Im Februar 1986 erreichte die „dritte Welle der Demokratisierung“ auch die asiatisch-pazifischen Küsten. Ausgehend von der „People’s Revolution“ auf den Philippinen, die zum Sturz des seit 1972 autoritär regierenden Präsidenten Ferdinand Marcos führte, gaben die autokratischen Herrschaftseliten in Südkorea (1987/88) und Taiwan (1986-1992) nacheinander den Weg für die Demokratisierung frei Unter dem Eindruck der Ereignisse auf den Straßen von Manila und Seoul, in deren Verlauf Hundertausende demonstrierender Studenten, Intellektueller, städtischer Geschäftsleute und Priester, aber auch einfache Arbeiter und Hausfrauen vorwiegend friedlich der autoritären Macht ihre Rechte abtrotzten, rückte ein als Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung keineswegs neues Untersuchungsobjekt in den Blickpunkt des Interesses: die Frage nach der Bedeutung einer sich formierenden und emanzipierenden Zivilgesellschaft für die demokratische Entwicklung ost-und südostasiatischer Gesellschaften
Um die zivilgesellschaftlichen Akteure in Demokratisierungsprozessen und ihren Beitrag zur demokratischen Konsolidierung verstehen zu können, muß die dynamische Entwicklung der Zivilgesellschaft zunächst innerhalb ihres historischen und sozioökonomischen Kontextes betrachtet werden. Daher soll in einem ersten Schritt geprüft werden, welche Bedingungen wie und in welcher Weise die Entstehung der Zivilgesellschaften in Südkorea, Taiwan und den Philippinen beeinflußt haben. In einem zweiten Schritt wird untersucht, welchen Einfluß zivilgesellschaftliche Akteure auf das Ende der Diktaturen und den Übergang zur Demokratie hatten, um danach die Entwicklungsdynamik und den Beitrag der Zivilgesellschaft in der demokratischen Konsolidierung zu erörtern.
I. Zivilgesellschaftliche Entwicklung unter autoritären Bedingungen
„Die Staatsfixiertheit der meisten autoritären Systeme“, so Wolfgang Merkels mit Blick auf die ostmitteleuropäischen Reformstaaten getroffene Feststellung, „hinterläßt schwache Zivilgesellschaften.“ Zurückzuführen ist dies vor allem auf den Zwang autoritärer Regime, aus Gründen der Selbsterhaltung und der Sicherung ihres Herrschaftsanspruchs „nahezu alle Organisationen und Initiativen autonomer gesellschaftlicher Interessenartikulation“ zu unterdrücken
Für die ost-und südostasiatischen Diktaturen kann diese Aussage nur begrenzt Gültigkeit beanspruchen. Vielmehr waren sowohl die wechselnden Diktaturen Südkoreas (1950-1960; 19611972; 1973-1979; 1980-1987) als auch das philippinische Marcos-Regime (1972-1986) durch eine vergleichsweise schwach ausgeprägte Kontrolle gesellschaftlicher Prozesse charakterisiert. Lediglich in Taiwan erreichte die staatliche Durchdringung der gesellschaftlichen Sphäre zeitweise ein mit den kommunistischen Diktaturen Osteuropas vergleichbares Niveau. In allen drei Ländern war die Bildung autonomer Organisationen und Vereinigungen aber bereits in autoritärer Zeit möglich, wenn auch in Taiwan erst in der Spätphase des Regimes und auch dann zunächst nur in geduldeten informellen Grauzonen. Wenngleich die entstehenden zivilgesellschaftlichen Konturen in den drei Ländern sehr unterschiedlich ausfielen, lassen sich dabei doch einige allgemeine Muster zivilgesellschaftlicher Genese erkennen.
