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Strukturen einer Neuen Arbeitsgesellschaft. Der Zwang zur Gestaltung der Zeit | APuZ 9/1999 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 9/1999 Strukturen einer Neuen Arbeitsgesellschaft. Der Zwang zur Gestaltung der Zeit Der Dritte Sektor in Deutschland. Entwicklungen, Potentiale, Erwartungen Die Rahmenbedingungen des Dritten Sektors und ihre Reform Lernen als Beruf. Arbeit und Bildung in der Informations-und Wissensgesellschaft

Strukturen einer Neuen Arbeitsgesellschaft. Der Zwang zur Gestaltung der Zeit

Gerd Mutz

/ 21 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In unseren modernen Arbeitsgesellschaften bildet Erwerbsarbeit die zentrale Grundlage für gesellschaftliche Integration und Partizipation. Erwerbsgesellschaften können aber dann nicht mehr zufriedenstellend funktionieren, wenn ihre Basis, die Erwerbsarbeit selbst, immer schmaler wird und immer mehr Menchen zeitweise oder andauernd erwerbslos sind. Die Krise der Erwerbsgesellschaft muß jedoch nicht das Ende der Arbeitsgesellschaft bedeuten. Die Diagnose kann auch lauten, daß wir uns in Richtung einer Neuen Arbeitsgesellschaft bewegen, die den Begriff Arbeit aus der eingeschränkten Perspektive der Erwerbsarbeit löst. Die Neue Arbeitsgesellschaft schließt ein, daß in vielen Bereichen der Gesellschaft gearbeitet wird und daß viele dieser Tätigkeiten gesellschaftlich bedeutsam, aber aus der eingeschränkten Logik der Erwerbsgesellschaft nicht bezahlbar sind. In der Neuen Arbeitsgesellschaft kann sich diese starre Hierarchie der Arbeitswerte und die damit verknüpfte industrielle Zeitordnung auflösen. Es kann Durchlässigkeit zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Arbeitsfeldern entstehen, und die verschiedenen Zeitsegmente werden individuell gestaltbar. Die Neue Arbeitsgesellschaft ist eine Zeitgesellschaft, weil es zukünftig um die Problematik geht, wie Menschen ihre Lebenszeit verwenden. Auf der Basis dieser Überlegungen skizziert das detaillierte Münchner Modell ein konkretes Vorhaben, die eindimensionale Erwerbsgesellschaft in eine vielseitige Tätigkeitsgesellschaft mit vernetzten Arbeitsbereichen und Zeitsegmenten zu transformieren.

In unseren modernen Arbeitsgesellschaften haben sich Arbeits-und Lebensgemeinschaften sozial und räumlich auseinanderentwickelt. Erwerbsarbeiten werden über den Markt und „außerhalb des Hauses durchgeführt, während andere Tätigkeiten als nicht marktgängig gelten und privat in Familien (Haus-und Erziehungsarbeit), im Freundes-und Kollegenkreis, der Nachbarschaft und in anderen sozialen Netzwerken (in Vereinen, im freiwilligen Engagement, in der Selbsthilfe usw.) erbracht werden. Mit dieser Ausdifferenzierung haben sich zugleich unterschiedliche Bewertungen gesellschaftlichen Arbeitens durchgesetzt. Die marktförmige, sichtbare Erwerbsarbeit gilt als wertschöpfend und wird sozial anerkannt. Sie dominiert alle anderen Formen des Arbeitens und wirkt in besonderem Maße sinn-und identitätsstiftend. Andere Aktivitäten (wie Erziehungstätigkeiten oder das soziale Ehrenamt) werden zwar in einer ideellen Form sozial anerkannt, ihr Beitrag zur Wertschöpfung und zur persönlichen Identitätsstiftung wird aber geringer veranschlagt, als dies bei der Erwerbsarbeit der Fall ist. Erwerbsarbeit bildet die zentrale Grundlage zu gesellschaftlicher Integration und Partizipation.

I. Geringe Gestaltungsmöglichkeiten im Werte-und Zeitregime der Erwerbsgesellschaft

Abbildung 1: Triade der Arbeit

Die moderne Arbeitsgesellschaft hat eine starre Hierarchie der Wertigkeiten des gesellschaftlichen Arbeitens und eine wenig durchlässige Zeitordnung entwickelt, die den Menschen nur geringe Gestaltungsmöglichkeiten läßt. Mit der Ausdifferenzierung von . Arbeiten und Leben sind relativ feste Zeiteinteilungen im biologischen Lebensverlauf entstanden, die idealtypisch wie folgt verteilt sind: Menschen entwickeln im jungen Alter ihre Fähigkeiten in einer Schul-und Ausbildungsphase. Diese mündet in eine Phase der Erwerbsarbeit mit unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Ausgestaltungen: Im Falle einer Familiengründung unterbrechen Frauen, zumindest für die Erziehungsphase, ihre berufliche Tätigkeit, während Männer bis zum Rentenalter durchgängig in einem Vollzeitarbeitsverhältnis verbleiben (sollten), um die Familie zu ernähren. Schließlich endet die Erwerbsphase sehr abrupt und endgültig; es beginnt der Ruhestand und damit die ausgedehnte Phase der Freizeit. Die strikte Trennung der Zeit-segmente strukturiert darüber hinaus den Tag, die Wochen und die Lebensjahre .

