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Nichteheliche Lebensgemeinschaften Zwischen konventionellen und alternativen Lebensformen | APuZ 53/1998 | bpb.de

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APuZ 53/1998 Zur Dialektik von Individualisierung und Rückbindung am Beispiel der Paarbeziehung Die Seismographen der Modernisierung Singles in Deutschland Nichteheliche Lebensgemeinschaften Zwischen konventionellen und alternativen Lebensformen Familie, Ökonomie und Fürsorge

Nichteheliche Lebensgemeinschaften Zwischen konventionellen und alternativen Lebensformen

Wolfgang Glatzer

/ 18 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Nichteheliche Lebensgemeinschaften haben sich in den letzten Jahrzehnten rapide verbreitet, stellen aber nach wie vor nur einen kleinen Anteil der Bevölkerung dar. Sie sind durch große Verschiedenheit gekennzeichnet, z. B. kann es sich um voreheliche Lebensgemeinschaften lediger oder um nacheheliche Lebensgemeinschaften geschiedener bzw. verwitweter Menschen handeln. Nichteheliche Lebensgemeinschaften stellen zum größeren Teil Zweipersonenhaushalte dar, zum Teil aber auch unverheiratete Paare mit Kindern, die von der Zusammensetzung her einer Familie entsprechen. Es hat den Anschein, daß die nordeuropäischen Länder mit weit höheren Anteilen nichtehelicher Lebensgemeinschaften der Vorreiter einer Entwicklung sind, die die mitteleuropäischen Länder teilweise nachvollzogen haben, während die südeuropäischen Länder weit dahinter Zurückbleiben. Die nichtehelichen Lebensgemeinschaften in Deutschland stellen keine Problemgruppe wie die Alleinerziehenden dar, sondern verweisen auf einen eher privilegierten Lebensstil. Sie sind sehr oft das Vorstadium zur Ehe und unterscheiden sich in Einstellungen und Wohlbefinden nur partiell von den Ehen. Im Hinblick auf die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern sind sie relativ innovativ. Die populäre These von der Bedrohung von Ehe und Familie durch nichteheliche Lebensgemeinschaften erscheint bei näherem Hinsehen nicht sehr stichhaltig. Es handelt sich bei den nichtehelichen Lebensgemeinschaften um eine Ausdifferenzierung von Lebensformen, die auf bestimmte Bedürfnisse sensibler reagieren als traditionelle Institutionen. Von den nichtehelichen Lebensgemeinschaften gehen auch stabilisierende Wirkungen auf das Ehe-und Familiensystem aus.

Von nichtehelichen Lebensgemeinschaften sollte grundsätzlich in der Mehrzahl gesprochen werden, weil die große Heterogenität dieser Lebensform (bzw. dieses Haushaltstyps) augenfällig ist. Es gibt nicht „die“ nichteheliche Lebensgemeinschaft, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Formen Zwar gilt dies teilweise auch für die „Familie“, aber der umgangssprachliche Begriff der „Familie“ ist mit vergleichsweise klaren Vorstellungen verbunden, die dem Begriff der „nichtehelichen Lebensgemeinschaft“ fehlen. Mehrere Begriffe für den gleichen Sachverhalt -„unverheiratet Zusammenlebende“, „Ehe auf Probe“, „Ehe ohne Trauschein“, „Kohabitation“, „Konkubinat“ bis hin zur „wilden Ehe“ usw. -weisen auf die sprachliche Offenheit in diesem Bereich hin. Während es eindeutig feststeht, wann aus einem Paar ein Ehepaar bzw. eine Familie wird, ist es nicht klar, wann ein vorübergehendes Zusammenleben in eine nichteheliche Lebensgemeinschaft übergeht; das Kriterium von einem halben Jahr des Zusammenlebens, das öfter gebraucht wird, stellt eine künstliche Grenzziehung dar.

Die amtliche Statistik erfaßte erstmals im Mikrozensus 1996 die nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Hilfe einer direkten Frage nach einem privaten Haushalt, in dem unverheiratete Lebenspartner gemeinsam wohnen und wirtschaften Dabei kann es sich um Zweipersonenhaushalte handeln, die nur aus einem Paar bestehen, aber auch um Drei-und Mehrpersonenhaushalte, in denen es ein Kind bzw. mehrere Kinder gibt. Diese können von dem nichtehelichen Paar abstammen oder von einem der Partner in die Lebensgemeinschafteingebrachtworden sein. Eine nichteheliche Lebensgemeinschaft kann also, was die personelle Zusammensetzung betrifft, einm kinderlosen Ehepaar entsprechen, aber auch einer vollständigen Familie. Die Variabilität der Haushaltsstruktur ist nur eine von mehreren Dimensionen, die zur Heterogenität der nichtehelichen Lebensgemeinschaften beiträgt. Darüber hinaus sind insbesondere Alter und Familienstand der beteiligten Personen bedeutsam: Es kann sich beispielsweise um eine voreheliche Lebensgemeinschaft von ledigen jungen Menschen oder um eine nacheheliche Lebensgemeinschaft von verwitweten bzw. geschiedenen älteren Menschen handeln. Schließlich ist nicht zuletzt das Selbstverständnis wichtig, das die Paare ihrer nichtehelichen Lebens-gemeinschaft zugrunde legen. Sie definieren ihre Lebensform entweder als Übergangsphase in eine konventionelle Ehe, oder sie verstehen sie grundsätzlich als alternative Lebensform.

