I. Afrika von der „Apokalypse“ der Bush-Ära zur „Renaissance“ und „neuen Partnerschaft“ unter Bill Clinton
Es ist immer wieder verblüffend mitzuerleben, wie rasch die „Afrikabilder“ im öffentlichen Bewußtsein der westlichen Welt verändert werden. Ausgelöst von immer neuen oder auch immer wieder nur „neu entdeckten“, mitunter sehr alten Krisen, „Brennpunkten“, Strukturproblemen oder auch mal politischen „Wundern“ (wie das durch Nelson Mandela und Frederik de Klerk ausgelöste „südafrikanische Wunder“), wechseln die Ansichten über den Nachbarkontinent Europas zuweilen unseriös rasch und heftig. Die Urteile über den angeblich unaufhaltsamen Niedergang Afrikas, ausgelöst durch die Staatsimplosionen in Somalia, Liberia und Sierra Leone in den achtziger Jahren, bzw. über die rosigen Zukunftsperspektiven des Kontinents ein wenig später, nachdem in Südafrika die befürchtete blutige Revolution ausgeblieben war, fielen meist übertrieben aus. Dabei spiegeln von außen gemachte Bilder von Afrika mit seiner „Chaosmacht“, seinem Elend bzw.seinen märchenhaften Rohstoffen oftmals die eigenen Projektionen der Angst oder der Hoffnung, der Erwartung auf Selbstbereicherung oder der liebevollen Fürsorge für den Hilfsbedürftigen wider -all das hat in Europa eine lange Tradition und erschwert die Aufgabe, sich ein klares Bild von den Verhältnissen am Ende des Jahrhunderts zu machen
Zur Zeit herrscht unterschwellig in Regierungskreisen der OECD-Staaten -vor allem wohl in Washington, Brüssel, London, Paris, Bonn, Rom und Lissabon -die Sorge vor, daß unter verschärften Wettbewerbsbedingungen im Zeitalter der Globalisierung Afrika südlich der Sahara in eine Zone anhaltender Turbulenzen, mit unerwünschten Rückwirkungen auf Europa, abgleiten könnte -wenn, ja wenn nicht dieser Krisenregion mit der am raschesten wachsenden Bevölkerung eine Perspektive für erreichbaren Wohlstand seitens der internationalen Staatengemeinschaft aufgezeigt würde. Und diese Funktion -neben der innenpolitischen Wirkung auf die amerikanische Öffentlichkeit -hatte der Besuch von Präsidenten Bill Clinton in Afrika im April 1998. Seine programmatische Botschaft ist nicht gerade als „historisch“ zu qualifizieren, dafür aber war sie einfach und unmißverständlich: liberale Marktwirtschaft und Privatisierung statt staatlicher Kommandowirtschaft, Bereitschaft zu Globalisierung, liberaler Demokratie und „good governance" statt Hinwendung zu islamistischem Fundamentalismus oder ideologischer Eigenbrötelei! Dies seien die Grundlagen für eine „neue Partnerschaft“ zwischen den USA und Afrika und all denen, die ihr Heil im Handel statt in der Hilfe („trade not aid“) suchen würden
Wer hätte sich vor etwa fünf Jahren vorstellen können, daß ein US-amerikanischer Präsident elf Tage lang mit einem gewaltigen Troß von mehr als 700 Begleitpersonen (neben Journalisten und Diplomaten vor allem afroamerikanische Geschäftsleute) durch sechs afrikanische Staaten reisen würde, um Amerikas neu erwachtes Interesse an den Rohstoffen Afrikas (z. B. angolanisches Öl) und den 750 Millionen Konsumenten dieses Kontinents zum Ausdruck zu bringen? Vor fünf Jahren -während der Hungerkrisen in den von Bürgerkriegen zerrissenen Staaten Somalia, Sudan, Äthiopien, Mosambik und in Teilen der Sahelzone -war der Afro-Pessimismus in der international tonangebenden Berichterstattung noch auf ihrem Höhepunkt. „Die Agonie Afrikas -ein Kontinent im freien Fall“ -titelte die amerikanische Wochen-zeitschrift „Time“ Kurz darauf, im Jahr 1994, ereignete sich der Genozid in Ruanda -ein unfaßlich brutales Verbrechen einer ebenso materiell verzweifelten wie ideologisch-rassistisch vergifteten Bauernbevölkerung das den Afro-Pessimisten im Dauerstreit mit den Sympathisanten der Afro-Solidaritätsinitiativen ultimativ Recht zu geben schien: , Afrika ist nicht zu retten, es zerstört sich ja selbst.
Den I-Punkt auf das landläufige Verdikt bezüglich der Zukunftsfähigkeit Afrikas südlich der Sahara setzte schließlich die bittere, provozierende Abrechnung des „Washington Post“ -Korrespondenten Keith Richburg, der zwischen 1991 und 1994 von den Brennpunkten, Massakern und Leichenfeldern Afrikas berichtet hatte und der sich am Ende seiner Dienstzeit in Afrika völlig desillusioniert weigerte, „noch irgend etwas verstehen, erklären, entschuldigen zu wollen“
Nur wenige Monate später -die massiven Menschenrechtsverbrechen in Ex-Jugoslawien, Tschetschenien, in Afghanistan in frischer Erinnerung und mögliche neue ethnische Säuberungsaktionen im Kosovo vor Augen -hat sich das veröffentlichte Afrikabild stark aufgehellt. Jedenfalls bedeutet die Reise von Präsident Bill Clinton im April 1998 nach Ghana, Uganda, Ruanda, Südafrika, Botswana und Senegal ein politisch wichtiges Signal der Hoffnung in einen Kontinent, der allzuoft nur mit Bürgerkriegen, Militärputschen, Hungerkatastrophen und den „vier großen A“ -
Armut, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Aids -in Verbindung gebracht wurde. Vor allem aus der Sicht der afrikanischen Bildungs-und Funktionseliten sowie der Geschäftswelt stellt die Reise Clintons daher eine wichtige Anerkennung der Anstrengungen dar, die einige Länder nach dem Sturz ihrer Diktatoren für den Aufbau markt-freundlicher und rechtstaatlicher Verhältnisse unternommen haben. Von den Nilquellen bis zum Kap der guten Hoffnung regiert eine neue Riege von ideologiefernen, pragmatischen Staatschefs, die sich nach jahrzehntelanger Mißwirtschaft ihrer Vorgänger zu Marktwirtschaft und politischen Reformen bekennen und ihre Länder wieder aufbauen wollen. „An der Spitze der jungen Prinzen steht Yoweri Museveni, der neoliberale Präsident Ugandas. Gefolgt von Isayas Afeworki aus Eritrea, Meles Zenawi aus Äthiopien, Paul Kagame aus Ruanda und Thabo Mbeki aus Südafrika, dem designierten Nachfolger Nelson Mandelas. Die Vision einer afrikanischen Renaissance verbindet sie. Alle werden der anglophonen Sprachfamilie zugerechnet, und alle werden von Washington gefördert.“
Ein Meilenstein für die Afrikapolitik der Clinton-Administration war die Einbringung eines Gesetzentwurfes über „Wachstum und wirtschaftliche Möglichkeiten in Afrika“ im US-Kongreß kurz vor dem Weltwirtschaftsgipfel in Denver/Colorado im Juni 1997, bei dem auch die Entwicklungsproblematik Afrikas auf der Tagesordnung stand und grundlegende Verhaltensunterschiede im Hinblick auf eine Unterstützung der Wirtschaftsentwicklung Afrikas sichtbar wurden. Während die USA stark auf privatwirtschaftliche Initiative und Erleichterung der Exportchancen Afrikas -unter dem Motto „Handel statt Hilfe“ -setzen, „verweisen die Europäer, besonders Frankreich, auf die beschämend geringe US-Entwicklungshilfe und betonen die anhaltende Notwendigkeit zu umfangreicher Unterstützung der afrikanischen Staaten zur Begleitung der notwendigen Stimulierung der privaten Wirtschaftskräfte“ Einig jedoch ist man sich in OECD-Kreisen darüber, daß Afrika, um seine weitere drohende Marginalisierung aufzuhalten und wenn möglich umzu-kehren, bei der Realisierung der dreigroßen Herausforderungen langfristig unterstützt werden müsse: Liberalisierung der Außenwirtschaft, Privatisierung der Binnenwirtschaft und Demokratisierung der Herrschaftsverhältnisse.
