I. Einleitung
Kaum eine wirtschaftspolitische Einstellung hat sich in den letzten Jahrzehnten so häufig und so diametral verändert wie die Frage nach der , richtigen' Wirtschaftspolitik der Entwicklungsländer Besonders wechselhaft war die Einschätzung der entwicklungspolitisch angemessenen weltwirtschaftlichen Integration. Galt in den siebziger Jahren die . Dissoziation vom Weltmarkt'als Königsweg der nachholenden Entwicklung, empfahlen die meisten Entwicklungstheoretiker in den neunziger Jahren eine genau entgegengesetzte Strategie. Die Entwicklungsländer haben diese argumentativen Schlenker oftmals -und in der Regel nicht zu ihrem Besten -mitgemacht, bis sich schließlich viele Länder in den achtziger Jahren vor einem entwicklungspolitischen Scherbenhaufen wiederfanden: Hochverschuldet, wachstumsschwach und politisch handlungsunfähig, so lassen sich die Konsequenzen aus vier Jahrzehnten Entwicklungspolitik charakterisieren, wenn man nach Lateinamerika schaut.
Blickt man dagegen nach Südostasien, so verdeutlichen die achtziger Jahre auch, daß Entwicklungsländer einen weltmarktorientierten Entwicklungsprozeß anstoßen können. Wachstumsraten von über acht Prozent waren in Korea, Taiwan, Hongkong, Singapur und später auch in Thailand, Malaysia und Indonesien eher die Regel als die Ausnahme. Je mehr Aufmerksamkeit das . asiatische Wunder'auf sich zog, um so mehr wurden die sogenannten Tigerstaaten zum entwicklungspolitischen Vorbild. Die Industrialisierungs-und Exporterfolge der südostasiatischen Staaten lösten zuletzt in den Industriestaaten sogar eine Diskussion darüber aus, ob die alten industriellen Zentren der Konkurrenz der dynamischen , Niedriglohnländer'überhaupt noch gewachsen seien.
Erst der unerwartete Ausbruch der Asienkrise führte zu einem Stimmungsumschwung, zumal die plötzliche Krise das außenwirtschaftlich orientierte Entwicklungskonzept mit deutlichen Fragezeichen versah. Der Zusammenbruch der Finanzmärkte Südostasiens veranschaulichte, daß eine zumindest latent vorhandene Gefahr der welt-marktorientierten Entwicklung in der Abhängigkeit von stetigen Kapitalimporten besteht. Wenn ein dauerhafter Kapitalimport nicht mehr gewährleistet ist oder sich gar in eine plötzliche Kapitalflucht verkehrt, stehen Entwicklungsländer vor Liquiditätsproblemen, die sie nur mit Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) und westlicher Geberländer überwinden können. Doch trotz dieser Krisenintervention rufen Finanzkrisen einen Rückgang der nationalen Wertschöpfung und einen drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit hervor. Darüber hinaus destabilisieren sie die politischen Systeme der Entwicklungsländer, was spätestens dann von großer weltpolitischer Bedeutung sein wird, wenn die Krise auf Rußland oder China übergreifen sollte.
In internationalen Wirtschaftsorganisationen wie dem IWF, der Weltbank, der OECD und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich wird derzeit diskutiert, welche Lehren sich aus der Asienkrise ziehen lassen. Sollen die Entwicklungsländer die liberale Wende neu überdenken und gegebenenfalls zurücknehmen? Sollen sie institutioneile Vorkehrungen gegen einen desaströsen Run auf ihre Währung und ihre Kapitalmärkte treffen? Und wenn diese Frage positiv beantwortet wird, welche Regulierungen bieten sich an? Oder sollten die Regierungen umgekehrt weiter ihre Märkte liberalisieren und ihre Finanzmarktinstitutionen den rauhen weltwirtschaftlichen Bedingungen anpassen?
II. Weltwirtschaftliche Integration und Entwicklung: Ein Blick zurück
Die Entwicklungspolitik der fünfziger und sechziger Jahre stand im Zeichen des sogenannten , Big Push’. Autoren wie John Fleming und Albert Hirschman gingen davon aus, daß die ausbleibende Entwicklung der armen Länder durch ihre niedrige Kapitalausstattung und durch positive Skalenerträge der industriellen Produktion hervorgerufen werde. Man brauche also den Entwicklungsprozeß beispielsweise durch Entwicklungshilfe lediglich anzustoßen, um eine dauerhafte Industrialisierung bei hohem Wirtschaftswachstum zu gewährleisten. Als entgegen diesen optimistischen Prognosen eine schnelle Entwicklung ausblieb, sahen viele Regierungen in den Entwicklungsländern die übermächtige Konkurrenz der Unternehmen aus den Industriestaaten als Ursache an. Theoretische Unterstützung fand diese These in dem , Infant-Industry‘-Argument von Friedrich List, der bereits 1841 behauptet hatte, eine nachholende Entwicklung sei nur möglich, wenn der Staat Schutzzölle erhebe, um junge Industrien einige Zeit gegen die bereits vorhandene und zwangsläufig konkurrenzstärkere ausländische Industrie zu schützen.
