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Die deutsche Einheit und die Differenz weiblicher Lebensentwürfe | APuZ 41-42/1998 | bpb.de

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APuZ 41-42/1998 Ost-West-Differenzen und das republikanische Defizit der deutschen Einheit Die ostdeutsche Identität -Erbe des DDR-Sozialismus oder Produkt der Wiedervereinigung? Die Einstellung der Ostdeutschen zu sozialer Ungleichheit und Demokratie Soziale und liberale Wertorientierungen: Versuch einer situativen Erklärung der Unterschiede zwischen Ost-und Westdeutschen Die deutsche Einheit und die Differenz weiblicher Lebensentwürfe Vater Staat und seine ungleichen Töchter

Die deutsche Einheit und die Differenz weiblicher Lebensentwürfe

Christine Eifler

/ 16 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Beitrag befaßt sich mit den Schwierigkeiten der Annäherung zwischen ost-und westdeutschen Frauen nach der Wende. Es werden die Klischees analysiert, mit denen die Frauen die jeweiligen kulturellen Unterschiede und Differenzen zu fassen suchen. Die dabei aufscheinende Ungleichzeitigkeit und die Verschiedenheit der Erfahrungen lassen sich aus den unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen der Frauen in der DDR und in der alten Bundesrepublik erklären. Kommunikationsschwierigkeiten zwischen ost-und westdeutschen Frauen verweisen darauf, daß die Frauen die Gespräche als Entwertung sowohl der jeweiligen frauenpolitischen Entwicklung als auch der individuellen Lebensentwürfe erlebt haben bzw. immer noch erleben. Die Wahrnehmungs-und Kommunikationsblockaden werden an den jeweiligen Selbstbildern und Fremdprojektionen untersucht, und es wird der Frage nachgegangen, ob die Abgrenzungen überwunden werden können.

I. Über eine schwierige Annäherung

Mit der Wende hatten viele Menschen die erste Gelegenheit, den jeweils anderen Teil Deutschlands kennenzulernen. Interessiert und neugierig wurden die Lebensverhältnisse und Lebensgeschichten miteinander verglichen. Neben den unterschiedlichen ökonomischen Rahmenbedingungen erschienen die kulturellen Differenzen für die individuelle Betrachtungsebene besonders augenfällig. Diese Unterschiede lösten auf beiden Seiten Irritation und Verwunderung, Überraschung und Enttäuschung, aber auch Ratlosigkeit und Ablehnung aus. Sie bremsten die euphorischen Erwartungen auf eine schnelle Überwindung der Teilung.

Auch die Frauenbewegungen in Ost-und Westdeutschland mühten sich um die Entdeckung von Gemeinsamkeiten und hofften auf einen Zuwachs an politischer Stärke und Ausstrahlungskraft durch frauenpolitischen Zusammenschluß. Es zeigte sich jedoch bald, daß der Vergleich der weiblichen Lebensentwürfe und der mit ihnen verbundenen politischen Konzeptionen kulturelle Unterschiede zutage förderte, die nicht nur als ein Gewinn angesehen werden konnten, sondern auch als eine Differenz. Klischees und wechselseitige Projektionen, die die Sicht aufeinander versperrten, waren das Ergebnis.

Die Wahrnehmung kultureller Differenzen zwischen Ost und West ist gewiß kein frauenspezifisches Problem, erfolgte aber -wie die Ergebnisse einer Zeitschriftenanalyse zeigen -unter Frauen besonders intensiv. So urteilten Westfrauen über Ostfrauen: „DDR-Frauen sind selbstbewußt. Sie sind emanzipiert, aber in feministischer Hinsicht unterentwickelt.“ Ihnen mangelt es noch an der Fähigkeit, den „Zusammenhang von Frauenunterdrückung und Gesellschaftsreproduktion wirklich radikal zu Ende zu denken“. Anderen Klischees zufolge sind ostdeutsche Frauen „angepaßt, biedere Muttis“, männerfixiert und kein bißchen radikal. Nicht besonders attraktiv, „ohne den nötigen Schick und naiv seien sie, außerdem zu sehr mit ihren Kindern beschäftigt“. Im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um den Paragraphen 218 wurde die Ostfrau gar zur „Verräterin“ und erschien als „wehrloses Opfer der deutschen Vereinigung“. Fazit einer Westfrau: „Jede Französin, jede Italienerin, jede Flau aus einem westlichen Land ist mir näher, als eine Deutsche aus der DDR.“

Auch die Ostfrauen urteilten über Westfrauen nicht nur freundlich: „Westfrauen sind verwöhnte Luxusweibchen. Sie lassen sich von ihren Männern aushalten und sind unselbständig.“ Dennoch seien sie selbstsicherer. „Sie treten perfekter auf, sind rhetorisch gewandter und argumentieren nicht so zurückhaltend.“ Allerdings seien einige von ihnen „kinder-und männerfeindliche Karrierefrauen, die „arrogant, besserwisserisch und anmaßend“ gegenüber Ostfrauen aufträten.

