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Die Rahmenbedingungen des Dritten Sektors und ihre Reform | APuZ 9/1999 | bpb.de

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APuZ 9/1999 Strukturen einer Neuen Arbeitsgesellschaft. Der Zwang zur Gestaltung der Zeit Der Dritte Sektor in Deutschland. Entwicklungen, Potentiale, Erwartungen Die Rahmenbedingungen des Dritten Sektors und ihre Reform Lernen als Beruf. Arbeit und Bildung in der Informations-und Wissensgesellschaft

Die Rahmenbedingungen des Dritten Sektors und ihre Reform

Rupert Graf Strachwitz

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Zusammenfassung

Einführend definiert der Autor den Dritten Sektor (auch der gemeinnützige oder Non-Profit-Sektor genannt) im Unterschied zu den beiden Sektoren Staat und Wirtschaft. Der Dritte Sektor wird dann genauer mit den Begriffen Dienstleister, Themenanwälte, Selbsthilfeorganisationen und Mittler-organisationen beschrieben. Der Autor wendet sich ebensosehr gegen eine Ignoranz gegenüber dem Potential des Dritten Sektors wie gegen eine funktionalisierende Inanspruchnahme als kompensatorischer Reparaturbetrieb des Wohlfahrtsstaates. Fragen, wie viele Arbeitsplätze im Dritten Sektor entstehen oder ob von ihm bestimmte Dienstleistungen besser als vom Staat besorgt werden könnten, sind zwar nicht unwichtig, verkennen aber Potential und Problematik des Sektors. Die Zukunft und Chance des Dritten Sektors sieht der Autor in der kreativen Kraft, den reformbedürftigen Wohlfahrtsstaat zu einer selbstbewußten, aus dem Engagement der Bürger gestalteten Wohlstandsgesellschaft weiterzuentwickeln. Zur Entfaltung dieser potentiell vorhandenen Kraft bedarf es einer Neubesinnung des Sektors selbst und einer Reform seiner Rahmenbedingungen. Der Autor charakterisiert den Reformbedarf in historischer Perspektive als ein Problem der vorhandenen, staatsorientierten politischen Kultur, die dem Sektor mißtrauisch ein hemmendes, starres und gelegentlich absurdes Korsett zumutet. Doch auch die Schwächen des Dritten Sektors werden benannt, so die fehlende Transparenz, die mangelnde Koordination oder auch die dringend nötige Grundlagenarbeit. Zum Abschluß erörtert der Autor die Grundorientierungen einer zukunftsorientierten Reform der Rahmenbedingungen: Subsidiarität, Transparenz und Selbstkontrolle. Der Ort des Dritten Sektors liegt jenseits hoheitlicher Gewalt und der Zwänge der Erwerbswirtschaft in einem Freiraum, in dem sich das zivil-gesellschaftliche Potential als kreatives Chaos und als Verwirklichung von Bürgerpflichten entfalten kann.

I. Die drei Sektoren gesellschaftlich wirksamen Handelns: Staat, Wirtschaft und Dritter Sektor

Als die Bundesregierung im Dezember 1998 Vertreter von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften zusammenrief, um ein neues Bündnis für Arbeit zu schmieden, waren Vertreter des soge-nannten Dritten Sektors -wie der gemeinnützige oder Non-Profit-Sektor kurz, wenn auch nicht umfassend genannt wird -nicht geladen. Dabei stellt dieser schon heute rd. 5 Millionen hauptamtliche Arbeitsplätze zur Verfügung; mehr noch: er wird in der öffentlichen Diskussion immer dann ins Spiel gebracht, wenn von neuen Arbeitsformen die Rede ist. Zwischen dieser Diskussion und der praktischen Politik scheint aber nach wie vor eine so große Diskrepanz zu bestehen, daß eine Integration des Sektors in politisch für wichtig erachtete Prozesse nicht zustande kommt. Das oft im Munde geführte Wort vom Dritten Weg scheint doch etwas anderes zu meinen.

Die Frage nach allgemeinen Gründen für diese Schwierigkeit muß hier unbeantwortet bleiben, genügen doch bereits die spezifischen Fragestellungen des Sektors selbst als Gegenstand dieser Erörterung vollauf. Neue Untersuchungsergebnisse 1 belegen eindrucksvoll den Anteil des Sektors an der wirtschaftlichen Leistungskraft des Landes. Es ist gar nicht zu leugnen, daß allein seine Dienstleistungskapazität aus unserer ökonomischen Wirklichkeit nicht wegzudenken ist. Weder der Markt, für den weite Teile der Tätigkeit des Sektors mangels Gewinnaussicht unattraktiv sind, noch der Staat, der ohnehin in einer fundamentalen Leistungskrise steckt, wären in der Lage, die Dienstleistungen, die von Wohlfahrtsverbänden, Stiftungen, Kulturorganisationen, Sportvereinen usw. als Trägern von Einrichtungen und Projekten angeboten werden, zu übernehmen; im Gegenteil, der Druck auf den Sektor, mehr Dienst-leistungen zu übernehmen, steigt wie schon in den vergangenen Jahrzehnten ständig an.

Dabei bildet das Anbieten von Dienstleistungen nur eine von mehreren Aufgaben, denen sich die dem Sektor zugehörigen Körperschaften widmen.

Die Europäische Union hat hierzu eine neue Klassifikation entwickelt Daß die Themenanwaltschaft von Organisationen wie Greenpeace oder Amnesty International ein unverzichtbares Element einer freiheitlichen Gesellschaft darstellt, hat sich wohl mittlerweile herumgesprochen. Die Tatsache, daß gerade im Bereich der internationalen Entwicklung die dort so genannten NGOs (non governmental organisations = Nicht-Regierungsorganisationen) sowohl durch ihre Leistungen vor Ort als auch durch ihre in die Erarbeitung von Strategien und Verträgen einfließende Sachkenntnis selbst die lange Zeit sehr überheblichen intergouvernementalen Organisationen wie UNO, Weltbank oder Europäische Union überzeugt haben, spricht für sich. Lobbyverbände, ein anderer wesentlicher Teil des Sektors, sind zu einem festen Bestandteil des politischen Geschäfts geworden. Sie werden von Parlamenten und Regierungen als Ausweis einer Offenheit der Politik angehört, es wird ihnen eine quasidemokratische Legitimität zugebilligt, und ihre Ansichten werden tatsächlich gelegentlich berücksichtigt. Da diese Verbände stets nur den kleinsten gemeinsamen Nenner der Meinungen ihrer Mitglieder wiedergeben können, ihnen daher kaum Innovationspotential innewohnt, sollte dies nicht überbewertet werden. Selbsthilfeorganisationen, zu denen sowohl die eher kleinen Gruppen als auch die oft sehr großen Genossenschaften gezählt werden können, haben schon lange ein Feld bearbeitet, auf welchem Produkte und Dienstleistungen auch für Menschen nutzbar gemacht werden, die sonst weder als Kunden davon Gebrauch machen, noch sie als Mitarbeiter hätten bereitstellen können Heute richtet sich auf sie ein besonderes Augenmerk, da sie Voraussetzungen mitbringen, die sie in der Erprobung neuer Arbeitsformen besonders geeignet erscheinen lassen.