Auf List aufbauende Entwicklungstheorien gewannen vor allem in Lateinamerika an Popularität. Viele Regierungen folgten den Empfehlungen der Entwicklungstheoretiker. Sie schotteten ihre Märkte gegen die internationale Konkurrenz ab und erlaubten ausländischen Unternehmen nur in Ausnahmefällen, Investitionen in ihren Ländern zu tätigen. Dem Staat kam die Rolle zu, die Industrialisierung zu forcieren und ausgewählte Industrien mit Hilfe ausländischer Kredite zu finanzieren. Da die Mittel aber oftmals nicht effizient investiert wurden und allzu häufig in unrentable Vorzeigeprojekte flossen, hatte diese Politik einen schnellen Anstieg der Auslandsverschuldung zur Folge. Ignoriert wurden auch die Hinweise, daß die nichtmarktkonforme Wirtschaftspolitik die Ausbildung von Rent-Seeking-Verhalten der Wirtschaftsakteure begünstigte: Kaum konkurrenzfähige Unternehmen, die nicht selten Verwandten und Bekannten der zuständigen Minister gehörten, konnten dank der Subventionen der Regierung problemlos überleben. Sie investierten’ des-halb immer mehr Mittel in die Bestechung der zuständigen Minister und Beamten und immer weniger Mittel in die Erhöhung der Produktivität.
Als klassische Beispiele für die Unfähigkeit der Politik, aus den makroökonomischen Folgeproblemen ungeeigneter Entwicklungsstrategien zu lernen, gelten Brasilien und Argentinien. In beiden Ländern zeichnet sich die wirtschaftliche Entwicklung durch einen regelmäßig wiederkehrenden Zyklus aus: Einer Phase schneller, über staatliche Investitionen gesteuerter Industrialisierung folgte eine Stagnationsphase mit hohen Inflationsraten und steigender Auslandsverschuldung, die letztlich in eine Krise mündet. Diese wird von einer kurzen Stabilisierungsphase abgeiöst, deren politische Unpopularität jedoch zu einer Rückkehr zur bereits gescheiterten Politik und zum neuerlichen Beginn des Zyklus führt Zwar wurde dieser fatale Stop-and-Go-Zyklus zunehmend von marktorientierter Rhetorik begleitet, die notwendige Disziplinierung der Fiskal-und Geldpolitik, eine deutliche Reduzierung der Staatstätigkeit und strukturelle Reformen waren im politischen Prozeß jedoch nicht durchsetzbar und blieben dementsprechend aus.
Neben diesen Gemeinsamkeiten weisen die Entwicklungspolitiken Brasiliens und Argentiniens aber auch einen Unterschied auf. Anders als Brasilien öffnete Argentinien (wie übrigens auch Chile und Uruguay) Ende der siebziger Jahre seine Kapitalmärkte. Die Kreditlenkung, die Zinsreglementierung und die Devisenkontrollen wurden gleichzeitig abgeschafft Die Regierung übersah jedoch, daß die erfolgreiche Liberalisierung von Finanzmärkten an Voraussetzungen gebunden ist, welche die argentinische Regierung zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllte und auch nicht erfüllen wollte. Dies betraf vor allem die Fiskalpolitik: Der Staatshaushalt Argentiniens blieb defizitär, und die Regierung stopfte die , Löcher 4 im Haushalt weiterhin durch die Kreditaufnahme im Ausland sowie durch Geldemission. Die daraus resultierende hohe Inflationsrate konnte nicht gesenkt werden und führte erneut zu einer realen Aufwertung des an den Dollar gebundenen Peso Argentino. Durch die unverändert schlechten volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbesserte sich die Wirtschaftslage durch die Finanzmarktliberalisierung nicht. Im Gegenteil: Der Wegfall der Kapitalverkehrskontrollen erleichterte es den argentinischen Vermögensbesitzern letztlich, ihr Kapital in stabileren Währungen im Ausland anzulegen.
Die gemeinsamen politischen Fehler Brasiliens und Argentiniens offenbarten sich im Vorfeld der Verschuldungskrise. Da sich das reale Zinsniveau auf den internationalen Finanzmärkten in den siebziger Jahren auf einem historischen Tiefstand befand, hatten die Regierungen der beiden Länder die schnell wachsende Auslandsverschuldung ignoriert. Als zu Beginn der achtziger Jahre der Über-gang zu einer monetaristischen Wirtschaftspolitik in den USA die Zinssätze auf den internationalen Finanzmärkten in die Höhe trieb und der amerikanische Dollar gleichzeitig eine drastische Aufwertung erfuhr, offenbarte sich die Verwundbarkeit der kreditfinanzierten Entwicklungspolitik. Die hochverschuldeten Entwicklungsländer waren schlagartig nicht mehr in der Lage, Zinsen und Tilgung für ihre in Dollar gezeichneten Kredite zu zahlen. Offenkundig waren die Regierungen von viel zu optimistischen Einschätzungen ausgegangen. Sie hatten die Gefahr variabel verzinster oder kurzfristig terminierter Kredite unter-und die eigenen Wachstumschancen sowie die Preisentwicklung ihrer Exportprodukte bei weitem überschätzt.
