Die Ereignisse Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre leiteten eine neue Epoche in der europäischen Sicherheitspolitik ein. Durch die Annäherung der Blöcke und schließlich die Über-windung der bipolaren Struktur sah sich die NATO, Kern der transatlantischen Sicherheitsund Verteidigungskooperation, einem dramatisch gewandelten strategischen Umfeld gegenüber. Der ehemalige Hauptantagonist des atlantischen Bündnisses, die Warschauer-Pakt-Organisation (WPO), existierte nicht mehr; die Gefahr eines von Osten massiv vorgetragenen Angriffs auf die Staaten der Allianz war verschwunden. Das sicherheitspolitische Umfeld Westeuropas, so schien es, hatte sich im Sinne einer Stabilisierung und eines Sicherheitszuwachses verbessert.
Doch schon bald erwies sich die neue Lage als wenig stabil: Die Transformationsprozesse in Mittel-und Osteuropa setzten die Staaten starken politischen, wirtschaftlichen und sozialen Spannungen aus. Im Gebiet des ehemaligen Warschauer Paktes brachen ethnische und territoriale Konflikte aus, die jahrzehntelang durch den Druck aus Moskau diszipliniert worden waren. Die Gefahr bestand, daß diese Konfliktpotentiale Westeuropa destabilisieren und die Sicherheit der NATO-Mitglieder beeinträchtigen würden.
I. Ausgangslage für die Zusammenarbeit
Das atlantische Bündnis erkannte die neuartigen Risiken, die aus dieser Lage erwuchsen, und legte im November 1991 ein , Neues Strategisches Konzept vor, um den Herausforderungen zu begegnen Dieses Konzept stützte sich im wesentlichen auf drei Elemente: erstens die Aufrechterhaltung der Fähigkeit zur kollektiven Verteidigung, zweitens Dialog und drittens Kooperation mit den ehemaligen Gegnern der WPO. Durch Dialog und Kooperation wollte die NATO die Sicherheit und Stabilität des gesamten europäischen Kontinentes erhöhen und den Ländern Mittel-und Osteuropas beim Übergang zur Demokratie assistieren. Dahinter verbarg sich als eigentliches Movens die Vorstellung, durch eine engere Zusammenarbeit größeres Vertrauen und Transparenz gerade in solch wichtigen Bereichen wie zum Beispiel der Verteidigungsplanung zu erreichen, um krisenhafte Entwicklungen oder aus Mißtrauen resultierende Rüstungsbestrebungen nach Möglichkeit bereits im Vorfeld auszuschließen. Die NATO wollte zudem die Kooperation mit den ehemaligen Gegnern dazu nutzen, die Zusammenarbeit bei gemeinsamen Peacekeeping-Aktivitäten unter der Ägide der Vereinten Nationen oder der OSZE zu verbessern. Damit übernahm das atlantische Bündnis neben der OSZE stärker als bisher Aufgaben auf dem Gebiet der präventiven Konflikt-Verhütung und des Konfliktmanagements
Dieses Interesse der NATO hinsichtlich Dialog und Kooperation stieß auf das früh vor allem von Seiten der Mitteleuropäer geäußerte Verlangen nach einem Beitritt zur Allianz. Dabei lassen sich -in einem schematischen Überblick -drei Schlüssel-faktoren erkennen, die den Beitrittswunsch motivieren: Zum einen begründen sicherheitspolitische Überlegungen die Bestrebungen, der NATO beitreten zu wollen. Vor allem die Staaten Mitteleuropas befürchteten, nach den Umbrüchen in einer „sicherheitspolitischen Grauzone“ zu verbleiben und vor möglichen wiedererwachenden Großmachtinteressen von Seiten Rußlands (oder auch Deutschlands) nicht geschützt zu sein Zudem soll durch den Beitritt zum atlantischen Bündnis die Zugehörigkeit zur westlichen Wertegemeinschaft manifestiert werden und die Mitgliedschaft als eine Art „Türöffner-Funktion“ zur Europäischen Union dienen. Darüber hinaus erwarten die beitrittsuchenden Staaten, daß eine Mitgliedschaft die Tran-sition in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft durch eine Absicherung ihres sicherheitspolitischen Umfeldes und eine Einbindung des Militärs in demokratische Strukturen erleichtern könnte. Diesem Ersuchen nach Mitgliedschaft in der NATO stand man in Moskau nach anfänglich eher positiver Haltung zunehmend negativ gegenüber. So warnte Jelzin 1994 davor, daß eine Erweiterung des Bündnisses nach Osten zu einem „Kalten Frieden“ führen könne