Die Mittlerorganisationen schließlich, etwa die fördernden Stiftungen, stehen aus anderen Gründen im Blickpunkt. Ihnen wird zugetraut -man ist versucht zu sagen, zugemutet -, in Zeiten knapper öffentlicher Mittel Aufgaben oder Einrichtungen zu finanzieren, die bisher über das Steueraufkommen finanziert wurden Da hier die Schmerzgrenze für Steigerungen im wesentlichen erreicht zu sein scheint, soll durch mehr oder weniger sanften Druck ein zusätzliches freiwilliges Finanzierungspotential geschaffen werden.

Diese, der EU folgende Einteilung des Sektors, die natürlich auch viele Mischformen und Überschneidungen zuläßt, beinhaltet freilich noch gar nicht eine seiner wesentlichen und allen Angehörigen zukommenden Aufgaben. Nicht umsonst richtet sich das Augenmerk der Gesellschaftsreformer nicht wegen seiner quantitativen Leistungen, nicht wegen seiner Ersatzfunktion und schon gar nicht wegen seiner korporatistischen, d. h. mit Staat und Wirtschaft verquickten Elemente auf ihn, sondern wegen seines Potentials der sozialen Gesundung. Es ist ja nicht zu übersehen, daß für Bürgerinnen und Bürger die Teilhabe an den öffentlichen Angelegenheiten im traditionellen Sinn in wesentlichen Bereichen zur Farce geworden ist. Die Fusion der Unternehmen Daimler und Chrysler, um ein Beispiel herauszugreifen, wurde ganz selbstverständlich von den betroffenen Vorständen verhandelt und von den jeweiligen Aufsichtsräten abgesegnet. Es ist hier gar nicht zu diskutieren, ob diese Fusion gut oder schlecht ist; entscheidend ist, daß das demokratisch verfaßte Gemeinwesen an diesen Prozessen überhaupt nicht beteiligt war, wohl auch gar nicht beteiligt werden konnte, obwohl zumindest unter dem Stichwort der Externalisierung bzw. Internalisierung von Kosten, aber auch unter vielen anderen Gesichtspunkten die Gesellschaft insgesamt durchaus ein Interesse an diesen Vorgängen haben mußte. Auch dies sei in diesem Zusammenhang nur festgestellt, nicht bewertet. Ähnlich läßt sich das Zustandekommen der primären politischen Entscheidungen, etwa in militärischen Fragen, bewerten. Auch hier bleibt dem deutschen Gesetzgeber, geschweige denn dem Wähler, kaum eine Chance der echten Mitentscheidung. Die globalen Entwicklungen -und mehr und mehr Entwicklungen haben globalen Charakter -werden woanders determiniert und haben längst den Nationalstaat des 19. Jahrhunderts ad absurdum geführt. Selbst Angelegenheiten, die in der Tat noch im Rahmen einer Gemeinde, eines Bundeslandes oder des Bundes autonom entschieden werden können, werden -zumindest in der Wahrnehmung einer immer größeren Zahl von Bürgerinnen und Bürgern -hinter verschlossenen Türen verhandelt, hinter denen sich Parlamentarier aller Fraktionen, Regierungsangehörige und Beamte und vielleicht sogar Verbandsvertreter einträchtig versammeln. Die Kontrolle der Exekutive durch die Legislative wird überhaupt nicht mehr als real, die politische Auseinandersetzung weitgehend als Spiegelfechterei empfunden. Die Folge ist, daß sich mehr und mehr nicht nur die klassischen Rand-gruppen, nicht nur die Jugend oder die sozial Schwachen ausgegrenzt fühlen, sondern wachsende Teile der Bevölkerungsschichten, die traditionell als staatstragend gelten konnten. Die nach wie vor nicht hinreichend ernst genommene Verdrossenheit mit Parteien, Staat und allem, was damit in Verbindung gebracht wird, ist ein Zeichen dieses Empfindens. Es dominiert das Gefühl, die wirklich weichenstellenden Entscheidungen würden ohnehin nicht dort gefällt, wo sie nach eigenem Anspruch gefällt werden sollten, sondern eben auf den allenfalls von ihren Eigentümern kontrollierten Vorstandsetagen der großen Konzerne.