Bedingt durch die erfolgreiche Industrialisierungsstrategien der autoritären Regime kam es in Süd-korea und Taiwan mit Beginn der sechziger Jahre zu einer tiefgreifenden sozioökonomischen Modernisierung dieser Gesellschaften. Nichtintendiertes Ergebnis dieser erfolgreichen Entwicklung war die durch die Zunahme moderner, höher gebildeter und materiell besser gestellter Bevölkerungsschichten bedingte Verbesserung der Fähigkeiten der Gesellschaften zur horizontalen Koalitionsbildung und sozialen Mobilisierung. Hierdurch veränderte sich sowohl die Machtbalance zwischen Staat und Gesellschaft als auch die Struktur und Zusammensetzung der Zivilgesellschaft. So bildete sich in Südkorea bereits in den siebziger Jahren eine lose organisierte Massenbewegung aus Studenten, Intellektuellen, Farmern, Arbeitern, städtischen Armen und christlichen Dissidenten (Undonggwon) heraus In Taiwan wiederum entstand ein zivilgesellschaftliches Potential, das sich aufgrund der Durchdringung der Gesellschaft durch die Staatspartei Kuomintang (KMT) und ihre gesellschaftlichen Organisationen allerdings nur langsam entfalten konnte. Vor allem ist hier die sich 1977/78 konstituierende Tangwai (außerhalb der Partei) -Bewegung zu nennen Diese verfolgte von Anfang an eine explizit auf die Besetzung politischer Ämter zielende Strategie, was ihre Klassifizierung als zivilgesellschaftlicher Akteur problematisch erscheinen läßt. Mit dem Aufgehen großer Teile dieser Bewegung in der oppositionellen Demokratischen Fortschrittspartei schied sie im September 1986 endgültig aus dem zivilgesellschaftlichen Spektrum aus.
Im Gegensatz hierzu war das autoritäre Regime auf den Philippinen durch eine sich insbesondere in den frühen achtziger Jahren verschärfende ökonomische und militärische Leistungskrise charakterisiert. Forciert durch die Ineffizienz der staatlichen Verwaltung auf dem Lande, kam es zur Ausweitung der Aktivitäten von NGOs (NonGovernmental Organisations) Gleichzeitig stimulierten die endemische Ausmaße annehmende Korruption des Marcos-Regimes, seine exklusive Vetternwirtschaft sowie die sich verschärfende Kritik an den Menschenrechtsverletzungen des Regimes die Gründung einer Vielzahl von Bürgerrechtsgruppen, die teilweise versteckt, teilweise aber auch offen das autoritäre Regime herausforderten Lediglich hier bildeten Gewerkschaften einen transformationstheoretisch relevanten Akteur. Aufgrund der dem Regime inhärenten institutionellen und ideologischen Defizite gelang es unabhängigen Arbeiterassoziationen, ihre Autonomie gegenüber dem Regime zu bewahren. Dies galt ebenso für Bauernorganisationen, die von kirchennahen Gruppen Unterstützung erfuhren, und für Kapitalverbände
In Taiwan und Südkorea spielten sowohl Arbeiter-organisationen als auch die Unternehmerverbände und Bauernorganisationen für die Demokratisierung keine nenneswerte Rolle. Die staatskorporatistische Einbindung dieser Organisationen, die Kooptation ihrer Spitzenvertreter in die Regime-koalition und die Instrumentalisierung des antikommunistischen Herrschaftsanspruchs der Regime neutralisierten Bestrebungen zur Bildung unabhängiger Gewerkschaften bereits auf der Betriebsebene
Bedingt durch die institutioneile Architektur der autoritären Regime, übernahmen hier statt dessen vor allem neue soziale Bewegungen -Intellektuelle und religiöse Organisationen -, die von der staatlichen Kontrolle der Gesellschaft in geringerem Maße betroffen waren, diese Funktion. Während jedoch in Taiwan die organisierte Studentenschaft aufgrund ihrer Einbindung in die Jugendorganisationen der KMT passiv blieb entwickelte sie sich in Südkorea aufgrund der nur schwach institutionalisierten Kontrolle der autoritären Regime zu einem herausragenden zivilgesell-schaftlichen Akteur. So waren es die Proteste der Schüler und Studenten gegen massiven Wahlbetrug und für demokratische Reformen, die im April 1960 den ersten südkoreanischen Staatspräsidenten Syngman Rhee (1948-1960) aus dem Amt vertrieben. Doch schon wenige Monate danach traten auch die „Schattenseiten“ zivilgesellschaftlicher Mobilisierung deutlich hervor. Denn die kompromißlosen Forderungen der Studenten nach Aburteilung der alten autoritären Eliten und rascher Wiedervereinigung mit dem kommunistischen Bruderstaat im Norden waren ein Auslöser für den Putsch der Militärs um General Park Chun Hee im Mai 1961, der nach nur elf Monaten Südkoreas demokratisches Experiment beendete
Christliche Organisationen spielten in allen drei Ländern eine wichtige Rolle für den zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen die autoritären Regime. Ihre Bedeutung für die Demokratiebewegung ergab sich dabei vor allem daraus, daß sie durch die nationalen Amtskirchen und sozialen Einrichtungen autonome institutionelle Rückzugs-räume und Strukturen besaßen Die Beteiligung kirchlicher Kreise an oppositionellen Aktivitäten blieb jedoch in allen Ländern ein Ausnahmephänomen. Die offiziellen Amtskirchen verhielten sich überwiegend passiv bzw. standen den Herrschaftseliten aus ideologischen Gründen nahe.
