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DDR-Historie zwischen Wissenschaftlichkeit und Politik Anmerkungen zu unterschiedlichen Forschungsansätzen und kontroversen Bewertungen | APuZ 45/1998 | bpb.de

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APuZ 45/1998 Artikel 1 Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1989 Phasen und Kontroversen Antifaschismus und antifaschistischer Widerstand als politischer Gründungsmythos der DDR DDR-Historie zwischen Wissenschaftlichkeit und Politik Anmerkungen zu unterschiedlichen Forschungsansätzen und kontroversen Bewertungen

DDR-Historie zwischen Wissenschaftlichkeit und Politik Anmerkungen zu unterschiedlichen Forschungsansätzen und kontroversen Bewertungen

Lothar Steinbach

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Zusammenfassung

Unter Kritikern aus Ost und West herrscht Konsens, daß sich die Geschichtswissenschaft in der DDR zwischen Wissenschaftlichkeit und Politik bewegte und die Indienstnahme der Historie durch die Politik überwog. Die Debatte über die besondere Rolle der DDR-Historie als einer expliziten Legitimationswissenschaft ist seit der Wende z. T.sehr kontrovers geführt worden, und ds ist zu fragen, inwieweit polemische Untertöne als Ausdruck schonungsloser Abrechnung mit den einstigen „Genossen Historikern“ sowohl durch aktengesichertes Wissen als auch durch neue biographische Befunde im Abstand der Jahre einer ruhigeren Diskussion gewichen sind. Jeder strukturgeschichtliche und aktengestützte Zugriff auf das Thema der Instrumentalisierung der Historie durch die Politik ist verdienstvoll und Voraussetzung für eine problemorientierte Geschichtsforschung. Gleichwohl wird sich die Geschichte der Geschichtswissenschaft und Geschichtsvermittlung nicht schreiben lassen ohne die Biographien ihrer Funktionsträger. Der Beitrag plädiert daher für eine stärkere historiographische Einbeziehung des Faktors der Biographisierung von Geschichtserfahrung. Biographische Reflexivität könnte einen Ausweg zeigen aus dem Dilemma eines Auf-bzw. Abrechnungsverfahrens bei der fachinternen wie politischen Auseinandersetzung um die DDR-Historie. Wichtig ist, daß sozialistische Bewußtseinsbildung als eine Einheit von Geschichtsforschung und Geschichtsvermittlung zu verstehen war. Mit der zunehmenden ideologischen Stabilisierung des DDR-Staates arbeiteten Universitätshistoriker, Geschichtslehrer und -methodiker als „Geschichtspropagandisten“ Hand in Hand in Forschung, Lehre und Schulstuben am Idealbild einer „sozialistischen deutschen Nation“. Die Wende verursachte insofern nicht nur existentielle Einschnitte, sondern vor allem Bewußtseinsbrüche. Was einmal für „richtig“ gehalten wurde, erwies sich nunmehr als „falsch“. Ein Umdenkungsprozeß und ein Abschiednehmenmüssen, auch von nicht hinterfragten Geschichtsbildern, setzte für die Ostdeutschen in großem Stil ein. Aufgrund ihrer geistigen System-nähe und parteilichen Gebundenheit wird einigen DDR-Historikern vor allem von westdeutschen Kritikern, die ihrerseits von der Zäsur von 1989 biographisch verschont geblieben sind, allenfalls noch die erkenntnisfördernde Rolle von historischen Auskunftspersonen zugedacht. Fast zehn Jahre nach der Wende ist es allerdings an der Zeit, daß auch die Westdeutschen lernen, vor dem Hintergrund der deutschen Einheit über sich selbst und den Abbau so mancher Befangenheiten gegenüber dem „Osten“ nachzudenken, die in 40 Jahren deutscher Teilung gewachsen sind. Denn das vielbeschworene Voneinanderlernen wird wohl erst gelingen können, wenn die Zeitgenossen beginnen, sich bedingungslos und kritisch auf ihre disparaten Vergangenheiten als einen wechselseitigen Wirkungsprozeß einzulassen, und versuchen, im Hinblick auf ihre unterschiedlichen Geschichtserfahrungen und Geschichtsbewertungen miteinander statt übereinander zu sprechen.

I. DDR-Historie als Legitimationswissenschaft

Mit der DDR ist auch ihre Geschichtswissenschaft zugrunde gegangen. Folgt man dem Diktum von der legitimatorischen Funktion der Historie im politischen System der DDR, könnte man geneigt sein, die Hinterlassenschaften aus den Werkstätten der Historiker als ebenso marode zu bewerten wie die ökonomische Substanz, an der der „real existierende Sozialismus“ scheiterte. Das vernichtende Urteil über die parteigebundene, staatsaffirmative DDR-Historie setzte bald nach dem Paukenschlag der Geschichte vom November 1989 ein; doch es ist hier nicht der Ort, sich auf die Anfänge der heftigen Kontroversen noch einmal ausführlicher einzulassen, wie sie sich in den Arbeiten jüngerer Autoren im Umfeld der Arbeitsgruppe Unabhängiger Historiker widerspiegeln Vielmehr ist zu fragen, inwieweit polemische Untertöne als Ausdruck schonungsloser Aufklärung und unerbittlicher Abrechnung mit den einstigen „Genossen Historikern“ durch aktengesichertes Wissen über deren politische Rolle im Gesellschaftssystem der DDR und sozusagen „objektiv“ angereichert durch außerbiographische archivalische Befunde im Abstand der Jahre einer ausgewogeneren Diskussion gewichen sind.

Es herrscht unter Kritikern aus Ost und West Konsens, daß sich die Geschichtswissenschaft in der DDR zwischen Wissenschaftlichkeit und Politik bewegte und die Indienstnahme der Historie durch die Politik überwog. Dabei ist zu bemerken, daß die Westdeutschen aus der Position, von dem politischen Umbruch nur entfernt betroffen gewesen zu sein, es in ihrem historischen Urteil leichter haben als die Ostdeutschen, „über den Dingen zu stehen“ Kein ostdeutscher Historiker kann hingegen die leidige Legitimationsthematik im Umgang mit der deutsch-deutschen Vergangenheit ausklammern, weil sie ihn in seiner biographischen Stabilität ebenso wie im Rückblick auf sein Wissenschaftsverständnis unmittelbar tangiert. Monographien und autobiographische Darstellungen aus ostdeutscher Feder kreisen denn auch um diesen neuralgischen Punkt -sei es als notorische Legitimation des Verdrängten oder als selbstkritische Aufdeckung von biographischen Distanzierungsmomenten gegenüber den Zumutungen der politischen Sozialisation im SED-Staat. In der Art dieser reflexiven Auseinandersetzung scheiden sich die ost-wie westdeutschen Geister.

Für den Leipziger Historiker Hartmut Zwahr, der sich durch seine sozialgeschichtlichen Studien zur „Konstituierung der deutschen Arbeiterklasse“ im 19. Jahrhundert dem Verdacht einer historiographischen Komplizenschaft mit der SED nicht auszusetzen brauchte endete die „Selbstzerstörung“ der DDR mit seiner „Selbstbefreiung“ aus einem politischen System, das ihm -nach eigener Darstellung -derart zuwider war, daß er sich nichts sehnlicher wünschte, als „nie wieder in einer geschlossenen Gesellschaft leben, sich nie wieder deren Zwängen aussetzen“ zu müssen Die Wirtschaft ruiniert, ein irreparabler „Konstruktionsfehler“ des Sozialismus auf deutschem Boden; die Menschen „von innen mindestens so kaputt wie die Häuser“; eine Parteidiktatur, die über das Wahrheitsmonopol verfügt und eine Weisungspyramide errichtet hatte; die Volksbildung, die den Menschen zum „Funktionierer" verformte, „zusammengesetzt aus Arbeitsfleiß, Kritiklosigkeit und Genügsamkeit“; die Fiktion der Machtausübung der Arbeiterklasse wie ein „Kartenhaus“ zusammengefallen -wer all dies liest bei Zwahr, ist irritiert hinsichtlich des generationeilen Hinter-grundes, aus dem das administrative System der DDR historisch abgeleitet wird im ersten Nachkriegsjahrzehnt entstanden, getragen von Männern und Frauen aus dem Widerstand, von kommunistischen Kadern und jungen Leuten, die von dem Gedanken der Wiedergutmachung erfüllt gewesen seien und die der „Ideologiewechsel“ motiviert habe, darunter „nicht wenige Verführte, Mitläufer, Mittäter des Nationalsozialismus“.

Inwieweit die noch lebenden ostdeutschen Repräsentanten jener „Restgeneration“ -die zu den Jahrgängen 1930 bis 1936 zählen, zu aktiven Antifaschisten zu spät, zu aktiven „Jungen Pionieren“ zu früh geboren waren und die Luftwaffenhelfergeneration knapp verfehlt hatten -die Einschätzung Zwahrs teilen könnten, mag einmal dahingestellt sein. Sie darüber zu befragen wäre vonnöten und erforderte einen doppelten Forschungsansatz, der strukturgeschichtliche Erkenntnisse „aus den Akten“ ebenso wie mentalitätsgeschichtliche „aus der Erinnerung“ zur Entmythologisierung von Geschichte und Entlegitimierung von Biographien gleichermaßen erschlösse, wobei der Einsatz von „Interviews“ im Forschungsprofil nicht lediglich als schmückendes Beiwerk „zu den Recherchen in den Archiven“ betrachtet werden sollte

Eine Philippika auf die DDR-Geschichtswissenschaft und ihre „Parteiarbeiter“ an historischer Front hat ein anderer ostdeutscher Autor, der der jüngeren Historikergeneration im vereinten Deutschland angehört, mit seinem 1997 erschienenen Buch verfaßt Wenn bei Ilka-Sascha Kowalczuk gleich zu Beginn des Kapitels über „das zweite Leben der DDR-Geschichtswissenschaft“ der Satz zu lesen ist, daß eine kleine Gruppe, „die sich um den Anfang 1990 gegründeten Unabhängigen Historiker-Verband (UHV) sammelte“, beharrlich gefordert habe, „daß nachweislich politisch belastete und an politisch motivierten Verfolgungen beteiligte Historiker sowie solche, die in ihren wissenschaftlichen Arbeiten kontinuierlich fälschten, logen und unterschlugen, nicht weiter an Hochschuleinrichtungen, Akademien und anderen öffentlich finanzierten Forschungsund Lehreinrichtungen tätig sein dürften“, und der berechtigte Einwand Martin Sabrows daß die pauschale Frage, wem die DDR-Geschichte gehöre, am meisten den Fragesteller selbst disqualifiziere, mit Schlußstrichbefürwortung umschrieben wird, so charakterisiert es nur die andauernd gespannte Atmosphäre einer politisch aufgeheizten Debatte um die Vergangenheit der DDR-Historie und ihrer Funktionsträger.