Dieses starre Werte-und Zeitregime hat sich nicht naturwüchsig entwickelt, sondern wurde gesellschaftlich erst vor etwa 200 Jahren als eine Ausprägung moderner Arbeitsgesellschaften -nach den neuen Erfordernissen der erwerbsförmigen Fabrikarbeit -durchgesetzt Heute spricht vieles dafür, daß die westlichen Erwerbsgesellschaften des ausgehenden Jahrhunderts ihre Funktionsfähigkeit in mehrerlei Hinsicht eingebüßt haben. Sie erodieren nun, weil ihre Basis, die Erwerbsarbeit selbst, immer schmaler wird. Gesellschaftliche Integration und Partizipation vieler Menschen sind durch unfreiwillige Arbeitslosigkeit gefährdet, die zentralen Säulen der sozialen Sicherung (die Familie und der Sozialstaat) geraten unter Druck, während die normative Kraft der Erwerbsarbeit, die Erwerbs-orientierung, ungebrochen scheint: Immer mehr Menschen wollen Erwerbsarbeit ausüben -ökonomisch gesprochen: das Angebot an Arbeitskräften bzw. die Nachfrage nach Arbeitsplätzen steigt Gleichzeitig entwickeln sich im System der , alten, industriellen Erwerbsgesellschaft Strukturen einer Neuen Arbeitsgesellschaft: Auch wenn das Leben der Menschen an der Erwerbsarbeit ausgerichtet ist, bedeutet ihnen die Erwerbsarbeit nicht mehr alles. Es hat ein tiefgreifender Wertewandel stattgefunden.der im wesentlichen dazu geführt hat, daß trotz hoher Leistungsethik und ungebrochenem protestantischen Arbeitsethos andere Sphären des Lebens wichtiger geworden sind Die Stellung der Familie hat sich verändert, Menschen wollen mehr erwerbsarbeitsfreie Zeiten haben, um sich bürgerschaftlich zu engagieren oder Eigenarbeit zu leisten Es hat den Anschein, daß zumindest ein Teil der Menschen aus der engen Werte-und Zeitordnung ausbrechen möchte. Wenngleich darüber inzwischen breit diskutiert wird, so gibt es doch nur wenige konkrete oder gar realisierte Modelle, die dies ermöglichen. Ein solches Modell, das nun in München erprobt werden soll, wird in den Kapiteln V bis VIII ausführlich vorgestellt. Es zeigt Wege, wie die Dominanz der Erwerbsarbeit , aufgebro-chen‘ werden kann und wie die festen Zeitsegmente durchlässiger werden könnten.

II. Technische, gesellschaftliche und politische Veränderungen gefährden die Basis von Erwerbsgesellschaften

Abbildung 2: Bürgerschaftliches Engagement als Bildung

In den ausgehenden siebziger bzw. beginnenden achtziger Jahren hat eine neue Ära der Technisierung der Produktion (Digitalisierung), gesellschaftlicher Umbrüche (sektoraler Wandel und Individualisierung) und politischer Veränderungen (Liberalisierung) die Struktur der uns vertrauten Erwerbsgesellschaften grundlegend verändert Die Anwendung digitaler Produktionsteclmologien ermöglicht eine hohe Produktivität kapitalistischen Wirtschaftens Immer mehr Waren werden mit weniger menschlicher Arbeitskraft hergestellt. Unternehmen brauchen auch dann weniger Arbeitskräfte, wenn der Absatz zunimmt (eine steigende Nachfrage nach Autos erfordert nicht mehr automatisch eine Zunahme der Beschäftigten im Automobilgewerbe). Man spricht vom jobless growth bzw. vom „Kapitalismus ohne Arbeit“ Folge dieser Entwicklung ist, daß die Nachfrage nach Arbeitskräften sinkt

Zudem hat es in der Nachkriegszeit einen sektoralen Wandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft gegeben. Der Dienstleistungssektor hat sich aber entgegen der vielen Hoffnungen nicht als , Auffangbecken für Arbeitskräfte industrieller Rationalisierungswellen erwiesen -eher sogar als eine Sackgasse Digitalisierung und Produktivitätssteigerungen verursachen bereits jetzt in Dienstleistungsbereichen gravierende Umbrüche, die ebenfalls zu einem Rückgang der Nachfrage nach Arbeitskräften führen.

Die gesellschaftlichen Veränderungen haben aber auch zu einer gegenläufigen Entwicklung geführt. Der Prozeß der Individualisierung hat bewirkt, daß Menschen von traditionellen Bindungen unabhängiger geworden sind Soziale und regionale Herkunft, geschlechtsspezifische und familiäre Rollen haben an Bedeutung verloren. Männer und Frauen drängen verstärkt auf den Arbeitsmarkt, weil sie auf Erwerbsarbeit angewiesen sind, um ihr Leben unabhängig und eigenständig führen zu können. Die Erwerbsorientierung der Menschen hat zugenommen und das Angebot an Arbeitskräften ist dadurch stetig angestiegen.

Die politisch wie wirtschaftlich durchgesetzte Liberalisierung hatte insbesondere Auswirkungen auf die Kapital-und Arbeitsmärkte. Die Liberalisierung der Kapitalmärkte hat dazu geführt, daß Unternehmen entscheiden können, ob sie in die Warenproduktion investieren und damit neue Arbeitsplätze schaffen oder ob sie die erwirtschafteten Überschüsse auf dem weltweit vernetzten Kapitalmarkt , arbeiten lassen. Die eine Variante ist mit einem hohen Risiko und geringer Verzinsung, die andere Möglichkeit war (bislang) mit einem kalkulierbaren Risiko und hohen Renditeaussichten verbunden. Im Zweifel legten die Unternehmen die erwirtschafteten Gewinne deshalb am Kapitalmarkt an Die in den vergangenen Dekaden (im Vergleich zu den Lohneinkommen) überproportional gestiegenen Unternehmensgewinne wurden größtenteils nicht reinvestiert So sind trotz wirtschaftlichen Erfolges keine zusätzlichen Arbeitsplätze in entsprechender Zahl entstanden. Dies (und nicht, wie so häufig behauptet, der , Export von Arbeitsplätzen) ist das Kernproblem von Globalisierungs-Prozessen

Die Liberalisierung der Arbeitsmärkte hat zur Folge, daß der Anteil der Normalarbeitsverhältnisse (dauerhafte, sozialversicherungspflichtige und tariflich gebundene Vollbeschäftigungsverhältnisse) seit den siebziger Jahren kontinuierlich abgenommen hat. Derzeit arbeiten nur noch rund zwei Drittel der Beschäftigten in Normal-arbeitsverhältnissen, bereits ein Drittel hat unsichere Beschäftigungsverhältnisse Infolgedessen erleben viele Menschen (und nicht mehr nur die sogenannten Risikogruppen) wiederkehrende und länger andauernde Phasen der Arbeitslosigkeit.