Nun wurde deutlich, daß die Regierungen Argentiniens und Brasiliens zu lange damit gewartet hatten, die wirtschaftspolitische Notbremse zu ziehen und den Staatshaushalt sowie die öffentlichen Unternehmen zu konsolidieren. Anstatt die Staatsschulden solide zu finanzieren, hatten die Regierungen beider Länder zum scheinbar einfachen Instrument der Geldmengenerhöhung gegriffen. Doch die Defizitfinanzierung durch die Noten-presse führt notgedrungen zu außerordentlich hohen Inflationsraten und damit insgesamt zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage.
Als der mexikanische Außenminister Silva Herzog im Jahr 1982 die Weigerung seines Landes verkündete, weiterhin Zinsen und Tilgung für die Auslandskredite zu leisten, brach die Verschuldungskrise offen aus. Argentinien und Brasilien wurden vom schwindenden Vertrauen der Kreditgeber in die Rückzahlungsbereitschaft der lateinamerikanischen Schuldner voll erfaßt. Die Banken stellten die Finanzierung der Defizitstaaten durch weitere Kredite ein, und Argentinien und Brasilien wurden schlagartig von Nettokapitalimporteuren zu kapitalexportierenden Ländern. Die wirtschaftlichen Auswirkungen für die verschuldeten lateinamerikanischen Staaten, die Jahrzehnte über ihre Verhältnisse gelebt hatten, waren verheerend. Die Umschuldung durch den IWF wurde für viele Länder unvermeidlich.
Das argentinische Beispiel zeigt, daß ein weitreichender Abbau von Kapitalverkehrskontrollen wenig nutzt und sich mit Hinblick auf die Kapitalflucht sogar als besonders nachteilig erweisen kann, wenn sich der Staat als Finanzier der Industrialisierung übernimmt und die nationalen Wirtschaftssysteme durch die überbordende Staatstätigkeit erstickt. Die lateinamerikanischen Regierungen in Chile, Uruguay und Argentinien konnten offenkundig die Voraussetzungen, an die eine erfolgreiche Liberalisierung der Finanzmärkte gebunden ist, nicht gewährleisten
III. Der Entwicklungserfolg der ostasiatischen , Tiger, 1984-1997
Die Verschuldungskrise verdeutlichte das Scheitern der auf die , Abkopplung vom Weltmarkt vertrauenden Entwicklungsstrategie. Endgültig desavouiert wurde diese Politik, als sich -unerwartet für alle Vertreter dieser Theorie -diejenigen Staaten plötzlich rapide entwickelten und industrialisierten, die in den zurückliegenden Jahren eine wesentlich liberalere und weltwirtschaftlich offenere Politik betrieben hatten. Korea, Taiwan, Hongkong und Singapur und einige Jahre später Malaysia, Thailand und Indonesien hatten sich nicht nur aktiv um Investitionen ausländischer Unternehmen bemüht und vergleichsweise gute Anlagebedingungen geschaffen, sie hatten ihre Märkte auch weniger reguliert und abgeschottet. Die Entwicklungserfolge der weltwirtschaftlich orientierten Länder brachten die Front derjenigen Länder zum bröckeln, die einer außenwirtschaftlichen Öffnung ablehnend und skeptisch gegenüber-gestanden hatten. Die veränderte Einstellung. gegenüber der weltwirtschaftlichen Integration und der internationalen Arbeitsteilung offenbarte sich in der Uruguay-Runde des GATT: Viele Entwicklungsländer, allen voran die früheren Wortführer einer , Sonderbehandlung'für Entwicklungsländer, Indien und Brasilien, gaben ihre Rolle als Bremser des globalen Liberalisierungsprozesses auf
Die Interpretation des asiatischen Entwicklungserfolges als . liberale'Erfolgsstory übersieht jedoch, daß die südostasiatischen Staaten keineswegs eine identische oder zumindest ähnliche Entwicklungsstrategie betrieben Während staatliche Eingriffe in die Märkte in Japan, Korea und Taiwan eine übliche wirtschaftspolitische Praxis darstellen, gehören Hongkong, Singapur, Thailand. Malaysia, Indonesien und neuerdings selbst China zu den am wenigsten intervenierenden Staaten der Welt Doch es ist ebenso falsch, die interventionistischen Länder Ostasiens der Gruppe der interventionistischen lateinamerikanischen Staaten zuzuschlagen: Während die Wirtschaftsförderung und die Industriepolitik der lateinamerikanischen Regierungen primär darauf abzielten, importsubstituierende Unternehmen zu schützen, förderten die interventionistischen südostasiatischen Regierungen die exportorientierten Unternehmen" Noch bedeutsamer erscheinen die Unterschiede in der Fiskalpolitik: Die Regierungen der erfolgreichen süd-ostasiatischen Länder achteten auf einen konsolidierten Haushalt, um nicht von Kapitalimporten abhängig zu werden und um die niedrige Inflationsrate und die stabilen Wechselkurse nicht zu gefährden. Die lateinamerikanischen Regierungen förderten ihre Unternehmen dagegen vor allem durch eine Ausweitung des Haushaltsdefizits. Südkorea stellt eines der bis zur Asienkrise erfolgreichen ostasiatischen Länder dar. Die vorsichtige Marktöffnung geht auf die Anfang 1961 an die Macht gelangte Militärregierung zurück. Die Militärs sahen sich durch eine Mißernte veranlaßt, nach innovativen Finanzierungsmöglichkeiten und Steuervergünstigungen zur Förderung der Exporte zu suchen Damit sollten die zusätzlichen Nahrungsmittelimporte durch eine Ausweitung der Exporte statt durch eine Erhöhung der Auslandsschulden finanziert werden. Die Militärregierung hielt aber nach Ende der kleinen Krise an der Politik der bedingten Weltmarktöffnung fest, forcierte die Exportoffensive und leitete marktorientierte wirtschaftspolitische Reformen ein. Sie wertete den Won durch eine Änderung der Wechselkurs-parität zum Dollar ab und legte einige weltmarkt-orientierte Industrien fest, denen ein bevorzugter Zugang zu günstigen Krediten eingeräumt wurde. Darüber hinaus wurden die Kapitalmarktregulationen weiter gelockert und Kapitalimporte erleichtert. Andererseits hielt die Regierung die bestehenden Marktzugangsbeschränkungen für ausländische Unternehmen aufrecht, so daß die inländischen Unternehmen einen geschützten und gleichzeitig expandierenden nationalen Markt vor-fanden.
