I. Einleitung
„Rechtsextremismus“ gehört zu den besonders umstrittenen Begriffen der politischen Sprache. Er dient als Kampfvokabel in polemischen Auseinandersetzungen, findet aber auch in seriösen Studien Verwendung. In der wissenschaftlichen Literatur ist er weit verbreitet, jedoch nicht unangefochten, zumal sehr Verschiedenes darunter verstanden wird. Der definitorische Zuschnitt hängt wesentlich von -oft unausgesprochenen -gesellschaftspolitischen Positionen und methodologischen Grundannahmen ab Wer von Rechtsextremismus redet, muß daher genau sagen, was er darunter versteht, damit Verständigungsschwierigkeiten und der Verdacht politischer Instrumentalisierung vermieden werden.
Rechtsextremismus gilt im folgenden als eine Form des politischen Extremismus Unter politischem Extremismus werden -im einzelnen sehr unterschiedliche -Gesinnungen und Bestrebungen zusammengefaßt, die sich in kämpferischer Form gegen grundlegende Werte, Spielregeln und Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates (wie die Idee der Menschenrechte, die aus ihnen abgeleiteten Grundrechte, den politischen Pluralismus und das gewaltenteilige Institutionengefüge des Rechtsstaates) richten. Antidemokratische, antikonstitutionelle, antipluralistische, parteienfeindliche und antiparlamentarische Orientierungen stehen in engem Zusammenhang mit strukturellen Besonderheiten politischen Denkens, die allen Extremismen gemeinsam sind: z. B.dem Anspruch auf einen überlegenen Zugang zur Erkenntnis des politisch Wahren und Richtigen; der Angst vor der gesellschaftlichen Vielfalt und der Sehnsucht nach gemeinschaftlicher Einheit; der Immunisierung gegenüber widerstreitenden Fakten und Argumenten; der Neigung zur Totalkritik allen Bestehenden; dem Hang zum Dogmatismus; der Unduldsamkeit gegenüber Andersdenkenden; der Neigung, jeden Standpunkt bis zum Äußersten zu treiben.
Das Kompositum „Rechtsextremismus“ verbindet den Extremismusbegriff mit der seit der Französischen Revolution geläufig gewordenen Rechts-Links-Dichotomie. In deren Mittelpunkt steht das unterschiedliche Verhältnis politischer Strömungen zum Gleichheitsprinzip Zwischen gemäßigten Sozialisten, Liberalen und Liberalkonservativen hat im Laufe zweier Jahrhunderte ein so intensiver Ideenaustausch stattgefunden, daß die Unterscheidungskraft des Gegensatzpaares heute zu Recht bezweifelt wird. An den äußersten Enden des politischen Spektrums wirkt die Antithese jedoch erhellender: Während der Linksextremismus (Anarchismus, Kommunismus) dazu neigt, das Gleichheitsprinzip auf die Spitze zu treiben und es auf alle Lebensbereiche auszudehnen, negiert der Rechtsextremismus auch die Wurzel des modernen Gleichheitsverständnisses: das Ethos fundamentaler Menschengleichheit als eine der geistigen Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates. In der Gegenwart äußert sich Rechtsextremismus häufig in der einseitigen Höherbewertung der eigenen „Ethnie“, „Rasse“ oder „Nation“ (Ethnozentrismus, Rassismus, Nationalismus) und in der Herabminderung von als „andersartig“ und „fremd“ geltenden Gruppen (Fremdenfeindlichkeit, Xenophobie, Heterophobie, Antisemitismus).
Der Begriff des Rechtsextremismus als einer gegen das Prinzip menschlicher Fundamental-gleichheit (Menschenrechte) gerichteten Form des politischen Extremismus (gemäß dem Selbstverständnis!) ist -wie die meisten Schlüsselbegriffe der historisch-politischen Sprache -umstritten. Die einen lehnen den im Extremismusbegriff enthaltenen Rechts-links-Vergleich grundsätzlich ab, weil er wesentlich Ungleiches auf einen gemeinsa-men Nenner bringe die anderen wenden sich gegen die Verwendung normativer Typusbegriffe als solcher und suchen nach einer Theorie, die „Rechtsextremismus“ als Resultat sozialer Prozesse lückenlos zu erklären vermag Wieder andere verengen den Begriff auf historische Vorbilder wie das NS-Regime und behindern damit seine Anwendung im Rahmen epochen-und länderübergreifender Analysen Wer Rechtsextremismus statt dessen als zugleich antiegalitäre und antiliberale Reaktion auf Liberalisierung und Demokratisierung begreift, ordnet die betreffenden Phänomene in einen weitreichenden historisch-ideologiegeschichtlichen Zusammenhang ein, verankert den Begriff in einer unverrückbaren normativen Basis, stellt eine Vergleichsgrundlage gegenüber anderen Abwehrbewegungen her und entgeht der Versuchung einer ahistorischen Reduktion auf sozialpathologische Prozesse.