Während in Südkorea zivilgesellschaftliche Akteure mit legalen Oppositionsparteien interagierten, war in Taiwan die Zivilgesellschaft auch gleichzeitig der einzige Träger politischer Opposition. Das aus dem praktisch geltenden Verbot politischer Parteien resultierende völlige Fehlen einer organisierten Alternative zur Staatspartei KMT bis in die zweite Hälfte der achtziger Jahre hatte zur Folge, daß die Zivilgesellschaft eine wesentlich stärkere politische Funktion ausübte. Zivilgesellschaft und Opposition waren in Taiwan weitgehend synonym. Die Philippinen nehmen hier gleichsam ein Mittelposition ein. Sowohl das links-ideologischeSpektrum der Zivilgesellschaft als auch ihr konservativer bzw. liberaldemokratischer Gegenpart unterhielten intensive Beziehungen zu oppositionellen Parteien, teilweise nahmen Partei-politiker der Vor-Marcos-Ära Führungsfunktionen innerhalb zivilgesellschaftlicher Organisationen ein
Historische Ereignisse beeinflußten ebenfalls die Konturen und Strategien der civil society. Während die Erfahrungen mit der gewaltsamen Unterdrükkung sozialer Proteste in Taiwan 1979 (KaohsiimgZwischenfall) Befürwortern gewaltfreier Strategien Auftrieb gaben, vollzog sich innerhalb der südkoreanischen Studentenschaft als Reaktion auf die „Verhärtung“ des Regimes Anfang der achtziger Jahre -manifestiert in der blutigen Niederschlagung oppositioneller Proteste in der südwestlichen Metropole Kwangju im Mai 1980 -ein Prozeß der Ideologisierung und Institutionalisierung des bis dahin eher diffusen und sporadischen studentischen Aktivismus Als Basis der ideologischen Selbstindoktrination dienten die in den siebziger Jahren in Dissidentenkreisen entwickelte Minjung-Ideologie sowie ein militanter Anti-Amerikanismus, der in den USA den maßgeblich Verantwortlichen für die politischen Mißstände sah.
Ohne tiefer in die gegenwärtig geführte Debatte um „asiatische Werte“ eintauchen zu können -die soziale oder politische Kultur Asiens gibt es ohnehin nicht läßt sich doch konstatieren, daß auch kulturelle Traditionen auf die Entstehung zivilgesellschaftlicher Strukturen einwirkten. So wird in Studien zu sozialem Verhalten und Organisationsmustern in den hier untersuchten Gesellschaften der hohe Grad an kollektiven Orientierungen und konstruktiven Einstellungen gegenüber vertikalen und horizontalen organisatorischen Beziehungen betont Die starke Gruppenorientierung dieser Gesellschaften ist jedoch weniger Ausdruck liberaler Gesellschafts-, sondern vielmehr unvermindert dominierender Gemeinschaftsorientierungen. Die in der konfuzianischen Ethik Taiwans und Südkoreas -hier noch verstärkt durch schamanistische Traditionen -wurzelnde Vorrangigkeit familialer oder gemeinschaftlicher vor allgemeinen Interessen fördert nepotistisch-klientelistische Tendenzen des Gruppenverhaltens und verstärkt die antagonistischen Gefühle zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. Ähnliches gilt auch für die philippinische Gesellschaft. Soziale Identitäten und Verantwortlichkeiten sind hier in ein Netz bilateraler, tatsächlicher oder fiktiver (Compadre) Verwandschaftsbeziehungen eingebettet. Horizontale Solidarität und Intrastatus-Allianzen werden hierdurch erschwert Soziale Organisationen weisen eine hochgradig paternalistische und klientelistische Struktur auf
Zugleich resultierten aus dem Ausschluß breiter Bevölkerungsschichten von dem politischen und wirtschaftlichen Leben während der japanischen Kolonialzeit bzw. aus der Alleinherrschaft der einheimischen Herrschaftseliten -in Südkorea als han, in der Forschung zu Taiwan als victim con sciousness bezeichnet -starke Frustrationsgefühle und Ungerechtigkeitsempfindungen. Diese führen zu erheblichen Defiziten im Bereich interpersonellen Vertrauens und wechselseitiger Kooperation, welche wiederum die Selbstorganisation der Gesellschaft in mitbürgerlichen und partnerschaftlich gestalteten Organisationen behindern.
