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„Entstrukturierung“ der Jugendphase. Zum Strukturwandel des Aufwachsens und zu den Konsequenzen für Jugendforschung und Jugendtheorie | APuZ 31/1998 | bpb.de

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APuZ 31/1998 „Entstrukturierung“ der Jugendphase. Zum Strukturwandel des Aufwachsens und zu den Konsequenzen für Jugendforschung und Jugendtheorie Einstellungen junger Deutscher gegenüber ausländischen Mitbürgern und ihre Bedeutung hinsichtlich politischer Orientierungen. Ausgewählte Ergebnisse des DJI-Jugendsurvey 1997 Jugendprobleme in den Medien. Zur öffentlichen Thematisierung von Jugend am Beispiel des Diskurses zur Jugendgewalt Jugend -Gewalt -jugendpolitischer Umgang. Eine Bilanz des Aktionsprogramms gegen Aggression und Gewalt

„Entstrukturierung“ der Jugendphase. Zum Strukturwandel des Aufwachsens und zu den Konsequenzen für Jugendforschung und Jugendtheorie

Richard Münchmeier

/ 28 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Jugend ist nicht nur eine subjektive biographische Lebensphase, sondern auch ein gesellschaftliches Muster mit bestimmten Anforderungen und Erwartungen (vor allem der Pflicht, sich auf das Erwachsenenleben vorzubereiten und sich für Erwerbsarbeit zu qualifizieren), die die Jugendlichen bewältigen müssen. Wenn in den letzten Jahren immer öfter von „Strukturwandel“ der Jugendphase die Rede ist, dann ist damit der Wandel dieses Musters gemeint: Die Bedingungen des Heranwachsens haben sich zum Teil einschneidend verändert und schaffen neue Rahmenbedingungen für die Jugend. Wie die 12. Shell-Jugendstudie (1997) gezeigt hat, haben die gesellschaftlichen Krisen, allen voran die Krise der Arbeitsgesellschaft, die Jugend erreicht und erschüttern sie in ihrem subjektiven Sinn. Gewandelt haben sich aber auch die objektiven -die familiären, schulischen, sozialisationsbezogenen -Bedingungen der Jugend. Jugendpädagogik und Jugendpolitik stehen damit vor neuen Herausforderungen. Die Folgen der „Entstrukturierung“ der Jugendphase machen sich schließlich in der Jugendforschung selbst bemerkbar: Sie tut sich schwer darin, Jugend altersmäßig klar abzugrenzen und sie auf die „jugendspezifischen“ Themen hin zu befragen. Je abhängiger Jugend von gesellschaftlichen Konstellationen wird, desto mehr erweitern sich Jugendthemen zu allgemeinen gesellschaftlichen Gegenwarts-und Zukunftsthemen. Es ist also danach zu fragen, ob sich Jugendforschung weiterhin auf die Befragung von Jugendlichen (Erhebung von Subjektdaten) beschränken kann oder zu einer Lebenslagenforschung werden muß, die auch sogenannte „objektive“ Sachverhalte und biographisch-gesellschaftliche Bedingungen in ihre Analysen einbezieht.

I. Jugend als gesellschaftliches Muster

Dem Alltagsverständnis zufolge scheint der Gegenstand der Jugendforschung leicht zu definieren und ebenso leicht abzugrenzen zu sein: Die Sozial-gruppe Jugend wird vor allem durch ihr Alter bestimmt, und sie wird als spezifische „Lebensaltersgruppe“ zwischen Kindheit und Erwachsen-sein begriffen, die die Phase der „Pubertät“ und der Ablösung von der Herkunftsfamilie, also der „Verselbständigung“, zu durchlaufen hat. Allenfalls könnten die Jugendforscher darüber streiten, innerhalb welcher Altersgrenzen die Jugend zu fassen sei, mit welchem Alter sie (durchschnittlich) beginne und wann sie ende.

Freilich wirft eine solche altersspezifische Definition von Jugend einige Fragen auf. Sie betreffen nicht nur die altersmäßige Eingrenzung. Denn selbst, wenn sich ein Konsens über die Grenzen der Altersphase Jugend erzielen ließe, so wäre damit noch nicht beantwortet, was die Jugendforscher die Jugendlichen fragen sollten oder fragen müßten, um diese zu verstehen. Das Lebensaltersmodell von Jugend ist nur scheinbar eindeutig; diese Eindeutigkeit basiert auf einer inhaltsleeren, rein formalen Definition, die man so formulieren könnte: Jugend umfaßt die Gruppe jener Menschen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt jung sind und einer bestimmten Altersspanne angehören. Was aber bedeutet „jung sein“, welche Inhalte, Chancen und Probleme sind damit verbunden, welche Bedingungen des Aufwachsens kennzeichnen dieses Alter, welche Anforderungen und Ressourcen finden Jugendliche vor? Viele derartige „inhaltliche“ Fragen ließen sich stellen; sie werfen das Problem auf, darüber nachzudenken, welche dieser Fragen die zentralen, die wichtigen sind, die gewissermaßen die Jugend strukturieren und ausmachen.

Die Frage, wie das „Jugend-Alter“ von der Kindheit einerseits, vom Erwachsenenalter andererseits abzugrenzen sei, wann Jugend beginnt und in welchem Alter sie endet, ist also keineswegs die Hauptfrage. Wichtiger ist es, von der Erkenntnis auszugehen, daß Jugend ein Strukturmuster darstellt, eine gesellschaftlich entwickelte und ausgestaltete Lebensform, die den Zweck hat, bestimmte gesellschaftliche Erfordernisse und Funktionen zu gewährleisten. Was Jugend bedeutet -und zwar sowohl für die Gesellschaft als auch für die jungen Menschen selbst -, wird weitaus stärker durch diese gesellschaftlichen Muster, durch die „Vergesellschaftung“ der Jugendphase bestimmt als durch das Lebensalter selbst.

Dies ist keineswegs eine neue Feststellung, sondern ein alter -freilich immer wieder vergessener -Erkenntnisstand der Jugendforschung. Jugend, wie wir sie heute kennen, als eigene Lebensphase zwischen Kindheit und Erwachsen-sein, mit eigenen Ordnungen und Aufgaben, ist ein Produkt und Projekt der europäischen Moderne seit dem Beginn des Industrialisierungsprozesses im 19. Jahrhundert. Seit jener Zeit hat sich ein Modell von Jugend herausgebildet und allmählich Allgemeingültigkeit erlangt. „Jugend“ bedeutet in diesem Modell: sich für später zu qualifizieren, sich auf das spätere Leben (vor allem auf Arbeit und Beruf) vorzubereiten. Ziel von Jugend ist vor allem die Herausbildung einer stabilen Persönlichkeit und einer integrierten Identität, um in einer sich individualisierenden, äußere soziale Kontrollen und festlegende Milieus abbauenden Gesellschaft bestehen zu können, sowie der für das (ökonomisch) selbständige Erwachsensein unabdingbare Erwerb von beruflichen Qualifikationen und Kenntnissen für Erwerbsarbeit, aber auch von sozialen Fertigkeiten und Kompetenzen für das Leben in der Arbeitsgesellschaft.

Die Durchsetzung und gesellschaftliche Verbreitung von „Jugend“ hat eine lange Geschichte. Jugend als eigene Lebensphase, als vom Zwang zur Lohnarbeit freigestellte Vorbereitungszeit auf das Erwachsenen-bzw. Arbeitsleben war zunächst ein Privileg der bürgerlichen Jugend. Und weil der „Sinn“ dieser Phase in der Herstellung von Arbeitsvermögen lag, wurde sie zunächst nur auf den männlichen Teil der Arbeiterjugend ausgeweitet. Die Mädchen sollten nicht auf die Welt der Lohnarbeit, sondern auf ihre Aufgaben als Hausfrau und Mutter vorbereitet werden. Ähnlich lagen die Verhältnisse für die ländliche Jugend: Aufgrund der durch Familienbetriebe geprägten ökonomischen Struktur auf dem Lande wurden männliche und weibliche Jugendliche dort sehr viel früher dem Zwang zur „Mitarbeit“ ausgesetzt als in der Stadt. Entsprechend schwächer ausgeprägt war die Lebensphase Jugend auf dem Lande, die hier stark „erwachsenenorientiert“ blieb.