Wirft die Definition des Rechtsextremismus schon in der Theorie beträchtliche Schwierigkeiten auf, treten diese erst recht bei der praktischen Anwendung zutage. Keinesfalls reicht es aus, daß sich bestimmte Individuen und Gruppen selbst politisch weit rechts verorten. Vielmehr müssen sie in ihrem ideologisch-programmatischen Erscheinungsbild wesentlichen Merkmalen des Begriffs entsprechen. Bei kleinen dogmatischen Gruppierungen ist diese Einordnung zumeist einfacher vorzunehmen als bei großen Wahlbewegungen, die in breitere Anhänger-und Wählerschichten Vordringen. Gleiches gilt für publizistische Projekte (Zeitungen, Zeitschriften), an denen Autoren unterschiedlicher Couleur mitarbeiten (können). Bei der Behandlung derartiger Phänomene ist das Etikett „rechtsextrem“ mitunter zu pauschal. Statt dessen wird dann -so auch in der folgenden Darstellung -von „nationalistischen“, „national-populistischen“ Tendenzen, Bestrebungen etc. gesprochen, denen jedenfalls eine starke Affinität zum Rechtsextremismus zugesprochen werden muß, ohne daß dies jedoch für sie in toto zuträfe.
Die folgende Darstellung gibt einen Überblick zum gegenwärtigen Rechtsextremismus in Deutschland. Der Schwerpunkt liegt auf den organisiert auftretenden Formen. Dabei wird ihr Entstehungshintergrund beleuchtet, ihre ideologische Bandbreite durchmessen, die Art ihres politischen Verhaltens und ihrer Vereinigungen beschrieben. Die Frage nach möglichen Ursachen rechtsextremer Bestrebungen bleibt im Hintergrund. Die Betrachtung beginnt mit einer Auslotung des rechtsextremen Einstellungspotentials, wendet sich sodann den verschiedenen Wahlorganisationen zu, beleuchtet danach die „Szenen“ zumeist jugendlicher Militanz, die Publikationsforen der „Neuen Rechten“ und des „Revisionismus“, um mit einer knappen Sichtung der Größenordnungen auf europäischer Ebene zu schließen. Der Über-blick in seiner gedrungenen Form läßt viele Einzelphänomene außer acht und bleibt gezwungenermaßen unvollständig. Für eine vertiefende Beschäftigung mit der Materie enthalten die Fußnoten zahlreiche Hinweise.