Bereits aus dieser Sicht ist von einer Pluralität nichtehelicher Lebensgemeinschaften auszugehen Hinzu kommt, daß die amtliche Definition einige Lebensformen ausschließt, die an anderer Stelle durchaus als nichteheliche Lebensgemeinschaft betrachtet werden: -unverheiratete Paare, die längerfristig Zusammenleben, aber zwei Wohnungen beibehalten, die also dem Lebensstil des „living apart together“ entsprechen; hier werden Elemente des Alleinlebens mit solchen des Zusammenlebens kombiniert; -unverheiratete Paare, die in einer gemeinsamen Wohnung eine getrennte Wirtschaftsführung beibehalten, die also Einkommen und Ausgaben ganz oder teilweise trennen; -gleichgeschlechtliche Paare, die gemeinsam wohnen und wirtschaften, denen die Möglichkeit zu einer „registrierten Partnerschaft“ in Deutschland bisher nicht offensteht.Es wäre unzutreffend, die nichtehelichen Lebens-gemeinschaften als sozial isolierte Einheiten aufzufassen. Vielmehr muß man davon ausgehen, daß sie in soziale Netzwerke integriert sind, in Familien-und Verwandtschaftszusammenhänge einerseits und in das Netzwerk von Freunden, Nachbarn und Kollegen andererseits.

Abgesehen von Ausnahmefällen wird im folgenden von nichtehelichen Lebensgemeinschaften ausgegangen, die aus heterosexuellen Paaren bestehen, die gemeinsam wohnen und wirtschaften.

I. Die rapide Verbreitung nichtehelicher Lebensgemeinschaften

Grafik 1: Die Entwicklung der nichtehelichen Lebensgemeinschaften im Vergleich zu Ehepaaren, Allein-stehenden und Alleinerziehenden von 1972 bis 1996 in Westdeutschland. Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus, zitiert nach: Charlotte Höhn/Jürgen Dorbritz, Zwischen Individualisierung und Instituionalisierung, in: Bernhard Nauck/Corinna Onnen-Isemann, Familie im Brennpunkt von Wissenschaft und Forschung, Neuwied -Kriftel -Berlin 1995.

Die Haushalts-und Familienformen in Deutschland stehen in den letzten Jahrzehnten in einem Prozeß der Pluralisierung und Singularisierung Im

Vergleich zu früher prägen vielfältigere, kleinere Haushaltstypen das Bild, die oft nichtkonventionelle Lebensformen darstellen Weder Singles noch Alleinerziehende weisen jedoch vergleichbare Wachstumsraten wie die nichtehelichen Lebensgemeinschaften auf. Seit ihre Zahl mit Hilfe der Amtlichen Statistik (Mikrozensus) geschätzt wird, also seit 1972, stieg die Zahl von 137 000 auf 1 408 000 im Jahr 1996 an (in den alten Bundesländern); sie hat sich damit mehr als verzehnfacht Für sich betrachtet sind dies außerordentliche Wachstumsraten. Jedoch bleibt, wie der Vergleich zur Zahl der Ehepaare und Alleinlebenden zeigt, die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften auf niedrigem Niveau (Grafik 1).

Auch wenn man mit guten Belegen davon ausgehen kann, daß die Amtliche Statistik die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften zu gering ermittelt -die Ergebnisse der Umfrageinstitute liegen weit höher -, so ändert sich im Grundsatz kaum etwas.

Das rapide Wachstum der nichtehelichen Lebens-gemeinschaften erfolgte von einer niedrigen Ausgangsbasis und führte im Ergebnis dazu, daß 1996 5, 7 Prozent der erwachsenen Bundesbürger einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft angehörten. Die große Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung ist verheiratet (59, 9 Prozent) bzw. lebt allein (19, 4 Prozent). Von der Größenordnung her sind den nichtehelichen Lebensgemeinschaften die Allein-erziehenden (3. 4 Prozent der erwachsenen Bundesbürger) vergleichbar. Während aber die Allein-erziehenden immer wieder als gesellschaftliche Problemgruppe öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, steht bei den nichtehelichen Lebensgemeinschaften die Besonderheit ihres Lebensstils im Vordergrund.

In den nichtehelichen Lebensgemeinschaften dominieren erwartungsgemäß die Jüngeren; man kann die Lebensform deshalb altersphasenspezifisch nennen, aber dies schließt nicht aus, daß auch Ältere diese Lebensform in bedeutsamem Umfang wählen. In allen Alterskategorien ist die Anzahl der Bundesbürger, die nichtehelichen Lebensgemeinschaften angehören, in den letzten Jahrzehnten markant gestiegen (vgl. Grafik 2).