Die Unterschiede der Entwicklungspolitik Brasiliens und Argentiniens auf der einen und Koreas auf der anderen Seite nahmen zu Beginn der achtziger Jahre weiter zu. Als die Inflationsrate in Korea anstieg, reagierte die koreanische Regierung im Unterschied zu ihren lateinamerikanischen Pendants nicht mit zusätzlichen Subventionen für die unter Konkurrenzdruck geratenen Unternehmen. Vielmehr wertete sie den koreanischen Won weiter ab (wodurch sich die Wettbewerbsfähigkeit erhöhte und sich die Importe verteuerten) und setzte die Löhne dauerhaft fest, um den inflationären Druck zu mildern
Mitte der achtziger Jahre trat der Erfolg dieser Entwicklungsstrategie offen zutage und rief eine Kontroverse zwischen den etatistischen und den liberalen Entwicklungstheoretikern hervor. Beide Lager werteten die Entwicklungserfolge der süd-ostasiatischen Staaten zunächst als Bestätigung für ihre Theorien. Während die Vertreter der etatistischen Theorien die aktive Rolle des Staates als Ursache des Erfolges ansahen, betonten die Ver-treter der liberalen Theorien die Weltmarktöffnung und die Exportorientierung der Länder. Diese bislang letzte entwicklungspolitische Debatte wurde zugunsten der . Liberalen'entschieden. Sie konnten darauf verweisen, daß aus den Entwicklungserfolgen von Japan, Korea und Taiwan nicht gefolgert werden kann, daß Staatsinterventionismus die wirtschaftliche Entwicklung fördert. Schließlich, so das stichhaltige Argument, haben sich auch die wirtschaftspolitisch liberalen südostasiatischen Staaten wie Hongkong und Thailand entwickelt und industrialisiert. Viele Beobachter zogen deshalb das Fazit, daß sich die Kombination aus weltwirtschaftlicher Öffnung, einer soliden Haushaltspolitik und einer Geldpolitik, die eine reale Aufwertung der nationalen Währung sorgfältig vermeidet, positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung und das Wachstum auswirkt.
IV. Vom , Tiger 1 zum , Papiertiger 4? Das asiatische Entwicklungsmodell in der Krise, 1997-1999
Dieser entwicklungspolitische Konsens droht derzeit wieder zu zerbrechen und einer skeptische-ren Bewertung der außenwirtschaftlichen Öffnung im Entwicklungsprozeß zu weichen. Ursache hierfür ist die Asienkrise, von der vor allem diejenigen Länder getroffen wurden, die in den achtziger Jahren das Beispiel für eine erfolgreiche Entwicklungsstrategie geliefert hatten.
Zwar ist der eigentliche Auslöser der Krise unter den Beobachtern umstritten: Genannt werden der unerwartete Rückgang des Exportwachstums, das Scheitern thailändischer und koreanischer Reformpläne und die politische Destabilisierung in Indonesien. Doch es herrscht eine weitgehende Einstimmigkeit in Hinsicht auf den Verlauf der Krise und bezüglich derjenigen Faktoren, welche die Krise letztlich hervorriefen.
Der Beginn der Krise wird auf Anfang 1997 terminiert. Zu diesem Zeitpunkt meldeten verschiedene große koreanische Unternehmen Konkurs an, und der thailändische Baht wurde zum Opfer von Spekulationen. Die thailändische Regierung hielt dennoch zunächst an der Dollarbindung des Baht fest und nutzte ihre Devisenreserven zu Stützungs. käufen. Im Mai 1997 wurden Kapitalverkehrskontrollen eingeführt, um dem dramatischen Rückgang der Reserven zu begegnen und die Gerüchte über eine Währungsabwertung zu beenden Doch Ende Juni mußte die Bindung des Baht an den Dollar aufgegeben werden. An den internationalen Finanzmärkten wertete die Währung innerhalb von nur zwei Wochen um etwa fünfzehn Prozent ab. Infolgedessen begannen die kreditgebenden Banken ihr Kapital auch aus anderen asiatischen Ländern abzuziehen, woraufhin auch deren Währungen unter erheblichen Abwertungsdruck gerieten und bis Anfang September um etwa zwanzig Prozent abwerteten. Die Anleger sahen nun ihr in Asien investiertes Kapital in Gefahr und reagierten panisch. Alle versuchten in dieser Situation, möglichst die ersten zu sein, die ihr Kapital abzogen, da die ersten, die einen Markt verlassen, erwartungsgemäß am wenigsten verlieren. Damit aber verstärkten sie die Krise, der sie zu entfliehen versuchten.
