Zum Spannungsverhältnis von Nation und Außenpolitik in Ostmitteleuropa
Magarditsch Hatschikjan
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Zusammenfassung
Der Aufsatz geht folgenden Fragen nach: Wie wirken sich die verschiedenen Dimensionen des jeweiligen nationalen Selbstverständnisses in den ostmitteleuropäischen Staaten sowie ihre Prioritätensetzungen auf die außenpolitischen Orientierungen aus? Wo herrscht Kongruenz, wo Divergenz, wo gar ein Zielkonflikt vor, und wie wird in Fällen von Divergenzen und Zielkonflikten entschieden? Dies wird anhand der wesentlichen Aspekte der Westpolitik, der Nachbarschaftspolitik und der Rußlandpolitik von Polen, Tschechien und Ungarn erörtert. Die bisherige Bilanz fällt durchaus beachtlich aus. Ungeachtet deutlicher Ausschläge und ungleicher Fortschritte in den verschiedenen Feldern der Außenpolitik gibt die Gesamttendenz Anlaß zu vorsichtigem Optimismus. Allerdings kann sie noch nicht als abgesichert angesehen werden. Nur wenn die wichtigsten Tendenzen der weiteren Entwicklung und damit der Geist der Post-1989-Ära supranational und integrierend bleiben, werden die ostmitteleuropäischen Staaten die große Chance haben, negative Traditionslinien sowohl der Zwischenkriegszeit wie auch der sozialistischen Periode zu überwinden.
Vorbemerkung
Das Thema erlangt -wie viele „alte Probleme“
Osteuropas -auch unter neuen Vorzeichen immer wieder schlagzeilenträchtige Aktualität, so jüngst noch im vergangenen Oktober. Zur Debatte stand die Frage, ob einige osteuropäische Staaten der NATO die Nutzung ihres Luftraums für Militäraktionen gegen Jugoslawien erlauben würden. Die gerade drei Monate im Amt befindliche ungarische Regierung stimmte zu, verlangte aber eine Schutzgarantie für den Fall jugoslawischer Vergeltungsschläge. Im übrigen hatte zuvor schon Ministerpäsident Victor Orban die Teilnahme von Soldaten der ungarischen Armee an einer Militäraktion kategorisch ausgeschlossen, um nicht Ungarn (aus Ungarn) in einen Krieg auch gegen Ungarn (aus Jugoslawien) entsenden zu müssen. Die rumänische Führung sagte ebenfalls ja, verlangte aber dieselbe Schutzgarantie und schränkte die Zusage durch die Hinzufügung „im Notfall und in unvorhergesehenen Situation nen“ ein. Dafür wurde sie von zwei Seiten kritisiert: Einigen Regierungskreisen mißfiel die Einschränkung, einigen Oppositionskreisen die Zusage. Die bulgarische Regierung gewährte die Nutzung ohne Einschränkungen, wollte aber auch die Sicherheitsgarantie und sah sich von der Opposition mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Entscheidung bedürfe der Zustimmung des Parlaments und sei in dieser Form verfassungswidrig. Der polnische Ministerpräsident Jerzy Buzek schließlich erklärte von sich aus die Bereitschaft Warschaus zur Teilnahme an militärischen Aktionen der NATO in Jugoslawien, während Verteidigungsminister Janusz Onyszkiewicz wenig später darauf hinwies, daß die NATO nicht erwarte, daß Polen Truppen schicke. In der Tat hatten NATO-Kreise vorher schon verlauten lassen, daß ausschließlich der Einsatz von Einheiten von Mitgliedstaaten vorgesehen war.
Im Hintergrund dieser Reaktionen, die in diesem Fall lediglich die Frage der eventuellen militärischen Nutzung des jeweiligen Luftraumes betra-fen, kreist dasselbe Leitthema: Es geht um das Spannungsverhältnis von nationalstaatlichem Handeln und übernationaler Kooperation, um das Spannungsverhältnis von Nation und Außenpolitik. Nation steht hierbei nicht nur für die ethnisch-kulturelle Komponente, sondern für drei Dimensionen, die das nationale Selbstverständnis und die nationalen Interessen prägen: die Staatserhaltung als politisch-wirtschaftliche und militärische Dimension, das gesamtgesellschaftliche Interesse als soziale Dimension sowie die nationale Identität als kulturelle Dimension. Die Frage nach dem Spannungsverhältnis von Nation und Außenpolitik kann man also folgendermaßen umschreiben: Wie wirken sich die verschiedenen Dimensionen und die Prioritätensetzungen unter ihnen auf die außenpolitischen Orientierungen der osteuropäischen Staaten aus, wo herrscht Kongruenz, wo Divergenz, wo gar ein Zielkonflikt vor, und wie wird in Fällen von Divergenzen und Zielkonflikten entschieden?
Nation und Außenpolitik in Osteuropa -alte und neue Ansätze
Der Nationalismus hat in allen Perioden der neuzeitlichen Existenz eigenständiger osteuropäischer Staaten eine prominente Rolle gespielt. Und es ist bislang keinem osteuropäischen Staat in der Neuzeit gelungen, das Spannungsverhältnis von Nation und Außenpolitik über einen längeren Zeitraum hinweg einigermaßen balanciert zu gestalten. Während der beiden prägenden Perioden, der Zwischenkriegszeit und der sozialistischen Ära, schlugen die Pendel in höchst unterschiedlicher Richtung aus. Die Staatsraison der Zwischenkriegszeit war von einer unbalancierten Prioritätensetzung bestimmt: Zuerst kam die Staatserhaltung (wenn möglich bei ausgedehntem Territorium), also die politische, militärische und -so muß man in den meisten Fällen hinzufügen -auch die territoriale Dimension; danach kam mit relativ geringem Abstand die nationale Identität (die kulturelle Dimension) und schließlich -mit großem Abstand -die soziale Dimension des gesamtgesellschaftlichen Interesses. Dementsprechend fiel die Struktur der Außenbeziehungen aus: Sie war von Bilateralismus und von Sonderbeziehungen geprägt; die wenigen multilateralen Ansätze richteten sich in einem höchst selektiven Kollektivismus gegen den jeweiligen Hauptfeind unter den Nachbarn. Das Osteuropa der Zwischenkriegszeit ist daher voll von außenpolitischen Sonderwegen, Polen deren krassestes und tragischstes Beispiel.
Anders, aber ebenfalls unbalanciert, stellen sich die Ausprägungen in der sozialistischen Periode dar: Hier stand in der Staatsraison im Prinzip die soziale (bzw. sozial-revolutionäre) Dimension im Vordergrund, danach folgte mit geringem, aber spürbarem Abstand die Staatserhaltung und mit großem Abstand die nationale Identität. Im Laufe der Zeit verschoben sich die Proportionen zugunsten der nationalen Identität, ohne daß sich aber dadurch etwas an der Reihenfolge änderte. Dementsprechend herrschte in den Außenbeziehungen der blockbezogene Multilateralismus und die Ächtung von Sonderwegen (Jugoslawien, Albanien, Rumänien) vor.
