I. Wie wird Demokratie im Zeitalter der Globalisierung möglich?
„Systemveränderung“ -das Kampfwort der 68erRevolte -hat einen neuen Namen: Globalisierung. Auch die Gruppen, die „Systemveränderung“ propagieren, sind andere. Nicht das Proletariat oder die Kommunisten oder die kritischen Intellektuellen, sondern eine unfreiwillige, verdeckte, weltweite Koalition der Gegensätze: trans-nationale Konzerne, transnationale soziale Bewegungen sowie transnationale Experten in internationalen Organisationen. Die Systemveränderung der neunziger Jahre bringt selbst die Augen der neoliberalen Weltmarktverbesserer zum Glänzen. Marx ist nicht länger freier Schriftsteller und kritischer Kritiker, sondern Angestellter der Weltbank, Finanzjongleur auf den globalisierten Kapitalmärkten oder Wirtschaftsjournalist. Er publiziert unter verschiedenen Pseudonymen in der Financial Times, New York Times oder im Spiegel. Der vierte Band des Kapitals erscheint als Fortsetzungsserie ohne absehbares Ende in den Sprachen der Welt: „Die internationalen Finanzmärkte auf Schlingerkurs“, „Südostasien am Morgen nach der Party“, „Wir werden reicher, immer reicher!“, „Morgen beginnt das Ende des Telekommunismus“, „working poor“, „jobless growth“, „Deklassierung der amerikanischen Mittelklasse“, „Zerfall der civil society“, „Das neue Lumpenproletariat der Ausgeschlossenen“, „Grundversorgung für alle“. Was zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes als „marxistische Analyse“ und „klassenkämpferische Parole“ in Deutschland in die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes fiel und mit Berufsverbot bedroht war, ist heute zu lesen in den führenden Nachrichtenblättern der Welt -folgenlos. Niederlage und Sieg der Marxschen Analyse sind -hundertfünfzig Jahre nach dem Erscheinen des Kommunistischen Manifests -ununterscheidbar geworden. Man kann sogar sagen, daß die Niederlage als Sieg exekutiert wird: Marx ist überflüssig geworden, weil er marx-los in aller Munde ist. Globalisierung ist auch ein anderes Wort für Kapitalmarxismus ohne Marx.
Da mit der Worthülse „Globalisierung“ auch das Pro und Kontra einer Systemveränderung in diesem politisch hochambivalenten Sinne verhandelt wird, tobt um die Globalisierungsfrage eine versetzte Debatte. Wer den guten alten Sozialstaat und/oder Nationalstaat verteidigt, stellt in Frage, was diesen in Frage stellt: Globalisierung. Umgekehrt steht derjenige, der die Herausforderung der Globalisierungsfrage (an) erkennt, vor der Alternative: Entweder er gibt die heilige Allianz von Nation, Nationalökonomie, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit preis und macht sich so der Kumpanei mit dem neoliberalen Verrat an der politischen Idee Europas schuldig. Oder aber er stellt die Frage dieses Aufsatzes: Wie wird Demokratie im Zeitalter der Globalisierung möglich? Und dies in einem historischen Augenblick, in dem die Theorien der Postmoderne und die Systemtheorie mit der Geste des großen Gedankens, der keinen Widerspruch duldet, das Ende der Politik verkündet haben.
So wird wenigstens verständlich, was die Globalisierungsdebatte so unverständlich macht, so sturzverwirrend und unvermeidlich, unwiderstehlich: In dieser Debatte wird widerwillig, wider den Strich des herrschenden Denkens weltweit aufgeschnürt und neu verhandelt, was eben noch gänzlich verschlossen schien: die Grundlage der westlichen Moderne
Dieser Gedanke könnte den Ausgangspunkt für eine neue Große Erzählung der Globalisierung bilden: Die Moderne mit ihrem territorialstaatlich geprägten Politikmonopol, Gemeinschafts-und Gesellschaftsverständnis, mit ihren Idealen von technischem Fortschritt und nationaler Einheit geht zu Ende und die Nach-Postmoderne des „Globalen Zeitalters“ (Martin Albrow) beginnt. „Nach der Moderne steht den Bereichen der Kunst, der Moral, des Staates und sogar der Wirtschaft eine zeitlich und räumlich unbeschränkte Neuorganisation bevor. Für keinen dieser Bereiche gibt es eine Bestandsgarantie. Die Wissenschaft stellt fest, daß die Religion in ihre Reviere vordringt. Der Staat wird zu einem Medium indivi1 duellen Ausdrucks, die Kunst zu einem Kollektiv-unternehmen. Sämtliche vergangenen und gegenwärtigen praktischen Erfahrungen von Menschen existieren nun nebeneinander als Elemente der Gesamtsituation der Menschheit, ohne irgendeine fixe Lösung für deren Probleme anzubieten. Das Individuum muß mit der Ungewißheit der globalen Welten leben und sucht das Universelle in der vorübergehenden Begegnung mit anderen.“
Wenn man die Metapher der Entdeckung Amerikas heranzieht, läßt sich die Unterscheidung zwischen Erster Moderne, Postmoderne und Zweiter Moderne so kennzeichnen: Die Anhänger der Ersten Moderne, die Weiter-so-Modernisierer, behaupten, Kolumbus habe nicht Amerika entdeckt, sondern sei in Indien gelandet. Demgegenüber verkünden die Postmodernisten, die Frage, wo Kolumbus gelandet ist, sei lediglich ein Gaukelspiel der Medien. Die Vertreter der Zweiten Moderne dagegen sagen: Laßt uns die neue Welt der globalen Gesellschaft erkunden und gestalten.