III. Die Neue Arbeitsgesellschaft erfordert eine Gestaltung der Triade der Arbeit

Abbildung 3: Stabiles Bürgerschaftliches Engagement

In den meisten wirtschafts-und sozialwissenschaftlichen Debatten wird ein weiterer Rückgang der Nachfrage nach Arbeitskräften und ein gleichzeitiger Anstieg des Arbeitskräfteangebots prognostiziert Die Schere wird sich also weiter öffnen. Es ist unübersehbar, daß Vollbeschäftigung nur eine kurze Phase in der Entwicklung moderner Gesellschaften war und daß die auf Vollbeschäftigung aufbauenden Institutionen des Wohlfahrtsstaates und seine sozialen Einrichtungen ihre Aufgaben auch zukünftig immer weniger werden erfüllen können

Es ist zweifelhaft, ob es der Erwerbsgesellschaft nochmals gelingen kann, die durchaus vorhandene gesellschaftliche Arbeit in bezahlte Normalarbeitsverhältnisse zu überführen -dies ist um so unwahrscheinlicher, je stärker auch die Politik der , Neuen Linken Europas'weiterhin (in Kontinuität zu den , Konservativ-Liberalen') nur auf wirtschaftliches Wachstum und Erwerbsarbeit setzt.

Wenn diese Bedenken berechtigt sind, dann wurden die bisherigen Debatten um die , Krise der Arbeitsgesellschaft'zu eng geführt. Nicht bedacht wurde, daß diese , Krise'möglicherweise keine vorübergehende Erscheinung, sondern bereits das Ende der Erwerbsgesellschaft, nicht jedoch das Ende der Arbeitsgesellschaft sein könnte. Wir würden uns in Richtung einer Neuen Arbeitsgesellschaft bewegen, die den Begriff Arbeit aus der eingeschränkten Perspektive der Erwerbsar beit löst und gleichzeitig anerkennt, daß wir jetzt und auch in absehbarer Zukunft in einer Gesellschaft leben, in der der arbeitende Mensch im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Geschehens steht. Die Neue Arbeitsgesellschaft ist, ebenso wie die derzeitige Erwerbsgesellschaft, eine besondere Ausprägung der Arbeitsgesellschaft. Sie schließt ein, daß in vielen Bereichen der Gesellschaft gearbeitet wird und viele dieser Tätigkeiten gesellschaftlich bedeutsam, aber aus der eingeschränkten Logik der Erwerbsgesellschaft nicht bezahlbar sind.

Alle Arbeitsformen können abgebildet werden in einer Triade der Arbeit mit den Elementen Erwerbsarbeit (gesellschaftlich nützliche bezahlte Tätigkeiten im privaten, öffentlichen und Non-Profit-Sektor), Eigenarbeit (individuell nützliche personenbezogene Arbeit) und bürgerschaftliches Engagement (nützliche gemeinschaftsbezogene Arbeit, wie etwa Ehrenamt, Netzwerkarbeit und öffentlich-gemeinnützige Arbeit). Es gibt erste empirische Hinweise dafür, daß sich das Gefüge innerhalb der Triade der Arbeit qualitativ verändert: Die unterschiedlichen Arbeitsformen werden von einem Teil der Menschen nicht länger in einem Spannungsverhältnis, sondern als Ergänzung zueinander gesehen. Menschen suchen nach Möglichkeiten, neben der zunehmend instabilen Erwerbsarbeit andere Tätigkeitsfelder zu erschließen. Arbeitszeitmodelle, die sich auf die gesamte Lebenszeit beziehen, werden in weiten Kreisen debattiert.

Das Aufbrechen des Erwerbsarbeitregimes und eine größere Durchlässigkeit zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Arbeitsfeldern verändert nicht nur die bisherige arbeitsbezogene Wertehierarchie, sie erfordert vor allen Dingen die Gestaltung unterschiedlicher Tätigkeitsfelder. Wenn der Verbleib in den Tätigkeitsfeldern der Triade der Arbeit immer weniger durch die Dominanz der Erwerbsarbeit bestimmt wird, dann ist es notwendig, daß die Menschen in Kooperation und Absprache mit den Unternehmen sowie den sozialen, ökologischen und kulturellen Einrichtungen selbst entscheiden, wann sie wo in welcher Form tätig sein wollen. Soziologisch gesprochen hätten wir es mit einem neuen , Individualisierungsschub zu tun, der mit Chancen der Gestaltung und Risiken des Scheiterns verbunden ist.

IV. Die Neue Arbeitsgesellschaft ist eine Zeitgesellschaft

Abbildung 4: Das Münchner Vier-Schichten-Modell

Die Gestaltung des Verbleibs in den Tätigkeitsfeldern der Triade der Arbeit und eine normative Veränderung der arbeitsbezogenen Wertehierarchie ist die eine Seite der Neuen Arbeitsgesellschaft. Die andere, ebenso wichtige Seite ist ein Umdenken in bezug auf unsere Zeitordnung Wenn Lebenszeit immer weniger geprägt ist von der Zeit, die wir in der Erwerbsarbeit verbringen, dann wird sich die starre Zeitordnung der uns vertrauten Erwerbsgesellschaft auflösen.

Erstens verändert sich der Blickwinkel auf die Zeitsegmente: Nicht mehr Arbeitszeit und Freizeit sind die zentralen Pole. Wir stellen vielmehr fest, daß wir in vielen Zeitsegmenten arbeiten und in den übrigen gar nicht „frei’ sind. Die uns gängige Einteilung war geprägt von der industriegesellschaftlichen Sichtweise, nach der die Menschen einen Teil des Tages bzw.des Lebens in der Erwerbsarbeit verbringen, während der andere Teil zur freien Verfügung stand. Die Entwicklung digitaler Techniken wird jedoch dazu führen, daß die getrennten Zeit-Raum-Zonen zumindest teilweise wieder zusammenwachsen. Wenn zusätzlich die gesellschaftliche Dominanz der Erwerbsarbeit erodiert, dann ist es immer weniger angemessen, das Leben dichotomisch nach dem Entweder-Oder-Prinzip in Arbeitszeit und Freizeit aufzuteilen. Sinnvoller wäre die Unterscheidung mehrerer Zeitsegmente, nämlich Erwerbs-Zeit, Bildungs-Zeit, Bürger-Zeit, Familien-Zeit und Eigen-Zeit.