II. Einstellungspotential
Der sich direkt oder indirekt am historischen Modell des Nationalsozialismus orientierende Rechtsextremismus wurde im westlichen Nachkriegsdeutschland sozial geächtet und isoliert. Auch diejenigen Gruppierungen der äußersten Rechten, die sich in Teilen vom NS-Regime und seiner Praxis abgrenzten, aber zugleich dessen „gute Seiten“ hervorhoben und gegen „pauschale Kritik“ verteidigten, konnten sich nur in einem •subkulturellen Rahmen entfalten Im totalitären System des SED-Staates, der den Antifaschismus zur Staatsdoktrin erhob, fehlte es auch dafür an politischem Freiraum. Erst in der Spätphase vor dem Zusammenbruch von 1989 gelangten rechtsextreme Töne insbesondere im Umfeld von Jugendgruppen an die Öffentlichkeit In dieser Situation konnte der organisierte Rechts-extremismus nur die Spitze eines Eisberges sein. Wesentliche Teile des rechtsextremen Einstel-lungspotentials artikulierten sich nicht offen und wurden bei Wahlen von den großen demokratischen Parteien integriert. Nur selten gelang es rechtsextremen Wahlformationen, größere Bevölkerungskreise zu mobilisieren. Zudem wandelte sich die politische Kultur im westlichen Deutschland in Richtung auf mehr Offenheit und Liberalität Doch gingen Meinungsforscher von einem fortbestehenden, weit über den Kreis der Wähler rechtsextremer Parteien hinausreichenden Einstellungspotential aus. Eine im Auftrag des Bundeskanzleramts 1979/80 durchgeführte Untersuchung des SINUS-Instituts kam gar zu dem Ergebnis, 13 Prozent der westdeutschen Bevölkerung verfügten über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, 37 Prozent wiesen autoritäre Einstellungen auf und seien für rechtsextreme Propaganda empfänglich Zwar stießen diese Feststellungen auf massive methodische Kritik; doch bestätigten viele andere Untersuchungen jedenfalls die Tendenz-aussage, wonach das rechtsextreme Einstellungspotential weit über den Kreis der bei Wahlen von rechtsextremen Parteien bislang mobilisierten Bevölkerungskreise hinausreiche Daß die deutsche Vereinigung dazu keinen positiven Beitrag leisten konnte, dürfte unumstritten sein. Doch kam der höhere Anteil autoritärer Verhaltens-dispositionen in der Bevölkerung der neuen Bundesländer bislang eher der PDS als den Rechtsaußenparteien zugute. Für Gesamtdeutschland bezifferte der Mainzer Wahlforscher Jürgen Falter 1994 den Anteil von Wählern, die ein „relativ geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild“ besäßen, bei den Unionsparteien auf 20 Prozent, bei der SPD auf 14 Prozent und bei den Nichtwählern auf 17 Prozent
An der weitgehenden, von meinungsführenden Schichten getragenen gesellschaftlichen Isolation des Rechtsextremismus hat sich seit der deutschen Vereinigung nichts geändert. Dies zeigt beispielsweise das Ergebnis einer Meinungsbefragung aus dem Jahr 1992. Bei der Frage nach Personengruppen, die man nicht gerne als Nachbarn haben wolle, setzten die meisten die Gruppe der Rechtsextremisten an die oberste Stelle (77 Prozent), vor Drogenabhängigen (67 Prozent), Trunksüchtigen (66 Prozent) und Linksextremisten (61 Prozent) Die Subkulturen der „Skinheads“ und der „Faschos/Neonazis“ sind laut den Ergebnissen der Shell-Jugendstudie 1997 die bei Jugendlichen am schärfsten abgelehnten Gruppen. Nur kleine Minderheiten äußerten Sympathie (Skinheads: 2 Prozent, Faschos/Neonazis 2 Prozent) für beide Phänomene oder zählten sich gar selbst dazu (Skinheads: 1 Prozent, Faschos/Neonazis 0 Prozent) Die Jugendforscherin Ursula Höffmann-Lange kommt in einer neueren Untersuchung zu dem Ergebnis, es lasse sich „unter den jungen Menschen in Deutschland kein zahlenmäßig bedeutsames rechtes Einstellungspotential ausmachen Zwar seien fremdenfeindliche Ressentiments in erheblicher Größenordnung festzustellen, doch gingen sie in der Regel nicht mit einer extrem rechten Grundhaltung in anderen Fragen einher.