Tatsächlich regiert in den Sozialwissenschaften nach wie vor ein heimlicher Hegelianismus, der die (bürgerliche) Gesellschaft aus dem Ordnungsanspruch des Staates hervorgehen sieht. Genau das meint die These vom Territorial-Bias der Sozial-wissenschaften: Nur unter der Bedingung, daß die sozialräumliche Organisation sozialer Beziehungen mit dem staatlich kontrollierten Territorium gleichgesetzt wird, lassen sich „Gesellschaft“, „Kultur“, „Demokratie“ und „Ökonomie“ als zugleich zusammengehörige und funktional differenzierte Sektoren innerhalb eines Ganzen begreifen und organisieren.
II. Das Souveränitäts-Dilemma: Unfreiwillige Pazifizierung der Weltgesellschaft?
Dies ist eine der Merkwürdigkeiten der an Denkfallen reichen Globalisierungsdebatte: Obwohl alle und alles -gerade in Deutschland -um die Fragen wirtschaftlicher Globalisierung kreist, ist im Zuge der Kontroversen zwischen Wirtschaftswissenschaftlern und -historikern unklar geblieben oder geworden, ob und in welchem Sinne es überhaupt so etwas wie wirtschaftliche „Globalisierung“ (bislang) gibt
Vielleicht läßt sich ökonomische Globalisierung im Langzeitvergleich mit Hilfe makroökohomischer Daten immer noch leugnen, unbezweifelbar aber ist, daß wir von nun an mit der Wirklichkeit der Möglichkeit wirtschaftlicher Globalisierung in all ihren Dimensionen konfrontiert sind. Diese neue globale Unberechenbarkeit ist gemeint: Die „hergestellten Unsicherheiten“ (Anthony Giddens) der Weltrisikowirtschaft transformieren die Geschäftsgrundlage in allen sozialen Handlungsfeldern. Denn diese sozial wahrgenommene Möglichkeit regiert -wie empirische Untersuchungen zeigen -in den Köpfen und Managementetagen wie in der verschreckten Öffentlichkeit und entfaltet so ihre eigene Unkontrollierbarkeit, ihr eigenes Machtspiel.
Wer allerdings von den „Gesetzen“ des Weltmarktes spricht, unterschlägt, daß grenzenlose Märkte von Akteuren geschaffen und dominiert werden, für die nationale Grenzen und Institutionen von vornherein Verhandlungssache sind. Wer den globalen Markt (verstehen) will, muß sich für die Fragen globaler Politik, globaler Gesellschaft, globaler Kultur öffnen: Wie wird „Gesellschaft“ als Weltgesellschaft möglich?
Globalisierung heißt: „Denationalisierung“ (Michael Zürn): Nationalstaaten und ihre Regierungen verlieren an Handlungs-und Gestaltungsmacht. Das wird meistens als große Gefahr dargestellt, weil politische Ziele nicht mehr erreicht und durchgesetzt werden können. Doch das Gegenteil ist auch der Fall, wie Michael Zürn argumentiert: So werden manche Ziele des Regierens heute besser erfüllt. Die gesellschaftliche Denationalisierung kann als ein wesentlicher Grund dafür gelten, daß die beiden größten Plagen des langen 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der OECD-Weit heute unwahrscheinlicher geworden sind: zwischenstaatliche Kriege und unmenschliche Freiheitsbeschneidungen durch totalitäre Staaten
Im Zuge der Globalisierung verschärft sich das Dilemma zwischen nationaler Souveränität und transnationaler Kooperation: In einer Welt, in der Nationalstaaten, wollen sie ihr Versprechen auf Sicherheit einlösen, transnationale (Militär-und Sicherheits-) Bündnisse schließen müssen, ist die Einlösung des Souveränitätsversprechens an die Aufgabe des Souveränitätsversprechens gebunden. Hier verliert die scheinbar ewige Anarchie der Staaten als Quelle von Weltkriegen und Weltkonflikten an Bedeutung -nicht weil Staaten dem Krieg abschwören, sondern weil sie ihre politischen Ziele der Wohlfahrtssteigerung nur in Kooperation und Konkurrenz in den Kampfarenen der Weltwirtschaft verwirklichen können
In der Weltgesellschaft en miniature, zu der die nicht mehr abschließbaren Nationalstaaten werden, mischen sich die kulturellen Identitäten, entstehen bedrohliche regionalistisch-nationalistische Widerstands-und Abschottungsbewegungen, die Zahl und Protest-Stimmen der Globalisierungsverlierer gewinnen also an Gewicht. Dementsprechend öffnen sich neue Konfliktquellen, deren Brisanz niemand unterschätzen sollte Aber zugleich geraten diese Macht-die-Grenzen-dicht-Bewegungen auch in einen eklatanten Widerspruch zu ihren ureigensten Interessen, weil sie Reichtum und Macht letztlich nur im Behaupten am Weltmarkt gewinnen können. Das heißt: Um die Staatsziele Wohlfahrt und Demokratie zu erreichen, müssen internationalen Konzernen, Kapital, Wissenseliten, globalen Informations-und Kulturströmen Tür und Tor geöffnet werden. Auf diese Weise könnten -langfristig! -Identitäts-und Lebensformen entstehen, die einem „Universalismus der Differenz“ entsprechen, sich also schwerer für kollektiv-nationalistische, militärische Ziele mobilisieren und ideologisieren lassen.