In einer Dokumentation dieser Auseinandersetzungen erwähnt Kowalczuk jenseits von Gut und Böse diejenigen Sammelbände, „die die wichtigsten Aussagen repräsentieren“ und denen die moralisierende Nähe zur tagespolitischen Umbruchsituation von 1989/90 noch ins Gesicht geschrieben steht Eigentlich sollte man annehmen, daß im neunten Jahr der deutschen Einheit die teilweise einem Freund-Feind-Denken aus alten Zeiten verhafteten Zwischenbilanzen der frühen neunziger Jahre einer „Historisierung der sich wandelnden Deutungsmuster“ gewichen seien. Doch der Beginn einer ruhigeren Debatte ist nicht in Sicht, und die Tendenz, aus den Akten zu enthüllen, was bislang unter Verschluß lag, hält unver-mindert an. Zum vorschnellen Urteil gesellt sich dann nicht selten eine prätentiös selbstbewußte Interpretation, die -möglicherweise generationell bedingt -einen forschen „Look back in anger" -Standpunkt einnimmt. Hermeneutische Zurückhaltung scheint bei dieser Ausgangslage dem gehobenen Alter vorbehalten zu sein.

Früher brauchten die Historiker, bis sie etwas zu sagen hatten, im Durchschnitt länger als die Shooting-Stars der neudeutschen Geschichtswissenschaft. Außergewöhnlich ist diese Sachlage nicht. Auch Parteisekretäre und Geschichtsfunktionäre in der DDR standen zu ihrer Zeit schon früh auf den höheren Sprossen des Erfolgs, mit dem Unterschied, daß sie sich nicht als Fach-, sondern als Parteihistoriker auszeichneten. Zu welcher Kategorie der Studiosus Kurt Pätzold gehörte -um ein Beispiel anzuführen -, ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls mußte ihm -aus der Sicht des Historiographen Kowalczuk -schon in jungen Jahren das Kainszeichen des SED-Einpeitschers eingebrannt gewesen sein, als er sich 1950/51 in Jena als „SEDStudent“ an der von dem jungen Assistenten an der Parteihochschule der SED, Lothar Berthold, und dem Altfunktionär Fred Oelssner betriebenen Kampagne gegen Karl Griewank beteiligte Da Pätzold, Jahrgang 1930 und Student der Geschichte, Politischen Ökonomie und Philosophie an der Universität Jena in den Jahren 1948 bis 1953, in jedem „Wer war Wer in der DDR“ vorkommt und die Grunddaten seiner Biographie hinlänglich bekannt sind ist nicht eo ipso zu folgern, daß die oben geschilderten Vorgänge -eingeschlossen das hier gezeichnete Persönlichkeitsbild der beteiligten SED-Funktionäre -zu beweisen vermögen, „daß die kommunistischen Historiker sich sogar als unfähig erwiesen, mit jenen Nicht-kommunisten zusammenzuarbeiten, die prinzipiell dem historischen und dialektischen Materialismus offen und wohlwollend gegenüberstanden“

Die rückwärtsgewandte Extrapolation einer, wenn man so will, linientreuen biographischen Entwicklung macht aus dem Jüngling Pätzold eine Leitfigur des „Genossen Historikers“ in der DDR. Im Dezember 1955 habe das SED-Zentralkomitee Parteifunktionäre aller Universitäten und Hochschulen, „unter ihnen von den Historikern zum Beispiel Kurt Pätzold“, zur zweiten Hochschulkonferenz eingeladen, um ihnen die neue Taktik zu erläutern: „Kurt Hager, der zuständige ZK-Sekretär, eröffnete die Tagung mit einer allgemeinen Einführung, ehe der zuständige ZK-Mitarbeiter, Rolf Dlubek, ein längeres Grundsatzreferat hielt. . ."

Die nachfolgende Darstellung bei Kowalczuk, die vom sogenannten „Geschichtsbeschluß“ von 1955 und von der berühmt-berüchtigten „Historikerberatung“ vom 12. Januar 1956 im Haus der Einheit handelt, bei der der sechsundzwanzigjährige Dlubek, wissenschaftlich nicht ausgewiesen, seine ganze Parteimacht auskostete, braucht hier nicht weiter zu interessieren. Was den „SED-Studenten“ Pätzold anbelangt, ist er in der oben zitierten Darstellung zunächst aus dem Text verschwunden, er taucht erst im Zusammenhang mit der Hochphase des Kalten Krieges und dem „seit Anfang 1957 erneut (veranstalteten) Kesseltreiben“, diesmal gegen Irmgard Höß aus Jena, wieder auf, die sich geweigert hatte, „einen Aufruf gegen die Bonner Atomaufrüstungspolitik, der gleichzeitig scharfe Angriffe gegen die westdeutsche Geschichtsschreibung enthielt, zu unterschreiben“

Das Beispiel Pätzold regt zu einer Überlegung an, die auf die erkenntnistheoretische Ambivalenz einer Kanonisierung des historischen Urteils bei gleichzeitiger Marginalisierung des biographischen Faktors aufmerksam machen will, auch wenn Kowalczuk sich wünscht, „spätere Generationen (würden) hoffentlich einmal fragen, warum ausgerechnet viele Historiker an der historisch-politischen Debatte mit Konsequenzen nicht interessiert waren und statt dessen den Schlußstrichbefürwortern zur Hand gingen“ Denn das Spannungsverhältnis zwischen biographischer Öffnung und privatistischem Gedächtnisverschluß bei der Aufarbeitung der jüngsten deutsch-deutschen Vergangenheit läßt sich allein mit den Mitteln der traditionellen Heuristik, wie mir scheint, nicht lösen. Mitchell G. Ash hat einmal in bezug auf die Integration emigrierter jüdischer Wissenschaftler in den USA auf deren „Wissenschaftswandel“ verwiesen, der „durch eine bewußte oder unbewußte Reflexion auf ihre eigene Biographie“ zustande gekommen sei. In der Tat könnte die hier thematisierte biographische Reflexivität einen Ausweg aus dem derzeitigen Dilemma eines Auf-bzw. Abrechnungsverfahrens bei der kontroversen Debatte um die DDR-Historie als affirmativer Ideologisierungsinstanz und darüber hinaus einen innovatorischen Anstoß für die Erforschung von DDR-Geschichte und entsprechender Biographien bedeuten Trotz oder gerade wegen der gegen ihn nach der Wende vorgetragenen belastenden Elemente seiner Rolle als Hochschullehrer -um auf das Beispiel zurückzukommen -hat Kurt Pätzold in der Polemik um die Folgen der Abwicklungen an der Humboldt-Universität zu Berlin damit begonnen, durch eine biographische Argumentation den pauschalen Vorwurf der Staatsloyalität der DDR-Historikerschaft zu historisieren. Im Hinblick auf seine eigene Wissenschafts-und Hochschulbiographie sowie die vieler anderer seiner Generation hätten die Historiker als frühe Zeitgenossen der DDR „das nachfaschistische Deutschland mitgestalten" wollen, und das hätten sie sich als sozialistische Gesellschaft vorgestellt Pätzolds Rückgriff auf biographische Argumentationsmuster -noch etwas zögerlich, weil möglicherweise „ungewöhnlich und kritikwürdig“ anmutend -scheint nicht nur einer geschichtstheoretisch differenzierteren Interpretationsvariante zu entstammen, die sich erst nach der Zäsur von 1989 entwickelt hat, sondern überhaupt einer neuen Sichtweise auf die eigene Geschichtserfahrung, die aus dem erlebten Bruch in der eigenen Biographie als eine neue Qualität der Geschichtsaneignung entstanden ist.

Wer in der Manier der Pauschalisierung die Feder führe und die „Haltung der Geschichtswissenschaft und ihrer Angehörigen zum Staat DDR“ auf den Begriff „Hure“ bringe -so die Argumentation Pätzolds, die als solche wiederum Rechtfertigungs-und Entschuldigungselemente enthält habe von ihren Ausgangspunkten und Entwicklungen nichts verstanden. Die biographische „Herangehensweise“ scheine nicht nur durch „die überprüfbaren Vorgänge des ersten Nachkriegs-jahrzehnts“ geboten, „sondern zusätzlich auch durch die Ignoranz gefordert, mit der gegenwärtig über sie hinweggegangen“ werde. Entsprechend solle „in der derzeit dominierenden Sichtweise“ der Gedanke gänzlich verdrängt werden, „daß aus den deutschen Zuständen des Mai 1945 mehrere Wege führten, und die Tatsache, daß einer der beiden tatsächlich begangenen schließlich in einer Sackgasse endete“, werde dahin gedeutet, „daß dem Weg der DDR von Anbeginn jede historische Legitimation gefehlt habe“

Die besondere Legitimationsfunktion, die der Geschichtswissenschaft in der DDR zugemessen wurde, begründete sich aus den vorausgegangenen Geschichtserfahrungen führender KPD-Kader im antifaschistischen Widerstand. Negativ beeindrukkend waren im Urteil der KPD, wie die jüngst edirten stenographischen Protokolle der „Brüsseler Konferenz“ überzeugend belegen sowohl die Massenbasis wie die pädagogischen Erfolgsrezepte der Nationalsozialisten in sämtlichen Organisationsbereichen des politischen und gesellschaftlichen Lebens, vor allem aber in der Jugendsozialisation. Deshalb kam es im Sinne von Geschichtspragmatikern wie Anton Ackermann, Alexander Abusch oder Ernst Niekisch „nach Hitler“ darauf an, die „konkreten“ Lehren aus der Geschichte zu ziehen, „das deutsche Volk" umzuerziehen und die „bürgerliche Festung Wissenschaft“, nach einem Wort Stahns, zu „stürmen“. Im Herrschaftssystem der DDR oblag der Historie der besondere sozialisatorische Auftrag, mit der Bereitstellung des „richtigen“ Geschichtsbildes einen politischen Beitrag zu leisten zur Vermittlung und Propagierung einer „sozialistischen deutschen Nation“. In diesem Vermittlungsvorgang kam den Universitätshistorikern die Funktion des Transmissionsriemens für die wissenschaftliche, marxistisch-leninistische Verifizierung des „Historischen Materialismus“ zu. Der Historikerfleiß hat sich seit der Wende mit besonderem Engagement gerade auf jenes Instrumentalisierungstheorem konzentriert Eine biographiegeschichtliche Modernisierung der Forschungsansätze erfordert aber, daß das Bild vom Ideologietransport durch Geschichtswissenschaft um die sozialisationstheoretische und bildungsgeschichtliche Komponente erweitert wird.