Als Zusammenfassung der kulturellen Unterschiede zwischen Ost-und Westfrauen sollte jener Witz dienen, der den Unterschied zwischen einer ost-und einer westdeutschen Frau, wenn sie abends nach Hause kommt, folgendermaßen charakterisiert: Die Frau aus dem Osten hat links an der Hand ein Kind, rechts eine Einkaufstasche, hinter sich einen harten Arbeitstag und vor sich den Haushalt. Die Frau aus dem Westen hat links ein Hündchen, rechts das Handtäschchen, hinter sich einen schönen Tag und vor sich eine aufregende Nacht.

Es steht außer Zweifel, daß diese Klischees wenig geeignet sind, das unterschiedliche Leben von Frauen in Ost und West zu beschreiben. Aber ebenso deutlich ist, daß Unterschiede als Trennendes wahrgenommen und verstanden werden. Die zu konstatierende Heftigkeit des Streites im Ost-West-Gegensatz macht einige frauenspezifische Probleme deutlich. Es geht um die ganze Person, um das Auftreten von Frauen, um ihr Aussehen, ihr Reden und Denken, um die Art und Weise, wie sie mit wem Zusammenleben, darum, ob sie Kinder haben, ob sie versöhnlerisch gegenüber den Männern sind, und -nicht zuletzt -welche den konsequenteren feministischen Weg geht. Es gibt kaum ein Thema, das ausgelassen wird. Alles, was Frauen tun und sind, wird auf die Waagschale gelegt, beurteilt und bemessen. Es gibt keine Männergruppe, die in den Wogen der politischen Vereinigung auch nur annähernd ein ähnliches Verfahren bemüht hätte. Diskussionen über die Farbe ihrer Krawatten, die Anzahl ihrer Kinder, ihre Frauenfixierung und Attraktivität sowie über den Unterschied zwischen West-und Ostmännern waren für sie keine Voraussetzung, um politisch zu agieren.

In den Auseinandersetzungen zwischen den Frauen zeigt sich, daß sie sich selbst immer als ganze Person sehen. Ihre Selbstveränderungen vollziehen sich in der Auseinandersetzung mit den gegebenen Verhältnissen, in Reibung mit den eigenen Wünschen und Erfahrungen, die immer auch mit Veränderungen der eigenen Lebensführung und des eigenen Selbstverständnisses verbunden sind. Politisierungen von Frauen führen zu weitreichenden lebensweltlichen, ganzheitlichen Veränderungen. Selbstveränderungen von Frauen schließen zwangsläufig die kritische Infragestellung der gängigen öffentlichen und „privaten“ Frauenbilder ein. In solchen Prozessen werden Gemeinsamkeiten unter Frauen zu einer kulturellen Ressource, die ihnen Orientierung und Sicherheit ermöglicht. Die Heftigkeit der Auseinandersetzungen zwischen ost-und westdeutschen Frauen zeigt zweierlei: Zum einen widerspiegelt sie die unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen sich die Frauen entwickelten, zum anderen dienen die Klischees einer Bekräftigung und Vergewisserung der eigenen Identität in Abgrenzung zu der der anderer.

II. Ungleichzeitigkeit und Verschiedenheit von Erfahrungen

Aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnisse in vierzig Jahren getrennter Entwicklung in Ost und West wurden verschiedene Lebensgeschichten gelebt. Sie führten zu unterschiedlichen und ungleichzeitigen Erfahrungen ost-und westdeutscher Frauen -und Männer. Die Situation von Frauen in der DDR war wesentlich geprägt durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die sich aus der Politik zur „Lösung der Frauenfrage“ ergaben Frauen und Männer sollten gleichberechtigt an der Gestaltung der Gesellschaft teilnehmen. Den Frauen wurden in der Verfassung die gleichen Bedingungen wie den Männern für ihre Entwicklung zugesichert: gleiche Bildung, gleiche Arbeit und gleiche Stellung zum Eigentum.

