Die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts hat im Bereich der Medizin Möglichkeiten eröffnet, die man vor einer Generation noch als Science-fiction abgetan hätte. Die Entstehung des menschlichen Lebens ist ihres Geheimnisses entkleidet und wird in vielen Fällen in das Labor verlegt. Die Gentechnik ermöglicht nicht nur die Analyse der Erbinformation, sondern auch manipulierende Eingriffe in dieselbe. Aufsehen erregt hat das Klonen von Säugetieren, wobei nahezu erbgleiche Abbilder eines Originals nach-gezeugt, Mehrlinge mit fast identischen Eigenschaften künstlich hergestellt werden. Diese Methode ist grundsätzlich auch auf den Menschen übertragbar. Neues Leben könnte dann sogar einem Erwachsenen nachgebildet werden. Die Transplantationsmedizin kann Organe von lebenden und toten Menschen, bald auch von Tieren, auf andere Menschen übertragen und so deren Leben um einige Jahre verlängern. Die Intensiv-medizin ermöglicht es, Menschen am Leben zu erhalten oder wieder ins Leben zurückzurufen, die vor nicht allzu langer Zeit als tot gegolten haben.
Die ungebrochene Entwicklung der biomedizinischen Wissenschaften, ihre ständig wachsenden Möglichkeiten und zunehmende Komplexität stellen zugleich aber auch den Sinn ihres Handelns auf vielen Gebieten in Frage. Die Träume und Alpträume des modernen Lebens stehen sich in kaum einem anderen Bereich so schroff gegenüber wie gerade in der Medizin Die Ansichten widersprechen sich, und die traditionelle Ethik scheint zunächst auf viele Fragen keine Antwort bereitzuhalten. Prinzipien, die bislang die ethische Verantwortung des einzelnen bestimmten, sind ins Wanken geraten, und das persönliche Gewissen ist von einer allgemeinen Unsicherheit ergriffen. Der Ruf nach Ethikkommissionen und zuweilen auch nach dem Gesetzgeber wird laut.
Vor diesem nur skizzenhaft angedeuteten Hintergrund sind die Bemühungen um eine Bioethik und das Projekt einer Bioethikkonvention zu sehen Ich werde zunächst den Begriff Bioethik erläutern, weil er für manche keine gängige Vokabel und für andere eher negativ besetzt ist. Danach wird das Gesamtvorhaben der Bioethikkonvention vorgestellt und schließlich auf die sensiblen und strittigen Punkte eingegangen.
I. Bioethik als Bestandteil der praktischen Ethik
Wer heute von Bioethik spricht, läuft Gefahr, in eine Ecke mit dem äußerst umstrittenen australischen Bioethiker Peter Singer gestellt zu werden Dem möchte ich von vornherein Vorbeugen. Der Begriff Bioethik wird hier als neutraler Begriff gebraucht d. h., es ist damit keinerlei Behauptung und Beurteilung und schon gar nicht eine ideologische oder polemische Absicht verbunden. So gebrauchen beispielsweise auch neueste vatikanische Dokumente den Begriff Bioethik ohne Argwohn synonym mit dem der Lebensethik Bioethik ist ein Teilbereich der Ethik, näherhin eine Subdisziplin der angewandten Ethik Unter Ethik versteht man bekanntlich die Lehre vom richtigen und guten Handeln. Das ethisch Richtige ist auch das menschlich Richtige, und es ist Aufgabe der Ethik, die Verbindlichkeit der optimalen Entfaltung des Menschen zu artikulieren und zu begründen. Die Fragestellungen angewandter Ethik sind vielfältig und betreffen beinahe alle Lebensbereiche, heute bevorzugt solche, in denen öffentliche Institutionen und politische Handlungsoptionen eine Rolle spielen. Bioethik ist keine Sonderethik mit eigenen Prinzipien oder Regeln und auch keine bestimmte Richtung der Ethik, wie etwa eine utilitaristische oder gar biologistische Ethik. Bioethik ist auch keine Spezialethik für Biologen und Mediziner, sondern „der Versuch, generelle moralische Prinzipien in einem besonderen Bereich anzuwenden und zur Geltung zu bringen. Ihr Thema ist die begründete Stellungnahme zu und die moralische Bewertung von Eingriffen aller Art in menschliches, tierisches wie pflanzliches Leben“ Zur Bioethik zählen daher neben der biomedizinischen Ethik auch die Tierethik, Teile der Umwelt-oder ökologischen Ethik und ebenso die auf diese Bereiche bezogene Forschung. Von der medizinischen Ethik unterscheidet sich die Bioethik durch eine weiter gefaßte und zum Teil auch anders formulierte Fragestellung. Bei der medizinischen Ethik steht überwiegend das ärztliche Ethos, und hier insbesondere das Arzt-Patienten-Verhältnis im Mittelpunkt, die Bioethik hat generell die aus dem Fortschritt der biologischen Wissenschaft und der Medizin erwachsenden Probleme zu ihrem Gegenstand.