II. Zivilgesellschaft und der Über-gang zur Demokratie
Die Regimeübergänge in den ost-und südostasiatischen Ländern -in Südkorea ab 1985 und auf den Philippinen 1986 -waren relativ kurz und haben -mit der Ausnahme Taiwans (1986-1992) -nicht länger als drei Jahre gedauert. Bezeichnend ist, daß dort, wo der Demokratisierungsprozeß relativ rasch verlief, die Mobilisierung der Zivilgesellschaft ein Schlüsselelement der Demokratisierung war. Lediglich in Taiwan vollzog sich die Transformation des KMT-Regimes ohne ausgedehnte Massenproteste. Zwar löste die kontrollierte Öffnung des Regimes Mitte der achtziger Jahre auch hier einen gesellschaftlichen Mobilisierungs-und vor allem Organisationsschub aus, der zur Konstituierung einer Vielzahl neuer zivilgesellschaftlicher Akteure führte, die auf eine politische Liberalisierung drängten aber die Auseinandersetzung verlagerte sich schon sehr früh in die politischen Institutionen des Regimes. In Südkorea und auf den Philippinen wirkte sich das „Wiederaufleben der Zivilgesellschaft“ sehr viel stärker auf die Dynamik der politischen Liberalisierung aus. Während sich in beiden Ländern eine strategisch handelnde Zivilgesellschaft formierte, die kurzzeitig über die Fähigkeit verfügte, in ideologischer, programmatischer und sozialstruktureller Hinsicht stark heterogene Gruppierungen und Akteure unter einem organisatorischen Dach zu vereinen, mangelte es der taiwanesischen Zivilgesellschaft an dieser Fähigkeit zum strategischen Handeln: Mit der Konstituierung der Tangwai als politischer Partei war der bis dato wirkungsmächtigste Akteur aus dem zivilgesellschaftlichen Spektrum ausgeschieden.
Gleichwohl läßt sich in allen drei Fällen ungeachtet unterschiedlicher Mobilisierungsniveaus, abweichender Strategien und divergierender Einflußmöglichkeiten in der Transitionsphase eine zentrale Funktion der Zivilgesellschaften für den Systemwechel erkennen: die Schaffung politischer Rahmenbedingungen durch eine weitgehend gewaltlos verlaufende gesellschaftliche Mobilisierung, die von den Parteien schließlich zur Aushandlung demokratischer Institutionen genutzt werden konnten.
Mit Einleitung der Demokratisierung kann eine in Geschwindigkeit und Umfang erstaunlich anmutende rapide Abnahme der Möglichkeiten politischer Einflußnahme auf Seiten der Zivilgesellschaft konstatiert werden. Die Demokratisierung selbst vollzog sich in den drei Ländern im wesentlichen als parteienzentrierter Prozeß, in dem zivil-gesellschaftliche Akteure keine signifikante (Südkorea, Taiwan) oder nur eine untergeordnete Rolle (Philippinen) spielten. Mit der Erreichung des gemeinsamen Ziels zerbrach die dem autoritären Regime geschlossen gegenüberstehende zivil-gesellschaftliche Front; unterschiedliche ideologische Vorstellungen, Interessen und nicht zuletzt auch differierende Bindungen zu politischen Parteien ließen die Akteure auseinanderdriften.