Das Problem der Zwischenkriegszeit war die fehlende Einheit Osteuropas, das Problem der sozialistischen Periode der Versuch, diese Einheit zu erzwingen. Einer echten, „organischen“ Einheit Osteuropas standen in beiden Perioden die Zeichen der Zeit entgegen: Der Geist der Zwischenkriegszeit war nicht übernational, sonden ultranational; der Geist der sozialistischen Periode war eine zwielichtige Mischung aus einem verordneten Internationalismus, hinter dem sich die Suprematie der Sowjetunion kaum verbarg, und einem verbrämten Nationalismus mit begrenzter Souveränität. Das Ergebnis war in beiden Fällen das Gegenteil von Integration: Das Ende der Zwischenkriegszeit erlebte die verheerende Atomisierung Osteuropas, in der Nachkriegszeit kam es zur Abkapselung und unterschwelligen Parzellierung.
Vor diesem Hintergrund sind die bisherigen Ansätze der osteuropäischen Staaten in den neunziger Jahren zu bewerten. Was die Staatsraison anbelangt, so ähneln die praktizierten Prioritäten-setzungen in Ostmitteleuropa (wie im übrigen in ganz Osteuropa außerhalb des früheren jugoslawischen Kerngebiets) dem Grundmuster, das in der sozialistischen Periode vorherrschend war. Unter dem Stichwort der Modernisierung steht hier überall die gesellschaftliche Dimension im Vordergrund. Ihr folgt mit geringem Abstand die Dimension der nationalstaatlichen Absicherung, und die kulturelle Dimension der nationalen Identität rangiert am Ende -am deutlichsten abgestuft in Tschechien, weniger deutlich in Polen und vor allem in Ungarn. Da sich die Inhalte und Ausrichtungen oft im Gegensatz zu denjenigen der sozialistischen Periode bewegen, werden die Kontinuitäten manchmal unterschätzt oder gar übersehen. Nicht ein Grenzverlauf ist nach der Wende verändert worden -die einzige Debatte, die in dieser Hinsicht überhaupt stattfand, hatte den Austausch eines Bergdorfs gegen eine Ferienhaussiedlung zwischen Tschechien und der Slowakei zum Thema und betraf ganze 452 Hektar sowie eine Grenzverkürzung von 33 Kilometern. Entsprechend fallen die Schwerpunktsetzungen in der Außenpolitik aus. Die Prioritätenlisten der ost-mitteleuropäischen Staaten gleichen einander fast wie ein Ei dem anderen: an erster Stelle die Integration in die EU und NATO, an zweiter Stelle gute Beziehungen zu den unmittelbaren Nachbarn, an dritter Stelle die regionale Kooperation. In den Fällen, in denen eine größere Anzahl von Angehörigen der eigenen Nation außerhalb der eigenen Staatsgrenzen lebt, kommt ein vierter Punkt hinzu: die Pflege der Verbindungen und die Minderheitenrechte.
Bewegt sich Ostmitteleuropa damit im nunmehr dritten Anlauf auf einer erfolgversprechenden Linie zum ausgewogenen Umgang mit dem Spannungsverhältnis von Nation und Außenpolitik?
Oder, grob vereinfachend: Folgt auf die These -territoriale Impertinenz -und die Antithese -nationale Abstinenz -nun die Synthese der allmählichen Konvergenz? Dies wird im folgenden anhand der wesentlichen Aspekte der außenpolitischen Orientierungen derjenigen drei Staaten Ostmitteleuropas erörtert, die sowohl bei der NATO-Aufnahme als auch bei den EU-Beitrittsverhandlungen zur „ersten Runde“ gehören -also Polen, Tschechien und Ungarn.
Gegenüber dem Westen: Nation und Integration
Die Entscheidung für die Priorität der West-Bindung hat in den politischen Landschaften aller ost-mitteleuropäischen Staaten eine solide Grundlage. Seitdem überhaupt eine realistische Aussicht darauf bestand, haben ausnahmslos alle Regierungen den EU-und den NATO-Beitritt befürwortet. Der Konsens darüber ist im Laufe der Zeit breiter und stabiler geworden. Die extremen rechts-und links-nationalistischen Strömungen, die die West-Bin-düng ablehnen, können allenfalls einen Teil des allgemeinen Protestpotentials mobilisieren, bringen aber nur in höchst seltenen Ausnahmefällen nennenswerten politischen Einfluß zustande und sind außenpolitisch bedeutungslos. Zu Beginn der neunziger Jahre zeitweilig ins Spiel gebrachteAlternativmodelle wie ein OSZE-Europa kollektiver Sicherheit oder ein „drittes Europa“ (zwischen Westeuropa und Rußland) sind rasch verworfen worden. Vollends tabu ist eine gänzliche Kehrtwendung. Der einmalige Ausfall des slowakischen Ministerpräsidenten Meciar -„Wenn man uns im Westen nicht haben will, gehen wir in den Osten.“ -fand keinerlei Gefolgschaft, nicht einmal seine eigene. Die politischen Führungen in Ostmitteleuropa wünschen den Beitritt in die westlichen Institutionen, und sie verfügen auch im Regelfall über eine realistische Beurteilung der Kräfteverhältnisse. Beides zeigt sich gerade dann, wenn das Interesse an der West-Bindung auf die Probe gestellt wird, wenn also Konsequenzen aus der Westpolitik mit anderen Teilinteressen in Konflikt geraten. Das geschieht naturgemäß ständig und ist in jüngerer Vergangenheit sowohl in den Beziehungen mit der NATO wie auch in denjenigen mit der EU deutlicher zutage getreten. Die Reaktionen der Ostmitteleuropäer fielen dabei im wesentlichen gleichgeartet und durchaus normal aus: So viel wie möglich von den Teilinteressen retten, dabei aber nicht die West-Beziehungen gefährden und im Zweifelsfall zu ihren Gunsten entscheiden. So unterstützten etwa alle drei Staaten die zentralen Elemente der westlichen Jugoslawien-Politik: Sie trugen das Embargo trotz Bedenken wegen spürbarer finanzieller Einbußen (allein in Ungarn nach offiziellen Schätzungen rund 2, 5 Milliarden Dollar) mit, befürworteten das militärische Eingreifen der NATO in Bosnien und stellten anschließend Truppeneinheiten für die IFOR/SFOR-Operationen zur Verfügung. Ungarn erlaubte darüber hinaus die Durchreise und die Stationierung der IFOR/SFOR-Truppen auf seinem Territorium. Gleichwohl blieben nationale Akzente nicht aus, was sich in diesem Fall naturgemäß vor allem in Ungarn auswirkte, das angesichts der unmittelbaren Nachbarschaft und vor allem angesichts der etwa 350 000 in Jugoslawien (vornehmlich in der Vojvodina) lebenden Magyaren besonders tangiert ist. Und es war ebensowenig ein Zufall, daß die deutlichsten dieser Akzente stets von der Rechten gesetzt wurden. Im Februar 1994 hatte der damalige Ministerpräsident Peter Boross Irritationen mit der Erklärung ausgelöst, daß Ungarn sich in keiner Weise an NATO-Schlägen aus der Luft gegen Stellungen der bosnischen Serben beteiligen und darüber hinaus auch den im Lande stationierten Awacs-Flugzeugen nicht erlauben werde, dafür den ungarischen Luftraum zu benutzen. Nach teilweise heftigen Reaktionen aus dem Westen wurde die Stellungnahme zu der Bitte abgemildert, die NATO möge die in Ungarn stationierten Flugzeuge nicht einsetzen. Immerhin wurde aber auch danach kein Hehl daraus gemacht, daß Budapest aus Sorge um die in Jugoslawien lebenden Ungarn in solchen Fragen zurückhaltender agieren müsse. Eben dieses Motiv veranlaßte später die Unabhängige Kleinlandwirtepartei unter Jözsef Torgyän, die in der gegenwärtig regierenden Koalition vertreten ist, zur Ablehnung einer ungarischen Teilnahme an der IFOR-Operation. Und es stand Pate bei den eingangs angeführten Reaktionen der jetzigen Regierung auf die Verschärfung der Lage im Kosovo im Herbst 1998. Budapest schloß sich zwar der NATO-Front an, machte aber gleichzeitig in prononcierten Verlautbarungen sein besonderes Interesse an einer friedlichen Beilegung des Konflikts deutlich.
