachstumsdellen 1995 und 1996 führten später zu rund einer Million mehr Arbeitslosen. Eine Zunahme der effektiven, nicht der tariflichen Löhne, die sich an der mittelfristigen Produktionsentwicklung und am Preisstabilitätsziel der Europäischen Zentralbank orientiert und nicht zu rückläufigen Lohnstückkosten führt, gilt als beschäftigungsfördernd und verteilungsneutral Insofern werden mit der neuen Mischung aus Nachfrage-und Angebotspolitik, mikropolitisch untersetzt und eingebettet in EU-koordinierte Beschäftigungspolitik, neue Wege aus der Arbeitslosigkeit beschritten. Für 1999 erwartet die Bundesregierung einen Abbau der Arbeitslosigkeit um 150 000 bis 200 000 Personen auf 4, 1 Millionen nach 4, 28 Millionen im Jahr 1998. Dabei wird nur im Westen von einem Beschäftigungszuwachs von 100 000 Erwerbstätigen ausgegangen.

III. Neue Wege aus der Arbeitslosigkeit

Die Arbeitsmarktpolitik von Bund, BA, Ländern und Gemeinden war in den letzten Jahren sehr erfinderisch, instrumentell und infrastrukturell innovativ -auch hinsichtlich der Finanzierung -und gut aufeinander abgestimmt. Öffentlich geförderte Qualifizierung und Beschäftigung ist auf Dauer nötig, um in der zweiten Halbzeit der Massenarbeitslosigkeit seit 1990 nachhaltige Verringerungen der Arbeitslosigkeit zu erzielen. Die erste dauerte im Westen von 1975 bis 1989. Auf Verlängerungen sollte verzichtet werden.

1. Arbeitsmarktpolitische Auswege

Die Förderpraxis der neunziger Jahre lehrt erstens, daß sich Ausbildungs-und Beschäftigungsbetriebe immer mehr zurückhalten und Fördermittel für Ausbildung und Übernahme, für die Einstellung von Arbeitslosen, Frauen und Zielgruppen wie Langzeitarbeitslose, Behinderte, Alleinerziehende und ältere Arbeitnehmer sowie für betriebliche Weiterbildung „mitnehmen“. Förderpolitik beteiligt sich immer mehr an den jährlich gut sieben Millionen Einstellungen in Ausbildung und Arbeit; Ausbildungs-und Arbeitsvermittlung arbeiten immer mehr mit Kostenentlastungen. So werden bis zu 40 Prozent der Arbeitsvermittlungen in den neuen Ländern finanziell unterstützt. Für SAM in ostdeutschen Wirtschaftsunternehmen werden 26 000 DM für die Einstellung eines Arbeitslosen gezahlt, sie haben stark -auf 115 000 Geförderte -zugenommen, obwohl deren Stützwirkung schwer zu beurteilen ist. Bei 211 800 Vermittlungen 1998 in derartige SAM in Betrieben wurden -einjährige Dauer als Regel -5, 5 Milliarden DM eingesetzt, nicht passiv für Arbeitslose und deren Sozialversicherung. Lohnzuschüsse ohne harte Zielgruppenauflagen und Nachbeschäftigungspflichten haben keine nachhaltigen Beschäftigungseffekte. Junge und ältere Langzeitarbeitslose, Frauen ab 40 Jahren und Geringqualifizierte gelten als besonders förderungswürdig.

Alle betriebsorientierten Maßnahmen von den Existenzgründungshilfen über betriebliche Einstellungshilfen und Lohnzuschüsse bis zu Ausgliederungsmaßnahmen, Sozialplanzuschüssen und Stellvertretungen durch Arbeitslose sind daher auf nachhaltige Beschäftigungswirkungen für Zielgruppen zu überprüfen.

Bei monatlich zirka einer halben Million Einstellungsfällen darf Arbeitsmarktpolitik sich nicht mit Bruttoeffekten bei bestimmten Gruppen zu Lasten anderer Arbeitsloser zufriedengeben. Wenn die grundsätzlich richtige Betriebsorientierung wirksamer werden soll, ist sie mittels hochwertiger Qualifizierung stärker präventiv auszurichten, mit der Investitions-, Regional-und Mittelstandsförderung stärker zu verzahnen sowie auf die -mit der neuen Insolvenzordnung ohnehin geforderte -Rekonstruktion von Betrieben auszurichten

Derartige Arbeitsmarktpolitik stärkt auch die „investive Komponente“ wirtschaftsnaher Politik, die Beschäftigungswirkung von Investitions-und Infrastrukturprogrammen Dazu gehört auch die Öffnung von SAM für weitere investive und infrastrukturelle Bereiche, Forschung und Entwicklung sowie innovative Beschäftigungsfelder.