Lebenslang erwerbstätig zu sein war unter diesen Bedingungen für den übergroßen Teil der ostdeutschen Frauen selbstverständlich. Wie Männer arbeiten zu dürfen und arbeiten zu können war Ausdruck der gleichberechtigten Stellung der Frau in der Gesellschaft. Bereits Mitte der sechziger Jahre betrug der Beschäftigungsgrad der Frauen in der DDR 70 bis 80 Prozent, in den alten Bundesländern 1970 nur 30 Prozent.

Die Tatsache lebenslanger Erwerbstätigkeit hat das Selbstverständnis von DDR-Frauen nachhaltig geprägt: So äußerte eine Akademikerin, Jahrgang 1953, zwei Kinder: „Also wer hier groß geworden ist, hat ganz selbstverständlich seinen Beruf ausgewählt. Da hatte ich auch gar keine Probleme, und es war völlig klar, daß ich den Beruf auch nachher ausüben will. Das hatte weniger mit finanziellen Aspekten zu tun, sondern weil ich überhaupt nicht auf die Idee gekommen wäre, nur zu Hause zu sitzen und Kinder großzuziehen. Also, diese Frage stand überhaupt nicht, die habe ich überhaupt nicht überlegt, genau wie sie sich ein Mann nicht gestellt hätte. „Mit Leistungen zu überzeugen“ war für Frauen ein wesentliches Motiv ihres persönlichen Einsat-zes. Dieser war bei der Bewältigung ihrer vielfältigen Aufgaben notwendig, vor allem wenn es um die Vereinbarkeit von Erwerbs-und Familientätigkeit ging. Zum Selbstverständnis der DDR-Frauen zählte, Kinder zu haben, eine Haltung, die durch die Frauen-und Familienpolitik der DDR gefördert wurde. Die umfassenden sozialpolitischen Maßnahmen zielten dabei in erster Linie auf die Mütter, obwohl im Familienrecht auch die familiäre Verantwortung der Väter ausdrücklich betont wurde. Die entsprechenden Maßnahmen in der 40jährigen Geschichte der DDR reichten von finanziellen Vergünstigungen und Beurlaubungen bei Schwanger-und Mutterschaft über eine Verkürzung der Arbeitszeit für Frauen mit Kindern, bezahlte Freistellung bei Krankheit des Kindes, Ehekredite, die durch Geburten „abgekindert" werden konnten, und Arbeitsplatzgarantien bei Beurlaubung bis zum Ausbau eines umfassenden Kinderbetreuungssystems (Kinderkrippe, Kindergarten, Schulspeisung). Die Frauen erlebten eine Gesellschaft, in der die umfassende Fürsorge für sie und ihre Kinder betont wurde. Der Staat sorgte für die Rahmenbedingungen und propagierte, kinderfreundlich zu sein und alles für „seine Muttis“ zu tun.

Die umfangreiche Einbeziehung der Frauen in die Erwerbsarbeit hat in der DDR jedoch nicht zu einer gravierenden Veränderung des traditionellen Rollenbildes geführt. Hauptverantwortlich für die Familien waren die Frauen, von denen 75 Prozent der Haus-und Familienarbeit geleistet wurde Frauen glichen mit ihrer Mehrarbeit die Defizite aus, die es aufgrund der schlechten Infrastruktur sowie ungenügender Versorgung mit Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs gab. Die umfassenden sozialpolitischen Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch die Frauen ließen sie jedoch tendenziell zu unattraktiven Arbeitskräften werden, da die Ausfall-oder kürzeren Arbeitszeiten in angespannter wirtschaftlicher Situation für die Betriebe und Institutionen große Probleme mit sich brachten. So machten die Frauen die Erfahrung, doch nicht so gleichberechtigt zu sein wie Männer. Frauen hatten die gleiche Ausbildung, nicht selten die besseren Abschlüsse und Qualifikationen als ihre männlichen Kollegen, und dennoch zogen die Männer an ihnen vorbei.