Häufiger, sichtbarer und komplexer sind Divergenzen und Zielkonflikte, die sich aus den Beziehungen mit der EU ergeben, weil diese zugleich mit der politischen und der ethnisch-kulturellen Dimension die sozioökonomische betreffen. Dabei stehen mehr als nur kurzfristige wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel. Wie sich im Vorfeld der Beitrittsverhandlungen schon eindeutig abzeichnet, werden fünf Themenkomplexe eine herausragende Rolle spielen:
-der Agrarsektor sowie andere „sensitive“ Wirtschaftszweige und Branchen;
-Ausmaß und Tempo der Einbeziehung in die Struktur-und Kohäsions-Politik der EU;
-das Grenzregime, also die Anpassung an die Visa-, Flüchtlings-und Immigrationspolitik der EU;
-der Zugang zu den westlichen Arbeitsmärkten für Staatsangehörige der neuen Mitgliedstaaten;
-die Beiträge zum EU-Budget.
Mit den drei erstgenannten Themenfeldern werden unmittelbar auch Probleme weitreichender Strukturveränderungen aufgeworfen, wobei die Interessen der Verhandlungspartner nicht im Hinblick auf die generelle Richtung, wohl aber im Hinblick auf Umfang, Tempo, Intensität und auch Finanzierung des Wandels (bzw.seiner Folgekosten) divergieren. Bei den beiden letztgenannten Themenfeldern geht es um finanzielle Be-und Entlastungen, und auch hier gehen die Vorstellungen über die jeweils zu tragenden Anteile auseinander. > Wenn in der jüngeren Vergangenheit solche Divergenzen erkennbar wurden, haben die Ostmitteleuropäer im Regelfall das Signal ihrer Anpassungsbereitschaft in den Vordergrund gestellt.Beispielhaft war das Verhalten Polens im vergangenen Jahr gegenüber dem Druck der EU und namentlich Deutschlands bezüglich der Abdichtung seiner Ostgrenzen. Diese Frage berührt ethnisch-kulturelle Interessen der Verbindung mit den jenseits der Staatsgrenzen lebenden Polen und noch mehr wirtschaftliche Interessen. Denn Hunderttausende von Litauern, Weißrussen, Ukrainern, Russen und natürlich auch Polen treiben an Märkten in den Grenzgebieten und nahe der Großstädte regen Handel, der allen Seiten zugute kommt. Nach Schätzungen des polnischen Außenministeriums belief sich das Gesamtvolumen 1997 auf 2, 2 bis 3 Milliarden Dollar (zum Vergleich: im offiziellen Handel mit der Ukraine wurden 1997 1, 7 Milliarden Dollar umgesetzt). Auf Druck der EU koppelte Polen die Visumsfreiheit an Rückführungsabkommen bezüglich illegaler Einwanderer, die zwar von der Ukraine und Litauen, nicht aber von Weißrußland und Rußland unterzeichnet wurden. Daraufhin verschärfte Polen die Einreise-bestimmungen für Staatsangehörige dieser beiden Länder, was vor allem die weißrussischen und die polnischen Händler traf, die wiederum mit Protestaktionen, u. a. Grenzblockaden, antworteten. Dennoch -oder gerade deswegen -erklärte der polnische Außenminister Bronisiaw Geremek, daß Polen bereit sei, für den EU-Beitritt auf Milliarden Dollar aus dem Osthandel zu verzichten. Erst als die EU daraufhin vernehmen ließ, daß ein solches Signal vorerst noch nicht nötig sei, wurden die Einreisebestimmungen wieder ein wenig gelockert.
Die Prioritätensetzungen, die sich in solchem Vorgehen äußern, sind in ihrer Grundrichtung unter den politischen Hauptkräften nicht umstritten. Die Ostmitteleuropäer sind sich dessen bewußt, daß etwa eine zu langsame Übernahme des acquis communautaire in bezug auf ihre Ost-und in einigen Fällen auf ihre Südgrenzen ihre Positionen bei den Beitrittsverhandlungen schwächen würde, und dies soll tunlichst vermieden werden. Gleichwohl ist vor allem in der jüngeren Vergangenheit häufiger auf Disproportionen hingewiesen worden. Nicht, daß die überpointierte Feststellung eines westlichen Kenners, die Ostpolitik sei zur .. Geisel der EU“ (Tim Snyder) geworden, in Ostmitteleuropa akzeptiert worden wäre. Doch die Forderung. ein ausgewogeneres Verhältnis von Anpassung und Wahrung spezifischer Eigeninteressen herzustellen, hat dort sichtlich an Gewicht gewonnen. In den von allen ostmitteleuropäischen Führungen im Herbst 1998 zu hörenden Ankündigungen, man werde gerade in den für das eigene Land besonders „sensitiven“ Bereichen „hart“ verhandeln, spiegeln sich auch die Auswirkungen dieser Tendenz wider.
Sie hat in Ostmitteleuropa eine durchaus ernstzunehmende Basis. Bei aller Eindeutigkeit der Westbindungspriorität darf nicht übersehen werden, daß die -in den politischen Landschaften wie unter den Bevölkerungen -vorherrschenden Europabilder vielfältiger und differenzierter sind, als es im Westen zuweilen erscheinen mag. Ein übermäßig eurooptimistischer Eindruck wird hier nicht zuletzt dadurch genährt, daß unter den außenpolitischen Entscheidungsträgern der Anteil der , Westler'und . Integrationisten'überproportional hoch ausfällt und daß dementsprechend die Kontakte und Verbindungen der federführenden westeuropäischen Parteien und Politiker sich fast ausschließlich auf die deutlich westgeneigten Organisationen und Strömungen beschränken.