Also: Die Prämissen der bisherigen national bestimmten Weltpolitik -nationale Souveränität, ideologische Konkurrenz der Gesellschaftsbilder, nationale Kollektivsubjekte und Identitäten -verlieren im Zuge wirtschaftlicher Globalisierung an Glaubwürdigkeit und Bedeutung, weil nationale Interessenverwirklichung Denationalisierung voraussetzt. Überall wächst in diesem nun wirklich globalen Transformationsprozeß die Bedrohung durch Gewaltphänomene, aber vielleicht auch die skeptisch-realistische Hoffnung, daß zentrale Kriegsursachen der nationalstaatlichen Ersten Moderne in der konfliktvollen Vielfalt der transnationalen Weltgesellschaft der Zweiten Moderne erodieren. Wie gesagt: nicht nur aufgrund von Friedensverträgen, sondern aufgrund einer Transformation der „Egoismen“ der Staaten im Prozeß der Globalisierung. Vielleicht wächst damit nicht die Hoffnung auf „ewigen Frieden“ (Kant), aber doch auf eine transnational verwirrte Konfliktordnung, in der Kriegsherde politisch eingegrenzt und gezähmt werden können
III. Nachpolitische Weltgesellschaft?
Seit 25 Jahren spricht Niklas Luhmann von „Weltgesellschaft“. Entsprechend kritisiert er andere Autoren, weil sie immer noch an einem territorialen Begriff von Gesellschaft festhalten, der überdies das Homogenitätsideal ähnlicher Lebensverhältnisse unterstellt
Für Luhmann fallen die Grenzen des sozialen Systems Gesellschaft seit langem nicht mehr zusammen mit geographischen Grenzen. Dies folgt für ihn zwingend aus der Tatsache, daß Kommunikation die Grundeinheit sozialer Systeme bildet. In den meisten gesellschaftlichen Teilsystemen funktioniert Kommunikation über Ländergrenzen hinweg Weltweite Interaktion ist für Luhmann prinzipiell dann möglich, wenn Menschen ihre Interaktionspartner unter allen Menschen wählen können, ohne daß Staatsgrenzen dies verhindern. Entsprechend konstatiert er früh das Entstehen einer weltweit öffentlichen Meinung, großräumiger, zum Teil weltweiter wirtschaftlicher Verflechtungen sowie einer auf Weltfrieden beruhenden durchgehenden Verkehrszivilisation. Für ihn ist es eine Tatsache, „daß das Phänomen eines faktisch vereinheitlichten Welthorizonts neu und in einer Phase irreversibler Konsolidierung begriffen ist“
Nun erzwingt nach Luhmann nicht nur der Grundbegriff der Kommunikation, sondern auch die Theorie der funktionalen Differenzierung den Bezugsrahmen der Weltgesellschaft Die funktionale Differenzierung der Weltgesellschaft macht sich fest an Wirtschaft, Wissenschaft, Recht usw., nicht aber an Politik. Nach Luhmann bleibt das Politikmonopol beim Territorialstaat, der zugleich im Globalisierungsprozeß an Einfluß verliert. Weltgesellschaft meint -im Sinne Luhmanns -also unpolitische Weltgesellschaft ohne Weltpolitik, ohne Weltparlament, ohne Weltregierung. So entsteht mit der Ausdifferenzierung der Weltgesellschaft das Bild einer nachpolitischen Welt. Fluchtpunkt ist die vollständig dezentrierte Welt-gesellschaft, die in eine ungeordnete Menge von sich selbst reproduzierenden, sich selber steuernden Teilsystemen zerfällt. Politische Steuerung und? demokratische Legitimation sind aus diesem Bild der Weltgesellschaft herausoperiert Dagegen lassen sich drei Einwände formulieren:
Erstens: Setzt nicht die Theorie funktionaler Differenzierung -entgegen ihrem Selbstverständnis -den ordnenden Zugriff des Territorialstaates voraus? Diese Vermutung gewinnt in dem Maße an Plausibilität, in dem deutlich wird, daß die Ausdifferenzierung der Wirtschaft historisch gerade nicht nur binnenorientiert („autopoetisch“) möglich ist, sondern kulturelle Orientierungen ebenso voraussetzt wie ein bestimmtes Rechtssystem (zum Beispiel zivile Grundrechte), staatliches Gewaltmonopol usw. Insofern kann der moderne Staat historisch als Hintergrund-Garant funktionaler Differenzierung gelten, repräsentiert er doch eine sozialräumliche Organisation, in der alle Aspekte der Gesellschaftlichkeit -von den Formen kultureller Hegemonie bis zur Definition der Bürger-rechte, von den Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns und sozialer Gerechtigkeit bis zum Monopol legitimer Gewalt -auf dem Prinzip territorialer Souveränität beruhen.
Auf dieser Linie ließe sich zweitens argumentieren, daß die „funktional ausdifferenzierte Weltgesellschaft“ Luhmanns innerhalb einer Welt vernetzter Territorialstaaten entsteht -also der OECD-Weit hochentwickelter Länder, die ihrerseits als Ausdruck der Territorialstaatsordnung gelten kann. Insofern ist überdies zu fragen: Liegt Luhmanns Systemtheorie ein versteckter Eurozentrismus zugrunde? Meint „Weltgesellschaft“ in seinem Bezugsrahmen letztlich westliche Weltgesellschaft -sowohl was die inhaltliche „Logik“ der einzelnen Teilsysteme als auch die Exklusion von Ländern der sogenannten Dritten Welt, die den Maximen der funktionalen Differenzierung nicht genügen, betrifft?