Die Situation der Frauen in den alten Bundesländern war durch andere Rahmenbedingungen bestimmt Die fünfziger Jahre sind durch ein traditionelles Familienleitbild und Wertekonservatismus geprägt. Das 1957 verabschiedete Gleichberechtigungsgesetz beinhaltete die normative Festlegung der Hausfrauenehe, in der die Erwerbstätigkeit der Frau nur mit Zustimmung des Ehemannes möglich war. Erst 1958 erfolgte die Aufhebung des sogenannten Stichentscheids des Vaters in Erziehungsfragen, der den Vätern ein Recht auf letztgültige Entscheidungen in der Kindererziehung gesichert hatte. In den Gesetzesreformen zur Durchsetzung der im Grundgesetz zugesicherten Gleichberechtigung zeigte sich das staatliche Bemühen, „Ehe und Familie als . Grundpfeiler'des Staates zu bewahren und gegen Gleichberechtigungsbestrebungen zu verteidigen“ Erst mit dem wachsenden Bedarf an Arbeitskräften in den sechziger Jahren setzte allmählich eine Modernisierung der staatlichen Frauenpolitik ein. Das sogenannte Dreiphasenmodell (Ausbildungs-und Berufseinstiegsphase, Familienphase, Wiedereingliederung in den Beruf) wurde zur Leitnorm einer familien-orientierten Frauenpolitik. Am Ende der sechziger und zu Beginn der siebziger Jähre stand im Zusammenhang mit der sozialliberalen Reformpolitik die Chancengleichheit der Frauen im Bildungs-und Erwerbsbereich im Mittelpunkt. Nicht zuletzt als Reaktion auf die erstarkende Frauenbewegung wurden 1969 Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits-und Ausbildungssituation getroffen, nichteheliche Kinder wurden ehelichen gleichgestellt, die Hausfrauenehe als gesetzliche Norm wurde allerdings erst 1977 abgeschafft. Die Voraussetzungen für Frauen, auch außerhalb des familiären Rahmens tätig zu sein, wurden jedoch durch die sich verschlechternde ökonomische Lage wieder ungünstiger.

Vor dem Hintergrund dieser Frauenpolitik bildete sich -und darin besteht wohl ein wesentlicher Unterschied zwischen Ost-und Westdeutschland -die neue Frauenbewegung heraus. Ihre zentralen Themen waren der Zusammenhang von Privatem und Politischem, die Bewußtwerdung der eigenen Diskriminierungserfahrungen in von Männern separierten Frauengruppen, neue politische Formen der Einmischung und ein feministisches Verständnis von Politik, die Kritik des herrschenden Wissenschaftsverständnisses und des Zusammen-hanges von Gewalt und Sexismus. Mit Frauen über die eigenen Probleme zu reden und diese theoretisch zu durchdringen, sie als allgemeine Probleme von Frauen verstehen zu können, hat viel in Bewegung gebracht und zu einem neuen weiblichen Selbstbewußtsein geführt.

Mit der Wende im Herbst 1989 trafen nun Frauen aus Ost-und Westdeutschland aufeinander, die ganz unterschiedliche Erfahrungen in ihrem gesellschaftlichen Umfeld gesammelt und sich in anderen politischen Kontexten entwickelt hatten. Die ersten Schritte der sich entwickelnden ostdeutschen Frauenbewegung führten an die Runden Tische, an denen unter Zeitdruck die Positionen der Frauen verteidigt werden mußten, die durch die Neuordnung der Verhältnisse bedroht waren. Viele Frauen glaubten, daß es nun möglich sein würde, gerechtere und demokratische Lebensverhältnisse durchzusetzen -jenseits der Gängelei und Bevormundung in der DDR. Die Verbesserung der vorhandenen Kindereinrichtungen, und nicht deren Abschaffung, wollten sie ebenso wie die Einflußnahme auf Erziehungsziele und -formen. Der Wunsch nach Verbesserung der materiellen Situation, der Arbeits-und Lebensbedingungen sowie nach Ausweitung eigener kultureller Freiräume bestimmten das Handeln von Frauen. Doch gelang es nicht, diese Positionen in praktische Politik umzusetzen.