Gewiß ist die Wirklichkeit um einiges komplizierter, aber allein die Tatsache, daß die Zahl derer beständig abnimmt, die eine solche Sichtweise energisch bestreiten würden, sollte bei den für ein Gemeinwesen Verantwortlichen als Alarmsignal begriffen werden. Die unerfüllte Sehnsucht nach aktiver Teilhabe an den öffentlichen Angelegenheiten läßt sich mit den klassischen Instrumenten der Demokratie nicht mehr befriedigen und birgt daher einen Sprengsatz in sich, an dessen Zündung auch die kein Interesse haben können, denen der gegenwärtige Zustand vordergründig nützt. Die keineswegs mit einheitlichen Gründen und Lösungsansätzen vorgetragene Argumentation zugunsten der Zivil-oder Bürgergesellschaft und auch die in allen Parteien stattfindende Auseinandersetzung darüber sollte daher mit großer Aufmerksamkeit verfolgt werden In dieser Bürgergesellschaft, so seine Protagonisten, besteht die Möglichkeit, sich einzubringen, an der Entscheidungsfindung teilzuhaben, Verpflichtung und Neigung miteinander in Einklang zu bringen. Engagement zugunsten der Allgemeinheit kann sich für eine selbstbestimmte Zeit und auf einem selbstbestimmten Feld artikulieren. Der Dritte Sektor mit seinen Hunderttausenden von Organisationen und der Möglichkeit, mit oder ohne Vermögen immer wieder neue zu schaffen, bildet für diese Partizipation einen erfolgversprechenden Kristallisationspunkt. Er bietet einen Ausweg aus einer letztlich unheilvollen Auseinandersetzung zwischen Staat und Markt. Wenn also aus den Krankheitssymptomen Konsequenzen für einen Heilungsprozeß gezogen werden sollen, dann hat sich die Aufmerksamkeit auf diesen Sektor zu richten. Wenn Wohlstand und Wohlbefinden in ihrer Unterschiedlichkeit erkannt und wenn dem letzteren sein ihm zukommender Stellenwert eingeräumt wird wenn sich der nicht mehr durchzuhaltende Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft verändern soll dann kommen auf den Dritten Sektor Aufgaben in nie gekannter Dimension zu. Heute kreist selbst die wohlwollende Diskussion um den Sektor noch allzusehr um die Frage, ob dieser in der Lage ist, Schäden zu reparieren. Ist er als alternative Finanzierungsquelle anzusehen? Kann er alternative Arbeitsplätze bereitstellen? Kann er zusätzliche Dienstleistungen übernehmen? Er befindet sich in der Situation des Sanitätsdienstes bei einer Sportveranstaltung, der aus dem abgelegenen Sanitätsraum in die Arena gerufen wird, wenn ein Unfall geschehen ist, danach sich aber rasch dorthin zurückgeschickt sieht, während die sich allein für wichtig haltenden Funktionäre in der VIP-Lounge über das weitere Vorgehen beraten Diese Diskussion verkennt Potential und Problematik des Sektors und leistet keinen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel. Rückt dieser in den Mittelpunkt der Betrachtung, so werden die systemimmanenten Schwächen des Handlungsrahmens des Sektors erkennbar, erscheint seine Reform überfällig.

Dem Dritten Sektor wohnt heute gewißt nicht die Kraft inne, die Gesellschaft allein zu verändern.

Er hat zwar auf manchen Feldern ganz bemerkenswerte Erfolge darin erzielt, Probleme bewußt zu machen und Lösungen anzuregen. Daß aber allein von dort und gegen die mächtigen Eigeninteressen von Staat und Wirtschaft der gesellschaftliche Wandel durchgesetzt wird, kann nicht erwartet, wohl auch nicht gewünscht werden. Es liegt vielmehr an allen gesellschaftspolitisch wirksamen Kräften, gesellschaftswirksames Handeln neu zu definieren und daraus Folgerungen für den Handlungsrahmen der jeweiligen Beteiligten abzuleiten, nicht ein erodierendes System zu kitten, sondern eine neue Systematik zu entwickeln. Im demokratischen Rechtsstaat kommt es der gewählten Legislative zu, diesen Rahmen zu einem hoheitlich durchsetzbaren Bildwerk zu gestalten, ohne dabei Interessen des-Staates als Teil einer Gesellschaft zu Lasten anderer Teile in den Vordergrund zu stellen -eine schwierige Aufgabe fürwahr, die gewiß durch die überhöhte Vertretung von Staats-dienern in den Parlamenten und die gedankliche Nähe zu den tatsächlichen oder vorgeblichen Sachzwängen von Fiskus und Verwaltung nicht erleichtert wird. Dennoch, sie muß angepackt werden. Die nachfolgenden Anmerkungen konzentrieren sich daher auf das Verhältnis zwischen Staatsmacht und Bürgergesellschaft sowie auf die Rahmenbedingungen, die die erstere der letzteren anzubieten hat.

II. Dritter Sektor und politische Kultur

Die Betrachtung der Rahmenbedingungen wird durch zwei Probleme erschwert. Zum einen entstammen die geltenden Rahmenbedingungen nicht einem einmal erarbeiteten „großen Wurf“. Sie sind nicht das Ergebnis einer großen Debatte, weil diese in Deutschland nie geführt worden ist. Vielmehr setzen sie sich aus einer Vielzahl von historischen und kulturellen Traditionen zusammen, die, auch unter den Bedingungen des politischen Kompromisses, zu verschiedenen Zeiten und durchaus nicht immer in Abstimmung aufeinander Eingang in Einzelregelungen gefunden haben. Es fällt schwer, aus diesen eine gesellschaftstheoretische Position herauszulesen, an der Einzelheiten bezüglich ihrer Kompatibilität gemessen werden könnten. Diese Diversität zieht sich im übrigen bis in die gegenwärtige Reformdiskussion hinein. Wie anders ist es zu erklären, daß fast zeitgleich einerseits eine entschieden bürgergesellschaftlich bestimmte Reform des Stiftungsrechts (mit dem Ziel, das Entstehen von Stiftungen zu erleichtern) und andererseits eine deutlich fiskalisch bestimmte Beschränkung der im wesentlichen den Stiftern gewährten steuerlichen Anreize dem Deutschen Bundestag zur Gesetzgebung vorgelegt werden?

Zum anderen mangelt es dem Sektor selbst in geradezu eklatanter Weise an Kohärenz und gemeinsamer, unter wissenschaftlichen Bedingungen erarbeiteter politisch-theoretischer Fundierung. Er trägt zu der Debatte um ihn erstaunlich wenig bei. Noch niemals haben sich die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (in der die sogenannten Spitzenverbände Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt und Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland zusammengeschlossen sind), der Deutsche Sportbund, der Deutsche Kulturrat, der Bundesverband Deutscher Stiftungen, der Deutsche Naturschutzring usw. zum intensiven Dialog zusammengefunden, obwohl sie an der entsprechenden Stelle der Abgabenordnung, einem zentralen Teil unserer Steuer-gesetzgebung, einträchtig mit ihren Zwecken und Zielen versammelt sind und an der Formulierung dieses Gesetzeswerks ein gemeinsames Interesse haben sollten. Welch ein Unterschied zu den Wirtschaftsverbänden, bei denen regelmäßige Abstimmungen zwischen Industrie-, Arbeitgeber-, Finanz-oder Handwerksverbänden bei aller Unterschiedlichkeit der Klientel und Zielsetzung selbstverständlich sind! Und welch ein Unterschied auch zu den eingeführten Abstimmungsprozessen zwischen europäischen, Bundes-, Landes-und Gemeindebehörden, denen heute sogar zu wenig Trennbarkeit vorgeworfen wird! Äußerst zaghaft sind nach wie vor die Forschungsansätze an deutschen Hochschulen und der wissenschaftliche Austausch, wenngleich das internationale und notabene eben nicht in Deutschland entstandene Johns Hopkins Comparative Non-Profit Sector Project 11 einiges in Bewegung gebracht hat und inzwischen auch andernorts durchaus Forschungsarbeit geleistet wird Kein Wunder also, daß den politischen Entscheidungsgremien oft das Rüstzeug fehlt, um zu einer schlüssigen Definition des Rahmens zu gelangen. Zu unterschiedlich sind die Traditionen, aus denen einzelne Teile des Dritten Sektors entstanden sind, zu schwierig erscheint es, zu einer zukunftsorientierten Schlüssigkeit zu gelangen.