Drittens: Die Rede von der nachpolitischen Welt-gesellschaft verkennt, daß jenseits von Nationalstaaten eine Fülle von politischen Akteuren sich organisiert, quantitativ und qualitativ an Macht gewinnt. Auf dem neuen Kontinent des Transnationalen tummeln sich, wie gesagt, nicht nur die Konzerne, sondern auch so unterschiedliche global players wie supranationale Organisationen, die Kirchen, die Europäische Union, Nichtregierungsorganisationen sowie die Produzenten und Homunkuli der globalen Kulturindustrie, welche die Phantasie der Menschen weltweit „kolonialisieren“ Sie alle gelten als „unpolitisch“, aber handeln in einem zentralen, neuen Sinne „politisch“, da sie die Machtverhältnisse, Rechtsnormen, Lebensstile, Arbeitsweisen, imaginären Welten der globalen Gesellschaftslandschaft -und damit auch der nationalen Gesellschaften - wesentlich mitgestalten.
IV. Das Demokratie-Dilemma: Formen nachparlamentarischer Demokratie
Dies zeigt sich auch im Demokratie-Dilemma: Während im Rahmen der demokratisch legitimierten, nationalstaatlichen Politik zunehmend Nicht-Entscheidungen politisch legitimiert werden, werden im transnationalen Rahmen der „EUchtPolitik" nicht demokratisch legitimierte Entscheidungen von transnationaler Reichweite und Durchschlagskraft getroffen
Aus diesem Demokratie-Dilemma gibt es im Zeitalter der Globalisierung so leicht kein Entkommen: Einerseits kann es nicht ohne weiteres in Richtung auf eine „kosmopolitische Demokratie“ (David Held) aufgelöst werden. „Der Zentralbegriff der Demokratie ist Volk, nicht Menschheit“, polemisierte Carl Schmitt. „Es gibt, wenn Demokratie überhaupt eine politische Form sein soll, nur eine Volks-und keine Menschheits-Demokratie.“ Das ist zwar so (apodiktisch) falsch, verweist aber auf das zentrale Problem: Ohne ein politisch starkes weltbürgerliches Selbstbewußtsein und entsprechende Institutionen einer globalen Zivilgesellschaft und Weltöffentlichkeit bleibt -bei aller institutionellen Phantasie -die kosmopolitische Demokratie eine (notwendige) Idee. Wie Jürgen Habermas schreibt: „Die entscheidende Frage ist deshalb, ob in den Zivilgesell-schäften und den politischen Öffentlichkeiten großräumig zusammenwachsender Regime ein Bewußtsein kosmopolitischer Zwangssolidarisierung entstehen kann. Nur unter diesem Druck einer innenpolitisch wirksamen Veränderung der Bewußtseinslage der Bürger wird sich auch das Selbstverständnis global handlungsfähiger Akteure dahingehend ändern können, daß sie sich zunehmend als Mitglieder einer Gemeinschaft verstehen, die alternativenlos zur Kooperation und damit zur gegenseitigen Interessenberücksichtigung genötigt sind.“
Auf der anderen Seite verkennen alle Versuche, deswegen die Arenen nationalstaatlicher Demokratie zum Nonplusultra zu erklären, die Eigen-realität und Eigendynamik transnationaler Handlungs-und Machträume, Sachfragen, Konflikte etc. Sie verabsolutieren ferner das historische Institutionenbündnis von Nationalstaat, Nationalökonomie und parlamentarischer Demokratie zu einem notwendigen und daher nicht überwindbaren Zustand. Dies hat schließlich zur Folge, daß Positionen, die im ungebrochenen Selbstverständnis nationalstaatlicher Demokratie als „aufgeklärt links“ gelten konnten, sich im Horizont weltgesellschaftlicher Debatten und Herausforderungen leicht in einen linken Protektionismus verwandeln können. Das ist etwa dann der Fall, wenn das Demokratiemonopol des Nationalstaates dazu verwendet wird, um die transnationale Nichtpolitik-Politik auf „autonomieschonende Entscheidungen“ (Fritz Scharpf) einzugrenzen und entsprechend festzuschreiben -mit der Folge: Der trans-nationale Entscheidungs-und Politikraum beispielsweise der Europäischen Union, aber auch internationaler Organisationen ganz allgemein, soll dem Prinzip der „Nationalstaatsverträglichkeit“ unterworfen werden. Es liegt die Frage nahe, ob hier -gewollt oder ungewollt -nicht letztlich die gute Sache der Demokratie als Vorwand dient, um das Abwandern des Politischen aus dem Bezugsrahmen des Territorialstaates ins Transnationale mit seinen umstürzlerischen Folgen für Politik(theorie) und Gesellschaft(stheorie) zu ignorieren bzw. zu überspielen.
Die Antwort auf das Demokratie-Dilemma, die sich abzeichnet, sind Perspektiven einer „postparlamentarischen Demokratie“, also eines Meta-Pluralismus der Demokratietheorie und demokratischer Institutionen Es geht dabei letztlich darum, daß das Demokratiemonopol der parlamentarischen Demokratie gelockert wird und -mindestens als Übergangsvision -durch Bilder „reflexiver Demokratie“ im Sinne pluraler demokratischer Akteure und Institutionen ersetzt wird. Dazu gehören zum Beispiel Modelle „assoziativer Demokratie“ in dem Sinne, daß transnationale Organisationen durch unabhängige Ausschüsse ergänzt und kontrolliert werden, die pluralistisch besetzt sind; deren Entscheidungen wären dann für alle betroffenen Gruppen transparent zu machen. Wieder andere fordern die Zulassung von Nichtregierungsorganisationen oder plädieren für das Instrument des transnationalen, im Grenzfall globalen Referendums, nicht nur um Schlüssel-entscheidungen demokratisch zu öffnen, sondern auch um den Mangel an transnationaler Öffentlichkeit und Identität zu überwinden.