Was hat sich für die Frauen in den neuen Bundesländern verändert? Fast alles. So äußerte eine Frau, Jahrgang 1955, Fachschulabschluß, zwei Kinder:

„Die ganze Einstellung zum Leben ist anders geworden. Die Sicherheit, die man in der früheren DDR hatte, ist weg. Man hat eben Angst um seinen Arbeitsplatz, man hat Angst um seine Wohnung. Man hat mehr Angst, daß mit den Kindern das nicht so gerade geht, wie man sich das gerade wünscht. Früher war doch der Weg vorgezeichnet eben. Wenn man geheiratet hat, irgendwann hat man mal seine Wohnung bekommen, die Berufsausbildung, die Qualifizierung, man bekam sie eben, wenn man sich drum bemühte und nicht

negativ auf der Arbeit auffiel.“ Diese Sicherheit gab es nach der Wende nicht mehr. Vieles, was bislang normal war, verschwand, wurde nicht selten von einem Tag auf den anderen außer Kraft gesetzt -auf der individuellen Ebene wie auf der gesellschaftlichen. Die bislang als selbstverständlich erlebte Berufsbiographie war von Arbeitslo-sigkeit bedroht. Wie aus dem eben zitierten Text hervorgeht, wurden die neuen Verhältnisse als Bedrohung, die angst machen, erfahren. Individualisierung nach westlichem Vorbild und die bisher gewohnte Solidarität und soziale Anerkennung in den Arbeitskollektiven schienen den Frauen unvereinbar.

Was hatte sich durch die Wende für westdeutsche Frauen verändert -gemessen an dem, was ostdeutsche Frauen erlebten, nichts? Oder hatte sich doch etwas verändert? Unterschiedliche frauenpolitische Entwicklungen haben das Leben von Frauen in Ost-und Westdeutschland beeinflußt. Die Frauenpolitik der DDR setzte auf Gleichheit^verstanden als Anpassung an männliche Normen, und hier vor allem auf die Erwerbsarbeit bezogen. In der alten Bundesrepublik beförderte die Politik die Differenz zwischen den Geschlechtern und die damit verbundene klassische Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen. Erst die Frauenbewegung brachte Fortschritte bei der Gleichstellung und Anerkennung der spezifischen Interessen von Frauen. Die sozialpolitischen Maßnahmen in der DDR haben für die Frauen Möglichkeiten der Selbstbestimmung eröffnet, aber sie haben das Geschlechterverhältnis als ein Machtverhältnis nicht verändert. Frauen durften auch Männerarbeit verrichten. Männer mußten sich nicht verändern. Im Westen dagegen hat es durch die Frauen-bewegung eine stärkere Veränderung auf der kulturellen Ebene gegeben, wodurch das Problem der notwendigen Veränderung der Geschlechter-Verhältnisse in das allgemeine politische Bewußtsein hineingetragen wurde.

Die hier nur grob umrissenen unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen, die verschiedenen Lebensgeschichten in Ost und West, die unter großem Einsatz von den Frauen gestaltet wurden, liefern die Erklärung für das Festhalten an den jeweiligen Erfahrungen, für Rechtfertigung und Verteidigung. Dieses Festhalten wird deshalb so intensiv betrieben, weil das Zusammentreffen unterschiedlicher Frauenkulturen ein neues Problem hervorbrachte, die wechselseitige Entwertung von Erfahrungen.

III. Zur Entwertung von Erfahrungen

Die Hoffnung, voneinander zu lernen, aber auch Anerkennung von der jeweils anderen Seite zu erfahren, die ost-und westdeutsche Frauen nach der Wende hatten, wurde weitgehend enttäuscht. Das lag u. a. an den begrenzten Möglichkeiten, den Wert der Erfahrungen der jeweilig anderen Seite für das eigene Leben zu erkennen. Besonders in den zahlreichen persönlichen Begegnungen kam es zu Enttäuschungen. Die Erfahrungen der westdeutschen und ostdeutschen erwerbstätigen Frau und Mutter sind zu unterschiedlich:

Die erste hatte viel Kraft und Zeit in die Elternarbeit der Kinderläden gesteckt, um für sich Beruf und Kind vereinbaren zu können. In lang andauernden Diskussionen mußte sie sich mit Erziehungskonzepten auseinandersetzen, mit der Anmietung geeigneter Räume und der Suche qualifizierter Erzieherinnen beschäftigen. Entscheidungen über die Art der Ernährung mußten getroffen werden, auch darüber, welche Farbe die Wände der Räume haben sollten, oder darüber, ob die Erziehung eher weniger oder stärker antiautoritär ausgerichtet sein sollte. Und man mußte sich nicht nur immer wieder einigen, sondern auch noch einen großen Teil der praktischen Arbeit selbst leisten. Dazu kam die Erfahrung, daß ein Kind zu haben, nicht selten als „Privatvergnügen“ verstanden wurde -auch von Kolleginnen.

