„Wir treiben eine selbständige Politik“ erklärte Außenminister Willy Brandt 1968. Deutsche Außenpolitik ist eigentlich nicht umstritten, dazu fehlt das breite öffentliche Interesse Gleichwohl löst sich der seit den sechziger Jahren eingefahrene „außenpolitische Konsens“, wie es Günter Nonnen-macher nennt, auf. Das Land befindet sich in einem durch internationale Ereignisse aufgenötigten „Prozeß der Neudefinition der Außenpolitik“ auf den es schlecht vorbereitet ist. Eine bloße „Umakzentuierung innerhalb des vorgegebenen Prioritätenfächers“ vor der Hans-Peter Schwarz warnte, ist kaum durchhaltbar. Der „Zwang zu mehr Eigenständigkeit“ für den bisher eher vorsichtigen Mitgestalter im westlichen Staatenverbund läßt sich nicht abweisen. Viele Selbstentwürfe oder Außen-wahrnehmungen der Nachkriegszeit verblaßten, nachdem sie seit 1989 mit veränderten Lagen, Anforderungen und Sichtweisen konfrontiert wurden. Neue, aber situationsgerechte Muster als Orientierungsrahmen für umsichtige Eigenaktivitäten müssen für fast alle außenpolitischen Tätigkeitsfelder noch austariert werden.
Daß Bonn/Berlin „eine angemessene Rolle in Europa und der Welt noch nicht gefunden hat“ das hat vielerlei Gründe. Man denke an die ausufernden -finanziellen wie psychosozialen -Belastungen durch die Wiedervereinigung oder an den mühsamen Anpassungsweg in einen globalisierten Weltmarkt. Vor allem sind es mentale Hemmnisse, die uns hindern, mit uns selbst und den realen Weltverhältnissen ins reine zu kommen.
So wurden die politischen Entwicklungen in der Welt durch innenpolitische Erfahrungen und Soll-vorstellungen nicht wie Unterschiede wahrgenommen. Jenseits der Grenzen schien es sich eher um ein -noch -nicht auf das hiesige Ausstattungs-, Bedenklichkeits-und Harmonieniveau eingespieltes Anderes zu handeln, trotz (oder gerade wegen) des Tourismusbooms.
I. Historische Widersprüche
„Deutschland ist wieder ... einer der führenden Staaten der Welt.“ Das seit der Wiedervereinigung zwischen Zumutungen und Sorge schwankende Fremdbild-Regime stößt ins Leere, weil die hiesige „Zivilmacht“ selbst nicht weiß, was sie mit Blick gleichermaßen auf neue Anforderungsprofile wie geopolitische Rollenzwänge wollen soll Eine „imperiale Berufung“ wird verworfen, aber zum Auftritt als „sekundäre Macht“ reicht es angesichts der Strukturdaten auch nicht recht, will man nicht das Gesicht verlieren, mithin die Glaubwürdigkeit und damit womöglich den lange Zeit ersehnten Status eines . Gleichen unter Gleichen*. Einfluß jedoch ist nicht zuletzt Ansehensmacht. Was also tun? „Wir bremsen uns selber aus“, kommentierte Bundesaußenminister Klaus Kinkel den Stand der Dinge. Die Irritationen der Selbstdarstellung nach außen sind Teil des allgemeinen Reformstaus in Staat und Gesellschaft. Aber sie verraten auch Unsicherheiten der Nach-Wohlstands-Politik: Zum einen den neuen Lernzwang, Diplomatie ohne ein offenes Portemonnaie auszuüben, was einen beliebt machte. Zum anderen Entscheidungen zu treffen, ohne sich hinter Führungsmächten in Europa (Paris) oder Übersee (Washington) verbergen zu können, und dieserart lieb Kind zu bleiben. Des weiteren eigene Ansichten und Interessen nicht nur auszuformulieren sondern gegen Widerspruch oder Sanktionen (Liebesentzug) zu vertreten, ohne aus „Mangel an Handlungsoptimismus“, wie es Hans-Ulrich Klose nennt, in Selbstzweifel zu versinken. „Man traut den Deutschen noch immer nicht.“ Aber doch auch darum nicht, weil sie unter kanzleramtlicher Chorführung gerade auf internationalem Parkett laut bekunden, sich selbst nicht über den Weg zu trauen. Es ist das eine, in dieser „Angstgesellschaft“ im Kontext eines allseitigen Anpassungsdrucks die Vergangenheit als Vermeidungsdimension im Blick zu behalten. Etwas anderes ist es, die Selbstlähmung, ja die beharrliche Verweigerung einer kollektiven Selbstanerkennung als Sozialisationszweck auszugeben. In diesem Sinne mag man mit Olaf Sievert von „der uns geziemenden Demut“ reden, „der zufolge wir den anderen etwas schuldig sind“ -etwa die Währung -, weil wir schuldig sind? Zur deutschen Risikowahrnehmung gehört mithin nicht allein die mangelhafte, weil inzwischen etwas ziellose, sondern zudem eine fehlmotivierte Außenpolitik, die als Zerknirschungsrelikt zur Verwunderung der Mitwelt mit den zweckrationalen Bedürfnissen des Landes über Kreuz liegt. Solche Unausgewogenheit kann zu innenpolitischen Verwerfungen führen, die für die Außenwelt zu Recht beängstigend wirken. Deutschland ist vor allem für Europa zu wichtig, um mit sich selbst im Zwiespalt liegen zu dürfen und insofern unberechenbar zu sein Auch hier gilt es, „Abschied von unseren Wunschwelten“, wie es Arnulf Baring nennt, zu nehmen. Die Beschaffenheit des gesellschaftlichen und politischen Diskurses allerdings läßt „keinen Unterbau für eine bedeutende gestaltende Rolle“ erkennen weder innerhalb von Europa noch weltweit. Bonn und sein Establishment haben sich bei aller Verläßlichkeit in den vertrauten Vernetzungen nicht aus der Selbstsorge mit Blick auf die eigene Geschichte und Nation zu lösen vermocht. Für Rücksicht und Behutsamkeit gibt es gute Gründe. Aber historisch-politische Probleminterpretationen, überhaupt ein „Übermaß an Historie“ können die Geistesgegenwart der Zeitgenossen beeinträchtigen und dadurch gerade jene Einsicht in Notwendigkeiten verhindern, die Handeln in Freiheit auszeichnet.