Nun gibt es aber überall Europadebatten, wobei seit einiger Zeit schon die Hauptfrage nicht mehr darin besteht, ob man der EU und der NATO beitreten soll -die Positionen dazu sind eindeutig geklärt. Vielmehr kreisen sie um die Fragen, wie, unter welchen Voraussetzungen und in welchem zeitlichen Rahmen dies geschehen soll -und die verschiedenen Antworten haben mit differierenden Zielvorstellungen bezüglich des Charakters der Europäischen Union zu tun. Dabei kommen in den Unterschieden längere Kontinuitätslinien zum Vorschein. Die vehementesten Verfechter der Westorientierung und einer Integration ohne Wenn und Aber sind die gewendeten KP-Nachfolgeparteien in Ungarn und Polen sowie die liberalen Organisationen, die aus der früheren Opposition gegen das sozialistische Regime hervorgegangen sind, also eine linksliberale Koalition früherer Technokraten und Dissidenten. Die politisch Rechten sind in ihrer deutlichen Mehrheit ebenfalls für den Beitritt, legen aber Wert darauf, daß im Prozeß der Integration die Eigenart der kulturellen und politischen Traditionen des jeweiligen Landes erhalten bleibt. Ungeachtet ihrer unterschiedlichen Prägungen -in Polen (katholisch und/oder agrarisch national) und in Ungarn (ethnisch und/oder agrarisch national) dominiert bei ihnen der Wertebezug, in Tschechien (ordoliberal) die sozioökonomische Dimension -weisen ihre Europa-Vorstellungen wichtige Gemeinsamkeiten auf. Sie treten für ein „Europa der Vaterländer“ ein und sind strikt gegen bundesstaatliche Strukturen, gegen die Einebnung des Nationalstaats und gegen eine europäische Regierung. Er sei ein „Euro-Realist“, sagt der Vorsitzende der AWS (Wahlaktion Solidarnosc, Wahlsiegerin bei den letzten polnischen Parlamentswahlen), Marian Krzaklewski, und durchaus für den Beitritt, aber nicht -wie die Post-Kommunisten und die Freiheitsunion (die Liberalen, Koalitionspartner der AWS in der Regierung) -für einen „Beitritt auf Knien“. Im übrigen solle man abwarten, bis Polen „erstarkt und autark“ sei, bevor es beitrete. Zum Repertoire der Rechten gehören im übrigen allgemeine Vorbehalte gegen den Verkauf von Grund und Boden an Ausländer, was in Polen und in Tschechien im besonderen in den Warnungen vor der Möglichkeit eines Rückkaufs der ehemaligen deutschen Ostgebiete durch Deutsche zum Ausdruck kommt sowie in Befürchtungen vor einer Preisgabe der Interessen vor allem des eigenen Agrarsektors bei den Beitritts-verhandlungen. Eindeutiger Widerstand gegen die Westorientierung schließlich wird von den äußeren rechten und linken Rändern des Parteienspektrums geleistet, wobei hier die Rechts-Nationalisten stärker sind. Die einflußreichsten dieser Strömungen wirken in Polen und in Ungarn auch in Regierungparteien hinein. Für diese Strömungen wäre ein EU-Beitritt gleichbedeutend mit dem Verzicht auf die Souveränität und dem Verlust der nationalen, kulturellen und religiösen Identität ihres Landes.
Die Rechten haben sich bislang auf außenpolitischem Felde wenig hervorgetan, verfügen aber über eine bedeutende politische und soziale Basis, was ein Blick auf die Kräfteverhältnisse in den Parlamenten belegt:
Gerade aus den jeweils letzten Wahlen in Ostmitteleuropa sind sie gestärkt hervorgegangen: In Ungarn und in Polen führen sie jetzt die Regierungskoalitionen an, in Tschechien ist die (sozialdemokratische) Linke auf die Duldung durch die (ordoliberale) Rechte'angewiesen; im übrigen sind hier die Differenzen im Hinblick auf die EU-Politik nicht besonders ausgeprägt. Auch ein genauerer Blick auf die Ergebnisse von Umfragen zum EU-Beitritt (wie übrigens auch auf die Resultate des ungarischen Referendums zum NATO-Beitritt) legt etwas nüchternere Erwartungen nahe.
Zwar wurden insgesamt immer deutliche Mehrheiten für die Beitritte verzeichnet, doch wiesen die Proportionen im einzelnen zugleich auf ein Problem hin, dem sich alle ostmitteleuropoäischen Staaten gegenübersehen: die relativ scharfen sozialen, strukturellen und -damit verbunden -geographischen Trennlinien zwischen Befürwortern und Gegnern. Grob formuliert, befürworten die Ober-und die oberen Mittelschichten, die Bewohner städtischer Zentren sowie der westlichen Landesteile die Beitritte, während bei den ungelernten Arbeitern, den Landwirten und der Bevölkerung der östlichen Landesteile Vorbehalte oder gar Ablehnung vorherrschen. Darin spiegelt sich nicht zuletzt der besorgniserregende Umstand wider, daß zentrale Begriffe der Westbindung (etwa „Europa“) zuweilen als Abgrenzung zu den weniger westlich und weniger flexibel denkenden und handelnden eigenen Bevölkerungsteilen verwendet werden, womit sie Gefahr laufen, ihren integrierenden Charakter zu verlieren. Insofern kann die relative Stärke der Euro-Realisten auch als Indiz für den Wunsch gewertet werden, Disproportionen zu korrigieren. Angesichts der west-und speziell EU-politischen Ausrichtungen der Haupt-strömungen bedeutet dies keineswegs den Einstieg zum Ausstieg aus der bisherigen Priorität. Vielmehr sind Akzentverschiebungen zu erwarten, die sich aus einer größeren Rücksichtnahme auf die Gesamtbalance von Nation und Außenpolitik ergeben.
Gegenüber den Nachbarn: Nation und Kooperation
Infolge einer einseitigen Konzentration auf die West-Beziehungen ist die Nachbarschaftspolitik der ostmitteleuropäischen Staaten zeitweise übermäßig stark in den Hintergrund gedrängt worden. Besonders spürbar waren die Disproportionen in den Jahren 1994 bis 1996, als es fast ausschließlich um die Frage des NATO-Beitritts ging. Dessenungeachtet fällt die Zwischenbilanz auf diesem Gebiet, sofern sie sich auf die bilaterale Ebene bezieht, durchaus ansehnlich aus. Dazu hat nicht zuletzt der Umstand beigetragen, daß der Westen nachdrücklich seine Empfehlung kundgetan hat. daß die Nachbarschaftsbeziehungen in Osteuropa sich gedeihlich entwickeln mögen.
Inzwischen überzieht ein dichtes Netz von bilateralen Grundlagen-und anderen Arten von Kooperationsverträgen Osteuropa. Die vertragliche Basis für die Zusammenarbeit in den wesentlichen beiderseitigen Interessenbereichen ist solide und umfassend, zumal sie ausdrücklich den Verzicht auf territoriale Ansprüche einbezieht und die bilateralen Beziehungen an Völkerrecht und OSZE-Normen bindet. Von besonderer Bedeutung ist der Umstand, daß eine solche Basis fast in allen als ausgesprochen „sensitiv“ geltenden Fällen geschaffen wurde, namentlich in den Beziehungen Polens zu seinen östlichen Nachbarn und in denjenigen Ungarns zu Rumänien und der Slowakei.
Die Interessenlage der einzelnen ostmitteleuropäischen Staaten ist aber im Hinblick auf die Nachbarschaftspolitik nicht gleichgeartet, deshalb wird dieser unterschiedlich großes Augenmerk zuteil. Relativ am wenigsten betroffen ist Tschechien, das sich, von einer Ausnahme abgesehen, weitgehend problemfreier Beziehungen zu den Nachbarn im Osten oder im Süden erfreuen kann. Und auch bei dieser Ausnahme -dem Verhältnis zur Slowakei -halten sich strukturelle Konfliktstoffe und strategische Bedeutung in überschaubaren Grenzen, so daß sich die Beziehungen zumeist normal gestalten. Allerdings hatten der vergleichsweise geringe Stellenwert der Nachbarschaftspolitik und vielleicht noch mehr die unbekümmerte Demonstration dieses Sachverhalts in Zeiten der Regierung Klaus Kritik von außen und von innen ausgelöst. Hier haben die Sozialdemokraten nach ihrem Wahlsieg im Juni 1998 Kurskorrekturen angekündigt und in die Wege geleitet, was infolge des Regierungswechsels in der Slowakei im Oktober 1998 und der gegenwärtigen Konstellationen in Ungarn und in Polen auf fruchtbaren Boden fiel.