In der Ersten Moderne sind Staatsbürger Bürger eines Territorialstaates, also in ihren Rechten und Pflichten territorial gebundene Bürger. Diese Bindung geht dem Begriff des Bürgers voraus, wohnt diesem inne, scheint eine inhaltlich logische zu sein. Im Selbstverständnis des Weltbürgers der Zweiten Moderne dagegen lockert sich diese Orts-bindung. Es entstehen transnationale Lebensformen und Identitäten -sowie die Re-Aktion darauf. Martin Albrow argumentiert sogar (in der Tradition Kants): So etwas wie ein „Welt-Staat“ (gerade nicht im Sinne eines globalen Territorial-staates, der kein Außen kennt) tritt dann hervor, wenn das Individuum in seinem Handeln ein weltumspannendes Gemeingut -etwa die Erhaltung der Umwelt -berücksichtigt; es ist nichts anderes als das Struktur gewordene Selbstbewußtsein zahlloser Individuen
Vielleicht kann man auch sagen: Die Erste Moderne war wesentlich eine produzentenorientierte Demokratie; die Zweite Moderne könnte, wenn es gutgeht, auch eine verbraucherorientierte Demokratie werden. Dem liegt die -in transnationalen Käuferböykotts erfahrbare und praktizierte -Einheit von Kaufakt und Stimmzettel zugrunde Es wird so möglich, Entscheidungen zu beeinflussen, nicht nur über nationalstaatliche Grenzen hinweg, und zwar direkt, ohne den Filter von Parteien, Parlamenten, Regierungen, sondern zugleich sogar in Fragen, die bislang hinter den verschlossenen Türen des Managements als dessen ureigenste Sache entschieden wurden: Zusammensetzung von Produkten, Lebens-und Arbeitsverhältnisse derjenigen, die diese Produkte hergestellt haben, sowie Art und Ausmaß des demokratischen Engagements des jeweiligen transnationalen Konzerns. Dabei können diese im Kaufakt selbst enthaltenen Möglichkeiten einer zugleich transnationalen und direkten Konsumentendemokratie ergänzt und schlagkräftig gemacht werden durch Formen repräsentativer Verbraucher-Demokratie: Benutzergremien, national und transnational orientiert und organisiert; Wahlrecht für Körperschaften, die diese Dienstleistungen öffentlich verwalten. Auf diese Weise könnte die verbraucher-orientierte Demokratie einen wesentlichen Schritt in eine zugleich kosmopolitische und thematisch konkrete, themenvielfältige Demokratie sein, die den schlummernden Riesen des „souveränen Konsumenten-Bürgers“ als Gegenmacht zur Macht transnationaler Konzerne weckt und organisiert.
Doch Vorsicht! Hier werden auf die eine oder andere Weise die Schleusen für demokratische Legitimation jenseits von bzw. ohne Parlamente geöffnet. Dies kann dazu (ver) führen, daß die Grenzen zwischen Demokratie und Nicht-Demokratie verschwimmen. Modellen kosmopolitischer Demokratie ist insofern (ungewollt) eine Tendenz eigen, die Fahnen zukünftiger Demokratie nach dem Wind des höchst kritikwürdigen Status quo zu richten. Das aber heißt: Wie starke demokratische Institutionen jenseits der nationalstaatlichen parlamentarischen Demokratie möglich werden, bleibt eine offene Frage, die dringend einer öffentlich-fachlichen Diskussion bedarf.
V Regieren jenseits des Nationalstaats: Die transnationale Unschärferelation des Politischen
Schließlich verkennt Niklas Luhmann, was man als „Regieren jenseits des Nationalstaats“ (Michael Zürn) bezeichnet -durch und in internationalen Organisationen. Diese stellen die unverzichtbaren Strukturen und Quellen dar, auf denen internationale Zusammenarbeit beruht. Sie sind die neueste, am wenigsten verstandene, anerkannte und unterstützte Ebene der Regierung -die überdies am weitesten von den Menschen entfernt ist, denen sie dienen soll. Sie repräsentieren nicht die Vorläufer einer Weltregierung, sondern sie bilden den
Rahmen für ein Weltsystem des Regierens, durch welches so etwas wie globale Gesellschaft überhaupt möglich wird. So viel jedenfalls ist klar: Wenn man „Politik“ gleichsetzt mit kollektiv bindenden Entscheidungen, findet in internationalen Organisationen „Politik“ von großer Reichweite statt. Denn hier werden jenseits demokratischer Öffentlichkeit und Kontrollen transnational bindende Entscheidungen erarbeitet.
Man konnte es im Januar 1998 am globalen Management der Finanzkrise in den Ländern Südostasiens studieren: Nationale Regierungen verabschieden in ihren Ministerien und Parlamenten Programme und Gesetze, die Gegenstand politischer Wahlen waren. Im Krisenfall aber fliegen Experten des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank etc. ein und geben in wenigen Tagen einen völlig neuen Haushalt vor, in dem Subventionen gestrichen und Preise (de) reguliert werden. Die Folge ist: Die politisch legitimierten, national-staatlichen Akteure werden zu Ausführenden von Plänen und Vorgaben politisch nicht legitimierter transnationaler Akteure. Jene müssen, ich wiederhole es, ihre nationale Souveränität preisgeben, um diese -vielleicht -wiederzugewinnen.