II. Deutungskonflikte
Mitte Februar 1997 tagte in Iserlohn das 25. Kolloquium der , Arbeitsgemeinschaft für Friedens-und Konfliktforschung 4, die sich kritisch mit innen-wie außenpolitischen Aspekten der epochalen Weltverwaltung und ihren vielen Mißständen beschäftigt. Diesmal widmete man sich der zukünftigen Rolle der Militärpolitik In der örtlichen Evangelischen Akademie ging es in Rede und Gegenrede hoch her. Seit Bonn sich nach vielem juristischen Für und Wider entschlossen hat, an der Seite seiner Verbündeten mit Waffeneinsatz aktiv Verantwortung für die Kontrolle von Gewalt-konflikten zu tragen, schwelt der Streit zwischen Vertretern eher pazifistischer Traditionen der alten Bundesrepublik und den sogenannten „Bellizisten". Diese sehen im Gegensatz zum Interdependenzansatz auf der Weltbühne eine Art von irritierender Dialektik walten, wonach aggressives Auftreten nicht zuletzt als Entsprechung fehlender Eindämmung verstanden werden kann. Es geht dabei nicht um die Rechtfertigung von Gewalt an sich, schon gar nicht um eine Militarisierung der Außenpolitik. Aber „auf dem weiten Feld der internationalen Unsicherheiten“ bleibt der Einsatz von Machtmittel ein leidiges, wiewohl letztes Werkzeug demokratischer Staaten, um im Notfall und koordiniert menschenrechtliche Mindeststandards zu schützen, wo immer sie gefährdet sind Jedenfalls, solange die überstaatliche Ordnungsinstanz der UNO noch kein breit akzeptiertes Regelungsrepertoire besitzt, zudem unzeitgemäß organisiert ist und nur ausnahmsweise funktioniert. Fraglos besteht die Gefahr der Einäugigkeit und vor allem einer Verselbständigung kalmierender Militärmaßnahmen. Zudem darf Brutalitätsabwehr nicht verwechselt werden mit Friedensstiftung. Dieses Ziel übersteigt ohnehin die Reichweite der auswärtigen Politik. Es umgreift kognitive, soziale oder kulturelle Dimensionen, die nicht von außen substituiert, höchstens gefördert werden können, was nachbereitend auf dem Balkan versucht wird, mit den bekannten Schwierigkeiten und militärischen Voraussetzungen und Sachzwängen.,
Muß eine Position nicht weltfremd wirken, die in moralischer Manier gleich von einer „Militarisierung“, gar Renationalisierung der Außenpolitik spricht und alle Stimmen als kriegstreibend einstuft, die einer Bedrohung der Sicherheit, wo immer, gegebenenfalls mit Waffengewalt entgegentreten wollen Weltfremd schon deswegen, weil die Risikopotentiale sogenannter , Schurken-staaten 1 nicht zur Kenntnis genommen werden. Mit dem Ende des Kalten Krieges brach keineswegs Ruhe und Ordnung in Frieden und Freiheit aus, auch für Europa veränderte die Bedrohung nur ihr Gesicht. Über vier Millionen Tote weltweit seit 1989 zeugen davon, daß „war is still a booming business“ Länder wie Irak, Libyen, Iran oder eines Tages womöglich das für Europa näher liegende Algerien beschaffen sich mit Hilfe Nordkoreas etc. weitreichende Raketen Man denke an die Entwicklung der Taepodong-2 mit einem Radius von 4 000 Kilometern, die von Syrien vorangetrieben wird. Selbst England liegt in deren Wirkungsbereich Oder man halte sich die Gefahren neuer Hochtechnologiewaffen vor Augen, die jenseits virtueller info-wars die Zukunft der Zivilisation überschatten
Das Problem mit dem Pazifismus ergibt sich allerdings nicht nur aus der Verkennung möglicher Untiefen der internationalen • Politik. Eher fällt auf, daß sich im Sinne eines , universalistischen Globalismus‘ die Staaten als originäre Rechtseinheiten zugunsten einer fiktiven Weltförmigkeit ignoriert sehen Zudem geht man zu moralistisch an die Verhältnisse überall auf der Welt heran, wenngleich dieser erhobene Zeigefinger mit Blick auf die Härten des Wochentags nicht einmal innergesellschaftlich angemessen wirkt, wo die Konkurrenz am Arbeitsplatz und die Anerkennungskämpfe in der Lebenswelt täglich härter werden.
