Mit unendlicher Geduld für den Frieden Zwischenbilanz der OSZE-Langzeitmissionen
Berthold Meyer
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Zusammenfassung
In den neunziger Jahren hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein neues Instrument des Krisenmanagements und der Gewaltprävention entwickelt und dieses in einer Vielzahl von Konfliktzonen eingesetzt: die Langzeitmissionen. Sie sollen 1. bei Status-fragen zwischen der Titularnation und den im selben Lande nach mehr Selbständigkeit strebenden nationalen Minderheiten vermitteln, 2. in ihren Einsatzgebieten für die Einhaltung der Menschen-und Minderheitenrechte sorgen sowie dort 3.den Prozeß der Demokratisierung unterstützen. In einigen Fällen sollen sie jedoch 4. vor allem erst einmal für Waffenruhe sorgen oder, wo dies schon geschehen ist, die Tätigkeit von Friedenstruppen überwachen. Einige der Missionen -etwa die in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien oder in Georgien -sind während der vergangenen fünf Jahre regelmäßig verlängert worden, ohne daß ein Ende in Sicht wäre. Da dies sowohl als Zeichen dafür gewertet werden kann, daß sie notwendige „gute Dienste“ leisten, wie auch als Beleg dafür, daß sie ihr Mandat noch nicht erfüllt haben, geht diese vergleichende Untersuchung der Frage nach, wie es um die Chancen der verschiedenen Missionen steht, ihre Aufgaben mit den vorhandenen Mitteln zu meistern und einen dauerhaften Frieden zustandezubringen.
Seit 1992 unterhält die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Langzeitmissionen in Krisengebieten. Die meisten wurden zunächst für ein halbes Jahr entsandt, doch dann immer wieder um denselben Zeitraum verlängert. Einige von ihnen -etwa die in die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien oder nach Georgien -bestehen schon seit mehr als fünf Jahren, ohne daß ein Ende in Sicht wäre. Daher stellt sich die Frage, ob es unendlicher Geduld der Staatengemeinschaft bedarf, um einen prekären Frieden in den Einsatzgebieten zu stabilisieren oder überhaupt zu schaffen, oder ob andere Gründe für die dauernden Verlängerungen maßgeblich sind.
Um diese Frage zu beantworten, sollen im folgenden die Mandate der OSZE-Missionen und ihre jeweilige Erfüllung betrachtet und miteinander verglichen werden.
I. Die Stellung der Langzeit-missionen im Kontext der OSZE
In der Geschichte der KSZE/OSZE lassen sich drei Phasen ihres Umgangs mit Fragen der Gewaltprävention und des Krisenmanagements bei regionalen und innergesellschaftlichen Konflikten unterscheiden In der ersten von 1975 bis 1989 war den meisten Teilnehmerstaaten eine Einhegung des Ost-West-Konfliktes weitaus wichtiger als die Suche nach Verfahrensregeln für die Beilegung kleinerer Konflikte. Während der Umbruch-phase nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation konnte eine Reihe von „Krisenmechanismen“ vereinbart werden. Insbesondere der Streitbeilegungsmechanismus läßt sich nur bei Konflikten zwischen Staaten einsetzen, während er für die zunehmend wichtiger werdenden innerstaatlichen Auseinandersetzungen nicht geeignet ist.
Mit der Auflösung Jugoslawiens und der Sowjetunion war die Staatengemeinschaft daher genötigt, in einer dritten Phase neue Institutionen und Verfahren des Krisenmanagements und der Gewaltprävention zu entwickeln. Dies sind vor allem -der Amtierende Vorsitzende und seine persönlichen Beauftragten, die er jederzeit in Krisengebiete entsenden kann;
-der Hohe Kommissar für Nationale Minderheiten (HKNM), der selbständig interethnische Problemlagen, die den internationalen Frieden beeinträchtigen können, aufgreifen kann;
-kurzfristige Erkundungsmissionen und internationale Wahlbeobachtung durch das War-schauer Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte sowie -die im Zentrum dieses Aufsatzes stehenden Langzeitmissionen.
Alle diese Aktivitäten steuert und koordiniert der wöchentlich in Wien zusammentretende Ständige Rat der OSZE und in seinem Auftrag der Generalsekretär.