Die NATO sah sich also zu Beginn ihrer Zusammenarbeit mit den Staaten des ehemaligen War-schauer Paktes mit divergierenden Interessen konfrontiert. Sie mußte versuchen, die Kooperation, die sich parallel zur inneren Umgestaltung der Allianz entwickelte, derart auszugestalten, daß sowohl ihre eigenen Interessen gewahrt blieben als auch die Vorstellungen der Kooperationspartner berücksichtigt würden. Dabei mußten zusätzlich die russischen Sicherheitsbedenken im Auge behalten werden, da das Verhältnis zu Rußland aufgrund seiner Größe und des immer noch existierenden militärischen Potentials gewissermaßen den Schlüsselfaktor zur europäischen Sicherheit darstellt
II. Die Entwicklung der Zusammenarbeit
1. Die Schaffung eines institutioneilen Rahmens -der Nordatlantische Kooperationsrat (NAKR)
Die Vorgänge des Jahres 1991 waren entscheidend für die Institutionalisierung der Beziehungen zu den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten. Die Länder Mittel-und Osteuropas (MOE) verlangten nach einer Intensivierung der bereits angelaufenen diplomatischen Kontakte und nach Sicherheitsgarantien gegenüber der Sowjetunion. Deren Vorgehen in Litauen im Januar 1991 und der Putschversuch gegen Gorbatschow in Moskau im August desselben Jahres hatten die Länder der Region zutiefst beunruhigt. Die NATO war bereit, angesichts der Sorgen der MOE-Staaten die Zusammenarbeit zu intensivieren, wollte aber nicht vom Prinzip der sogenannten Non-differentiation abrükken d. h., es sollten keine Unterschiede zwischen den Staaten gemacht werden, und die Kooperation sollte sich auf alle Länder, die dazu bereit waren, erstrecken. Mit diesem Prinzip verfolgte die Allianz das Ziel, einerseits zwar intensivere Kontakte mit den MOE-Staaten herzustellen, aber andererseits nicht die UdSSR auszuschließen. Auf dem bereits erwähnten NATO-Gipfel in Rom im November 1991 schlugen die Staats-und Regierungschefs schließlich jährliche Treffen vor. „die als Nordatlantischer Kooperationsrat bezeichnet werden können“
An der konstituierenden Sitzung des NAKR in Brüssel am 20. Dezember 1991 nahmen 25 Länder teil -16 Bündnisstaaten, die sechs Mitglieder der ehemaligen WPO und die drei baltischen Staaten. Der Teilnehmerkreis vergrößerte sich nach dem Zerfall der Sowjetunion auf schließlich 40 Staaten Der NAKR sollte Forum für Konsultationen und Kooperation sein. Die Themenschwerpunkte lagen auf Sicherheitsfragen und damit zusammenhängenden Gebieten wie: Verteidigungsplanung, Rüstungskontrolle, zivil-militärische Beziehungen oder Konversion der Rüstungsindustrie. Die jährlich vorzulegenden Arbeitspläne ermöglichten es, die Arbeitsinhalte des NAKR den Wünschen der Partner und den jeweiligen Erfordernissen anzupassen.
Obwohl sich der NAKR aus der Sicht der NATO bewährt und einige Erfolge vorzuweisen hatte geriet er in die Kritik insbesondere der Mitteleuropäer und der baltischen Staaten. Sie kritisierten nicht nur, daß die NATO nicht von dem Prinzip der Non-differentiation abrückte, sondern sie störte zudem die hohe Mitgliederzahl, die durch den Einbezug ehemaliger asiatischer Sowjetrepubliken zustande gekommen war und die Effektivität des NAKR zu schwächen drohte. Darüber hinaus monierten sie, daß keine praktischen, militärischen Übungen mit der Allianz stattfanden und daß der NAKR weder Beitrittsoptionen zur NATO eröffnete, noch durch ihn Sicherheitsgarantien zugestanden worden waren.