Auf einer Tagung fand Sibylle Tönnies viel Widerspruch, weil sie über den Umweg einer anzustrebenden Universalisierung der Politik die Militärgewalt als „organisierte Tötungsfähigkeit“ überführen zu können glaubt in ein „Ethos der Polizei“, definiert als Pflicht zum Schutz der Individuen Sie wähnt die hiesige Friedenssehnsucht mit Krefelder Appellen und Lichterketten in Bedrängnis. Das Land beginne demgegenüber, sich erneut in Machtpolitik zu üben. Merkwürdig nur, daß die Unwilligkeit einiger Tagungsteilnehmer, über Polizeigewalt als Militärersatzgewalt nachzudenken, jene pazifistischen Reflexe auf außenpolitische Lernzwänge erwies, die angeblich entfallen sind. Darüber hinaus appelliert Tönnies ihrerseits an einen „rationalen Pazifismus“, der gedanklich im sympathischen, wiewohl einigermaßen utopisch anmutenden Irgendwann weltstaatlicher Zukünfte verankert sein soll.
III. Bodenhaftung
Realitätszuwendung als Übung in Nüchternheit ist unter Intellektuellen eher ungewohnt Nicht der angeprangerte , Belli-Pazifismusall jener Zeitgenossen, die im Sinne der „balance of precaution“ von einer Konfliktwahrscheinlichkeit anstatt von allgemeiner Verständigungsbereitschaft ausgehen, scheint das ideologische Problem unserer außen-politischen Wahrnehmungsweise zu sein. Weit bedenklicher wirkt der Mangel an Realismus der Gutgesinnten, denen ihr antizipierter Universalismus als , rational 1 gilt, wohingegen die Akzeptierung gegebener Ordnungsformen (Nationalstaat, Regionalgruppierungen etc.) verdächtigt wird, , emotional 1 gestimmt zu sein Dennoch hat der mentale Pazifismus als Abwehr gewaltstaatlicher Übersteigerungen unseligen Angedenkens gute Gründe. Und die dieser Erfahrung geschuldete zurückhaltende Bündnispolitik der Bonner Republik, wie sie exemplarisch in der Friedensnote vom 25. März 1966 zum Ausdruck kam war im Windschatten der westlichen Verbündeten erfolgreich, bis die Wende von 1989 die eingespielten Nachkriegsverhältnisse auch in und damit für Deutschland grundsätzlich veränderte.
In der Außenpolitik ist mit Beständen, Interessen und Erfahrungen sowie Traditionen zu rechnen, bei aller Interaktionsbereitschaft. Hier ist „eine sehr realistische Betrachtungsweise“ angeraten, antwortete Konrad Adenauer auf Vorwürfe, die Wehrfrage in die Pariser Verträge einbezogen zu haben. Jedenfalls „hilft keine Romantik, keine Schwärmerei“, auch wenn „unserem wohlverwahrten Weltheil“ momentan weniger Gefahr drohen mag als anderen Ortes. Daher sind mit Blick au die internationalen Beziehungen alle Sichtweisei in Zweifel zu ziehen, die wie der hiesige Pazifis mus aus der Vergangenheit transhistoristischi Lehren ziehen. Die „deutsche Daseinsverfehlung'hatte viele Gründe, auch diplomatiegeschichtli ehe Sie folgte jedoch keiner , genetischen 1 bezie hungsweise strukturellen Mängeldisposition, wi Daniel Goldhagen es in der Tradition der alle: Widerlegung zum Trotz beliebten Kollektivschuld these erneut unterstellt hat, sehr zur Befriedigunj der weit verbreiteten , Inländerfeindschaft
Mithin lassen sich aus früheren Entgleisungei keine Einwände etwa gegen die legitime Inter essenartikulation im Chor der heutigen Staaten weit folgern. Und wenn demokratisch vereinbarte Regeln beziehungsweise völkerrechtlich eingegangene Absprachen einzuhalten sind, können sie zr koordinierten Stärkedemonstrationen verpflichten die die Androhung oder Anwendung von Militär-gewalt einbeziehen Nun hat sich nach 1949 erwiesen, daß die hiesigen Staatsziele (Frieden, Gutnachbarschaft, Wohlstand, Toleranz, Kulturpflege etc.) am besten multilateral zu vertreten sind Nicht nur, weil das Land aus Souveränitätsbedürfnis transnational eingebunden wurde, sondern weil es seit den Zeiten des Wirtschaftswunders ökonomisch besonders außenabhängig ist. Hinzu kam als neuer außenpolitischer Faktor das kollektive Gedächtnis der Epoche das als schlechtes Gewissen (Eigenvorbehalt) und traumatische Erinnerung (Fremdvorbehalt) auf lange Zeit unilaterale Handlungsspielräume einschränkte.