II. Der neue Geber-Pragmatismus bei der Förderung von Partnern
Im Verhältnis der Regierungen der OECD-Staaten zu den afrikanischen Ländern hat sich seit der Wende von 1989 ein merklicher Wandel bei der Partnersuche vollzogen: Galt während des Kalten Krieges ein simples Freund-Feind-Schema, wonach jeweils die politischen Regime finanziell, militärisch und politisch unterstützt wurden, die sich als loyal einem der beiden ideologischen Lager gegenüber darzustellen wußten -was entwicklungspolitisch fatale Folgen anrichtete -, so selektieren heute die USA wie auch die anderen größeren Geberstaaten ihre afrikanischen Partner nach dem Kriterium von „good governance“. Nur wer eine wirtschaftlich „vernünftige“ und eine an westlichen Werten orientierte Regierungspolitik zu treiben verspricht, hat Aussicht auf ausländische Unterstützung. Gutes, entwicklungspolitisch vernünftiges Regierungshandeln impliziert im Prinzip die Zulassung von politischer Partizipation der Bevölkerung an den sie direkt betreffenden Angelegenheiten, Unterbindung von öffentlicher Korruption, Gewährleistung fundamentaler Menschenrechte und Abbau der staatlichen Dominanz in allen wirtschaftlichen Belangen („Privatisierung“).
Auch die Bundesrepublik Deutschland hat sich in ihrem Verhalten gegenüber Afrika von diesem neuen Paradigma „good governance“ leiten lassen und zunehmend auch „Demokratisierungshilfe“ zur Verfügung gestellt Die fünf wichtigsten entwicklungsfördernden internen Rahmenbedingungen (Beachtung der Menschenrechte, Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungen, Rechtsstaatlichkeit und Gewährung von Rechtssicherheit, Einführung einer sozialen Marktwirt-schäft und Entwicklungsorientierung staatlichen Handelns) sind zu den maßgeblichen Kriterien für den Einsatz von Instrumenten und Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit erhoben worden -ein im Prinzip vernünftiges Vorgehen, selbst wenn es nicht immer konsequent angewandt wird und das Hilfevolumen insgesamt auf einen neuen historischen Tiefstand abgerutscht ist. Für das Haushaltsjahr 1998 -wie für das Vorjahr -sind für den Einzelplan 23 (für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) 7, 666 Milliarden DM vorgesehen, was einen Anteil von 1, 7 Prozent am Bundeshaushalt und einen Anteil am Bruttosozialprodukt von nicht einmal 0, 3 Prozent bedeutet. Gemessen an den auf der Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Rio eingegangenen Finanzverpflichtungen fehlen 2 Milliarden DM
Der Besuch von Clinton in den genannten Ländern stellt insofern eine demonstrative Unterstützung von marktwirtschaftlich orientierten Reform-kräften in Afrika dar und gleichzeitig eine symbolische Bestrafung der politisch und wirtschaftlich bedeutenderen Staaten Nigeria, Kamerun, Cöte dTvoire (Elfenbeinküste), Kenia, Simbabwe und Zaire, in denen bislang die westliche Diplomatie der konditionierten Entwicklungszusammenarbeit am Widerstand eigensinniger Präsidenten gescheitert ist, die noch immer meinen, Politik im Stil des postkolonialen präsidialen Paternalismus fortführen zu können.
Auffallend ist jedoch die internationale Honorierung von politisch reformierten Regimen, denen gemeinsam ist, daß sich ihre politischen Führungen mehr den autoritären Sachzwängen der Globalisierung der Märkte als den liberalen Spielregeln westlicher (oder universell gültiger) Demokratiesysteme verbunden fühlen. So heißt es ausdrücklich im Communique von Entebbe vom 24. März 1998, mit dem ein regionales Gipfeltreffen der Staats-oder Regierungschefs von Uganda, Ruanda, Kenia, Tansania und Äthiopien zu Ende ging und an dem der amerikanische Präsident als spezieller Gast teilgenommen hatte, daß alle beteiligten Staaten anerkennen würden, „daß es kein fixes Modell für demokratische Institutionen oder Übergänge gibt“ und daß daher alternative Ansätze zum demokratischen Umgang mit kultureller Verschiedenheit erforscht werden müßten.Dieses Bekenntnis -so darf man wohl interpretieren -gestattet es den Amerikanern und anderen OECD-Mitgliedsstaaten, „freundschaftliche“, d. h. beiderseitig lukrative Beziehungen sowohl zum ugandischen Präsidenten Museveni, der sich noch immer gegen die Zulassung von politischen Parteien sträubt (freilich nicht ganz ohne Grund), zu pflegen als auch zum kongolesisch-zairischen Staatschef Kabila, der vorerst auf Wahlen verzichtet hat und keine ernsthaften Anstalten erkennen läßt, das Riesenreich prinzipiell demokratischer und transparenter zu regieren als sein Vorgänger Mobutu Ss Seko -der präzedenzlose Totengräber der kongolesischen Ökonomie. Und auch von den amtierenden Präsidenten Kenias, Äthiopiens und Tansanias läßt sich sagen, daß sie alle drei die formale Notwendigkeit der Abhaltung von Wahlen mit mehreren Parteien und Kandidaten akzeptiert haben, daß sie aber Staatsmacht nicht als ein politisches Mandat auf Zeit zu betrachten gewillt sind, sondern als ein unteilbares Gut, das gegen „Vaterlandsverräter“ und „Gauner“ verteidigt werden müsse.