III. Die Zivilgesellschaft in der demokratischen Konsolidierung
Die politische Transformation hat in allen drei Ländern zur Restrukturierung der Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft geführt. Die Befreiung der Gesellschaft von staatlicher Kontrolle wird in den neunziger Jahren von unterschiedlichsten Gruppen zur Bildung neuer Repräsentationsorgane genutzt. Generell ist dabei als Tendenz erkennbar, daß der politische Einfluß von Dissidenten-und Studentengruppen kontinuierlich im Abnehmen begriffen ist -eine Entwicklung, wie sie für junge Demokratien charakteristisch zu sein scheint Statt dessen treten einerseits neue Organisationen in den Bereichen Umweltschutz, Minderheitenrechte, Verbraucherschutz, Menschen-und Bürgerrechte etc. an die Stelle alter Akteure. Andererseits ist ein Erstarken der Zivil-gesellschaft im Bereich der Vertretung funktionaler Interessen (vor allem der Gewerkschaften) feststellbar. Im folgenden soll daher das Augenmerk auf diese beiden Akteursgruppen gerichtet werden. 1. Bürgerorganisationen und Nichtregierungsorganisationen Allgemein läßt sich feststellen, daß der zivilgesellschaftliche Struktur-und Funktionswandel dort am unproblematischsten verläuft, wo die Beziehungen zwischen Zivilgesellschaft und dem autoritär regierten Staat am konfliktärmsten waren (Taiwan). Demgegenüber verläuft dieser Prozeß in Ländern, in denen das Verhältnis zwischen Staat und ziviler Gesellschaft stärker durch konflikt-hafte imd teilweise gewalttätige Auseinandersetzungen geprägt war, schleppender und eruptiver (Südkorea). So bedienen sich in Taiwan die zivilgesellschaftlichen Akteure ganz überwiegend gewalt-freier, „unpolitischer“ Strategien und sind auf Distanz zu den Parteien des Oppositionslagers wie der Regierung bedacht. Die rasche Institutionalisierung der Akteure meist noch im Übergang zur Demokratie wird vor allem in der Konsolidierungsphase vermehrt begleitet von Koalitions-und Allianzbildungen, die auf der Herausbildung gemeinsamer Ziele und Forderungen gegenüber der Regierung basieren Die Sensibilität der KMT-Regierung und ihre hohe Bereitschaft zur Adaption der von diesen Akteuren vorgebrachten Forderungen kann als ein Erklärungsfaktor für die erstaunliche Stabilität betrachtet werden, mit der sich die Konsolidierung der taiwanesischen Demokratie vollzieht. Bereits Ende der achtziger Jahre hat die civil society ihre negative Schutz-und Abwehrfunktion um eine konstruktive und bewahrende Komponente ergänzt die nun in den neunziger Jahren immer stärker in den Vordergrund getreten ist. Auch in Südkorea läßt sich ein steter Einflußgewinn auf Seiten sozialer Organisationen verzeichnen Nachdem mit der Demokratisierung von 1987/88 die grundsätzliche Auseinandersetzung um den Charakter der politischen Herrschaftsordnung aus der innenpolitischen Auseinandersetzung weitgehend verschwunden ist und die Legitimitätsfrage von den meisten gesellschaftlichen Kräften zugunsten der Demokratie beantwortet wird, konzentrieren diese Organisationen ihre Aktivitäten vermehrt auf den Bereich der politischen Bildung sowie auf die Beeinflussung des politischen Entscheidungsprozesses in konkreten Politikfeldern 21’. Anläßlich der Parlamentswahlen 1996 übernahmen zivilgesellschaftliche Gruppen sogar parastaatliche Funktion, indem sie in Zusammenarbeit mit der zentralen Wahlbehörde die Einhaltung der Wahlkampfbestimmungen kontrollierten 3".
Charakteristisch für die civil society auf den Philippinen ist die breite soziale Differenzierung der Organisationen und ihr „high-profile activism“ Zunächst war eine teilweise enge Zusammenarbeit zwischen demokratischer Regierung und zivilgesellschaftlichen Gruppen zu verzeichnen. Danach hat die erneute Kartellisierung und Oligopolisierung der Zugangschancen zu politischen Ämter während der Präsidentschaft Corazon Aquinos (1986-1992) bei wesentlichen Teilen der Zivilgesellschaft, deren Vertreter unter Demokratisierung nicht das nahtlose Anknüpfen an die Elitendemokratie der vorautoritären Zeit verstehen wollten, zu einer Distanzierung vom demokratischen