Es ist immer wieder darauf hingewiesen worden, daß die christliche Kirche -stets einer der wesentlichen Katalysatoren -der Auffassung gewesen ist, daß der Staat nicht alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens seiner Regelungskompetenz unterwerfen kann. Widerstand gegenüber überbordender Staatsmacht kennzeichnet schon in der Antike die Haltung der Kirche, und die gesamte Kirchengeschichte bis heute ist die Geschichte eines ständigen Wechsels zwischen Machtanspruch und Unabhängigkeitsdrang mit Kompromissen und Unterwerfungen. Die Einigung auf Trennung wechselt ab mit dem Drang zur Beherrschung, ein Wechselspiel, das seit der Reformation und mit der Abkoppelung von der sich in den Nachbarländern vollziehenden Entwicklung zum Nationalstaat an Komplexität noch zugenommen hat. So konnte ein Bischof in einem Teil Deutschlands als Landesherr selbst die Staatsmacht darstellen, während er -in manchen Fällen tatsächlich derselbe -sich in einem anderen gegen Säkularisation von Kirchengut oder Beschränkungen seiner kirchlichen Amtsausübung gegen die Staatsmacht zur Wehr setzen mußte. Die Herausbildung von autonomen Organisationen, die von Staat und Staatskirche unterschieden werden konnten, wie dies in England seit 1601, als die erste diesbezügliche gesetzliche Regelung erlassen wurde, geschehen ist, konnte unter solchen Umständen nicht erwartet werden. Dennoch gab es natürlich auch in Deutschland eine Fülle von Korporationen und Stiftungen unterschiedlicher -keineswegs nur mildtätiger oder religiöser -Zielsetzung, die mit mehr oder weniger großzügiger Duldung der politischen Macht zum Teil über Jahrhunderte ihre Wirksamkeit entfalten konnten. Ihre Entstehungsgeschichte ist so unterschiedlich wie ihre Verfassung. Nicht nur von Ort zu Ort, sondern von Organisation zu Organisation gingen Struktur und Arbeitsweise so weit auseinander, daß jede Neugründung als Akt eigener Rechtsetzung bezeichnet werden kann. Solange der Staat keine Regelungskompetenz beanspruchte oder zumindest diese nicht durchsetzen konnte, änderte sich hieran nichts. Übergriffen, wenngleich diese im Einzelfall oft schmerzlich waren, lag keine allgemeine Theorie, sondern „nur“ die Habgier eines einzelnen zugrunde. Die Tatsache, daß es neben dem Staat andere, von diesem unabhängige Zentren gab, blieb dem Grunde nach unstrittig.

Dies begann sich infolge der sich seit dem 17. Jahrhundert in Frankreich herausbildenden Staatstheorie spätestens seit dem 18. Jahrhundert auch in Deutschland zu ändern. Während noch um die Wende zum 18. Jahrhundert Preußen die pietistische Bewegung, aus der etwa die Franckeschen Stiftungen in Halle entstanden, trotz ihres gegen das lutherische Staatskirchentum gerichteten Charakters ausdrücklich förderte, setzte sich im Lauf des Jahrhunderts auch hier immer mehr die Auffassung durch, daß ein einheitlicher Staatsaufbau ein wünschenswertes Reformziel sei und daß dem Nebeneinander von Machtzentren ein Ende gemacht werden müsse. 1803 bereitete der Reichsdeputationshauptschluß den wichtigsten nicht-staatlichen unter diesen, den Klöstern, ein Ende und beseitigte damit ganze Netzwerke von Dienstleistungs-, Vertriebs-und Versorgungseinrichtungen. Zwar erreichte die kurzfristige Rigidität der Tilgung aller Organisationsformen, die sich zwischen dem einzelnen Bürger und seinen Staat stellen konnten, nie das französische Ausmaß -eine Fülle von freiwilligen Vereinigungen und Stiftungen überlebte -, aber Preußen konnte doch 1816 Vereine schlicht für überflüssig erklären ein deutlicher Hinweis darauf, wie die hoheitliche Gewalt das alleinige Recht der Beurteilung des Nutzens für sich in Anspruch nahm. Die nicht zuletzt von Georg Wilhelm Friedrich Hegel in extremer Form vertretene Position vom alles überwölbenden Staat hat bis heute die Auffassung der staatlichen Verwaltung geprägt, es sei letztlich ein Gnadenakt des Staates, Vereinigungen und Stiftungen zuzulassen oder zu verbieten, je nachdem, ob er sie für nützlich erachte oder nicht.

Im 19. Jahrhundert bleibt zunächst unklar, ob Stiftungen als angebliche Relikte aus der Feudalzeit analog zu Frankreich unerlaubt sein sollen. Schließlich setzte sich Friedrich Carl von Savigny dank seiner Autorität mit seiner Auffassung durch, daß sie, vom Staat überwacht, eine Existenzberechtigung hätten. Die „Stiftungspolizey“ wurde ebenso wie die „Vereinspolizey“ zu einem gängigen Terminus für konkretes hoheitliches Handeln.

Sehr viel größeres Mißtrauen schlug freilich den Personenvereinigungen entgegen, und zwar nicht wie im revolutionären Frankreich, weil sie historisch überholt, sondern im Gegenteil, weil sie eine Brutstätte revolutionären Gedankenguts seien.