Die personalwirtschaftliche Praxis der gut 2, 5 Millionen Betriebe und Verwaltungen in Deutschland lehrt zweitens, daß angesichts der Gefahr der Überalterung ihrer Belegschaften die Betriebe immer mehr dazu neigen, die Arbeitnehmer nur für die besten 30 Jahre nach ihrer Ausbildung produktiv zu beschäftigen und sie dann für zehn und mehr Jahre der sozialen Sicherung zu überantworten, gleichwohl aber -trotz gleichbleibender Sozialleistungsquote -deren Kostensteigerungen zu beklagen. Höheres Alter und Langzeitarbeitslosigkeit fallen sehr häufig zusammen, trotz Förderpriorität und Sonderprogrammen gelingt kaum eine Wiedereingliederung auf Dauer ohne Förderung. Deshalb ist als neuer Ausweg ein Langzeitfördersystem für ältere Langzeitarbeitslose ab 50 Jahren ohne weitere Arbeitslosigkeit und ohne das Erfordernis der Wiedereingliederung bis zum Zeitpunkt des Erhalts einer vorgezogenen, erträglich reduzierten Rente nötig, das sinnvolle Erwerbsarbeit bietet. Mehrjährige SAM mit Anschlußbeschäftigung nach fünf Jahren, die Unterteilung in zwei Förderetappen, die Nutzung bestehender langjähriger Förderinstrumente des SGB III sowie am Ende Lösungen mit dem Altersteilzeitgesetz, eine genaue Rentenberatung sowie möglicherweise Finanzierungsbeiträge für die Rentenversicherung (z. B. Tariffonds, ersparte Kosten der Arbeitslosigkeit und der Sozialhilfe) sind erforderlich. Entscheidend sind die Arbeitsfelder, die altersgerecht, anspruchsvoll, sinnstiftend und gesellschaftlich nützlich für Menschen, Regionen und Betriebe sein sollen. Sollte eine SGB-IlI-Förderung nicht bald einzurichten sein, sind Modellversuche in Ko-Finanzierung von Bund, Ländern und Kommunen denkbar. Drittens haben sich die Beschäftigungs-, Qualifizierungs-und Strukturentwicklungsgesellschaften (ABS-Gesellschaften) in Ost-und Westdeutschland als unverzichtbare Beschäftigungsdienstleister vor Ort, als Projekt-und Strukturentwickler in den Regionen und -wegen der verbreiteten kommunalen Beteiligung -als Träger kommunaler Beschäftigungs-und Bildungsmaßnahmen bewährt. Ihre Grundfinanzierung einschließlich kompetenter Geschäftsführung sollte daher mittelfristig -Thüringen hat z. B. drei Jahre Förderung -von den Ländern gesichert werden, wenn gewisse Qualitätsstandards und Innovationsleistungen erbracht sind. Diese Gesellschaften organisieren neue Arbeitsfelder, entwerfen Projekte, führen strukturverbessernde Maßnahmen für viele Teilnehmer durch und fungieren als Auffanglösung bei unvermeidlichen Entlassungen. Die Beteiligung solcher Gesellschaften (soweit sie als Wirtschaftsunternehmen verfaßt sind) an ABM und SAM ist zu ermöglichen, erwirtschaftete Überschüsse sind -über die Finanzierung der Grundmittelausstattung hinaus -in die Projektarbeit zu stecken. Viertens haben sich bei arbeitslosen jungen Menschen und Zielgruppen der Arbeitsmarktpolitik sogenannte „ 4-B“ -Ansätze bewährt, die die Menschen bei Arbeits-, Sozial-und Jugendämtern -möglichst als förderwürdig eingestuft -abholen, sie beraten, bilden und beschäftigen sowie beim Abschluß von Ausbildungs-und Arbeitsverträgen sowie über deren gesamte Laufzeit betreuen. Entsprechende Eingliederungspläne mit Einschaltung der genannten Ämter, der Bildungs-und Beschäftigungsträger sowie geeigneter Betriebe unter kompetenter und sozialpädagogischer Durchführung schaffen die Gewähr für Betriebe zwecks dauerhafter Integration. Fünftens hat sich die Praxis der freien Förderung nach § 10 SGB III, für die 1998 rund 550 Millionen DM für etwa 100 000 Geförderte ausgegeben wurden, von einer Art Verlegenheitslösung zu einem innovativen Ansatz mit inhaltlich interessanten Förderungen -1999 stehen bis zu zehn Prozent des Eingliederungstitels, d. h. über 27, 4 Milliarden DM, bereit -entwickelt. Sie wurde geöffnet zur Projektförderung, zur kommunalen Infrastrukturförderung von monatlich 5 000 DM an Personal-und Sachkosten bei 30 Prozent Eigenbeteiligung, zur einjährigen Arbeitskostenfinanzierung einschließlich SV-Beiträgen für qualifizierte Jugendliche mit Nachbeschäftigungspflicht, zur Umwandlung geringfügiger Beschäftigung in sozialversicherte Teilzeitbeschäftigung, zur Unterstützung von Existenzgründungen. Gerade Projekte für Langzeitarbeitslose werden durch freie Förderung interessant. Sechstens haben die neuen Bundesländer eine Reihe von ostspezifischen Vorschlägen vorgelegt und sich in die kurzfristige Nachbesserung des SGB III eingebracht Sie sind in den vorstehenden Anregungen generalisiert großenteils enthalten.