Sie traf nach der Wende auf die DDR-Frau, der ein großer Teil der Entscheidungen über Unterbringung, Ernährung, Erziehung und Bildung ihres Kindes vom Staat abgenommen worden war. Sie war davon ausgegangen, daß für ihr Kind in den entsprechenden Einrichtungen gut gesorgt sei, und sie hatte die Erfahrung, daß bei ihrem Ausfall ihre Kollegen und Kolleginnen für sie mitarbeiteten, wie sie es auch für andere tat.

Die erste war schockiert über das vermeintliche Desinteresse der ostdeutschen Frau, über ihren naiven Glauben an den Staat und seine Institutionen. Umgekehrt konfrontierte die Selbstsicherheit der Westdeutschen die Ostdeutsche mit Problemen etwa der Kinderbetreuung, mit denen diese sich so nie beschäftigt hatte.

Die jeweiligen Erfahrungen schienen von der jeweils anderen Frau entwertet zu werden. Jede Frau hatte unter großen Anstrengungen ihr Leben gemeistert und dennoch auf etwas Wesentliches verzichtet, was durch die Gegenüberstellung der Lebensentwürfe erfahrbar wurde. Es bleibt die Frage, wenn die Klischees nicht die andere Seite wiedergeben, was zeigen sie dann?

IV. Wahrnehmungs-und Kommunikationsblockaden

In den konfrontativen Bewertungen der Frauen kommen Fremdprojektionen zum Ausdruck, etwa wenn ostdeutsche Frauen feststellen, daß die westdeutschen sie in ihren Reflexionen nicht mitbedenken würden. Die thematische Artikelauswertung der eingangs genannten Untersuchung ergab jedoch ein eher umgekehrtes Bild Demgegenüber verweist die Analyse der Themenprioritäten auf die Beschäftigung mit der jeweils eigenen Situation und mit den Erwartungen von Veränderungen nach der Wende bzw. Vereinigung.

Der Blick aufeinander war nicht ausreichend geschärft für die Neuartigkeit, Komplexität und Andersartigkeit der Fragestellung. Oft wurde übersehen, daß bei allen Unterschieden der Lebenslagen sich die Probleme der Frauen auch ähnelten. Lohnungleichheit, geschlechtliche Segmentierung des Arbeitsmarktes, Unterrepräsentation von Frauen in Leitungspositionen und in politischen Ämtern, überwiegende Verantwortung der Frauen für die Familienarbeit u. a. m. kennzeichneten die Struktur des Geschlechterverhältnisses in Ost-und Westdeutschland (nicht nur) vor der Wende. Durch die Wahrnehmung vor allem der Unterschiede und weniger der Gemeinsamkeiten wurde außer acht gelassen, was politisch engagierte Frauen wissen, selbst erfahren haben und personifizieren. In beiden Gesellschaften hatten Frauen Räume und Nischen ausfindig gemacht, die abhängig von der Generationszugehörigkeit, der sozialen Herkunft, dem Bildungsniveau, dem Territorium in der vierzigjährigen Geschichte eine differenzierte Entwicklung ermöglichten, und ohne die es weder hier noch dort Erfolge der Frauenbewegung gegeben hätte. Darüber tauschten sich die Frauen anfänglich kaum aus. Die Unfähigkeit, mit der Differenz zwischen der gesellschaftlichen Struktur und dem gelebten Leben und den daraus hervorgehenden Unterschieden umzugehen, war augenscheinlich. Im Westen gab es eine längere kontroverse Debatte um die Differenz zwischen Frauen, in deren Folge Unterschiede und Verschiedenheiten von Frauen Anerkennung und Akzeptanz fanden im Osten ein ausgeprägtes Drängen nach Einheitlichkeit, nicht im Sinne eines fälschlicherweise unterstellten Verständnisses von anonymer „Vermassung“, sondern im Sinne von Stärke. So zeigten sich ostdeutsche Frauen irritiert und enttäuscht über die zu geringe Zahl der Frauenbewegten im Westen und knüpften die Frage nach dem Erfolg der Frauenbewegung an eine Massenwirksamkeit, die ihren eigenen Aufgabenstellungen und Hoffnungen entsprach. Westdeutsche Frauen wiederum verbanden an den spontanen Aufbruch der Frauen im Osten im November 1989 Hoffnungen auf eine massenhafte Verbreiterung der Bewegung mit Ausstrahlung auf den Westen.