Noch 1972 lag der Anteil der nichtehelichen Lebensgemeinschaften in allen Alterskategorien unter ein Prozent. Heute wählen die Lebensform der nichtehelichen Lebensgemeinschaften vor allem die 25-bis 34jährigen. Interessanterweise wohnen die 18-bis 24jährigen noch ganz überwiegend bei ihren Eltern (73, 4 Prozent). Und bei den 30-bis 34jährigen befinden sich bereits die meisten in einer Ehe bzw. Familie. Mit höherem Alter sinkt der Prozentsatz derjenigen, die einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft angehören, immer stärker. Demnach werden die nichtehelichen Lebensgemeinschaften insbesondere in der Übergangsphase zwischen dem Verlassen des Elternhauses und dem Eintritt in den Ehe-und Familienstand als Lebensform gewählt. Manche Sozialwissenschaftler hat dies veranlaßt, in der nichtehelichen Lebensgemeinschaft das funktionale Äquivalent zum traditionellen Verlöbnis zu sehen, obwohl dagegen Einwände vorgebracht werden, die die Eigenständigkeit der Verlobung betonen Trotz des großen Wachstums hält sich die Verbreitung nichtehelicher Lebensgemeinschaften also in Grenzen und bleibt weit hinter dem Anteil verheirateter Bundesbürger zurück. Auch an diesem Punkt unterscheiden sich Ost-und Westdeutschland nicht unerheblich. In den neuen Bundesländern ist der Anteil nichtehelicher Lebensgemeinschaften weit höher (vgl. Grafik 2). Während die Situation in Ostdeutschland damit mehr jener in den protestantischen nordeuropäischen Ländern entspricht, scheint sie in Westdeutschland mehr der in den konfessionell gemischten mitteleuropäischen Ländern zu gleichen. Was Deutschland im europäischen Vergleich betrifft, so befindet sich der Anteil der Erwachsenen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften dicht beim europäischen Durchschnitt von 4, 5 Prozent der erwachsenen Personen (Grafik 3).

Die ausgewählten Länder der Grafik repräsentieren Nordeuropa (Schweden), Mitteleuropa (Frankreich und Deutschland) und Südeuropa (Spanien) im Hinblick auf ihren Anteil nichtehelicher Lebensgemeinschaften. In nordeuropäischen Ländern liegt dieser Anteil ungefähr dreimal höher als in Deutschland, wobei die höchsten Werte von den protestantisch geprägten Ländern Schweden und Dänemark aufgewiesen werden. Höher als Deutschland liegt der Anteil nichtehelicher Lebensgemeinschaften auch in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg, die religiös gemischt sind. Weit niedriger liegen die Anteile in den katholischen Ländern Südeuropas: Spanien, Griechenland, Italien und Portugal. Auch Irland gehört zum katholischen Muster. In der vorherrschenden Religionszugehörigkeit kann der entscheidende Faktor für die Verbreitung nichtehelicher Lebensgemeinschaften gesehen werden. Dies gilt auch innerhalb Deutschlands, wo Religionszugehörigkeit und Kirchenbindung sich entsprechend auswirken. Dem Katholizismus gelang es bisher, das auf dem Konzil von Trient 1563 ausgesprochene Verbot nichtehelicher Lebensgemeinschaften aufrechtzuerhalten und relativ stark durchzusetzen. Aber es ist nicht ganz unwahrscheinlich, daß die protestantischen Länder den Vorreiter einer Entwicklung darstellen, die anschließend von den konfessionell gemischten und katholischen Ländern nachgeholt wird.

II. Ausdifferenzierung von Lebensformen statt Verdrängung von Ehe und Familie

Grafik 2: Der Anteil nichtehelicher Lebensgemeinschaften nach Altersgruppen 1972 und 1996 in Ost-und Westdeutschland (in Prozent) Quelle: H. Engstler (Anm. 7), S. 62, Tabelle 24.

Wie läßt sich die Entwicklung zur schnellen Verbreitung nichtehelicher Lebensgemeinschaften interpretieren? Einer populären Sichtweise zufolge gelten die nichtehelichen Lebensgemeinschaften als Herausforderung bzw. als Angriff auf die Familie. Auch in manchen sozialwissenschaftlichen Texten wird die Institution der Familie in der Gefahr der Auflösung gesehen bzw. eine Erosion des bürgerlichen Familienmusters beobachtet. Dies ist einerseits nicht ganz falsch; zu Recht sprechen Sozialwissenschaftler von einer gewissen De-Institutionalisierung der Familie. Andererseits sind solche Untergangsprophetien völlig überzogen. Bereits das Zahlenverhältnis von nichtehelichen Lebensgemeinschaften zu Ehepaaren in Deutschland ließe höchstens die Schlußfolgerung zu, daß sich -bildlich gesprochen -David und Goliath gegenüberstehen. Wie schon gesagt sind um die 60 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Ehen und Familien eingebunden, nur knapp sechs Prozent gehören nichtehelichen Lebensgemeinschaften an. Voraussetzung dafür, daß Ehe und Familie einerseits und nichteheliche Lebensgemeinschaften andererseits vergleichbare Bedeutsamkeit erreichen könnten, wäre eine über mehrere Generationen fortschreitende Erosion. Auf so lange Sicht gehört allerdings wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß Wendungen des Wertewandels auch wieder zu einer Renaissance von modernisierten Ehe-und Familienformen führen

Neu ist heute im Vergleich zu den sechziger Jahren, daß neben Ehe und Familie nun weithin anerkannte weitere Lebensformen bestehen. Aber dies muß zukünftig nicht die Konsequenz ihrer massenhaften Verbreitung haben. Je mehr sie sich in der Realität durchsetzen, desto mehr Erfahrungen werden damit gesammelt und desto mehr werden auch die Schattenseiten sichtbar. Wie bei allen Visionen werden auch die nichtehelichen Lebens-gemeinschaften von einem Prozeß der Entzauberung und Veralltäglichung -im Einzelfall wie als gesellschaftlicher Lebensentwurf -eingeholt werden.