III. Wahlbewegungen
In Deutschland blieben bislang wesentliche Bedingungen unerfüllt, die eine wahlpolitische Mobilisation des Einstellungspotentials ermöglichen. Das politische System erwies sich als ausreichend integrationsfähig. Die „etablierten“ Parteien verstanden es, auch Wähler mit rechtsextremen Neigungen zu „bedienen“ und die ihnen wichtig erscheinenden Themen zu „besetzen“. Dem „nationalen Lager“ gelang es nicht, mit attraktiven Themen, einer zugkräftigen Führung und einer effektiven Organisation aus der relativen sozialen Isolation auszubrechen, breitere Wählerschichten zu erschließen und dauerhaft an sich zu binden. Die Geschichte nationalistischer und nationalpopulistischer Wahlbewegungen im Nachkriegsdeutschland ist bis heute im wesentlichen eine Abfolge von Niederlagen Zwar konnten ein zelne Parteien wiederholt auf Länderebene die Fünfprozenthürde überwinden; aber solche Durchbrüche ließen sich nicht konsolidieren und auf die gesamtstaatliche Ebene ausdehnen. 1951 sorgte die von ehemaligen NSDAP-Funktionären gegründete „Sozialistische Reichspartei“ (SRP) mit 11 Prozent in Niedersachsen und 7, 7 Prozent in Bremen für Aufsehen. Doch wurde sie im folgenden Jahr verboten. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahren zog die stärker deutsch-nationalistische als nationalsozialistische „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) in zahlreiche Länderparlamente ein, scheiterte jedoch bei der Bundestagswahl von 1969 an der Fünfprozentmarke. In den Folgejahren verlor die Partei rasch an Anhängerschaft und sank in ihren Wahlergebnissen auf die Ebene von Zehntelprozentpunkten herab. Hatte sie auf ihrem Höhepunkt über 25 000 Mitglieder, ist sie inzwischen nahezu in die Bedeutungslosigkeit zurückgefallen (Ende 1996: 3 500)
Dauerhafte Erfolge bei Wahlen konnte auch die ursprünglich (1971) als Auffangbecken für enttäuschte NPD-Anhänger gegründete „Deutsche Volksunion“ (DVU) nicht erzielen. 1987 als Partei konstituiert, sorgte die von dem Münchener Verleger („Deutsche National-Zeitung“) Gerhard Frey straff geführte Organisation zeitweilig im „hohen Norden“ für Furore (Bremen 1991: 6, 2 Prozent, Schleswig-Holstein 1992: 6, 3 Prozent). Mangels sozialer Verankerung „vor Ort“ und ohne größeren Aktivistenstamm (das Gros der Ende 1996 immerhin 15 000 Mitglieder zählenden Partei entfaltet über die Lektüre der Frey-Presseprodukte hinaus kaum Aktivitäten) ließen sich diese Erfolge jedoch nicht auf Dauer stabilisieren. Die DVU-Fraktionen traten vor allem durch politische Machenschaften und Inkompetenz in der Öffentlichkeit hervor und überdauerten, untereinander heillos zerstritten, nicht einmal die Hälfte der Legislaturperiode. Das jüngste DVU-Ergebnis bei der Senatswahl in Hamburg vom September 1997 (4, 9 Prozent der Stimmen) wäre ohne die Schwäche der „Republikaner“ (REP), die bei den Wahlen zuvor deutlich vor der DVU gelegen hatten (1993: REP 4, 8 Prozent, DVU 2, 8 Prozent), nicht zustande gekommen
Nicht so sehr mit dem Namen der DVU als mit dem der REP verbindet sich die dritte Mobilisationswelle von Rechtsaußenparteien im Nachkriegsdeutschland. Sie begann mit dem REP-Erfolg in Westberlin im Januar 1989 (7, 5 Prozent der Stimmen) und erreichte ihre Höhepunkte bei der Europawahl im selben Jahr (7, 1 Prozent) und den beiden aufeinander folgenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg von 1992 (10, 9 Prozent) und 1996 (9, 1 Prozent). Die REP-Wähler waren in ihrer Mehrzahl männlich, verfügten über eine relativ geringe formale Bildung und eine überdurchschnittliche Repräsentanz in den Berufsgruppen der Arbeiter, Selbständigen und Landwirte. Viele Anzeichen deuteten darauf hin, daß es sich überwiegend um -objektive oder subjektive -„Modernisierungsverlierer“ handelte, also Personen, die sich durch den sozialen und ökonomischen Wandel in ihrer beruflichen Existenz gefährdet sahen