II. Die ersten Langzeitmissionen
Nachdem im Sommer 1992 zwei Erkundungsmissionen der KSZE die militärische Situation im Kosovo beobachtet hatten, empfahl der Ausschuß Hoher Beamter (AHB) am 24. August die Entsendung von längerfristigen Missionen in den Kosovo, den Sandjak und die Vojvodina. Sie sollten vor allem den „Dialog zwischen den betroffenen Behörden und Vertretern der Bevölkerung und Gemeinschaften (gemeint sind die unterschiedlichen Volksgruppen, B. M.) in den drei Regionen“ fördern, „Informationen über alle Fragen von Bedeutung für die Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ sammeln und die damit verbundenen Probleme lösen helfen
Die Mission kam Ende Oktober 1992 zum Einsatz. Sie vermittelte -wie vorgesehen -in Streitfällen und übernahm dabei vielfach die Funktion einer Ombudsperson, um den Mangel an Rechtsschutz für die Bevölkerung gegenüber den Behörden auszugleichen. Dadurch konnte eine größere Anzahl von lokalen Zwischenfällen „auf ihren zumeist unpolitischen Charakter reduziert und von ethnischen Emotionen befreit werden“
Im Verlaufe ihrer Tätigkeit umfaßte die Mission bis zu 20 Personen. Ein Beschluß, den Umfang auf 40 Personen zu erhöhen, konnte nicht mehr realisiert werden, da die Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien für ein vorzeitiges Ende der Mission sorgte, indem sie eine Verlängerung des Mandats über Ende Juni 1993 hinaus ablehnte. Dieser Abbruch hängt mit der Suspendierung der Teilnahme der jugoslawischen Delegation an den Sitzungen der OSZE-Gremien zusammen. Da die OSZE die Aufgaben der Mission nicht für erledigt hält, bemüht sie sich seither um eine Wiedereinreise. Da sie aber nach wie vor nicht bereit ist, die Suspendierung der Belgrader Regierung aufzuheben, blockieren sich beide Seiten weiterhin gegenseitig.
Anders als Slowenien, Kroatien und später Bosnien-Herzegowina hatte sich die Teilrepublik Mazedonien im September 1991 aus dem jugoslawischen Staatsverband herauslösen können, ohne daß es zu blutigen Auseinandersetzungen mit Restjugoslawien kam. Doch niemand konnte eine gewaltgeladene Entwicklung ausschließen, da in Mazedonien eine starke albanische Minderheit lebt und die Lage im zu Serbien gehörenden, zu etwa 90 Prozent albanisch bevölkerten Kosovo äußerst gespannt war und ist. Am 18. September 1992 beschloß der AHB daher „zum Zweck der
Verhinderung eines Übergreifens des Konflikts“ ein Mandat für die Mission, das folgende Aufgaben umfaßt: die Aufnahme eines dauerhaften Dialogs mit den Regierungsbehörden sowie mit Vertretern der politischen Parteien, anderer Organisationen und Bürgern; die Durchführung von Erkundungen hinsichtlich der Stabilität der Situation, von möglichen Konflikten und Unruhen sowie die Ermittlung der Umstände möglicher Zwischenfälle. Außerdem sollte sie eine sichtbare Präsenz im Lande zeigen
Obwohl Vermittlung nicht direkter Bestandteil des Mandats war, übernahm die Mission in der Praxis diese Funktion schon bald, insbesondere in bezug auf die albanische Volksgruppe Darüber hinaus unterstützte sie den Europarat bei einer Volkszählung im Juni 1994 und arbeitete immer wieder mit dem HKNM zusammen. Im Oktober 1994 organisierte und beobachtete sie die Präsidentschaftsund Parlamentswahlen. Alles in allem hat diese nie mehr als zehn Mitglieder umfassende Mission bisher im Sinne der Konfliktprävention erfolgreich gearbeitet. Das heißt jedoch nicht, daß sie damit überflüssig geworden wäre. Im Gegenteil -die mazedonische Regierung legt Wert darauf, die OSZE im Lande zu behalten. Sie hat daher bei der Entscheidung über die halbjährliche Verlängerung im Juni 1997 angeregt, die Mission in ein Regionalbüro für den südlichen Balkan umzuwandeln
Mit der Verschärfung der Konfliktlage im Kosovo im Frühjahr 1998 erhielten sowohl die OSZE-Mission in Mazedonien (und die dort stationierten UN-Blauhelme) als auch die seit 1997 bestehende OSZE-„Präsenz“ in Albanien eine zusätzliche Funktion. Solange es der OSZE nicht gelingt, sich über eine Wiedereinsetzung ihrer Kosovo-Mission mit Belgrad zu einigen, müssen diese Missionen der internationalen Organisation an den Grenzen des Kriegsgebietes verhindern, daß Waffen in den Kosovo geschmuggelt werden, um so einer Eskalation entgegenzusteuern.