In dieser zugespitzten Lage auf den Finanzmärkten griffen die Regierungen in den betroffenen Ländern und der IWF zu Maßnahmen, die das Vertrauen der internationalen Investoren weiter reduzierten: Der Premier Malaysias, Mohamed Mahathir, machte das internationale Finanzkapital für die Krise verantwortlich und drohte ein Verbot des Handels mit Devisen an. Korea versuchte im Oktober und November erfolglos, den Wechselkurs des Won zu stabilisieren, und der IWF veranlaßte die asiatischen Länder zu einer Konsolidierung ihrer Haushalte, einer Anhebung der Zinssätze und einer restriktiven Geldpolitik. Diese Maßnahmen sollten das Vertrauen in die Währungen wiederherstellen, doch die Austeritätspolitik reduzierte die Wachstumserwartungen der ausländischen Anleger und verschärfte die Kapitalflucht aus den asiatischen Märkten
Als Gründe für den Ausbruch der Krise werden entsprechend der weitgehend geteilten Auffassung die Kombination aus Leistungsbilanzdefiziten (= Nettokapitalimporten), Kapitalverkehrsfreiheit und festen Wechselkursen genannt Allerdings wählten viele Entwicklungsländer nicht nur in Südostasien gerade diese Kombination, da jede einzelne dieser Politiken vorteilhaft zu sein scheint: Nettokapitalimporte sind attraktiv, weil die Abhängigkeit von der nationalen Sparquote entfällt. Entwicklungsländer können deshalb durch Kapitalimporte ihre Investitionen über die nationale Sparquote heben und die Industrialisierung auf diese Weise forcieren. Feste Wechselkurse scheinen aus zwei, allerdings konkurrierenden Gründen günstig: Entwicklungsländer mit einem Leistungsbilanzdefizit koppeln ihre Währung an die Währung, in der sie ihre Kapitalimporte tätigen, in der Regel an den Dollar. Dies erscheint deshalb vorteilhaft, weil den ausländischen Vermögensbesitzern auf diese Weise kein oder ein nur geringes Wechselkursrisiko suggeriert wird. Auf diese Weise läßt sich die Risikoprämie senken und eine entwicklungspolitisch willkommene Senkung der Zinssätze erreichen Entwicklungsländer mit einem Leistungsbilanzüberschuß koppeln ihre Währung dagegen bevorzugt an die Währung ihrer Hauptabsatzmärkte. Dadurch lassen sich wechselkursbedingte Störungen der internationalen Konkurrenzfähigkeit vermeiden. Doch feste Wechselkurse sind für Entwicklungsländer schwer zu verteidigen: Sobald die inländische Inflationsrate oberhalb der Inflationsrate der Referenzwährung oder des Währungskorbes liegt, wertet das Entwicklungsland real auf (nominal bleiben die Austauschrelationen natürlich gleich). Dies verschlechtert nicht nur die Konkurrenzfähigkeit der einheimischen Unternehmen. Eine dauerhafte Überbewertung gefährdet auch das Vertrauen der ausländischen Gläubiger in die Solvenz des verschuldeten Entwicklungslandes beziehungsweise der dort ansässigen kreditnehmenden Unternehmen. Bis zum Ausbruch der Asienkrise war man davon ausgegangen, daß die Entwicklungsländer durch eine solide, Defizite vermeidende Fiskalpolitik ihre Inflationsraten niedrig halten und die festen Austauschverhältnisse zu ihren Leitwährungen verteidigen können. Die Krise verdeutlicht nun, daß dies nicht notwendigerweise ausreichend sein muß. Problematisch ist nämlich auch, daß die Länder der Währungen, in denen die Kredite aufgenommen wurden, nicht mit den Hauptabsatzmärkten der Entwicklungsländer identisch sind. Die asiatischen Staaten verschuldeten sich in Dollar und koppelten deshalb ihre Währungen nahezu perfekt an die amerikanische Währung. Da sie jedoch einen großen Teil ihres Handels mit Japan abwickelten und in direkter Exportkonkurrenz mit China standen, das seine Währung aber nicht an den Dollar gekoppelt hatte, waren sie anfällig gegenüber Wechselkursschwankungen auf den internationalen Devisenmärkten: Sobald der Dollar gegenüber anderen Währungen aufwertete, machten die daran gekoppelten Währungen diese Aufwertung mit. Für die südostasiatischen Währungen bedeutete dies letztlich eine Aufwertung gegenüber dem japanischen Yen und dem chinesischen Yuan. Dadurch aber verschlechterte sich die Wettbewerbssituation der südostasiatischen Länder. Die Aufwertung wird letztlich für den Rückgang des Exportwachstums im Jahr 1997 mitverantwortlich gemacht.