Den REP gelang es nicht, ihre Wahlerfolge zu konsolidieren und eine Stammwählerschaft aufzubauen. Zwischen den Erfolgen lagen so viele Niederlagen, daß sich keine auf die Bundesebene ausgreifende Dynamik entfalten konnte. Bei den Bundestagswahlen von 1990 und 1994 blieben die REP weit von der Fünfprozentmarke entfernt (2, 1 und 1, 9 Prozent der Zweitstimmen). Die 1983 gegründete, lange Zeit von dem ehemaligen Fernsehmoderator Franz Schönhuber geleitete Partei konnte nicht von der deutschen Vereinigung profitieren. Im Gegenteil: Das nationale Ereignis stärkte zeitweilig die Integrationskraft der Regierungsparteien. Ein weiteres mobilisationsträchtiges Thema: die „Asylantenflut“ mit sprunghaft steigenden Zahlen von Asylsuchenden Anfang der neunziger Jahre, wurde durch den Asylkompromiß der beiden Volksparteien (Sommer 1993) „entschärft“. Zudem gelang es der Partei nicht hinreichend, sich bei diesem Problemkomplex als kompetent auszuweisen
Obwohl die von Abtrünnigen der bayerischen CSU gegründeten REP im Vergleich zu NPD und DVU ein moderateres Erscheinungsbild boten, ideologische Affinitäten zur NS-IdeoIogie und zum Deutschnationalismus weit schwächer ausfielen und sie nicht müde wurden, ihre Treue zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu betonen blieben sie politisch und gesellschaftlich weitgehend isoliert. Ihre Versuche, Ressentiments gegen Ausländer zu schüren und auszubeuten, stießen auf Ablehnung und riefen zum Teil militante Reaktionen „antifaschistischer“ Gruppierungen hervor. Der Populismus (Ausnützung „volkstümlicher“ Themen, charismatische Führung, Mobilisation des „wahren Volkswillens“ gegen „die da oben“) verlief weitgehend im Sande, da man sich einem unauflösbaren Dilemma gegenübersah: Die glaubwürdige Präsentation als verfassungstreue Kraft erforderte eine Distanzierung von der „alten Rechten“ (wie NPD und DVU), deren Führungen und Anhänger man jedoch hätte gewinnen und „einbinden“ müssen, um eine Bündelung der verfügbaren Kräfte zu erreichen. Vor allem dieses strategische Problem führte Ende 1994 zum Rücktritt des langjährigen charismatischen Parteichefs, Franz Schönhuber, der entgegen früherer Bekundungen in einem Alleingang das Bündnis mit der DVU gesucht hatte, ohne sich des Rückhalts seiner Partei zu versichern. Die schon zuvor mit dem Austritt führender Parteirepräsentanten ausgebrochene Krise ließ die Zahl der Mitglieder sinken. Doch konnte sich trotz mannigfacher Versuche keine parteipolitische Alternative formieren. Dem REP-Vorsitzenden Schlierer gelang es statt dessen, den organisatorischen Niedergang zu stoppen. Trotz des leichten Stimmenrückgangs wirkte sich der Erhalt der REP-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg (Wahlen vom Mai 1996) stabilisierend aus. Auf dem Parteitag in Dietmannsried im Oktober 1997 wurde die Zahl von 15 000 Mitgliedern genannt (nach Parteiangaben waren es im Januar 1990 25 000 gewesen).
Die REP boten seit ihren ersten Erfolgen ein Bild innerparteilicher Zerrissenheit. Personelle Querelen und ideologisch-strategische Konflikte reihten sich aneinander. Sie sind bis heute im wesentlichen eine süddeutsche Regionalpartei (mit Schwerpunkten in Bayern und Baden-Württemberg) geblieben. In den Gebieten nördlich der Mainlinie haben sie kaum Fuß gefaßt Von der relativen organisatorischen Schwäche zeugt u. a. die nur bescheiden ausgebildete Parteipresse. Das Parteiorgan „Der Republikaner“ konnte zeitweilig nur unregelmäßig erscheinen und ist ein eher belanglo-ses Mitteilungsblatt geblieben. Für den Aufbau einer Jugendorganisation wurden viele erfolglose Anläufe unternommen. Die „Republikanische Jugend“ (RJ) hat jedoch bis heute keine nennenswerten Aktivitäten entfaltet. Regsamer erscheinen der „Republikanische Bund der öffentlichen Bediensteten“ (RepBB) und der „Republikanische Bund der Frauen“ (RBF). Für neuen Sprengstoff dürfte die Entscheidung des REP-Vorsitzenden Schlierer sorgen, künftig enger mit dem „Front National“ (FN) in Frankreich zusammenzuarbeiten. Dies läßt sich schwerlich mit der konsequenten Abgrenzung gegenüber DVU und NPD vereinbaren.