II. Bewußtseinsbildung als Einheit von Geschichtswissenschaft und Geschichtsvermittlung

In Zeiten deutscher Zweistaatlichkeit waren die Bereiche Geschichtsforschung und Geschichtsvermittlung im Westen inhaltlich und institutionell geteilt, im Osten vereint. Selbst in der Anfangsphase der Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR, als die bürgerlichen Historiker an den Rankeschen Objektivitätsbegriff anzuknüpfen versuchten und sich gegen eine einseitige Festlegung auf die „materialistische Geschichtsauffassung“ aussprachen, stand das Wort Fritz Hartungs auf der ersten Historikertagung des Jahres 1946 im Senatssaal der Berliner Universität paradigmatisch für die grundsätzliche Frage nach dem Selbstverständnis von Historikern in politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umbruchsituationen: „Die Universität darf und wird hinter den Anforderungen, die hier an den künftigen Lehrer gestellt werden, nicht Zurückbleiben.“ Und die an die Adresse der versammelten „Herren Professoren“ gerichtete Mahnung Anton Ackermanns, des Bildungsexperten der KPD/SED und, neben Paul Wandel, verantwortlichen Koordinators der von der „Deutschen Verwaltung für Volksbildung“ (DVV) einberufenen Historikertagung, aus der „Geschichtsklitterung des Nazismus“ konsequent die Lehren zu ziehen, den „Bruch mit dieser Vergangenheit“ „vollständig“ vorzunehmen, „den Mut zur Wahrheit“ zum „höchsten Gebot des deutschen Historikers wie Geschichtsstudenten“ werden zu lassen und „diese wahre Geschichtswissenschaft volksnah und volksverbunden“ zu betreiben, traf ins Mark: „Sagen Sie nicht“, rief Ackermann aus, „was geht das alles uns Historiker an!“ Abgesehen davon, daß es sich bei diesen Fragen „um Existenz und Zukunft unseres Volkes“ handele, „um Fragen also, die jeden Deutschen angehen“, hätten sie für den „Geschichtslehrer an unseren Hochschulen“ eine spezifische Bedeutung. Der „nationalsozialistische Ungeist“ sei keineswegs vom Himmel gefallen. Selbst die spezifisch faschistischen Lehren seien keine freien Schöpfungen der „Gottfried Feder, Rosenberg und Goebbels“. Das treffe für alle sogenannten „Schulen“ der Naziideologie zu. Ob wir „das Führerprinzip und den autoritären Staat, die Lehre der Rassen und des Lebensraums“ betrachteten oder „die Pläne zur Schaffung eines großdeutschen Raumes oder eines weltumspannenden Kolonialreiches“, alles sei in mehr oder weniger fertiger Gestalt schon dagewesen, „ehe Hitler seine erste Versammlungsrede hielt oder Feder das Naziprogramm niederschrieb“

Erst mit der zunehmenden Legitimierung und ideologischen Stabilisierung des DDR-Staates arbeiteten Universitätshistoriker, „Geschichtsmethodiker“ und „Geschichtspropagandisten“ wie sie expressis verbis bezeichnet wurden, Hand in Hand in Forschung, Lehre und Schulstuben am Idealbild des Sozialismus. Die Zusammenarbeit zwischen Forschern, Hochschullehrern, Archivaren, Lehrern und „Propagandisten“ war eine pädagogisch-didaktische Angelegenheit von höchster Priorität in der DDR. Die Universitätshistorie mußte in diesem Zusammenspiel von Anfang an ein klares Profil zeigen. Der Kampf Dlubeks gegen „Abweichler“ und latente „bürgerliche“ Historiker konnte nur in „langwieriger Überzeugungsarbeit“, letztlich aber nur in ihrer Umerziehung und Disziplinierung entschieden werden wofür die Diskussionen in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG) zwischen 1956 und 1957 sowie die Umbesetzungen in der ZfG-Redaktion ein Paradebeispiel darstellen. Rolf Dlubeks „Kritische Bemerkungen zu J. Kuczynskis Ausführungen über die Rolle der ökonomischen Tätigkeit des Menschen und über die , Funktion des Menschen als Produktivkraft'" in der geschichtlichen Entwicklung oder Werner Bertholds „Bemerkungen zu den von J. Kuczynski und anderen Historikern aufgeworfenen Problemen des , Geschichtemachens“' zielten darauf ab.den „wissenschaftlichen Meinungsstreit“ nicht eskalieren zu lassen und den notorischen Revisionisten Kuczynski -wie es Alfred Meusel mit rührendem Sinn für Ausgleich formulierte -„für eine Auffassung zu gewinnen -oder: zurückzugewinnen -, die es ihm ermöglicht, seine großen Fähigkeiten für die Weiterbildung der marxistischen Geschichtswissenschaft, für die Sicherung des Friedens, für den Aufbau des Sozialismus und für die friedliche und demokratische Wiedervereinigung unserer geliebten Heimat einzusetzen“ Kuczynski, „ein hoffnungsloser Fall von Optimismus“, der mit seinem Aufsatz in der ZfG (1/1957) unter dem Titel „Der Mensch, der Geschichte macht“ wieder einmal für Furore gesorgt hatte, blieb am Ende nicht auf der Strecke, dafür aber der damalige Chefredakteur der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Fritz Klein, dem Dlubek in einer Redaktionssitzung vom 22. März 1957 mitgeteilt hatte, „daß die Abteilung Wissenschaften des ZK der Meinung“

war, „den Genossen Klein . . . mit sofortiger Wirkung von seiner Funktion als Chefredakteur zu beurlauben“.

Wenn Fritz Klein nach der Wende in einem Gespräch mit Neuhäußer-Wespy seine damalige Entbindung vom Chefredakteursposten mit der „Abwesenheit simpelster Formen von Rechtsstaatlichkeit“ beklagte, so als habe man zu DDR-Zeiten gegen die unbegründete Kündigung den

Rechtsweg beim Arbeitsgericht beschreiten können, verkennt er die historische Bedingtheit seines eigenen Nachwendeurteils. Dieser für einen Erkenntnisgewinn wichtige Aspekt einer kritischen Historisierung und Biographisierung von Vergangenheitsaufarbeitung tritt bei Neuhäußer-Wespy nicht in den Blick. Insofern gelingt es ihm auch nicht, andere analytische Konzepte zur Erforschung der DDR-Geschichtswissenschaft als die in bewährter Manier aus den Akten entwickelten zur Diskussion zu stellen: Die archivalischen Quellen belegen, daß die Geschichtswissenschaft in der DDR von Anfang an eine politische Angelegenheit war, und damit wäre eigentlich alles über das Thema gesagt. Von daher gesehen spricht schon einiges für das offene, biographische Bekenntnis Wolfgang Ruges zu seiner „Politikverbundenheit“, wenn er im Nachdenken über die Geschichtswissenschaft der DDR einmal sagte, „daß die bisweilen bei Ex-Kollegen zu beobachtende demonstrative Abwendung von der eigenen Vergangenheit“ die Vermutung nahelege, „daß sie auch früher nicht mit ihrer ganzen Persönlichkeit hinter den von ihnen vorgetragenen Auffassungen standen“

Die Konstruktion von Geschichtsbewußtsein gehorchte in der sozialistischen Pädagogik den strengen Regeln der theoretisch-wissenschaftlichen Vorausplanung, Begründung und institutioneilen Festschreibung der einmal für richtig erachteten methodischen Wege. Ein entscheidender Konstruktionsfehler des Sozialismus im allgemeinen und in der DDR im besonderen war die pädagogische Erstarrung von Geschichtsvermittlung in einem naiven, weil unangefochtenen und unanfechtbaren Regelsystem der Bewußtseinsprägung. Die Implosion des sozialistischen Systems war auch eine Folge der sträflichen Verkennung der bildungstheoretischen Einsicht, daß die autonome Lernfähigkeit der Individuen im Sozialisationsprozeß auf Dauer nicht zu unterbinden ist. „Die Akten“ verweisen in diesem Zusammenhang auf einen interessanten Fall. Er handelt von der Einrichtung einer sogenannten „Prognose-Kommission“ beim Institut für Marxismus-Leninismus, in der hoffnungsvollen Apostrophierung des Begriffes „Prognose“, womit vermutet werden könnte, daß die perspektivische Aussagekraft der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft durch gezielte sozioökonomische Analysen und Forschungsarbeiten abzusichern sei. Zur großen Überraschung sprechen die Akten jedoch davon, daß die Kommission darüber nachzudenken hatte, wie Geschichte „vermittelt“ und effektiv in die Köpfe der Lernenden eingebrannt werden sollte, damit ein sozialistisches Geschichtsbewußtsein entstehe. Zu den Hauptaufgaben der Kommission gehörten demnach die Ermittlung von Schwerpunkten der Forschung auf dem Gebiet der Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, die „Bestimmung des Inhalts des Geschichtsbildes der Menschen der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“, „wirksamste Wege und Methoden zur Entwicklung eines sozialistischen Geschichtsbildes“, „die Hauptrichtung der Rationalisierung der Arbeit des Historikers“ sowie die „Hauptrichtungen der Kaderentwicklung“ Der Historiker der siebziger Jahre -so ist einem Arbeitspapier der Kommission zu entnehmen -werde nicht wie der Naturwissenschaftler, Mediziner oder Jurist „die gleiche Bereitschaft, sich belehren zu lassen, vorfinden“, dafür biete er aber einen „äußerst interessanten, lebendigen Stoff“ an, falls er es verstehe, „die Geschichte wirklich zu nutzen“.

Die Kommission mit dem klangvollen Namen war nur eine Episode in der planwissenschaftlichen Verwaltung von Geschichte, sie führte ein ephemeres Dasein und wäre nicht weiter der Rede wert, verwiese sie nicht auf das Grundproblem des Junktims zwischen Geschichtsforschung und Geschichtsvermittlung, mit dem jeder Historiker in der DDR, auch wenn ihm der Stallgeruch des Didaktischen nicht schmeckte, konfrontiert war. Insofern ist jeglicher strukturgeschichtliche und aktengestützte Zugriff auf das Thema der Instrumentalisierung der DDR-Historie verdienstvoll und eine Voraussetzung für eine problemorientierte Geschichtsforschung. Denn die Formung von Geschichtsbewußtsein war für den Marxismus-Leninismus keine Nebensächlichkeit. Universität, Schule und die Mammutorganisation der FDJ wirkten zusammen. „Die ganze Erziehung, Bildung und Schulung der heutigen Jugend“ müsse „eine Erziehung zur kommunistischen Moral sein“, hatte Lenin in seiner Rede auf dem III. Gesamtrussischen Kongreß des Kommunistischen Jugendverbandes Rußlands am 2. Oktober 1920 gefordert Und was Universität und Schule an Bewußtseinsbildung nicht schafften, das bewirkte -um im Bild zu bleiben -die Arbeit der Komsomolzen „in den Gemüsegärten am Stadtrand“.