Im übrigen war das industrielle Muster immer schon eingeengt auf die männliche Wirklichkeit der Erwerbsarbeit. Für Frauen gab es in den Erwerbsgesellschaften stets eine von der Erwerbs-Zeit sozial und räumlich getrennte Familien-Zeit Auch die Bildungs-Zeit, in der junge Menschen in die Gesellschaft hineinwachsen, war streng vom Arbeitsleben getrennt und dennoch nicht als , FreiZeit zu bezeichnen.

Wenn wir uns von der eingeschränkten Perspektive der Erwerbsgesellschaft lösen, dann wird zweitens deutlich, daß das eigentliche Problem nicht darin besteht, wo wir in welchen Bereichen wie lange arbeiten, sondern wodurch wir während unserer Lebenszeit (und nicht nur durch unsere Erwerbs-Zeit) in diese Gesellschaft integriert sind und an ihr teilhaben können. Dazugehören und mitwirken in dem sozialen Umfeld ist der zentrale Punkt jeglicher menschlicher Existenz.

Im Grunde ist nicht Arbeit die knappe Ressource in unserem Leben, sondern Zeit. Denn es gibt genug Arbeit, aber die Erwerbsgesellschaft schafft es nicht, diese in bezahlte Erwerbsarbeit zu transformieren. In dieser Hinsicht ist die Neue Arbeitsgesellschaft eine Zeitgesellschaft, weil es um die Problematik geht, wie wir Lebenszeit verwenden. Menschen werden sich in unterschiedlichen Zeitzonen bewegen, die sie gestalten können -und müssen.

Die Erwerbs-Zeit wird weiterhin wichtig sein, aber nicht den Lebensrhythmus bestimmen; in dieser stetig schrumpfenden Phase werden Menschen ihre Arbeitskraft einsetzen, um einen Teil ihres Einkommens zu erzielen. Erwerbs-Zeit kann dis-kontinuierlich sein und von anderen Zeitsegmenten unterbrochen werden. Dies kann beispielsweise die Bildungs-Zeit sein, die zukünftig stärker während des gesamten Lebensverlaufs von Bedeutung sein wird. Frauen und Männer werden sich zukünftig gleichberechtigt oder auch gemeinsam Zeit für die Familienphase nehmen können. Wenn wir die Gestaltung von Lebens-Zeit (und Erwerbs-Zeit-Konten) in einem größeren Rahmen denken, wird diese Wahl möglich sein.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist es auch sinnvoller, von Eigen-Zeit und nicht von Freizeit zu sprechen. Dieser Begriff bringt zum Ausdruck, daß nicht mehr im Vordergrund steht, daß diese Zeit „frei’ von Erwerbsarbeit ist, sondern daß es sich um eine Zeitphase handelt, die nach den eigenen privaten Bedürfnissen gestaltet werden kann: In der Eigen-Zeit können Menschen arbeiten, sich bilden, faulenzen, reisen usw.

In der Neuen Arbeitsgesellschaft wird die Sozial-Zeit beziehungsweise, präziser ausgedrückt, die Bürger-Zeit eine wichtige und umfängliche Rolle spielen. Dies ist ein Zeitsegment für bürgerschaftliches Engagement, das zukünftig nicht nur eine soziale, sondern vor allen Dingen eine partizipative und zivilgesellschaftliche Funktion einnehmen wird Deshalb kann die Arbeit in der Bürger-Zeit eine Einkommensquelle werden, die das traditionelle Erwerbseinkommen ergänzt oder als eine Form des Bürgergelds die Basis des Lebenseinkommens bildet.

V. Die Neue Arbeitsgesellschaft erfordert die flexible Gestaltung unterschiedlicher Zeitsegmente: das Münchner Modell

Abbildung 5: Das Dialogzentrum Freiwilligen-Agentur

Das Münchner Modell wurde auf der Basis der vorangegangenen Überlegungen entwickelt. Es skizziert eine Möglichkeit, die eindimensionale Erwerbsgesellschaft in eine vielseitige Tätigkeitsgesellschaft mit vernetzten, unterschiedlichen Zeitsegmenten zu transformieren Ziel des Modells ist es, den Wechsel zwischen den unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und Zeitsegmenten attraktiv zu machen und den Menschen zu ermöglichen, diese gemäß ihren jeweiligen Bedürfnissen zu kombinieren und aktiv zu gestalten. Zudem können die bisherigen geschlechtsspezifischen Aufteilungen von (männlicher) Erwerbsarbeit und (weiblicher) Haushalts-, Familien-und zusätzlicher Erwerbsarbeit durchbrochen werden. Dazu ist es notwendig, daß alle Institutionen kooperieren, die direkt oder indirekt am Arbeitsmarktgeschehen einer Region beteiligt sind.

Das Modellvorhaben beinhaltet mehrere Varianten: 1. Bürgerschaftliches Engagement als Bildung Viele Unternehmen sehen die Herausforderung, daß die sozialen und kommunikativen Kompetenzen ihrer Mitarbeiter zukünftig bedeutsamer werden. Entsprechende Qualifikationen können nur in geringem Maße im betrieblichen Ablauf oder in den üblichen Lehrgängen erworben werden. Dagegen liegen außerhalb des Betriebes, in den vielfältigen Bereichen des Bürgerschaftlichen Engagements, solche sozialen und kommunikativen Lernfelder. Den Mitarbeitern von Unternehmen, die sich an diesem Modellversuch beteiligen, soll angeboten werden, zur Weiterqualifikation oder als Bildungsurlaub praktische Erfahrungen in diesen Arbeitsfeldern zu sammeln. Diese Bildungsphase wird professionell vorbereitet, begleitet und nachbereitet Es gibt immer mehr Unternehmen, die sich (wie in den USA beispielsweise üblich) in der Verantwortung sehen, das soziale, ökologische und kulturelle Umfeld außerhalb des Betriebes mitzugestalten. Sie wollen zivilgesellschaftlich aktiv sein. Diese Unternehmen können im Rahmen des Münchner Modells ihren interessierten Mitarbeitern folgende Möglichkeit anbieten: Die Erwerbsarbeit kann um bis zu 20 Stunden pro Monat reduziert werden, wenn diese Zeit für Bürgerschaftliches Engagement genutzt wird. Diese 20 Stunden können monatlich, jährlich oder kumuliert bis zu einem Zeitraum von sieben Jahren in Anspruch genommen werden. Auch in dieser Zeit ist ein professionelles Coaching vorgesehen