Angesichts der Situation bei den REP mehrten sich alternative Versuche einer „nationalen Sammlung“. Vielerorts fanden überparteiliche „Runde Tische“ statt. Die von ehemaligen NPD-und REP-Funktionären im Oktober 1991 ins Leben gerufene „Deutsche Liga für Volk und Heimat“ (DLVH; Ende 1996 ca. 800 Mitglieder) gab 1996 ihren Parteistatus auf, um künftig hoch selbstloser als Katalysator einer breiten rechten Synthese wirken zu können. An Bestrebungen dieser Art beteiligte sich auch Franz Schönhuber, der 1995 den REP den Rücken gekehrt hatte und rege publizistische Aktivitäten (u. a. als Kolumnist der Monatszeitschrift „Nation + Europa“) entfaltete. Anfang November 1997 trat er auf einer Europa-Kundgebung in Kösching bei Ingolstadt als Redner auf, an der Seite des früheren REP-Europaabgeordneten Harald Neubauer, des FN-Politikers Yvan Blot und des Vorsitzenden des flämisch-nationalistischen „Vlaams Blök“, Frank Vanhecke.
IV. Militante „Szenen“
Während die genannten Parteien ihre politischen Ziele in erster Linie durch die Beteiligung an Wahlen zu realisieren suchen und sich im allgemeinen gesetzestreu verhalten, neigen militante Vereinigungen zumeist jugendlicher Aktivisten zu spektakulären, provokativen „Aktionen“ und scheuen vielfach auch vor direkter Gewaltanwendung nicht zurück. Die Parteien des „nationalen Lagers“ gelten in den militanten Milieus weithin als lasch, zahnlos und lahm. Umgekehrt lassen sich rechtsextreme jugendliche Aktivisten nur schwer parteipolitisch integrieren und stellen für die betreffenden Wahlorganisationen wegen des Verstoßes gegen Strafgesetze (u. a. Propagandadelikte) und der damit verbundenen negativen Medienberichterstattung ein ständiges Problem dar. Rechtsextreme Militanz geht insbesondere von zwei überwiegend jugendlich geprägten Subkulturen aus: den „Szenen“ der Neonationalsozialisten und der „Skinheads“. Zwischen beiden Bereichen gibt es Berührungspunkte und Überschneidungen; insbesondere haben Neo-NS-Anhänger in der Vergangenheit immer wieder versucht, Nachwuchs aus der Skinhead-“ Szene“ zu rekrutieren. Im wesentlichen handelt es sich jedoch um zwei separate Phänomene mit verschiedenartiger Entstehungsgeschichte und unterschiedlichem Erscheinungsbild.
Die Neo-NS-„Szene“ bildete sich in der Zerfalls-phase der NPD Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre heraus, als enttäuschte Anhänger ihr Heil im politischen Aktionismus suchten und in ihrer Programmatik an bestimmte Formen des historischen Nationalsozialismus (Hitlerismus, Strasserismus) anknüpften. Die „Szene“ trat überwiegend durch provokative „Aktionen“ (Hitler-gruß, Verwendung von NS-Symbolen und -Uniformen, Verhöhnung der Opfer des NS-Regimes, „Auschwitzlüge“, antisemitische Schmierereien) in der Öffentlichkeit hervor. Einzelne Personen und Gruppen gingen von propagandistischen Aktivitäten zu systematischer Gewaltanwendung über (z. B. Oktoberfestanschlag, „Deutsche Aktionsgruppen“, „Hepp-Kexel-Gruppe“)
Täter aus der Neo-NS-„Szene“ spielten bei der Gewaltwelle seit Anfang der neunziger Jahre allerdings nur eine Nebenrolle. Wenn sich die Serie der Vereinigungsverbote seither hauptsächlich gegen derartige Zusammenschlüsse richtete, so ist dies in erster Linie als eine Form symbolischer Politik zu werten, mit der in der Öffentlichkeit Entschlossenheit bei der Bekämpfung fremdenfeindlicher Gewalt demonstriert werden sollte. Zudem fand man nur hier die für Verbotsverfahren erforderlichen formalisierten Organisationsstrukturen vor. In den neunziger Jahren wurden bisher 13 neonationalsozialistische Gruppierungen auf Bundes-und Landesebene verboten, zuletzt die in Brandenburg aktive „Kameradschaft Oberhavel“ im August 1997. Manche Vereinigungen, zumeist straff hierarchisch nach dem Führerprinzip organisiert, verfügten über weniger als 100 Mitglieder, keine überstieg die Grenze von 500.