Erziehung zu sozialistischem „Bewußtsein“ setzte früh ein im pädagogischen Alltag der DDR. Sie verlief über mehrere gesinnungsprägende Stationen: Am Anfang stand die Kinderkrippe, die Einschulung mit der Zuckertüte und dem elterlichen Abonnement der ABC-Schützen-Zeitung „Bummi“ Geschichtsunterrichtliche Bewußtseinsbildung in der Schule war nur ein Faktor auf dem langen Marsch zum Klassenbewußtsein. Bereitschaftsdienste und Treuegelöbnisse bei den Thälmann-Pionieren, der Freien Deutschen Jugend oder die kultische Einschwörung der Jugend auf den Staat z. B. bei der „Jugendweihe“ waren die sozialisatorische Wegzehrung.

Unter dem Strich zählt bei aller geplanten, koordinierten und kontrollierten Erziehungsarbeit und Bewußtseinsschulung das, was in den Köpfen ankommt und hängenbleibt -in der hermeneutischen Theorie mit dem „wirkungsgeschichtlichen Bewußtsein“ umschrieben. Doch gemessen an den „strategischen Orientierungen des XI. Partei-tages“ der SED, „unserer Schuljugend“, wie es damals hieß, „ein breites, solides und ausbaufähiges Fundament der Allgemeinbildung zu vermitteln“ und sie „im Geiste unserer kommunistischen Weltanschauung und Moral zu erziehen“, war der Gesamtertrag der geschichtsunterrichtlichen Kärrnerarbeit oftmals bescheiden, weil sich eben in der Erziehungspraxis nicht immer bewahrheitet, daß, „was wir heute für die Kindr leisten“, „morgen tausendfach Gewinn“ trage

Längst aber gab es in den Schulstuben aufgrund der Stupidität der inhaltlichen wie didaktischen Leerformeln Bewußtseinsdissidenten. Immer nur würden „Fakten aufgezählt, beispielsweise über die Leistungen der Menschen in der Sowjetunion beim Aufbau des Landes, was alles gebaut wurde, um wieviel Prozent die Produktion gestiegen“ sei -so äußerte sich ein Anonymus einer neunten Klasse in einer Fragebogenaktion über Geschichtsinteresse im Jahre 1977 an einer Polytechnischen Oberschule (POS) in Potsdam quer zu dem ange-strebten Endprodukt von Geschichtsbewußtsein in einem sozialistischen „Schülerkollektiv“. Bezeichnenderweise schloß der Schüler seinen Kommentar mit der trefflichen Bemerkung: „Es ist immer so schön gesetzmäßig. Immer heißt es, trotz Kälte oder Hitze und obwohl die Technik primitiv war, siegten die Menschen in der Sowjetunion. Ich finde diesen Satz abgedroschen . .

III. Der Historiker zwischen politischem Auftrag und Wissenschaftsethos

Seit der Wende nun wird die historisch-politische Debatte geführt über die ambivalente Stellung der DDR-Historie zwischen dem Anspruch politischer Auftragserfüllung und wissenschaftlicher Eigenverantwortlichkeit. Durch ihre Systemnähe und parteiliche Gebundenheit wurde den DDR-Historikern allenfalls noch die historiographische Rolle informierter Zeitzeugenschaft und auskunftsfähiger Übersetzer der zu interpretierenden Dokumente zugedacht. Argumentative Fronten taten sich auf, die einem Erkenntnisgewinn in der Sache deshalb im Wege standen, weil es nicht gelang, die Perspektive teilnehmender Selbstbeobachtung zum methodologischen Vorteil zu nutzen. Zu selten richtete sich die kritische Sicht auf die Frage, was der Untergang der DDR und ihrer „Legitimationswissenschaft“ für den einzelnen Historiker bedeutete „Noch bevor die östlichen Historiker zu sich selber finden und bestimmen konnten, was und wer sie waren und wie sie so geworden waren, wie sie sich wiederfanden, wurde ihnen -zumindest aus ihrer Perspektive -von den , Siegern der Geschichte 1 vorgeschrieben, wer und was sie gewesen waren und wie sie hätten sein sollen und vor allem: wie sie in Zukunft sein sollten“, schreibt Karl Heinrich Pohl in der Einleitung zu seinem Buch „Historiker in der DDR“

Inmitten einer Flut von Abrechnungs-und Rechtfertigungsliteratur könnten die darin abgedruckten „persönlichen Texte“ von Zeitzeugen, die als Historiker und Geschichtsvermittler über ihren beruflichen Werdegang, ihr Verhalten und ihre Belastungen im Staate der DDR berichten, dazu beitragen, die immer wieder durch Enthüllungsgeschichten aus den Aktenbeständen der Gauck

Behörde brisant gewordene Debatte über die Last der DDR-Geschichtswissenschaft in ruhigere Bahnen zu lenken. Nicht die in einer Mischung aus Überheblichkeits-und Triumphgefühlen gerichtete Anklage steht somit im Vordergrund, sondern eine hermeneutische Verständigung über Probleme unseres Umgangs mit Geschichte in Zeiten von bewußtseinsprägenden Umbrüchen.

Die Frage nach der Bedeutung von Biographien als Quelle sozialgeschichtlicher Erkenntnis ist gerade mit der Zäsur von 1989 virulent geworden. Eigentlich müßte die Biographieforschung sich im Aufwind befinden Allen berechtigten und unberechtigten kritischen Einwänden zum Trotz, die einem solchen erfahrungsgeschichtlichen Forschungsverfahren wissenschaftliche Authentizität aberkennen, hat es zumindest den Anschein, als seien „zeithistorische Dialoge“ als Ausdrucksform einer Verbindung von Zeitzeugenerfahrung und wissenschaftlicher Spezialforschung derzeit en vogue Den ungeahnten Möglichkeiten durch die Öffnung der Archive stehen zahllose Biographien gegenüber, die auf ostdeutscher Seite überwiegend durch den politischen Bruch geprägt sind -Biographien, die es zu erschließen gälte, sofern die betroffenen Personen einem Fremden ihre Zustimmung zum Gespräch erteilen und ihm ihre ungeteilte Erinnerung öffnen. Zwar lassen sich Gefühle nicht archivieren, Ängste und Hoffnungen nicht in die Glasvitrine legen. Doch zum Forschungsfeld des Zeitgeschichtlers gehört unabdingbar das Phänomen der Erinnerung des Menschen ebenso wie dessen Streben nach Vergessen.

Die Verstehensschwierigkeiten, mit denen sich die Hermeneutik im überkommenen Sinne befaßt, sind immer von der Art des Abschiedes, der -wie wir wissen -schmerzlich sein kann, weil sich nichts mehr nachholen läßt, was in der Biographie nicht vorkommt. Stets liegt zwischen der Erinnerung des einen und dem, der sie verstehen möchte, ein Bruch. Ohne diese Reflexion aus Negation und Selbstverständnis gäbe es keine geschichtliche Erkenntnis. Geschichtliches Erkennen vollzieht sich im Leben selbst als Kritik, als Erinnerung und Abschied, Aufnahme und Verwerfung, Leben und Tod. Deshalb verkraftet das Abschiednehmen, das zum Leben gehört, die Ironie des Historikers nur schwer, zumal sich niemand gerne vom anderen belehren lassen möchte, wie kritisch er mit sich, seiner Biographie und dem Abschiednehmen umzugehen habe. Die Intimität des Abschiednehmens. von dem gesagt wurde, die DDR-Bürger hätten davon in den letzten Jahren „ein Übersoll“ gehabt wird dann zur „Sentimentalitätsfalle“, wenn -um im Bild der deutschen Vereinigung zu bleiben -alles, was der Einheit mißlingt, die Nostalgie einer vermeintlich „schöneren“ und „besseren“ Vergangenheit heraufbeschwört.

Unter einem biographiegeschichtlichen Forschungsaspekt dienen die publizierten lebensgeschichtlichen Reflexionen ostdeutscher Historiker gewissermaßen als Leitfaden und kritisches Korrektiv für das Arrangement von retrospektiven „Interviews“ und dialogischen Gesprächen mit ihnen. Bereits im Vorfeld der autobiographischen „Bekenntnisse“ werden, um mit Droysen zu sprechen, dem „forschend verstehenden“ Interpreten die Grauzonen der vermeintlich „heilen Welt der Diktatur“ sichtbar -aber auch nur dann, wenn man sie Stück für Stück aus den Selbststilisierungen von vermeintlich „ideologiefreien Spielwiesen“, fachwissenschaftlichen „Nischen" und den eingeschränkten Möglichkeiten der individuellen Verweigerung im Herrschaftssystem der DDR kritisch herausfiltert. Darüber geben in dem von K. H. Pohl herausgegebenen Band Betroffene Auskunft: ostdeutsche Historiker, die über die kritische Aufarbeitung ihrer eigenen Biographie reflektieren und denen dabei nicht nur in einer selbstgefälligen Rechtfertigungsattitüde kleine Widerständigkeiten und Akte eigener Autonomie, sondern auch der geflissentlichen Anpassung und stumpfen Unterwerfung einfallen.

Joachim Petzold, Neuzeithistoriker und von 1956 bis 1991 namhafter Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, stellt seine biographische Reflexion hinter die Erörterung des allgemeinen Phänomens von politischem Auftrag und wissenschaftlicher Verantwortung von Historikern in der DDR zurück.