Gleichzeitig mit dem Beschluß, eine Mission nach Skopje zu entsenden, wurde die Tätigkeit von Sanktions-Unterstützungs-Missionen (Sanctions Assistance Missions/SAMs) vorbereitet, die die Zollbehörden der an die Bundesrepublik Jugoslawien grenzenden Staaten beraten und bei der Einhaltung der gegen das Land gerichteten Sanktionen unterstützen sollten. Sie kamen zunächst in Bulgarien, Ungarn und Rumänien, später auch in Albanien, Kroatien, Mazedonien und in der Ukraine zum Einsatz. In ihnen taten über 200 Zollbeamte aus verschiedenen Teilnehmerstaaten Dienst. Ihr Mandat lief zum 30. September 1996 aufgrund der Aufhebung der Sanktionen aus. Ihre Wirkung war ohne Zweifel sehr begrenzt, jedoch sah der erste OSZE-Generalsekretär Wilhelm Höynck in ihnen „einen erheblichen Beitrag ..., den Bemühungen der internationalen Gemeinschaft um die Beendigung der Kämpfe im früheren Jugoslawien Glaubwürdigkeit zu verleihen“
An regulären Langzeitmissionen folgten in kurzen Abständen die nach Georgien (beschlossen am 6. November 1992), nach Estland (13. Dezember 1992) und nach Moldawien (4. Februar 1993). Danach wieder in größeren Abständen nach Lettland (23. September 1993), Tadschikistan (1. Dezember 1993), Sarajevo (2. Juni 1994), Ukraine (15. Juni 1994), Tschetschenien (11. April 1995), Bosnien und Herzegowina (8. Dezember 1995), Kroatien (18. April 1996) sowie im vergangenen Jahr eine ständige „Präsenz“ in Albanien (3. April 1997) und eine Beratungsgruppe für Weißrußland, die ihre Tätigkeit am 21. Februar 1998 aufgenommen hat. Schon dieser Überblick (siehe auch die Übersicht) macht deutlich, daß mit den Missionen -ganz anders als bei den „Mechanismen“ -ein Instrument vorhanden ist, bei dem der Bedarf der betroffenen Länder und die Möglichkeiten der OSZE, zu handeln, offensichtlich rasch in Einklang zu bringen waren.
III. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Mandate
Die hier skizzierten Mandate der ersten beiden Missionen zeigen beispielhaft, wie vielfältig und je nach Einsatzgebiet verschieden die Aufgaben aller Missionen sind. Diese lassen sich jedoch in vier Kategorien aufgliedern: 1. bei Statusfragen zwischen der jeweiligen Titularnation und den im selben Lande nach mehr Selbständigkeit strebenden nationalen Minderheiten vermitteln und umfassende Lösungen suchen; 2. in ihren Einsatzgebieten für die Einhaltung der Menschen-und Minderheitenrechte sorgen; 3. bei der Transformation von Diktaturen den Prozeß der Demokratisierung unterstützen sowie 4. einen Waffenstillstand herbeiführen oder die Tätigkeit von Friedenstruppen überwachen.
Nicht jede Mission hat ein Mandat für alle vier Aufgabenbereiche. Zwischen den ersten dreien gibt es außerdem einige Berührungspunkte: Die allermeisten Missionen haben sich -zumindest auch -mit Minderheitenkonflikten zu befassen. Daher sind auf der gesamtstaatlichen Ebene fast immer Regelungen für den Status dieser Volks-gruppen zu finden. In diesem Zusammenhang ist häufig ihre demokratische Repräsentanz in den staatlichen Organen zu sichern, während in den Alltagsbeziehungen zwischen den Angehörigen der Ethnien dafür zu sorgen ist, daß Menschen-und Minderheitenrechte eingehalten werden.
Während die Missionen in diesen drei Bereichen sowohl Aufgaben zur Gewaltprävention wie zur Friedenskonsolidierung wahrnehmen, bezieht sich das Mandat zur Herbeiführung eines Waffenstillstandes und zu seiner Überwachung immer auf Konflikte, die die Schwelle zu militärischer Gewalt schon überschritten haben. Folgt man dieser Einteilung, so lassen sich die grundlegenden Inhalte der Mandate wie folgt zusammenfassen: 1. Soweit es Statuskonflikte angeht, orientiert sich die OSZE als eine Gemeinschaft von Staaten an den Interessen ihrer Mitglieder. D. h., in Fällen, in denen eine ethnische Minderheit ihr Siedlungsgebiet aus einem Staatsverband herausbrechen will, versucht die OSZE und ihre Mission, die Gefahr einer Sezession abzuwenden (Ukraine, Tschetschenien) oder eine solche rückgängig zu machen (Georgien, Moldova). Diese Haltung ist vor allem der Tatsache geschuldet, daß die OSZE anderenfalls kaum von dem betroffenen Mitglied eingeladen würde, eine Mission in sein Land zu entsenden, und ohne Einladung kann sie -anders als der Hochkommissar für nationale Minderheiten -nicht aktiv werden.