Die Visegräd-Staaten hörten nicht auf, auf einen Beitritt zum Bündnis zu drängen; dieses Drängen wurde von einem Politikwechsel innerhalb der NATO begleitet. Die Zurückhaltung gegenüber einer möglichen Erweiterung, die mit Blick auf Rußland vorgeherrscht hatte, erfuhr im Laufe des Jahres 1993 eine gewisse Abschwächung Die Amerikaner entwickelten das Konzept der Partnerschaft für den Frieden (Partnership for Peace, PfP), mit dem den Forderungen der Mitteleuropäer weiter entgegengekommen und ihnen eine Beitrittsperspektive geboten werden sollte, ohne jedoch Rußland zu isolieren; denn man mußte noch immer austarieren zwischen, wie Kissinger sagte: „two conflicting considerations: the fear of alienating Russia against the danger of creating a vacuum in Central Europe between Germany and Russia“ 2. Vom Dialog zu konkreten Kooperationsaktivitäten: die Partnerschaft für den Frieden (PfP)
Die Staats-und Regierungschefs verabschiedeten das PfP-Konzept auf dem Brüsseler NATO-Gipfel im Januar 1994 und erklärten: „Dieses neue Programm geht über Dialog und Kooperation hinaus und begründet eine wirkliche Partnerschaft -eine Partnerschaft für den Frieden.“ Diese Partnerschäft sollte in den Rahmen des NAKR eingebettet werden und nicht etwa dessen Ersatz darstellen. Im ebenfalls auf dem Brüsseler Gipfel präsentierten Rahmendokument werden fünf Zielsetzungen der Partnerschaft genannt: Transparenz der Verteidigungsplanung, demokratische Kontrolle der Streitkräfte, Entwicklung der Bereitschaft zu Einsätzen unter der Ägide der Vereinten Nationen, Entwicklung kooperativer militärischer Beziehungen mit der NATO sowie Verbesserung der Interoperabilität der Streitkräfte
Die Länder erarbeiten nach ihrem Beitritt zur PfP mit der NATO individuelle Partnerschaftsprogramme (IPP). Dabei kann der jeweilige Partner-staat aus einer Liste von Kooperationsaktivitäten auswählen, die für alle in der gleichen Weise gilt. Es kommt auf den Kooperationspartner an, was er davon wählen möchte bzw. wieviel Mittel er in die Zusammenarbeit zu investieren gewillt ist. Mit dieser Form der Kooperation rückte die NATO, womit sie den Wünschen der MOE-Staaten entgegenkam, vom Prinzip der Non-differentiation ab.
Aber anstatt zu einer ungleichen Behandlung der Partnerstaaten überzugehen, entwickelte sie politisch klug das Prinzip der sogenannten Self-Differentiation (Selbstdifferenzierung): Dabei liegt es, wie beschrieben, bei jedem einzelnen Partner, in welchem Umfang er sich beteiligen will. Er kann sich aus eigener Kraft von den anderen Staaten abheben. Durch das für alle gleichlautende Angebot kann sich aber kein Staat zurückgesetzt fühlen.