Insofern entsprachen Transatlantismus sowie Europaorientierung dem wohlverstandenen Eigen-interesse. Zumal unter dem Schutz und Schirm des Westens waren deutsche Sicherheitsinteressen abgedeckt. Die atomare Blockade verhinderte jedenfalls an der Nahtstelle des Systemkonfliktes jeden kriegerischen Ernstfall. Dessen Dauerschatten löste indes erhebliche Möglichkeitsängste aus. Sie wiederum schürten den hausgemachten, von Schuldscham durchwirkten Pazifismus als Absage an jede Einsicht in den Zusammenhang von sachlicher Handlungskompetenz, Entschlossenheit und Friedenssicherung. Das betraf vor allem scheinbar exotische Konflikte, welche die Bevölkerung des geschlagenen und von souveräner Weltmitverwaltung lange Zeit ausgeschlossenen Landes eher unberührt ließen
Immerhin hat sich die außenpolitische Ausgangslage für Deutschland nach 1945 verbessert, so paradox das mit Blick auf die Stunde Null klingen mag, in der das Land „am äußersten Tiefpunkt seines Schicksals angelangt“ zu sein schien. Die historisch-risikoreiche Lagerung einer Nation in der Mitte des Kontinentes schien behoben, die als verspäteter, noch dazu sperriger Nationalstaat mehr hätte tun müssen, um heil über die Runden zu kommen, als das, was als Grundregel der europäischen Diplomatiegeschichte formuliert worden ist: Bei jedem Schritt, der „über den eigenen Bereich hinaus getan wurde, auf die Interessen der anderen Rücksicht zu nehmen“. Das Risiko Deutschlands bestand seit dem Niedergang des Alten Reiches darin, zu den Vorfeldinteressen seiner vielen Anrainer zu zählen, wobei alle zusammen dem Diktat eines Sicherheitsdilemmas unterlagen. Weswegen im Rückblick die Ziele der Nachbarn wie eine Einmischung in die eigenen Verhältnisse wirken. Fast alle europäischen Vormachtskriege wurden auf hiesigem Boden ausgefochten. Die Eigenprofilierung des Landes, mithin der selbstverständliche „Willen, Herr im eigenen Haus zu sein“ verlief deswegen als Distanzierung zum Westen. Nicht zuletzt der nachholende Weg in die staatliche Einigung wurde von den Anrainern als Störung eigener Belange behindert.
Das förderte die eigenbrötlerische Selbststilisierung als „kulturelle Eigenart“ zwischen östlicher Reglementierung und westlicher Konventionalität.
IV. Geschichtliche Dilemmata
Hätte sich der werdende Großstaat im Zentrum des Erdteils an die Mahnung eines Friedrich Mein-ecke gehalten, „die unveräußerliche Pflicht zum Egoismus“ unbedingt mit den ebenso „unveräußerlichen Idealen der Kultur und Sittlichkeit zu vereinigen“ die europäische Geschichte der Neuzeit wäre anders verlaufen.
Vor allem der Frühliberalismus hatte nicht nur Freiheit vor Einheit gesetzt; er redete zudem der „Klugheit“ im Staatenverkehr das Wort. So mahnte Carl von Rotteck, „in gegenseitiger Verständigung und redlichem Übereinkommniß das Mittel“ zu suchen, „widerstreitende Interessen so viel wie möglich in gemeinschaftliche zu verwandeln“ Laut Ludwig Dehio beschränkte sich das Bedürfnis einer „deutschen Sendung“ statt dessen auf klaustrophobe Machtziele, nicht jedoch auf allgemein verbindliche Werte. Allerdings verhielt sich der Westen kaum verständiger. So etwa befolgte Paris nie den Rat des kurzzeitigen Außenministers Alexis de Tocqueville, das mit Blick auf den Republikanismus selbstverständliche Recht Deutschlands, sich zu vereinigen, im längerfristigen Eigeninteresse zu unterstützen oder auch nur zu dulden Noch nach 1989 hatte man damit an der Seine erhebliche Schwierigkeiten Auch mangelnder politischer Weitblick der anderen Großmächte Europas gehörte zur selbstzerstörerischen Geschichtsdialektik, die die deutschen Beschwerden förderte. Eine frühe, aber exemplarische Situation kann dieses Gegeneinander erhellen: Man schreibt Montag, den 7. Juli 1807. Der französische Eroberer Napoleon und Zar Alexander I. von Rußland treffen sich auf einem Floß mitten auf der Memel. Bei dieser Gelegenheit verabredet man eine auf Waffenerfolgen gegründete Neuordnung des Erdteils. Die Rede ist vom „Frieden von Tilsit“, der die Niederlage Preußens besiegelte. Laut Artikel 25 dieses Dokumentes der Schwertrechtstradition garantierten die Sieger sich gegenseitig ihre jeweilige Oberhoheit über West und Ost Sie war von kurzer Dauer, weil l’Empereur gegen Petersburg zu Felde zog. Dennoch hatte das Tilsiter Abkommen Langzeitfolgen. Denn das Opfer dieser Absprache -Preußen -blieb noch als spätere Reichsvormacht von dem Gefühl geprägt, eingekreist und damit allzeit gefährdet zu sein. Nicht nur wurde es aus dem Kreis der Großmächte ausgeschlossen und verlor über die Hälfte seines Herrschaftsgebietes. Selbst daß es als Staat weiter existierte, verdankte Berlin einzig russischer Fürsprache, was eine fatale Neigung nach Osten begünstigte. Demgegenüber schien vor allem der Westen eine außenpolitische Risikozone zu sein
V. Verweigerung des Westens
Alles Bedrohliche kommt aus dem Westen! So lautete eine folgenschwere Lehre aus der deutschen Zwischenlage. Ihr entsprach ein Gefährdungsgefühl das sich geistesgeschichtlich zum Erlebnis eines Kulturkonfliktes steigerte. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges redete Werner Sombart vom Epochenkrieg der Händler gegen die Helden, was mehr war als Propaganda. Um diese Prägung aufzubrechen und eine Korrektur der deutschen Außenpolitik zu ermöglichen, hätte es einer offeneren Weltwahrnehmung bedurft. Statt dessen geriet das Heldenepos im Nationalsozialismus zum Wahnwitz. Ein gelassenerer Umgang der europäischen Völker miteinander wurde erst im Tal einer kontinentalen Geschichtstragödie möglich, nicht jedoch als Einsicht in die Notwendigkeit des friedlichen Miteinanders.