2. Das Mainzer Modell für netto besser bezahlte Beschäftigung und Familienförderung

Drei Probleme bereiteten in den letzten Jahren größte Sorgen: die auch durch die Neuregelung ungebremste Ausuferung geringfügiger Beschäftigung, der angeblich zu geringe Arbeitsanreiz für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger und die Arbeitsarmut bei Familien mit Kindern und geringen Erwerbseinkommen. Das Mainzer Modell geht von der Tatsache aus, daß zwar fünf bis sechs Millionen geringfügige 630-DM-Arbeitsverhältnisse bestehen, aber kaum sozialversicherte Arbeitsverhältnisse bis zu 1 400 DM im Monat. Es sieht daher vor, daß -bis 630 DM in den Steuerklassen 1 bis V der Arbeitgeber den vollen Rentenbeitrag zahlt, der Arbeitnehmer nichts, aber den Rentenanspruch erwirbt; bei Zweitbeschäftigungen der Steuerklasse VI besteht für beide die normale Sozialversicherungspflicht; -oberhalb von 630 DM Ledige (Steuerklasse I, II und IV) bis zu 1 550 DM und Verheiratete (Klasse III) bis zu 3 100 DM vom Staat aus Steuermitteln einen abschmelzenden Zuschuß zum Sozialversicherungsbeitrag erhalten, während der Arbeitgeber wie bisher seinen normalen SV-Anteil übernimmt; -Familien mit Kindern und Sozialversicherungsanspruch bis zu 150 DM Zuschlag zum Kindergeld erhalten, das linear an die Wohngeldberechtigung geknüpft ist, also bei geringen Erwerbseinkommen anfällt. Dieses Modell löst gleichzeitig die drei genannten Hauptprobleme, schafft mehr Anreize zur Beschäftigung, drängt die geringfügige zurück und verzichtet auf einen Niedriglohnsektor der lediglich den Druck auf das untere Einkommenssegment verstärkt. Bei der geschilderten niedrigsten Arbeitseinkommensquote, bei Vollzeittagesverdiensten von lediglich 70 bis 80 DM, bei fünf bis sechs Millionen geringfügig Beschäftigten, bei einem Drittel aller Arbeitnehmer ohne ganzjährige Beschäftigung, also ohne (volle) Sonderzahlungen, bei rund einer Million praktisch in Höhe des Arbeitslosengeldes oder wenig darüber entlohnten Teilnehmern an Arbeitsmarktmaßnahmen, bei immer mehr verbreiteter untertariflicher Bezahlung in der Wirtschaft, insbesondere in den neuen Ländern, und bei zunehmender Lohndifferenzierung nach unten sind konstruktive Lösungen wie das Mainzer Modell gefragt. Die Bundesregierung arbeitet an einem Brückenmodell zwischen den 630-DM-Jobs und darüber liegenden Einkommen, um die Attraktivität sozialversicherter Beschäftigung in den unteren Lohngruppen zu erhöhen.