Diese Politik geht aber auch darauf zurück, daß nicht unmittelbar beteiligte Länder -auch und gerade des „alten“ Westens -, die ebenfalls Probleme mit dem Status von Minderheiten (z. B. Frankreich mit den Korsen, Spanien mit den Basken, Kanada mit den Frankophonen in Quebec oder die Türkei mit den Kurden) haben, alles vermeiden, was sezessionistische oder irredentistische Bewegungen in ihrem eigenen Lande indirekt stärken könnte. Da die Missionen in ihrer Arbeit vor Ort jedoch versuchen müssen, zu einem friedlichen Interessenausgleich zwischen den Kräften zu gelangen, die den Staat zusammenhalten wollen, und denen, die auf eine Abspaltung setzen, ist es für sie unabdingbar, auch deren Vertrauen zu gewinnen, da sie anderenfalls die Gegenwart der OSZE von vornherein als Parteinahme für die Regierungsseite ablehnen würden.
In Situationen, in denen der Status von Minderheiten lediglich gesichert werden soll, ohne daß eine Sezession zu erwarten ist (wie in Estland, Lettland und mit Abstrichen Mazedonien) hat die OSZE-Mission allem Anschein nach geringere Probleme, als Helferin der Regierung bei der Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen, die den KSZE/OSZE-Dokumenten entsprechen, aufzutreten. Soweit die Repräsentanten der Minderheiten erkennen können, daß ihren Volksgruppen diese Hilfe letztlich zugute kommt, können sie sich auch darauf einlassen. Derartige Konstellationen dürften einer der Gründe dafür sein, daß diese Missionen als erfolgreicher angesehen werden können als die meisten, die mit ernsthaften Sezessionsproblemen zu tun haben. • 2. Vergleicht man die auf die Einhaltung der Minderheiten- und Menschenrechte bezogenen Aufgaben der Missionen, so sind auf der einen Seite in hohem Maße Gemeinsamkeiten zu erkennen, was durch den nachfolgend zu behandelnden Themenbereich der Demokratisierung nochmals unterstrichen wird. So sollen alle mit Parteien, Gewerkschaften und anderen Gruppen zusammenarbeiten sowie Ombudspersonen unterstützen. Ein weiteres gemeinsames Merkmal ist die Kooperation mit dem Hochkommissar für nationale Minderheiten, der alle diese Länder (abgesehen von Tschetschenien sowie Bosnien und Herzegowina) ebenfalls regelmäßig aufsucht, um sie bei der Bearbeitung der Minderheitenprobleme zu beraten. Auf der anderen Seite ist die Lage in den einzelnen Ländern jedoch so verschieden, daß verallgemeinernde Aussagen über die Erfolgsbedingungen und -aussichten nicht möglich sind. Dies schon deshalb, weil einige der Missionen bisher ausschließlich eine Präventivfunktion hatten (Kosovo/Sandjak/Vojvodina, Estland, Lettland, Mazedonien und Ukraine), während andere die Menschen-und Minderheitenrechte in einer noch nicht stabilisierten Nachkriegssituation schützen sollten (Georgien, Moldawien, Tschetschenien, Bosnien und Herzegowina sowie Kroatien).