Der Kampf um die Vereinigungsfreiheit durchzieht demgemäß das ganze 19. Jahrhundert, und zwar verwirrenderweise immer wieder aus unterschiedlichen Positionen geführt oder bekämpft. So fanden sich etwa die Kirchen immer wieder bei den Befürwortern, etwa wenn dem ungenügenden staatlichen Wohlfahrtswesen aus christlichem Gedankengut heraus mit der Forderung nach einem evangelischen Diakonischen Werk begegnet wurde, und bei ihren Gegnern, wenn das protestantische Preußen dem katholischen Autonomie-streben in Fürsorge und Bildungswesen ablehnend gegenüberstand, während fast gleichzeitig im katholischen Bayern Kirche und Staat sich an einer Staatskirchenideologie besonderer Prägung versuchten. Honoratiorenvereine der Gründerzeit taten alles, um sich von den Arbeitervereinen abzusetzen und gaben sich dementsprechend besonders staats-oder kaisertreu, obwohl dieselben Vereine oft im Vormärz im Widerstand gegen den Staat entstanden waren -häufig unter erheblichen persönlichen Opfern ihrer Protagonisten.

Es verwundert nicht, daß in einer solchen Gemengelage von Motiven und Ausformungen, verbunden mit der Überhöhung des neuen Nationalstaates, dessen Schaffung ja nun auch selbst Ziel der Bemühungen vieler freiwilliger Vereinigungen nach 1813 gewesen war, die Entwicklung eines Zusammengehörigkeitsgefühls im Sektor oder gar einer Sicht der Gesellschaft, die solchen Organisationen einen eigenständigen Stellenwert zumaß, nicht stattfinden konnte. Einzelne Organisationen und ihre Mitglieder fühlten sich stets einem politischen Lager verpflichtet, nicht der Idee der Autonomie. Der Grundsatz eines „voluntary sector“ nach angelsächsischem Muster, der dem immer stärker werdenden Wohlfahrtsstaat gegenübertreten sollte, hatte hier keinen Entfaltungsraum. Die katholische Soziallehre, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts das Prinzip der Subsidiarität verfocht, ermöglichte zwar innerkirchlich, die notwendige Energie für den Aufbau eines starken katholischen Wohlfahrtsverbandes, des Deutschen Caritasverbandes, heute der größte nichtstaatliche Arbeitgeber in Deutschland, freizusetzen und immerhin, aber erst im Verlauf eines halben Jahrhunderts, für den Wohlfahrtsbereich den Vorrang nichtstaatlicher Trägerschaft festzuschreiben, entwickelte sich aber keineswegs zu einem allgemein gültigen Gesellschaftsmodell, sondern begründete im Gegenteil eine Fülle von Abhängigkeiten und Bindungen, die letztlich die Autonomie kirchlicherCaritas fast vollständig aushöhlten. So wird es geradezu als selbstverständlich angesehen, daß mit Steuer-oder Sozialversicherungsmitteln nicht die Leistung eines privaten gemeinnützigen Unternehmers vergütet, sondern ein staatlich vorgegebenes Angebot finanziert wird. Von der Besoldungsstruktur der Mitarbeiter bis zum geographischen Einzugsbereich der Tätigkeit liegen alle wesentlichen Entscheidungen außerhalb des unmittelbaren Einflusses des angeblich autonomen Trägers und untermauern, verbunden mit der auch im internationalen Vergleich extremen Dominanz des Staates bei der Finanzierung, eher ein korporatistisches denn ein autonomes Modell In anderen Bereichen gesellschaftlich wirksamen Handelns sieht es zum Teil deutlich anders aus. Im Bildungsbereich haben nichtstaatliche Träger den zum Teil durchaus geführten Kampf gegen ein einheitliches staatliches Schulsystem im wesentlichen verloren. Daß Hochschulabsolventen fast 20 Jahre in von staatlichen Regularien beherrschten Einrichtungen gelebt haben, hat zur Folge, daß 50 Prozent von ihnen in den Staatsdienst eintreten wollen. Auch der Kulturbereich hatte traditionell lange Zeit eine energisch von ihm selbst verfochtene so große Nähe zum Staat, daß er im Rahmen einer Bürgergesellschaft noch immer fast nicht in Erscheinung tritt. Hingegen sind etwa neue soziale Bewegungen, noch stärker aber die Förderung des ökologischen Bewußtseins, seit ihrem Entstehen fest in der Hand von Organisationen, die streng auf ihre Unabhängigkeit achten. Dieser Umstand freilich trägt dazu bei, daß die Staatsverwaltung für ihr Mißtrauen gegenüber dem Treiben von Kräften, die nach eigener Einschätzung dem allgemeinen Wohl dienen, nach ihrer Auffassung stets neue Nahrung erhält. Gleiches gilt natürlich für andere, besonders als Themenanwälte in Erscheinung tretende Organisationen, die es sich immer wieder zur Aufgabe machen, gegen politische Entscheidungen und Maßnahmen des Staates zu Felde zu ziehen.

III. Der bestehende Rahmen

Der gesetzliche Rahmen, der den Organisationen des Dritten Sektors ihre Handlungsmöglichkeiten eröffnet, ist nach wie vor auf zwei Grundprinzipien aufgebaut: zum einen auf dem vom Staat zu beurteilenden Nutzen für die Gemeinschaft, der allerdings allzuoft als Nutzen für die staatliche Verwaltung interpretiert wird; zum anderen auf der vom Staat auszuübenden Kontrolle. Es ist nur folgerichtig, daß etwa im Dezember 1998 der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber aus einem Korruptionsskandal beim (übrigens halb-staatlichen) Bayerischen Roten Kreuz weithin unwidersprochen die Forderung nach mehr staatlicher Kontrolle der Tätigkeit gemeinnütziger Organisationen abgeleitet hat.

Sind, so ist zu fragen, diese Grundlagen des Verhältnisses zwischen Staat und Drittem Sektor den oben genannten Herausforderungen angemessen, die auf ihn zukommen? Und: Gibt es eine Alternative? Auf den ersten Blick könnte man trotz der geschilderten Traditionen versucht sein, auf die erste Frage mit „Ja“ zu antworten. Das Grundgesetz führt die Vereinigungsfreiheit als Grundrecht auf; auch die Berechtigung, eine Stiftung zu errichten, läßt sich auf das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit zurückführen. Das Bürgerliche Gesetzbuch beschreibt Vereine und Stiftungen als juristische Personen, die im Rechts-und Geschäftsverkehr voll handlungsfähig sind. Gemeinnützige Genossenschaften, gemeinnützige Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung können gegründet werden und sind in der Tat in den letzten Jahrzehnten in großer Zahl gegründet worden. Der Sektor ist, nimmt man wirtschaftliche Kennzahlen zum Maßstab, stärker gewachsen als staatliche Bereiche oder die Wirtschaft. Und keineswegs hat alles, was innerhalb des Sektors geschah, immer das Wohl-wollen von Parlamenten und Regierungen gefunden. Soweit sind gewiß positive Rahmenbedingungen gegeben. Der Teufel allerdings steckt, wie so oft, im Detail. Nach wie vor bedürfen Stiftungen zu ihrer Entstehung einer staatlichen Genehmigung, wenn es auch wahrscheinlich ist, daß diese in absehbarer Zeit durch eine Registrierung ersetzt wird Nach wie vor kann der Eintragung eines Vereins in das bei den Amtsgerichten geführte Vereinsregister eine längere Auseinandersetzung mit den dortigen Mitarbeitern über Formalia, etwa der Satzungsgestaltung, vorangehen. Vor allem aber: Nur der Staatsverwaltung, sei es dem Vereinsregister, sei es der durchaus noch als Stiftungspolizei beschreibbaren Stiftungsbehörde, stehen Auskünfte über Tätigkeit und Finanzierung der Organisation zu.