Die Mittel-und Osteuropäer hatten nun die Möglichkeit, sich durch einen umfangreichen Einsatz und die Demonstration ihres guten Willens auszuzeichnen, wenn nicht gar den Beitritt zu erreichen. In der Einladung zur PfP hieß es diesbezüglich: „Aktive Beteiligung an der Partnerschaft . . . wird eine wichtige Rolle im evolutionären Prozeß der NATO-Erweiterung spielen.“ Deshalb traten die MOE-Staaten innerhalb kürzester Zeit der PfP bei, obwohl dieses Programm ihre Erwartungen in gewisser Weise enttäuscht hatte Sie deuteten die PfP in der Folge als konkretes Mittel, um bald die NATO-Mitgliedschaft zu erlangen. Teilweise reduzierten sie die Partnerschaft ausschließlich auf diese Funktion. Dies wiederum war aber nicht die Absicht des Bündnisses Für die NATO war die PfP ein Weg, um generell die Kooperation zu vertiefen und die Partner an die Verfahren der Allianz heranzuführen, um so eines der Hauptziele der Zusammenarbeit mit den MOE-Staaten zu verwirklichen: gemeinsame Peacekeeping-Einsätze. Sie war auch ein Mittel, um den Partnern, welche die Politik der Non-differentiation abgelehnt hatten, die Möglichkeit zur Self-differentiation einzuräumen. Natürlich hatte die Allianz eine Beitritts-option eröffnet; nur gab es im Rahmen der PfP keinen Automatismus bezüglich des Beitritts.
Nachdem jedoch 1994 immer mehr Stimmen auch innerhalb der NATO eine Erweiterung forderten, entschlossen sich die Außenminister des Bündnisses bei ihrem Treffen im Dezember 1994 in Brüssel, eine Studie zur Erweiterung in Auftrag zu geben, um die Beitrittsmodalitäten zu klären. Diese Studie bildete eine wichtige Vorstufe auf dem Weg zum Madrider Gipfel im Juli 1997, auf dem drei neue Mitglieder in das Bündnis eingeladen wurden. Doch vor diesem Beitritt sollte die Kooperation mit den Partnerstaaten vertieft und erweitert werden. 3. Die Schaffung des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrats (EAPR) und Vertiefung der PfP Je näher die Erweiterung kam, desto klarer wurde es der NATO, daß sie den Staaten, die außerhalb der Allianzstrukturen verbleiben würden, eine Partnerschaft auf einer qualitativ neuen Ebene anbieten mußte Mit der Unterzeichnung des Grundlagendokuments des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrats (EAPR) im Mai 1997 in Sintra sollte ein neuer übergreifender Mechanismus geschaffen werden, um die politische Dimension der Zusammenarbeit zu stärken und die PfP zu vertiefen. Der EAPR löste den NAKR ab, während die PfP als klar erkennbares Element innerhalb der Rahmenstruktur des EAPR bestehen blieb.
Wichtig waren zwei Neuerungen im Rahmen des EAPR: Zum einen wurde die Möglichkeit eröffnet, zusätzlich zu den Plenarsitzungen, im 16 + 1 -Format oder anderen Formationen zusammenzutreffen; dadurch sollten die politischen Beziehungen zwischen dem Bündnis und einzelnen EAPR-Mitgliedern stärker auf die Bedürfnisse der Partner zugeschnitten werden. Somit wurde auch in den politischen Bereich das Prinzip der Self-differentiation eingeführt. Zum anderen sollten die Partnerstaaten nun die Möglichkeit erhalten, durch umfangreiche Konsultationen an der Beschlußfassung von Aktivitäten mitzuwirken, an denen sie sich beteiligen. Generelles Ziel der vertieften PfP sollte, bei Beibehaltung der Self-differentiation, eine Verstärkung der operativen Rolle der Partnerschaft sein. Auch hier wurde den Partnern ein größerer Umfang an Mitsprache und mehr Beteiligung bei der Beschlußfassung eingeräumt
Der Entschluß zur Vertiefung der Kooperation ist grundsätzlich positiv zu bewerten, da die Zusammenarbeit ansonsten in Gefahr hätte laufen können, nach dem Beitritt einiger Länder zur NATO als zweitrangig eingeschätzt zu werden. Sie ist für die Länder, die vorerst nicht der Allianz beitreten werden, eine Versicherung, daß ihren Anliegen und sicherheitspolitischen Interessen von den Bündnis-mitgliedern weiterhin Beachtung geschenkt wird. Für die Staaten, die kein Interesse an einem Beitritt haben, bietet die vertiefte Kooperation auch künftig die Chance, sich in einem Konsultationsforum der NATO zu integrieren.