Diese antipluralistische Haltung zur Macht entspricht tief verwurzeltem Denken, hat aber vor allem eine sehr nützliche Funktion, die manipulativ eingesetzt wird: Unter Berufung auf noch lebendige Traditionen und „eigene kulturelle Werte“ werden angeblich raschere, effizientere Wege zur Transition in die Moderne verheißen. Ohne vorschnell in Abrede stellen zu wollen, daß es im Alltagsleben der Afrikanerinnen und Afrikaner -wie uns Ethnologen und Soziologen belehren -durchaus Innovationen und Traditionen (wie Tänze, Gemeinschaftsrituale, Ratsversammlungen, Ahnenkulte und Hexerei) gibt, die dem Leben eine unverwechselbare Färbung und dem Individuum durch die Zugehörigkeit zu seiner Großfamilie (der echten oder fingierten „extended family“) einen festen Halt zu geben vermögen so sind doch hier die aufgabentypischen Handlungsebenen auseinanderzuhalten. Bei der Bewältigung von technischen Entwicklungsaufgaben, wirtschaftlichen Modernisierungskrisen und Globalisierungsschocks auf nationaler Ebene werden die Afrikaner voraussichtlich ähnliche Erfahrungen machen wie zur Zeit die Südostasiaten bei der Bewältigung der Krisen der Tigerstaaten mit ihren „asiatischen Werten“. Seit zirka neun Monaten -seit Beginn der Erschütterung des asiatischen Wirtschaftswunders -haben sich die Apologeten der „asiatischen Werte“ der Einsicht beugen müssen, daß volkswirtschaftliche Krisenerscheinungen -wie eine überhitzte Konjunktur, unbeaufsichtigt arbeitende Banken, unentwirrbare Verknotungen („Verfilzung“) von Staat und klientelistisch orientierten Privatunternehmungen -nicht allein mit einer heroischen Arbeitsethik und Bildungsbeflissenheit zu heilen sein werden. Der Wunsch und die Bereitschaft, aktiv und zum eigenen Nutzen an der Globalisierung der Märkte teilzunehmen, erfordert ein hohes Maß an Kreativität, Flexibilität, kurz an gesellschaftlicher Freiheit. Patronagegestützte Machtclans alten Typs, die sich fast jeglicher Kontrolle entziehen -wie sie idealtypisch in Indonesien und Malaysia, in Kenia und Kamerun dominant sind -, sind nicht mehr geeignet, rasch und effizient genug auf Chancen und Gefahren der globalen Marktwirtschaft zu reagieren.
Es ist wohl so -und diese Lehre wird auch den Afrikanern der zweiten postkolonialen Generation nicht erspart bleiben -, daß der afrikanische Pfründenkapitalismus -nicht anders als der asiatische „crony capitalism" -die beide Kontrolle und Transparenz von Entscheidungen verachten und Paternalismus und Vetternwirtschaft kultivieren -von Krise zu Krise mehr einem flexibleren pluralistischen System weichen werden. Verallgemeinerbare Modernisierungsnöte haben Anpassungszwänge zur Folge, die in der Krise wenig Raum für eigene Lösungswege erlauben -was heute ebenso für Japan und Südkorea wie für Indonesien und Malaysia gilt. Vermutlich hat daher Jochen Buchsteiner recht, wenn er feststellt: „Wenn heute in den Metropolen Asiens von good governance die Rede ist, wird darunter nicht mehr ein straffes, autoritäres Führungssystem verstanden, das maximale wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei minimalem Pluralismus garantiert. Asiens Politiker haben erkannt, daß Wohlstand nur im Austausch mit der Welt möglich ist -und daß der Globalismus ein hohes Maß an Kreativität, Flexibilität, kurz, an gesellschaftlicher Freiheit verlangt.“ In der Krise entdecken die asiatischen Macher den Wert der Demokratie als eines Verfahrens zur Verringerung staatlicher Irrtümer -eine Erfahrung, die sich auch die afrikanische Intelligenz rasch zu eigen machen sollte.
Die neue pragmatische Tendenz in der Afrikapolitik der westlichen Staaten ist unverkennbar. Die politischen Ideale und Zielsetzungen (Demokratisierung, Transparenz, Menschenrechte) werdenden wirtschaftlichen Eigeninteressen und politischen Sicherheitsinteressen untergeordnet, wobei die Gegnerschaft zum islamischen Fundamentalismus (in Gestalt der islamischen Republik Sudan unter dem Regime von Präsident Beshir) ein einigendes Band zu sein scheint. In jedem Fall ist die politische Stabilisierung von Regimen mit allen zivilen Mitteln ein Ziel der auswärtigen Interessenpolitik; haben doch die Staatsimplosionen in Somalia, Liberia und Sierra Leone gezeigt, daß ohne einen funktionsfähigen Staat mit einer minimalen Kompetenz für die Aufrechterhaltung von Gesetz und Ordnung keinerlei entwicklungspolitische Offensiven mit Aussicht auf Dauerhaftigkeit gestartet werden können.
Die Fragen, die sich hier dem wohlwollend kritischen Betrachter der politischen Landkarte Afrikas aufdrängen, lauten: Können erstens die neuen politischen Hoffnungsträger der afrikanischen Renaissance angesichts der relativ schlechten Startbedingungen dauerhaften Fortschritt bewirken, d. h. vor allem den latenten Druck in Richtung auf weitere Verarmung und marktwirtschaftliche Marginalisierung (Peripherisierung) stoppen und umkehren? Sind zweitens die bisher erreichten politischen Reformen aufrechtzuerhalten und weiterzuführen, d. h. von den ersten Schritten der Liberalisierung und Demokratisierung bis zu einer Konsolidierung der Demokratie, in der das Primat der Zivilgesellschaft über die heute meist noch dominante Vetomacht der Militärs gesichert wäre?
III. Von der klientelistischen Präsidialdiktatur zu Liberalisierung und Demokratisierung der politischen Systeme
Bevor der neue demokratische „wind of change“ in Afrika einsetzte, waren sich die Sozialforscher weitgehend darüber einig, daß die meisten afrikanischen Länder so etwas wie einen „unfruchtbaren Boden“ (Richard Joseph) für demokratische Systeme darstellen würden; denn sie waren „zu arm, zu sehr kulturell fragmentiert und unzureichend kapitalistisch entwickelt. Sie waren vom westlichen Christentum nicht vollständig durchdrungen und entbehrten einer dafür notwendigen Bürgerkultur. Mittelklassen waren gewöhnlich schwach und eher bürokratisch als unternehmerisch orientiert, und sie waren in der Regel in autoritäre politische Systeme integriert worden“ Und dennoch hat es bislang erstaunliche demokratische Aufbrüche gegeben, weil zu viele Menschen von der „bad governance" ihrer Führer frustriert waren und die nackte Not sie auf die Straße trieb.