Denn der Versailler Vertrag, dessen „destructive significance" vorauszusehen war, bestätigte die Abneigungen gegen den Westen. Diesmal fühlte man sich auch von Amerika enttäuscht. In Berlin hatte man auf das angekündigte Selbstbestimmungsrecht der Völker gesetzt Washington konnte seine Umordnungsvorstellungen nach dem Zugehörigkeitsprinzip nicht durchsetzen, weil damit die etablierten Machtmuster gestört worden wären. Europa wollte unter sich bleiben und übte weiter imperiale Nullsummenspiele. Daraufhin zogen sich die USA aus den „arrogant pretensions“ des Alten Kontinentes zurück. Und Frankreich unter Georges Clemenceau bestätigte in Versailles jene Schauervorstellungen, die man vom westlichen Nachbarn pflegte. Entsprechend hysterisch verhielten sich Bevölkerung und Politik in den zwanziger Jahren.
Auf den ersten Blick schien die Ausgangslage nach dem Zweiten Weltkrieg die Neurosen ä la Tilsit zu bestätigen. Nicht de jure, aber faktisch besiegelten semi-europäische Randmächte in Jalta und Potsdam 1945 die Teilung Deutschlands und damit schließlich ganz Europas. Dennoch verlief diesmal alles anders. Die Bonner Republik entschied sich politisch-kulturell für die Zusammenarbeit. Zunächst der Not gehorchend, dann aus der Erfahrung mit den Siegern und ihren privaten Hilfsorganisationen verflog das Ressentiment gegen den Westen. Nicht zuletzt deswegen, weil die USA in der neuen Gefahrensituation des Kalten Krieges zur Schutzmacht avancierten. Im Gedankenaustausch mit der Neuen Welt ergab sich zudem eine mentale Zivilisierung des Landes im Rahmen einer Konsensstruktur des Politischen. Mit der Studentenbewegung schließlich wurden in den späten sechziger Jahren die leidigen Reste hiesiger Obrigkeitskultur beseitigt.
VI. Blickwechsel der Westmächte
Der Wendepunkt dieser tiefgreifenden Konversionsgeschichte läßt sich auf den 5. Juni 1947 datieren. An diesem Donnerstag formulierte George C. Marshall einen Hilfsplan für den Wiederaufbau Europas, der als Teil einer Eindämmungsstrategie zugleich den , Transatlantismus‘ als neues Prinzip der internationalen Politik begründete. Obschon Westdeutschland erst spät und finanziell eher bescheiden beteiligt wurde, kamen in der Wahrnehmung der Bevölkerung diesmal das Gute und Moderne aus dem früher so abschätzig beurteilten Westen. Dieser Blickwechsel bewirkte eine Umpolung von Sinn-und Zweckrationalität der hiesigen Außenpolitik, soweit sie anfangs in eigener Verantwortung zu führen war. Nach der Wiedervereinigung, die zudem dessen -wenngleich indirekte -Langzeitfolge war, wurde dieser Kurs beibehalten. Trotz der Befürchtungen vor einer Übermacht, die beispielsweise Margaret Thatcher anstimmte, hat sich Gesamtdeutschland keineswegs als „destabilisierende ... Kraft im europäischen Gefüge“ erwiesen. In Wirklichkeit bietet es die Garantie dafür, „daß alle in Europa, die Großen und die Kleinen, eine Rolle spielen“ können. Deutschland als europäischer Einigungsmotor ohne Hintergedanken: Welch ein Rollenwechsel gegenüber jener Nach-Tilsit-Losung, „alle inneren Verhältnisse zu dem Zwecke einzurichten, sich zu behaupten“. Die hatte Leopold von Ranke einer außenpolitisch verängstigten sowie national unbefriedigten Mitwelt als „oberstes Gesetz“ für das Auftreten in der Welt nahegelegt -mit den geschichtsnotorischen Effekten bis hin zur soge-nannten , Flucht nach vorne’. Diese trieb seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Reich, auf der Suche nach Sicherheit in die Suprematie in die Selbstisolierung und damit in die ausweglose Position einer Chaosmacht. Am Ende dieses Alptraumes fand das Land sich hilflos und zerstört als „Objekt der Politik der Weltmächte“ wieder. „La victoire des vaincus“ überschrieb Andre Fontaine in einer Chronik der Ereignisse seit der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979 ein Zentralkapitel über die Nutznießer des Zusammenbruchs der UdSSR. Neben Japan sieht sich Deutschland nicht nur zu den Glückspilzen der Nachkriegsepoche gezählt; Bonn wird zudem bescheinigt, bei der Wiedervereinigung „pure de tout accent nationaliste" ausgekommen zu sein. Zwar sahen das Zeitzeugen wie Günter Grass oder Jürgen Habermas selbstkritischer; aber das vergrößerte Land fiel bei der Wende vom Teilstaat mit begrenzter Souveränität zum normalen Nationalstaat keineswegs in kleinliches Verhalten zurück. Vielmehr verblieb man in jener westlich-atlantischen „socit unie par un lien moral“ die Johann Heinrich Gottlieb von Justi, Jahrgang 1717, für Europa so schmerzlich vermißt hatte, schon damals mit kritischem Blick auf die statt dessen den Kontinent bestimmende , balance of power‘, die nichts anderes war als Ringen um Hegemonialität