Seiner Herkunft nach stammt der Begriff Bioethik aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum, wo er einerseits anfänglich nach negativen Erfahrungen ideologisch mißbrauchter medizinischer Wissenschaft in der NS-Zeit, andererseits aber unter einer unaufhaltsam innovatorischen Entwicklung der biomedizinischen Forschung seit Beginn der fünfziger Jahre entstanden ist.
Daß für nicht wenige Menschen der Begriff Bioethik eine Herausforderung darstellt und für manche zu einem Reizwort geworden ist, hat wohl folgende Gründe: 1. Zu den ethischen Theorien, die in der Bioethik angewandt werden, zählt vornehmlich der Utilitarismus, der hierzulande nicht gerade zu den etablierten und vertrauten ethischen Modellen gehört. 2. In der angelsächsischen Bioethik führte ethisches Nachdenken zu Konsequenzen, die unserer ethischen Tradition und moralischen Intui tion radikal widersprechen: Zu denken ist etwa an die ethische Rechtfertigung des Infantizids (Kindestötung), die straffreie Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe oder die radikale Kritik an unserem Umgang mit Tieren. 3. Die Unbefangenheit, mit der in der angelsächsischen Bioethik etwa über Euthanasie und den Wert des Lebens diskutiert wird, stößt in Deutschland mit gutem Grund auf Vorbehalte.
Die von angelsächsischen Bioethikern formulierten, von unserem Standpunkt her gesehen vielleicht fragwürdigen ethischen Urteile hätten sich aber auch von anderen Ethiken her erzielen lassen, z. B. von einer medizinischen Ethik, einer ökologischen Ethik oder auch von der Rechtsphilosophie. Das ethische Urteil hängt also nicht von dem Begriff ab, mit dem eine Ethik näherhin charakterisiert wird, sondern von den ihr zugrunde liegenden Werten, Prinzipien und Menschenbildern.
Der Begriff Bioethik ist nicht nur in den angelsächsischen Ländern, sondern inzwischen auch international eingeführt. Man wird künftig nicht darauf verzichten können, auch wenn er für manche Menschen negativ eingefärbt ist. Ich plädiere daher für die neutrale Verwendung des Begriffes Bioethik und verstehe darunter die rationale Überprüfung moralisch relevanten oder moralisch zu bewertenden Verhaltens gegenüber (bedrohtem) Leben.
II. Internationalisierung der Entscheidungsfindung
Gerade für unsere Zeit ist festzustellen, daß einerseits die beispiellos erweiterten technischen Möglichkeiten des Zugriffs auf die Natur eine immer bedrohlicher werdende biotechnische Krise herbeiführen, daß jedoch andererseits Bedrohungen nicht mehr durch stabile Traditionen aufgefangen, sondern zusätzlich von einer Erosion der traditionellen Moral begleitet werden. Wenn nun der Europarat angesichts dieser Krise „den Schutz der Menschenwürde sowie der Grundrechte und -freiheiten des Menschen“ (Präambel) in den Bereichen Biologie und Medizin durch eine „Bioethikkonvention“ gewährleisten will -so das erklärte Ziel -, ist dies grundsätzlich zu begrüßen. Der Begriff „Bioethikkonvention“ war der ursprüngliche Kurztitel der Entwurfsfassungen, ist aber auch heute noch vielfach in Gebrauch. Der offizielle Titel der Konvention lautet nunmehr: „Überein-kommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin.“
Der Europarat steht mit dem Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin in der Tradition seiner rund 150 Konventionen, durch die gemeinsame Normen auf den Gebieten der Menschen-und Bürgerrechte, des Straf-und Zivil-rechts, der Bildung und Kultur, des Naturschutzes und des Sozialrechts geschaffen wurden. Am wichtigsten sind darunter die Menschenrechtskonvention von 1950 und die Europäische Sozialcharta von 1961.
Angesichts der grenzüberschreitenden wissenschaftlichen Zusammenarbeit und eines europäischen Wirtschaftsraumes besteht auf europäischer Ebene ein dringendes Bedürfnis nach einheitlichen Schutzstandards, die nun im Hinblick auf biomedizinische Fragestellungen in einer Bioethikkonvention festgelegt werden sollen. Ziel der Konvention ist somit die Schaffung eines rechtlichen Rahmens, der die Aufweichung der ethischen Maßstäbe verhindern soll, wie sie zwangsläufig dann eintritt, wenn in der Forschung und am Markt derjenige Mitgliedsstaat mit Standortvorteilen belohnt wird, der die ethisch-rechtlichen Grenzen besonders niedrig ansetzt.