Zunächst ist daher als ein positiver Trend in der politischen Entwicklung Afrikas seit dem Ende des Kalten Krieges festzuhalten: Die gesamte Region ist in den globalen Demokratisierungsprozeß einbezogen worden. Unter „Demokratisierung“ wird hier ein von konfliktfähigen Interessengruppen ertrotzter, zunächst im Ergebnis offener Prozeß des (stufenweisen oder ruckartigen) Über-gangs von einer autoritären Herrschaftsform zu einem Pluralismus zulassenden, partizipativen Rechtsstaat verstanden Seit etwa Mitte der achtziger Jahre hat weltweit eine „dritte Welle der Demokratisierung“ eingesetzt -nach der „ersten Welle“, die die westlichen Industriestaaten Ende des 19. Jahrunderts erfaßte, und „der zweiten Welle“ mit Deutschland, Japan, Indien, Türkei etc. nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie auch immer Tiefe und Nachhaltigkeit der demokratischen Reformen in den einzelnen Staaten Afrikas letztlich zu bewerten sind, festzuhalten ist die Tatsache, daß Afrika als Ganzes, wenn auch von zahlreichen „Ausnahmen“ gekennzeichnet, in einem irreversiblen Prozeß des politischen Wandels begriffen ist. Galten Ende der achtziger Jahre nur fünf afrikanische Staaten als demokratisch oder semikompetitiv, nämlich Mauritius, Botsuana, Simbabwe, Gambia und Senegal, so gibt es heute keinen einzigen Staat mehr unter den 48 Ländern Schwarzafrikas bzw. Afrikas südlich der Sahara, in welchem das alte präsidentielle Einparteiregime -der dominante Regierungstyp der siebziger und achtziger Jahre -unverändert überlebt hätte Nur in zwölf Staaten ist die Etablierung von Parteienpluralismus als der ersten Etappe auf dem langen Weg zur konsolidierten Demokratie nicht durchgeführt worden (im Königreich Swaziland, in Uganda, Kongo-Zaire) bzw. mißglückt (Sudan, Gambia, Burundi, Ruanda, Tschad, Nigeria, Kongo-Brazzaville, Liberia, Sierra Leone). Die empirische Evidenz ist eindeutig: In Afrika südlich der Sahara (deutlicher als in Afrika nördlich der Sahara, wo vier von fünf Regimen den politischen Pluralismus von oben zu ersticken versuchen) sind neue ernst zu nehmende Kämpfe um die Demokratie in Gang gekommen, so daß „vorsichtiger Optimismus“ angebracht ist
Dabei ist „irreversibel“ nicht in dem Sinne zu verstehen, daß die gegenwärtigen Trends in Richtung auf wachsende politische Partizipation und mehr Rechtsstaatlichkeit hier und dort nicht wieder durch gegenläufige Ereignisse (Militärputsche, Palastrevolten, Volksdemonstrationen, Banden-kriege) außer Kraft gesetzt werden könnten (damit ist noch für lange Zeit zu rechnen), sondern in dem Sinne, daß alle zukünftigen Regime sich an den demokratischen Errungenschaften der soge-nannten zweiten afrikanischen Revolution (19891994) werden messen lassen müssen. Die bisherige Rechtfertigung von als „legitim“ gelten könnender Herrschaft -die Legitimationsgrundlage also -ist eine andere geworden: abhängig von der periodisch erneut einzuholenden Zustimmung des Souveräns, des Volkes, in Form von freien und fairen Wahlen. Eine einfache Rückkehr zu den undemokratischen Zuständen der drei Jahrzehnte nach Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit (19601990), in denen die Hoffnungen der Massen wie vieler Entwicklungsexperten auf wirtschaftliches Wachstum und sozialen Fortschritt als Folge von patrimonialen Entwicklungsdiktaturen ruhten, scheint unwahrscheinlich. Das Modell des autoritären Präsidentialismus, der politischen Parteien-wettbewerb und institutionalisierte Kontrolle von Staatsmacht und Staatsfinanzen als „westliche“ oder gar „imperialistische“ Ideen verhöhnen konnte, hat sich selbst durch seine miserable entwicklungspolitische Bilanz disqualifiziert.
Auch in Hinblick auf die Menschenrechte, so wie das Freedom House in New York die „civil liberties“ mißt, hat sich das Bild in den vergangenen zehn Jahren deutlich aufgehellt. Gegenüber nur einem Staat im Jahr 1980 (Gambia) mit einem positiven Wert von 2 (auf einer Rangskala von 1 bis 7) sind es 1996 sechs Staaten (Botswana, Kap Verde, Komoren, Gabun, Mauritius und Namibia). Statt 1980 27 Staaten mit den negativsten Werten 6 und 7 sind dies 1992 nur noch 9 (Angola, Tschad, Äquatorial-Guinea, Liberia, Malawi, Mauretanien, Sierra Leone, Somalia und Sudan). Der arithmetische Mittelwert für alle Staaten lag 1992 bei 4, 4 gegenüber 5, 4 im Jahr 1980
IV. Herrschaftsregime und Transitionsländer
In Afrika gab es bislang -im Unterschied zu Asien und Lateinamerika -nur Fälle von leistungsschwachen Diktaturen ohne Entwicklung. Jahrzehntelange Willkür seitens der politischen Klasse hat den Glauben an eine gerechte, nach rationalen Kriterien funktionierende Verwaltung gründlich erschüttert. Afrikanische Präsidenten, die sich gerne sakrale Ehrentitel wie „Erlöser“ oder „Vater der Nation“ zulegten, verstanden es gleichzeitig häufig, die Grundlagen einer „Zivilgesellschaft“ durch Gleichschaltung von Jugendbewegungen, Gewerkschaften und Berufsverbänden sowie gezielten Einsatz von Gewalt zu beschädigen. Die afrikabezogene Demokratieforschung konnte zeigen, daß die Tendenzen zur Erosion staatlicher Macht und Steuerungskompetenz kaum dem Konto risikoreicher Demokratisierung zugeschrieben werden können, sondern vielmehr auf das Fehlverhalten einer politischen Klasse zurückzuführen sind, die das koloniale Werk der (Fremd-) Ausbeutung von Land und Volk mit eigenen Methoden fortsetzte Es entstanden -was aus entwicklungspolitischer Sicht zu bedauern ist -keine anknüpfungsfähigen Traditionen von autoritären populistischen Mobilisierungsregimen, die bei nationalen Aufbruchstimmungen anspornend wirken können -vergleichbar etwa mit der von oben verordneten Modernisierungskonzeption des Kemalismus in der Türkei oder mit dem Peronismus in Argentinien, den Sun-Yatsen-Ideen in Taiwan oder dem „Neo-Konfuzianismus“ eines Lee Kwan Yew in Singapur. In seiner kurzen Geschichte als befreiter Kontinent hat das moderne Afrika wohl politische Märtyrer (wie Amilcar Cabral, Eduardo Mondlane, Patrice Lumumba) und Visionäre (wie Kwame Nkrumah und Thomas Sankara) hervorgebracht, nicht aber Begründer von entwicklungspolitischer Programmatik von einiger Ausstrahlung und Dauerhaftigkeit. Der „Ujamaa-Sozialismus“ eines Julius Nyerere in Tansania, der „Humanismus“ eines Kenneth Kaunda in Sambia oder gar die „Ngritude“ -Ideen eines Leopold Senghor in Senegal sowie all die Spielarten eines etatistischen Sozialismus in Äthiopien, Benin, Guinea oder Madagaskar waren auf dem Papier anspruchsvolle Programme, ohne daß es aber durch sie zu einer Überwindung von Unterentwicklung und Armut gekommen wäre. Genau dieses Ziel verfolgen heutzutage die vielen semiautoritären Reform-regime, die sich auf demokratisch-partizipative Experimente eingelassen haben, allen voran das Rawlings-Regime in Ghana und das Museveni-Regime in Uganda.