Sehr viel gravierender ist der Umfang der staatlichen Einwirkung im Steuerrecht. So obliegt etwa die Prüfung, ob eine Tätigkeit der Allgemeinheit dient, der Behörde, die mit der Eintreibung von Steuern befaßt ist und zunächst darüber zu wachen hat, daß den öffentlichen Kassen so viele Steuern wie möglich zufließen. Es ist von daher folgerichtig, wenn die Zuerkennung der (steuerbefreienden) Gemeinnützigkeit eher restriktiv gehandhabt wird. Hinzu kommt, daß es den mit der Prüfung befaßten Beamten häufig auch bei bestem Willen an sachkundigem Einblick in die Natur der Tätigkeit einer gemeinnützigen Organisation mangelt. Vor allem aber sind sie weder in der Lage noch im Rahmen ihrer Aufgabenstellung legitimiert, neue Notwendigkeiten gemeinnütziger Tätigkeit zu erkennen oder gar zu fördern. So bleibt etwa die Förderung neuer Arbeitsformen oder von Maßnahmen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit durch Organisationen des Dritten Sektors gegenüber der durch ihre Kollegen im Ausland erheblich zurück, da diese von den Finanzbehörden regelmäßig als gemeinnützigkeitsschädliche Wirtschaftsförderung bewertet wird. Dagegen bleiben Arbeitsfelder, die längst auch von gewinnorientierten Unternehmen bearbeitet werden könnten, oft noch lange als gemeinnützig anerkannt -zumindest so lange, bis das europäische Wettbewerbs-recht, wie in Zukunft zu erwarten steht, dagegen einschreiten wird.

Daß die Arbeit gemeinnütziger Organisationen außerhalb Deutschlands nur schwer die fiskalische Anerkennung findet, da sie nicht der Gemeinschaft der deutschen Steuerzahler zugute käme, ist ein anderes Beispiel dafür, daß das traditionelle Kontrollsystem der modernen Wirklichkeit nicht mehr angemessen erscheint. Ein besonders extremes Beispiel obrigkeitsstaatlicher Einmischung ist die Bestimmung, daß gemeinnützige Organisationen mit kulturellen, ökologischen und einigen anderen Zwecken nicht selbst Spenden-quittungen ausstellen dürfen und eine öffentliche Körperschaft dies für sie tun muß (Durchlaufspendenverfahren). In Einzelfällen kommen sogar noch weiter gehende Einflußnahmen hinzu. Einer gemeinnützigen Organisation, die sich an Aktionen gegen Castor-Transporte beteiligt hatte, versuchte eine'Landesregierung allen Ernstes die Gemeinnützigkeit mit der Begründung abzuerkennen, solche Aktionen lägen nicht im öffentlichen Interesse. Für viele Organisationen des Dritten Sektors, insbesondere die Dienstleister, sind allerdings die durchgängig als Subventionen bezeichneten Zuwendungen der öffentlichen Hand das Instrument staatlicher Steuerung, Einflußnahme und Gängelung schlechthin Die gegenwärtige Systematik läßt zumindest den Verdacht aufkommen, daß diese bewußt als Instrumente der Abhängigmachung eingesetzt werden.

Das Subventionsdickicht hat bei aller Notwendigkeit der öffentlichen (Mit-) Finanzierung im Einzelfall dem Sektor viel von seiner Unabhängigkeit und seinem Innovationspotential genommen. Die Verpflichtung zur Einhaltung von einschneidenden Regelungen in bezug auf Leistungsangebot, Personalwirtschaft, Rechnungswesen usw. hat den gemeinnützigen Sektor in weiten Teilen zu einem Anhängsel des öffentlichen Dienstes werden lassen, als welcher er von den Bürgerinnen und Bürgern auch empfunden wird. Ideen-und Leistungswettbewerb, Besonderheiten in Grundsatzfragen, andersartige Qualitäten ehrenamtlicher Arbeit usw. sind unter Abstimmungsprozessen, Bewilligungsbedingungen, Rahmenverträgen und dergl.

verschüttet worden. Kein Wunder, daß Kernelemente der Autonomie des Dritten Sektors vor allem dort noch aufscheinen, wo Themenanwälte, die öffentliche Subventionen nicht erlangen wollen oder können, aktiv sind! Kein Wunder, daß in weiten Teilen des Sektors das Innovationspotential, das notwendig ist, um die Herausforderungen, die auf ihn zukommen, zu meistern, nicht hinreichend entwickelt ist! Kein Wunder, daß auch die Bürgerinnen und Bürger, die den Sektor durch das Stiften von Zeit, Engagement, Ideen und Mitteln tragen sollten, sich oft schwer tun, sich damit zu identifizieren! Kein Wunder, daß in Politik und Medien stereotype Vorurteile den Blick für das Entwicklungspotential fast vollständig verstellen! In diesen Zusammenhang paßt schließlich auch, daß Alternativen zu unserem letztlich unbefriedigenden Spendensystem kaum diskutiert werden, die immer wieder zu hörende Ansicht. Spenden hätten wegen ihrer Steuerentlastungskomponente Subventionscharakter, fast unwidersprochen bleibt. Der Sektor wird auch in diesem Zusammenhang allein als vom Staat geduldeter Erfüllungsgehilfe empfunden.

Die historische Tradition hat sich insgesamt gesehen in den 50 Jahren seit Inkrafttreten des Grundgesetzes linear fortgesetzt. Es wird verkannt, daß diese Organisationen dem an sie gestellten Anspruch eines Nährbodens für Entwicklungen, Ideen, Einbindung und damit Verhinderung vonAusschließung nur gerecht werden können, wenn sie solcher Fesseln möglichst ledig sind, sich in andere Verantwortlichkeiten aber viel stärker eingebunden sehen. Es kommt daher darauf an, Alternativen zu entwickeln.