3. Regionale Dezentralisierung und Institutionalisierung der Arbeitsmarktpolitik

Der lokal-regionale Ansatz der Arbeitsmarktpolitik vor Ort,, in konkreten Betrieben und Verwaltungen, mit Bildungs-und Beschäftigungsträgern und in Projekten bindet die örtlichen Akteure in die Ideenfindung, Projektgenerierung und Entscheidungsgremien ein, die in pluralistischer Zu­ sammensetzung und unter Beteiligung der finanzierenden Stellen votieren. Dadurch entstehen innovative Ansätze, Experimente, neue Erwerbsformen und Arbeitszeitmuster, neue Verbindungen von Bildung, Arbeit und sozialer Sicherung, neue Beschäftigungsfelder, Markterkundungen und vielleicht neue Märkte. Regional-und Landesbeiräte, Regionalstellen möglichst für jede Planungsregion eines Landes und kommunale Beschäftigungsämter/Fachstellen/Sonderbeauftragte möglichst in allen 323 Landkreisen bzw. kreisfreien Städten gehören dazu. Schließlich haben die Arbeitsämter mit der Dezentralisierung ihrer Ausgabeentscheidungen und Dienstleistungen in Geschäftsstellen vor Ort den lokal-regionalen Ansatz mitgestaltet. Alles zusammen gehört zur unerläßlichen arbeitsmarktpolitischen Infrastruktur, die finanziert werden muß, dafür aber auch Wirkungen und Ausgabeeffizienz garantiert. Will man die beschäftigungspolitische Verantwortung von Betrieben und Kommunen stärken, sind Service-Betriebe, Arbeitnehmerpools, Zweck-und Arbeitsförderbetriebe, soziale Wirtschaftsbetriebe und Existenzgründungen sowie kombiniert gemeinnützige und gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung wichtig. Neben Vergabe-ABM-und -SAM mit zugewiesenen Arbeitslosen aus den Arbeitsämtern einschließlich Vergabemehraufwand, Sachkosten und verstärkter Landesförderung könnten derartige betriebsförmige, wirtschaftsnahe Einrichtungen geeignete Arbeitnehmer qualifizieren und für örtliche Betriebe und Projekte Vorhalten. Dahinter steht ein aktivierendes Staatsverständnis, das mit Regeln, Entscheidungsverfahren und Ko-Finanzierungen Anreize schafft, so daß Betriebe und Kommunen ihre beschäftigungspolitische Verantwortung stärker wahrnehmen. Erste Auffangnetze gegen Arbeitslosigkeit sind in Betrieben nötig, also rückt die Bestandspflege von Betrieben einschließlich Vorkehrungen für betriebliche Notlagen mit Personalüberhang in den Mittelpunkt örtlicher Beschäftigungsdienstleistungen. Wenn die genannten Institutionen und Infrastrukturen bestehen, kann rasch -ohne den Umweg über die Arbeitslosigkeit -geholfen werden. Einzelbeispiele von professionellem Krisenmanagement waren sehr erfolgreich.