Einander widersprechende Vorstellungen gab es hinsichtlich der programmatischen Vorstellungen und der konkreten Wirklichkeit. Westdeutsche Frauen bewerteten bspw. bestimmte Entwicklungen der DDR-Frauenpolitik als Emanzipationsfortschritt. Das galt vor allem für die Frauenerwerbsarbeit, den vergleichsweise hohen Anteil von Frauen in der Wissenschaft und in technischen Berufen. Auch das Fehlen eines Frauenleitbildes, das sich ausschließlich auf die Mutterrolle der Frau reduzierte, wurde positiv bewertet und mit der Annahme verknüpft, die ostdeutschen Frauen hätten ein Frauenbewußtsein, das sich nahtlos in das eigene einfügen ließe. Vor dem Hintergrund solcher eher abstrakten Vorstellungen kam es bei den westdeutschen Frauen nach der persönlichen Begegnung zwangsläufig zu Enttäuschungen. So wurde u. a.den Ostfrauen das Festhalten am Zusammenleben mit Männern und Kindern als eine überkommene Orientierung an einem romantischen Lebensideal attestiert. Übersehen wurde dabei, daß diese sich selbstverständlich für ihre eigene materielle Absicherung verantwortlich fühlen und für sich selber sorgen (wollen)

Von ostdeutschen Frauen wurde demgegenüber übersehen und unterschätzt, daß sich die westdeutschen Frauen in ihren Partnerschafts-, in Arbeitsund politischen Beziehungen gegen große Widerstände durchsetzen mußten bzw. müssen. Diese individuellen Auseinandersetzungen um die Anerkennung der Interessen, Bedürfnisse, frauenspezifischen Themen und Darstellungsweisen haben das Frauenbewußtsein im Westen entscheidend mitgeprägt.

V. Ausblick

Die letzten Jahre haben trotz der beschriebenen Verständigungsschwierigkeiten zu vielen persönlichen Kontakten in politischen, professionellen und kulturellen Bereichen und zu neuen Erfahrungen geführt: Wenn sich etwa ostdeutsche Frauen in die Politik einmischen, so tun sie dieses „ausgesprochen selbstbewußt und stark“ Sie bewegen sich nicht selten „selbstverständlicher“ im gesellschaftlichen Raum als westdeutsche Frauen und wagen sich kühn an scheinbar unlösbare Aufgaben und Projekte heran. Sie sind sich ihres Wertes bewußt, was sich aus ihrer vergleichsweise starken Stellung als Frau im Berufsleben und in der Familie in der DDR erklärt. Demgegenüber ist die Abwertung der Frau im Westen auch im Bewußtsein der Frauen selbst verankert, sie haben sie „viel stärker verinnerlicht... als wir uns dessen bewußt sind“

Ein wesentlicher Grund für unterschiedliche Erfahrungen ost-und westdeutscher Frauen ist das Fortbestehen der Uneinheitlichkeit der Lebensverhältnisse; zu den allgemeinen Ungleichheiten kommen frauenspezifische hinzu. Die sich in den neuen Bundesländern seit der Vereinigung verschärfende geschlechtsspezifische Ungleichheit wird von einer komplizierten hierarchischen Differenz zwischen ost-und westdeutschen Frauen überlagert.

In diesem Konkurrenzverhältnis sind Frauen aus Ostdeutschland dann in der Regel unterlegen, wenn sie nicht bereit sind, sich den neuen (westdeutschen) Verhaltensnormen anzupassen, sondern sich wie zu DDR-Zeiten verhalten: ungeschützt, offen und solidarisch. Jene, die unter den neuen Bedingungen beruflich aufsteigen wollen, müssen ihre DDR-Sozialisation weitgehend abstreifen. Sie werden in Ostdeutschland nicht selten als „verwestlicht“ -also nicht mehr zur alten Gemeinschaft zugehörig -wahrgenommen. Dies ist ein Dilemma, da so die Impulse aus neuen Sozialisations-und Professionserfahrungen auf kleine Gruppen beschränkt bleiben. Der hohe Anteil Westdeutscher an der politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Elite der Bundesrepublik Deutschland trägt auch nicht gerade zur Herausbildung eines neuen Selbstverständnisses -auch der Frauen -in Ostdeutschland bei.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die empirischen Befunde, die in diesem Beitrag referiert werden, stammen weitgehend aus dem Projektbericht von Bianca Nellen-Brand/Bärbel Pukall/Barbara Siemers, „Schwesterlich find ich irgendwie doof“ oder: Das Verhältnis zwischen Ost-und Westfrauen im Spiegel der Zeitschriften-veröffentlichungen im Zeitraum von 1989-1993, in: Christine Eifler (Hrsg.), Kreuz und Quer, Ost-West-Erfahrungen, Köln 1994. In diesem Vergleich wurden 115 Artikel und Beiträge aus feministischen sowie frauenpolitisch interessierten und frauenpolitisch offenen Zeitungen und Zeitschriften aus Ost und West quantitativ und qualitativ ausgewertet, so u. a. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Feministische Studien, ifg-Frauenlörschung, Emma, Argument, Mitbestimmung, Soziale Sicherheit, WSI-Mitteilungen, Der Spiegel, taz, Brigitte, Weitblick, Ypsilon. In dem angegebenen Zeitraum wurde eine Vielzahl von Beiträgen, auch Leserbriefe von Frauen aus Ost und West veröffentlicht, aus denen gängige Muster der gegenseitigen Wahrnehmung ableitbar sind. Im Folgenden wird nur ein Teil der Ergebnisse berücksichtigt, vor allem jener, der sich auf die wechselseitigen Klischees bezieht.