Zu den bedingungslosen Apologeten einer staats-affirmativen DDR-Geschichtswissenschaft schien er nicht zu gehören. Wer seine historiographischen Beiträge, die nach der Wende entstanden sind, liest, entdeckt in ihnen das zerbrochene Selbstbewußtsein eines DDR-Historikers, der dabei ist, seine eigene Vergangenheit „objektiv“, unter weitgehender Umgehung der dunklen Kammern der Erinnerung, aufzuarbeiten. Die Ich-Erzählung meidet Petzold mit Bedacht. Doch eine kritische Aufarbeitung der eigenen Biographie müßte sich der Forderung stellen, die Wolfgang Küttler nach der Wende ausgesprochen hat: „Wer als Mitbetroffener in die Debatte (um den Standort der DDR-Historiographie zwischen Politik und Wissenschaftlichkeit -d. Verf.) eingreift, muß sich immer auch der Tatsache bewußt sein, daß die Zusammenhänge von Last und Leistung, von Wissenschaft und Staatsaktion, über die er in der dritten Person berichtet, auch in der Ichform gedacht und erzählt werden müßten.“

Petzolds auffällig distanziertes Verhältnis zur „Subjektivität“ bekunden seine Publikationen aus jüngster Zeit In dem 1997 erschienenen Buch „Ideale und Idole im Schatten Hitlers und Stalins“ spricht Petzold im Vorwort davon, daß „der Verfasser“ im Sommer 1992 am Forschungsschwerpunkt Zeithistorische Studien in Potsdam „den Auftrag“ erhalten habe, „zu untersuchen, wie sich die politische Bewußtseinsbildung jener jungen Menschen vollzog, die in den Gründerjahren der DDR ihre Oberschulzeit abschlossen . . . und fast ihr ganzes Berufsleben in der DDR verbrachten“ Was Petzold „mentalitätsgeschichtlich“ thematisiert, soll durch „Objektivität“ überzeugen. Für ihn ist die Erinnerung keine verläßliche Kategorie der Geschichtserkenntnis, die „Oralhistorie“, wie er es nennt, ein fragwürdiges Unterfangen. Fast hat es den Eindruck, als folge er unbeirrt einem historistischen Objektivismus mit dem Ziel, „subjektive Erinnerungen und private Dokumente durch objektivere Belege und allgemein zugängige Archivalien zu ersetzen“

Diesem Anspruch zum Vorteil gereichte der heuristische Umstand, daß Petzold archivalische Materialien in Form von Abituraufsätzen aufbewahrte, die er als Quelle und „Hinterlassenschaften“ der ehemaligen Oberschule Dresden-Nord bzw.des altsprachlichen Gymnasiums Minden/Westfalen in seine vergleichende Analyse einbezieht. Ein weiterer günstiger Quellenumstand ergab sich für Petzold im Auffinden seiner autobiographischen Zeugnisse in Form von Schulaufsätzen und diversen Unterrichtsaufzeichnungen der Oberschule Dresden-Nord, an der er, Jahrgang 1933, Pennäler gewesen war und als Sohn einer Arbeiterfamilie 1951 sein Abitur absolviert hatte. Gänzlich solle der „Zeitzeuge“ nun doch nicht hinter dem „Historikerideal“ zurückstehen, und sicherlich werde die „Bewußtseinsforschung“ nicht ohne die Erinnerungen der Zeitzeugen auskommen, auch wenn man in ihnen nur einen Reiz sehen mag, „angemerkt zu bekommen, wie ein dokumentarisch faßbarer Vorgang persönlich erlebt wurde und die Welt aus betroffener Sicht aussah“.

Bei dieser erfahrungsgeschichtlichen Textstelle seiner Biographie wechselt Petzold allerdings die grammatische Person: „Ich war zwar fast immer Klassenvertreter und erbrachte im Geschichtsunterricht über dem Durchschnitt liegende Leistungen . . . Aber eine besondere Rolle im Schulleben oder gar in politischen Organisationen habe ich nicht gespielt. Ich wurde -sowohl altersbedingt als auch zur Zurückhaltung erzogen -mehrgeführt, als daß ich selbst geführt hätte. Ich war Suchender, dem vieles verborgen blieb. Die Betroffenheit im doppelten Sinne hielt sich in Grenzen. Erst als es 1949 um die Gründung zweiter deutscher Staaten, um die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und vor allem um den Kult um Stalin ging, kam ich in Schwierigkeiten, die über meine Dresdener Schulzeit hinaus reichen sollten. Diese lassen sich jedoch nicht mit denen derer gleichsetzen, die öffentlich protestierten und dafür bestraft wurden. Ich habe in den Auseinandersetzungen meist zu vermitteln und auszugleichen versucht. . . Früh wurde mir beigebracht und schließlich durch eigene Erfah rungen bestätigt: Niemand hat das Recht, die absolute Wahrheit für sich zu beanspruchen und anderen seine Ansichten aufzuzwingen .

Die Legitimationsthematik, von der eingangs die Rede war, wird in dieser Passage in narrativer Komprimierung berührt -eine Thematik, die das biographische Spannungsverhältnis jener Einheit der Gegensätze zwischen politischer Indienstnähme durch Staat und Partei und persönlicher, innerer Verweigerung variiert. Diese Ambivalenz begleitete Joachim Petzolds Historikerlaufbahn anscheinend auch über die Schockerfahrung des biographischen Einschnitts von 1989 hinaus. Ein Historiker von Rang, der nach seinem Studium an der Berliner Humboldt-Universität „ununterbrochen bis zu dessen Auflösung 1991 am Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR“ gearbeitet hatte, sah sich -wie die meisten Historiker der DDR -„nach der Wiedervereinigung Deutschlands“ dem „Vorwurf“ ausgesetzt, Eigenverantwortung zu tragen für die „hochgradige Politisierung der Geschichtswissenschaft“" In einer Leserzuschrift an die Redaktion der ZfG aus dem Jahre 1994 reagierte Petzold auf die „Verleumdung“ durch Armin Mitter und Stefan Wolle, vor allem auf ihren Artikel in der „Wochenpost“ vom 28. Oktober 1993: „Wem gehört die DDR-Geschichte?“, mit der -in den Worten Petzolds -„sachlichen Feststellung“, „beiden Historikern“ sei „an den Geschichtsinstituten der Akademie der Wissenschaften der DDR das nicht widerfahren, was sie nunmehr am Potsdamer Forschungsschwerpunkt Zeithistorische Studien“ forderten, kurz: die Ausbootung der einst etablierten DDR-Historiker.

Im Grunde aber ging es (und geht es nach wie vor) in jener Debatte um die Frage, in welchem qualitativen Verhältnis bei der historischen Aufarbeitung die Auseinandersetzung mit der eigenen biographischen Rolle im Wissenschaftssystem der DDR zu der vielfach benutzten Rechtfertigungsformel steht, als DDR-Historiker lediglich die Weisungen Kurt Hagers befolgt zu haben. Petzold selbst argumentiert in diesem Kontext -ohne es direkt zu benennen -in biographiegeschichtlicher Absicht, wenn er darüber nachdenkt, daß es „Entwürfe, Gutachten und Protokolle im Privatbesitz“ gebe, ohne deren Kenntnis keine „umfassende Bewertung“ der internen Auseinandersetzungen unter Historikern der DDR möglich sei Es drängt sich dabei die Frage auf, was für einen DDR-Historiker politischer Auftrag bedeutete und wie er diesen mit seinem Wissenschaftsethos als Fachhistoriker vereinbaren konnte. Wichtig bleibt für die Bewertung, daß die Historiker der DDR in ihrem biographischen Zwiespalt, in den sie nach der Wende geraten waren, an den Spuren von Anpassung und Eigenständigkeit gemessen werden, die sie in ihren wissenschaftlichen und didaktischen Publikationen vor und nach der Wende hinterlassen haben.

Aus der Rückschau entzieht sich Petzold seiner Verantwortlichkeit für die Funktionalisierung und Politisierung von Geschichtswissenschaft und Geschichtsschreibung in der DDR nicht. Auch Historiker, die sich im Schutze des XX. Parteitages der KPdSU gegen den Stalinismus wandten, hätten ihre wissenschaftliche Tätigkeit als einen politischen Auftrag verstanden. Sie hätten sich zumindest Mühe gegeben, die angebliche Gesetzmäßigkeit der Niederlage des deutschen Imperialismus in den beiden Weltkriegen nachzuweisen. „Der Verfasser“ habe zwar nie zu denen gehört, „die Entscheidungen beeinflussen konnten, aber er sei „während seiner gesamten Berufstätigkeit auf seinem Arbeitsgebiet mit ihrer Umsetzung befaßt und insofern mitverantwortlich“ gewesen’’ Auch habe man immer mit Konsequenzen rechnen müssen, wenn man etwas publizierte, was im direkten Gegensatz zu den Weisungen der SED-Parteiführung stand. Diese Erfahrung habe er bei seiner Dissertation über die Dolchstoßlegende machen müssen, weil dieses Thema grundsätzlich die Frage für die DDR-Historie behandelte: „Wie halten wir es mit der Weimarer Republik?“ Fazit: „Die meisten Historiker der DDR und mit ihnen der Verfasser verschlossen sich nicht dem Auftrag, politisch im Sinne der DDR zu erziehen. Es gab in dieser Beziehung lediglich deutliche Abstufungen unter den Historikern. Einige hatten keine Hemmung, zum Mittel der direkten Geschichtsfälschung zu greifen und beispielsweise den antifaschistischen Kampfder KPD in der Weimarer Republik in einem Buch zu rühmen, ohne zu sagen, daß mit Faschismus auch die Sozialdemokratie als dessen angebliche Filiale gemeint war. . . Nur ganz wenige Historiker haben in der DDR ihre Mitarbeit verweigert und ihre Zuflucht in historiographischen Nischen gesucht. Der Verfasser hat nicht zu ihnen gehört, sondern darauf gehofft, daß die wissenschaftlichen Freiräume im Laufe der Zeit größer würden . . . "

Ein Schnitt durchzieht Petzolds Geschichtspublizistik. Wissenschaftliche Diskursivität und Kommunikation und nicht polemische Aktualisierung von Geschichte wäre das Ziel, wonach der Geschichtswissenschaftler im Idealfall strebt. Die Forschungen zur Genesis der nationalsozialistischen Weltanschauung, von sozialdarwinistischen Ideenspendern ausgehend und alldeutschen Verbandsvertretern über jungkonservative Publizisten um Moeller van den Bruck bis hin zu Chefideologen vom Schlage Alfred Rosenbergs, wie sie in Petzolds bekanntesten Publikationen vor 1989 repräsentiert sind ruhten auf den festen Fundamenten einer lange unerschütterbaren marxistischleninistischen Faschismustheorie. So schien die Aussage Henry A. Turners in der seinerzeitigen Bewertung führender Faschismustheoretiker der DDR, der moderne Kapitalismus sei kaum zu verteidigen, falls die These zuträfe, daß der Faschismus sein Produkt sei, „wohl eher unfreiwillig als absichtlich“ zustandegekommen zu sein Selbst Turners Synonymisierung von „Faschismus“ und „Kapitalismus“ war keineswegs originär. Ihr war Theodor Geigers frühe wissenschaftliche Position aus dem Jahre 1932 bezüglich der Transformation der proletaroiden in die faschistoiden Mentalitätsgruppen vorgelagert. Auch die mit dem „Enttypisierungsschock“ umschriebene neuere Forschungserfahrung die die Hypothese bestätigt, daß Wirtschaftswundermentalität im Westen und antifaschistische Siegeshoffnung im Osten auf den Faschismuserfahrungen als Vorgeschichte der ost-und westdeutschen Nachkriegsgeschichte auflagen und man „hinterher“ erst merkt, „daß es richtig war, daß es schiefgegangen ist“, hat nach 1989 kaum an historisch-politischem Analysewert verloren. Martin Lintzels Postulat von der wissenschaftlichen Verantwortung des Historikers, auf das sich Joachim Petzold in seinem Beitrag über „die Lampes und die Hampes“ -einem Thema zum Verhältnis von parteipolitischer Anpassung und autonomer Wissenschaftlichkeit -selbst bezieht stellt den Grundgedanken einer um den Wertebegriff bei Max Weber erweiterten Historik in den Mittelpunkt, daß „jedes Geschichtsbild“ auf „Auslese und Wertung“ beruhe und insofern „subjektiv“ bedingt sei. Gerade diese Tatsache, so Lintzel, gebe uns keinen Freibrief, „nun nach unserem Belieben die Geschichte zu modeln“. Wenn man aus der Geschichte lernen wolle, so könne man sie „nur so gebrauchen, wie sie ist, und nicht, wie man sie sich wünscht“. Im Kontext der kontroversen Bewertungen der besonderen staats-affirmativen Rolle, die die DDR-Historie spielte, ist die grundsätzliche Überlegung nicht ohne Belang, daß wohl erst im biographischen Dialog sich für den betroffenen Historiker die Gewissensfrage stellt, wann und wie die Historie und ihre Funktionsträger durch die Politik benutzt wurden. Wer sich der Politik verpflichtet, muß sich vor der Politik verantworten.