Ob eine systematische Verbotspolitik gegen neonationalsozialistische Gruppierungen zur Gewalt-eindämmung beiträgt, erscheint fraglich. Zweifellos wird die „Szene“ dadurch verunsichert; manche Aktivisten kehren ihr den Rücken. Die Mehrzahl sucht jedoch Zuflucht zu anderen Betätigungsformen: im Rahmen legaler Organisationen (z. B.der seit 1991 bestehenden Berliner Vereinigung „Die Nationalen“ oder der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“), in der Form informeller Vernetzung mittels moderner Kommunikationsmittel (Internet, Mailboxen, Infotelephone) oder auch in „autonomen Kameradschaften“ und konspirativen Zusammenschlüssen. Die Gefahr, daß Teile der „Szene“ durch Verbote in den (terroristischen) Untergrund gedrängt werden, ist nicht von der Hand zu weisen, auch wenn die gelegentlich beschworene „Braune Armee Fraktion“ derzeit ein journalistisches Phantasiegebilde darstellt
Die Zahl rechtsextremer, zumeist fremdenfeindlich motivierter Gewalttaten stieg Anfang der neunziger Jahre sprunghaft an: 1990: 309, 1991: 1 492, 1992: 2 639. Zahlreiche Faktoren trugen zu dieser Entwicklung bei: die durch stark anwachsende Asylbewerberzahlen ausgelöste öffentliche Diskussion mit ihren Reizvokabeln („Asylanten-schwemme“, „Wirtschaftsasylanten“ etc.), die angespannte soziale und sozialpsychologische Situation vor allem in den neuen Bundesländern, die Gewalteskalation an Orten wie Hoyerswerda (Sachsen) und Rostock mit ihrer Signalwirkung auf gewaltbereite Jugendliche, eine anfänglich hilflos erscheinende Polizei, die effekthascherische Berichterstattung mancher Medien usw. Seither ging das Ausmaß rechtsextrem motivierter Gewalt -auch wegen des verstärkten Einsatzes der Sicherheitskräfte -wieder deutlich zurück, hielt sich aber auf hohem Niveau (1993: 2 232, 1994: 1 489, 1995: 837, 1996: 781). In den ersten sieben Monaten des Jahres 1997 nahm die Gewalt gegenüber den Vorjahresmonaten sogar wieder zu Von den in den Jahren 1991 bis 1994 verurteilten Tatern war nur eine kleine Minderheit älter als 30 Jahre. 78 Prozent waren unter 21 Jahren. Von den zu 99 Prozent männlichen Tatern befanden sich 46 Prozent noch in der Ausbildung, 56 Prozent standen in einem Arbeitsverhältnis, 4 Prozent waren Angestellte oder Angehörige der Bundeswehr, 22 Prozent arbeitslos Nur in wenigen Fällen lagen den Sicherheitsbehörden Informationen über die Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Organisation vor. Nicht Neonationalsozialisten, sondern Mitglieder von Skinhead-Gruppen stellten das Gros der Täter. Ein Trierer Forscherteam bezifferte deren Anteil auf 37, 9 Prozent In einer Vielzahl der Fälle war eine Zuordnung zu bestimmten Gruppierungen indes nicht möglich.