In diesem Sinne ist die politische Organisation des Globalen terra incognita. Was hier tatsächlich geschieht, was möglich wird und was dies bedeutet, alles dies ist einer durchaus präzise beschreibbaren Unschärferelation unterworfen, die den Rahmen und Raum für eine besondere Art des Politischen eröffnet: Erstens entsteht diese Unschärfe daraus, daß hier, wie gesagt, ein weltpolitischer Ordnungsrahmen fehlt, der nationalstaatlich aber untauglich wird. Globale Politik -wie sie in Gestalt von Abrüstungsvereinbarungen, internationalen Umweltregimen, der Einrichtung eines Weltgerichts oder im Rahmen der europäischen Institutionen der Weltbank, der Welthandels-organisation etc. -längst alltäglich geworden ist, kann nicht einfach als Verlängerung nationalstaatlicher Politik begriffen werden Denn inhaltlich muß sie nationale Egoismen und Partikularismen brechen und ihre eigenständigen transnationalen Gesichtspunkte, Werte und Entscheidungen gegen die verschiedenen nationalen Borniertheiten durchsetzen.
Eng verbunden damit ist ein zweiter Grund der Unbestimmtheit: Es handelt sich um eine Politik generierender Politik; das heißt um Gestaltungsaufgaben, die mit ihrer konkreten Verhandlungsform zugleich immer auch ihre organisatorisch-politi-sehe Möglichkeitsform mitkreieren müssen (von der Themenwahl über Fragen der nationalen und fachlichen Zusammensetzung bis zu Verfahrens-regeln und Durchsetzungsstrategien bei getroffenen Entscheidungen). Dabei gilt: Entweder die „Transnationalen“ sind verkappte Nationalakteure, auf die Carl Schmitts böses Wort zutrifft: „Wer Menschheit sagt, lügt.“ Oder aber es gelingt, die Ebene des Transnationalen gegenüber den Zugriffen nationalstaatlicher Akteure und ihren Machtgelüsten abzufedern und abzudichten, also Globalität bürokratisch und politisch als eigenständige Aufgabe und Handlungsebene zu organisieren. Dann allerdings gewinnt deren Unschärferelation eine dritte Bedeutungsschattierung: Man agiert in einem Milieu der Umstrittenheit, in dem Normalität die Ausnahme und die Opposition aller gegen alle die Regel ist.
Eine vierte Quelle der Unbestimmbarkeit des Transnationalen liegt darin, daß transnationale Fragen immer auch kulturelle Fragen sind. Das heißt: Sachfragen sind unauflöslich in Kulturfragen, Wahrnehmungsfragen, Wertfragen eingeschmolzen. Viele Bemühungen kreisen darum, wie ein Einverständnis darüber gefunden werden kann, was ein transkulturelles Einverständnis in dieser und jener Angelegenheit eigentlich ausmachen könnte.
Schließlich verliert, fünftens, die Technokratie im Übergang zu transnationalen Fragen und Entscheidungsproblemen ihre Vorbildfunktion. Technokratische Routinen und Sicherheiten zerbrechen. Zum einen entpuppen sich nämlich die universalistisch „verbrämten“ Fachperspektiven der Experten in der transnationalen Kollision als in der Wolle partikularistisch eingefärbt (was im nationalen Rahmen im verschwiegenen Einverständnis verborgen bleiben kann, aber im transnationalen Streitfall nicht länger zu verheimlichen ist). Zum anderen greifen hier ihre eingeschliffenen funktionalen Differenzierungen und technokratischen Spezialisierungen nicht, denn sie verfehlen den Zusammenhangs-charakter des Globalen.
Unbestimmtheit ist eine zentrale Quelle professioneller Macht. Experten und Funktionären eröffnet also der Diskurs über Globalität neue Professionalisierungschancen. Wo sich derart die Grenzen zwischen Innen und Außen auflösen, gewinnen transnationale Wissensgemeinschaften -soge-nannte „epistemic communities“ -eine Schlüssel-bedeutung, das heißt wissenschaftlich legitimierte Expertengemeinschaften, die gemeinsame Problemdefinitionen, Kausalannahmen und Politik-empfehlungen erarbeiten, besitzen, anbieten In-ternationale Institutionen sind einerseits auf transnationale Expertenrationalität angewiesen, andererseits geht die Einrichtung derartiger Organisationen meistens mit der Ermächtigung solcher Wissensgemeinschaften einher (ein Beispiel dafür ist der Siegeszug des Neoliberalismus in den internationalen Gremien).