Gruppiert nach den Formen politischer Herrschaft und dem Grad an demokratischer Partizipation, lassen sich die Regierungssysteme Afrikas wie folgt beschreiben: -32 politische Systeme zwischen Liberalisierung und demokratischer Konsolidierung (formale Mehrparteiendemokratien), -8 nationale „Befreiungsbewegungen“ an der Macht (Eritrea, Kongo-Zaire und Ruanda, nach inzwischen erfolgten Wahlen: Angola, Äthiopien, Guinea-Bissau, Mosambik und Uganda), -6 Putsch-Regime an der Macht (Burundi, Gambia, Niger, Nigeria, Sudan, Togo), -vier Länder im Zustand des schleichenden Staatszerfalls (Liberia, -Sierra Leone, Tschad, Zentralafrikanische Republik), -eine Monarchie (Swaziland) sowie -ein Land im Zustand der Staatsimplosion, d. h. ohne Regierung (Somalia).
Am interessantesten ist zweifellos die Gruppe der teils erfolgreichen, teils blockierten demokratischen Transitionsländer -also jene Gruppe von Staaten, in denen die Verfassung geändert, ein Mehrparteiensystem zugelassen und relativ freie Wahlen ein-oder bereits zweimal abgehalten worden sind -kompetitive Systeme vor der Schwelle der endgültigen demokratischen Konsolidierung.
Die bislang gründlichste Untersuchung der afrikanischen Transition ist von den beiden Forschern Michael Bratton und Nicolas van de Walle durchgeführt und im Jahr 1997 publiziert worden. Von 48 ASS-Staaten wurden 16 Staaten als aktive Reformstaaten der ersten Phase (1988/89-1994) charakterisiert, weil hier die politischen Reformen in Richtung auf Mehrparteiendemokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaat als Konsequenz von Protesten konfliktfähiger Gruppen -also primär auf Grund des Drucks von unten -zustande gekommen sind. Besonders aktiv hatten sich Studenten, Staatsangestellte, Gewerkschaftler und Kirchenvertreter an den Protesten beteiligt, während politische Parteien eine untergeordnete Rolle spielten Die Reaktionen der Regierungen waren recht unterschiedlich und reichten von Drohungen, polizeilicher Repression bis zu vorsichtigen Kompromissen. Ungewöhnlich deutlich formulierte der zweimal im Amt durch demokratische Wahlen bestätigte Putschgeneral Ghanas, Präsident Jerry Rawlings, die neue Ära: „Ich bin das Produkt des Zorns der Leute, was bedeutet, daß sie aktiv geworden sind und nicht länger nur Zuschauer sind.“
Es handelte sich um die folgenden 16 Transitionsstaaten: Benin, Burkina Faso, Cöte dTvoire, Gabun, Kamerun, Kenia, Komoren, Kongo-Brazzaville, Mali, Niger, Sambia, Sierra Leone, Simbabwe, Togo, Zaire, Zentral-Afrikanische Republik Später kamen ein weiteres Dutzend Staaten hinzu, in denen ernsthafte Reformprozesse initiiert wurden, darunter Madagaskar, Tansania, Malawi und Mosambik. Bis Mai 1991 hatten bereits 21 Regierungen signifikante Reformmaßnahmen durchgeführt, die mehr Wettbewerb und Pluralismus zuließen; in anderen Staaten, die den ersten Schritt der Liberalisierung gewagt hatten, wurde der Transitionsprozeß von oben gewaltsam durch Niederknüppeln von Teilen der demokratischen Opposition blockiert, was in Togo, Zaire, Kongo-Brazzaville, Kamerun und in Kenia geschah In Nigeria, Sierra Leone, Niger und Kongo-Brazzaville und Burundi putschte das Militär und machte erste demokratische Freiheiten wieder rückgängig.
V. Das südliche Afrika -eine potentielle Zone friedlichen Wandels
Allein zwischen April 1994 und April 1995 konnten in sechs südafrikanischen Ländern -in Südafrika, Malawi, Botswana, Mosambik, Namibia und Simbabwe -kompetitive Mehrparteienwahlen abgehalten werden, nachdem im Jahr 1991 bereits in Sambia Präsident Kenneth Kaunda in einer freien und fairen Wahl durch seinen Herausforderer Chiluba -einen Gewerkschaftsführer an der t Spitze einer breiten Demokratiebewegung -abgelöst worden war. Im Jahr 1995 wurde im demokratischen Musterland des Kontinents, auf Mauritius, das zweite Mal durch eine Parlamentswahl eine Regierung abgewählt (1982 wurde dort der erste demokratische Machtwechsel auf dem Kontinent vollzogen) und durch eine neue parlamentarisch legitimierte Regierung ersetzt. Im April 1998 schließlich wurde in Botswana -der längsten und stabilsten Mehrparteiendemokratie Afrikas, allerdings noch ohne Abwahl eines Amtsinhabers -der dritte Staatspräsident gewählt: Festus Mogae. In einer Gesellschaft, die von autoritärer Herrschaft ebenso geprägt wurde wie von konsensualem Interessenausgleich, hat eine moderne, relativ konfliktfähige Elite innerhalb kurzer Zeit einen starken Staat aufgebaut, der einen demokratischen Rahmen für politische Partizipation gesetzt hat, in den die Bevölkerung langsam hineingewachsen ist Gemäß dem „zivilisatorischen Hexagon“ des Friedens-und Konfliktforschers Dieter Senghaas (mit den sechs Eckpfeilern der Zivilisation: Gewaltmonopol des Staates, Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftliche Interdependenz und Affektkontrolle, demokratische Partizipation, soziale Gerechtigkeit und schließlich demokratische Streitkultur) ist Botswana das „zivilisierteste“, d. h.friedens-und entwicklungsfähigste Land des Kontinents Die noch schwach ausgebildete „Zivilgesellschaft“ sowie die noch geringe Wettbewerbsfähigkeit der Oppositionsparteien sind jedoch Anzeichen dafür, daß auch in diesem Staat die demokratische Transition noch lange nicht abgeschlossen ist.