Mit den sechziger Jahren begann eine weitere, zunehmend widersprüchlicher werdende Phase des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses, der unmittelbare Folgen für die Jugendphase hatte. Einerseits avancierte Jugend in dem Maße zum Adressaten und Hoffnungsträger der Modernisierung, in dem die ökonomische von der sozialen Modernisierung der Lebensverhältnisse abhängig wurde. Die soziale Modernisierung (Verbesserung der Bildungsvoraussetzungen, Erhöhung der Mobilitätsbereitschaft, Verwirklichung von Chancengleichheit, Abbau ungleicher Lebensverhältnisse, Demokratisierung, gesellschaftliche Partizipation durch politische Bildung usw.) sollte ja vor allem durch die Erweiterung und Modernisierung des Konzeptes „Jugend“ bewirkt und vorangetrieben werden. Dies ist zum einen an der damals einsetzenden Bildungsreformpolitik, zum anderen an der Ausweitung des Konzepts Jugend auch für Arbeiterjugendliche, Mädchen und die Jugend auf dem Lande ablesbar. Auf der subjektiven Ebene wird Jugend dadurch vor allem zu einer Bildungs-und Orientierungsphase. Sie wird damit vergleichsweise stärker als früher aus den konventionellen und traditionellen Zusammenhängen der Generationenabfolge und soziokulturellen Integration herausgelöst.

Andererseits höhlt der Modernisierungsprozeß gerade jene Strukturen aus, die soziale und gesellschaftliche Voraussetzungen und Bedingungen für das „Gelingen“ der Jugendphase sind. Im Zuge des sozialen Wandels werden die Grundlagen und die Zukunftsversprechen, die mit dem Konzept von Jugend verknüpft worden waren, ambivalenter, brüchiger, ungewisser. Das betrifft das Verhältnis der Generationen in Familie und Gesellschaft ebenso wie die Verlängerung von Schul-und Ausbildungszeiten bei gleichzeitig zurückgehenden beruflichen Chancen, die Pluralisierung von Lebensmustern und Wertorientierungen ebenso wie die steigenden Anforderungen an Selbständigkeit, Mobilität und Anpassungsfähigkeit

Worüber also muß man eigentlich reden und nachdenken, wenn man Kinder und Jugendliche -die „Jugend von heute“ -verstehen will? Ist es ihr ausgefallenes „Outfit“ -die schrillen Fisuren, die provozierende Kleidung? Ist es ihr expressiver Verhaltensstil, mit dem sie sich demonstrativ von den Erwachsenen abgrenzen und zugleich eine eigene Ästhetik kreieren? Sind es ihre „schnoddrigen“ Parolen, die auf oft sehr plakative Weise ihr Lebensgefühl auszudrücken suchen: „Wir haben null Bock aufgar nichts."?

So grell und provokant sich die heutige Jugend auch darzustellen vermag, die Forschung muß hinter diese bunte Fassade blicken. Zu sehr bleiben diese Züge an der Oberfläche, handelt es sich doch eher um Ein-und Auskleidungen, um Selbstinszenierungen, die sich noch dazu erstaunlich rasch mit dem Strom der Moden und Stile verändern. Sie machen als solche keinen Zugang zur Lebenssituation Jugendlicher möglich; sie sind „nur“ Reflex und Symptom der Probleme, auf die Kinder und Jugendliche in ihrer Lebenssituation treffen und mit denen sie sich auseinandersetzen müssen. Die beschriebenen Äußerlichkeiten fangen erst dann an „zu sprechen“ und etwas über heutige Kindheit und Jugend auszusagen, wenn man sie auf deren Lebenslagen bezieht und als Ausdruck ihrer Situation begreift.

II. Die Krise der Arbeitsgesellschaft und die Jugend

Die Befunde und Ergebnisse der 12. Shell-Jugend-studie haben besonders eindrücklich deutlich gemacht, was im Grunde alle wissen und was durch viele andere Studien bestätigt wird: Die gesellschaftliche Krise hat die Jugend erreicht. Jugend bedeutet ja ein Doppeltes: Sie ist einmal eine subjektive biographische Lebensphase, in der Aufgaben der inneren Entwicklung, des Lernens, der Identitätsbildung anstehen; zum anderen ist sie eine gesellschaftlich bestimmte Lebenslage, ab-hängig von gesellschaftlichen Bedingungen und Erwartungen, vor allem aber von der Zukunft und Zukunftsfähigkeit der zentralen Regelungen und Grundlagen unserer Arbeitsgesellschaft. In der Vorbereitung auf die Anforderungen der Erwachsenenrolle, insbesondere der Erwerbsarbeit als ihres ökonomischen Fundaments, liegt der biographische und gesellschaftliche Sinn der Jugend-phase.

Die Krisen im Erwerbsarbeitssektor: Arbeitslosigkeit, Globalisierung. Rationalisierung und Abbau oder Verlagerung von Beschäftigung sind inzwischen nicht mehr „bloß“ eine Randbedingung des Aufwachsens. Sie sind nicht mehr „bloß“ Belastungen des Erwachsenenlebens, von denen Jugendliche, die in einem Schonraum ihr Jugendleben führen, nicht betroffen sind. Sie haben inzwischen vielmehr das Zentrum der Jugendphase erreicht. Wenn die Arbeitsgesellschaft zum Problem wird, dann muß auch die Jugendphase als Phase der biographischen Vorbereitung auf diese Gesellschaft davon tangiert sein.

Unsere Studie zeigt deutlich, daß von allen Problemen am meisten die der Arbeitswelt die Jugend beschäftigen und nicht die klassischen Lehrbuch-probleme der Identitätsfindung, Partnerwahl und Verselbständigung. In der qualitativen Studie äußerten die Jugendlichen die Sorge, daß Massenarbeitslosigkeit, Lehrstellenmangel, Sozialabbau, Verarmungsprozesse von der Politik vernachlässigt würden, daß in absehbarer Zeit Lösungen nicht zu erwarten seien. Dies macht sie skeptisch und betroffen; sie fühlen sich von der Politik und den Erwachsenen im Stich gelassen und einflußlos.

Auf die ganz am Anfang des der Studie zugrunde liegenden Fragebogens offen gestellte Frage nach den „Hauptproblemen der Jugendlichen heute“ nennt fast jeder zweite die Arbeitslosigkeit. Besonders zu denken gibt, daß Arbeitslosigkeit um so öfter genannt wird, je älter die Jugendlichen sind: 18 Prozent der Jüngsten (d. h.der 12-bis 14jährigen), aber 58, 5 Prozent der 18-bis 21jährigen und sogar 62, 5 Prozent der 22-bis 24jährigen geben sie an. Dies weist auf Probleme der Jugend-phase hin, die direkt mit der Lösung der Probleme am Arbeitsmarkt Zusammenhängen, der den Übergang in die Selbständigkeit des Erwachsen-seins ökonomisch nicht mehr verläßlich sichert. So erklärt sich auch, daß bereits berufstätige Jugendliche mit 64 Prozent am häufigsten (häufiger noch als Beschäftigungslose) Arbeitslosigkeit als Hauptproblem der Jugend bezeichnen. Wer es „geschafft“ hat und Arbeit hat, hat offensichtlich Angst davor, daß das erreichte Ufer nicht so sicher ist, wie es sein sollte, und man wieder zurückfallen könnte. Es scheint so, als bestehe hierüber ein Konsens in der gesamten jungen Generation -die Angst um den Arbeitsplatz wird gewissermaßen zur „prägenden Generationenerfahrung“.