Die Ziele Deutschlands spiegelten seit dem 19. Jahrhundert die reale beziehungsweise eingebildete Abschottung des Landes. Unsensibilität und Einkreisungsfurcht schlugen sich nieder in Autarkieträumen, die seit Fichte zugleich ein sentimentales Sendungsbewußtsein begründen halfen. Das Gefühl, bei der Verteilung der Welt zu kurz gekommen zu sein, paarte sich mit einer Anspruchshaltung, die der Publizist August Ludwig von Rochau populär machte: Danach kannte Not kein Gebot, vor allem, wenn es ums Ganze ging Die Wahrnehmung des Ernstfalls, so erwies die Zuspitzung der internationalen Lage seit der Jahrhundertwende, schien eher der Dramaturgie des Nibelungenliedes geschuldet denn einer weltoffenen Auseinandersetzung um wirkliche Bedürfnisse beziehungsweise wahre Interessen der eigenen Nation mitsamt ihrem Umfeld
Heute hingegen beschreibt die Diplomatiegeschichte ein eher unauffälliges Land ohne große Ambitionen Als erfolgreicher Handelsstaat kooperiert Deutschland friedlich mit seinen Partnern in Europa und Übersee. Vom Tilsit-Syndrom ist höchstens die Angst zurückgeblieben, im Konfliktfall atomares Kampffeld zu sein, wie es der nun schon historische Streit um die Nachrüstung verdeutlichte, oder aber singularisiert und damit wieder auf Alleingänge gedrängt zu werden.
Statt dessen hat die Entwicklung seit 1990 das Auftreten Deutschlands als eingebundene Macht auf der Bühne der internationalen Politik bestätigt. Trotz aller Umbauten blieben in Mitteleuropa Konflikte aus, wie sie im kontinentalen Staatensystem ansonsten als Folge derartiger Lageveränderungen zu erwarten gewesen wären. Wenngleich sich Einzelfaktoren wie Geographie, Wirtschaftsdaten, Demographie, Soziallage oder Bedrohung, Stabilisierungskosten usw.seither verändert haben, sind erprobte Handlungsmaximen wie Dialog, Multilateralismus oder Westeinbindung ebenso gültig geblieben wie mentale Prägemuster der Jaltaepoche, denn „auf dem Feld der auswärtigen Politik beginnt niemand in der Stunde Null“
Sind die auswärtigen Ziele Bonns/Berlins zt benennen und in eine Rangreihe zu bringen? Mi Christian Hacke lassen sich mehr oder wenige wichtige Obliegenheiten auflisten Sie reichen in Rahmen einer „Globalisierung deutscher Außen politik“ vom „Schutz Deutschlands und seine Staatsbürger vor äußerer Gefahr und Erpressung'über die „Vorbeugung, Eindämmung oder Beendi gung von Krisen und Konflikten, die die Unver sehrtheit und Stabilität Deutschlands oder seine Verbündeten beeinträchtigen könnten“ bis hin zu „Förderung der Demokratisierung und des wirt schaftlichen Fortschritts... weltweit“. Verlang wird zudem eine „Balance“ zwischen „Werten unc Interessen“, „Macht und Ethik“ sowie zwischei „Integration und Nation“.
VII. Widersprüche in der Außenpolitik
Es wird nicht klar, was mit der zuletzt angeführter Ausbalancierung gemeint ist, es sei denn die bishe rige „Gestaltungsabneigung“ bundesdeutsche: Außenpolitik. Nicht nur der stets etwas regierungs amtlich klingende Hacke steht offenkundig au dem Standpunkt, die mehrfache Balance sei gelun gen. Mögliche Unvereinbarkeiten zwischen det angeführten Pflichten und Größen kommen nich zu Wort Gleichwohl unterliegt das weite Feie der Außenpolitik einer Reihe von Paradoxien. Sie entsprechen zum einen der Erkenntnis daß real politisches Handeln, nicht aber normative Über einstimmungen, die Gestaltung auch der neuer Weltordnung bestimmt. Der offene Wettlauf un die Chancen der Neuordnung beschert dabei ver wirrende Unberechenbarkeiten, die allemal zt Pragmatismus im Einzelfall verpflichten und jede Vorabbalance relativieren.