Bedeutsamer ist das Problemfeld sowohl für Polen als auch für Ungarn, denn in beiden Fällen sind mehrere wichtige und sensible bilaterale Beziehungen tangiert. Daher haben sich hier die wichtigsten konzeptionellen Ansätze in dieser Frage herauskristallisiert, wobei bislang in Polen die Kontinuität, in Ungarn der Wandel vorherrschte. Die bis heute im wesentlichen durchgehaltene polnische Konzeption wurde sehr früh vorgelegt und ist eng mit dem Namen des ersten Außenministers nach der Wende verbunden, mit Krzystof Skubiszewski. Sie geht in bezug auf die Nachbarschaftspolitik -wenn man Rußland ausklammert -von der Kongruenz der Interessen im Dreieck Polen -EU -Nachbarn aus und bestimmt von daher ihre Prinzipien und Prioritäten. Skubiszewski hatte noch vor dem Kollaps der Sowjetunion eine „zweigleisige“ Ostpolitik Polens in die Wege geleitet, die, ohne Moskau zu provozieren, den benachbarten Republiken zu verstehen gab, daß Polen ihre Unabhängigkeit in den bestehenden Grenzen befürwortet und sie als gleichberechtigte Partner behandelt. 1992 gab er dann für die Nachbar-. Schaftspolitik die Parole der „europäischen Standards“ aus: Gewisse Normen seien bindend, und ihre Einhaltung trage zur Integration in die westlichen Institutionen bei. Hier machten sich der Einfluß der inzwischen eindeutig bestimmten Westbindungs-Priorität und derjenige der EU schon bemerkbar, doch zugleich wies Skubiszewski bei der Erläuterung der konkreten Konsequenzen für die polnische Ostpolitik auf die damit übereinstimmenden Eigeninteressen der beteiligten Staaten hin.
Die bilateralen Beziehungen sollten auf drei Pfeilern beruhen: Anerkennung der bestehenden Grenzen, kulturelle Rechte für die ethnischen Minderheiten und Übereinstimmung im Leitspruch „Die historischen Dispute den Historikern!“ Frühzeitig konnte Polen ein engmaschiges Netz von Grundlagenverträgen mit den Nachbarn knüpfen, die auf diesen Prinzipien beruhen. Wegen des historischen Hintergrundes und der Frage der Minderheitenrechte waren bezüglich der Ostpolitik die Abkommen mit der Ukraine (18. Mai 1992), mit Belarus (23. Juni 1992) und mit Litauen (26. April 1994) von besonderer Bedeutung, wobei belastende Reminiszenzen lediglich in den polnisch-litauischen Beziehungen zeitweise in den Vordergrund traten und eine Verzögerung des Vertragsabschlusses verursachten. Daß die relativ ausgewogene polnische Linie über alle Regierungswechsel hinweg bis heute aufrechterhalten wurde, hat auch mit einem Spezifikum in der Interessenlage Warschaus zu tun: Gute Beziehungen mit den früheren sowjetischen Republiken wirken sich mittelbar wie unmittelbar auf die Positionen gegenüber Moskau aus, und eine kooperative Grundtendenz darin fördert sichtlich deren Stärke.
In Anbetracht der polnischen Kontinuität fallen die Wellenbewegungen Ungarns in diesem Bereich um so deutlicher ins Auge. Bislang hat jeder Regierungswechsel in Budapest hier eine Akzentverschiebung nach sich gezogen. In der Konzeption der ersten Nach-Wende-Regierung Ungarns, die eng mit dem Namen des damaligen Ministerpräsidenten Jözsef Antall verbunden ist, stand in bezug auf die Nachbarschaftspolitik die Nation vor der Kooperation, wobei einige Verfechter dieser Linie Nation und Ethnizität faktisch gleichsetzten. Konkret hieß dies für die Beziehungen vor allem zu Rumänien und zur Slowakei: Sie könnten sich erst dann bessern, wenn zuvor die Lage der ethnischen Ungarn in diesen Ländern verbessert worden sei. Es entsprach diesem Ansatz, daß in dieser Zeit aus ungarischen Regierungskreisen häufig Stellungnahmen über die Beitrittsreife -genauer gesagt: die Beitrittsunreife -anderer Länder, speziell eben Rumäniens und der Slowakei, zu vernehmen waren; ebenso die Forderung, die Behandlung der ungarischen Minderheiten zum Kriterium für die Aufnahme dieser Staaten in übernationale Institutionen zu machen.
Die linksliberale Nachfolgeregierung unter Gyula Horn rückte von dieser Konzeption und den damit verbundenen Gepflogenheiten ab und setzte im Verhältnis Ethnizität -Kooperation umgekehrte Vorzeichen: Die Verbesserung der Beziehungen werde eine Verbesserung der Lage der ethnischen Ungarn in diesen Ländern nach sich ziehen. Auch deswegen wurde der Abschluß der Grundlagen-verträge mit der Slowakei (19. März 1995) und mit Rumänien (16. September 1996) möglich, in denen Ungarn auf der einen Seite auch für die Zukunft territoriale Ansprüche ausschließt, auf der anderen Seite mit den umfangreichen und detailreichen Artikeln zu den Minderheitenrechten erstmals ein formell eingeräumtes Mitspracherecht in dieser Frage reklamieren kann.
Einen neuerlichen Schwenk führten dann die Parlamentswahlen im Mai 1998 herbei, aus denen die Rechte (in neuer Konstellation) als Sieger hervorging. Diese hatte in Oppositionszeiten eindeutig ethnisch-kulturelle Akzente gesetzt: Die Grundlagenverträge mit der Slowakei und Rumänien wurden als „Ausverkauf“ der Magyaren in diesen Ländern gebrandmarkt, das Programm der stärksten Partei auf der Rechten (Fidesz) forderte eine Art doppelte Außenpolitik -die des Staates und die der Nation -, und ihr Führer und heutiger Ministerpräsident Victor Orban wiederholte im Wahlkampf als eine Art Reverenz an Antall dessen berühmt gewordene Äußerung, er wolle der „geistige Ministerpräsident“ von 15 Millionen Ungarn (also unter Einschluß der Ungarn außerhalb Ungarns) sein. Auch nach dem Regierungsantritt waren Signale in dieser Richtung auszumachen: Offizielle Kommentare zu den Grundlagenverträgen konzentrierten sich auf die Punkte, die „noch durchgesetzt" oder „mit Leben erfüllt“ werden müßten, die Forderung nach einer ungarischen Universität in Rumänien wurde von der neuen Regierung demonstrativ unterstützt, und Orban selbst machte bei seinem Staatsbesuch im September 1998 in Italien im Zusammenhang mit der Vojvodina unmißverständlich deutlich, daß Budapest sich allein mit individuellen Rechten für die Angehörigen der Minderheiten nicht begnügen wolle, sondern Autonomie fordere.