Die demokratischen Transitionsprozesse im südlichen Afrika haben sich offensichtlich wellenförmig ausgedehnt und über positive Ansteckung verstärkt. Abgesehen von Simbabwe wo zur Zeit die demokratische Transition durch die Allüren eines Diktators mit schwindender Popularität (Robert Mugabe) ins Stocken geraten ist, und vom Bürgerkriegsstaat Angola, das mehr in die neue große Konfliktzone Großes-Seen-Gebiet gehört bilden die Länder des südlichen Afrika die relativ größte Aussicht auf weitere politische und sozioökonomische Fortschritte.
Auch in Afrika wiederholt sich die alte Erkenntnis: Konflikte brauchen eine Gesellschaft nicht zu zerstören, sondern sie können im Gegenteil dazu beitragen, die nationale Kohäsion zu festigen. Eine friedliche Regelung und zivile Bearbeitung von Konflikten setzen bei den beteiligten Verhandlungsführern die Bereitschaft zur Anerkennung pluralistischer Interessen und eine Politik der Inklusion voraus, wie sie sich im Falle der Republik Südafrika vor allem auf die Versöhnung politisierter Ethnien bezog. In keinem anderen afrikanischen Land ist die Konstruktion von Ethnizität durch den Staat und die Politisierung von Ethnizität in der Auseinandersetzung von politischen Gruppen mit größerer Konsequenz verfolgt worden als in Südafrika. Die Manipulation von „Rasse“ und Ethnizität im Sinne ihrer Instrumentalisierung zur Verwirklichung politischer Ziele(Machterhalt durch künstliche Grenzziehungen zwischen „Nationen“) hat dort langlebige Konfliktkonstellationen geschaffen, die über das formale Ende der Apartheid 1994 hinaus Bestand haben. Es gehört zu den großen Leistungen des African National Congress (ANC) unter Führung seines Präsidenten Nelson Mandela -des Friedensnobelpreisträgers, der für ganz Afrika eine Inspiration für Aussöhnung zwischen früheren Gegnern geworden ist daß weder der militante „Zulu-Nationalismus“ von Buthelezi noch das die getrennte „Rassen“ entwicklung propagierende „Afrikaanerdom“ der chauvinistischen Buren das Zusammenwachsen der Menschen, Völker und Parteien verhindern konnte. Die Wahlen von 1994 zum ersten demokratischen Parlament Südafrikas hatten dem ANC 62, 6 Prozent und der Nationalen Partei von Frederik W.de Klerk (der dann als Juniorpartner des ANC Vize-Präsident wurde) 20, 4 Prozent der Stimmen gebracht. Die ersten freien und fairen Parlamentswahlen haben die ethnisch akzentuierten Konflikte um die politische Macht und die Gestaltung der Rahmenbedingungen des „neuen Südafrika“ zwar nicht auflösen können, wohl aber dem legitimen Konfliktaustrag um konkurrierende Programme einen verfassungsgemäßen Rahmen gegeben. Die Zukunft dieses für ganz Afrika zum Hoffnungsträger der „afrikanischen Wiedergeburt“ gewordenen Bundesstaates hängt -neben den gewaltigen Problemen der hohen Arbeitslosigkeit, der Wohnungs-und Land-not sowie der steigenden Gewaltkriminalität -politisch von einer klugen Politik des ANC ab, der eine „Revitalisierung politisierter Ethnizität“ zu verhindern trachten müßte.
Beim bislang recht erfolgreichen Prozeß der Herausbildung einer pluralistischen, toleranten südafrikanischen Identität hat die Entstehung einer neuen „civil religion" eine beachtliche Rolle gespielt. In der schwierigen Übergangsperiode hat sie „erheblich dazu beigetragen, denen, die Macht aus den Händen gaben, die Perspektive der Hoffnung zu bieten, nicht ausgeschlossen zu werden, und die anderen, in deren Hände nunmehr die Macht übergegangen ist, vor der Versuchung zu bewahren, sie zu monopolisieren. Sie schließt nicht aus, sondern ein“
Trotz manch günstiger Bedingungen für eine gedeihliche Entwicklung Südafrikas -wobei Weltbank, IWF, transnationale Banken und alle OECD-Staaten ein erhöhtes Interesse daran haben, daß wenigstens Südafrika nicht weiterhin zu den wirtschaftlichen Verlierern der Globalisierung gehören möge -ist die Entwicklung am Kap der Guten Hoffnung mit großer Sorge zu betrachten. Starke integrationsgefährdende Kräfte können in der Nach-Mandela-Ära zum Zuge kommen, wobei „die größte Gefahr für die Stabilität des Verhandlungskompromisses und die neue Ordnung aus der Sicht der unterlegenen Parteien zweifellos von einer Stärkung der ohnehin dominanten Position des ANC in weiteren Wahlen“ ausgehen könnte: „Ungleich vielen anderen Staaten auf dem afrikanischen Kontinent hat Südafrika jedoch die Chance, die nun gefundene Konfliktlösung im Rahmen eines umfassenden bürgerrechtlich begründeten südafrikanischen Nationalismus, der deutlich vom ausgrenzenden ethnischen Nationalismus post-jugoslawischer Prägung abgegrenzt ist, durch Augenmaß und Versöhnung in der Praxis zu bestätigen.“
In vierzehn Staaten, die Reformen durchführten, ist es zu keinerlei Protesten gekommen. Gleichwohl haben die autoritären Führer von elf Staaten es für nötig befunden, Reformen von oben einzuleiten, entweder auf Druck der Geberländer (z. B. im Fall des bettelarmen Malawi) oder in der Hoffnung, durch kosmetische Korrekturen an der Verfassung die Macht behalten und durch mehr oder weniger freie Wahlen neu begründen zu können. Auf diese Weise ist es sich seit Jahrzehnten im Amt befindlichen Präsidenten gelungen (z. B. Präsident Omar Bongo in Gabun und Präsident Daniel arap Moi in Kenia), auch die jüngste Demokratisierungswelle, die Afrikas Diktatoren heimgesucht hat, heil zu überleben In drei Fällen, darunter Südafrika, ist es immerhin gelungen, im Prozeß der Demokratisierung der Gesellschaft einen Verfassungskompromiß zu erarbeiten, freie und faire Wahlen abzuhalten und so -in zwei Fällen -einen langanhaltenden Bürgerkrieg zu beenden: in Namibia und Mosambik. Dabei haben die Vereinten Nationen als den Aussöhnungs-und Wahlprozeß begleitende und aktivierende Beobachter eine wichtige und einzigartige Rolle gespielt. Keine andere Organisation als die Vereinten Nationen (also keinesfalls die regional eigentlich zuständige „Organisation für Afrikanische Einheit“, OAU) wäre in der Lage gewesen, die Implementierung der ausgehandelten Vertragswerke zwischen Bürgerkriegskontrahenten zu überwachen. Unter den wachsamen Augen der UN-Blauhelme fand im Oktober 1994 in Mosambik eine gelungene Vertragsimplementierung und ein politischer Neubeginn statt. Die bislang als Guerilla organisierte Widerstandsbewegung RENAMO erreichte mit 33, 7 Prozent bei den Präsidentschaftswahlen und 37, 8 Prozent bei den Parlamentswahlen achtbare Resultate, konnte aber die politisch tonangebende FRELIMO unter Staatspräsident Joaquim Chissano nicht entthronen. Die Wahlergebnisse und damit die Rolle der größten Oppositionspartei sind von der RENAMO unter ihrem Führer Alfonso Dhlakama akzeptiert worden, und seitdem hat sie sich -trotz chronischer Finanzkrise und mäßigen internen Querelen -zu einer konstruktiven Oppositionspartei entwickelt -eine der ganz seltenen gelungenen Metamorphosen von einer Kriegs-zu einer Friedenspartei. Mosambik und Südafrika gehören zum Typ der verhandelten Demokratisierung durch Pakte (im Englischen als „elite-driven democracy“ bezeichnet), die sich vor allem für heikle Übergangssituationen eignen, in denen sichergestellt werden muß, daß die Interessen derer angemessen berücksichtigt werden, die noch über die Machtmittel verfügen, den ganzen Verhandlungsprozeß wieder rückgängig zu machen oder abzubrechen
In Mosambik haben die beiden ehemaligen Konfliktparteien „Ansätze für einen Modus der friedlichen Konfliktbearbeitung und Kooperation über Parteigrenzen hinweg gefunden und damit den demokratischen Dialog ansatzweise institutionalisiert. Ansätze für eine längst überfällige Dezentralisierungspolitik sind zu erkennen. Obwohl Zeitpunkt und Umfang der Verwaltungsreform und der Kommunalwahlen noch heftig umstritten sind, hat sich gerade hier eine rege Debatte über die demokratische Zukunft Mosambiks entsponnen“ -und das in einem der ärmsten Länder der Welt.