Die Akzeptanz der nichtehelichen Lebensgemeinschaften braucht keinesfalls als ideologische Kampfansage gegen Ehe und Familie interpretiert werden. Allen gesellschaftstheoretischen Einsichten zufolge kann es einen institutioneilen Stillstand -auch der Institutionen Ehe und Familie -nicht geben. Aus einer modernisierungstheoretischen Sicht stellen die nichtehelichen Lebensgemeinschaften eine Reaktion auf Bedürfnisse dar, die durch die traditionellen Institutionen nicht oder nicht gut befriedigt werden. Das Institutionengefüge reagiert durch die Ausdifferenzierung von Lebensformen flexibel auf neue Bedürfnisse und Interessen, die im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß hervortreten. Neben die formelle Kern-Institution der Familie tritt die informelle Neben-Institution der nichtehelichen Lebens-gemeinschaft. Sie vergrößert das Angebot an Orientierungsmustern und wählbaren Alternativen. In der ursprünglichen Entwicklung nichtehelicher Lebensgemeinschaften hat der Protestgedanke durchaus eine erhebliche Rolle gespielt. Die seit langem bekannte „wilde Ehe“ und ähnlich unkonventionelle Lebensformen wurden in bewußter Distanzierung vom bürgerlich-christlichen Ehemodell konzipiert. Vor allem die Frauenbewegung hat das als patriarchalisch gekennzeichnete Eherecht kritisiert. Nichteheliche Partnerschaften schienen dem Emanzipationsanspruch der Frauen eher gerecht zu werden als das legalisierte Ehemodell. Die Antihaltung zu Ehe und Familie blieb jedoch auf eine Minderheit beschränkt und kennzeichnet nicht die Mehrheit der nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Diese streben keine Vermeidung der Ehe an, sondern eher das Gegenteil; als Vor-stadium zur Ehe dienen viele nichteheliche Lebensgemeinschaften gerade dazu, eine gute Ehe-beziehung vorzubereiten.

Viele jüngere und ältere Menschen ziehen heute aus pragmatischen und emotionalen Gründen zusammen, ohne damit ein Verdikt gegen die Ehe zu fällen. In entsprechenden Untersuchungen ist häufig eine indifferente Haltung gegenüber Ehe und Familie auf Seiten der nichtehelichen Lebens-gemeinschaften festgestellt worden. Es wird darüber hinaus sogar argumentiert, daß es zur Vorbereitung einer Ehe vernünftig sei, Erfahrungen im Zusammenleben zu sammeln. Ein hoher Anteil der heute vorhandenen Ehepaare bestätigt, daß es bei ihnen zur Normalität gehörte, vor der Eheschließung in einem eheähnlichen Verhältnis gelebt zu haben. Darauf zu verzichten wird sogar als leichtsinnige Handlung -nicht zuletzt angesichts steigender Zahlen von Ehescheidungen -bezeichnet. Somit wäre die Institution der Ehe selbst, also die Absicht, eine Ehe erfolgreich zu bewältigen, ein wichtiger Anstoßpunkt, um nichteheliche Lebens-21 gemeinschaften zu gründen. Damit korrespondiert die unterschiedliche gesellschaftliche Akzeptanz, wie sie in repräsentativen Umfragen zum Ausdruck kommt: Eine dauerhafte Alternative zur Ehe wird viel weniger akzeptiert als ein vorübergehendes voreheliches Zusammenleben.

Für die jungen Erwachsenen hat sich eine Übergangsphase vom Verlassen des Elternhauses bis zum Eingehen einer Ehe bzw.der Gründung einer •Familie ausdifferenziert, die zu einer relativ eigenständigen Lebensphase wurde, in der häufig die Entscheidung für die Lebensform der nichtehelichen Lebensgemeinschaft getroffen wird. Ähnlich können die nachehelichen Lebensgemeinschaften gesehen werden, bei denen nach dem Verlust des Ehepartners durch Trennung, Scheidung oder Verwitwung eine anschließende Lebensphase gewählt wird, die sowohl die förmliche Ehe als auch das Alleinleben vermeidet.

III. Heiratsabsichten und Heiratshemmnisse

Grafik 3: Der Anteil nichtehelicher Ländern Europas 1994 (in Prozent) Quelle: Lebensgemeinschaften nach Altersgruppen in ausgewählten Joachim Vogel, Living conditions and inequality in the European Union 1997, Eurostat Working Papers, E/1997-3, S. 130.

Die Gründung und Beendigung nichtehelicher Lebensgemeinschaften wird von individuellen Heiratsabsichten und Heiratshemmnissen gesteuert, die eng mit Wertvorstellungen und Lebenserfahrungen -nicht zuletzt im eigenen Elternhaus -Zusammenhängen. Nachdem im Rahmen von Individualisierungstendenzen der normative Druck zugunsten bestimmter Lebensformen zurückgenommen wurde, besteht eine relativ hohe Wahl-freiheit im Hinblick auf die eigene Lebensform. Heiratshemmnisse, die zur Bildung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft führen, beruhen zum Teil auf prinzipiellen Bedenken, was dazu führt, daß die nichteheliche Lebensgemeinschaft als dauerhafte Alternative zur Ehe gesucht wird. Die grundsätzliche Ablehnung der Ehe erfolgt auch, weil eigene (bei nachehelichen Lebensgemeinschaften) oder fremde Erfahrungen (der Eltern bzw.der Umwelt) mit Ehen als nachhaltig abschreckend empfunden werden.