III. Menschenwürde als Maßstab
Als Orientierungsmarke für einen ethisch-rechtlichen Rahmenkonsens hat der Europarat die Menschenwürde sowie die daraus resultierenden Grundrechte und -freiheiten gewählt Nichts lag näher, als diesen aus der geistigen Tradition Europas entstandenen Gedanken aufzugreifen. Menschenwürde ist für alle Menschen als die Grundlage erkennbar, auf der unsere Gesellschaft als eine humane und pluralistische existiert. Menschenwürde bringt auch in besonderer Weise das ethische Grundanliegen der modernen Welt zum Ausdruck. Sie scheint der allgemeinste Nenner zu sein, auf den gegenwärtig alle Forderungen nach Humanität bezogen werden. Menschenwürde ist somit der Titel, unter dem wir das Humanum begreifen und wirksam zu schützen versuchen. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wurde die Unantastbarkeit der Würde des Men-sehen vor allem auch deshalb aufgenommen, um einem in ähnliche Richtung gehenden Mißbrauch der Medizin, wie er in der NS-Zeit geschah, zu wehren.
Von theologisch-ethischer Seite kann man diesen Rückgriff auf die Menschenwürde nur unterstützen. Die rein auf Vernunft gegründete Auslegung des unbedingten Anspruchs der menschlichen Würde durch die Moderne wird hier überschritten bzw. vertieft. Der Kern einer theologischen Begründung der Menschenwürde liegt in der Behauptung, daß Grund und Ziel des Menschen nicht in diesem selbst zu suchen sind. Sie gründet auch nicht in aufweisbaren Fähigkeiten und Qualitäten des Menschen, sondern in der Transzendenz, die der christliche Glaube Gott nennt. Bei einer derart begründeten Menschenwürde ist einer Verfügbarkeit des Menschen über andere Menschen jegliche Grundlage entzogen. Schon an dieser Stelle ist darauf aufmerksam zu machen, daß es in dem Vertragswerk nicht nur um eine Proklamation der Menschenwürde in der Präambel gehen darf, sondern um ihre Konkretisierung und Erprobung in den einzelnen Anwendungsbereichen.
IV. Geschichtliche Stationen
Obwohl bioethische Themen unterschiedlicher Art seit 1976 von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates wiederholt initiiert und beraten wurden, ist die jetzt vorliegende Bioethikkonvention eine Auftragsarbeit der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Diese empfahl 1990 dem Ministerkomitee des Europarates, den Lenkungsausschuß für Bioethik eine solche Rahmen-konvention -gedacht als Erweiterung der europäischen Menschenrechtskonvention -ausarbeiten zu lassen.
Der jetzige Text hat viele Vorläufer. Als im Mai 1994 ein bis dahin geheimgehaltener Entwurf an die Öffentlichkeit gelangte, hat dieser vor allem in Deutschland heftige Kritik erfahren. Nicht übersehen werden darf in diesem Zusammenhang, daß die ethischen Probleme der Biomedizin in Deutschland vor allem aufgrund der Verbrechen der Medizin im sogenannten Dritten Reich kritischer als in vielen anderen Ländern gesehen werden. Im Oktober 1995 lehnte die Parlamentarische Versammlung des Europarates den Entwurf einstimmig ab und verwies ihn in die zuständigen Aus-schüsse. Am 2. Februar 1996 erfolgte eine erneute Beratung durch die Parlamentarische Versammlung mit 16 konkreten Änderungswünschen.
Die zwischenzeitlich geführte Diskussion über die Konvention, die Erörterung des Themas im Bundestag und Bundesrat und die zahlreichen kritischen Anmerkungen der wissenschaftlichen Fach-vertreter, der Kirchen, Behindertenverbände und Angehörigenorganisationen waren nicht umsonst Die Kritik bezog sich insbesondere auf folgende Punkte: Eingriffe in die körperliche Integrität bei einwilligungsunfähigen Personen, Durchführung genetischer Tests, mangelnder Datenschutz, fremdnützige Forschung an einwilligungsunfähigen Personen und Forschung an Embryonen.
Die neue Fassung hat gegenüber den vorausgegangenen Entwürfen nicht nur einen neuen Titel erhalten und einen neuen stringenten Gesamtaufbau erfahren, durch Verbesserung problematischer Bestimmungen und durch Hereinnahme von Themen, die zunächst in Protokollen behandelt werden sollten, in den Haupttext ist man der vorgebrachten Kritik in etlichen Punkten gerecht geworden.
Am 7. Juni 1996 wurde die Konvention vom Lenkungsausschuß für Bioethik (CDBI) angenommen. 31 Länder stimmten für den Entwurf, Belgien und Zypern enthielten sich der Stimme. Allein die deutsche Delegation stimmte dagegen. Der damalige Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig begründete die Ablehnung damit, daß die vor allem auf Drängen der Bundesregierung angebrachten Verbesserungen insgesamt nicht so weit aufgenommen wurden, daß dem Text bereits zugestimmt werden könnte.