Beschäftigte, die sich an den Varianten , Bürgerschaftliches Engagement als Bildung und , Stabiles Bürgerschaftliches Engagement beteiligen, bleiben während dieser Zeit Beschäftigte der Betriebe (als erwerbsarbeitsfreie Erwerbstätige). Sie sollen bis zu 70 Prozent des aktuellen Nettolohns erhalten und sozialversichert bleiben; der Einkommens-unterschied wird aus Geldern einer Stiftung (siehe unten) ausgeglichen. 3. Eigenarbeit während der Eigen-Zeit Bei der Eigenarbeit finden Menschen Gelegenheit, , endlich einmal ihren persönlichen Vorstellungen und Neigungen nachzugehen (dies kann der Entwurf und Bau eigener Möbel oder die Vertiefung künstlerischer Fertigkeiten sein). Sie können in Gemeinschaft mit anderen in einem öffentlichen Stadtteilhaus Dinge selbst herstellen und so ihre Kreativität erproben (bspw. im Münchner Haus der Eigenarbeit oder in , New Work‘-Zentren) In Absprache mit den beteiligten Unternehmen und unter Berücksichtigung der konkreten Arbeitsplatzsituation können Mitarbeiter bis zu einem Jahr in der Eigen-Zeit verbringen. Beschäftigte, die sich für Eigenarbeiten entscheiden, werden in dieser Zeit keinen Lohnausgleich erhalten, sie sollen allerdings sozialversichert bleiben. 4. Bürgerschaftliches Engagement in der Arbeitslosigkeit Die Arbeitsverwaltung soll arbeitslose Menschen ermutigen, sich im Rahmen des Münchner Modells bürgerschaftlich zu engagieren. Dies muß grundsätzlich freiwillig geschehen. Ziel ist der Erhalt der fachlichen und sozialen Qualifikationen sowie die Integration der Menschen. Arbeitslose, die sich bürgerschaftlich engagieren wollen, sollen die bisherigen Transferzahlungen und eine zusätzliche Aufwandsentschädigung aus Stiftungsgeldern erhalten.

VI. Aktive Bürger schaffen Sozialkapital

Abbildung 6: Die Stiftung Bürgerschaftliches Engagement

Das Münchner Modell spricht Menschen an, die nicht nur aktive Mitarbeiter, sondern auch aktive Mitbürger sein wollen; Menschen, die neben der Erwerbsarbeit , immer schon 1 etwas anderes machen wollten. Sie gewinnen damit einen oder mehrere zusätzliche Tätigkeitsbereiche, die sie selbstbestimmt und nach eigenen Interessen gestalten können. Es wird ihnen ermöglicht, flexibel in unterschiedlichen Welten zu arbeiten, ihr Fähigkeitsspektrum zu erweitern und differenzierte Perspektiven zu entwickeln, die sie jeweils für die verschiedenen Bereiche fruchtbar machen können. Sie lernen, vernetzt zu denken, und erlangen , Grenzgänger-Kompetenzen'. Bürgerschaftliches Engagement als Bildung kann auch eine Erprobungsphase sein, in der Mitarbeiter nach ihren dauerhaften Engagementfeldern suchen.

In der Eigenarbeit stellen Menschen selbstbestimmt und . eigensinnig'in eigener Zeit-Regie Dinge nach ihren Wünschen her. Sie können dabei ihre Fähigkeiten erproben, kreativ sein, sich bilden und zudem Tätigkeitsfelder erschließen, die auch neben der Erwerbsarbeit für ihr Leben bedeutsam sind.

Menschen, die sich in der Phase der Bürger-und Eigen-Zeit befinden, reduzieren damit ihre Erwerbs-Zeit und entlasten so den Arbeitsmarkt. Durch Bürgerschaftliches Engagement entsteht soziales Kapital in der Gesellschaft; Eigeninitiative und Verantwortung werden gestärkt; der soziale Nahbereich wird selbstbestimmt gestaltet; die Kommunen werden entlastet; das Subsidiaritätsprinzip kann mit neuem Leben gefüllt werden: das Engagement der Bürger hat Vorrang vor staatlichen Zuständigkeiten. Menschen sind integriert, selbst wenn sie vorübergehend nicht erwerbstätig sind. Die neuen Erfahrungen in den unterschiedlichen Tätigkeiten können die dauerhafte Bereitschaft zu Teilzeitarbeit fördern.

Die Unternehmen erhalten lernende, kreative und innovative Mitarbeiter, die sich in unterschiedlichen Welten bewegen können. Diese verfügen über soziale und kommunikative Kompetenzen und stärken das Sozialkapital des Unternehmens. Die Unterstützung Bürgerschaftlichen Engagements wirkt positiv auf das unternehmerische Image und ist darüber hinaus eine Investition für den Unternehmensstandort.

Für die sozialen, ökologischen und kulturellen Einrichtungen ist es von Vorteil, wenn ihnen zeitweise fachkompetente Mitarbeiter (aus einer , anderen Weit') zur Verfügung stehen. Gefördert wird die stärkere und flexible Vernetzung zwischen den Bürgern und diesen Einrichtungen.