Vor allem die Erweiterung der politischen Dimension und die Möglichkeit zur Beteiligung an der Beschlußfassung sind begrüßenswert, da so die Partner in gewissem Umfang zu einer Art gleichberechtigtem Verhältnis mit den Allianzmitgliedern gelangen. In bezug auf die Beschlußfassung ist jedoch anzumerken, daß die endgültigen Entscheidungen, beispielsweise über die Teilnahme an Peace-Support-Operations, immer noch von der NATO alleine gefällt werden. Erst wenn die grundsätzliche Entscheidung getroffen worden ist und es an die Definition bestimmter Richtlinien geht, haben die Partner eine Chance mitzuentscheiden.
Wie auch immer man diese Vorgehensweise bewerten mag, so zeigt sie exemplarisch, daß die Möglichkeiten hinsichtlich der Beteiligung an der Beschlußfassung nicht überbewertet werden dürfen. Dieses Beispiel der Beschlußfassung im Falle von Peace-Support-Operations soll jedoch nicht dazu dienen, die vertiefte Kooperation im Rah-men des EAPR abzuwerten. Es soll nur vor einer zu unkritischen Beurteilung der „neuen“ Partnerschaft warnen -vor allem dann, wenn man unter Partnerschaft eine umfassend gleichberechtigte Beziehung versteht. Dabei soll es dahingestellt sein, ob eine gleichberechtigte Stellung überhaupt im Interesse der NATO liegt; sie liegt aber auf jeden Fall im Interesse der Mittel-und Osteuropäer. Am sichersten kann diese Stellung natürlich durch den Beitritt erreicht werden. 4. Von der Kooperation zum Beitritt In der Studie zur NATO-Erweiterung die im September 1995 veröffentlicht wurde, werden die Modalitäten für die Aufnahme neuer Mitglieder und die Voraussetzungen, die diese Länder erfüllen müssen, beschrieben Als Beitrittskriterien werden unter anderem genannt: die Übernahme des „Acquis“ der NATO (Prinzipien und Verfahren) ohne Vorbehalte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit der Staaten, prinzipielle Konsensbereitschaft, personelle und finanzielle Beteiligung an der Organisationsstruktur und ein Beitrag zur operationellen Stärke der Allianz. Mit der Erfüllung dieser Kriterien ist jedoch kein automatischer Beitritt verbunden. Die letzte Entscheidung über die Aufnahme eines neuen Staates muß von den NATO-Mitgliedern einstimmig gefällt werden. Diesbezüglich wird von den neu aufgenommenen Ländern erwartet, daß sie bei folgenden Erweiterungsrunden nicht die „Tür hinter sich zumachen“
Die erste Erweiterungsrunde -auf dem Madrider Gipfel im Juli 1997 bei dem Tschechien, Polen und Ungarn zum Beitritt eingeladen wurden, zeigte dreierlei: Erstens machte sie deutlich, daß eine Vielzahl von umfassenden Voraussetzungen von den Kandidaten erfüllt werden müssen. Militärische Anstrengungen ohne adäquate demokratische Reformen genügen nicht, um den Beitritt zu erreichen, wie der Fall Rumäniens zeigte. Mit den drei Visegräd-Staaten (ohne die Slowakische Republik) wurden diejenigen Länder zum Beitritt aufgefordert, in denen die wirtschaftlichen und demokratischen Reformen mit am weitesten fortgeschritten waren. Zweitens zeigte sich, daß die Konsensfindung innerhalb der NATO nach dem Wegfall des ehemaligen Hauptantagonisten schwieriger geworden war; der bedrohende Druck von außen, der die Mitglieder der Allianz häufig „zusammengeschweißt“ und zum Konsens geführt hatte, fehlt nun. Zwischen den Bündnisstaaten entbrannte in Madrid zeitweise ein Disput über die Frage „Drei oder fünf?“, d. h. über die Option, zu den drei eingeladenen Staaten noch Rumänien und Slowenien hinzuzunehmen