Am 20. September 1996 lehnte das Europäische Parlament die Konvention mit Mehrheit ab, forderte eine klare Absage an die Keimbahntherapie, stärkeren Schutz für nichteinwilligungsfähige Menschen und einen strengen Datenschutz für Gen-test-Ergebnisse.
Am 26. September 1996 stimmte die Parlamentarische Versammlung des Europarates dem Konventionsentwurf gegen die Stimmen der meisten deut sehen Abgeordneten zu. Das Plenum band sein Votum aber an zahlreiche Auflagen zur Nachbesserung, u. a. bei der Embryonenforschung, beim Datenschutz, bei Gentests und der Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen.
Am 19. November 1996 votierten schließlich im Ministerkomitee des Europarates von 38 anwesenden Außenministern 35 für die Konvention. Deutschland, Polen und Belgien enthielten sich der Stimme. Mit dem Beschluß der Konvention im Ministerkomitee ist das Verfahren offiziell beendet. Die Bundesregierung begründete ihre Enthaltung damit, daß sie zunächst die weitere Diskussion in den parlamentarischen Gremien und in der Öffentlichkeit abwarten und erst nach Fortgang der Debatte eine Entscheidung über die Unterzeichnung und die Einleitung eines Gesetzgebungsvorhabens zur Ratifizierung treffen wolle. Der Text des Übereinkommens ist in englischer und französischer Sprache ausgefertigt und nur in diesen Sprachen verbindlich.
Die Auflegung zur Unterzeichnung der Konvention erfolgte am 4. April 1997 im spanischen Orviedo. Zu den (vorläufigen) Nichtunterzeichnern gehören neben Deutschland zum Beispiel die Schweiz, Polen und Österreich und erstaunlicherweise auch Großbritannien. Unterzeichnet haben dagegen: Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Island, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Rumänien, San Marino, die Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, die Türkei und die ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien.
In Deutschland findet die kritische Auseinandersetzung mit der Konvention und die Diskussion über eine Unterzeichnung und Ratifikation in unterschiedlichen Initiativen ihre Fortsetzung. In seiner Stellungnahme vom 11. September 1997 unterstützte das Zentralkomitee der deutschen Katholiken eine Unterzeichnung und Ratifikation des Übereinkommens.
Am 30. Oktober 1997 forderten Bundestagsabgeordnete von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen in einer Resolution die Überprüfung der Konvention in einer Bundestagsanhörung. Dieses „Bündnis für Menschenrechte“ veranstaltete am 5. Februar 1998 im Bonner Wasserwerk einen „Dialog zur Bioethik“, wobei man zu dem Ergebnis kam, der Bundesregierung von einer Unterzeichnung der Konvention abzuraten.
Wohl als Reaktion darauf ist ein Antrag vom 10. Februar 1998 zu sehen, den 30 Abgeordnete von CDU/CSU, SPD und F. D. P. in den Bundestag einbringen wollten und der die Bundesregierung zur Unterzeichnung aufforderte. Der Antrag wurde dann später von 140 Abgeordneten von CDU/CSU, SPD und F. D. P. unterstützt.
Eine Anhörung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages am 25. März 1998 spiegelte das unterschiedliche Meinungsspektrum der Bevölkerung zu der Konvention auch bei den Sachverständigen wider. Die vorgetragenen Statements reichten von einer Empfehlung zur Unterzeichnung über eine Selbstverpflichtung und Interpretation des Deutschen Bundestages vor einer Unterzeichnung bis hin zur Ablehnung der Unterzeichnung. Einig war man sich jedoch in der Auffassung, daß eine Unterzeichnung der Konvention keinesfalls zu einer Aufhebung höherer deutscher Standards führen und eine Nichtunterzeichnung nicht daran hindern darf, die teilweise höheren Standards der Konvention in deutsches Recht zu übernehmen.
Gemäß einem Antrag vom 2. Juli 1998 von 154 Abgeordneten aller Parteien soll der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordern, vor einer Zeichnung der Konvention dem Bundestag ausgiebig Gelegenheit zur Befassung mit der Materie zu geben, die Unterzeichnung nicht zu übereilen und erst dann eine Entscheidung über die Unterzeichnung zu treffen, wenn die angekündigten Zusatzprotokolle vorliegen und individuelle Klagemöglichkeiten gegen Verletzungen des Über-einkommens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingeführt würden.
Für eine solche Vorgehensweise, daß entgegen dem sonstigen Verfahren noch vor einer eventuellen Unterzeichnung eine Debatte im Deutschen Bundestag stattfinden sollte, hatte sich schon sehr früh die ehemalige Bundesregierung ausgesprochen. Eine solche Vorgehensweise bietet nicht zuletzt noch einmal die Gelegenheit für eine offene Diskussion über die ethische und rechtliche Vertretbarkeit der zu regelnden Materie.