VII. Die Stiftung Bürgerschaftliches Engagement bildet das finanzielle Fundament

Im Münchner Modell ist ein Stiftungsrat der kooperierenden Organisationen vorgesehen, der alle beteiligten Institutionen umfaßt (Unternehmen/Gewerkschaften, Kommune/Land. Arbeitsverwaltung und Vertreter der sozialen, ökologischen und kulturellen Einrichtungen). Der Stiftungsrat setzt ein Dialogzentrum ein, das Unternehmen, Beschäftigte sowie soziale, ökologische und kulturelle Einrichtungen zusammenführt. Dieses Dialogzentrum ist das Herz des Münchner Modells-. Es koordiniert das . Brauchen'der sozialen, ökologischen und kulturellen Einsatzfelder, den . Bedarf'der Unternehmen, das , Wollen'und , Können'der interessierten Mitarbeiter sowie die übergeordneten allgemeinen . Belange der Region'. Ein vom Stiftungsrat beauftragter Ausschuß muß die Gemeinnützigkeit der Tätigkeitsfelder gewährleisten. Ein unabhängiges Dialogzentrum bietet Kooperationsmöglichkeiten für neue und bereits bestehende Bürgerinstitutionen an (wie etwa Frei-willigen-Agentur, New Work-Zentrum, Existenz-gründer-Haus, Haus der Eigenarbeit).

Der Stiftungsrat bildet die Stiftung Bürgerschaftliches Engagement, die sich aus Einlagen der beteiligten Organisationen, Erblassungen und Spenden finanziert. Diese Konzeption ist von dem Grundgedanken getragen, möglichst alle Partner des Arbeitsmarktgeschehens bei Berücksichtigung ihrer Finanzkraft relativ gleichmäßig zu belasten, weil für alle beteiligten Institutionen -in je unterschiedlicher Weise -ein Nutzen entsteht. Je mehr Einlagen eingeworben werden können, desto größer kann der Kreis der Begünstigten sein.

VIII. In der Neuen Arbeitsgesellschaft können sich aktive Bürger entfalten

Das Münchner Modell basiert auf der Einsicht, daß im Zeitalter von Europäischer Union und Euro eine nationale Arbeitsmarktpolitik nur noch geringe Einflußmöglichkeiten hat, jedoch die lokale Ebene im sozialen Nahbereich dann gestaltbar ist, wenn alle arbeitsmarktrelevanten Institutionen , vor Ort’ Zusammenwirken. Das Modellvorhaben ist ein konkreter Vorschlag, die flexible Kombination unterschiedlicher Tätigkeitsfelder und die Gestaltung von verschiedenen Zeitsegmenten zu institutionalisieren und damit den Übergang von einer Erwerbsgesellschaft zu einer Neuen Arbeitsgesellschaft zu erleichtern. Auf diese Weise kann es gelingen, das alte , eherne Gehäuse der Erwerbsarbeit in Form des Normal-arbeitsverhältnisses und die starre industrielle Zeitordnung aufzubrechen.

Das Münchner Modell nutzt die Erfahrung, daß ein , Sich-Bilden‘ in allen Lebensbereichen und Altersstufen möglich ist und daß deshalb auch ein Wissenstransfer zwischen den gesellschaftlichen Arbeitsfeldern stattfinden kann. Bildungs-Zeiten werden in und außerhalb der Erwerbs-Zeit ermöglicht. Gefördert wird ein Bewußtseinswandel: Unterschiedliche Formen des Arbeitens erhalten neue Wertigkeiten, und Zeitsegmente werden gestaltbar. In der Neuen Arbeitsgesellschaft kann der Wirtschafts-und Erwerbsmensch zum aktiven Bürger werden, der seine Lebenswelt sozial engagiert, ökologisch verantwortlich und kulturell kompetent mitgestaltet.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dies ist nicht selbstverständlich. So ist etwa in den asiatischen Kulturen zu beobachten, daß sich Erwerbs-, Frei-, Familien-und Bildungszeit ständig durchmischen -je nach sozialen Erfordernissen.

  2. Zur Einübung dieser Ordnungen der Neuzeit vgl. Hubert Treiber/Heinz Steinert, Die Fabrikation des zuverlässigen Menschen, München 1980, sowie die umfangreichen Studien von Michel Foucault, etwa: Die Ordnung der Dinge, Frankfurt am Main 1971. Zur Entwicklung entsprechender Selbst-kontrollen siehe die Untersuchungen von Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt am Main 1976. Zur Rolle der Sozialpolitik bei der Durchsetzung von Wert-und Zeitordnungen vgl. die Beiträge in Ulrich Rödel/Tim Guldimann, Starnberger Studien 2, Frankfurt am Main 1978, und Gerd Mutz, Sozialpolitik als soziale Kontrolle, München 1983.

  3. Zur Entwicklung der Erwerbsorientierung vgl. Gerd Mutz/Irene Kühnlein/Boris Holzer, Struktur der Erwerbsorientierungen und Beschäftigungserwartungen west-und ostdeutscher Erwerbspersonen (Gutachten im Auftrag der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen), in: Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland. Entwicklung, Ursachen und Maßnahmen. Anlagenband 1. Zukunft der Arbeit sowie Entkopplung von Erwerbsarbeit und sozialer Sicherung, Bonn 1998.

  4. Die Zentralität der Erwerbsarbeit'hat abgenommen. Siehe dazu ebenfalls G. Mutz/I. Kühnlein/B. Holzer (Anm. 3). Als Klassiker der WertewändeIforschung sind immer noch lesenswert: Ronald Inglehart, Kultureller Umbruch. Wertewandel in der westlichen Welt, Frankfurt am Main 1989, und Helmut Klages, Wertorientierung im Wandel. Frankfurt am Main -München 1984. Präzisierende bzw. kritische Stellungnahmen werden bspw. formuliert von Karl Hinrichs/Helmut Wiesenthal, Arbeitswerte und Arbeitszeit. Zur Pluralisierung von Wertmustern und Zeitverwendungswünschen in der modernen Industriegesellschaft, in: Claus Offe (Hrsg.), Arbeitszeitpolitik, Frankfurt am Main -New York 1982, und Peter Pawlowsky, Arbeitseinstellungen im Wandel, München 1986. Siehe auch die Beiträge in: Lutz von Rosenstiel (Hrsg.), Wertewandel. Herausforderungen für die'Unternehmenspolitik in den 90er Jahren, Stuttgart 1993.