Leider konnte der Verfahrenserfolg von Mosambik, der die Bereitschaft aller beteiligten Akteure zur friedlichen Bearbeitung von Interessenkonflikten voraussetzte und durch die Bereitschaft ermöglicht wurde, die Spielregeln der Mehrheitsdemokratie einzuhalten und jedes freie Votum der Wahlbevölkerung zu akzeptieren, im Falle Angolas nicht wiederholt werden. Die Tragödie von Angola -100 000 Kriegstoten durch einen dreißigjährigen Krieg, 60 000 Beinamputierte (als Folge von Landminen) und Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen -stellt ein demokratietheoretisch aufschlußreiches Lehrstück über die Grenzen friedensstiftender Verfahren und externer Interventionen dar. Im September 1992 war es endlich nach erbitterten Machtkämpfen zwischen der seit 1975 regierenden „Volksbewegung für die Befreiung Angolas“ (MPLA) und der im Süden operierenden „Nationalen Union für die vollständige Unabhängigkeit Angolas“ (UNITA) unter Führung von Jonas Savimbi zu Parlamentswahlen gekommen, an der sich 91 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten -ein eindrucksvoller Beleg für den Friedens-und Demokratiewillen einer überwiegend ländlich-bäuerlichen Bevölkerung. Die MPLA erhielt 53, 7 Prozent der Stimmen, die unterlegene UNITA nur 34, 1 Prozent (die restlichen 12, 2 Prozent fielen auf zehn kleine Parteien). Bei der gleichzeitig stattfindenden Präsidentenwahl fiel das Ergebnis noch knapper aus: Während der amtierende Präsident dos Santos 49, 6 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, entfielen auf UNITA-Chef Savimbi 40, 1 Prozent, was in etwa dem Anteil des Ovimbundu-Volkes an der Gesamtbevölkerung des Staates entsprach.
Doch der Verlierer akzeptierte das Wahlergebnis nicht, das nach Ansicht der Wahlkommission und internationaler Wahlbeobachter als frei und fair qualifiziert worden war, und zog sich mit seinen Guerillaverbänden erneut in den Busch zurück. Innerhalb kürzester Zeit ist es ihm dann gelungen, etwa zwei Drittel des nationalen Territoriums zu erorbern, darunter Huambo, die größte Stadt im zentralen Hochland, die Erdölstadt Soyo im Nordwesten sowie die Diamantenprovinzen im Nordosten des Landes. Der Diamantenschmuggel ins benachbarte Zaire wurde fortan seine wichtigste Finanzquelle zur Fortsetzung des Krieges. Im Gegenzug kaufte die MPLA 1993/94 für etwa drei Mrd. US-Dollar Waffen und verpfändete dafür auch zukünftige Erdöleinkünfte des Landes. Danach gelang es ihr in schweren Kämpfen, Teile des Landes von der UNITA zurückzuerobern. Nach den Wahlen sollen noch einmal 500 000 Menschen umgekommen sein. Und auch 7 000 UN-Blau-helme -womit das UN-Kontingent in Angola im Jahr 1996 zu dem größten und teuersten der UNO weltweit geworden war -konnten seitdem keinen dauerhaften Frieden zwischen den verfeindeten Brüdern herstellen, weil das politische Mißtrauen zwischen den beiden Konkurrenten um die Macht unüberwindbar schien Friedenssehnsucht und Aussöhnungsbereitschaft enstehen auch im südafrikanischen Kontext -wenn überhaupt -zuerst in den Köpfen strategisch handelnder Führer, und solange diese von anachronistischen Leitbildern ungeteilter und unkontrollierter Macht behext sind, kann es keinen Frieden geben. Nur als absolut waltender und schaltender „war lord" auf einem Teil des Staatsterritoriums mit fließenden Rändern läßt sich die Existenz des lokalen Alleinherrschers, der von Krieg, Schmuggel und usurpierten Rohstoffrenten lebt, noch eine Zeit aufrechterhalten.