System geführt Der philippinische Fall zeigt vielleicht am deutlichsten das strategische Dilemma zivilgesellschaftlicher Akteure in einer parteien-zentrierten und elitendominierten Demokratie: Entweder akzeptieren sie einen Reformprozeß, der zu ihrer Marginalisierung führt, oder sie entscheiden sich für die Rückkehr zum autoritären System was jedoch ihren ureigensten Interessen zuwiderläuft. Im Falle der ersten Variante verbleibt ihnen nur die Hoffnung, fehlende Einflußmöglichkeiten im politischen Bereich durch eine gewisse soziale Mitsprache zu kompensieren. Dies geschah auf den Philippinen: Trotz ihrer Enttäuschung über die Aquino-Regierung stützte eine Koalition aus Menschenrechtsaktivisten, katholischer Kirche, NGOs und Unternehmerverbänden die demokratisch gewählte Regierung gegen Putschversuche rechtsgerichteter Militärs und hatte so einen maßgeblichen Anteil daran, daß die junge philippinische Demokratie nicht bereits in ihrer Anfangszeit scheiterte. 2. Die Gewerkschaften In allen drei Ländern hat die Demokratisierung zu einem signifikanten Anstieg gewerkschaftlicher Aktivitäten geführt In Taiwan und in Südkorea organisierte sich seit der Abnahme des autoritären Repressionspotentials eine Vielzahl neuer Gewerkschaften außerhalb der staatskorporatistischen Federation of Korean Trade Unions (FKTU) bzw.der Chinese Federation of Labor (CFL). Die Formierung unabhängiger Gewerkschaften vollzog sich für Taiwan weitgehend autonom von anderen politischen oder zivilgesellschaftlichen Akteuren. In Südkorea hingegen bestehen enge Beziehungen zwischen alternativen Gewerkschaften und der Studentenbewegung. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, daß sowohl der erste Dachverband unabhängiger Gewerkschaften Chonnohyop als auch die Lehrergewerkschaft Chunkyojo auf einem Universitäts-Campus gegründet wurden. Im Gegensatz zu den taiwanesischen Arbeiterorganisationen -im Unterschied zu den Philippinen und Südkorea existiert in Taiwan bis heute keine militante und politisierte Arbeiterbewegung -verstehen sich die unabhängigen Gewerkschaften in Südkorea explizit als politische Organisationen und verfolgen Allianzstrategien Daher ist es wenig erstaunlich, daß die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Südkorea wesentlich konfliktreicher sind als in Taiwan, zumal hier der Protest der Arbeiter nicht nur gegen einzelne Unternehmen, sondern auch gegen den Staat und die Regierung als Partner der Großindustrie gerichtet ist
Auch auf den Philippinen tendiert die Arbeiterbewegung zu einem gewerkschaftlichen Pluralismus, der sich unter anderem in einer großen Zahl unabhängiger Betriebsorganisationen, miteinander konkurrierender Dachverbände, einem geringen Zentralisierungsgrad und einer richtungspolitischen Fragmentierung der Gewerkschaften ausdrückt. Stark pluralisiert, polarisiert und fragmentiert, verfügen die nationalen Verbände kaum über Rechte gegenüber lokalen Organisationen. Wie Gunter Schubert und Mark Thompson jüngst bemerkten, haben die philippinischen Gewerkschaften fast nahtlos an ihre Tradition funktionaler Interessenvermittlung aus vorautoritärer Zeit angeknüpft und ihre unter Marcos zurückgedrängte klientelistische Einflußnahme wieder aufgenommen. Tatsächlich beruht die Fähigkeit philippinischer Gewerkschaften, Mitgliederinteressen effizient zu vertreten, weniger auf ihrer Stärke als Organisation als vielmehr auf der Verhandlungsmacht einzelner Gewerkschaftsführer und deren Verbindung zu Politikern. 3. Die demokratische Ambivalenz der Zivilgesellschaft Die Enthierarchisierung der Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft und das in Bewegung geratene Gleichgewicht zwischen beiden machen die Einübung neuer Formen gesellschaftlicher Interessenvermittlung erforderlich. Defizite im Bereich der Habitualisierung demokratischer Verhaltensweisen und Einstellungen unter zivilgesellschaftlichen Aktivisten, ein Mangel an demokratischer Streitkultur sowie die Logik von Nullsummenspielen erschweren jedoch die Interessenvermittlung zwischen civil society und Staat.