Gleichwohl wäre es verfehlt oder zumindest verfrüht, von einer einfachen Rückkehr zur Antallsehen Konzeption zu sprechen. Denn die neue Regierung gab zugleich die Parole aus Pacta sunt servanda und bemühte sich in den Auseinandersetzungen um den Regierungsverbleib bzw. die Regierungsbeteiligung der Interessenvertretungen der Ungarn in Rumänien und in der Slowakei nach beiden Seiten hin um einvernehmliche Lösungen. Sie hat in ihrem Regierungsprogramm für die Außenpolitik eine Verbindung von moralischem Wertebezug und politischem Pragmatismus angekündigt. Daß das Pendel jetzt zunächst wieder etwas stärker zur nationalen Seite aus-schlägt, ist angesichts der Orientierung der linksliberalen Vorgängerkoalition nicht verwunderlich. Das schließt nicht aus, daß die (neue) Rechte auf Dauer eine Synthese zustande bringt, die sowohl die ultranationalen Überspitzungen der ersten als auch die anationalen Tendenzen der zweiten Konzeption vermeidet.
Insgesamt ist also im Hinblick auf die bilateralen Nachbarschaftsbeziehungen durchaus die Tendenz zu balancierteren Ansätzen erkennbar. Die einzige gewichtige Einschränkung, die in diesem Zusammenhang angeführt werden muß, betrifft das Ausmaß des Einflusses der äußeren Rahmenbedingungen und dessen Folgen. Daß gute und stabile Beziehungen zu den Nachbarn eine der wesentlichen Voraussetzungen für den Zugang zu den westlichen Institutionen bilden -und gestörte und instabile dem abträglich sind -, ist inzwischen zu einer Standardformel in ganz Osteuropa geworden. Zahlreiche Fortschritte in den Nachbarschaftsbeziehungen sind unter der unmittelbaren oder mittelbaren Wirkung dieses Arguments erzielt worden. Wenn auch am Wahrheitsgehalt dieser Formel nicht zu zweifeln ist, so läuft ihre Quintessenz zuweilen doch darauf hinaus, das unabhängig vom angestrebten Gütesiegel der Westbindungs-und Integrationsfähigkeit vorhandene Eigeninteresse übermäßig stark in den Hintergrund zu drängen. Hierin kommen weniger subjektive Schwächen der Osteuropäer als vielmehr objektive Konsequenzen der Kräfteverhältnisse, aber auch mögliche Gefahrenherde für die Zukunft zum Ausdruck.
Wenn auch die gegenwärtige Lage in der Nachbarschaftspolitik der ostmitteleuropäischen Staaten nicht ursächlich von der EU geschaffen worden ist -als Hauptbezugspunkt, Katalysator und notfalls Antreiber hat sie eine nicht hoch genug zu veranschlagende Rolle gespielt. Vor allem hält sie das Gerüst zusammen, dessen gegenwärtige Form überdurchschnittlich günstige Bedingungen für eine kooperative Grundrichtung der nachbarschaftlichen Beziehungen in Osteuropa bietet. Dieses Gerüst wird jedoch spätestens mit den ersten Aufnahmen in die EU anders aussehen -von innen wie von außen her betrachtet. Wird es ähnlich günstige Bedingungen bieten?
Was die Nachbarschaftspolitik auf multilateraler bzw. regionaler Ebene anbelangt, so ist eine deutliche Unterscheidung zwischen politisch sensitiven und weniger sensitiven Bereichen vonnöten. Dabei schneidet die regionale Kooperation in den weniger sensitiven Bereichen insgesamt besser ab. Die meisten Organisationen mit ostmittel-und südosteuropäischer Beteiligung, die üblicherweise unter dem Stichwort der regionalen Kooperation genannt werden, engagieren sich in Bereichen wie Transport, Verkehr, Ökologie, Energie, Telekommunikation, Bildung, Wissenschaft. Das gilt etwa für den Ostseerat, die Zentraleuropäische Initiative, die Schwarzmeer-Wirtschaftskooperationszone, die Karpatische Euroregion etc. Für die daran beteiligten Osteuropäer sind dabei die konkreten Projekte, die multilaterale Einbindung, aber am meisten vielleicht die Möglichkeit der direkten Kontakte auf den unteren Ebenen von Bedeutung. Relativ gering ist allerdings die Wirkung auf politische und wirtschaftspolitische Kern-interessen -zumal auch der finanzielle Handlungsrahmen schmal ausfällt.
Was nun die regionale Kooperation in politisch und wirtschaftspolitisch sensitiven Bereichen anbelangt, so werden deren Möglichkeiten im Westen zuweilen überschätzt. Aus den zu Beginn der neunziger Jahre lebhaften Konsultationen der ostmitteleuropäischen Staaten resultierte als einzig dauerhafte Vereinbarung diejenige über die Freihandelszone (CEFTA). Diese hat in der Tat eine gewisse Sogwirkung entfaltet -Slowenien kam 1996, Rumänien 1997 hinzu, Bulgariens Mitgliedschaft trat Anfang 1999 in Kraft; Lettland, Litauen und die Ukraine haben ihr Interesse angemeldet. Aber ihre Auswirkungen sind sehr begrenzt, selbst auf den intraregionalen Handel, und schon die erste Runde der EU-Osterweiterung wird die CEFTA zumindest in ihrer bisherigen Form nicht überleben.
Abgestimmte, politisch wirksame Aktionen der Ostmitteleuropäer kamen bislang lediglich in Ausnahmesituationen zustande, und dies auch nur, wenn sich alle Beteiligten schwach fühlten und Gefahr aus derselben Quelle (Moskau) vermuteten. Es war kein Zufall, daß die wichtigsten dieser Aktionen unter dem Stichwort der „VisegrdZusammenarbeit“ (im ungarischen Städtchen Visegräd vereinbarten im Februar 1991 Ungarn, Polen und die Tschechoslowakei ein koordiniertes Vorgehen in der Außenpolitik) in der Anfangsphase der Wende unternommen wurden -bei der Vorbereitung der Auflösung des Warschauer Pakts im Frühjahr 1991 und bei der Koordinierung der Reaktionen auf den Moskauer Putsch im August 1991. Die Konsultationen anläßlich der Auseinandersetzungen um das rußländische Parlament im Oktober 1993 waren schon erheblich weniger intensiv, und in den darauffolgenden Jahren wurden derartige Initiativen gar nicht mehr ergriffen. Erst nach der Entscheidung der NATO, Ungarn, Polen und Tschechien als erste zum Beitritt einzuladen, wurde wieder Schulterschluß demonstriert. Die Lobbyarbeit in den USA hinsichtlich der Ratifizierung der Beitrittsabkommen wurde von den drei Außenministern gemeinsam aufgenommen, die bei dieser Gelegenheit die Fortführung solcher Abstimmung untereinander versprachen. Ähnliche und sogar weiterführende Signale gingen vom Dreier-Gipfel im Oktober 1998 in Budapest aus, bei dem die Ministerpräsidenten eine Wiederbelebung der „Visegräd-Gruppe“ und ausdrücklich eine Koordinierung ihrer Anstrengungen um die Beitritte zu EU und NATO ankündigten. Von der subjektiven Ausgangslage her betrachtet, stehen die Vorzeichen dafür gegenwärtig tatsächlich günstig: Alle im Amt befindlichen Regierungen sind einer regionalen Zusammenarbeit gegenüber aufgeschlossen. Und im Hinblick auf die NATO hat sich auch die objektive Situation durch die Linderung des Konkurrenzdrucks verbessert. Dennoch sollten vor allem im Hinblick auf den EU-Beitritt die Erwartungen nicht zu hoch angesetzt werden.