Mit der Ablehnung der Ehe ist keinesfalls immer die Ablehnung von Kindern verbunden; es entwikkelt sich vielmehr aus der grundsätzlichen Verweigerung der Ehe bei einem Teil der nichtehelichen Lebensgemeinschaften die „nichteheliche Familie“, also das nichteheliche Paar mit Kind(ern). Blieben „Ehen auf Probe“ oft bewußt kinderlos, so lassen sich in den letzten Jahrzehnten häufiger „nichteheliche Familien“ beobachten.

Die meisten Menschen haben die Absicht, im Lauf ihres Lebens zu heiraten, und realisieren dies auch" Die Heiratsabsicht ist freilich kein Grund dagegen, eine voreheliche Lebensgemeinschaft zu gründen. Im Gegenteil: Die nichteheliche Lebens-gemeinschaft wird als Überbrückungs-oder Probe-phase zum Bindeglied zwischen dem Verlassen der Herkunftsfamilie und der Eheschließung bzw.der Familiengründung. Der entscheidende Schritt von der nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu Ehe und Familie wird in Westdeutschland durch die Geburt eines Kindes ausgelöst. Es ist das Ereignis, das in der Regel zur Legalisierung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft führt. In Ostdeutschland, wo das Verhaltensmuster mehr den nordischen Ländern entspricht, wird demgegenüber die Mehrheit der erstgeborenen Kinder außerehelich geboren; drei Jahre danach sind etwa 40 Prozent von ihnen ehelich geworden.

Sich gegen eine Institutionalisierung der Paarbeziehung in Form einer Ehe auszusprechen kann sehr unterschiedlich motiviert sein: Während die einen nur eine kurz-bzw. mittelfristig angelegte Paarbeziehung wollen, möchten andere eine Ehe auf Probe eingehen und wieder andere eine bewußte Alternative zur Ehe wählen. Vielfach besteht lediglich eine Indifferenz gegenüber der Ehe, und andere Gründe z. B. wirtschaftlicher oder rechtlicher Art beeinflussen die Entscheidung für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft. Es kann zu einer diffusen Mischung der Motive kommen, und auch Meinungsänderungen sind nicht ausgeschlossen. Nicht jede Ehe auf Probe führt zur Ehe, und mancher strikte Heiratsgegner landete im Hafen der Ehe.

IV. Die Lebensverhältnisse der nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften

Die Frage, wie sich die Lebensqualität von ehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften unterscheidet, ist naheliegend, aber schwer zu beantworten. Wenn in den beiden Gruppen verschiedene Bedürfnisse und Wertvorstellungen bestehen, dann ist ein einheitlicher Vergleichs-maßstab kaum sinnvoll. Hinzu kommt, daß die nichtehelichen Lebensgemeinschaften der Tendenz nach eine ganz spezielle Auswahl der Bevöl-kerung darstellen -sie sind eher jung, höher gebildet und eher wohlhabend. Sie müßten streng-genommen einer vergleichbaren Gruppe gegenübergestellt werden.

In den Wertvorstellungen nichtehelicher Lebensgemeinschaften nimmt die Selbstverwirklichung von Frau und Mann einen besonderen Stellenwert an. Sie werden als beziehungsorientiert gekennzeichnet und stellen besonders hohe Anforderungen an die Qualität der Partnerbeziehung. Dies unterscheidet sie von den Ehepaaren, aber in vielen Fällen holt die Realität diese Visionen weitgehend ein. Im Vergleich ehelicher und nichtehelicher Partnerschaften konnten erstaunlich wenig Unterschiede hinsichtlich Einstellungen und Orientierungen festgestellt werden, auch was die Karriereorientierung und das Freizeitverhalten betrifft. Dies beruht nicht nur darauf, daß sich die nichtehelichen Lebensgemeinschaften „anpassen“, sondern auch darauf, daß sich Ehen und Familien „modernisieren“.

Besondere Erwartungen werden auch an nichteheliche Lebensgemeinschaften im Hinblick auf das Rollenverhalten und die Arbeitsteilung im Haushalt gerichtet. Entsprechende Untersuchungsergebnisse sind nicht eindeutig: Es wurden Ansätze zu einer weniger konventionellen Rollenübernahme nichtehelicher Partner entdeckt, aber nicht in allen Studien. Eine innovative Rollenübernahme erfolgt in starker Abhängigkeit von der Wohnform, also vor allem bei nichtehelichen Paaren, die getrennt voneinander wohnen Aber auch zusammenwohnende unverheiratete Paare bevorzugen eigene Räume, die ihnen Rückzugs-möglichkeiten bieten. Insgesamt läßt sich sagen, daß nichteheliche Lebensgemeinschaften eine gerechte Verteilung der Hausarbeit anstreben, daß sie aber in der Realität oft auf Schwierigkeiten stoßen und dann doch nicht selten traditionalen Rollenverteilungen folgen

Aus ökonomischer Sicht gehören die nichtehelichen Lebensgemeinschaften zu den eher privilegierten Lebensformen. Dies wird insbesondere im Vergleich zur anderen neuen Lebensform, der der Alleinerziehenden, deutlich, die durch niedrige Durchschnittseinkommen und hohe Armutsquoten gekennzeichnet sind, während die nichtehelichen Lebensgemeinschaften hohe Durchschnittseinkommen und geringe Armutsquoten aufweisen. Die Gründe dafür liegen im relativ hohen Bildungsstand der Partner in nichtehelichen Lebens-gemeinschaften, der sich in entsprechend hohen Erwerbseinkommen niederschlägt. Auch sind oft beide Partner erwerbstätig und tragen zusammen zu einem hohen Haushaltseinkommen bei.