Insbesondere gilt dies für Südkorea: Die auch in den neunziger Jahren immer wieder zu beobachtenden, in Gewalt eskalierenden Demonstrationen und Protestaktionen der Studenten sind Ausdruck der Akzeptanz von politischer Gewalt als quasi legitimen Instrument der Interessenartikulation und -durchsetzung. Die Konsolidierung des demokratischen Systems wird jedoch durch die Beibehaltung dieser Techniken der Konfliktaustragung, die unter den restriktiven Bedingungen autoritärer Herrschaft durchaus funktional waren, eher behindert. Zwar können die Anfang der neunziger Jahre gemeinsam mit Bauernorganisationen vorgetragenen Proteste der Studenten gegen eine Öffnung des südkoreanischen Reismarktes und erfolgreiche Demonstrationen für eine strafrechtliche Verfolgung der Expräsidenten Chun Doo Hwan und Roh Tae Woo als Erfolge gesellschaftlicher Interessenartikulation gedeutet werden. Aber die auf den Demonstrationen zum Ausdruck kommenden Einstellungen der Akteure zu den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der repräsentativen Demokratie müssen im Hinblick auf eine Konsolidierung der Demokratie als problematisch bewertet werden. Unverhohlen gezeigte Sympathie für das kommunistische Regime Nordkoreas, wie sie beispielsweise im Hanchongnyong-ZwischenfaU 39 zum Ausdruck kamen, und das rücksichtslose Vorgehen studentischer Vertreter gegen tatsächliche oder vermeintliche Verräter bzw. Mitglieder der Sicherheitskräfte bieten der Regierung immer wieder Anlässe, um gegen das linke politische Spektrum und besonders kritische Teile der Gesellschaft vorzugehen. Solange die Regierung nicht bereit ist, einen offenen gesellschaftlichen Diskurs über die Wiedervereinigung beider Landesteile zu dulden, und solange die strukturellen Bedingungen für eine gewaltsam agierende Studentenbewegung bestehen bleiben -solange also ein kulturelles Klima existiert, das gewaltsamen Protest als sinnvoll und erfolgversprechend interpretiert -, ist zu befürchten, daß sich auf Seiten der radikalen studentischen Dissidenten keine ausbalancierte Protestkultur entwickeln wird und diese Gruppierungen auch weiterhin nicht in das demokratische System integriert werden können
Auch in Taiwan hat sich die Zivilgesellschaft zu einem Raum potentieller Konflikte entwickelt. Dies gilt insbesondere für die auf lokaler Ebene aktive Umweltschutzbewegung, in der sich die Unzufriedenheit der von Umweltproblemen direkt Betroffenen immer wieder in gewaltsamen Protesten entlädt Gegen das positive Argument von der Demokratie fordernden Zivilgesellschaft kann eingewandt werden, daß ihre Akteure mit der Teilnahme an Protesten und anderen Aktionen auch egoistischen Interessen folgen. Ähnlich wie in Südkorea tritt die in den neunziger Jahren zu veritablem Einfluß gelangte taiwanesische Umwelt-und Naturschutzbewegung zwar einerseits als watchdog für die Einhaltung umweltpolitischer Bestimmungen und als Pressure Group für eine rigidere staatliche Umweltpolitik auf Proteste gegen Umweltverschmutzung dienen aber häufig vorrangig der Durchsetzung von Forderungen nach finanzieller Kompensation oder sonstigen materiellen Gewinnen, werden von lokalen politischen Größen organisiert -sind also nicht Ausdruck autonomen zivilgesellschaftlichen Handelns -und dienen eher der kurzfristigen Nutzenmaximierung der Beteiligten, als daß sie Ausdruck eines zunehmenden Umweltbewußtseins aufgeklärter Bürger wären
Auf den Philippinen läßt sich seit den späten achtziger Jahren eine Tendenz zur Entpolarisierung bzw. Deradikalisierung der civil society verzeichnen Dies darf aber nicht dazu verleiten, der Zivilgesellschaft bzw. ihren Akteuren per se eine demokratieförderliche Funktion und Wirkung zuzuschreiben. Die Annahme einer linearen Verbindung von Zivilgesellschaft und demokratischer Qualität eines politischen Systems -so zeigen insbesondere die Erfahrungen der Philippinen (aber auch Südkoreas) -ist trügerisch. Denn die Ausweitung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten und die Befreiung politischer Prozesse von autokratischer Kontrolle verhindern keineswegs traditionelle klientelistische Arrangements; Patronagemuster, vertikale Ordnungsmuster sozialer Beziehungen oder undemokratische Einstellungen unter den Bürgern prägen die Gesellschaft weiterhin. Der philippinische Fall zeigt, daß auch dort, wo die gesellschaftliche Verankerung und die ideologische Basis bestehender politischer Parteien schwach sind und gleichzeitig gut organisierte soziale Gruppen existieren, die politischen Einflußmöglichkeiten zivil-gesellschaftlicher Akteure nicht notwendigerweise größer sind als in Ländern mit einem relativ konsolidierten Parteiensystem (Taiwan). Vielmehr behindern -wie etwa Jeffrey Riedinger mit Blick auf die Philippinen ausführt -die gleichen sozialen Bedingungen, die die Konsolidierung sozial inklusiver und politisch effizienter Parteien erschweren (Netzwerke von Patron-Klient-Beziehungen, Personalismus und Nepotismus), auch die zivilgesellschaftliche Entwicklung.