Und schließlich findet sich auch im Bereich der geschlossenen Fragen der Studie, mit denen eine Gewichtung der zur Zeit diskutierten wirtschaftlichen und sozialen Probleme erbeten wurde, ein in die gleiche Richtung weisendes Ergebnis: Als am problematischsten wird mit Abstand die „steigende Arbeitslosigkeit“ empfunden. Die steigende Arbeitslosenzahl wird von mehr als 92 Prozent (!) als großes oder sehr großes „Problem für unsere Gesellschaft“ empfunden; mehr als 88 Prozent sehen darin ein „Problem, das die persönliche Zukunft stark oder sehr stark beeinträchtigen“ wird. Auf die Frage, ob es in der Zukunft „für alle einen angemessenen Arbeitsplatz geben“ und „die Arbeitslosigkeit verschwinden wird“, antworten nur sieben Prozent mit „wahrscheinlich“, ein Prozent antwortet mit „bestimmt“.

Düstere und zuversichtliche Zukunftsvisionen halten sich zur Zeit die Waage. Das entspricht dem Befund, daß auf Seiten der persönlichen Zukunftserwartungen die Antwortvorgabe „gemischt, mal so -mal so“ mit 51 Prozent von den meisten Befragten zur Charakterisierung ihres Urteils gewählt wurde und im Vergleich zu 1991 den größten Zuwachs (plus 14 Prozent) verzeichnet. Mit „gemischten Gefühlen“ die persönliche Zukunft zu betrachten scheint die Reaktion auf die Ambivalenz der Zukunftserwartungen in dieser Gesellschaft zu sein.

III. Kindheit und Jugend in einer sich verändernden Familie

1. Wo Jugendliche aufwachsen: Veränderungen der familialen Strukturen und ihre pädagogischen Folgen Immer noch wächst die übergroße Mehrheit junger Menschen in Familien auf. Aber die Familien wandeln sich, was die Größe, die Formen, den Zusammenhalt angeht. Während um 1900 durchschnittlich jede Frau noch vier Kinder bekam gebären heute die 1960 geborenen Frauen im Durchschnitt noch 1, 63 Kinder (im Osten 1, 77, imWesten 1, 57 Der Rückgang beruht einerseits auf der Verkleinerung der Familiengröße und andererseits der häufigeren freiwilligen Kinderlosigkeit. Als Folge hiervon hat der Anteil der Einzelkinder zugenommen. Die vielfach verbreitete Annahme, daß bereits jedes zweite Kind ein Einzelkind sei, beruht jedoch auf Fehlinterpretationen der amtlichen Familienstatistik, die immer nur den aktuellen Familienstand erhebt, nicht jedoch die einzelne Familie im Zeitverlauf untersucht. Betrachtet man lediglich die Gruppe der Sechs-bis Neunjährigen, bei denen die Wahrscheinlichkeit am größten ist, daß jüngere Geschwister bereits geboren sind und ältere noch zu Hause wohnen, und ermittelt man in dieser Altersgruppe die korrekte Geschwister-zahl, so ergibt sich für Deutschland im Durchschnitt ein Anteil von 19 Prozent Einzelkindern; in den alten Ländern wird dieser Wert unter-, in den neuen Ländern überschritten. In der Tendenz steigt die Geschwisterzahl im Westen seit 1989 sogar an, wogegen sie im Osten weiterhin deutlich zurückgeht

Doch unabhängig von der partiellen Fehlinterpretation der Daten ergibt sich für die Erziehungsinstitutionen durch die steigenden Zahlen von Einzelkindern ein besonderer Handlungsbedarf. Denn Einzelkinder sind mehr als andere auf Gleichaltrigenkontakte außerhalb der Familien angewiesen. Neben den informellen Cliquen stehen ihnen dafür vor allem die institutionellen Angebote der Kinder-und Jugendarbeit oder die kommerziellen Angebote (Freizeit-und Spielfarmen, Clubs, Sport-und Kulturangebote usw.) aus einem expandierenden Markt zur Verfügung. Diese „Entlastungsmöglichkeiten" in der Gleichaltrigengeselligkeit (deren wachsende Bedeutung durch die neuere Jugendforschung übereinstimmend zum Ausdruck kommt) werden auch deshalb wichtiger, weil „die Einzelkinder... in einer familiären Kommunikationsstruktur (leben), die von ihren Eltern dominiert wird, in der das Kind die an Kinder gerichteten Wünsche und Erwartungen der Eltern alleine zu erfüllen hat. Gerade in Konflikt-situationen mit den Eltern haben diese Kinder und Jugendlichen wenig Entlastungs-und Unterstützungsmöglichkeiten durch Geschwister“

Für die Kinder-und Jugendpädagogik ergibt sich daraus nicht einfach nur die Aufgabe, die Sozialisationsleistung der Ein-Kind-Familie zu stützen; sondern hinzu kommt eine sozialinfrastrukturelle Aufgabe, die darin besteht, Gelegenheitsstrukturen zu schaffen und das heißt auch soziale Räume für von Erwachsenen nicht kontrollierte Gleichaltrigenerfahrungen anzubieten. Die Notwendigkeit zu solchen infrastruktureilen Leistungen wird auch deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß die Tendenz zur Ein-Kind-Familie auch zur Folge hat, daß die verwandtschaftlichen Netzwerke und Solidarsysteme sich lockern. Schon Mitte der achtziger Jahre hat der Kinder-und Jugendpsychiater Reinhard Lempp darauf hingewiesen, daß der Über-gang zur Form des geschwisterlosen Aufwachsens „die Tür zur onkellosen Gesellschaft öffnet“. Er hätte auch von einer tantenlosen, Cousinen-oder cousinlosen Gesellschaft sprechen können. Denn schon in der nächsten Generation werden die Kinder, deren Eltern Einzelkinder waren, onkel-oder tantenlos aufwachsen und keine Cousinen oder Cousins haben Für sie werden solche „erweiterten Verwandtschaftssysteme“ nicht mehr gegeben sein, sie werden die ersten Schritte zur Lockerung der Einbindung in die Herkunftsfamilie (Ferien bei Onkel oder Tante; Reisen mit Cousinen oder Cousins) nicht mehr innerhalb verwandtschaftlicher Strukturen machen können.

Von Sozialpsychologen wird angesichts des geschwisterlosen Aufwachsens dieser großen Zahl von Kindern auf eine potentielle Gefahr hingewiesen: Es könnten damit die Grundvoraussetzungen für soziale Solidarität in der Gesellschaft gefährdet werden. Denn bisher galt vor allem die Mehr-Kinder-Familie mit der ihr eigenen „Geschwisterrivalität" als psychologischer Lernort für die Fähigkeit, eigene Interessen zu verfolgen und gleichzeitig konkurrierende Interessen zu respektieren, Zuwendung und Liebe (der Eltern) teilen zu können, also Kompromisse zu schließen -Lernerfahrungen, die für das „soziale Klima“ der Gesellschaft auf der Ebene mitmenschlicher Beziehungen unverzichtbar sind. Die „moralische Haltung“ der „organischen Solidarität“ wurde nach allgemeiner Auffassung bisher am ehesten in der Mehr-Kinder-Familie eingeübt. Es stellt sich also die Frage, ob und wo es in unserer Gesellschaft „funktionale Äquivalente“, Ersatzorte für diesen notwendigen Lernort der Kultivierung der Konfliktaustragung geben könnte. Überhaupt wäre einiges über die erzieherische Produktivität des Konflikts und der zivilisationsverträglichen Zähmung der Rivalität neu zu lernen. Konflikte sind in unserer Gesellschaft eher unerwünscht. In der Schule sind sie ein unerwünschtes „Disziplin-problem“ und werden als nicht zur Sache gehörend eher zur Seite gedrängt. Die latente „Harmoniesucht“ verhindert, die Interessen-und Meinungsverschiedenheiten nicht als peinlich, sondern als ein für die gemeinsame Verständigung und Weiterentwicklung produktives Ferment zu verstehen. Behalten die Sozialpsychologen recht, sollten jene Alltagsorte einer kultivierten Konfliktregelung aufmerksamer als bisher betrachtet und erzieherisch genutzt werden. 2. Zwischen Schonraum und Verselbständigung:

Junge Menschen und alltägliche Lebensbewältigung Kinder und Jugendliche sind heute stärker als früher mit ernsthaften Problemen des Alltags und mit schwierigen Aufgaben zu dessen Bewältigung konfrontiert. Durch die Zunahme von Trennungen der Eltern, Scheidungen und Wiederverheiratungen erfährt ein wachsender Anteil von ihnen Familie nicht mehr als im Zeitverlauf stabile Bezugs-gruppe, sondern wird mit Diskontinuität, Trennung und Wechsel konfrontiert. Junge Menschen behalten ihre leiblichen Eltern nicht mehr selbstverständlich auch als soziale Eltern; sie werden zunehmend in Prozesse der neuerlichen Partner-findung ihrer leiblichen Väter und Mütter involviert und müssen die relativ „reife“ soziale Kompetenz aufbringen, sich aus Intimbindungen zu lösen, neue einzugehen und mit „erweiterten Verwandtschaftssystemen“ zurechtzukommen.

Die Durchbrechung der traditionellen Grenzen zwischen Jugendalltag („Schonraum“) und Erwachsenenalltag („Ernst des Lebens“) wird schließlich noch verstärkt durch die zunehmende Mediennutzung im Alltag. Traditionell -seit der Trennung von Lohn-und Hausarbeit und der Nach-draußen-Verlagerung der Welt der Erwachsenen -wurden Jugend-und Erwachsenenalltag als zwei voneinander getrennte Erfahrungs-und Erlebnisbereiche angesehen. Und aus der Sicht der bürgerlichen Pädagogik sollte dies auch so sein Die noch unselbständige und unbeherrschte jugendliche Seele sollte behütet und vor den realen Gefahren des Erwachsenenalltags „draußen“ beschützt werden.

Durch die Verbreitung vor allem der audio-visuellen Medien (Fernsehen und Video) im Alltag der Familie ist diese Trennung der Wirklichkeitsbereiche tendenziell aufgehoben worden. Themen aus der „Erwachsenenwelt“ wie Waldsterben, Tschernobyl, Bürgerkrieg, Klimaveränderungen etc. werden über die Medien zu einem gemeinsamen Gesprächsstoff zwischen Kindern und Erwachsenen.

Es kann nicht verwundern, daß unter diesen alltäglichen Belastungen und Kompetenzanforderungen im Bereich vor allem der frühen Jugend Entlastungen und Gegenwelten nicht nur notwendig, sondern regelrecht provoziert werden. Der Wunsch nach „Wildsein“, nach „Undiszipliniertsein“, lustvollem „Über-die-Stränge-Schlagen", „Sichaustoben“ nimmt zu, je früher die Leistungen der Selbstdisziplinierung (Norbert Elias) abverlangt werden. Gleichzeitig aber werden die Toberäume, die Bolz-und Spielplätze, an denen sich ungebärdiges Jugendleben entfalten kann, in unserer Gesellschaft immer knapper. So drängen die nicht auslebbaren Bedürfnisse in die „geordnete Welt“ hinein und suchen Befriedigung in den „Zwischenräumen“ den Räumen zwischen den Institutionen. Das sind zum Beispiel der Schulpausenhof, die Schülerfreizeit, das Wochenendseminar, die Straße, der Bahndamm usw. Es stellt sich die Frage, ob die „Verwalter der Ordnung“ (Eltern, Lehrer, Pädagogen, Hausmeister) den Hintergrund solcher „Wildheit“ verstehen und wie sie mit diesen „Störungen“ umgehen. Die Gefahr, eine weitere Spirale in einem Teufelskreis in Gang zu setzen, also auf die aus dem „Leiden“ an zuviel Regeln ausbrechende Regellosigkeit mit neuen Regeln (z. B. verschärfter Hausordnung) zu reagieren, ist sicher nicht immer leicht zu umgehen.

IV. Von der Schwierigkeit, Jugend heute zu verstehen

1. Jugend läßt sich nicht mehr als Statuspassage verstehen Seit Helmut Schelsky verstanden die jugend-soziologischen Theorien „Jugend“ vorrangig als Übergangsphase vom Status der Kindheit in die „sozial generell und endgültig gedachte Rolle des Erwachsenen“. Aus jugendpädagogischer Sicht ermöglichte diese Definition von Jugend als „Statuspassage“ eine relativ klare Interpretation und Synchronisation der jugendspezifischen Entwick-lungsaufgaben: die Vorbereitung auf die Bedingungen und Merkmale der Erwachsenenexistenz, also auf berufliche und soziokulturelle Mündigkeit. Berufliche Qualifikation (für männliche Jugendliche) bzw. Vorbereitung auf die Aufgaben als Hausfrau und Mutter (für Mädchen) und Festigung einer erwachsenen Identität standen im Mittelpunkt der Lernaufgaben; durch Etablierung im Beruf, Ablösung von der Herkunftsfamilie und Gründung einer eigenen Familie wurde die Jugendphase beendet.

Nach diesem Verständnis war es selbstverständlich, daß den Jugendlichen die volle soziokulturelle Autonomie (z. B. im Bereich der Sexualität, des eigenen Wohnens, des Zugangs zum Konsum, im Bereich der Freizeitgestaltung) so lange vorenthalten blieb, wie die eigenständige ökonomische Selbständigkeit noch nicht erlangt war; das Erreichen der soziokulturellen und der ökonomischen Selbständigkeit verlief zeitlich relativ synchron (also innerhalb eines nur wenige Jahre umfassenden Zeitraums). Diese „Vorenthaltung“ von Selbständigkeit wurde immer auch jugendpädagogisch nach dem Prinzip der „verschobenen Belohnung“ (deferred gratification) als Lernmotivation genutzt: „Wer heute verzichtet, Bedürfnisse aufschiebt, sich aber qualifiziert, durch Bildung sich vorbereitet -der wird später (als Erwachsener) bessere soziale und berufliche Chancen haben.“ Dieses Prinzip wurde als „bildungsoptimistischer Lebensentwurf“ bezeichnet

Nach einhelligem Konsens in der Jugendforschung hat die Jugendphase heute ihre deutliche Abgrenzung sowohl von der Kindheit als auch vom Erwachsensein verloren; das Verständnis von Jugend als Statuspassage ist ins Schwimmen geraten. Die für die traditionelle Adoleszenzphase (der ca. 15-bis 19jährigen) beschriebenen Verhaltensformen von demonstrativer Ablösung, Selbstsuche, experimenteller und expressiver Selbstinszenierung usw. scheinen sich nach den Befunden der Schüler-und Jugendforschung heute biographisch vorzuverlagern und in das Alter der 10-bis 14jährigen „Kids“ hineinzuschieben. Andererseits aber hat sich die Jugend-phase (im Sinne der Vorbereitungs-und Qualifikationsphase und fehlender bzw. instabiler ökonomischer Selbständigkeit) infolge der Bildungsexpansion und der Arbeitsmarktveränderungen und -probleme verlängert. 2. Jung sein heißt heute Schüler sein Seit den Anstrengungen der Bildungsreformpolitik vor allem in den siebziger Jahren hat sich nicht nur die Beteiligung an Bildung erheblich erhöht, sondern auch die durchschnittliche Verweildauer im Bildungswesen ausgeweitet. Die unmittelbare Folge ist die „Verlängerung der Jugendphase“. Wie Klaus Allerbeck und Wendy Hoag ermittelt haben, waren 1962 bereits fast 40 Prozent der Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren „erwerbstätig“ (hinzu kamen nochmals fast 40 Prozent „Azubis“) und nur knappe 20 Prozent waren noch Schüler. Heute dagegen ist von allen jungen Menschen zwischen 16 und 20 Jahren nur noch ein Prozent schon erwerbstätig; ein Drittel sind Azubis, aber gut 50 Prozent sind Schüler Bis zum Erreichen der Volljährigkeit, ja bis zum Beginn des dritten Lebensjahrzehnts heißt jung sein heute deshalb für die Mehrheit „Schüler sein“.