4. Arbeitszeitpolitische Wege aus der Arbeitslosigkeit

Die beschäftigungssichernde und mitunter -schaffende Wirkung von Arbeitszeitverkürzungen und -flexibilisierungen 17 ist inzwischen anerkannt; nicht wenige Betriebe gehen diesen Weg. Doch fehlen vor allem Verbindungen zwischen einer betrieblichen Neuverteilung von Ausmaß, Lage und Jahresentwicklung der Arbeitszeiten mit der Einstellung von Arbeitslosen auf organisatorisch neu zu arrangierenden Arbeitsplätzen: -Aus den 1998 bezahlten 1, 83 Milliarden Mehrarbeitsstunden könnten zwischen 300 000 und 400 000 Arbeitsplätze entstehen, wenn Jahreskonten mit kurzen Ausgleichsvorschriften und Regeln für Einstellungen bei überzogenen Zeitkonten vereinbart würden. Zugunsten von Arbeitslosen reduzierte Mehrarbeit bedeutet aber für die Arbeitnehmer verringerte Arbeitszeit mit Lohnkürzung pro Stunde, für das Management Verlust an Flexibilität bei Auftragsannahme und -erledigung, für die Personalvertretung Machtverlust in der Genehmigungspraxis. Mag sein, daß hier eine Insider-Allianz Einstellungen von Arbeitslosen erschwert. -Der Tarifabschluß zur Beschäftigungsförderung in der niedersächsischen Metallindustrie sieht für den Fall, daß an elf Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeit von 35 auf 32 Stunden verkürzen, damit ein Arbeitsloser mit 32 Stunden beschäftigt werden kann, eine Prämie von zwei Dritteln des Lohnverzichts aus einem von beiden Tarifparteien gespeisten, unternehmensunabhängigen Fonds vor; ein Drittel tragen die Arbeitnehmer bei, die weniger arbeiten und Zeitsouveränität gewinnen -Stellvertretungsmodelle auf allen Qualifikationsebenen erlauben die Freistellung von der Erwerbsarbeit zu beliebigen Zwecken und die Vertretung durch vorher qualifizierte Arbeitslose. Die vermiedenen Kosten der Arbeitslosigkeit (von 37 800 DM in 1997 pro Person und Jahr) könnten in den Lohnausgleich eingebracht werden. -Teilzeitarbeit, Altersteilzeit und andere Arbeitszeitverkürzungen pro Jahr ohne Lohnausgleich sowie das geschilderte „Mainzer Modell“ mit Anreizen zu sozialversicherter Teilzeit statt geringfügiger Jobs eröffnen viele Neuvefteilungsmöglichkeiten der Arbeit zugunsten der Arbeitslosen. Eine Teilzeitbeihilfe könnte denjenigen gezahlt werden, die freiwillig auf Vollzeit verzichten und Platz für Arbeitslose schaffen. -Neuartige Formen der Freistellung von Arbeit zu Bildungs-und Qualifizierungszwecken sind nötig, um hier und da behaupteten Fachkräftemangel (zu Marktlöhnen?), altersbedingten Qualifikati­ onsbedarf und den Generationswechsel in Handwerks-und Mittelstandsbetrieben zu bewältigen. -Die Rente mit 60 Jahren für bis zu 2, 8 Millionen Arbeitnehmer, befristet bis zum Jahr 2004 und finanziert mit 0, 5 Prozent der Lohnsumme, aber steuerund sozialabgabenfrei, schafft starke Entlastung.

Alle diese Ideen sind bisher nicht in großem Stil zugunsten der Arbeitslosen umgesetzt worden. Die ungünstige Reallohnentwicklung, die Ungewißheit über die Auswirkungen auf die eigene soziale Sicherung, vor allem im Alter, die Unberechenbarkeit der Teilnahme an Arbeitsfördermaßnahmen, die unzulänglichen Gegenleistungen in Form von mehr Freizeit und Zeitsouveränität und die unvollendete Diskussion über einkommensabhängigen Teillohnausgleich unter Einsatz ersparter Kosten der Arbeitslosigkeit stehen arbeitszeitpolitischen Wegen aus der Arbeitslosigkeit immer wieder entgegen.