Als sich die politischen Beziehungen der DDR zum westlichen Ausland in den achtziger Jahren „normalisiert“ hatten, strebte die marxistischleninistische Geschichtsforschung nach Anerkennung innerhalb der internationalen „scientific community“ und speziell nach innerdeutscher Breitenwirkung ihrer historiographischen Erträge, sofern man dieser „Öffnung nach außen“ nicht bloß die administrative Intention einer Parteiideologie unterstellt, die darauf hinauslief, auf dem Gebiet der gespaltenen deutsch-deutschen Geschichtsvermittlung Terrain zu gewinnen und die DDR überhaupt als das bessere Erbe der deutschen Geschichte anzubieten. Gewiß war die Lizenzausgabe eines Buches zur Kulturgeschichte des „königlichen“ Schachspiels in Westdeutschland politisch unverfänglich, betriebswirtschaftlich jedoch devisenverdächtig. Eine „kämpfende Wissenschaft“ wie es die DDR-Geschichtswissenschaft auch war, sah sich in der politischen Pflicht, ihre wissenschaftlichen Produkte auch auf der Basis „volksnaher“ und populärwissenschaftlicher Schriften zu vermitteln sowie für Verbreitung zu sorgen. Man mag über den geschichtsdidaktischen Stellenwert von Klappentexten geteilter Meinung sein, 1984 jedenfalls wurde beim Frankfurter Röderberg-Verlag der Band Joachim Petzolds „Faschismus. Regime des Verbrechens“ wie folgt angekündigt: „ Wir legen hier die Antworten eines Historikers aus der DDR auf Fragen vor, die auch -und gerade von jungen Menschen -bei uns in der Bundesrepublik gestellt werden. Dr. Joachim Petzold . . . befaßt sich seit langem mit der Erforschung faschistischer Ideologien. In unserem Verlag ist bereits sein Buch , Die Demagogie des Hitlerfaschismus‘ erschienen, beim Pahl-Rugenstein Verlag das Buch . Wegbereiter des Faschismus“. Nicht alle Leser werden den Standpunkt von Dr. Petzold teilen. So wird zum Beispiel seine Darstellung des Verhältnisses zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten in der Weimarer Republik umstritten sein. Aber es lohnt sich, über die Argumente von Dr. Petzold nachzudenken. Die Probleme, die er behandelt, gehen uns alle an. Stellungnahmen sind erwünscht. Der Autor ist zu einem Streitgespräch bereit. “

Auf die nicht nur in der Geschichtswissenschaft in Ost und West, sondern auch von Zeit zu Zeit im politischen Umfeld heftig diskutierte Frage, warum die „antifaschistische Aktionseinheit“ zwischen SPD und KPD in den dreißiger Jahren nicht zustande kam, gibt das Buch u. a. folgende Auskunft: „Die rechten sozialdemokratischen Führer haben sich -unterstützt von fast der gesamten bürgerlichen Geschichtsschreibung -unablässig bemüht, ihre Kapitulationspolitik zu rechtfertigen. Angeblich wäre ein Generalstreik angesichts eines Arbeitslosenheers von 6 Millionen und des Ausnahmezustandes aussichtslos gewesen . . . Offensichtlich hatten die SPD-Führer Angst, das Risiko eines Widerstandes zu tragen. Hinter dieser Furcht stand ihr -von Erich Honecker mit Recht als pathologisch bezeichneter -Antikommunismus, der wiederum ganz unmittelbar mit dem Übergang ins Lager der Bourgeoisie zusammenhing. .. "

IV. Die Wende als Lernprozeß

Mit dem politischen Ende der DDR-Geschichtswissenschaft stand auch ihre einstige marxistische Ausgangslage zur Disposition. „Daß unsere Geschichtsschreibung . . . politische Ziele verfolgte“, schrieb Wolfgang Ruge in einem persönlichen Nachruf auf sie, „ist unbestritten“ Geschichtswissenschaft sei „von Natur her“ eine „eminent politische Wissenschaft“. Das Versagen der DDR-Geschichtswissenschaft sieht Ruge in der „Spezifik unserer Fehlprognosen“ aufgrund der angenommenen „Gesetzmäßigkeiten“, die die Grundlage der marxistischen Geschichtsauffassung bildeten. Es gelte, von der Vorstellung Abschied zu nehmen, die Geschichte verlaufe als vorherbestimmter und vorhersehbarer Prozeß der Abfolge von Gesellschaftsformationen. Der die gesamte Sozialismusidee tragende Gedanke von Marx und Engels habe sich als Illusion erwiesen, die alle Träume vom planmäßigen Aufbau einer auf Vernunft fußenden Gesellschaft zerrinnen ließ.

Wenn von den Träumen einer sozialistischen Gesellschaft nicht viel geblieben ist, scheint die Frage immerhin berechtigt, ob der Marxismus auch als wissenschaftliche Methode gänzlich seine Relevanz verloren habe Es ist nicht zu übersehen, daß die Berufung auf das Scheitern des Marxismus manchem „Marxisten“ als biographisches Alibi dient, sich selbst zu spät mit dem „frühen Marx“ befaßt zu haben. Denn die Vereinfachungen und Dogmatisierungen der Marxschen Philosophie schufen erst die Marxisten

So mag denn der große Philosoph des Kommunismus nach dem Mißerfolg des realsozialistischen Gesellschaftsexperiments allenfalls noch in den kulturkritischen Metaphern seiner „Frühschriften“ zu überzeugen. Für die (Re) konstruktion historischer Prozesse taugt der Positivismus der Marxschen Geschichtsphilosophie dagegen wenig. Die Begrifflichkeiten von den „historischen Akteuren“ und den „Klassen“, die im und durch „Klassenkampf“ Geschichte „machten“, sind hohl geworden. Die Analyse von „Klassenbewußtsein“ hat sich auf das Individualbewußtsein, sozusagen vom Bauch wieder zum Kopf hin, verlagert, und auch die Analysemethoden und das Forschungsdesign sind differenzierter geworden.

Die Bewußtseinsgeschichte des Einzelnen wäre in erster Linie zu erforschen als ein individualisierter Prozeß der Aneignung von Geschichte. Und nur in der Summe von Bewußtseinsgeschichten entstehen Mentalitäten, so daß eine Bibliothek von Ein-zelbiographien die Voraussetzung bildete für die soziographische Erfassung von Mentalitäten.

Für die Ostler wie die Westler müßte die Wende auch als biographischer Lernprozeß begriffen werden. Vor 1989 waren die Geschichtswissenschaften in beiden deutschen Staaten in Positionen erstarrt, gespalten in Forschungs-und Erklärungsansätzen, gespalten auch in der Vermittlung von Erkenntnissen und Lehren aus der Geschichte. Es wurde gegeneinander geforscht. Was die DDR-Historie betrifft, so war der Gegner oder „Klassenfeind“ stets im Visier, trotz oder gerade wegen des privilegierten Zugangs der hochrangigen DDR-Historiker zum bibliothekarischen „Giftschrank“. Das dichotomische deutsche Weltbild aus Zeiten des Kalten Krieges schuf Zerrbilder des anderen, und der Historiker oder Didaktiker jenseits der Elbe wurde aus der Fernsicht der DDR unbedenklich mit dem Etikett des „Faschisten“ oder „Neofaschisten“ versehen. Dennoch lagen in der Zeit der deutschen Spaltung die Forschungsthemata nicht durchweg so weit auseinander, wie es den Anschein haben konnte. Wo auf beiden Seiten der Grenze über den „alltäglichen Faschismus“ und die kleinen „Nazis“ geforscht wurde, standen sich Historiker aus Ost und West beispielsweise in der Frage, was die, die damals „dabei“ waren, wissen konnten und was sie heute nicht mehr zu wissen vorgeben, sehr nahe Darüber sollten sich Historiker und Geschichtsvermittler aus Ost und West unterhalten, und sie können es nunmehr auch, denn die Geschichte hat mit der Wende eine Begegnung zwischen uns möglich gemacht. Nicht zum Ende kam die Geschichte, sondern sie bestätigte sich als eine Geschichte ohne Ende.

Zählten sich die DDR-Historiker einst zu den Siegern, so müssen sie sich heute zu den „Verlierern“ der Geschichte rechnen lassen. Aus der Sackgasse, in die die Diskussion um die sogenannte „innere Erneuerung“ an den Hochschulen in den neuen Bundesländern geraten ist, helfen weder geharnischte Selbstverteidigungsargumente auf ostdeutscher noch narrative Hegemonialansprüche auf westdeutscher Seite. Eine Mentalitätsforschung ohne Sensibilität schafft ohnehin nur ein gestörtes Verhältnis zu einer dringend notwendigen dialogischen Geschichtsaufarbeitung. Ein nicht selten zu beobachtendes „westdeutsches“ Selbstverständnis vom geradlinigen Geschichtsverlauf hin zu einer demokratischen Weltgesellschaft ignoriert die Wende als einschneidenden Bewußtseinsschock und vor allem die massenhaften Biographiebrüche, die eigentlich nur die Ostdeutschen zu verkraften haben

Kein biographischer Rechtfertigungsdruck lastet auf den meisten Historikern und Geschichtsvermittlern aus Deutschland-West. Durch die Wende wurden sie in ihrem historischen Selbstbewußtsein nicht gebeutelt. Eingebunden in eine marktwirtschaftlich-liberalistische Lebenswelt, aufgestiegen zu Rang und Prestige, vom Berufserfolg verwöhnt, tun sie sich schwer, ihre Biographien nach den Kriterien der politischen Ereignisgeschichte zu strukturieren, weil für sie der Umbruch von 1989 allenfalls als Glücksfall der Geschichte in Erscheinung trat, von den ökonomischen und sozial mißliebigen Folgen der Vereinigung einmal abgesehen. In dem Maße, wie die „Wiedervereinigung“ vielen Westdeutschen als „Wölkenkuckucksheim“ erschien, stand ihr Desinteresse am ehemals anderen Deutschland in einem entsprechenden Verhältnis.