Die nichtehelichen Lebensgemeinschaften sind keinesfalls immer durch eher kurz-und mittelfristige Bindungen gekennzeichnet. Vielmehr haben auch langfristige Bindungen einen erheblichen Stellenwert. Den Partnern in den nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist es vorrangig wichtig, die prinzipielle Möglichkeit zur unkomplizierten Auflösung ihrer Beziehung zu haben. Die längere Dauer von nichtehelichen Beziehungen beinhaltet ihrerseits Probleme, die der Ehedauer vergleichbar sind. Letzten Endes kann die Dauerhaftigkeit einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft selbst zum Grund dafür werden, daß sie weiter aufrechterhalten wird.

Eine subjektive Gesamtbewertung der Lebenssituation kommt in Messungen der „Lebenszufriedenheit“ bei Lebens-und Ehepartnern zum Ausdruck. Verschiedene Indikatoren deuten darauf hin, daß das subjektive Wohlbefinden in nichtehelichen Lebensgemeinschaften niedriger liegt als in den Ehen, und dies wird durch eine international vergleichende Untersuchung (bei 20-bis 29jährigen ehelichen und nichtehelichen Partnern) bestätigt Die geringere Lebenszufriedenheit der nichtehelichen Partner kann verschiedene Ursachen haben; sie kann auf der Selektion der Personen beruhen, die eine nichteheliche Lebensgemeinschaft eingeht, oder an höheren Ansprüchen gegenüber dem Partner und dem Leben in den nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die teilweise unerfüllt bleiben u. s. w. Es ist davon auszugehen, daß die nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften im Hinblick auf das subjektive Wohlbefinden nicht besser mit den Widrigkeiten des Lebens fertigwerden als andere.

V. Der Stellenwert von Kindern in nichtehelichen Lebensgemeinschaften

In einem Großteil der nichtehelichen Lebensgemeinschaften gibt es Kinder. Zwar unterscheiden sich die geschätzten Zahlen etwas, aber die Grö-ßenordnung aus dem Mikrozensus kann als Anhaltspunkt dienen: 27 Prozent aller nichtehelichen Lebensgemeinschaften haben Kinder. Dabei sind die nichtehelichen Lebensgemeinschaften von jungen Ledigen ganz überwiegend ohne Kinder. Am häufigsten sind Kinder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften anzutreffen, in denen einer der Partner vorher verheiratet war; sie werden als Stieffamilien ohne Trauschein bezeichnet. Frauen bringen, weil sie häufiger alleinerziehend waren, weit mehr Kinder in die nichtehelichen Beziehungen ein als Männer. Konnte man früher davon ausgehen. daß der Familie ein Monopol bei der Reproduktionsfunktion zukam, so hat sich heute die Familiengründung zu einem wichtigen Teil auf nichteheliche Verbindungen verlegt: In den alten Bundesländern betrug die nichteheliche Familiengründung 20 Prozent, in den neuen Bundesländern sogar 60 Prozent aller Erstgeburten. In Ostdeutschland werden schon seit mehreren Jahren mehr nichteheliche erste Kinder als eheliche geboren. Für den Westen Deutschlands ist von einer klaren Beziehung zwischen Eheschließung und Kinder-wunsch auszugehen, in Ostdeutschland ist dies entkoppelt, und nichtverheiratete Paare haben etwa ebenso häufig Kinder wie Ehepaare. Wie hoch der Anteil gemeinsamer Kinder in den nichtehelichen Lebensgemeinschaften ist, ist nicht genau geklärt, aber geschätzt wird eine Größenordnung von 50 zu 50 bei gemeinsamen und nicht gemeinsamen Kindern.

Was die gewünschte Kinderzahl betrifft, so teilen die Angehörigen nichtehelicher Lebensgemeinschaften die gesellschaftliche Norm von zwei Kindern, wenn auch ein etwas größerer Anteil gar kein Kind wünscht. Im Hinblick auf Kinder bestehen keine konkreten Pläne, und die Familiengründung ist in weitere Ferne gerückt.

Lange Zeit bestand in der Frage geringer Rechte von nichtehelichen Kindern ein Problem, das im neuen, seit 1. Juli 1998 gültigen Kindschaftsrecht (es regelt Abstammungs-, Sorge-, Umgangs-und Namensrecht) durch die rechtliche Gleichstellung mit ehelichen Kindern einer Lösung zugeführt worden ist, die sich nun bewähren muß. Die Entwicklungsund Lebenschancen der Kinder in nichtehelichen (ebenso wie ehelichen) Lebensgemeinschaften sind der Gesichtspunkt, der an vorderer Stelle zur Beurteilung von positiven und negativen Auswirkungen der verschiedenen Lebensformen herangezogen werden sollte