5. Erprobung zusätzlicher Wege in der Arbeitsmarktpolitik

Ein gleichnamiges Förderprogramm des Bundes will modellhaft innovative Projekte anstoßen, die mit dem herkömmlichen Instrumentarium nicht förderbar sind. Die Projekte der BA lassen sich folgenden Förderfeldern zuordnen: -Eingliederung von arbeitslosen Berufsrückkehrerinnen unter Nutzung flexibler Arbeitszeitsysteme, Telearbeit, Telelearning; -Erhöhung der Mobilität schwervermittelbarer Arbeitsloser; -Unterstützung überbetrieblicher Ausbildungsverbünde bei einem Stammbetrieb mit Übernahmegarantie der beteiligten Partnerbetriebe; -Aufbau von Dienstleistungszentren; insbesondere für die Bereiche Haushalt, Familie, Unternehmensbetreuung, soziale Dienste, Bürgerservice: -Eingliederung von arbeitslosen Jugendlichen und Aussiedlern in die Arbeitswelt durch berufspraktische Ausbildung, arbeitsplatzbezogenen Unterricht; sozialpädagogisch orientierte Bildungsmaßnahmen für benachteiligte Jugendliche; -Verbesserung der Vermittlungsaktivitäten unter Nutzung des Internet; -Verbesserung der Vermittlung von Saisonkräften für landwirtschaftliche Betriebe durch die Bil-dung von Vermittlungspools; -Schaffung von Dauerarbeitsplätzen aus Beschäftigungsprojekten durch die Unterstützung von Arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit Bedrohten bei der Gründung selbständiger Existenz; -Arbeit statt Sozialhilfe für Langzeitarbeitslose Ideenbörsen, Projektlisten, Modellversuche, innovative Ansätze, Initiativen -Erfahrungen mit neuen Wegen aus der Arbeitslosigkeit gibt es genug. Sie sind zusammenzuführen, zu bewerten und bei Eignung zu generalisieren. Die „freie Förderung“ könnte zu einem echten Experimentierfeld umgestaltet werden. Einige Bundesländer sind besonders experimentierfreudig, Arbeit, berufliche Qualifizierung und soziale Sicherung innovativ mit örtlichen Arbeiten zu kombinieren.

6. Einbeziehung in die Arbeitsmarktpolitik, ohne Leistungsbezieher nach dem SGB III zu sein

Arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger, Aussiedler und andere „Neuankömmlinge“, Menschen, die noch nicht oder nicht mehr Bezieher von Leistungen nach dem SGB III sind, benötigen einen Zugang zur Arbeitsförderung. In der Perspektive wird gerade die erstgenannte Gruppe durch verbesserte Kooperation und Kostenbeteiligung zwischen Sozial-und Arbeitsamt einzubeziehen sein. So-lange die Kommunen als Hauptträger öffentlicher Investitionen nicht aktiv werden können, weil die „Kommunalisierung der Kosten von Langzeitarbeitslosigkeit“, steigende Sozialhilfeausgaben -Ende 1997 gab es 2, 89 Millionen Sozialhilfeempfänger, eine Zunahme von 7, 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr -und steigende Ausgaben für Personal und Schuldzinsen sie erdrosseln, sind vor Ort auch kaum beschäftigungspolitische Aktivitäten zu erwarten. Regional unterscheiden sich die Kommunen je nach ihrer Finanzlage stark in ihren Maßnahmen für Arbeit und Ausbildung statt Sozialhilfe. Hier kann mehr gemacht werden, z. B. durch zweckgebundene Direktzuweisungen des Bundes an die besonders betroffenen Kommunen für Qualifizierung und Beschäftigung sowie die nötige Personal-und Infrastruktur.

7. Förderprogramm Frau und Beruf

Trotz § 8 SGB III als Fördergrundsatz, Leitlinie und Querschnittsaufgabe, trotz der überdurchschnittlichen Beteiligung von Frauen an der Arbeitsmarktpolitik, trotz spezieller Förderprogramme, innerbetrieblicher Frauenförderung und hauptamtlicher Frauenbeauftragter -die Arbeitslosigkeit von Frauen ist zu hoch, die Berufsnot der jungen Frauen nicht behoben, ihre Ausbildung in 29 neu geordneten und zukunftsweisenden Berufen unterdurchschnittlich, ihre berufliche Weiterbildung unzureichend und nicht hochwertig. Besondere Hoffnungen werden daher an Frauenförderungen als zentrales Querschnittsthema der EU-beschäftigungspolitischen Leitlinien, der nationalen Umsetzung und des Bündnisses für Arbeit geknüpft. Christine Bergmann hat als Bundesministerin ein Förderprogramm Frau und Beruf konzipiert, dessen Bezeichnung und Ankündigung hohe Erwartungen wecken. Wenn die Gesamtpolitik der Bundesregierung den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen größere Bedeutung als bislang beimißt, so sieht sie zwar wegen Maastricht und der Verschuldungsgrenze in Höhe öffentlicher Investitionen (Art. 115 Grundgesetz) weder aktuell noch mittelfristig Spielraum für kreditfinanzierte Beschäftigungsprogramme, wohl aber Möglichkeiten für wachstumsstärkende Maßnahmen. Überschüsse im US-Bundeshaushalt belegen die Früchte expansiver Beschäftigungspolitik. Ob die Neuverschuldung von erlaubten drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes bis zum Jahr 2002 auf ein Drittel zurückgefahren und die Staatsquote unter 45 Prozent gesenkt werden muß, kann beschäftigungspolitisch hinterfragt werden. Europäische Beschäftigungspolitik braucht auch zusätzliches Geld. Wie es nicht mehr Arbeit durch weniger Recht gibt, so auch nicht mehr Arbeit bei unverändertem Mitteleinsatz. Die Arbeitsmarktpolitik hat ihre Entlastungsleistung erstaunlich flexibel hochgefahren, viel experimentiert und Vorkehrungen finanzieller, instrumenteller und infrastruktureller Art getroffen, um stetig und berechenbar Arbeitslosigkeit abzubauen. Dies wird auch mit der für 2000/2001 geplanten echten Novelle des SGB III so bleiben. Die Arbeitszeitpolitik hat ihre Beschäftigungswirkung noch nicht ausgeschöpft. Es gibt also Wege aus der Arbeitslosigkeit -wir müssen sie nur gehen. Der Worte sind genug gewechselt, laßt uns nun endlich Taten sehen!