Hier zeigt sich, daß das Demokratie-Dilemma im Zeitalter des Transnationalen, anders herumgewendet, zugleich auch ein „Technokratie“ -Dilemma ist: Vielleicht sind starke transnationale Organisationen nötig und sogar möglich, um eine politische Gestaltungsmacht nationalstaatlicher Akteure zurückzugewinnen, z. B. um Steuerlöcher zu stopfen und eine „Tobin-Tax“ -Steuer auf internationale Geldströme zu erheben. Nur auf diese Weise kann die legitimierte Politik den transnationalen Konzernen Paroli bieten, nur so Rahmenbedingungen für weltwirtschaftliches Handeln setzen. Zugleich bleibt die Nicht-Politik-Politik transnationaler Organisationen aber demokratisch hochproblematisch. Denn deren Machtzuwachs entsprechen bislang nur „weiche“ Modelle einer transnational erweiterten Demokratie, die alle mit dem Dilemma ringen, das sie aufwerfen: Die Entgrenzung der Demokratie erschwert die Prozesse der demokratischen Willensbildung und politischen Identifikation. Sie erleichtert zugleich aber -auch deswegen! -Prozesse bürokratischer (nicht-politisch-politischer) Machtbildung und Entscheidungsfindung jenseits nationalstaatlicher Politik in den Arenen transnationaler Akteure, seien diese nun politisch oder wirtschaftlich orientiert und begründet
VI. Kosmopolitische Ethik und Weltmachtpolitik
In dem von den Vereinten Nationen herausgegebenen „Report of the Commission on Global Governance“ wird dargelegt, daß die Politik supranationaler Organisationen nicht nur das Management wirtschaftlicher Globalisierung, einschließlich ihrer tiefgreifenden sozialen und politischen „Nebenfolgen“, beabsichtigt, sondern es dabei wesentlich auch darum geht, eine neue Ethik glo- baler Demokratie und Menschenrechte durchzusetzen Da bekanntlich der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert ist, gilt es frühzeitig zu fragen: Welche Schattenseiten einer solchen Verbindung von kosmopolitischer Ethik und Politik sind schon heute absehbar? Welche Alpträume werden mit dem Traum von der globalen Zivilgesellschaft auch verwirklicht? Inwieweit muß die Rhetorik der „globalen Nachbarschaft“ und der „globalen Verantwortung“, wie sie von den USA und ihren europäischen Partnern verkündet wird, auch als Fortsetzung westlicher imperialer Politik mit anderen Mitteln entschlüsselt werden? Kurz, im „Zeitalter der Nebenfolgen“ schickt es sich, einen frühen skeptischen Blick auf die Brave New World des westlichen Kosmopolitanismus zu werfen. „Deutschland ist von Freunden umzingelt“, sagte der deutsche Verteidigungsminister, Volker Rühe, nach dem Ende der militärischen Konfrontation in Europa. Das Gefühl des Umzingeltseins bringt die Paradoxie der Bedrohung nach dem Wegfall derselben auf den Punkt, die den Westen, seine Institutionen und Politiker beschlichen hat und bis heute erschüttert. Kein Zweifel, die plötzlich feindlosen Demokratien des Westens, verantwortlich zugleich für innere und internationale Regulierungen im Rahmen nationaler und supranationaler Institutionen wie Europa, NATO und Vereinte Nationen usw., bedürfen neuer, sie erneuernder Quellen der Legitimation. Diese müssen sie in die Lage versetzen, im Zeitalter der Globalisierung Rechtfertigungen für Aktivitäten und Selbstdarstellungen von Erfolgen zu kreieren.
Um es ganz vorsichtig auszudrücken: Die Moralisierung der internationalen Politik, die der Westen mit dem Eintreten für Menschenrechte auf seine Fahnen geschrieben hat, füllt dieses Vakuum bilderbuchartig, indem sie den politischen Institutionen eine kosmopolitische Mission verschafft hat. Es ist wohl nicht übertrieben, von demokratischen Kreuzzügen zu sprechen, in denen der Westen mit höchst zweischneidigen Schwertern für freien Welthandel und Menschenrechte, in Zukunft auch um die Erneuerung seiner eigenen Selbstlegitimation fechten wird.
Was lange Zeit belächelt wurde, spielt inzwischen in der Agenda der internationalen Politik eine Schlüsselrolle, nämlich die weltweite Durchsetzung von Werten und Rechten politischer Freiheit.
Bemerkenswert daran ist, daß sich hinter den Fassaden einer kosmopolitischen Ethik mindestens in zweierlei Hinsicht die Konturen einer neuen Epoche post-internationaler Politik abzeichnen:
Zum einen sind die alten Regeln und Grenzziehungen zwischen Innen-und Außenpolitik längst ausgehebelt worden. Der Westen und die supranationalen Organisationen regieren unter den Fahnen der Sicherung der Menschenrechte und des freien Welthandels in die ehemals „inneren Angelegenheiten“ anderer Staaten hinein. Im Zuge der neuen Sprache wirtschaftlicher und ethischer Globalisierung werden die Souveränitätsrechte der nationalstaatlichen Moderne entkernt und dem Zugriff „globaler Verantwortung“ geöffnet.
Zum anderen lassen sich hinter der Fassade kosmopolitischer Mission die alten imperialistischen Machtspiele -zwischenstaatliche Macht, Ölinteressen, weltwirtschaftliche Konkurrenz, geopolitische Schachzüge -neu inszenieren. Gerade weil das weltweite Einklagen von Grundrechten als hochlegitim und entsprechende militärische Intervention als „selbstlos“ gelten, bleibt oft unerkannt, daß sie sich deswegen auf das wundervollste verzahnen lassen mit den altmodischen Zielen imperialistischer Weltpolitik, während es nach innen hin auf diese Weise zugleich gelingt, Bühne und Rollen zu schaffen, die es „lahmen Enten“ -Politikern und Militärs -erlauben, sich im Glanze neuer Aktivität mit Legitimität zu sonnen. Das „Globale Zeitalter“ könnte auf diese Weise zu einem rund-erneuerten „Globalen Westen“ ohne einen Osten werden, dem gegenüber es sich rechtfertigen muß. Demokratie ohne Feinde hieße dann: Demokratie ohne Kritiker.