Die Beibehaltung der Wechselkursbindung gilt unter den Beobachtern deshalb als schwerer politischer Fehler. Diese These verdient jedoch einen zweiten Blick: Eine stärkere Bindung ihrer Währungen an den Yen die Aufgabe der Wechselkursbindung oder der Übergang zu floatenden Kursen hätte die Aufwertung gegenüber wichtigen Konkurrenzwährungen zwar verhindert, doch zugleich eine Abwertung gegenüber dem Dollar bedeutet, in dem diese Länder verschuldet waren. Dadurch hätten die Zinssätze steigen müssen, und es wäre voraussichtlich zu einem Rückgang der Kapitalimporte gekommen. Ob die Krise auf diese Weise wirklich verhindert oder vielleicht nur hinausgezögert worden wäre, ist unbekannt. Es erscheint aber nicht unwahrscheinlich, daß eine Abwertung der asiatischen Währungen gegenüber dem Dollar das Vertrauen der Kreditgeber in die Rückzahlungsfähigkeit ihrer Kreditnehmer und damit in die Stabilität ihrer Kredite ebenfalls ruiniert und vermutlich auch in einer Flucht aus den asiatischen Märkten geendet hätte. Die Regierungen standen angesichts dessen offenkundig vor einem Dilemma. Vor der Wahl zwischen zwei Fehlern haben sie sich für einen entschieden. Den eigentlichen, tatsächlichen Fehler haben sie aber Jahre zuvor begangen, als sie der zunehmenden ausländischen Kreditaufnahme ihrer Banken keinen politischen Riegel vorschoben.
V. Die Diskussion der regulativen Konsequenzen der Finanzkrise
Auch wenn die Asienkrise letztlich durch eine Kombination verschiedener Faktoren hervorgerufen wurde, verlor die weltmarktorientierte Entwicklungsstrategie der asiatischen Länder in Folge der Krise an Attraktivität. Die Gründe, die nach Einschätzung der liberalen Beobachter das vergleichsweise hohe Wirtschaftswachstum in Asien (mit-) verursachten, galten plötzlich auch als Ursache der wirtschafts-und finanzpolitischen Probleme Südostasiens. Vor allem die hohen Kapitalimporte gerieten als krisenauslösendes Element in die Kritik. Seit dem offenen Ausbruch der Asien-krise erscheint die gezielte Einschränkung der weltwirtschaftlichen Integration durch Kapitalverkehrskontrollen deshalb nicht länger als zwangsläufig ineffiziente wirtschaftspolitische Maßnahme. Folglich kann es auch nur auf den ersten Blick verwundern, daß unter den entschiedensten Verfechtern von Kapitalverkehrskontrollen für kurzfristige Kredite auch bekannte und anerkannte Mainstream-Ökonomen wie Jagdish Bhagwati Paul Krugman, Martin Feldstein, Jeffrey Sachs, Dani Rodrik und der Chefvolkswirt der Weltbank, Joseph Stiglitz, zu finden sind. Paul Krugman faßt die Position der Befürworter von Beschränkungen des kurzfristigen Kapitalverkehrs in einer Weise zusammen, die ein längeres Zitat rechtfertigt: „Zweifellos wird die Asienkrise zu einer Verbesserung der Finanzmarktregulierung führen; andere Länder werden die Fehler der asiatischen Staaten nicht wiederholen. Aber sie werden andere Fehler machen, und früher oder später werden wir eine andere Krise bekommen. Dies ist möglicherweise der Preis, den man für einen globalen Kapitalmarkt zahlen muß. Aber ist es der Preis wert, bezahlt zu werden? Immerhin gibt es eine Alternative: Restriktionen auf Kapitalbewegungen, vor allem Beschränkungen des Rechts der Inländer, sich im Ausland mit kurzfristigen Krediten zu verschulden. Offensichtlich beinhaltet diese Alternative Nachteile: Wie alle Versuche von Regierungen, die Märkte einzuschränken, sind solche Restriktionen teuer, ineffektiv oder beides. Sie werden einige wohlfahrtssteigernde wirtschaftliche Transaktionen verhindern,'sie bedeuten einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand, und sie werden zu einigen cleveren und manchmal erfolg-reichen Vermeidungsstrategien führen. Letztlich würden Restriktionen das Risiko einer Krise bestenfalls reduzieren und nicht beseitigen, schließlich gibt es einfach zu viele Dinge in einer Wirtschaft, die schiefgehen können. Doch diese Nachteile müssen mit den Kosten einer Finanzmarktpanik verglichen werden.“
Da bislang aber keine empirischen Untersuchungen über die Auswirkungen von Kapitalverkehrs-kontrollen auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Stabilität wirtschaftlicher Entwicklung vorliegen, ist es nur wenig verwunderlich, daß den Befürwortern von Kapitalverkehrskontrollen entschieden widersprochen wurde. Der amerikanische Notenbankpräsident Alan Greenspan führt gegen eine Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen an, daß die Asienkrise durch ineffiziente Institutionen, durch die enge und teilweise familiäre Verbindung von Politik und Banken (Indonesien, Malaysia) und durch den in den besonders stark betroffenen Ländern vorherrschenden Klüngel bei der Kreditvergabe hervorgerufen wurde. Die internationalen Anleger und die internationalen Finanzmärkte spricht er dagegen weitgehend frei. Erst nachdem eine Vertrauenskrise der internationalen Kapitalanleger entstanden sei, so Greenspan, hätte sich die Möglichkeit, Kredite kurzfristig zu kündigen und das Kapital von einem auf den nächsten Tag abzuziehen, negativ ausgewirkt. Mit anderen Worten: Das eigentliche Problem stelle nicht die hohe weltwirtschaftliche Integration und der Abbau der Kapitalverkehrskontrollen der asiatischen Länder dar, sondern die Kombination aus Politikversagen und ineffizienten Institutionen. Greenspan folgert, daß die betroffenen Länder möglichst schnell amerikanische Standards in ihr Bankwesen übernehmen und ihre Finanzmärkte liberalisieren sollten. Darüber hinaus sollten die Regierungen die für effiziente Kapitalanlagen notwendige Transparenz auf den Finanzmärkten sicherstellen Unter diesen Bedingungen seien Kapitalverkehrskontrollen verzichtbar. Die Asienkrise hat die Aufmerksamkeit aber zugleich auf diejenigen Länder gelenkt, die sich derzeit unbehelligt von Finanzkrisen stabil entwikkeln. Auf dieser Suche nach wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die das Risiko einer Finanzkrise einzudämmen versprechen, werden immer wieder dieBeispiele Chiles und Taiwans hervorgehoben. In beiden Ländern ist es der Politik auf unterschiedliche Weise gelungen, einen stabilen und krisen-freien Entwicklungsprozeß zu gewährleisten.