IV. Perspektiven
Auf den ersten Blick scheint sich die aus den süd-und osteuropäischen Erfahrungen gewonnene Annahme, zivilgesellschaftliche Organisationen würden in der Konsolidierungsphase an Attraktivität und Einfluß verlieren für Ost-und Südostasien nicht zu bestätigen: Die zivilgesellschaftliche Organisationslandschaft blüht hier mehr denn je. Zwar ist im Vergleich zur Hochphase zivilgesellschaftlicher Mobilisierung am Ende des autoritären Regimes in allen drei Ländern ein Rückgang aktiven Protestverhaltens und erfolgreicher politischer Einflußnahme zu verzeichnen. In keinem der hier behandelten Fälle konnte die Zivilgesellschaft ihren Organisationsvorsprung gegenüber den Parteien sichern und sich als gleichberechtigter Partner im politischen Entscheidungsprozeß etablieren. Aber dieses pessimistische Fazit muß nach einem Vergleich des zivilgesellschaftlichen Engagements bzw.der zivilgesellschaftlichen Einflußnahme in der Phase der demokratischen Konsolidierung mit dem bzw.der in der autoritären Phase relativiert werden. Aus dieser Perspektive kann die demokratische Konsolidierung in Ost-und Südostasien durchaus als Phase zivilgesellschaftlicher Expansion interpretiert werden. Problematischer erscheint die Frage, ob die Zivil-gesellschaft tatsächlich eine „Schule der Demokratie“ ist, die ihre Mitglieder und Aktivisten sowie die Bürger allgemein in demokratischen und zivilen Tugenden unterrichtet. Hier sind hinsichtlich der asiatisch-pazifischen Demokratien Zweifel angebracht. Die ost-und südostasiatischen Zivilge-Seilschaften sind eben keine „Sphäre reiferer Demokratie“: Gesamtgesellschaftlich prägende soziale Interaktionsmuster, Werte und Einstellungen, die in einem Spannungsverhältnis zu den Funktionsanforderungen der Demokratie stehen (Klientelismus, Personalismus, soziale und politische Gewalt, 'die Betonung vertikaler Strukturierung sozialer Beziehungen), lassen sich auch in der Zivilgesellschaft nachweisen. Die philippinischen Erfahrungen zeigen, daß die Zunahme zivilgesellschaftlicher Organisationen und die Ausweitung ihrer Aktivitäten sowie die Befreiung politischer Prozesse von staatlicher Kontrolle nicht notwendigerweise Patronage-und Klientelmuster schwächen: Auch innerhalb der Zivilgesellschaft konkurrieren gesellschaftliche und politische Interessen miteinander, und zwar nicht in einer „reiferen“ oder „demokratischeren“ Form, sondern entsprechend bekannter und eingeübter Techniken sozialer Interessenvermittlung. Eine aktive Zivilgesellschaft, dies zeigt uns in besonderem Maße das Beispiel Südkorea, hat nicht nur positive Wirkungen auf die Demokratie, sondern kann auch destabilisierend und gefährdend wirken. Dies ist dann der Fall, wenn gesteigerter Aktivismus mit der Beibehaltung konfrontativer Taktiken sowie einem Mangel an demokratischer Streitkultur einhergeht.
Welche Bedeutung hat dieser ambivalente Gehalt der Zivilgesellschaften für die Zukunft der Demokratie in den hier untersuchten Ländern? Ohne die prognostischen Möglichkeiten der Politikwissenschaft zu überfordern, kann angenommen werden, daß die weitere Entwicklung der Zivilgesellschaft Einfluß auf die Art der sich konsolidierenden Demokratie haben wird. Eine nur in geringem Maße ihre demokratische Funktion ausübende Zivilgesellschaft mit ambivalenter Haltung zu den Prinzipien der Gewaltfreiheit bzw. Toleranz, wie sie zumindest in Teilbereichen in Südkorea und den Philippinen erkennbar ist, eröffnet politischen Eliten die Möglichkeit der Stabilisierung einer Demokratie, in der die Rechte der Bürger substantiell eingeschränkt sind Hier droht die Gefahr einer „begrenzten Demokratie“, in der zivilgesellschaftliche Organisationen marginalisiert, isoliert oder unterdrückt werden und in der es eine breite Kluft gibt zwischen den formalen und den tatsächlich gegebenen Rechten, zwischen dem Grundsatz der Gleichheit und Freiheit der Bürger . und den staatlichen Praktiken Die Zukunft der asiatisch-pazifischen Demokratien wird davon abhängen, ob es den Zivilgesellschaften gelingt, sich von staatlicher Bevormundung zu befreien. Sie wird aber auch davon beeinflußt werden, in welchem Maße es ihren Akteuren gelingt, ihre undemocratic habits und alten Denkkategorien zu überwinden.