IV. Ansätze einer Reform

Daß im Rahmen einer Reform auch ernsthaft bedacht werden muß, ob die bisherige Befreiung zielorientierter (nämlich gemeinnütziger) Unternehmen von Ertragssteuern nach wie vor mit europäischem Recht vereinbar und vor allem sinnvoll erscheint, ist gewiß eine offene Frage. Neben der grundsätzlichen Beibehaltung des bisherigen Systems (grundsätzliche Unterscheidung zwischen ziel-und gewinnorientierten Unternehmen) und seiner vollständigen Abschaffung (grundsätzliche Gleichstellung) wäre beispielsweise auch denkbar, auf die Ertragssteuern dann zu verzichten, wenn eine Körperschaft dem allgemeinen Wohl dient und nach Satzung und tatsächlicher Praxis Gewinne aus ihrer Tätigkeit nicht an privatnützige Eigentümer ausschüttet. Eine solche Regelung würde es den Organisationen immerhin gestatten, die Mittel für ihre Tätigkeit in einem so großen Umfang wie möglich selbst zu erwirtschaften. Ihre Arbeit ist regelmäßig dadurch gekennzeichnet, daß sie auf zusätzliche Einnahmen (Zuwendungen aus Steuermitteln, Stiftungsmittel, Spenden) angewiesen sind, da in vielen Fällen weder die erzielbaren Erlöse die Kosten decken, noch sie in größerem Umfang auf den Kapitalmarkt zurückgreifen können. (Träfe dieses beides nicht zu, spräche u. U. manches dafür, die Tätigkeit von einem ziel-auf ein gewinnorientiertes Unternehmen zu verlagern.) Nichtinanspruchnahme oder geringere Inanspruchnahme von Steuermitteln durch zielorientierte Unternehmen sollte jedenfalls nicht, wie es derzeit geschieht, zusätzlich bestraft werden. Einer der wesentlichen Grundsätze muß ein allgemeines Subsidiaritätsprinzip sein. Nicht nur, wie jetzt, das Verhältnis des Staates zu den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege oder zwischen Europäischer Kommission und Mitgliedsstaaten der EU, sondern das Verhältnis zwischen Staat, Wirtschaft und Drittem Sektor insgesamt muß von diesem Prinzip beherrscht sein. Dies schließt ein, daß die eine oder andere Aktivität, die traditionell vom Dritten Sektor wahrgenommen wurde, wohl auch von Wirtschaftsunternehmen übernommen wird. Im Sport ebenso wie in der Pflegeversicherung gibt es dazu Ansätze. Dies schließt aber auch ein, daß die Erbringung von Dienstleistungen, auch in Bereichen wie Bildung einschließlich Schule und Hochschule, Kultur usw., nicht nur dann privat ermöglicht wird, wenn und soweit der Staat hieran Bedarf hat, sondern daß dem privaten grundsätzlich der Vorrang vor dem öffentlichen Betrieb eingeräumt wird. Die Entscheidung, ob die Wirtschaft oder der Dritte Sektor im Einzelfall die oder der geeignete Durchführende ist, ist auch eine wirtschaftliche, vorrangig aber eine politische. Hier, nicht in der Regelung betrieblicher Einzelheiten, liegt die Verantwortung von Politik und Verwaltung.

Die Kontrollbefugnis über den Sektor kann nur zum kleineren Teil dem Staat obliegen, da dieser Eigeninteressen, auch Machtinteressen, vertritt und daher an einer Objektivität systemisch gehindert ist. Sie kommt sehr viel stärker der Öffentlichkeit zu. Es ist daher unabdingbar, daß Organisationen mit dem Status der Gemeinnützigkeit (wie in den USA) die Verpflichtung zur Veröffentlichung von Angaben über ihre Tätigkeit und ihr Finanz-gebaren übernehmen müssen. Diese Veröffentlichungspflicht würde zugleich die dringend notwendige Stärkung der öffentlichen Auseinandersetzung und der Grundlagenarbeit und Forschung bewirken, da die Verarbeitung der Informationen diese generieren würde. Zugleich würde das öffentliche Interesse an den Kernthemen des Dritten Sektors steigen und das übersteigerte Interesse an guten und schlechten Marginalien, etwa Jubiläen einerseits oder Korruptionsfällen andererseits, zurückgestuft werden. In diesem Zusammenhang ist auch über eine völlige Neuordnung des Spendenwesens nachzudenken. Die allen Umverteilungsansprüchen des Steuersystems zuwiderlaufende Koppelung der Abzugsfähigkeit von Spenden an das Individualeinkommen könnte beispielsweise (wie in Italien) durch ein an die Steuerpflicht gekoppeltes Pflichtspendensystem ersetzt werden. Nach diesem System führen Steuerpflichtige einen bestimmten Betrag -dort 8 %o (Promille) -ihrer Steuer an von ihnen selbst ausgesuchte gemeinnützige Körperschaften ab. Tun sie es nicht, kassiert der Fiskus den Betrag. Aus lalien ist zu hören, daß die Einbeziehung der Kirchensteuer in ein solches System von der Kirche dort nicht mehr negativ beurteilt wird. Die Beurteilung der Gemeinnützigkeit muß (ähnlich, aber nicht analog zu Großbritannien) einem Gremium überantwortet werden, das nicht gleichzeitig fiskalische Interessen hat. Eine gemischte, unabhängige Kommission muß auf gesellschaftliche Herausforderungen flexibel reagieren und, ggf.auch auf Zeit, Anliegen als gemeinnützig einstufen und damit steuerlich privilegieren können. Dazu zählt beispielsweise zur Zeit gewiß das Arbeitsproblem. Einer solchen Kommission ist Entscheidungsbefugnis auch im Einzelfall zuzumessen. Dabei ist allerdings darauf zu achten, daß diese nicht als Kartell auftritt, das Neuankömmlinge herauszuhalten versucht. Von entscheidender Bedeutung ist eine grundlegende Reform des staatlichen Subventionswesens. Analog zu den Niederlanden sollten Organisationen (einschließlich zu diesem Zweck zu schaffender) Vertragspartner mit beiderseits vereinbarten Leistungen, nicht Gnadenempfänger des Staates sein. Aus betrieblichen Fragestellungen seiner Partner muß sich der Staat heraushalten.