Chile wird immer dann genannt, wenn die Befürworter von Kapitalverkehrskontrollen auf deren stabilisierende Wirkung verweisen Auch für Chile als eines der Länder Südamerikas, die bereits in den siebziger Jahren eine Öffnung der Finanzmärkte versuchten, endete dieser Versuch in einer Verschuldungskrise, die durch ein dauerhaftes Haushaltsdefizit und eine hohe Inflationsrate verursacht wurde. Anders als in Argentinien wurde der marktwirtschaftlich-liberale Kurs in Chile jedoch nicht abgebrochen, obwohl das Land eine Beschränkung für kurzfristige Kapitalimporte einführte. Der Erfolg dieser Maßnahme scheint der Regierung bislang recht zu geben. Das Risiko einer Finanzkrise ist derzeit gering, und die Wachstumsraten fallen bei einer vergleichsweise stabilen Entwicklung recht hoch aus.
Taiwan dagegen ist bereits deshalb bemerkenswert, weil das Land -neben China -von der Asienkrise wenig in Mitleidenschaft gezogen wurde. Der Hauptgrund wird darin vermutet, daß Taiwan nahezujährlich einen Leistungsbilanzüberschuß erzielt und auf diese Weise hohe Währungsreserven akkumuliert hat Das Land benötigt deshalb keine Kapitalimporte und ist nur wenig anfällig für spekulative Attacken, zumal die eigene Währung durch Devisenmarktinterventionen jederzeit gestützt werden könnte.
Diese beiden Sonderwege in der makroökonomischen Stabilisierung unter der Bedingung außen-wirtschaftlicher Öffnung scheinen zu zeigen, daß es nicht nur einen erfolgreichen Weg der Krisenvermeidung gibt. Der Erfolg der beiden Länder besteht in einer geringen Abhängigkeit von (kurzfristigen) Kapitalimporten, die auf unterschiedliche Weise erreicht wird. Es darfjedoch auch nicht übersehen werden, daß beide Politiken auf einem solide finanzierten Staatshaushalt beruhen. Dies lenkt die Aufmerksamkeit weg von der Frage des richtigen Ausmaßes der weltwirtschaftlichen Öffnung im Entwicklungsprozeß und hin zu der Bedeutung einer umfassenden wirtschaftspolitischen Strategie, in der außenwirtschaftliche Öffnung an eine solide Wirtschaftspolitik gebunden ist.
VI. Die Politische Ökonomie offener Finanzmärkte im Entwicklungsprozeß
Die entwicklungspolitischen Konsequenzen der Asienkrise sind komplizierter als die simple Forderung einer Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen zum Ausdruck bringt. Entwicklungserfolge resultieren aus einem Mix unterschiedlicher politischer Maßnahmen, die jeweils nur im Gesamtzusammenhang bewertet werden können. Die Änderung einzelner wirtschaftspolitischer Maßnahmen kann die wirtschaftliche Entwicklung fördern und stabilisieren -sie muß jedoch nicht. In der Transformationsforschung hat deshalb die Diskussion der besten Reformreihenfolge einen bedeutenden Stellenwert erlangt. In dieser Diskussion standen sich die Befürworter eines Big Bang, das heißt möglichst frühzeitiger und möglichst umfassender Reformen, und die Befürworter von graduellen, schrittweisen Reformen gegenüber. Diese Diskussion sickert erst langsam in die entwicklungspolitischen Zirkel ein. Doch die hier geschilderten Fälle vollständig gescheiterter (wie in Argentinien und Brasilien) beziehungsweise halb gescheiterter Reformen (wie in Südostasien) betonen die Bedeutung, welche die Terminierung und Sequentialisierung der Reformschritte auch für den Entwicklungsprozeß besitzen.