Die Koalitionsvereinbarung der neuen Bundesregierung enthält entgegen früheren Ankündigungen keinen eigenen Passus zur Bioethikkonvention. Fachthemen aus derselben werden jedoch im Kapitel über Umweltschutz erwähnt. Für eine eventuelle Unterzeichnung des Übereinkommens durch die Bundesrepublik Deutschland gibt es keinen Zeitrahmen. Nach einer Unterzeichnung müßte das Bundesministerium für Justiz ein Ratifizierungsgesetz fertigen, dem Bundestag und Bundesrat zuzustimmen hätten. Ohne diese Ratifikation erlangt die Konvention keine Geltung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
V. Inhalt der Konvention und Protokolle
Die Konvention ist in 14 Kapitel eingeteilt und enthält 38 Einzelartikel. Um einen Gesamtüberblick zu bekommen, sollen die in der Konvention behandelten Themen wenigstens stichwortartig aufgelistet werden.
Kapitel I enthält allgemeine Bestimmungen. Art. 1 erläutert Gegenstand und Ziel der Konvention, Art. 2 betont die Vorrangigkeit des Menschen gegenüber Gesellschaft und Wissenschaft, Art. 3 den gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung, Art. 4 erinnert an die beruflichen Pflichten und Standards der im Gesundheitswesen Tätigen. Kapitel II behandelt die Einwilligung. Art. 5 formuliert dazu die allgemeinen Bestimmungen, Art. 6 regelt den Schutz von einwilligungsunfähigen Personen, Art. 7 den Schutz von Personen mit psychischer Störung, Art. 8 bezieht sich auf Eingriffe in Notfällen, Art. 9 verweist auf früher geäußerte Wünsche. Das Kapitel III ist der Privatsphäre und dem Recht auf Auskunft gewidmet und enthält den gleichnamigen Art. 10. Kapitel IV hat das menschliche Genom zum Thema. Art. 11 spricht ein Diskriminierungsverbot im Hinblick auf das genetische Erbe aus, Art. 12 behandelt prädiktive genetische Tests, Art. 13 bezieht sich auf Eingriffe in das menschliche Genom, und Art. 14 verbietet die Geschlechtswahl. Das Kapitel V erörtert die wissenschaftliche Forschung. Art. 15 enthält dazu die allgemeinen Bestimmungen, Art. 16 ist dem Schutz der Personen gewidmet, an denen geforscht wird, Art. 17 regelt den Schutz von jenen Personen, die unfähig sind, in Forschungen einzuwilligen, Art. 18 hat die Embryonenforschung „in vitro“ zum Thema. Kapitel VI behandelt die Entnahme von Organen und Geweben von Lebendspendern für Transplantationszwecke. Art. 19 formuliert dazu allgemeine Bestimmungen und Art. 20 den Schutz für jene Personen, die hierzu einwilligungsunfähig sind. Kapitel VII verbietet in Art. 21 die finanzielle Gewinnerzielung und regelt in Art. 22 die Verwendung eines entnommenen Körperteils. Im Kapitel VIII werden in den Artikeln 23-25 Verstöße gegen die Konventionsbestimmungen angeführt. Kapitel IX erläutert das Verhältnis zwischen dieser Konvention und anderen Bestimmungen. Art. 26 regelt, daß Festlegungen der Konvention nur eingeschränkt werden dürfen, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist, zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, zur Verhinderung von Verbrechen und zur Gewährleistung der öffentlichen Gesundheit sowie der Rechte und Freiheiten anderer. Wichtig und zu begrüßen ist der neu hinzugekommene Absatz 2, wonach wichtige Bestimmungen der Konvention auf keinen Fall eingeschränkt werden dürfen: das Diskriminierungsverbot (Art. 11); das Verbot, in das menschliche Genom einzugreifen, wenn dies nicht präventiven, therapeutischen oder diagnostischen Zwecken dient (Art. 13); das Verbot der Geschlechtswahl (Art. 14); der Schutz von Pro-banden (Art. 16); der Schutz von Nichteinwilligungsfähigen (Art. 17); die allgemeinen und speziellen Regelungen bei der Organentnahme von Lebendspendern (Art. 19 und 20) und schließlich das Verbot von Gewinnerzielung im Hinblick auf entnommene Körperteile (Art. 21). Art. 27 sagt aus, daß es den Mitgliedstaaten freisteht, weiter gehende Schutzmaßnahmen im Hinblick auf den Gebrauch von Biologie und Medizin zu erlassen, als dies die Konvention tut. Im Kapitel X wird in Art. 28 zur angemessenen öffentlichen Debatte der in der Konvention behandelten Thematik aufgefordert. Im Kapitel XI wird in den Artikeln 29 und 30 die Auslegung und Überwachung der Konvention dargelegt. Kapitel XII regelt in Art. 31 die Erstellung von Protokollen zur Weiterentwicklung der Grundsätze der Konvention. Kapitel XIII erörtert im Art. 32 eventuelle Änderungen der Konvention. Und schließlich werden im Kapitel XIV in den Artikeln 33 bis 38 Schlußklauseln aufgestellt.