  2. Vgl. ausführlicher Christine Eifler, Identitätsbruch als Orientierungschance? Zu den Nachwirkungen der (auf) gelösten Frauenfrage in der DDR, in: Christine Kulke u. a. (Hrsg.), Wider das schlichte Vergessen: Der deutsch-deutsche Einigungsprozeß. Frauen im Dialog, Berlin 1992.

  3. Situation von Frauen im Transformationsprozeß. Transformationserfahrungen in Ostdeutschland. Ein Bericht des Projekts „Soziale Transformation in Deutschland“, Universität Bremen, Fachbereich 8, 1994, S. 143.

  4. Vgl. Siegfried Grundmann. Die Sozialstruktur der DDR, Wissenschaftszentrum Berlin, FS III 97-402, besonders S. 21, wo Grundmann auf der Basis von 1987 erhobenen Daten Ungleichheiten und Benachteiligungen von Frauen nachweist.

  5. Vgl. Ute Gerhard, Die staatlich „institutionalisierte“ Lösung der Frauenfrage. Zur Geschichte der Geschlechterverhältnisse in der DDR, in: Hartmut Kaelble u. a. (Hrsg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 383.

  6. Ebd., S. 392.

  7. Lisa Böckmann-Schewe/Christine Kulke/Anne Röhrig, Wandel und Brüche in Lebensentwürfen von Frauen in den neuen Bundesländern, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 6/94, S. 40.

  8. Vgl. B. Nellen-Brand/B. Pukall/B. Siemers (Anm. I).

  9. Vgl.den Beitrag von Gesine Spieß in diesem Heft.

  10. Die Reihenfolge der „Märkte“, durch die die eigene soziale und materielle Situation veränderbar wäre, lautet bei den Ost-Frauen: Arbeitsmarkt, mit großem Abstand folgt der „Heiratsmarkt“, dann der -„Geldmarkt" (Ersparnisse, Erbschaften etc.). Bei den West-Frauen lautet die Reihenfolge: „Heiratsmarkt“, Arbeitsmarkt, „Geldmarkt“. Vgl. Eva Mädje/Claudia Neusüß, Frauen im Sozialstaat. Zur Lebenssituation alleinerziehender Sozialhilfeempfängerinnen, Frankfurt am Main -New York 1996.

  11. Angelika Blickhäuser, Begegnungen, in: Chr. Eifler (Anm. 1), S. 13.

  12. Ebd. .

Weitere Inhalte

Christine Eifler, Dr. sc. phil., geb. 1949; seit 1998 Arbeit an einem von der DFG geförderten Forschungsprojekt über Militär als Ort der sozialen Konstruktion von Geschlecht -dargestellt an der Einbeziehung von Frauen in Streitkräfte; zur Zeit Gastprofessorin an der Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Kulturwissenschaften. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Frauenfrage, Frauenpolitik und „Forschung über Frauen“ in der DDR; zuletzt u. a.: Nachkrieg und weibliche Verletzbarkeit. Zur Rolle von Kriegen für die soziale Konstruktion von Geschlecht, in: Christine Eifler/Ruth Seifert (Hrsg.), Soziale Konstruktionen -Militär und Geschlechterverhältnis, Münster 1998.