Fussnoten

Fußnoten

  1. Stellungnahme des Arbeitskreises AFG-Reform zum AFRG, Reform der Arbeitsförderung durch die Bundesregierung: Statt eines Beitrages zur Halbierung Erhöhung der Arbeitslosigkeit, Berlin, 5. Juni 1996; Band 25 der Schriftenreihe der Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen, Berlin 1996.

  2. So die übereinstimmende Einschätzung der Bundesregierung und des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. „In den alten Bundesländern hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt zuletzt konjunkturell etwas entspannt, während in den neuen Bundesländern der seit dem letzten Jahr zu beobachtende Anstieg der Beschäftigung und der Rückgang der Arbeitslosigkeit vor allem auf die Expansion der aktiven Arbeitsmarktpolitik zurückzuführen ist.“ Jahreswirtschaftsbericht 1999 der Bundesregierung. Neue Wege zu mehr Beschäftigung, Ziffer 136, und SVR-JG 1998/99, Ziffer 128.

  3. Vgl. Berthold Paetz, Der Clever-Brief, in: Freitag, Nr. 14 vom 27. März 1998.

  4. Vgl. Jürgen Kühl, Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik, Finanzierung öffentlicher Beschäftigungsförderung durch die Bundesanstalt für Arbeit, Länder und Kommunen, Schriftenreihe der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen, Bd. 2, Berlin 1994.

  5. Den umfassendsten Überblick geben die Informationen für die Beratungs-und Vermittlungsdienste der Bundesanstalt für Arbeit, ibv, Nr. 2/99, Nürnberg, 13. Januar 1999.

  6. Vgl. Johann Fuchs, Arbeitsmarkt Ostdeutschland, Ange-bot an Arbeitskräften bleibt weiterhin hoch, IAB-Kurzbericht, Nr. 10 vom 27. 4. 1998.

  7. Vgl. Jahreswirtschaftsbericht 1999 der Bundesregierung „Neue Wege zu mehr Beschäftigung“, Bonn 27. Januar 1999, Ziffer 50.

  8. 1998 betrug der Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen 76, 3 Prozent, nach fünf Jahren Rückgang der niedrigste Wert seit 1960; vgl. Sachverständigenrat (SVR) JG 1998/99, Bundesratsdrucksache 922/98 vom 20. November 1998, S. 289.

  9. Vgl. Büro für Strukturforschung Rostock (BÜSTRO), Machbarkeitsstudie zu einem öffentlichen Beschäftigungssektor in der Region Rostock, Forschungsberichte zur Arbeitsmarktpolitik des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Nr. 9, Schwerin, November 1998.

  10. Vgl. Jürgen Kühl/Manfred Lahner, Innovative Arbeitsmarktpolitik und die Restrukturierung von Betrieben, in: Franz Lehner/Martin Baethge/Jürgen Kühl/Frank Stille (Hrsg.), Beschäftigung durch Innovation. Eine Literaturstudie, München -Mehring 1998, S. 317-399.