Dies wirft einige Probleme auf, auf die institutioneile und pädagogische Antworten gefunden werden müssen: -Höhere Bildungsbeteiligung und entsprechend längere Verweildauer bedeuten einen weiteren Schritt in Richtung auf die sogenannte „Entmischung der Generationen“. Die Schule ist wegen ihrer organisatorischen Gliederung in Stufen und Klassen eine Gesellschaft von Altersgleichen. Je länger man Schüler ist, desto länger verbleibt man in einer Gruppe von Gleichaltrigen. Generationsdurchmischte Situationen, wie sie z. B. am Arbeitsplatz typisch sind, werden in der Jugendphase seltener und damit auch die Möglichkeiten, sich an den Älteren zu „reiben“, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, sich von ihnen abzugrenzen, um sich selber und seine eigene Identität zu finden. -Was „Jungsein“ bedeutet, ergibt sich heute deshalb weniger aus dem Konflikt und der Abgrenzung zu den „Alten“, sondern aus dem Vergleich mit und dem Zugehörigseinwollen zu den Gleichaltrigen. Jugend ist der Maßstab von Jugend. Sie bleibt gewissermaßen „unter sich“, sie „verjugendlicht“. Damit ändert sich auch der von Eduard Spranger einst beschriebene psychologische Prozeß der Identitätsfindung: Nicht mehr das Herausarbeiten der „Diffe-renz“ (ja nicht so sein wie die Erwachsenen), sondern die „Identifikation“ mit und „Imitation“ von Gleichaltrigen scheint wichtig (so sein wollen wie alle sind). Damit geht die Bedeutung der von Spranger so hoch geschätzten Auseinandersetzung mit Überlieferung und Tradition (deren Repräsentanten die Erwachsenen sind) zurück. Die oft zu beobachtende Gleichgültigkeit Jugendlicher gegenüber gesellschaftlich-kulturellen oder religiösen Überlieferungen scheint hier eine Wurzel zu haben.

Weil junge Leute heute länger im Bildungswesen verbleiben und deshalb im Durchschnitt höhere formale Bildungsabschlüsse erwerben als je zuvor, werden sich -ganz abgesehen von allen sonstigen sozialen und ökonomisch-technischen Veränderungsprozessen -ihre Lebensläufe anders entwickeln als die ihrer Eltern. „Du sollst es einmal weiter bringen als wir“, sagen die Eltern und schicken deshalb ihre Kinder auf weiterführende Schulen. Darin liegen aber zwei Probleme: Zum einen wächst der Druck, diese bessere Zukunft zu erreichen trotz sich verschlechternder gesellschaftlicher Zukunftschancen; zum anderen bedeutet dies, daß der Lebensweg der Eltern, ihre biographischen Entscheidungen und Erfahrungen nicht mehr einfach als Beispiel dafür genommen werden können, wie das Leben so verläuft und wie man sich darin einrichten kann. Vielmehr muß die Mehrzahl der jungen Leute nach eigenen Wegen suchen, eigene Lebensstile entwickeln, das Leben „in die eigenen Hände nehmen“, ohne sich am Beispiel der Eltern vergewissern zu können, mit welchen Risiken und Chancen welche Arten von Entscheidungen verbunden sind. Entsprechend wachsen die Orientierungsprobleme der Jugendlichen. 3. Die bildungsoptimistische Perspektive wird brüchig Spätestens seit Beginn der achtziger Jahre ist im Zusammenhang mit der Verknappung der beruflichen Ausbildungschancen und der angespannten Arbeitsmarktsituation, mit der Ausdifferenzierung von beruflichen Umwegen und Warteschleifen die einfache bildungsoptimistische Gleichung für eine wachsende Anzahl von Eltern und Jugendlichen fragwürdig geworden: Gute schulische Abschlüsse bedeuten nicht mehr quasi automatisch gute berufliche Chancen. Sie sind zwar nach wie vor eine notwendige, aber für sich genommen keineswegs mehr eine hinreichende Voraussetzung für entsprechende berufliche Karrieren.

Insbesondere an der biographischen Schwelle des Übergangs vom Jugend-ins Erwachsenenleben gehören heute Arbeitslosigkeit, Warteschleifen, Umwege und Zwischenbeschäftigungen für eine größere Gruppe zur Normalität. Während sich die Situation bei der Versorgung mit Berufsausbildungsplätzen (= erste Schwelle des Übergangs) seit einigen Jahren (jedenfalls in Westdeutschland) rein quantitativ entspannt hat, sind die Probleme an der zweiten Schwelle geblieben -wie ein Blick z. B. auf die Statistik der Arbeitslosigkeit zeigt. Der Berufseintritt vollzieht sich heute kaum noch „geradlinig“, sondern erfolgt häufig über Umwege, Zwischenschritte, Umschulungen und Weiterqualifizierungen verschiedenster Art sowie durch die oft zitierten Warteschleifen hindurch. Inzwischen gibt es ein durch die Arbeitsverwaltung, das berufliche Bildungswesen, durch Schule, Jugendhilfe und kommunale Stellen komplex ausgebautes „Angebot“ an Auffang-, Ausbildungs-, Orientierungs-und Betreuungsmöglichkeiten. Es handelt sich um Maßnahmen, die die destabilisierten Übergänge ins Erwachsenen-und Erwerbsleben „flankierend“ oder „kompensatorisch“ stützen sollen.

Im Abbröckeln des bildungsoptimistischen Lebensentwurfs und in der Verunsicherung der Normalbiographie liegt „das“ zentrale Problem der Jugendlichen heüte -auch dann, wenn sie noch in der Schule lernen und erst auf die Arbeitswelt zugehen. „Der erste zentrale Kristallisationspunkt der gegenwärtigen Problematik besteht nun darin, daß dieser Zusammenhang objektiv, real brüchig geworden ist und daß diese , Funktionslüge hinsichtlich der Rolle des Bildungssystems für soziale Chancen und Fortkommen von den Heranwachsenden selbst durchschaut wird, daß aber , offiziell an der Vorstellung, daß dies noch so sei, festgehalten wird. Es ist dieses , als ob’, mit allen seinen Konsequenzen, das als einer der tiefer liegenden Kerne gegenwärtiger Problematik identifiziert werden muß.“ 4. Belastungen des Schülerseins Wegen der tendenziellen Abwertung der unteren Bildungsabschlüsse zugunsten höherer sowie wegen der durch den generell verengten Arbeitsmarkt verursachten höheren interindividuellen Konkurrenz wächst die Nachfrage nach sogenannten „weiterführenden“ Bildungsgängen und höheren Bildungsabschlüssen. Dies führt zu einem Anstieg des durchschnittlichen formalen Bildungsniveaus der jungen Generation, wodurch sich die vorausgesetzten Eingangsqualifikationen „aufschaukeln“. Dadurch steigen abermals die Erwartungen an die Jugendlichen, einen (noch) höheren Bildungsabschluß anzustreben. (Dieter Mertens hat diese Situation als ein „Qualifikationsparadox“ beschrieben Im Rahmen einer Untersuchung der Arbeitsstelle Schulentwicklungsforschung antworteten im Jahr 1979 auf die Frage „Welchen endgültigen Schulabschluß sollte Ihr Kind Ihren Wünschen nach erreichen?“ 31 Prozent der Eltern mit „Hauptschulabschluß“ und 37 Prozent mit „Abitur“. Bis zum Jahr 1985 sank der Anteil derer, die den Hauptschulabschluß nannten, auf 11 Prozent, das Abschlußziel Abitur gewann an Bedeutung. Es wurde von 54 Prozent der Befragten genannt. Diese Anhebung der Ausbildungszielvorstellungen ist Ausdruck des genannten Qualifikationsparadoxes.