Zur Konvention wurde auch ein „Erläuternder Bericht‘ verfaßt, der allerdings keine rechtliche Verbindlichkeit hat. Bei dem Übereinkommen handelt es sich um eine Rahmenkonvention, die durch Protokolle zu speziellen Anwendungsbereichen ergänzt werden soll. Ein Protokoll zum Klonungsverbot von Menschen wurde bereits im November 1997 vom Ministerkomitee verabschiedet. Weitere Protokolle sind vorgesehen zur Organtransplantation, zur medizinischen Forschung, zur Humangenetik und zum Embryonen-schutz.
VI. Strittige Punkte
Ein nach wie vor sensibler und kritischer Punkt bleibt -trotz Verbesserungen gegenüber früheren Fassungen -die Forschung an Nichteinwilligungsfähigen (persons not able to consent) ohne direkten therapeutischen Nutzen. Wie schon in früheren Entwürfen, erfährt auch in dem endgültigen Text das bislang -zumindest in Deutschland -geltende Verbot solcher Forschung eine Aufweichung, allerdings mit vielen Auflagen und Absicherungen (Art. 16 und 17): Die Forschung muß darauf abzielen, eine bedeutende Verbesserung des Krankheitsverständnisses bei der betreffenden Einzelperson herbeizuführen sowie neue Erkenntnisse zu erlangen, die dem Betroffenen oder anderen Betroffenen der gleichen Altersgruppe mit derselben Krankheit nutzen können; die wissenschaftliche Plausibilität und ethische Akzeptabilität des Forschungsvorhabens müssen durch eine Ethikkommission geprüft sein; das Forschungsvorhaben kann nicht an Einwilligungsfähigen durchgeführt werden; das Forschungsvorhaben darf für den Betroffenen nur ein geringes Risiko und nur eine minimale Belastung bedeuten (z. B. Urin-oder Speichelprobe, Mitbenutzung einer Blutprobe, Messungen und Wiegungen); der gesetzliche Vertreter muß zugestimmt haben; die Zustimmung kann jederzeit widerrufen werden; es darf kein Widerspruch von seiten des Betroffenen erkennbar sein.
Die von der Medizin angeführten Beispiele für die Dringlichkeit solcher Forschung, insbesondere bei Demenzkrankheiten -z. B. Morbus Alzheimer -, bei Schlaganfällen und Kinderkrankheiten, sind so evident, daß die Konvention hier Ausnahmen zugesteht. Man unterstellt hierbei, daß Untersuchungen mit minimalem Risiko und minimaler Belastung keine Instrumentalisierung der Person in ihrem Kern darstellen und deshalb durch die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters legitimiert sind. In diesem Zusammenhang weist man auch darauf hin, daß in einer ganzen Reihe von Staaten, die nicht im Verdacht stehen, die Menschenrechte gering zu schätzen, fremdnützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen unter engen Voraussetzungen erlaubt ist (z. B. Australien, Österreich, Kanada, Spanien, England, Schweiz, USA). Auch aus medizinethischer Sicht, bei Zugrundelegung der traditionellen Prinzipien der Patientenautonomie, der Wohltätigkeit, des Nicht-schadens und der ausgleichenden Gerechtigkeit, lasse sich kein ausnahmsloses Verbot solcher Forschung begründen.Bei der Embryonenforschung (Art. 18), deren Erlaubtheit insbesondere von den Engländern angestrebt wird, hat man folgenden Kompromiß gefunden: Die Herstellung von Embryonen für Forschungszwecke wird verboten (Art. 18, 2). Wo das jeweilige Landesrecht Experimente mit Embryonen, die bei der Retortenbefruchtung („in vitro“) entstehen, erlaubt, muß ein „adäquater Schutz“ des Embryos gewährleistet sein. Man kann es drehen und wenden, wie man will, die Tür zur Embryonenforschung ist mit dieser Bestimmung geöffnet, zumal die Konvention nicht klar festlegt, was unter diesem „adäquaten Schutz“ des Embryos zu verstehen ist. Aus ethischer Perspektive muß hier festgehalten werden, daß ein durchaus zu begründender medizinischer Erkenntnis-gewinn und Nutzen kein Verfahren mit menschlichem Leben rechtfertigen kann, das unsere Vorstellungen von der unantastbaren Würde dieses Lebens in Frage stellt. Ethisch erlaubt ist allein eine therapeutische Forschung, die auf das Wohl des konkreten Embryos abzielt.