Da dieser Arbeitsbereich vor allem lokale Probleme und Einzelfälle betrifft, ist es für den Erfolg wichtig, daß die Missionen in den betroffenen Ländern für die Bevölkerungen sichtbar präsent sind und flächendeckend arbeiten können. Wer hierfür mit weniger oder kaum mehr als zehn Mitarbeitern auskommen muß oder nur ein Büro in der Hauptstadt unterhält, ist geradezu zwangsläufig überfordert. Allerdings zeigt der Vergleich mit der riesigen Mission nach Bosnien und Herzegowina, daß selbst 400 ständige Mitarbeiter angesichts der Schwere ihrer Aufgaben noch nicht genug sind. 3. Da sämtliche Langzeitmissionen der OSZE bisher in Länder entsandt worden sind, in denen es bis zur Auflösung der Sowjetunion und des damaligen Jugoslawiens die Alleinherrschaft einer kommunistischen Partei, keine freien Wahlen und eine mehr oder weniger staatlich-parteilich gelenkte Medienlandschaft gab, gehört die Unterstützung des Aufbaus von pluralistischen Demokratien zu den Hauptzielen, die die OSZE mit ihrer Präsenz in diesen Ländern verbindet. Sie entspricht damit dem „unerschütterlichen Bekenntnis“ aller Teilnehmerstaaten des Pariser Gipfels von 1990 „zu einer auf Menschenrechten und Grundfreiheiten beruhenden Demokratie“. '
Der Vergleich der verschiedenen Mandate und ihrer Verwirklichung im Bereich der Demokratisierungshilfe zeigt, daß deren Schwerpunkt bei der Durchführung und Beobachtung von Wahlen liegt. Um dies flächendeckend organisieren zu können, muß die Missionsstärke zeitweilig um ein Vielfaches erweitert werden, damit sie ihre Beobachtungsergebnisse auch gegenüber denjenigen glaubwürdig rechtfertigen kann, die bei einer Wahl unterliegen. Dies gilt insbesondere für Länder mit einer vom Bürgerkrieg zerrissenen Gesellschaft. Die enormen Anstrengungen in Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Albanien stehen hier vielleicht für einen neuen Trend, der auf der Erkenntnis aufbaut, daß die Beobachtung mit Hilfe von Stichproben erst dann genügt, wenn Demokratien schon einigermaßen gefestigt sind. Wahlbeobachtungen sind zunehmend auch Gegenstand von Kurzzeitmissionen im Auftrag des Warschauer Büros der OSZE für Demokratische Institutionen und Menschenrechte, wobei wiederum fast ausschließlich Länder aus dem ehemaligen kommunistischen Machtbereich besucht werden. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildete 1996 die Beobachtung der Präsidentenwahl in den USA
Erst mit Abstand an zweiter Stelle stehen Maßnahmen zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit sowie der Erarbeitung demokratischer und gegebenenfalls föderaler Verfassungen. Dazu gehört auch die Unterstützung beim Aufbau eines pluralistischen Parteiensystems sowie die Förderung unabhängiger Medien. Hierfür sind die Mandate meist sehr allgemein gehalten, um auf die jeweiligen Gegebenheiten des Gastgeberlandes Rücksicht nehmen zu können. Wo diese sich jedoch -wie in Tadschikistan -als fortdauernder Kriegszustand darstellen, steht die Mission auf verlorenem Posten. 4. Nur wenige Missionen sollen einen Waffenstillstand ermöglichen oder die Tätigkeit von Friedens-truppen beobachten. Sämtliche derart mandatierten Missionen oder Vorhaben der OSZE agieren in Regionen auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion. Sie haben es daher allesamt mit russischen oder GUS-Truppen zu tun, die einmal als Konfliktpartei (in Tschetschenien) oder zur Unterstützung einer der Parteien (so in Moldawien und zunächst in beiden Kriegsgebieten Georgiens), ein anderes Mal als vorgebliche (in Tadschikistan) und in einem Fall auch als echte Friedenstruppen (nach 1992 im georgisch-südossetischen Konflikt) in Erscheinung treten.
Schon die Formulierung des Mandats, aber auch der Erfolg vor Ort hängen daher sehr stark davon ab, welche Politik die Russische Föderation in einem Konfliktgebiet verfolgt und inwieweit die Politik und Militärstrategie Moskaus gegenüber dem „Nahen Ausland“ mit dem Verhalten der Repräsentanten der Armee „vor Ort“ übereinstimmen; weiterhin, ob die Russische Föderation versucht, die OSZE in ihre Politik einzubinden, oder ob Moskau sich -wie zeitweilig in Tschetschenien -in eine Sackgasse manövriert hat, so daß es sich von den OSZE-Aktivitäten verspricht, diese ohne Gesichtsverlust verlassen zu können.
IV. Ambivalente Zwischenbilanz
Bis auf die von Belgrad zum Abzug gezwungene erste Mission und die Sanctions Assistance Missions,die zum 30. September 1996 ihre Aufgaben erledigt hatten, sind alle anderen Langzeitmissionen regelmäßig im Halbjahresrhythmus, und diejenigen nach Bosnien und Herzegowina sowie nach Kroatien von vornherein mit größeren Fristen verlängert worden. Was steht hinter diesen Entscheidungen der Lenkungsgremien der OSZE? Zeugen sie davon, daß noch nicht alle Aufgaben der Missionen erledigt sind? Oder daß sie so gute Arbeit leisten, daß sie das Gastgeberland -wie im Falle Mazedoniens -unbedingt im Lande behalten will?