Drittens zeigte es sich am Beispiel der baltischen Staaten, die nicht zum Beitritt aufgefordert wurden, daß der Faktor Rußland entscheidenden Einfluß auf die Erweiterungs-Diskussion hat, auch wenn in der Erklärung von Madrid verkündet wurde, daß „künftige Beitrittsaspiranten unabhängig von ihrer geographischen Lage“ zum Eintritt in die Allianz eingeladen werden könnten Die NATO hatte im Falle des Baltikums -so wurde einmal mehr deutlich -abzuwägen zwischen den Vorteilen, welche die Erweiterung für diese Staaten brächte, und den Kosten, die aus einer möglichen Verschlechterung des Verhältnisses zu Ruß-land entstehen könnten. 5. Die NATO und Rußland: zwischen Kooperation und Disput Das Verhältnis zwischen Rußland und der NATO entwickelte sich nach einem vielversprechenden Beginn -häufig als „romantische Periode“ bezeichnet -ab 1993/94, wie bereits angedeutet, schwierig. Als der Widerstand gegen die Reformer um Jelzin wuchs und der Vorwurf einer zu stark prowestlich orientierten Außenpolitik laut wurde, rückte Moskau von seiner zunächst eher positiven Haltung gegenüber der Allianz und den ehemaligen Verbündeten der WPO, die in Richtung NATO strebten, aus taktischen Gründen ab Rußland verurteilte in der Folgezeit jegliche Beitrittsbestrebungen der Mittel-und Osteuropäer und forderte ein besonderes Verhältnis mit dem atlantischen Bündnis ein, das dem Großmachtstatus der Rußländischen Föderation entspräche. Die Russen begannen die Fortsetzung bzw. die Beendi-gung der Kooperation als Druckmittel einzusetzen, um diese Forderung nach einer Sonderbehandlung durchzusetzen.
Die NATO sah sich bei der Ausgestaltung der Beziehungen zu Rußland also einem Verhandlungspartner gegenüber, dessen Verhalten stark von taktischen Überlegungen geprägt war. Es erwies sich als schwierig, zwischen Taktik und wirklichen Sicherheitsinteressen zu unterscheiden; zudem muß tatsächlich auf die innere Lage des Landes Rücksicht genommen werden. Eine wie auch immer ausgelöste Destabilisierung Rußlands kann nicht im Interesse der NATO, die Sicherheit und Stabilität für den gesamten europäischen Raum anstrebt, liegen. Daher zeigte sich die Allianz bereit, ein Sonderverhältnis mit Moskau zu etablieren.
Bereits 1994 wurde die Entwicklung kooperativer Beziehungen mit Rußland sowohl innerhalb als auch außerhalb der PfP vereinbart In der Folgezeit gab es regelmäßig Treffen des Nordatlantik-rats mit den russischen Außen-und Verteidigungsministern, bis die Beziehungen schließlich im Mai 1997 auf eine neue Grundlage gestellt wurden. In Paris unterzeichneten die NATO und die Rußländische Föderation die , Grundakte über Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit Eines der Kernstücke der Grundakte ist die Einrichtung des NATO-Rußland-Rats, der als Konsultationsforum dienen soll.
Durch die Grundakte wird Rußland auf einer institutionalisierten Basis über den Rahmen der OSZE hinaus in die europäische Sicherheitsarchitektur eingebunden. Damit kann eine Isolierung des Landes verhindert werden, zumindest so lange sich Moskau nicht selber isolieren will Sicherlich kann durch die regelmäßigen Treffen mehr Vertrauen und möglicherweise auch eine größere Transparenz zwischen der NATO und Moskau erreicht werden; es kommt aber letztendlich darauf an, was beide Partner aus der Grundakte machen und wie sich die Lage in Rußland weiterentwickeln wird. Diese Entwicklung kann die NATO nur beeinflussen, indem sie auf die russischen Interessen -selbstverständlich nicht in unbegrenztem Umfang -Rücksicht nimmt und die Stabilität des gesamteuropäischen Raumes weiter fördert, um so zukünftige krisenhafte Prozesse, die den Kontinent und die Lage Rußlands destabilisieren könnten, von vornherein zu verhindern.