Die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren belegen, daß sich in dieser Hinsicht selten eine Übereinstimmung der Interessenkonstellationen ergibt. Im Wettlauf um den Beitritt wurde stets von mindestens einer Seite -und stets von einer Seite besonders prononciert, entgegen anderslautenden Empfehlungen der EU -die Befürchtung geäußert, daß eine vertiefte regionale Kooperation eher hinderlich sein könnte. Man wolle nicht als Block, sondern individuell behandelt werden, hieß es dann. Erwartungsgemäß stammten solche Vorbehalte aus denjenigen Staaten, die sich zu dem betreffenden Zeitpunkt am weitesten fortgeschrit25 ten dünkten und sich die größten Chancen auf den Erstbeitritt ausrechneten -von 1993 bis 1996 war dies Tschechien, 1997 Ungarn.
Die in solchen Tendenzen zum Ausdruck kommenden Interessendivergenzen sind auf absehbare Zeit nicht zu vermeiden, da die strukturellen Gegebenheiten in Ostmitteleuropa einer vertieften regionalen Kooperation weit mehr entgegenstehen, als daß sie sie fördern. Die Region hat noch nie aus eigener Kraft eine gemeinsame Modernisierungsstrategie entwickelt. Sie hat stets starke externe Partner benötigt, die als „Modernisierungsanker“ fungieren; sie besitzt kein eigenes Gravitationszentrum. Darüber hinaus gleichen die Export-und Import-Strukturen der einzelnen Staaten einander -diese produzieren ähnliche Waren für den Export und sind von ähnlichen Importen abhängig. Es ist daher kein Zufall, daß der intraregionale Handel stets einen geringen Anteil an ihrem Handelsvolumen einnahm (Handelsanteile der CEFTA-Staaten 1997: bei Polen etwas mehr als sechs Prozent, bei Ungarn um die sieben Prozent, bei Tschechien -wegen des Slowakei-Handels -rund 17 Prozent). Daher trten sie auf den internationalen Märkten zumeist als Konkurrenten auf. Und es gibt keinen Anlaß für sie, aus den bisherigen Erfahrungen anderer Länder neue Schlüsse für ihre Einstellung zur regionalen Kooperation zu ziehen. Denn eine erfolgreiche regionale Kooperation ist nicht die Bedingung, sondern die Folge einer erfolgreichen Integration in die Weltwirtschaft.
Zu Rußland: Nation vor Kooperation
Bevor die ostmitteleuropäische Rußland-Politik angesprochen wird, sind einige Anmerkungen zur bisherigen Politik Rußlands gegenüber Ostmitteleuropa vonnöten. Diese hat bisher wenig dazu beigetragen, Belastungen und negative Stereotypen ab-und eine neue, auf Partnerschaft orientierte Grundlage aufzubauen. Eine eindeutige Distanzierung vom imperialen Charakter der Politik des zaristischen Rußland und der Sowjetunion ist lediglich von einzelnen liberalen, westlich orientierten Politikern und von Wissenschaftlern zu hören gewesen. Das offizielle Moskau hat darüber hinaus durch Unsicherheiten und Doppeldeutigkeiten in seiner Außenpolitik, durch Vernachlässigung und Geringschätzung der Beziehungen zu den ostmitteleuropäischen Staaten sowie durch den Widerstand gegen die NATO-Osterweiterung vorhandene Skepsis und Ressentiments bestärkt. Dies alles darf bei der Beurteilung der ostmitteleuropäischen Perzeptionen nicht aus dem Blickfeld geraten.
Die Beziehungen Polens, Ungarns und Tschechiens zu Rußland sind korrekt, aber kühl und in einem Fall (Polen) zeitweilig immer wieder angespannt. Zwar besteht hier ebenfalls ein relativ dichtes Netz von Kooperationsabkommen, und auf einigen Feldern -etwa der wirtschaftlichen Zusammenarbeit oder der Handelsbeziehungen -sorgt beiderseitiges Interesse für weitgehend normale Verhältnisse. Doch die Kernbereiche der politischen Beziehungen sind belastet. Darüber darf auch nicht die offizielle Sprachregelung hinwegtäuschen, deren man sich seit einigen Jahren bedient. Es gehe von niemandem in Europa gegenwärtig eine militärische Bedrohung aus, heißt es übereinstimmend in den sicherheitspolitischen Doktrinen Warschaus, Budapests und Prags, und man strebe gute und stabile Beziehungen mit Rußland an. Beides ist glaubwürdig -enthält aber nicht die ganze Wahrheit und weist allenfalls andeutungsweise (durch die Betonung auf „gegenwärtig“) auf Bedenken in den eigenen Perzeptionen hin.
Diese lauten, wenn man die in Polen vorherrschenden, in Ungarn oft vertretenen, in Tschechien insgesamt etwas zurückhaltender formulierten Grundpositionen zusammenfaßt, etwa folgendermaßen: Rußlands Streben gehe seit Ende 1992 dahin, den verlorenen Supermacht-Status wiederzuerlangen. Der außenpolitische Konsens, in den Folgejahren auf dieser Basis hergestellt und unter Primakov gefestigt, sei von den Traditionen des zaristischen Rußland und der Sowjetunion bestimmt. Daher sei Rußland zur Geopolitik und Geostrategie zurückgekehrt, es denke wieder in den Kategorien des Raums und des imperialen Zentrums Moskau. Im Hinblick auf Ostmitteleuropa und vor allem auf Polen wolle es seinen historischen Einfluß wiederherstellen. Erst eine fundamentale Transformation der Mentalitäten der russischen Eliten oder ein Generationenwechsel könnte die Möglichkeit für eine dauerhafte Veränderung der Beziehungen zwischen Rußland und Ostmitteleuropa eröffnen.
Angesichts der Erfahrungen und Perzeptionen ist die Tendenz zur Abgrenzung zu Rußland nicht verwunderlich. Dabei sind auch die ostmitteleuropäischen Ansätze nicht frei von Doppeldeutigkeiten. Während in Polen etwa zu Recht kritisch registriert wird, daß sich Rußland lediglich in bezug auf Katyn zu einer Entschuldigung bereit fand, reagierte Warschau, wenn es selbst mit analogen Ansinnen konfrontiert wurde, nicht immer seinen eigenen Maßstäben entsprechend: Der Ukraine gegenüber gestand der polnische Senat die „historische Schuld“ des Landes in Zusammenhang mit den Zwangsumsiedlungen von Ukrainern während der „Aktion Weichsel“ im Jahre 1947 ein und verurteilte sie, doch das litauische Verlangen nach einer polnischen Entschuldigung für die Annexion des Gebiets von Vilna in der Zwischenkriegszeit wurde mit dem Argument zurückgewiesen, internationales Recht stehe über „historischen Mythen“. Ähnlich verhält es sich im Hinblick auf geopolitische Überlegungen: Russischen Politikern und Publizisten werden sie zu Recht vorgehalten, doch sind sie auch einflußreichen ostmitteleuropäischen Autoren durchaus nicht fremd. Und deren Erwägungen zielen unverhohlen auf die Distanzierung Rußlands: Das in diesen Kreisen populärste Modell ist die Zweiteilung zwischen einem euro-atlantischen Verbund von Vancouver bis Kyjiv (Kiev) auf der einen und einer eurasischen Zone unter Moskau auf der anderen Seite. Polens Ziel, heißt es in einer offiziösen Analyse aus Warschau, sei nicht die institutionalisierte „Europäisierung“ Rußlands, sondern ein Rußland mit einem „pragmatischen Eurasismus“.