Einerseits sprechen sowohl die vielfältigen „guten Dienste“ der Missionen wie auch die beruhigende Wirkung, die von der bloßen Anwesenheit von Repräsentanten einer internationalen Organisation ausgeht, dafür, sie im Lande zu halten, bis der innere Frieden gesichert ist. Andererseits können die Fortdauer innerer Spannungen und gelegentlicher Gewaltanwendung auch als Belege dafür angesehen werden, daß die im Mandat aufgelisteten Aufgaben noch nicht erfüllt sind, ja, daß manche Konflikte so komplex und tiefgreifend sind, daß bestimmte Ziele der Mission mit den vorhandenen Mitteln auf absehbare Zeit nicht erreicht werden können.
Es ist grundsätzlich sehr schwierig, den Grad des Erfolges einer Mission zu messen. Dies zeigt das tschetschenische Beispiel: Der dort eingesetzten OSZE-“ Unterstützungsgruppe“ ging es zunächst einmal darum, überhaupt Waffenstillstandsverhandlungen zu ermöglichen. Diese führten zum Abkommen vom 31. Juli 1995. Doch der Waffenstillstand hielt nicht lange. Die tschetschenische Konfliktpartei warf der OSZE daraufhin vor, gegenüber den russischen Vertragsverletzungen geschwiegen zu haben. Ihr damaliger Präsident Dudajew verweigerte der Unterstützungsgruppe sogar jeden Kontakt. Erst nachdem er einem russischen Raketenangriff zum Opfer gefallen war, wurde der Missionschef Guldimann von Dudajews Nachfolger Jandarbijew empfangen. Durch OSZE-Vermittlung kam es am 27. Mai 1996 zu einem Treffen mit der russischen Regierung, bei dem die Konfliktparteien einen umfassenden Gewaltverzicht und einen neuen Waffenstillstand beschlossen, der allerdings ebenfalls „laufend verletzt“ wurde Die dann nach den russischen Präsidentschaftswahlen von Jelzins Bevollmächtigtem General Lebed mit dem Stabschef der tschetschenischen Streitkräfte Maschadow geführten Gespräche verliefen zunächst ohne die OSZE. „Die Unterstützungsgruppe wurde erst wieder in die Verhandlungen einbezogen, als mir (Guldimann, B. M.) Lebed am 28. August in Moskau den Entwurf für ein Abkommen unterbreitete, den ich am folgenden Tag Jandarbijew übermittelte. Das Abkommen wurde am 31. August in Chasawjurt ... unterzeichnet. Die Unterstüzungsgruppe trug mit ihren Kommunikationsmiteln dazu bei, daß das Treffen stattfand.“
Vor allem in noch andauernden Prozessen der Vermittlung ist es problematisch, den konkretenBeitrag einzelner Beteiligter, Gruppen oder Organisationen zu isolieren, denn fast überall sind die OSZE-Missionen nicht allein im Einsatz. Sie überschneiden sich z. B. da, wo es um Minderheitenprobleme geht, mit den Aktivitäten des OSZE-Hochkommissars. Ein weiteres Bewertungsproblem erwächst daraus, daß Missionen oder Vertreter der UNO, des Europarates oder der EU sowie von gesellschaftlichen Gruppen sich in denselben Ländern um Prävention, Vermittlung und Friedenskonsolidierung bemühen.
Da es nicht die Politik der Staatengemeinschaft sein sollte, quasi automatisch in jedem Juni und Dezember alle Mandate zu verlängern, stellt sich die Frage nach dem Erfolg oder Mißerfolg der Einsätze auch unter dem Aspekt, wann sie zu beenden sind. Einzig im Mandat der Mission nach Estland gab es den Auftrag, „in Anbetracht des befristeten Mandats nach Wegen und Mitteln zu suchen, die örtliche Bevölkerung schrittweise auf die Übernahme von Aufgaben der Mission vorzubereiten“ Dies ist bisher noch nicht relevant geworden, obwohl der estnische Außenminister Ilves im April 1997 im Ständigen Rat eine baldige Beendigung der Mission befürwortet hat
Bei allen späteren Missionen scheinen die Gremien der OSZE hingegen erst gar keine Perspektiven für die „Zeit danach“ mehr entwickelt zu haben. Vielmehr lassen die fast gewohnheitsmäßigen Verlängerungen den Schluß zu, daß in den vergangenen Jahren dem Ständigen Rat der Mut fehlte, auch einmal selbst eine Mission zu stoppen -sei es aus der Erkenntnis, daß sie das Maximum dessen erreicht hat, was ihr zu leisten möglich war, oder aus der Einsicht, ihr ein unerfüllbares Mandat erteilt zu haben. Allerdings sind immer wieder Mandate abgeändert worden.