Diese Anhebung signalisiert natürlich auch, daß die Bedeutung, die Schulerfolg für den weiteren Lebensweg hat, nicht nur objektiv, sondern auch in der subjektiven Wahrnehmung enorm gestiegen ist. Damit hat sich zugleich der Stellenwert der individuellen Erfolgs-bzw. Versagensbilanz erhöht. Die subjektiven Ängste, den angestrebten Schulabschluß nicht zu erreichen und damit geringere Berufschancen zu haben, wachsen. Von einer gewissen Anzahl Jugendlicher wird das Scheitern in weiterführenden Schulen als persönliches Versagen wahrgenommen und ängstlich abgewehrt. Aus einer repräsentativen Untersuchung von Klaus Hurrelmann, Birgit Holler und Elisabeth Nordlohne geht hervor, daß durchschnittlich 49 Prozent der befragten Jugendlichen „unsicher“ sind, „ob sie die favorisierten Schulabschlußpläne verwirklichen können“ Ein noch höheres Niveau der Unsicherheit zeigt sich an der Naht-stelle von Schul-und Erwerbssystem. Auf die Frage: „Wie sicher oder unsicher bist Du Dir, daß Deine beruflichen Wünsche in Erfüllung gehen?“ bekunden 65 Prozent der Befragten Unsicherheit. Dieses gilt nicht etwa primär für die von besonderer Chancenungleichheit betroffenen Hauptschüler, sondern gerade auch für Gymnasiasten, deren höhere Aspirationen offenbar ein höheres Unsicherheitsniveau implizieren können.

Insbesondere bei auftretenden Schulleistungsschwierigkeiten fühlen sich die davon betroffenen Jugendlichen in ihren beruflich-biographischen Zukunftschancen besonders betroffen und reagieren mit Versagensgefühlen Wie stark sich diese Ängste ausprägen, hängt in erster Linie vom Erwartungsdruck seitens der Eltern und von der Qualität der emotionalen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern ab. Vermutlich aus Angst vor der Gefährdung der beruflichen Chancen der Kinder durch schulische Leistungs-und Laufbahnprobleme neigen viele Eltern dazu, den Druck auf die Jugendlichen zu erhöhen, die vorgefaßten Status-erwartungen einzulösen. Schulschwierigkeiten belasten damit die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern relativ stark. Die daraus entstehenden Konflikte und Spannungen im Familienleben müssen als direkte Verstärker psychosomatischer Störungen identifiziert werden. „Mit der Gefährdung der schulischen Laufbahnperspektive ist also auch immer eine Gefährdung der sozialen Beziehungen zu den Eltern verbunden, weil diese Beziehungen stark über die schulische Leistungsposition mitdefiniert werden.“

V. Mädchen und der Wandel der weiblichen Biographie

Mädchen und junge Frauen weisen seit längerer Zeit eine wesentlich höhere Berufsorientierung auf: Für sie ist Berufstätigkeit die Basis einer selbständigen Lebensführung und damit eines ihrer wichtigsten Lebensziele. In dem Maße, in dem die weiblichen Biographiemuster sich gewandelt haben bzw. (immer noch) wandeln und die meisten Mädchen Selbständigkeit durch Verbindung von Erwerbs-und Hausarbeit leben wollen, werden Bildungsabschlüsse als Zugang zur Erwerbsarbeit wichtig. Allerdings erfahren Mädchen wegen der geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes und der höheren Zugangsbarrieren für das weibliche Geschlecht eine stärkere Verunsicherung; sie wissen nicht, ob sie ihre Berufs-und Lebenspläne verwirklichen können. „Die Probleme beginnen bereits beim Einstieg in die Berufsausbildung. Junge Frauen haben es erheblich schwerer als junge Männer, einen Ausbildungsplatz nach ihren Vorstellungen zu finden, dabei sind sie weniger stark als diese auf einen einzigen Beruf fixiert. Obgleich sie im Durchschnitt höhere Schulabschlüsse vorzuweisen haben als die männlichen Schulabgänger, müssen sie intensiver suchen als diese, um eine Lehrstelle zu bekommen . . . Der Beruf, in dem junge Frauen schließlich ausgebildet werden, ist dann auch seltener als bei den jungen Männern der von Anfang an gewünschte Beruf, und ebenso würden sie weniger häufig als die jungen Männer diesen Beruf wieder ergreifen . . . Diese Befunde machen deutlich, daß gerade bei den jungen Frauen die faktische Verteilung der Auszubildenden auf die Ausbildungsberufe keineswegs ausschließlich auf individuelle Präferenzen und Wünsche zurückgeführt werden kann. Besonders ausgeprägt ist das Auseinander-klaffen zwischen individuellen Berufsvorstellungen und faktischem Ausbildungsberuf bei den , typischen 4 Frauenberufen Verkäuferin und Kauffrau im Einzelhandel.“

Das zweite große Problem von biographischer Bedeutung ist für Mädchen die Frage, ob sie Ehe-und Lebenspartner finden werden, die bereit sind, partnerschaftlich eine gleichgewichtigere Verteilung von Haus-, Kinder-und Familienarbeit sowie von Berufsarbeit nicht nur theoretisch zu akzeptieren, sondern auch praktisch mitzutragen. Die bisherigen Befunde der einschlägigen Forschung weisen eher darauf hin, daß junge Männer zwar verbal und voller guter Absichten ihre Bereitschaft zur Mithilfe bei Haushalt und Kindererziehung bezeugen, daß aber von diesen guten Absichten in der Praxis -vor allem nach der Geburt des ersten Kindes-wenig übrigbleibt. Die sogenannte „Doppelbelastung“ der Frauen scheint deshalb auch für die Mädchen heute die realistischere Perspektive

VI. Vom Gehorsam zur Selbständigkeit. Wandel der Sozialisationsweisen

Die Erziehungsstile in Elternhaus und Schule haben sich, wie wissenschaftliche Untersuchungen übereinstimmend zeigen, in den letzten Jahren auffallend verändert. Während 1951 „Gehorsam und Unterordnung“ noch für 25 Prozent der Bevölkerung ein wichtiges Erziehungsziel waren, galt dies 1983 nur noch für 9 Prozent. Dagegen hat das Erziehungsziel „Selbständigkeit und freier Wille“ einen Anstieg der Zustimmu Prozent der Bevölkerung ein wichtiges Erziehungsziel waren, galt dies 1983 nur noch für 9 Prozent. Dagegen hat das Erziehungsziel „Selbständigkeit und freier Wille“ einen Anstieg der Zustimmung von 28 Prozent (1951) auf 49 Prozent (1983) erfahren 23. In einer repräsentativen DJI-Befragung von mehr als 10 000 Familien (1989) nannten 92 Prozent „Selbstvertrauen“ und 84, 2 Prozent „Selbständigkeit“ als wichtigste Erziehungsorientierungen (ohne daß freilich die Orientierungen „Pflichtbewußtsein“ [73, 3 Prozent], „Fleiß“ [66, 2 Prozent] und „Gehorsam“ [55, 4 Prozent] aufgegeben worden wären). „Nicht der egoistische Individualist, der sich in der Ellenbogengesellschaft durchzusetzen versteht, schwebt Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder heute vor, sondern ein selbstbewußter, persönlichkeitsstarker, aber gleichzeitig kooperativer Mensch, der verantwortungsbewußt von seinen Rechten Gebrauch macht und seine Pflichten erfüllt sowie Verständnis für den Mitmenschen aufzubringen vermag. 24

Von ähnlichen Veränderungen ist der Erziehungsund Umgangsstil in der Schule gekennzeichnet. Auch dort hat die autoritäre Distanz zwischen Lehrer und Schüler abgenommen und ist einer „partnerschaftlichen Umgangskultur“ gewichen 25. Die Zielwerte „Ordnung und Disziplin“, „gute Umgangsformen“ und „Achtung“ haben auch in der Schule einen drastischen Bedeutungsverlust, „eigene Urteilsfähigkeit“, „persönliche Selbständigkeit“ und „Selbstbewußtsein“ dagegen eine enorme Aufwertung erfahren Eltern und Schule setzen also heute stärker auf Selbständigkeit und Eigenkompetenz als optimale Voraussetzungen für das Vorankommen in der Wettbewerbs-und Leistungsgesellschaft als auf Erziehung zur Bedürfnislosigkeit, Bescheidenheit, Ein-und Unterordnung.