Beispielsweise hat der argentinische Entwicklungsweg deutlich gemacht, daß der Abbau der Kapitalverkehrskontrollen und die damit verbundene Integration in die internationalen Finanzmärkte erst nach einer erfolgreichen wirtschaftspolitischen Konsolidierung erfolgen sollte. Eine solche Konsolidierung setzt zumindest die Reduzierung der nationalen Inflationsrate auf das Inflationsniveau der Industriestaaten und den Verzicht auf Haushaltsdefizite voraus. Beide Maßnahmen sind kurzfristig schmerzhaft und führen voraussichtlich zu einer Reduzierung des Wirtschaftswachstums. Doch angesichts der Alternative eines permanenten Kampfes gegen eine drohende Kapitalflucht erscheinen diese Politiken als das geringere Übel.
Die Asienkrise betont dagegen, daß Entwicklung im wesentlichen als Folge der Verbesserung der nationalen Wirtschaftsleistung betrachtet werden muß. Mit geliehenem Geld kann man nur eine geliehene Entwicklung erzielen. Dies gilt zumindest für die Finanzierung von Investitionen durch Kredite. Andererseits gibt es deutliche Hinweise darauf, daß langfristiger Kapitalverkehr, also Direktinvestitionen, die Entwicklung eher fördern. Während die Liberalisierung des kurzfristigen Kapitalverkehrs also nur graduell vorgenommen werden sollte, sprechen gute Gründe für einen schnelleren und weiter reichenden Abbau von Marktzugangshemmnissen für ausländische Unternehmen. Korea etwa hätte seine Abhängigkeit von ausländischen Krediten durch eine Erleichterung der Investitionen ausländischer Unternehmen und einen freien Handel der Aktien einheimischer Unternehmen reduzieren können. Dies hätte es dem Land vermutlich erspart, seine Unternehmen während der Krise für nur wenig Geld an ausländische Investoren verkaufen zu müssen.
Von großer Bedeutung erscheint auch die Regulierung der Finanzmärkte und die Zulassung ausländischer Banken. Vor dem Ausbruch der Asienkrise war es ausländischen Banken praktisch unmöglich, eine Lizenz für die Ansiedlung einer Tochter in einem asiatischen Land außer in Hongkong und Singapur sowie den Off-Shore-Finanzplätzen zu bekommen. Nur geschützt durch diese Marktabschottung und eine praktisch nichtexistente Bank-aufsicht war es den eng mit der Regierung verbundenen Banken möglich, Kreditvergabe nicht an Effizienzkriterien, sondern an politischen Opportunitäten auszurichten. Erst wenn die asiatischen Banken auf ihren Heimatmärkten der ausländischen Konkurrenz ausgesetzt werden, können sie sich Vetternwirtschaft und klientelistische Kreditvergabepraktiken nicht länger leisten.
Die derzeit vergleichsweise stabilen Länder verdeutlichen zudem, daß Leistungsbilanzüberschüsse und die Akkumulation hoher Reserven zu einer Stabilisierung der nationalen Währung führen, ohne daß Kapitalverkehrskontrollen nötig werden. Die Asienkrise machte besonders auf die langfristige Unvereinbarkeit von Leistungsbilanzdefiziten und festen Wechselkursen aufmerksam. Länder, die -aus welchen Gründen auch immer -keine dauerhaften Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaften können, sollten deshalb auf eine Bindung ihrer Währung an eine internationale Reservewährung verzichten oder ihre Währungen regelmäßig und frühzeitig abwerten.
All diese zuletzt genannten wirtschaftspolitischen Maßnahmen führen voraussichtlich zu einer Reduzierung der kurzfristigen Kapitalimporte und damit auch zu einer Erhöhung des inländischen Zinsniveaus. Sie senken deshalb das Wirtschaftswachstum. Allerdings fallen die Kosten langsameren Wachstums vermutlich geringer aus als die Kosten einer spekulativen Attacke auf die nationale Währung.
Falls eine Finanzkrise trotz der Versuche, eine stabilere Entwicklung zu gewährleisten, nicht abgewendet werden kann, könnte die frühzeitige Einführung von Kapitalexportkontrollen verhindern, daß es zu einer panikartigen Flucht der Anleger kommt. Ein solcher unpopulärer Eingriff ist im Vergleich mit einem Crash selbst für die Kreditgeber die günstigere Alternative. Letztlich scheint es ebenfalls notwendig zu sein, die international operierenden Anleger -stärker als bislang geschehen -für die Risiken ihrer Anlageentscheidungen haftbar zu machen. Zwar ist ein Verzicht auf ein Bail-Out der betroffenen Banken und Anleger kurzfristig teuer, weil er zu einer Destabilisierung der internationalen Finanzmärkte führen kann. Doch die Einführung solider Finanzmarktregulierungen und die Schaffung transparenter Anlagebedingungen in den Entwicklungsländern sind nur dann durchsetzbar, wenn Länder mit zweifelhaften Finanzmarktinstitutionen einen deutlichen Risikoaufschlag zahlen müssen. Die Banken werden dieses Risiko an die Kreditnehmer weitergeben, falls sie davon ausgehen müssen, die , schlechten Risiken'nicht auf den IWF und die westlichen Staaten abwälzen zu können.