V. Zur Entsendepolitik der OSZE
Die Entsendepolitik der OSZE stößt gleichermaßen auf der Ebene der Staatengemeinschaft wie auf der der Gastgeberländer auf Probleme, die sowohl die Einrichtung, die Dauer des Einsatzes wie den möglichen Abzug betreffen. 1. Grundsätzliche Probleme auf der Ebene der Staatengemeinschaft Das Spannungsverhältnis zwischen dem inhaltlich meist sehr umfassenden Mandat einer Mission und ihrer in den meisten Fällen eher zu geringen Personalausstattung wurde schon angedeutet. So fällt es kleineren Missionen schwer, die Präsenz der OSZE im Gastland flächendeckend sichtbar zu machen. Um größere Missionen entsenden zu können, müßten die Mitgliedstaaten jedoch hinreichend geeignetes Personal zur Verfügung stellen. Die Bereitschaft dazu hängt nicht nur von der Risikoeinschätzung für den Einsatz ab, sondern auch vom Haushalt der OSZE. So klagte der Amtierende Vorsitzende am 16. Oktober 1997 zum wiederholten Male im Ständigen Rat darüber, „daß die Finanzierung von OSZE-Operationen zum Großteil auf freiwilligen Beiträgen beruht. Operationelle Sicherheit hinsichtlich der Durchführung von der OSZE beschlossener Aktivitäten sei derzeit nicht gegeben.“ Da der Verlängerungsturnus der meisten Missionen bisher nur ein halbes Jahr betrug, gab es einen dementsprechend häufigen Personalwechsel. Er erschwert es auf der individuellen Ebene, daß sich die Mitarbeiter optimal mit ihrer Aufgabe identifizieren. Auf der Ebene der gesamten Mission verhindert er außerdem, daß ein für eine effektive Arbeit unabdingbares . institutionelles Gedächtnis’ in der Mission entsteht und es somit erforderlich wird, daß die Kontakte zu wichtigen Dienststellen und den Vertretern der Konfliktparteien immer wieder neu aufgenommen werden müssen. Diese können daher ihre Interessen aufgrund ihrer mit weitem Abstand besseren Kenntnisse der landesinternen Verhältnisse gegen die Friedensstrategie der OSZE durchsetzen.
Nicht immer ist es so klar wie in dem neuen Mandat der „Präsenz“ in Albanien, daß die Vertreter der OSZE die Koordinierung der Aufgaben der verschiedenen internationalen Organisationen, die ebenfalls im Lande vertreten sind, übernehmen sollen. Die übrigen OSZE-Missionen wären dazu außerdem nur dann in der Lage, wenn sie sich -wie in diesem Falle -auf eine längerfristige Anwesenheit einrichten könnten.
Schließlich ist bisher völlig ungeklärt, wie und von wem letztendlich festzustellen ist, ob und wann ein Mandat als erledigt anzusehen ist. Entscheidet hierüber die Regierung des Gastgeberlandes? Oder ein gemeinsames Kommunique von Vertretern der verschiedenen Konfliktparteien? Oder die Kassenlage der OSZE und der Entsenderländer? 2. Zunehmende Probleme einiger „Gastgeber“ mit den Verlängerungen Um eine Mission entsenden zu können, bedarf es der Einladung des Landes, in dem sie tätig werden soll. Da dessen Regierung aber häufig selbst Konfliktpartei ist, ist sie nur eingeschränkt zur Kooperation mit der OSZE bereit. Die Einstellung zu der Mission mag sich im Laufe der Zeit ändern, jedoch entstehen für die „Gastgeber“ mit zunehmender Dauer der Missionen zwei politische Probleme, die eng miteinander verknüpft sind: Je länger Missionen vor Ort aktiv sind und sich politisch einbringen, desto mehr tangieren sie die Souveränität der betroffenen Staaten, was von Regierungen stets nur ungern akzeptiert wird. Es wird überdies von ihnen unter Umständen als Gefahr für ihre internationale Reputation bewertet.