Hinter diesem Wertewandel im Bereich der Erziehung steht die sogenannte „Enttraditionalisierung“ der Muster unserer Lebensführung. Damit ist gemeint, daß traditionelle Muster und Leitbilder ihre einerseits verbindliche (sozial-kontrollierende), andererseits orientierende (und damit entlastende) Funktion verloren haben. Dies betrifft insbesondere traditionelle religiöse Muster, aber eben auch die „Einordnungs-und Bescheidenheitskultur“, die noch in den fünfziger Jahren wirksam war. Enttraditionalisiert werden aber auch die Muster der Lebensplanung und Lebensführung: Was eine oder einer wird bzw. werden kann, ist ihr oder ihm nicht mehr in die Wiege gelegt, ist also nicht mehr von der familiären Herkunft und den lokalen Bedingungen abhängig. Die Öffnung des Bildungssystems für (der Tendenz nach) alle Jugendlichen und die gestiegenen Möglichkeiten zu überregionaler Mobilität haben dazu geführt, daß -jedenfalls dem Anspruch nach dem Leitbild zufolge -die Chancen der Meisterung des Lebenswegs vor allem von der individuellen Leistungsbereitschaft, der Qualifikation und von der individuellen sozialen Kompetenz abhängig sind. „Enttraditionalisierung“ bedeutet also einerseits eine größere „Freisetzung“ aus traditioneller Bindung und Kontrolle und verspricht damit eine stärkere „Pluralisierung" der legitimen Lebensmuster; es bedeutet aber andererseits auch einen höheren Druck auf die Individuen und damit eine „Individualisierung“ der Lebenschancen und der Verantwortung für den eigenen Lebensweg.

VII. Interpretationen der Jugend-theorie und Konsequenzen für die Jugendforschung

Es liegt auf der Hand, daß die hier nur global und ansatzweise genannten Aspekte des Strukturwandels bzw.der Entstrukturierung „Rückwirkungen“ auf die Konfiguration Jugend haben, und zwar sowohl auf deren gesellschaftliche Organisation und Struktur als auch auf die Altersgruppe derer, die heute „ihre Jugend leben“ müssen. Schon zu Beginn der siebziger Jahre hat die französische Soziologin Nicole Abboud gegen jeden Versuch einer „Vergegenständlichung“ der Jugend argumentiert: „Jugend existiert nicht als Strukturprinzip per se, sondern vielmehr als mehr oder weniger direktes Produkt einer bestimmten gesellschaftlichen Praxis.“ So ist denn auch in den letzten 15 Jahren in der jugendtheoretischen Debatte über Vorschläge diskutiert worden, wie sich diese Wechselwirkung zwischen der gesellschaftlichen Entwicklung und den Strukturproblemen der Jugendphase fassen und in ihren Auswirkungen auf Orientierungen und Lebenspraxis der Jugendlichen bestimmen lasse. Es sind mehrere komplexe Interpretationen vorgelegt worden, die unter den Stichworten „Strukturwandel und Entstrukturierung der Jugendphase“, „Jugend -eine Als-ob-Struktur“, „Destandardisierung durch Differenzierung und Individualisierung“ diskutiert werden.

Mit der These vom „Strukturwandel der Jugend-phase“ wird eine einschneidende Veränderung der Lebensbedingungen junger Menschen im Kontext des allgemeinen gesellschaftlichen Wandels behauptet, der einige der tragenden Bestimmungsmerkmale von Jugend hinfällig werden läßt oder verändert: „In ihrer allgemeinsten Form besagt die These vom Strukturwandel’ der Jugend, daß sich gegenwärtig nicht nur einzelne Verhaltensweisen, Orientierungsmuster und Einstellungen der Jugendlichen wandeln, sondern daß innere Qualität, Zuschnitt und Aufgabenstruktur des Jugendalters -das, was Jugend historisch-gesellschaftlich war -sich in unseren Tagen auflöst, d. h., daß die Kategorie Jugend selbst (nicht nur Verhaltensweisen der Jugendlichen) fragwürdig geworden ist und zur Disposition steht.“ „Entstrukturierung“ bezeichnet gewissermaßen das „Resultat“ dieses Strukturwandels: Die einheitliche kollektive Statuspassage Jugend zerfällt in plurale Verlaufsformen und Zeitstrukturen (relativ kurze Übergangsphase bei der Arbeiterjugend -relativ lange „postadoleszente“ Lebensformen bei der „Bildungsjugend“, Unterschiede zwischen Geschlechtern, Sozialräumen, Ethnien); es entwickeln sich gleichsam mehrere „Jugenden“, die sich voneinan-der so stark unterscheiden, daß sie nicht mehr in einem Modell zusammengefaßt werden können.

Werden solche einheitlichen „Konstrukte“ dennoch beibehalten und zum Orientierungsrahmen von Jugendpolitik und Jugendpädagogik gemacht, entsteht eine typische „Als-ob-Struktur" ein Auseinanderklaffen von Lebensrealität und politisch-pädagogischen Programmen, die dadurch ideologisch werden. Der „Als-ob-Charakter“ des gesellschaftlichen Programms Jugend im Sinne Walter Hornsteins erklärt sich daraus, daß in der Gegenwart -d. h. im Prozeß der Transformation und Krise der Arbeitsgesellschaft und unter den Bedingungen einer globalisierten Neuverteilung von Arbeitsplätzen, Chancen und Risiken -die mit Jugend verbundenen Zukunftsversprechen (gelingende Jugend = gelingende Zukunft) nicht mehr eingelöst werden können, gleichwohl Jugend diesem Programm zufolge oganisiert und entsprechend den diesem zugrundeliegenden Verhaltens-erwartungen sozialisiert wird.

Daß dies Folgen für die empirische Jugendforschung hat und haben muß, wird ebenfalls seit längerer Zeit diskutiert. Diese versucht sich der Verlängerung und Dehnung der Jugendphase durch eine beständige Ausweitung der Altesgrenzen der Jugend in ihren Stichproben anzupassen. Alters-spannen vom 12. bis zum 25. Lebensjahr sind fast schon die Regel; es finden sich aber auch Stichproben von 10 bis 30 Jahren. Hier wird nochmals deutlich, daß Jugend von einer früher relativ kurzen „Übergangszeit“ von nur wenigen Jahren zu einer langen, eigenständigen biographischen „Vorbereitungszeit“ geworden ist.

Aber auch die von der Forschung aufgegriffenen Themen und Fragenkomplexe erweitern und ändern sich. Das hängt einmal damit zusammen, daß sich innerhalb der so gestreckten Jugendzeit eine Vielzahl von unterschiedlichen Lebenssituationen und Konstellationen herausbildet, die sich nicht mehr „über einen Leisten scheren“ oder gar als Durchschnitt „der“ Jugend zusammenfassen läßt. Wichtiger noch: Standen früher vor allem die klassischen Reifungs-und Ablösungskonflikte oder die Akzeptanz zentraler gesellschaftlicher Lebens-und Normalitätsmuster bei der Jugend im Vordergrund (Akzeptanz von Ehe und Familie, Kinderwunsch, Einstellungen zur Arbeit, Leistung, Demokratie usw.), so erstrecken sich die Themen heute von der Jugendkultur über Lebensstile, Zukunftserwartungen, neue Lebensformen, Wertewandel bis hin zu den gegenwärtigen sozioökonomischen Krisen. Es scheint eine „Entgrenzung“ von „jugendspezifischen“ Themen im Gange zu sein: Welche dieser Themen spezifisch für Jugendliche sind und welche (im Prinzip oder analog) auch für Erwachsene zutreffen bzw. zu konstatieren sind, läßt sich nicht mehr in einer altersspezifischen Logik entscheiden. Viele Fragen betreffen Erwachsene und Jugendliche gemeinsam, denn der Schonraum Jugend wird brüchig, die gesellschaftlichen Krisen haben die Jugendphase erreicht.