  11. Vgl. Christian Brinkmann, Stärkung der „investiven Komponente“ der Arbeitsmarktpolitik, in: IAB-Agenda '98. Wissenschaftliche Befunde und Empfehlungen zur Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik, IAB-Werkstattbericht, Nr. 10 vom 28. 9. 1998, S. 91-96.

  12. Alte Länder 1980 32, 2 Prozent, 1990 29, 1 Prozent, 1997 31, 7 Prozent, 2001 28, 6 Prozent; so Bernd Breier, Sozialbudget 1997, in: Arbeit und Sozialpolitik, (1998) 11-12, S. 46.

  13. Vgl. Christian Brinkmann/Walter Schmitt, Evaluation und Potentiale zur Weiterentwicklung der „Freien Förderung“ nach 5 10 SGB III, in: ibv, Nr. 1 vom 6. Januar 1999, S. 51-59.

  14. Vgl. Rolf Baumann u. a„ Memorandum „Arbeitsmarktpolitik für die neuen Bundesländer“, Arbeitsheft Nr. 1 der Otto Brenner Stiftung, Berlin 1998.

  15. Vgl. Frankfurter Rundschau, Nr. 274 vom 25. November 1998. Ich danke Ulrich Gramer vom Ministerium für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt für die Anregungen.

  16. Vgl. Ralf Sitte, Schafft Arbeit um jeden Preis zusätzliche Beschäftigung? Mögliche Effekte von Kombilöhnen angesichts der Erfahrungen mit schon bestehenden Lohn-subventionen, in: Arbeit-und Sozialpolitik, (1998) 11/12, S. 35-43; Ute Klammer/Gerhard Bäcker, Niedriglöhne und Bürgerarbeit als Strategieempfehlung der Bayerisch-Sächsischen Zukunftskommission, in: WSI-Mitteilungen, (1998) 6, S. 359-370.

  17. Neueste Befunde liefern Herbert Düll/Peter Ellguth, Kontinuität und Wandel betrieblicher Arbeitszeitmuster. Empirische Ergebnisse aus dem IAB-Betriebspanel, Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund -Berlin 1998.

  18. Vgl. Heidi Hasse, Vom Krisen-zum Gestaltungsmodell, in: Akteur, Arbeitsmarktpolitik in Thüringen und Europa, 3 (1998) 11, S. 25-26.

  19. Vgl. Bericht des Parlamentarischen Staatssekretärs beim BMA an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages vom 21. April 1998, S. 6.

  20. Vgl. Christine Bergmann/Ursula Engelen-Kefer/Beirat Arbeitsmarktpolitik der Senatsverwaltung Arbeit. Berufliche Bildung und Frauen, Berliner Memorandum. Innovation, Beschäftigung, Wachstum und Wettbewerb, Strategien zur Halbierung der Arbeitslosigkeit, Berlin, April 1997.

  21. Zu inhaltlichen Kontroversen wird verwiesen auf: Autorenteam des Beirats Berufliche Bildung und Beschäftigungspolitik der Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen, des Arbeitskreises Sozialwissenschaftliche Arbeitsmarktforschung (SAMF) und des Arbeitskreises AFG-Reform beim Vorstand der IG Metall, Die Sackgassen der Zukunftskommission. Streitschrift wider die Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen. Schriftenreihe der Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen, Bd. 33, Berlin 1998.

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Jürgen Kühl, Dipl. -Volksw., geb. 1941; 1969-1997, zuletzt als Wissenschaftlicher Direktor, im Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB), Nürnberg; seit Mitte 1997 Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt/Arbeitsschutz im Ministerium für Soziales und Gesundheit des Freistaates Thüringen. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Ursula Engelen-Kefer, Peter Peschei und Hans Ullmann) Beschäftigungspolitik, 3. Aufl., Köln 1995; Warum schaffen zwei Millionen Betriebe und Verwaltungen nicht genügend gute Arbeitsplätze für alle?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3-4/96; Bestandspflege und Rekonstruktion von Betrieben als aktive Beschäftigungspolitik, in: WSI-Mitteilungen, 50 (1997) 9; (Hrsg, zus. mit Franz Lehner, Martin Baethge und Frank Stille) Beschäftigung durch Innovation. Eine Literaturstudie, München-Mering 1998.