VI. Stabilisierende und innovatorisehe Wirkungen der nichtehelichen Lebensgemeinschaften

Die nichtehelichen Lebensgemeinschaften verteilen sich -wie deutlich geworden ist -auf ein breites Spannungsfeld zwischen konventionellen und alternativen Lebensformen. Sie bestehen aus vor-und nachehelichen Lebensgemeinschaften, teils mit und teils ohne Kinder, ihnen liegen ehefreundliche ebenso wie ehekritische Einstellungen zugrunde. Die Verschiedenheit nichtehelicher Lebensgemeinschaften kommt vor allem in Sonderformen zum Ausdruck wie dem „living apart together“, den homosexuellen Paaren, religiös, kulturell und national gemischten Partnerschaften usw. Insofern sind Pauschalaussagen über nichteheliche Lebens-gemeinschaften kaum möglich. Zweifellos haben die nichtehelichen Lebensgemeinschaften insgesamt zur Pluralität der Haushalts-und Lebensformen beigetragen. Gegenüber radikalen Tendenzen zur Singularisierung und Individualisierung, an deren Endpunkt die Lebensform des Alleinlebens steht, halten die Angehörigen von nichtehelichen Lebensgemeinschaften an einer traditionellen, kollektiven Form von Haushalts-und Lebensgemeinschaft fest. Eheliche und nichteheliche Lebens-gemeinschaften sind aus dieser Sicht gemeinsam eine (Gegen-) Reaktion auf Vereinzelung und Einsamkeit. Die nichtehelichen Lebensgemeinschaften haben das Institutionengefüge verändert, das Orientierungsmuster für Lebensentwürfe vorgibt und soziale Beziehungen reguliert. Institutionenwandel ist etwas Allgegenwärtiges, und Ausdifferenzierung gehört zu den grundlegenden sozialen Prozessen, nach denen er sich vollzieht. Flexibilität sichert das Überleben einer Institution meist besser als Rigidität. Und so erscheint es nicht unwahrscheinlich, daß die flexible Erweiterung der Lebensformen durch die nichtehelichen Lebensgemeinschaften dazu beiträgt, das Überleben der Institutionen Ehe und Familie in der Zukunft zu fördern. Nichteheliche Lebensgemeinschaften werden zu einem erheblichen Teil als Vorstadium zur Ehe wahrgenommen und tragen auf diese Weise zur Auswahl solcher Ehen bei, die den potentiellen Ehepartnern erfolgversprechend erscheinen. Sie beugen damit Fehlentscheidungen vor, die sich u. a. in Ehescheidungen äußern können. Nichteheliche Lebensgemeinschaften stellen auch ein Experimentier-und Erprobungsfeld für neue Ehe-und Familienmodelle dar, die imErfolgsfall vom Ehe-und Familiensektor eventuell in modifizierter Weise übernommen werden. Jedenfalls ermöglichen die nichtehelichen Lebens-gemeinschaften Probephasen für neue Lebensstile, die nach ihrer Bewährung Einzug in den eher traditionellen Ehesektor halten können. Es kann auch davon ausgegangen werden, daß die nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften die konventionellen Ehe-und Familienvorstellungen indirekt stabilisieren. Der symbolische Wert und die materiellen Privilegien von Ehen werden gerade im Kontrast zu den nichtehelichen Lebensgemeinschaften deutlich und auch häufig entsprechend thematisiert. Schließlich stellen die nichtehelichen Lebensgemeinschaften eine Zwischenform zwischen alleinstehenden und ehelichen Lebensformen dar, deren Fehler mehr ungewollte Ehen oder mehr unfreiwillig Alleinlebende zur Folge hätte. Somit erfolgt wohl auch auf diese Weise die Stabilisierung eines nachhaltigen Ehemodells.

Die Ausbreitung nichtehelicher Lebensgemeinschaften ist in einen Komplex von Entwicklungstendenzen eingebettet, die sich teilweise wechselseitig verstärken. Eine besondere Bedeutung hat dabei die Entwicklung zur Wohlstandsgesellschaft mit einer entsprechenden Wohnungsversorgung, die sich der Vermehrungs-und Kontraktionstendenz der privaten Haushalte anpaßt, und einem Einkommensniveau, das die Gründung vieler kleiner Haushalte erlaubt. Die Verlängerung der Ausbildungszeit und die Verspätung der Integration in das Berufsleben tragen zur Verschiebung der Eheschließung bei, die zunehmende Erwerbstätigkeit der Frauen erleichtert den Verzicht auf die Versorgungsehe. Der Wertewandel, der vor allem durch Säkularisierung und sexuelle Liberalisierung gekennzeichnet ist, ist ganz allgemein verbunden mit einer abnehmenden Verbindlichkeit der Normen für die Gestaltung sozialer Beziehungen und des Alltagslebens.

Der Spielraum für die Entwicklung der nichtehelichen Lebensgemeinschaften wird maßgeblich von gesetzlichen Regelungen festgelegt Die nichtehelichen Lebensgemeinschaften kommen zwar namentlich im Grundgesetz an keiner Stelle vor, ihre rechtliche Stellung ist aber durch das Grundgesetz vorwiegend indirekt bestimmt. Es stellt Ehe und Familie (Artikel 6) unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung; dies kommt nicht zuletzt in finanziellen Privilegien wie dem Ehegattensplitting und der Übertragung von Versorgungsansprüchen bei Ehegatten zum Ausdruck. Der Grundgesetzinterpretation zufolge darf die nichteheliche Lebensgemeinschaft an keiner Stelle besser gestellt sein als die Ehe. Eine analoge Anwendung des Eherechts auf nichteheliche Lebensgemeinschaften wird verfassungsrechtlich als unzulässig erachtet. Bei in nichtehelichen Lebensgemeinschaften anfallenden Rechtsproblemen sind die allgemeinen Normen des Zivilrechts relevant.