Unter den Gastgeberstaaten befürchtete vor allem die Ukraine Mitte 1996, weitere Verlängerungen könnten von der Außenwelt als Beleg dafür angesehen werden, daß bei ihr immer noch nicht alles in Ordnung sei, obwohl sie sich inzwischen eine neue Verfassung gegeben hatte. Andere Staaten meinten hingegen, daß noch weitere Aufgaben, insbesondere die Beobachtung der russischen Minderheit auf der Krim und die Abhaltung von „runden Tischen“ zu verschiedenen Themen zu erfüllen seien So wurde das Mandat doch noch zwei weitere Male verlängert, allerdings bei der Sitzung des Ständigen Rates am 11. Dezember 1997 mit der Maßgabe, „angesichts der positiven Entwicklungen ...dem Generalsekretär eine Reduzierung der internationalen Mitarbeiter der Mission von sechs auf vier nahezulegen“
Als eine gewisse Diskriminierung oder Bevormundung wird in den mittel-und osteuropäischen Ländern außerdem die Tatsache empfunden, daß die OSZE seit dem Ende des Ost-West-Konflikts ihre Arbeit zur Prävention und zum Krisenmanagement auf den früheren „Osten“ konzentriert hat, während ethnische Konflikte in immer schon zum „Westen“ gehörenden Staaten -wie z. B. in Nordirland, im Baskenland, auf Korsika, auf Zypern oder in Quebec -oder auch die schweren Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland, nicht auf der Agenda der OSZE-Gremien stehen und Versuche, sie dort zur Sprache zu bringen, an westlichem Desinteresse scheitern.
VI. Einige Schlußfolgerungen
Nicht alle genannten Probleme der Langzeitmissionen lassen sich durch grundsätzliche oder durch operative Veränderungen, die vom Ständigen Rat und vom Generalsekretariat vorzunehmen wären, beheben. Aber es gibt Möglichkeiten und auch schon Ansätze hierzu: 1. In dem Maße, in dem das Vertrauen in die Kompetenz der OSZE auf dem Gebiet der Gewaltprävention, des Krisenmanagements und der Friedenskonsolidierung wieder zunimmt, sollte sie auch von ihren Mitgliedern mit mehr Mitteln ausgestattet werden, um mit mehr und besser vorbereitetem Personal ihren Aufgaben vor Ort nachzukommen. 2. Der Weg, der erstmals in Bosnien und Herzegowina beschritten und in Kroatien, Albanien und Weißrußland wiederholt wurde -von der halbjährlichen Verlängerung zu längeren Fristen überzugehen -, zeigt eine neue Flexibilität. Dies sollte dazu führen, daß Missionen, bei denen absehbar ist, daß ihre Anwesenheit über längere Zeit erforderlich ist, in permanente Büros oder „Botschaften“ der OSZE umgewandelt werden. Das hätte mehrere Vorteile: Rein technisch würde es erleichtern, in Form eines vor Ort geführten Archivs ein , institutionelles Gedächtnis’ entstehen zu lassen. Für die inhaltliche Arbeit wäre der Vorzug eines z. B. auf drei Jahre berufenen Leiters, daß er in der Lage wäre, intensivere Kontakte zu den wichtigen Personen, Dienststellen und Organisationen im Lande aufzubauen. Damit jedoch nicht ein einzelnes Land hierin eine Diskriminierung zu sehen braucht, empfiehlt es sich, gleichzeitig mehrere Missionen diesem Wandel zu unterziehen. 3. Für eine solche dauerhafte Institutionalisierung dürfte es vor allem dann leichter fallen, die Zustimmung der Gastgeberländer zu erhalten, wenn die OSZE sich von dem Verdacht befreit, eine Institution des „alten Westens“ zu sein, die den „neuen Osten“ bevormunden will. Dies ließe sich am ehesten dadurch erreichen, daß endlich auch innergesellschaftliche Konflikte in Ländern des „alten Westens“ von den OSZE-Gremien thematisiert und Missionen oder „Botschaften“ der OSZE auch hier eingerichtet würden. 4. Das Mandat der „Präsenz“ in Albanien, die Arbeit der verschiedenen dort tätigen internationalen Organisationen zu koordinieren, ist ein Versuch, Doppelarbeit und Reibungsverluste zu vermeiden. Wenn die OSZE ihre vom Pariser Gipfel 1990 anvisierte zentrale sicherheitspolitische Rolle in Europa wenigstens für den Bereich des Krisen-managements und der Gewaltprävention behaupten will, sollte sie auch die Mandate der anderen Missionen um diese Aufgabe erweitern.
Berthold Meyer, Dr. rer. soc., geb. 1944; Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und empirischen Kulturwissenschaft in Tübingen; Projektleiter und Leiter des Akademieprogramms bei der Hessischen Stiftung Friedens-und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Peter Schlotter und Norbert Ropers) Die neue KSZE. Zukunftsperspektiven einer regionalen Friedensstrategie, Opladen 1994; (Hrsg. zus. mit Bernhard Moltmann) Neuer Osten -Alter Westen. Die europäischen Staaten zwischen Annäherung und Distanz, Frankfurt 1996; (Red.) Eine Welt oder Chaos?, Frankfurt 1996; Formen der Konfliktregelung. Eine Einführung mit Quellen, Opladen 1997.
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