Prädiktive genetische Tests sind nunmehr differenzierter geregelt (Art. 12) als in den vorausgegangenen Entwürfen. Sie dürfen nur aus gesundheitlichen Gründen oder für wissenschaftliche Forschungszwecke im Zusammenhang mit gesundheitlichen Gründen und unter Vorbehalt einer angemessenen genetischen Beratung durchgeführt werden. Weggefallen ist der alte Absatz 2, der die fremdnützige Verwendung dieser Ergebnisse verboten hatte. Mißbräuchliche Zugriffe von Arbeitgebern und Versicherungen auf genetische Tests sind also vom Text der Konvention her nicht ausgeschlossen.
In Art. 13 werden Eingriffe in das menschliche Genom nur zu präventiven, therapeutischen oder diagnostischen Zwecken erlaubt; verboten sind Eingriffe, die darauf abzielen, die genetischen Charakteristika der Nachkommen zu verändern. Es ist davon auszugehen, daß damit der Eingriff in die Keimzellen bzw. Keimbahn gemeint ist. In Deutschland sind Eingriffe in die Keimbahn durch das seit dem 1. Januar 1991 geltende Embryonen-schutzgesetz (Paragraph 5) verboten. Die somatische Gentherapie (Heilbehandlung an Genen der Körperzellen, wobei die Veränderung des Genoms nicht auf die nächste Generation übertragen wird) ist nach dem Konventionstext erlaubt und auch ethisch zu rechtfertigen.
In Art. 19 geht es um allgemeine Regeln bei der Organentnahme von Lebendspendern für Transplantationszwecke. Dabei sollten in dem geplanten Protokoll zur Organtransplantation weitere, über den Konventionstext hinausreichende Umstände mitbedacht werden: Die Entnahme von einem paarig vorhandenen Organ wie die Niere oder von Teilen anderer Organe ist für Gesundheit und Leben des Spenders nicht ungefährlich. Große Zurückhaltung ist gegenüber einer Organtransplantation zwischen nichtverwandten Lebenden geboten. Es muß ausgeschlossen werden, daß die Beziehung zwischen Spender und Empfänger durch Abhängigkeit oder gar Erpressung belastet wird. Ausnahmen wie Organspenden zwischen Ehegatten oder von Eltern auf (Adoptiv-) Kinder bedürfen strenger, jedoch allgemein annehmbarer Richtlinien.
Art. 7 regelt Interventionen an Personen mit schweren psychischen Störungen im Falle, daß der Person ohne Intervention ein ernster gesundheitlicher Schaden drohen würde. Hier stellt sich allerdings die Definitionsfrage bezüglich „schwerer psychischer Störungen“ und „ernster gesundheitlicher Schäden“. Nach deutschem Recht sind solche Interventionen bei Personen, falls sie einwilligungsunfähig sind, nur nach Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zulässig.
Bedauerlicherweise sind jene Artikel der Konvention, die Sanktionen bei Verletzungen der Konventionsbestimmungen regeln (Kapitel VIII), sehr weit gefaßt und unpräzise formuliert. So sollen nach Art. 23 lediglich die Vertragsstaaten einen geeigneten rechtlichen Schutz gewährleisten. Der Zugang Betroffener zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist nur dann vorgesehen, wenn die Vertragsstaaten eine entsprechende Anerkennung des Gerichtshofs nach Art. 29 abgeben. Dadurch, daß die Konvention in Art. 36 den Vertragsstaaten die Möglichkeit eröffnet, im Hinblick auf die Anwendung jeder Bestimmung einen Vorbehalt geltend zu machen, wenn diese den nationalen Gesetzen zuwiderläuft, erlangt die gesamte Konvention doch wieder einen hohen Grad an Unverbindlichkeit.
VII. Kritische Bilanz
Von dem ersten Entwurf einer „Bioethikkonvention“ im Jahre 1994 bis zur endgültigen Fassung des „Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin“ im Jahre 1996 hat das Dokument im Hinblick auf die erarbeiteten Inhalte eine positive Entwicklung genommen. Es werden wichtige medizinethische und rechtliche Prinzipien verbindlieh festgeschrieben, so z. B.der Schutz der Würde und Identität aller menschlichen Lebewesen, die .freie Zustimmung des Betroffenen zu medizinischen Interventionen, der Schutz der Privatsphäre und das Recht auf Wissen und Nichtwissen von persönlichen Gesundheitsdaten, das Diskriminierungsverbot einer Person aufgrund ihres genetischen Erbes. Auch sind Organ-und Gewebetransplantationen von lebenden Spendern nur zu therapeutischen Zwecken gestattet, und der menschliche Körper oder Teile davon dürfen in der Biomedizin nicht zu einem finanziellen Gewinn führen.