Und schließlich ganz grundsätzlich: Es stellt sich das Problem, ob die Methode der „Personenbefragung“, also der Fragebogen, mit dessen Hilfe „Selbstauskünfte“ von Jugendlichen erhoben werden, weiterhin die Hauptmethode (oft der allein benutzte Zugang) der Jugendforschung bleiben kann. Jugendliche (als Personen eines bestimmten Alters) sind ja nicht unbedingt Experten und Expertinnen für Jugend als eine gesellschaftlich bedingte Lebensphase und für die sozioökonomischen Strukturen, die sie bestimmen. Vieles spricht dafür, die bisher vor allem einstellungsbezogene Jugendforschung in Richtung auf eine „Lebenslagenforschung des Jugendalters“ zu erweitern, also gerade die Analyse der gleichsam „objektiven“ Bedingungen des Jungseins zu intensivieren, von denen die „subjektive“ Bewältigung der Jugend-phase abhängig ist. Geschähe dies mehr als bisher, könnte die Hauptfrage der Jugendforschung lauten: Wie bewältigen Jugendliche (als Personen) die Jugend (als gesellschaftliche Anforderungsstruktur)?

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Helmut Schröder, Jugend und Modernisierung. Strukturwandel der Jugendphase und Statuspassagen auf dem Weg zum Erwachsensein, Weinheim 1995, der einen Über-blick über diese Veränderungen gibt.

  2. Vgl. Arthur Fischer/Richard Münchmeier, „Jugend ‘ 97", 12. Shell-Jugendstudie, hrsg. vom Jugendwerk der Deutschen Shell, Opladen 1997.

  3. Vgl. Rudolf Pettinger, Familie -Autorität und Autonomie, in: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.), Immer diese Jugend, München 1985, S. 265-274, hier S. 267.

  4. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 1997, S. 81.

  5. Vgl. ebd., S. 26 f.

  6. Vgl. R. Pettinger (Anm. 3), S. 267.

  7. Vgl. Reinhard Lempp, Familie im Umbruch, München 1986.

  8. Emile Durkheim, De la division du travail, Paris 1963.

  9. Vgl. Dieter Richter, Das fremde Kind. Zur Entstehung der Kindheitsbilder des bürgerlichen Zeitalters, Frankfurt am Main 1987.

  10. Lothar Böhnisch, Gespaltene Normalität, Weinheim-München 1994.

  11. Vgl. Helmut Schelsky, Die skeptische Generation, Düsseldorf-Köln 1957.

  12. Lothar Böhnisch/Richard Münchmeier, Wozu Jugendarbeit? Orientierungen für Ausbildung, Fortbildung und Praxis, Weinheim -München 19943.

  13. Vgl. Klaus Allerbeck/Wendy Hoag, Jugend ohne Zukunft? Einstellungen, Umwelt, Lebensperspektiven, München-Zürich 1985.

  14. Vgl. Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland. Strukturen und Entwicklungen im Überblick, Reinbek 1994.

  15. Walter Hornstein, Jugend. Strukturwandel und Problemlagen, in: Hans Eyferth/Hans-Uwe Otto/Hans Thiersch (Hrsg.), Handbuch Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Neuwied -Darmstadt 1984, S. 507.

  16. Dieter Mertens, Das Qualifikationsparadox. Bildung und Beschäftigung bei kritischer Arbeitsmarktperspektive, in: Zeitschrift für Pädagogik (ZfPäd.), 30 (1984) 4, S. 439455.

  17. Vgl. Hans-Günther Rolff/Klaus Klemm/Jürgen Tillmann (Hrsg.), Jahrbuch der Schulentwicklung, Band 4, Weinheim 1986, S. 22.

  18. Klaus Hurrelmann/Birgit Holler/Elisabeth Nordlohne, Die psychosozialen „Kosten“ verunsicherter Statuserwartungen im Jugendalter, in: ZfPäd, 34 (1988) 1, S. 25-44, hier S. 34.

  19. Vgl. ebd.

  20. Ebd., S. 42 f.

  21. Arbeitsgruppe Bildungsbericht (Anm. 14), S. 612.

  22. Vgl. Gisela Erler/Monika Jaeckel/Rudolf Pettinger/Jürgen Sass, Kind? Beruf? Oder beides? Eine repräsentative Studie über die Lebenssituation und Lebensplanung junger Paare zwischen 18 und 33 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland im Auftrag der Zeitschrift Brigitte (Brigitte Untersuchung 88), Hamburg-München 1988; Hans Bertram (Hrsg.), Die Familie in Westdeutschland. Stabilität und Wandel familialer Lebensformen, DJI-Familien-Survey 1, Opladen 1991; ders., Die Familie in den neuen Bundesländern. Stabilität und Wandel in der gesellschaftlichen Umbruch-situation, DJI-Familien-Survey 2, Opladen 1992.

  23. Vgl. Helmut Fend, Sozialgeschichte des Aufwachsens. Bedingungen des Aufwachsens und Jugendgestalten im zwanzigsten Jahrhundert, Frankfurt am Main 1988, S. 142 ff.

  24. Vgl. Heiner Meulemann, Jugend als Lebensphase -Jugend als Wert. Über die Politisierung eines kulturgeschichtlichen Begriffs am Beispiel der biographischen Selbstdefinition dreißigjähriger ehemaliger Gymnasiasten, in: ZfPäd., 34 (1988) 1, S. 65-86.

  25. Nicole Abboud, Jugend: Strukturbegriff oder historische Konstellation, in: Klaus Allerbeck/Leopold Rosenmayr (Hrsg.), Aufstand der Jugend? Neue Aspekte der Jugend-soziologie, München 1971, S. 29-40, hier S. 40.

  26. Walter Hornstein, Strukturwandel der Jugendphase in Deutschland, in: Willfried Ferchhoff/Thomas Olk (Hrsg.), Jugend im internationalen Vergleich. Sozialhistorische und sozialkulturelle Perspektiven, Weinheim 1988, S. 70-92, hier S. 71.

  27. Vgl. z. B. Thomas Olk, Zur Entstrukturierung der Jugendphase, in: H. Heid/W. Klafki (Hrsg.), Arbeit -Bildung -Arbeitslosigkeit. Beiträge zum 9. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, 19. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik, Weinheim 1985, S. 290-307.

  28. W. Hornstein (Anm. 15), S. 507.

  29. Vgl.ders., Entstehung, Wandel, Ende der Jugend, in: M. Markefka/Rosemarie Nave-Herz (Hrsg.), Handbuch der Familien-und Jugendforschung, Band 2: Jugendforschung, Neuwied 1989, S. 3-18.

Weitere Inhalte

Richard Münchmeier, Dr. rer soc., geb. 1944; Studium der Soziologie, Psychologie und Erziehungswissenschaft in Heidelberg und Tübingen; Universitätsprofessor für Sozialpädagogik an der Freien Universität Berlin. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Irina Bohn) Das Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt AgAG. Dokumentation des Modellprojekts, Münster 1997; (zus. mit Arthur Fischer) Jugend ’ 97. Zukunftsperspektiven -Gesellschaftliches Engagement -Politische Orientierungen (12. Shell-Jugendstudie), Opladen 1997.