Zur Abgrenzung beigetragen hat noch mehr eine auf beiden Seiten im politischen Vorgehen enthaltene Mißachtung und Geringschätzung. Rußland überging im Hinblick auf die NATO-Osterweiterung nicht nur die Interessen der Ostmitteleuropäer, sondern auch diese selbst. Von einer kurzen Phase des Entgegenkommens gegenüber Polen im Frühjahr 1993 abgesehen, wandte es sich direkt an den Westen und rief den Eindruck hervor, es wolle sich nicht nur in die Angelegenheiten der Ostmitteleuropäer einmischen, sondern dies auch noch über deren Köpfe hinweg tun. Andererseits haben auch die Ostmitteleuropäer selten den direkten Kontakt gesucht. In dem Hauptziel ihrer Politik gegenüber Moskau sind sie sich einig: Es gilt, das Wiederaufleben gefährlicher rußländischer Macht auf Dauer zu verhindern. Dabei können sie grundsätzlich mit vier möglichen Partnern kooperieren: mit dem Westen, den jeweils anderen ostmitteleuropäischen Staaten, den östlichen Nachbarn im früheren sowjetischen Raum und den demokratischen und kooperationsbereiten Kräften in Ruß-land selbst.
Die Ostmitteleuropäer haben die Zusammenarbeit mit dem Westen und untereinander stets und die mit ihren östlichen Nachbarn in zunehmendem Maße gesucht, aber wenig oder gar nicht diejenige mit den möglichen Adressaten in Rußland. Da dies umgekehrt nicht anders war, haben sich die Möglichkeiten zur wechselseitigen Kenntnisnahme und Einwirkung tendenziell reduziert. Bezeichnend für diese Entwicklung war das Ergebnis der bislang einzig nennenswerten Initiative zu einer leichten Akzentverschiebung, die von einer ostmitteleuropäischen Regierung ausging. Als der damalige ungarische Ministerpräsident Horn 1994 versuchte, seine Kollegen aus Polen, Tschechien und der Slowakei für den Gedanken intensiver Verhandlungen mit Moskau zu erwärmen, um dessen Besorgnisse hinsichtlich der NATO-Osterweiterung zu verringern, handelte er sich harsche Kritik von Warschau und Prag ein.
Die Abgrenzungstendenzen sind zuweilen Gegenstand von Debatten zwischen den Ostmitteleuropäern und dem Westen, in denen zutage tritt, daß im Hinblick auf Rußland erheblich mehr Divergenzen vorhanden sind als im Falle der Nachbarschaftspolitik. Von ostmitteleuropäischer Seite wird dabei nicht nur eine Erfahrungslücke des Westens in bezug auf Rußland beklagt. Auch sei -nicht in allen, wohl aber in einigen einflußreichen westlichen Kreisen -nach wie vor eine Art „Kennan-Syndrom“ verbreitet, also die übermäßige Konzentration des Augenmerks und der Politik auf Rußland zu Lasten Ostmitteleuropas. Daraus resultierende Sorgen äußern sich immer wieder in kritischen Kommentaren über vermeintlich allzu intensive Rußland-Kontakte westlicher Staaten und Institutionen, zuletzt besonders deutlich im Zusammenhang mit dem deutsch-französisch-rußländischen Gipfel im März 1998. Das gilt erst recht, wenn dabei institutionelle Konstellationen entstehen, die an ein „Konzert der Mächte“ erinnern, woraus sich etwa die namentlich in Polen vorhandenen Reserven gegenüber der Einrichtung der Kontaktgruppe erklären. Aus der Sicht der Ostmitteleuropäer ist jedenfalls die an sie gerichtete westliche Forderung falsch und im Grunde genommen unerfüllbar, Prinzipien guter Beziehungen zu Rußland zu entwickeln, bevor ihre Staaten inhärenter Teil des Westens geworden sind. Vielmehr sollte der Westen die Reihenfolge ändern und eindeutige Prioritäten zugunsten Ostmitteleuropas setzen.
Wird sich nach den Beitritten Grundlegendes an der Rußland-Politik der ostmitteleuropäischen Staaten ändern? Die Bedingungen für die Ostmitteleuropäer und ihre Rußland-Politik werden sich erheblich verbessern, da damit wichtige ihrer Forderungen erfüllt und wesentliche ihrer Sorgen ausgeräumt sein werden. Gleichwohl sind angesichts der Andersartigkeit des Erfahrungshintergrunds, der Perzeptionen und der Interessenlagen auch dann noch spezifische Akzente der Ostmitteleuropäer zu erwarten, zumal aus ihrer Sicht ein ausgewogeneres Verhältnis nicht hauptsächlich von ihnen abhängt. Solange sich Rußland nicht in ihrem Sinne transformiert, wird bei den Ostmitteleuropäern auf diesem Feld die Nation eindeutig Vorrang vor der Kooperation haben.
Fazit
Die bisherige Bilanz fällt besonders vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen durchaus beachtlich aus: Polen, Tschechien und Ungarn sind erstmals im 20. Jahrhundert auf dem Wege, die Spannung von Nation und Außenpolitik in einer einigermaßen balancierten Weise zu bewältigen. Zwar sind immer wieder deutliche Ausschläge und Wellenbewegungen zutage getreten, und nicht auf allen wichtigen Feldern der Außenpolitik konnten annähernd gleiche Fortschritte erzielt werden.
Weiterführende Literatur Dennoch gibt die Gesamttendenz Anlaß zu vorsichtigem Optimismus.
Nicht nur in Anbetracht der kurzen Zeitspanne kann sie gleichwohl noch nicht als abgesichert angesehen werden. Denn hierzu bedarf es der Festigung einer Entwicklung, die zu gewährleisten nicht in der Macht der Ostmitteleuropäer allein liegt. Die wichtigsten Tendenzen der weiteren Entwicklung und damit der Geist der Post-1989-Ära müssen supranational und integrierend bleiben, integrierend in doppeltem Sinne: nach außen zu Osteuropa hin, nach innen zu einer vernünftigen Verbindung von Nation und supranationalem Zusammenschluß. Die eingebundenen osteuropäischen Staaten hätten dann die große Chance, die negativen Traditionslinien sowohl der Zwischenkriegszeit wie auch der sozialistischen Periode hinter sich zu lassen. Die Gefahr von Sonderwegen wäre zunächst überwunden, und Disproportionen im Spannungsverhältnis von einzelstaatlichem Handeln und überstaatlicher Verbindung könnten in freiwillig akzeptiertem institutionellem Rahmen schrittweise abgebaut werden.
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