III. Bilanz und Ausblick
Die Interessenlage zwischen der NATO und den Mittel-und Osteuropäern war zu Beginn der Zusammenarbeit ähnlich. Beide Seiten wollten die Transition in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft absichern und ihr jeweiliges sicherheitspolitisches Umfeld stabilisieren. Der grundlegende Unterschied zwischen ihnen bestand in der Frage, wie diese Ziele zu erreichen seien. Die NATO baute auf Kooperation und Dialog, ohne explizite Sicherheitsgarantien gewähren zu wollen. Die MOE-Staaten setzten dagegen auf den Beitritt zur Allianz mit vollen Sicherheitszusagen. Der Wunsch, dem westlichen Verteidigungsbündnis anzugehören, war aus ihrer Sicht -vor allem mit Blick auf ihre Geschichte -sicherlich legitim; und gerade dies machte es für das atlantische Bündnis schwierig, darauf zu reagieren bzw. diesen Wunsch abzulehnen.
Die inzwischen beschlossene Erweiterung lag zu Beginn der neunziger Jahre hauptsächlich aus zwei Gründen nicht im Interesse der NATO: Zum einen hätte ein Beitritt die Ausdehnung der Sicherheitsgarantien auch auf die neuen Mitglieder bedeutet. Genau dazu war die NATO angesichts der zahlreichen Konfliktpotentiale in der Region aber nicht bereit. Zum anderen, und damit kommt der russische Faktor ins Spiel, hätte eine Erweiterung dem Geist des „Zwei plus Vier" -Abkommens widersprochen.
Um so mehr mag es überraschen, daß die NATO-Staaten bereits im Januar 1994 in der Einladung zur PfP verkündeten, daß sie den Beitritt neuer Mitglieder „erwarten und begrüßen“ würden. Damit höhlten sie in gewisser Weise das politisch klug entwickelte Konzept der PfP aus und beraubten sie ihres Selbstzwecks, denn die beitrittsuchenden Länder (miß? -) interpretierten die Partnerschaft in der Folge als Mittel zum finalen Zweck des Beitritts. Gut drei Jahre später war es dann für die ersten drei Länder soweit: Auf dem Madrider Gipfel wurden Polen, Tschechien und Ungarn zum Beitritt eingeladen.
Diese gewisse Hektik zieht sich durch die gesamte Entwicklung der Kooperation. Es scheint, als habe sich die NATO teilweise von den Interessen der Partnerstaaten soweit beeinflussen lassen, daß sie ihre eigenen, ursprünglichen Interessen aus dem Blick verlor. Die Geschwindigkeit, mit der die Erweiterung vorangetrieben wurde, ist um so weniger verständlich, wenn man die Folgen für das Verhältnis zwischen der NATO und Rußland betrachtet. Die Beziehungen verschlechterten sich; und wenn man sich auch sicherlich nicht mit russischen Bedenken erpressen lassen sollte, so muß die NATO bei ihrem künftigen Vorgehen -insbesondere in Fragen einer fortgesetzten Erweiterung -vorsichtig handeln.
Vielleicht ist die Kritik an dem hektisch anmutenden Erweiterungsprozeß auch zu hart, schließlich hat die Beitrittsoption einen positiven Effekt auf die Bemühungen der beitrittsuchenden Länder gehabt, die Demokratisierung ihrer politischen Systeme und Gesellschaften voranzutreiben und die Streitigkeiten mit ihren Nachbarn beizulegen, um so die Grundvoraussetzungen des Beitritts zu erfüllen.
Die Demokratisierung im Gebiet des ehemaligen Warschauer Paktes ist die Chance für ein stabiles und friedliches Europa im nächsten Jahrhundert. Die NATO kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, indem sie Sicherheit und Stabilität in den mittel-und osteuropäischen Raum transferiert. Denn in einem stabilen sicherheitspolitischen Umfeld können sich die jungen Demokratien besser entwickeln; und in diesem Sinne trifft der Ausspruch Manfred Wörners den Kern: „Security is the oxygen of democracy.“