So verändern sich die Variablen und Kalküle nicht nur durch die Multiplizierung der international players, sondern auch durch neue Politikanbieter oder Konkurrenten wie Unternehmen, Verbände, Kampagnen, Gangs etc., obwohl Staaten die wichtigsten Akteure der Weltinnenpolitik bleiben werden. Einerseits verblassen die alten Quellen der Macht, andererseits treten neue hinzu, weil militärische Mittel mit anderen Einflußfaktoren wie kulturelle Attraktion, Wirtschaftsmodell, Medienaufmerksamkeit usw. dazu in Wettbewerb getreten sind. Überdies zielt die Vernetzungsdichte in Richtung auf eine Durchregulierung der zwischenstaatlichen Beziehungen; zugleich gehört es zu den Ironien der Interdependenz, daß sie selbst eine Konfliktquelle ersten Ranges bilden kann. Das um so mehr, als im Weltmaßstab wachsende Unverträglichkeiten zwischen Globalisierung und Regionalisierung erkennbar sind, die sich nicht nur wechselseitig bedingen und verstärken, sondern vermittelt über die Differenz der jeweiligen sozial-räumlichen Zeitbefindlichkeit durchaus Kulturauseinandersetzungen hervorrufen können.
Von der Berliner Republik werden zum anderen mehr Verantwortungsoptionen erwartet, Ergebnis ihres gewachsenes Gewichtes, der neu-alten Zentrallage ebenso wie der ungewissen Zeitläufe Im Tatsächlichkeits-wie im Möglichkeitsraum zeichnen sich Wirtschafts Macht-, Umwelt-, Verteilungs-beziehungsweise Zivilisationskonflikte ab, die insgesamt gesehen für eine Gewaltlatenz auf der Weltbühne sprechen. In all diesen Wagnisszenarien werden die erwünschten Balancemuster auf die Probe gestellt und ausgereizt, nicht zuletzt jene zwischen humanitären und ökologischen Deklarationen und Wirtschaftsinteressen, die bereits im Alltag der westlichen Politik kaum gelingen.
VIII. Aktuelle Fragen zur deutschen Außenpolitik
Der Störenfried im Trotzwinkel, spätestens seit Tilsit außenpolitisch ein unsicherer Kantonist, ist in seinen westlichen Zonen bereits seit Ende der vierziger Jahre, ab 1990 als erneuerter Gesamtstaat ein verläßlicher Verbündeter der westlichen Werte-und Staatengemeinschaft. Das , deutsche Problem 1 scheint sich inzwischen eher zum Problem der Deutschen selbst entwickelt zu haben, indem wir uns mehr mit uns und unserer Schuld sowie dem Eindruck beschäftigen, den unser Tun oder Lassen bei anderen hinterlassen könnte, als mit den Realproblemen der Gegenwart, die global entstehen, durch Spiele um das Gleichgewicht der Mächte geprägt bleiben und nur im wohlverstandenen Eigeninteresse zu meistern sind. „Man kann einem Volk nicht trauen“, kommentierte der estnische Staatspräsident Lennart Meri die Lust an deutschen Eigenvorbehalten, „das rund um die Uhr eine intellektuelle Selbstverachtung praktiziert.“
Von ebenso komplexen wie abgeklärten Konzepten kann in unseren Tagen schwerlich die Rede sein. Das Land mußte erst von außen ermahnt werden, daß zwischen schönen Worten und den Weltproblemen die Entscheidung zur Verantwortung liegt, wenn man denn im Rahmen seiner Möglichkeiten willens oder in der Lage ist, sich an ihr zu beteiligen. Vor „hypocrisy“ hatte Harold Nicolson demokratische Staatsführungen gewarnt Während diese Haltung gemeinhin Interessen unter schönen Worten verdecken will, liegt jedenfalls hierzulande mit Blick auf die fehlende Debatte über außenpolitische Ziele unter den gefälligen Deklarationen ein Vakuum aus Ohnemichelei, Unkenntnis und Eigenvorbehalten. Das war in den Jahrzehnten des Wirtschaftswunders und solange sich die eigenen Ziele im Bündnis mit denen der Verbündeten deckten eine überspielte Schwäche; „Provinzialismus“ jedoch ist „heute verantwortungslos“ Nun werden wir, ob kollektiv, kooperativ oder im Alleingang, zunehmend mit Entscheidungslagen konfrontiert werden, die „Selbstlähmung“ kaum mehr zulassen. Außenpolitischer Handlungsspielraum ist jedoch eine Quer-summe aus aktueller Situation, Einsicht, Tradition und Selbstentwurf.
Eine Übereinstimmung mit den Partnern ist auch im Geflecht der vereinbarten Regeln wechselweise nicht mehr a priori vorauszusetzen -gleichwie, ob profiliert oder als Mitläufer -, sondern nur infolge nutzenversierter Güterabwägungen. Aber auch die avisierte Balance zwischen Ethik und Verhaltens-zwängen darf nicht in diplomatischem Wunschdenken steckenbleiben. Man halte sich nur die vielen Entscheidungslagen vor Augen, in denen die deutsche Außenpolitik ihre Qualifikation zu beweisen haben wird: Eigeninteresse und Außen-belange zweckrational auszuwiegen.