Mit dem Verschwinden des Ostens aus dem weltpolitischen Kalkül ist mehr verbunden, als in dem Austausch des Etiketts „Westen“ durch „globale Nachbarschaft“ zum Ausdruck kommt. Das Eintreten des Westens für universelle Werte wie Menschenrechte und Demokratie wurde immer durch radikale Kritik der Gegenseite herausgefordert und im konkreten Fall -beispielsweise im Vietnamkrieg oder im Eintreten für das rassistische Südafrika -als unglaubwürdig „entlarvt“. Zum ersten Mal verfügt heute der Westen über alle Trümpfe und ein freies Feld, um seine Deutungen universeller Werte durchzusetzen. Weil sich selbst die grausamste Diktatur noch auf Demokratie und Menschenrechte berufen muß, will sie wenigstens den minimalsten Anschein von Glaubwürdigkeit wahren, wurde den Weltwirtschaftsmächten des Westens die neue Machtressource des „Weltguten“ zugespielt: Die Themen der globalen Zivilgesellschaft versorgen den global agierenden Westen mit dem ideologischen Rüstzeug für weltwirtschaftliche und militärische Interventionen
Diese neue Mischform von humanitärer Selbstlosigkeit und imperialer Machtlogik wird vorbereitet durch Entwicklungen, die man als Globalisierungszirkel in dem Sinne kennzeichnen kann.
Globalisierung (in welchem Sinne auch immer verstanden) impliziert die Schwächung staatlicher Souveränität und staatlicher Strukturen. Der Zusammenbruch nationalstaatlicher Institutionen hat sogar in den neunziger Jahren zu den menschlichen Tragödien und Kriegen geführt -in Somalia, Westafrika, Jugoslawien, Albanien sowie anderen Teilen der ehemaligen Sowjetunion: Ähnliches droht nun auch mit der Finanzkrise in Südostasien, beispielsweise in Indonesien. Auch wenn die Schwächung staatlicher Zentralmacht nicht alleine oder primär auf die neuen Einflüsse globaler Märkte zurückgeführt werden kann, so zeichnet sich doch ab, daß auf diese Weise staatliches Macht-und Legitimationsvakuum verschärft werden kann. Dies schließt ein, daß Kompromisse zwischen ethnischen Gruppen ihre Bindekraft verlieren und die latent gehaltenen Konflikte sich am Ende in Bürgerkriegen entladen. Da sich dies jedoch „vor den Augen der Weltöffentlichkeit“, also im Weltwahrnehmungshorizont „globaler Verantwortung“ vollzieht, wächst mit dem sich abzeichnenden Ausbruch von Gewalt und Chaos die Möglichkeit militärischer Interventionen des Westens.
Im „Globalisierungszirkel“ verknüpfen sich also „Notwendigkeiten“ des Weltmarktes und die „guten Vorsätze“ der globalen Zivilgesellschaft mit einer Verkettung „ungewollter Nebenwirkungen“ zu einer globalen zivilmilitärisch-humanitären Bedrohung (einschließlich aller Dilemmata, die diese Bedrohung auf allen Seiten aufwirft). Je erfolgreicher die Propheten des freien Weltmarktes global handeln -was einschließt, daß national-und territorial-staatliche Strukturen ausgehöhlt werden desto größer wird die nun kosmopolitisch motivierte Bedrohung immer weiterer Teile der Weltbevölkerung durch „humanitäre Interventionen“ des Westens. In einem Weltsystem schwacher Staaten, wie es im Zuge neoliberaler Weltpolitik propagiert und geschaffen wird, steht einem imperialen Mißbrauch der kosmopolitischen Mission dann nichts mehr im Wege.
Wie immer man es wenden mag, die Verbindung von globaler Ethik und globaler Politik schafft und schärft eine neue kulturelle Scheidelinie zwischen den Champions der neuen demokratischen Weltordnung, also den Ländern des Urwestens, und den „Globalen Anderen“, die diesen Maßstäben nicht genügen (können). Die „globale Gemeinschaft“ und ihre Werte werden definiert in Abgrenzung gegen diese „Global Underdogs“ der kosmopolitischen Epoche. Die OECD liefert ein gutes Beispiel dafür, wie anspruchsvoll klingende Deklarationen in diskriminierende Praktiken umgesetzt werden. Während die Sprache der OECD vorbehaltlose Neutralität signalisiert, ist ihre Auslegung und Umsetzung im konkreten Fall oft restriktiv. So wurde die eurozentrische Legitimität von OECD-Interventionen in die inneren Angelegenheiten osteuropäischer Staaten in der Genfer Vereinbarung vom Juli 1991 verkündet und festgeschrieben. Dort heißt es, daß die „Fragen nationaler Minderheiten . . . ganz allgemein zum legitimen Anliegen der internationalen Gemeinschaft gehören und insofern niemals ausschließlich die inneren Angelegenheiten des jeweiligen Staates ausmachen“
Um die weitreichenden Folgen dieser Sätze und damit auch den Widerstand gegen diese Vereinbarung im westlichen Lager einzudämmen, wurde eine hochbewegliche Interpretation für „nationale Minderheiten“ eingeführt. Dieser Teil des Berichts schreibt fest, daß „nicht alle ethnischen, kulturellen, sprachlichen oder religiösen Unterschiede notwendigerweise zur Schaffung nationaler Minderheiten führen“. Auf diese Weise wurde es ermöglicht, die Minderheitenfrage in westlichen Staaten, indem die Minderheiten als „nicht-nationale“ klassifiziert wurden, auszuklammern, also beispielsweise die Rechte der Indianer in den USA, der Türken in Deutschland, der Araber in Frankreich und der asiatischen und afrokaribischen Gemeinschaften in Großbritannien von der Tagesordnung der internationalen Politik abzusetzen.
Im übrigen muß die Frage erlaubt sein: Wer bestimmt eigentlich wie darüber, was die säkular-heiligen „kosmopolitischen Werte“ beinhalten? Bis auf weiteres ist der Verdacht begründet, daß sich darin auch eine „Verschweizerung der Welt“ Bahn bricht. Mit anderen Worten: das, was sich „kosmopolitisch“ gibt, entpuppt sich am Ende als westliche Kleinbürger-Moral im Größenwahn.