Zur Entsendung von Vertretern in die schon erwähnte Kommission und als Verhandlungspartner in Grundsatzangelegenheiten ist der Sektor aufzufordern, ein Gremium zu bilden, dem Repräsentanten aller Teile des Sektors (Sozialwesen, Kultur, Sport usw.) angehören. In diesem Gremium sollten und könnten manche Fragen, etwa zur Einheitlichkeit oder Abstufung gemeinnütziger Ziele, kontrovers, aber auch lösungsorientiert diskutiert werden, ohne daß der staatlichen Verwaltung oder gar dem Fiskus hierin eine Schiedsrichterrolle zugemessen werden müßte.

Die Bildung eines solchen Rates würde auch nach außen dokumentieren, daß ein großer Wurf in der Festlegung der Rahmenbedingungen für den Sektor angestrebt wird, der mit überholten Traditionen, aber auch mit der Jagd nach kurzfristigen Privilegien ebenso aufräumt wie mit dem Verdacht, allein die leeren Staatskassen machten ein paar, möglichst bald und geräuschlos auf dem Verwaltungswege wieder „zu kassierende“ Zugeständnisse notwendig.

V. Reform als Notwendigkeit

Ein südafrikanischer Richter hat kürzlich die grundsätzliche Aufgabe der drei Sektoren gesellschaftlich wirksamen Handelns wie folgt beschrieben: Der Staat hat zu regeln, was erlaubt und was unerlaubt ist. Die Wirtschaft ist dafür zuständig, was erfolgreich und was nicht erfolgreich ist. Der Dritte Sektor aber hat zu beurteilen, was gerecht und was ungerecht ist -wohl sicher eine besonders schwierige Aufgabe, für deren Bewältigung er bestmögliche Rahmenbedingungen benötigt und der Unterstützung aller Bürgerinnen und Bürger gewiß sein muß.

Der Dritte Sektor ist als großer Arbeitgeber über das jetzige Maß hinaus entgegen manchen Hoffnungen vermutlich ungeeignet. Und auch die Ansätze, ehrenamtliche Arbeit -in welcher Weise auch immer -zu entlohnen, gehen wohl fehl, da sie dem Sektor statt mehr Unabhängigkeit ein neues Korsett staatlicher Regeln bescheren und ihn in seiner Freiwilligkeit einschränken. Dort, in dem weder durch hoheitliche Gewalt noch durch die Zwänge der Erwerbswirtschaft bestimmten Freiraum, entfalten sich das kreative Chaos und die Verwirklichung von Bürgerpflichten, deren unsere Gesellschaft in einer Zeit des Abschieds von Nationalstaat und traditioneller Erwerbsarbeit am meisten bedarf.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe den Beitrag von Eckhard Priller, Annette Zimmer und Helmut K. Anheier in diesem Heft.

  2. Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung über die Förderung der Vereine und Stiftungen in Europa, Luxemburg 1997.

  3. Vgl. Robert Hettlage, Die Genossenschaften -Unternehmen oder Organisationen des Dritten Sektors?, in: Rupert Graf Strachwitz (Hrsg.), Dritter Sektor -Dritte Kraft. Versuch einer Standortbestimmung, Düsseldorf 1998, S. 141161, und Wolfgang Thiel, Selbsthilfe als Fremdhilfe'-über Struktur und Bedeutung der Arbeit von Selbsthilfegruppen, in: ebd., S. 327-347.

  4. Siehe den Beitrag von Gerd Mutz in diesem Heft.

  5. Vgl. Ralf Dahrendorf im mündlichen Vortrag, Eichstätt 1998.

  6. Vgl. Hans Joachim Meyer, Ansprache zum Abendessen, in: Gert Dahlmanns (Hrsg.), Gesellschaft im Umbau. Der gemeinnützige Sektor. Partner von Wirtschaft und Staat, München 1998, S. 35-39.

  7. Vgl. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Handbuch Stiftungen, Wiesbaden 1998.

  8. Vgl. Warnfried Dettling, Politik und Lebenswelt -Vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft, Gütersloh 1995.

  9. Vgl. Rupert Graf Strachwitz, Quo Vadis Dritter Sektor? Zur Rolle des Sektors in der öffentlichen Auseinandersetzung, in: R. Strachwitz (Anm. 3), S. 555-581.

  10. Vgl. Elmar Altvater, Markt und Demokratie in Zeiten von Globalisierung und ökologischer Krise, in: ders. u. a. (Hrsg.), Vernetzt und verstrickt, Nicht-Regierungs-Organisationen als gesellschaftliche Produktivkraft, Münster 1997, S. 239-256.

  11. Vgl. R. Strachwitz (Anm. 3).

  12. Vgl. Hans Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Band 1: Geschichte des Stiftungsrechts, Tübingen 1963.

  13. Vgl. Helmut K. Anheier/Wolfgang Seibel, Germany, in: Lester M. Salamon/Helmut K. Anheier (Hrsg.), Defining the Nonprofit Sector. A cross-national analysis, Manchester-New York 1997.

  14. Vgl. Karl-Heinz Boeßenecker, Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in der BRD -eine Einführung in Organisationsstruktur und Handlungsfelder, Münster 1995.

  15. Vgl. Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Innenausschuß, Tonbandabschrift über die Anhörung der Berichterstatter im Innenausschuß am Dienstag, dem 16. Juni 1998 in Bonn, Anhörung von Experten zum Thema Stiftungswesen, Bonn 1998.

  16. Vgl. Fritz Fliszar, Der subsidiäre Staat, in: G. Dahlmans (Anm. 6), S. 41-48.

Weitere Inhalte

Rupert Graf Strachwitz, M. A., geb. 1947; Studium der Politischen Wissenschaften und Geschichte an der Colgate University, USA, und an der Universität München; Direktor des Maecenata Instituts für Dritter-Sektor-Forschung, Berlin. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Stefan Toepler) Kulturförderung -mehr als Sponsoring, Wiesbaden 1993; Stiftungen nutzen, errichten und führen -ein Handbuch, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1996; Zu den Rahmenbedingungen für das Stiftungswesen in Deutschland, in: Helmut K. Anheier (Hrsg.), Stiftungen in der Bürgergesellschaft für eine Generation von Erben, München 1998; (Hrsg.) Dritter Sektor -Dritte Kraft. Versuch einer Standortbestimmung, Düsseldorf 1998.