Die entscheidende Differenz zwischen dem erfolgreichen Transitionsfall Mosambik, bei dem eine „doppelte Transition“ vom Kriegs-zum Friedenszustand und von der Diktatur zum demokratischen Mehrparteiensystem in Gang gesetzt wurde und dem gescheiterten Transitionsexperiment Angola liegt demnach nicht primär in systemischen oder strukturellen Faktoren (die waren in beiden Fällen vergleichbar, bis auf die reichliche bzw. ärmliche Ressourcenausstattung), sondern in subjektiven Faktoren, d. h. im weitesten Sinne in der politischen Kultur der lokal beteiligten Akteure mit ihren internationalen Beraternetzwerken. „Daß RENA-MO-Chef Dhlakama nicht wieder in den Busch zog, hat letzten Endes wohl auch damit zu tun, daß bei ihm der Savimbi-Faktor’ fehlt, nämlich der megalomanische Drang zur Macht, der Savimbi seit den sechziger Jahren antreibt“
VI. Ausblick: Demokratisierung und Staatserosion
Am Ende der neunziger Jahre stellt sich Afrika als widersprüchliche Einheit mit zwei konträren Tendenzen dar: soziale Mobilisierung der urbanen Mittelschichten und politische Liberalisierung sowie ansatzweise Demokratisierung zum einen, Gefährdung der gesellschaftlichen (interethnischen) Kohäsion, Auflösung staatlicher Institutionen (Staatszerfall) und Freisetzung von Gewalt („tribal clashes", „ethnic violence", Sezession und Bürgerkrieg) zum anderen. Dabei ist die Erosion staatlicher Autorität sowie die Einbuße an staatlicher Steuerungspotenz im Entwicklungsprozeß das komplexe Ergebnis von Verschuldung und sinkenden „terms of trade“, von Kriegen, Hungersnöten, Dürren und von Fehlverhalten der politischen Klasse. Öffentliche „Gewalt als ordnungsstiftende Erfahrung schlechthin“ (H. Popitz) ist in ca. einem Drittel der afrikanischen Staaten -darunter die großen Flächenstaaten Sudan, Zaire Nigeria Tschad, Angola -nicht mehr vorhanden oder aber im Schwinden begriffen. Mit anderen Worten: Die These, daß die „Krise der Gewalt“ in Afrika „die Krise eines unvollkommenen Gewaltmonopols und einer Zentralmacht“ sei, „die um den Anspruch auf das Gewaltmonopol ringt, aber in ihrem Ringen keiner wirksamen konstitutionellen Beschränkung unterworfen ist“ -diese These gilt nicht mehr ohne weiteres für Transitionsstaaten. Eine Tendenz zu politischer Mitsprache und Pochen auf Rechtsstaatlichkeit als Ergebnis der Proteste aus den urbanen Mittelschichten -trotz widriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen -ist unverkennbar. In den Staaten mit akuter Krise der politischen Gewalt stellt sich -je nach den besonderen historisch gewachsenen Machtverhältnissen -die Situation oftmals als verfahren oder blockiert dar, weil die „civil society“ angesichts der Vetoposition von Militärs noch zu schwach erscheint, aber in vielen Fällen ist der Kern der Staats-und Verfassungkrise die Frage des Zugangs zu Macht, Ressourcen und Prestige seitens rivalisierender Gruppen mit unterschiedlich sozio-kultureller Identität. So hat z. B. in Nigeria seit der Unabhängigkeit das religiös-politische Establishment im muslimischen Norden mit allen Mitteln versucht, die Staatsgewalt zu kontrollieren, wobei die politisierte Religion (durchaus vergleichbar mit der Funktion der politisierten Ethnizität) als Mittel zur Kompensation von entwicklungspolitischem Rückstand instrumentalisiert wird -ein zunehmend besorgniserregender Trend in afrikanischen Gesellschaften mit muslimischen Minder-oder Mehrheiten (Kamerun, Senegal, Sudan, Kenia, Tansania etc.). Da die Vorherrschaft des muslimischen Nordens vor allem durch die Opposition in den christlichen Landesteilen gefährdet ist, sind die Politiker, Emire, Militärs und Geschäftsleute aus dem islamischen Norden „versucht, durch eine forcierte Islamisierung das Machtgefüge zu ihren Gunsten zu verschieben, und dabei nehmen sie auch bewaffnete Konflikte in Kauf“
Trend und Gegentrend stehen insofern in einer systematischen Beziehung zueinander, als eine blockierte Demokratisierung die Distanz zwischen dem schwachen Staat und dem enttäuschten Bürger vergrößern dürfte -was somit Chaospotentiale an den Rändern der Bevölkerung freisetzen könnte. Neben den vier oben genannten Ländern im Zustand des Staatszerfalls sind als gefährdete Kandidaten auch Ruanda und Burundi, Angola, Tschad und Kongo-Zaire zu nennen. „Ausgeprägte Tendenzen hierzu gibt es aber auch in den Flächenstaaten Nigeria, Niger und Sudan. Als , soft state, dem es nicht mehr gelingt, die erwarteten Leistungen zu erbringen, kann fast jeder afrikanische Staat angesprochen werden. Die Meutereien und Putschversuche in der ersten Jahreshälfte 1996 haben dies verdeutlicht (in Niger, Guinea, Kongo und in der Zentralafrikanischen Republik). Am ehesten noch werden die Länder Botsuana, Burkina Faso, Cöte d’Ivoire, Ghana, Mauritius, Namibia, Südafrika, Tansania, Uganda und Zimbabwe dem Bild eines funktionierenden Staates gerecht.“
Welcher Trend sich in den nächsten Jahren durchsetzen wird, hängt ganz wesentlich auch davon ab, in welchem Maße sich die internationale Geber-gemeinschaft, angeführt von den OECD-Staaten und den Bretton-Woods-Institutionen Weltbank und Währungsfonds, bei der Bewältigung der ökonomischen und finanziellen Erblasten und chronischen Entwicklungsprobleme engagieren wird. In unüberhörbarer Deutlichkeit haben besonders US-amerikanische Sozialwissenschaftler auf den engen kausalen Zusammenhang zwischen Chancen der Demokratie in Afrika und ihren externen wirtschaftlichen Ermöglichungsbedingungen hingewiesen Ohne auswärtige finanzielle Unterstützung sei weder die Regierung, noch die „civil society“ in den meisten Staaten Afrikas, die nicht über hohe Einnahmen aus Rohstoffrenten verfügen, entwicklungsfähig -warnt Larry Diamond Von den 47 ärmsten Staaten, die von UN-Behörden häufig als „Vierte Welt“ oder als LLDC-Gruppe („Least Developed Countries“) bezeichnet werden, gehörten 28 zum subsaharischen Afrika. Mit der kürzlichen Aufnahme von Ghana, Madagaskar, Zaire und Sambia -alles rohstoffreiche Länder! -hat sich ihre Zahl auf 32 erhöht.
Kompetitive und semikompetitive Demokratien können sich -wie die Betrachtung Afrikas südlich der Sahara seit 1989 gezeigt hat -auch unter Bedingungen struktureller Armut entwickeln aber dennoch bleibt die Erfahrung evident, daß zur Konsolidierung demokratischer Fortschritte politische Wahlen allein nicht ausreichen, sondern sozioökonomische Fortschritte notwendig sind, um politischer Herrschaft in Afrika eine neue Legitimationsbasis verschaffen zu können. Demokratien können nur dann an politischer Stabilität und an Vertrauen gewinnen, wenn sie glaubhafte Aussichten auf die politische Bestimmung von Lebenschancen bieten und wenn die politische Gestaltung dieser Lebenschancen mit vorherrschenden Vorstellungen über Verteilungsgerechtigkeit zumindest korrespondiert Dieser Gedanke macht deutlich, daß in Afrika mit langen Zeiträumen der demokratischen Transition gerechnet werden muß und daß die internationalen Bedingungen für die Ermöglichung dieses Wandlungsprozeßes von ausschlaggebender Bedeutung sein werden.