In der Asymmetrie der biographischen Strukturierung von Geschichtserfahrung ist nach 1989 eine Unterschiedlichkeit der Ausprägung von kritischem Geschichtsbewußtsein zu konstatieren, das, wie es scheint, ein Gefälle zwischen Ost und West aufweist. Es wäre an der Zeit, daß sich auch die Westler einem Lernprozeß unterziehen. Doch das vielbeschworene Lernen aus der Geschichte und ein Voneinanderlernen nach der Wende wird wahrscheinlich erst gelingen können, wenn die Zeitgenossen beginnen, sich bedingungslos und kritisch auf ihre disparaten Vergangenheiten als einem wechselseitigen Wirkungsprozeß einzulassen; wenn sie nicht mehr nur übereinander reden, sondern im Dialog versuchen, über unterschiedliche Geschichtserfahrungen und Geschichtsbewertungen miteinander zu sprechen. Das käme einem Lernprozeß gleich, an den wir uns erst noch gewöhnen müßten. Die Diskussion darüber ist also noch nicht abgeschlossen, welcher diskursive Weg einzuschlagen sei, um den Problemen des gespaltenen Verhältnisses der Deutschen zu ihrem kollektiven Geschichtsbewußtsein und dem inneren Einigungsprozeß auf den Grund zu gehen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur frühen Auseinandersetzung mit dieser Thematik vgl. Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Zwischen Parteilichkeit und Professionalität. Bilanz der Geschichtswissenschaft der DDR. Berlin 1991; ders. /Matthias Middell (Hrsg.), Nach dem Erdbeben. (Re-) Konstruktion ostdeutscher Geschichte und Geschichtswissenschaft, Leipzig 1994.

  2. Karl Heinrich Pohl (Hrsg.), Historiker in der DDR, Göttingen 1997, S. 15. Zur Legitimationsthematik siehe u. a.: Ulrich Neuhäußer-Wespy, Die SED und die Historie. Die Etablierung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR in den fünfziger und sechziger Jahren, Bonn 1996, sowie Ilko-Sascha Kowalczuk, Legitimation eines neuen Staates. Parteiarbeiter an der historischen Front. Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Berlin 1997.

  3. Vgl. dazu Christoph Kießmann: „Je näher die Historiographie an die Gegenwart heranreichte, desto enger blieb die Anbindung an die Parteidirektiven, desto unergiebiger war die Historiographie und desto platter fielen die ideologischen Klischees aus“, in: ders., DDR-Historiographie aus bundesdeutscher Sicht, in: Konrad H. Jarausch, Das Versagen des ostdeutschen Antifaschismus. Paradoxien von Wissenschaft aus Politik, in: Berliner Debatte/Initial, (1991/92), S. 138.

  4. Hartmut Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung. Leipzig und die Revolution in der DDR, Göttingen 1993, S. 17.

  5. Vgl.ders., Zu einer beginnenden Diskussion. Administratives System und Gesellschaft, administratives System und Schule, Geschichtsschreibung usw., usw., in: Rainer Eckert/Wolfgang Küttler/Gustav Seeber (Hrsg.), Krise -Umbruch -Neubeginn. Eine kritische und selbstkritische Dokumentation der DDR-Geschichtswissenschaft 1989/90, Stuttgart 1992, S. 25.

  6. So etwa bei U. Neuhäußer-Wespy (Anm. 2), S. 12 f., der den Erkenntniswert der von ihm gleichsam „flankierend“ durchgeführten Interviews nicht gerade hoch veranschlagt, denn „leider“ stellten die Interviews und Gespräche „nicht in dem gewünschten Maße eine Ergänzung oder ein Korrektiv zu dem Aktenmaterial aus den Archiven“ dar, was für ihn bedeutet, daß seine Darstellung da aufhört, wo die Aussagekraft und Reichweite der zu Rate gezogenen Akten erschöpft war.

  7. Vgl. I. -S. Kowalczuk (Anm. 2).

  8. Ebd.. S. 9.

  9. Vgl. Martin Sabrow, DDR-Bild im Perspektivenwandel, in: Jürgen Kocka/Martin Sabrow (Hrsg.), Die DDR als Geschichte. Fragen -Hypothesen -Perspektiven, Berlin 1994, S. 248.

  10. Vgl. R. Eckert/W. Küttler/G. Seeber (Anm. 5); Rainer Eckert/Ilko-Sascha Kowalczuk/Isolde Stark (Hrsg.), Hure oder Muse? Klio in der DDR. Dokumente und Materialien des Unabhängigen Historiker-Verbandes, Berlin 1994; Rainer Eckert/Ilko-Sascha Kowalczuk/Ulrike Poppe (Hrsg.), Wer schreibt die DDR-Geschichte? Ein Historikerstreit um Stellen, Strukturen, Finanzen und Deutungskompetenz, Berlin 1995; vgl. ferner die Titel in Anm. 1.

  11. M. Sabrow (Anm. 9), S. 251.

  12. Vgl. I. -S. Kowalczuk (Anm. 2), S, 206, 208.

  13. Vgl. z. B. Bernd-Rainer Barth u. a. (Hrsg.), Wer war Wer in der DDR. Ein biographisches Handbuch, Frankfurt am Main 1996, S. 558.

  14. I. -S. Kowalczuk (Anm. 2), S. 208.

  15. Ebd., S. 237.

  16. Ebd., S. 269. Die letzte Erwähnung Pätzolds im Buch Kowalczuks findet sich auf S. 284 und ist ein Zitat aus „einem Schreiben von Kurt Pätzold an die ZK-Abteilung Wissenschaften“ betr. die Auswahl der am Berliner Historikertag im Jahre 1964 teilnehmenden ostdeutschen Historiker.

  17. Ebd., S. 9, Anm. 3.

  18. Mitchell G. Ash, Wissenschaftswandel in historischen Umbruchsituationen, in: Universität Potsdam/Historisches Institut (Hrsg.), Ideologie und wissenschaftliche Verantwortung. Dokumentation der Veranstaltung vom 5. Juli 1995, Potsdam 1995, S. 19.

  19. Vgl. mein Forschungsprojekt „Bewußtseinsgeschichte und Geschichtsbewußtsein. Autobiographische Geschichtserfahrungen aus vierzig Jahren deutscher Teilung. Mentalitätsgeschichtliche und kulturelle Transformationsprozesse“ sowie eine von mir initiierte und in Verbindung mit dem Institut für Sozialgeschichte am 26. /27. 9. 1997 in Braunschweig veranstaltete biographiegeschichtliche Tagung zum Thema: „Die gespaltene Geschichtsvermittlung. Ein biographischer Ost-West-Dialog mit deutsch-deutscher Vergangenheit“. Mehrere Gespräche im Rahmen der Erhebungsphase des angezeigten Projektes fanden mit Kurt Pätzold im Jahre 1997 statt. Auch war Kurt Pätzold in Braunschweig als Podiums-gesprächsteilnehmer vertreten. Vgl. hierzu seinen Beitrag „Innerdeutscher Pädagogentreff in Braunschweig. Wie steht es um die vielberufene Aufarbeitung eigener Lehrerbiographien?“, in: Deutsche Lehrerzeitung, Nr. 43/44 vom 30. 10. 1997, S. 16.

  20. Vgl. zu der umfangreichen Literatur zum Thema Humboldt-Universität-(und Kurt Pätzold) die frühe Stellungnahme Konrad H. Jarauschs noch in der heißen Phase der Abwicklungsdiskussion: „Vom Zusammenbruch zur Erneuerung. Überlegungen zur Krise der ostdeutschen Geschichtswissenschaft“, in: ders. (Anm. 1), S. 22-25, dort bes. Anm. 18. Zur Kritik am sogenannten „Bielefelder Weg“, verfaßt von Armin Mitter und Stefan Wolle im Feuilleton der FAZ (10. 8. 1993) unter der Überschrift „Vergangenheitsbewältigung der Historiker und die Vereinigung der Funktionäre“, vgl. Ingrid Matschenz/Kurt Pätzold/Erika Schwarz/Sonja Striegnitz (Hrsg.), Dokumente gegen Legenden. Chronik und Geschichte der Abwicklung der Mitarbeiterinnen des Instituts für Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 1996.

  21. K. Pätzold (Anm. 19), S. 188.

  22. Ebd.. S. 187 f.

  23. Vgl. Erwin Lewin/Elke Reuter/Stefan Weber (Hrsg.), Protokoll der „Brüsseler Konferenz“ der KPD 1935. Reden. Diskussionen und Beschlüsse, Moskau vom 3. bis 15. Oktober 1935, 2 Bde., München 1997.

  24. Auch in der neueren Bildungsforschung steht das Instrumentalisierungstheorem im Zentrum der Analyse. Vgl. hierzu u. a. Sonja Häder/Heinz-Elmar Tenorth (Hrsg.), Bildungsgeschichte einer Diktatur. Bildung und Erziehung in SBZ und DDR im historisch-gesellschaftlichen Kontext, Weinheim 1997, S. 12.

  25. Zit. nach Anke Huschner, Deutsche Historiker 1946. Aus dem Protokoll der ersten Historiker-Tagung in der deutschen Nachkriegsgeschichte vom 21. bis 23. Mai 1946, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG), (1993) 10, S. 900.

  26. Ebd.

  27. Der Begriff „Propaganda", obwohl durch das „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ vorbelastet und durch nazistische Praxis desavouiert, war im offiziellen Vokabular der DDR ein Terminus technicus und stand in etwa für „Verbreitung“, „Vermittlung“ und Indoktrination der materialistischen Geschichtsauffassung und kommunistisch-sozialistischen Weltanschauung. Bis 1957 war beim ZK der SED die „Abteilung Wissenschaft und Propaganda“ unter der verantwortlichen Leitung des ZK-Sekretärs Kurt Hager eingerichtet. Ab 1957 hieß sie „Abteilung Wissenschaften“ des ZK der SED. Zur Begriffsverwendung von „Geschichtspropaganda“ in der Geschichtsdidaktik und -methodik der DDR vgl. u. a. Wendelin Szalai, Geschichtsbewußtsein und Feindbilder. Stand und Perspektiven in „Deutschland-Ost“, in: Hartmut Voit (Hrsg.), Geschichte ohne Feindbild? Perspektiven für das historische Lernen in Deutschland nach dem 9. November 1989, Erlangen 1992, S, 85.