Zwar wird die nichteheliche Lebensgemeinschaft im Grundgesetz nicht positiv genannt, sie wird aber auch nicht negativ sanktioniert. Artikel 2, der die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiert, schützt im Prinzip auch diese Lebensform. Von Verstößen gegen das Sittengesetz bzw. gegen allgemeine Moralvorstellungen kann nicht mehr die Rede sein. Der früher geltende Kuppeleiparagraph ist längst abgeschafft. Daß Paare heute unverheiratet Zusammenleben, finden 46 Prozent einer repräsentativen Stichprobe von Bundesbürgern gut, nur 30 Prozent finden es nicht so gut, 24 Prozent sind unentschlossen Im Hinblick auf die rechtliche Gleichstellung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften und Ehen findet sich in manchen repräsentativen Umfragen ein Gleichgewicht von Unterstützung und Ablehnung. Wie bei vielen komplizierten Fragen, hängt auch hier einiges von der jeweiligen Fragestellung ab Nicht zuletzt bei den nichtehelichen Lebensgemeinschaften selbst ist es kontrovers, ob sie die Gleichstellung mit den Ehen wünschen sollen oder ob nicht die fehlende Verrechtlichung zu den Wesenszügen der nichtehelichen Lebensgemeinschaften gehört.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Beitrag baut auf der Studie von Wolfgang Glatzer/Heidemarie Stühler/Annette Mingels und Martina Rösch: Nichteheliche Lebensgemeinschaften -Eheähnlich oder eher alternativ? für das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Materialien zur Bevölkerungswissenschaft, Heft 89/1997 auf. Dort sind viele weitere Literaturhinweise und Belege enthalten, auf die hier aus Gründen der Vereinfachung verzichtet worden ist.

  2. Vgl. Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Fachserie 1, Reihe 3, Wiesbaden 1997, S. 11. In den Jahren 1972 bis 1995 wurde die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften aufgrund von Haushaltsinformationen geschätzt.

  3. Dies wird bereits in älteren Studien zu den nichtehelichen Lebensgemeinschaften betont. Vgl. z. B. Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit (Hrsg.), Nichteheliche Lebensgemeinschaften, Schriftenreihe Bd. 170, Stuttgart -Berlin -Köln 1985; Erika Spiegel, Neue Haushaltstypen, Frankfurt am Main -New York 1986.

  4. Vgl. Rüdiger Peukert, Familienformen im sozialen Wandel, Opladen 1991. Mit guten Gründen wird neuerdings dar

  5. Vgl. Norbert F. Schneider/Doris Rosenkranz/Ruth Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, Opladen 1998.

  6. Siehe hierzu auch den Beitrag von Stefan Hradil zu diesem Heft.

  7. Eine übersichtliche quantitative Darstellung enthält vor allem Heribert Engstler, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik, hrsg. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bonn 19982, aktualisierte und erweiterte Auflage.

  8. Vgl. Rosemarie Nave-Herz/Heike Mathias-Bleck/Dirk Sander, Zeitgeschichtliche Veränderungen im Phasenablauf bis zur Eheschließung. Die heutige Bedeutung der Verlobung, in: Hans Peter Buba/Norbert E Schneider (Hrsg.), Familie zwischen gesellschaftlicher Prägung und individuellem Design, Opladen 1996.

  9. Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu auch den Beitrag von Karl Otto Hondrich in diesem Heft.

  10. Vgl. Laslo A. Vaskovics/Marina Rupp/Barbara Hof-mann, Lebensläufe in der Moderne: Nichteheliche Lebens-gemeinschaften. Eine soziologische Längsschnittstudie, Opladen 1997.

  11. Vgl. Sibylle Meyer/Eva Schulze, Balancen des Glücks. Neue Lebensformen: Paare ohne Trauschein, Allein-erziehende und Singles, München 1992.

  12. Anmerkung der Redaktion: Siehe auch hierzu den Beitrag von Karl Otto Hondrich in diesem Heft.

  13. Vgl. Ron Lesthaeghe/Guy Moors, Living arrangements, Socio-Economic Position, and Values Among Young Adults: A Pattern Description for France, West Germany, Belgium, and the Netherlands, 1990, in: David Coleman (Hrsg.), Europe’s Population in the 1990’s, Oxford 1996.

  14. Vgl. Walter Bien/Norbert F. Schneider (Hrsg.), Kin. d ja, Ehe nein?, Opladen 1998.

  15. Vgl. Max Wingen, Familienpolitik -Grundlagen und aktuelle Probleme. Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Band 339, Bonn 1997.

  16. Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann/Renate Köcher, Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie, München-Allensbach am Bodensee 1997. S. 147.

  17. Vgl. ebd., S. 148-151: Es finden sich unterschiedliche Zahlenverhältnisse für verschiedene Fragestellungen.

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Wolfgang Glatzer, Dr. phil., geb. 1944; Professor für Soziologie am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main; Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie; Vorsitzender der „Working Group: Social Indicators and Social Reporting“ in der International Sociological Association; Mitherausgeber der Zeitschrift für Familienforschung. Veröffentlichungen u. a.: Revolution in der Haushaftstechnologie, Frankfurt am Main -New York 1998; Haushaltstechnisierung und gesellschaftliche Arbeitsteilung, Fankfurt am Main -New York 1991; Die Lebenssituation alleinstehender Frauen, Stuttgart -Berlin -Köln 1991; Haushaltsproduktion und Netzwerkhilfe, Frankfurt am Main -New York