  5. Zur Struktur moderner Familien vgl. die Studie von Hans Bertram, Familien leben: neue Wege zur flexiblen Gestaltung von Lebenszeit, Arbeitszeit und Familienzeit, Gütersloh 1997, und Franz-Xaver Kaufmann, Modernisierungsschübe, Familie und Sozialstaat, München 1996; zur Veränderung des freiwilligen Engagements siehe die Untersuchung von Rolf G. Heinze/Heiner Keupp, Gesellschaftliche Bedeutung von Tätigkeiten außerhalb der Erwerbsarbeit (Gutachten im Auftrag der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen), in: Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland. Entwicklung, Ursachen und Maßnahmen. Anlagenband 3. Zukunft der Arbeit sowie Entkopplung von Erwerbsarbeit und sozialer Sicherung, Bonn 1998. Eine Untersuchung zur Eigenarbeit wurde vorgelegt von Gerd Mutz/Irene Kühnlein/Martina Burda-Viering/Boris Holzer, Eigenarbeit hat einen Ort. Öffentliche Eigenarbeit im „Haus der Eigenarbeit“, München 1997; siehe auch: Irene Kühnlein, Weniger Erwerbsarbeit -mehr Eigenarbeit? Chancen und Potentiale Öffentlicher Eigenarbeit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 48-49/97, S. 41-46. und Elisabeth Redler, Tätigkeit statt Warenkauf, in: Politische Ökologie, 16(1998) 54, S. 65-67.

  6. Die folgenden Ausführungen zum Thema . Zukunft der Arbeit'sind nicht unumstritten. In den unterschiedlichen Ländern wurden von verschiedenen Autoren und Kommissionen zum Teil gleichlautende, zum Teil auch widersprechende Diagnosen formuliert. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier genannt: Ulrich Beck, Kapitalismus ohne Arbeit, in: Der Spiegel, Nr. 20 vom 13. Mai 1996, S. 140-146; Frithjof Bergmann, Die Neue Arbeit: Skizze mit Vorschlag, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 48 (1997) 910, S. 524-534; DGB EXPO 2000 Büro (Hrsg.), Die Zukunft der Arbeit im globalisierten Kapitalismus, Hannover 1996; Walter Eichendorf (Hrsg.), We can work it out. Beiträge zur Zukunft der Arbeit, Wiesbaden 1998; EKD (Hrsg.), Arbeit für alle? (Arbeitshilfe Aktuelle Informationen Nr. 32, hrsg. von der Gymnasialpädagogischen Materialstelle der Evangelischen Lutherischen Kirche) 1996; Andre Gorz, Arbeit zwischen Elend und Utopie, Frankfurt am Main 1998; Orio Giarini/Patrick M. Liedtke, Wie wir arbeiten werden. Der neue Bericht an den Club of Rome, Hamburg 1998; Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland. Entwicklung, Ursachen und Maßnahmen (3 Bände), Bonn 1997; Christian Lutz, Leben und Arbeiten in der Zukunft, München 1995; Geoff Mulgan, Life After Politics. New Thinking for the Twenty-First Century, London 1997; Gerd Mutz, Zukunft der Arbeit. Chancen für eine Tätigkeitsgesellschaft?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 48-49/97, S. 31-40; Jeremy Rifkin, The End of Work, New York 1995; Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen des Landes Berlin (Hrsg.), Die Sackgassen der Zukunftskommissionen, Berlin 1998; Helmut Saiger, Die Zukunft der Arbeit liegt nicht im Beruf, München 1998; Georg Vobruba, Ende der Vollbeschäftigungsgesellschaft, in: Zeitschrift für Sozialreform, 44 (1998), S. 77-99; Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung, Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sozialer Zusammenhalt, ökologische Nachhaltigkeit. Drei Ziele -ein Weg, Bonn 1998.

  7. Zur Bedeutung digitaler Techniken vgl. Wolfgang Bonß, j Arbeitsmarktbezogene Zukunftsszenarien (Gutachten im Auftrag der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen), in: Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland. Entwicklung, Ursachen und Maßnahmen. Anlagenband 3 (Anm. 5).

  8. Vgl. U. Beck (Anm. 6), S. 145.

  9. Hinzu kommt, daß die Unternehmen für digitale Produktionsverfahren meist qualifizierte Erwerbspersonen brauchen, weshalb gering Qualifizierte schlechtere Arbeitsmarktchancen haben. Häufig zählen sie zu den Langzeit-arbeitslosen.

  10. Zum sektoralen Wandel vgl. Walt Whitman Rostow, Stadien wirtschaftlichen Wachstums, Göttingen 1967. Zur qualitativen Dimension der Dienstleistungsgesellschaft siehe Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt am Main 1975. Zur Ambivalenz der Dienstleistungsbeschäftigung vgl. Martin Baethge/Herbert Oberbeck, Dienstleistungssektor als Auffangnetz?, in: Soziale Welt, 36 (1985) 3, S. 226-241; Gerd Mutz, Arbeitslosigkeit in der Dienstleistungsgesellschaft, in: ebd., 38 (1987) 3, S. 255-281.

  11. Zur Individualisierung siehe Ulrich Beck, Risikogesellschaft, Frankfurt am Main 1986. Eine hilfreiche Präzisierung des Begriffs haben Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim später formuliert: Riskante Freiheiten, Frankfurt am Main 1994.

  12. Dieser Aspekt ist mit dem Begriff . Kasinokapitalismus trefflich erfaßt. Vgl. Susan Strange, Casino Capitalism, New York 1986.

  13. Siehe die Berechnungen in: Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen (Anm. 6) und Dieter Eißel, Lohn-und Sozialabbau zur Rettung des Standorts Deutschland?, in: Stefan Hormuth, Gießener Diskurse, Sozialstaat, Band 16, Gießen 1998.

  14. Die Debatte, wie Globalisierungsprozesse erstens begrifflich zu fassen und zweitens in ihren Auswirkungen einzuschätzen sind, verläuft außerordentlich kontrovers. In der (Fach-) Öffentlichkeit werden seit Jahrzehnten lediglich die häufig bekannten Formen der Internationalisierung diskutiert. Zum tieferen Verständnis nützlich sind die Ausführungen in: Wolfgang Bonß (Anm. 7), und Karl-Heinz Paque, Weltwirtschaftlicher Strukturwandel und die Folgen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 49/95, S. 3-9.