  28. Vgl. U. Neuhäußer-Wespy (Anni. 2), S. 46 ff.

  29. Vgl. hierzu ZfG, (1957) 6. S. 121 ff.

  30. Zitiert nach U. Neuhäußer-Wespy (Anm. 2), S. 49.

  31. Ebd., S. 51.

  32. Wolfgang Ruge, Nachdenken über die Geschichtswissenschaft der DDR, in: ZfG, (1993) 3, S. 583.

  33. Zitiert nach U. Neuhäußer-Wespy (Anm. 2), S. 83-86.

  34. W. I. Lenin, Die Aufgaben der Jugendverbände, in: ders., Über Kultur und Kunst. Eine Sammlung ausgewählter Aufsätze und Reden, Berlin (DDR) 1960, S. 361 f.

  35. „Bummi“. die Zeitung für die ganz Kleinen, gab es nur in Verbindung mit „Bummi für Eltern“, denn ohne elterliche pädagogische Einwirkung im „Weitererzählen“ von Geschichte wären die Geschichtsbilder aus der Erwachsenen-welt für das kindliche Gemüt unverständlich geblieben. Wie anders als über den Katalysator des elterlichen Kopfes sollten „Gagarin-Fähnchen“, „Auf dem Arm des Präsidenten Wilhelm Pieck“, „Schokoladenmedaillen“, „Rote Halstücher“, „Egon Krenz“ und „Am Werbellinsee“ als Geschichtsgeschichten übersetzt werden. Vgl. z. B. „Bummi für Eltern“, (1984) 1, S. 5f.

  36. Vgl. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 1986, S. 346 ff.

  37. Margot Honecker, Was wir heute für die Kinder leisten, trägt morgen tausenfach Gewinn, in: Deutsche Lehrer-Zeitung/Information, (1987) 27, S. 7 f.

  38. Vgl. Werner Bramke, Freiräume und Grenzen eines Historikers im DDR-System. Reflexionen sechs Jahre danach, in: K. H. Pohl (Anm. 2), S. 29.

  39. K. H. Pohl, ebd„ S. 7.

  40. In der pädagogischen Biographieforschung ist vielfach von „Biographisierung“ von Geschichtserfahrung die Rede. Nach Dilthey besteht die besondere Leistung des „Bewußtseins“ in der Zusammenhangbildung. Norbert Elias hat diese kognitive Fähigkeit als das „Potential zur Synthese“ bezeichnet. Ständig arbeiten wir daran, unser Leben zu erklären. Linien in das Material unserer Vergangenheit zu bringen, sie zu konturieren und zu ordnen. Mißlingt diese Zusammenhang-bildung, sprechen wir von Krisis oder umgangssprachlich auch davon, daß wir „das alles nicht mehr zusammen-kriegen“. Vgl. hierzu u. a. Winfried Marotzki, Bildungsprozesse in lebensgeschichtlichen Horizonten, in: Erika M. Hoerning (Hrsg.), Biographieforschung und Erwachsenenbildung, Bad Heilbrunn 1991, S. 135 ff., sowie Lothar Steinbach, Bewußtseinsgeschichte und Geschichtsbewußtsein. Reflexionen über das Verhältnis von autobiographischer Geschichtserfahrung und Oral History, in: BIOS, (1995) 1, S. 89 ff.

  41. Vgl. z. B. die öffentliche Vortragsreihe mit Zeitzeugen des „Zentrums für Zeithistorische Forschung“ (Potsdam) im Wintersemester 1997/98 unter dem Titel: „Zeithistorische Dialoge -politische Erfahrungen“.

  42. Stefan Wolle, Der endlose Abschied. Gedanken eines Historikers über sechs Hauptschwierigkeiten beim Schreiben von DDR-Geschichte, in: Berliner Zeitung vom 21. /22. 3. 1998, S. 3.

  43. Ders., Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971 -1989, Berlin 1998.

  44. Wolfgang Küttler, Zwischen Wissenschaft und Staatsaktion. Zum Platz der DDR-Historiographie in der „Ökumene der Historiker , in: Berliner Debatte/Initial, (1991) 2, S. 142.

  45. Joachim Petzold war zweimal Gesprächspartner in dem in Anm. 19 genannten Forschungsprojekt „Bewußtseinsgeschichte und Geschichtsbewußtsein“. Darüber hinaus nahmen er und seine Ehefrau, Waltraud Petzold, an der Braunschweiger Tagung vom 26. /27. September 1997 als Referenten bzw. Gesprächspartner teil. Zu den Publikationen Joachim Petzolds vgl.ders., Zum Verhältnis zwischen FDJ und Junger Gemeinde bis 1953, in: Helga Gotschlich (Hrsg.), „Links und links im Schritt gehalten ...“. Die FDJ: Konzepte -Abläufe -Grenzen, Berlin 1994, sowie ders., Ideale und Idole im Schatten Hitlers und Stalins. Dresdener Oberschüler auf dem Wege aus dem Dritten Reich in die DDR, Potsdam 1997.

  46. J. Petzold, ebd., S. 10.

  47. Ebd., S. 17.

  48. Ebd., S. 17f.

  49. Ebd., S. 10.

  50. Joachim Petzold, Politischer Auftrag und wissenschaftliche Verantwortung von Historikern in der DDR, in: K. H. Pohl (Anm. 2), S. 94 ff.

  51. Vgl. ZfG, (1994) 3, S. 258-261.

  52. Vgl. hierzu J. Petzold (Anm. 50), S. 95.

  53. Ebd., S. 100.

  54. Ebd., S. 103.

  55. Vgl. hierzu die Auflistung in der Anm. 5, in: J. Petzold, Ideale und Idole (Anm. 45), S. 11.

  56. Vgl. Dietrich Eichholtz/Kurt Gossweiler (Hrsg.), Faschismusforschung. Positionen, Probleme, Polemik, Berlin (DDR) 1980, darin u. a. auch der Beitrag von Joachim Petzold, Die Entstehung der Naziideologie, S. 261-278.

  57. Vgl. Lutz Niethammer (Hrsg.), „Die Jahre weiß man nicht, wo man die heute hinsetzen soll.“ Faschismuserfahrungen im Ruhrgebiet, Bonn 1983.

  58. Joachim Petzold, Die Auseinandersetzung zwischen den Lampes und den Hampes. Zum Konflikt zwischen Parteidoktrinären und Geschichtswissenschaftlern in der NS-Zeit, in der SBZ und in der frühen DDR. in: ZfG, (1994) 2, S. 101 — 117.

  59. Vgl.ders., Schach. Eine Kulturgeschichte (1986); Lizenzausgabe in der Bundesrepublik unter dem Titel: Das Königliche Spiel. Die Kulturgeschichte des Schach, Stuttgart 1987.

  60. Walter Frank, Kämpfende Wissenschaft, Hamburg 1934, zitiert nach: Georg G. Iggers, Geschichtswissenschaft in der ehemaligen DDR aus der Sicht der USA, in: K. H. Jarausch (Anm. 1), S. 61.

  61. Joachim Petzold, Faschismus. Regime des Verbrechens, Frankfurt am Main 1984, S. 73 f.

  62. Wolfgang Ruge, Nachdenken über die Geschichtswissenschaft der DDR, in: ZfG, (1993) 3, S. 587.

  63. Vgl. Georg G. Iggers, Was bleibt von der marxistischen Geschichtswissenschaft? Ein ost-westlicher Vergleich, in: K. H. Jarausch/M. Middell (Anm. 1), S. 121 ff.

  64. Vgl. die feinfühlige Nachbetrachtung Alf Lüdtkes zu einer differenzierenden Marx-Analyse vor allem „westlicher“ Marx-Exegeten gegenüber einer grobschlächtigen, zum Ritual erstarrten „östlichen“ Marx-Rezeption, in: ders. (Hrsg.), Was bleibt von marxistischen Perspektiven in der Geschichtsforschung?, Göttingen 1997, sowie ders.. Die DDR als Geschichte. Zur Geschichtsschreibung über die DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36/98, S. 3-16, insbes. Anm. 59.

  65. Vgl. z. B. Kurt Pätzold/Irene Runge, Pogromnacht 1938, Berlin (DDR) 1988, S. 77; Lothar Steinbach, Ein Volk, ein Reich, ein Glaube? Ehemalige Nationalsozialisten und Zeit-zeugen berichten über ihr Leben im Dritten Reich. Bonn 1983 (Neuauflage 1995), S. 61, sowie die Rezension meines Buches seinerzeit durch Kurt Pätzold, in: ZfG, (1984) 8.

  66. Vgl. Felix Philipp Lutz, Verantwortungsbewußtsein und Wohlstandschauvinismus: Die Bedeutung historisch-politischer Einstellungen der Deutschen nach der Einheit, in: Werner Weidenfeld u. a. (Hrsg.), Deutschland. Eine Nation -doppelte Geschichte, Köln 1993, S. 172.

  67. Lutz Niethammer, Zwischen Freiheit und Einheit. Über die Gegenwart deutscher Vergangenheit, in: Geschichtsdidaktik, (1980) 2, S. 203.

Weitere Inhalte

Lothar Steinbach, Dr. phil., geb. 1937; Professor für Geschichte und Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg; z. Z. Leiter eines biographiegeschichtlichen Forschungsprojektes zum Thema „Bewußtseinsgeschichte und Geschichtsbewußtsein. Autobiographische Geschichtserfahrungen aus vierzig Jahren deutscher Teilung“. Veröffentlichungen u. a.: Didaktik der Sozialgeschichte, Stuttgart 1976; Lebenslauf, Sozialisation und „erinnerte Geschichte“, in: Lutz Niethammer (Hrsg.), Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis, Frankfurt am Main 1980; Ein Volk, ein Reich, ein Glaube?, Bonn 1983 (Neuauflage 1995); Mannheim -Erinnerungen aus einem halben Jahrhundert. Sozialgeschichte einer Stadt in Lebensbildern, Stuttgart 1984; Autobiographische Geschichtserfahrung und Oral History, in: BIOS (1995) 1; Der Holocaust und die Erinnerung, in: Jörg Thierfelder (Hrsg.), Für ein neues Miteinander zwischen Christen und Juden, Weinheim 1996.