Ob der Würde des Menschen bei den übrigen Regelungen der Konvention hinreichend Rechnung getragen wird, müssen weitere Diskussionen zeigen. Hierbei ist das Augenmerk in erster Linie auf jene Menschen zu richten, die wegen mangelnder Einsichtsfähigkeit, Behinderung oder sonstiger Gebrechen unserer besonderen Fürsorge bedürfen. Die ethische Problematik der Embryonenforschung ist nicht hinreichend gelöst. Wenn, wie ich dies dem Entwurf unterstelle, der Eingriff in die Keimbahn ausgeschlossen sein soll, hätte man dies in einer eindeutigen und unmißverständlichen Formulierung auch im Text zum Ausdruck bringen sollen. Der Schutz nichteinwilligungsfähiger Personen ist im Vergleich zu vorherigen Fassungen der Konvention verbessert worden. Die fremdnützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen bleibt ein kritischer Punkt. Aus ethischer Sicht scheint sie mir als Ausnahmeregelung unter den eng definierten und strengen Kautelen möglich zu sein; dennoch bleibt ein Rest an Unbehagen. Die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer spricht im Hinblick auf solche Forschung sogar von einem ethischen Dilemma Fremdnützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen steht nicht in Überein-stimmung mit der deutschen Gesetzeslage, wonach Dritte für einen nichteinwilligungsfähigen Menschen nur zu Heileingriffen und nicht für fremdnützige Forschung ihre Zustimmung geben dürfen. Die Problematik der Organentnahme bei Lebend-spendern ist in dem dazu vorgesehenen Protokoll zu präzisieren.
Was die in der Konvention behandelten Themen anbelangt, hat man den Eindruck, daß die Auswahl eher willkürlich, zumindest aber unbegründet erfolgt. Man muß zugeben, daß die Konvention wichtige und auch dringliche Themen behandelt. Aber ebenso bedeutsame Probleme, wie z. B. die Reproduktionsmedizin, der Schwangerschaftsabbruch und die Sterbehilfe, bleiben ausgeklammert. Denkbar wäre es, diese Fragen in Zusatzprotokollen zu behandeln, die den gleichen völkerrechtlichen Status wie die Konvention selbst haben. Allerdings dürfte bei den genannten Fragen die Konsensbildung noch schwieriger sein.
Der inzwischen geänderte Name „Bioethikkonvention“ war mißverständlich. Denn ihrer Gattung nach ist die Konvention kein ethisches Dokument, sondern ein Rechtsdokument, das allerdings wie jegliches Recht auf ethischen Grundüberzeugungen gründet. Ethische Normen werden vom Gewissen sanktioniert, rechtliche Normen dagegen verlangen eine äußere Sanktion, wie dies die Konvention auch fordert. Als Menschenrechts-dokument hat die Konvention die Aufgabe, den gebotenen rechtlichen Rahmen festzuhalten, nicht aber alles ethisch Relevante und Wünschenswerte zu umschreiben Die zu diesem rechtlichen Rahmen gehörenden Mindestnormen müssen ethisch und rechtlich konsensfähig sein, und schon von daher können sie nicht all das enthalten, was im Rahmen der verschiedenen ethischen und rechtlichen Traditionen, die Europa nun einmal auszeichnen, geboten erscheint und aus unserer Sicht wünschenswert wäre. Was das Verhältnis von Ethik und Recht anbelangt, so ist es auffallend, daß es im angelsächsischen Recht durchaus üblich ist, bei der Entscheidung neuartiger Rechtsfragen unmittelbar auf ethische Prinzipien zurückzugreifen, während dies bei uns nur vermittelt über die ethischen Prinzipien des Grundgesetzes und ihre Aus-formulierung durch das Bundesverfassungsgericht möglich ist Wegen der eindeutig rechtlichen Gattung der Konvention hatte bereits die „International Commission of Jurists“ als Titel vorgeschlagen: „Convention on Human Rights on Bio-medicine“. Dieser Titel hat sich sodann mit deutscher Unterstützung im Lenkungsausschuß duichgesetzt. Der neue Titel der Konvention lautet jetzt: „Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin -Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin -des Europarats.“
In dem Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin spiegeln sich sowohl Glanz als auch Elend dessen wider, worüber derzeit unter den Mitgliedstaaten Europas in biomedizinischen Fragen ein (rechtli-eher) Konsens erzielt werden kann Deshalb ist die Konvention -wie die meisten völkerrechtlichen Dokumente -ein „Patchwork“ (L. Honnefeider), ein Gebilde also, das aus gemischten, vielgestaltigen und unterschiedlichen Elementen besteht. Man sollte sie sehen wie andere Menschenrechtsdokumente auch: als Prozeßgröße, als Kristallisationskem eines, wenn auch langsam wachsenden Rechtsbewußtseins.
Für eine große Zahl von Staaten werden durch das Menschenrechtsübereinkommen des Europa-rates erstmals verbindliche Mindeststandards zum Schutz der Menschenrechte und Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin geschaffen. Im europäischen Maßstab wird durch die Konvention das Schutz-niveau erheblich verbessert. Die Konvention gibt auch die Gelegenheit, das deutsche Schutzniveau in Einzelpunkten zu verbessern.