  15. Siehe Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen (Anm. 6). Zur Bedeutung dieser unsicheren Beschäftigungsverhältnisse vgl. Gerd Mutz, Dynamische Arbeitslosigkeit und diskontinuierliche Erwerbs-verläufe. Wie stehen die Chancen für eine zukünftige Tätigkeitsgesellschaft?, in: Berliner Debatte Initial. 6 (1997) 5, S. 23-36.

  16. Vgl. die in Anm. 6 genannten Publikationen

  17. Vgl. Peter A. Berger/Peter Sopp, Bewegte Zeiten? Zur Differenzierung von Erwerbsverlaufsmustern in Westdeutschland, in: Zeitschrift für Soziologie, 21 (1992) 3, S. 166-185 und Burkart Lutz, Der kurze Traum immerwährender Prosperität, Frankfurt am Main 1984.

  18. In dieser Hinsicht müssen neue Modelle erdacht werden; eine Fülle von Anregungen finden sich bspw. in: Warnfried Dettling, Politik und Lebenswelt. Vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft, Gütersloh 1995, und ders., Wirtschaftskummerland? Wege aus der Modernisierungsfalle, München 1998; sowie: Adalbert Evers, Part of the Welfare Mix. Their Impact on Work, Social Services and Welfare Policies, Boulder -Frankfurt am Main 1995; ders. /Thomas Olk, Wohlfahrtspluralismus. Vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft, Opladen 1996.

  19. Strukturelemente einer . Neuen Arbeitsgesellschaft'wurden (mit einer etwas anderen Akzentuierung) von Hanns-Georg Brose fomuliert: Auf dem Wege in eine neue Arbeitsgemeinschaft -Fragestellungen und Forschungsperspektiven (unveröffentlichtes Manuskript, beruhend auf dem Vortrag „A Sociology of Work in an New Working Society“ vor dem

  20. Siehe Gerd Mutz, Triade der Arbeit. Bürgerschaftliches Engagement in der Tätigkeitsgesellschaft, in: Impuls, (1998) 5, S. 6-7 und Tätigkeitsgesellschaft, in: Politische Ökologie, 16 (1998) 54, S. 59-60.

  21. Das Thema Bürgerarbeit bzw. bürgerschaftliches Engagement wird etwa seit 1995 in Deutschland sehr kontrovers diskutiert; zu den verschiedenen Ansätzen vgl. die Beiträge, in: Helmut Dubiel, Ungewißheit und Politik, Frankfurt am Main 1994; Georgios Chatzimarkakis/Holger Hinte (Hrsg.), Brücken zwischen Freiheit und Gemeinsinn, Bonn 1999; Ernst Kistler/Heinz-Herbert Noll/Eckard Preller (Hrsg.), Perspektiven gesellschaftlichen Zusammenhalts, Berlin 1999. Siehe auch: Ulrich Beck, Freiwillig, aber nicht umsonst, in: Politische Ökologie, 16 (1998) 54, S. 61-64; R. G. Heinze/H. Keupp (Anm. 5); Gerd Mutz/Irene Kühnlein, Die Tätigkeitsgesellschaft, in: Universitas, 53 (1998) 8, S. 751-758.

  22. Über den Umgang mit gesellschaftlicher Zeit vgl. Karl-heinz A. Geißler, Zeit leben, Weinheim 1997; ders., Die Nonstop-Gesellschaft und ihr Preis, Stuttgart 1998.

  23. Zu diesen sozial-räumlichen Ausdifferenzierungen siehe die Eingangsbemerkungen zu diesem Beitrag.

  24. Zum Gedanken der Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse vgl. Adelheid Biesecker, Arbeitsgesellschaft? Tätigkeitsgesellschaft? Mitgestaltungsgesellschaft?, in: Kempfenhausener Notizen, 6(1998), 12, S. 6-11.

  25. Siehe die genannten Autoren in Anm. 21.

  26. Die Entwicklung dieses Modellvorhabens wurde vom Sozialreferat der Landeshauptstadt München unterstützt. Es befindet sich derzeit noch in der wissenschaftlichen und sozialpolitischen Diskussionsphase, erste Elemente werden im Jahr 1999 als Modellversuch realisiert. Als theoretisches Modell wurde es bereits skizziert in: Gerd Mutz, Von der Erwerbsgesellschaft zur Tätigkeitsgesellschaft. Das Münchner Modell, in: W. Eichendorf (Anm. 6) und Gerd Mutz, Neue Wege der Erwerbsarbeit: Bürgerschaftliches Engagement in der Tätigkeitsgesellschaft. Das Münchner Modell, in: DVPB aktuell (hrsg. von der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung), 6 (1998) 4, S. 5-7.

  27. Vorbild für dieses Element des Münchner Modells ist das in Zürich praktizierte Konzept . Seitenwechsel*. Vgl. Lucie Hauser, Das Projekt , Seitenwechsel*, in: Civitas (Monatszeitschrift für Politik und Kultur), (1998) 7/8, S. 151-154; Charlotte Spindler, Sozialkompetenz durch Gemüserüsten, in: Tages-Anzeiger vom 21. August 1996, S. 6, und Horst Peter Wickel, Wenn Manager weinen, in: Süddeutsche Zeitung vom 21. /22. November 1998, S. Vl/1.

  28. Dies entspricht einem Zeit-Modell, das in den USA (sowohl von großen als auch von kleinen Firmen) vielfach praktiziert wird. Siehe Jonathan Alter, Powell’s New War, in: Newsweek vom 28. April 1997, S. 30-35.

  29. Vgl. I. Kühnlein und E. Redler (Anm. 5) sowie F. Bergmann (Anm. 6).

Weitere Inhalte

Gerd Mutz, Dr. rer. pol., PD, geb. 1952; seit 1981 wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Bamberg und Hagen sowie der Münchner Projektgruppe für Sozialforschung (MPS); Mitarbeit in der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen; Privatdozent an der Universität Konstanz. Zahlreiche Veröffentlichungen im Bereich der interkulturellen Arbeitssoziologie (Neue Arbeitsgesellschaft, Zukunft der Arbeit, Kultur der Arbeit in USA und [Süd-]Ostasien).