Da ist das grundlegende Spannungsverhältnis von Innen-und Außenpolitik. Die Bundesrepublik wirkt richtungslos, weil sich großzügige Schecks nicht mehr ausstellen lassen. , Charity begins at home‘: Wer aber im eigenen Land seinen Modernisierungspflichten nicht nachkommt, verliert im Wettbewerb der Standorte als attraktives Modell an Wert. Die von außen wahrgenommene „grave crise d’identit" wiederum blockiert als „german gridlock" (Times) nicht nur die innenpolitische Handlungsfähigkeit, sondern damit einhergehend angemessene Antworten auf auswärtige Konflikt-und Entscheidungslagen.
Und was geschieht mit den Problemen jener „pharaonic ambition“ Europäität durch Erweiterungen voranzutreiben? Trotz aller festgeschriebenen „Finalität“ (Artikel 240 EWG) fehlt der EU auf Bürgerebene jedes Zugehörigkeitsgefühl als Interessenidentität (Handlungssteuerung), Gemeinsinn (Engagement) beziehungsweise Solidarität (Krisenfestigkeit). Den Nachbarn mag es so vorkommen, als ob „Deutschland sich jeden Tag mehr als die einzige Nation mit einer klaren -natürlich germano-zentrischen -Vision des künftigen Europas behauptet“ Tatsächlich jedoch bestehen hierzulande ebenso wie unter den Mitgliedstaaten unüberbrückbare Gräben zwischen den Vorstellungen und Realitäten der EU-Politik, die bei den Wählern in allgemeiner Uninformiertheit und im Desinteresse verschwimmen, auf der politischen Etage hingegen durch Routine und politischen Komment in Sachen Europa überspielt werden.
Weiter beunruhigt die mehr oder weniger verdeckte Überdehnung der deutschen Frankreichund/oder Amerika-Orientierung wobei die US-Führung auf dem Alten Erdteil aus Mangel an europäischer Übereinstimmung sowie wegen historischer Vorbehalte und Ängste nicht nur unter den Brüsseler Partnern unabdingbar zu sein scheint wenngleich Paris (= Hegemonie) und Bonn (= Beistand) abweichende Einschätzungen der amerikanischen Präsenz hegen. Nicht zuletzt die offenbar unüberwindlichen Hindernisse einer Organisation europäischer Sicherheitsstrukturen und deren auch militärisch belastbare Vernetzung mit der EU aber machen die transatlantische Hilfestellung wünschenswert. Überdies bestehen Widersprüchlichkeiten zwischen Europapolitik und Weltmarktengagement (Pflege der Beziehungen zu Japan etc.) im Kontext des Ausbaus einer freieren Weltwirtschaftsordnung sowie der Pflege eines „ordnungspolitisch gleichgelagerten Umfeldes“ Zwar wird in der OECD-Weit nicht mehr vom Feind her gedacht, wohl aber vom Konkurrenten her und damit weiterhin agonal. Der Standortwettbewerb zwischen Wirtschaftsräumen ist durch die Vernetzung noch intensiver, und er schürt unterhalb der politischen Befriedung durchaus das Gefährdungsgefühl etwa auch zwischen den EU-Ländern Oder man halte sich die Differenzen zwischen föderalen (deutschen) und eher zentralistischen (französischen) EU-Positionen vor Augen, die in einen ganzen Kranz unterschiedlicher Positionen, Interessen, Ansprüche, Traditionen etc. eingebettet sind, ohne daß derartige Diskrepanzen im transrheinischen Verhältnis artikuliert und ausdiskutiert werden
Nicht zuletzt werden in Zeiten knapper Kassen die innergemeinschaftlichen Unstimmigkeiten zwischen Osterweiterung und Südeuropapolitik ebenso zunehmen wie die hiesigen Unabgestimmtheiten der Rußland-und Osteuropa-, vor allem Polenpolitik, woran die Bildung einer Achse mit Paris und Moskau wenig ändern dürfte. Dies nicht nur, weil die geographisch-historische Zwischenzone beteiligt, keineswegs aber Objekt fremden Handelnssein will. Zudem verfolgen die engagierten Mächte trotz vieler Interessenüberschneidungen sehr unterschiedliche Ordnungsmuster für den Kontinent, die kaum zu vereinbaren sind.
Es geht in diesen und anderen Bereichen indes »nicht nur um diplomatische Glaubwürdigkeit, mithin um eine angemessene Ausbalancierung von Recht und Macht. Auch das Abwägen von nationalstaatlicher Entgrenzung und der Notwendigkeit, dennoch Zugehörigkeiten in einer multipoIlaren Weltszene zu mobilisieren, wird immer mühsamer werden. Gleichwohl kommt es mehr denn je darauf an, vor Ort einen Verantwortungsund Orientierungsraum für die Bürger zu erhalten, da der verwirklichte Traum vom Weltstaat eher einem gesellschafts-und vor allem kulturökologischen Alptraum gliche -hat die historische Erfahrung doch derartige Großgebilde stets als „Räume der Willkür“ entdeckt. Ist das Land auf diese und andere Schwierigkeiten der Zeitläufe wirklich vorbereitet auch außenpolitisch, die der Mitwelt mit Anbruch einer unabweisbaren Globalisierung zunehmend Steuerungsprobleme bereiten werden?