Die Skinhead-„Szene“ ist ein Import aus Großbritannien Die ersten Gruppen Ende der sechziger Jahre grenzten sich mit Stoppelkopf und Arbeiter-kleidung von den Langhaarmähnen und Gammelklamotten der „Blumenkinder“ ab. Dem „peace and love“ -Gebaren setzten sie ein eher martialisches Erscheinungsbild entgegen: Bomberjacken, schweres Schuhwerk, Tätowierungen, Ketten und Totenkopfabzeichen. Für die meisten Anhänger war das Gruppenerlebnis und der gemeinschaftliche Musik-und Alkoholkonsum wichtiger als Politik. Doch formierte sich in den siebziger Jahren auch eine Strömung, die das autoritäre Auftreten mit rechtsextremen Parolen programmatisch untermauerte. Die einflußreiche Gruppe „Skrewdriver“ um Ian Stuart Donaldson arbeitete einige Jahre mit der nationalrevolutionären „British National Front“ zusammen und gehörte deren „White Noise Club“ an. Erst Anfang der achtziger Jahre breitete sich die Subkultur auf dem Kontinent und in beiden Teilen Deutschlands aus. Bald bildeten sich deutsche Skinhead-Bands wie die Frankfurter „Böhsen Onkelz“. Das Gros der „Szene“ zeigte sich, von autoritärem Gehabe abgesehen, politisch eher uninteressiert und frönte vorwiegend dem Musik-und Alkoholkonsum („Oi-Skins“). Ein Teil engagierte sich im rechtsextremen Sinne und wurde zum bevorzugten Ansprechpartner der Neo-NS„Szene“ („Faschos“) -mit bescheidenem Erfolg. Eine Minderheit fühlte sich dagegen eher linken Ideen verbunden und machte gegen rechtsextremes Auftreten Front („Redskins“, „Skinheads Against Racial Prejudice“ -SH A R P). Die „Szene“ der rechtsextremen und fremdenfeindlichen Skinheads entwickelte überwiegend keine formalisierten Organisationsstrukturen, sondern bestand aus lockeren lokalen Cliquen ohne Pro-grammatik und Planung. Fremdenfeindliche Anschläge geschahen zumeist spontan und unter Alkoholeinfluß. Unter dem Eindruck der Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Szenemitglieder zogen sich manche Aktive zurück oder veränderten ihr äußeres Erscheinungsbild. Doch entstanden auch fester organisierte Gruppierungen. Ein Beispiel hierfür bietet der im September 1995 in Pfronten gegründete Verein „Skinheads Allgäu“. Etwa drei Viertel seiner 43 Gründungsmitglieder waren bereits als politisch motivierte Straftäter in Erscheinung getreten Der Verein wurde im Juli 1996 verboten.
V. „Neue Rechte“ und „Revisionismus“
„Neue Rechte“ ist ein in den letzten Jahren vielgebrauchter und oft mißbrauchter Begriff Er suggeriert Gefahren für den demokratischen Verfassungsstaat, wird aber als politische Kampfvokabel oft auch auf Phänomene angewandt, die keineswegs pauschal als rechtsextrem gelten können, z. B. die neoliberale Wirtschaftprogrammatik („Thatcherismus“) oder die national-konservative Kritik an der europäischen Integration. Auch national-populistische Parteien vom Schlage der REP gelten gelegentlich als „Neue Rechte“. Im Zusammenhang mit dem Thema „Rechtsextremismus“ läßt sich die Formel vor allem auf Prozesse ideologischer Modernisierung und Intellektualisierung im Rahmen rechtsextremer Publikationsforen anwenden, deren Autoren vorzugsweise an Konzepte der sogenannten „Konservativen Revolution“ der Weimarer Republik anknüpfen. Hierbei steht nicht selten die zeitweilig stark beachtete französische „Nouvelle Droite“ Pate, deren Konzept des „Ethnopluralismus“ vielfältig rezipiert worden ist Zu den in diesem Sinne wirkenden Periodika zählen die Coburger Monatsschrift „Nation + Europa“, das von Manfred Rouhs zweimal im Monat herausgegebene Blatt „Europa vorn“ und die von Hans Ulrich San-der monatlich edierte Zeitschrift „Staatsbriefe“. Sie dürften zusammengenommen nicht einmal eine verkaufte Auflage von 50 000 erreichen. Von Krisen geschüttelt ist die seit 1994 in Berlin erscheinende Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Der von Chefredakteur Dieter Stein eingeschlagene Kurs verbaler und inhaltlicher Mäßigung ließ die Zahl der zeitweilig über 10 000 Abonnenten deutlich sinken. Das Blatt ist nicht pauschal als rechtsextrem einzustufen: Seriöse Artikel mit hohem Informationsgehalt stehen neben ideologisch eingefärbten Kommentaren. Die Autoren decken politisch ein Spektrum ab, das von national-konservativen bis zu national-revolutionären Positionen reicht. Gemeinsamer Gegner sind die als „antinational“ geltenden Kräfte, zu denen mehr oder weniger alle „etablierten“ Parteien gerechnet werden. Bezeichnenderweise widmet das Organ den Sammlungsbestrebungen rechts von der Union große Aufmerksamkeit.
Insgesamt scheint es sich bei der „Neuen Rechten“ um ein weit überschätztes Phänomen zu handeln, das weder im Hinblick auf seine intellektuelle Originalität noch auf seine öffentliche Wirkung den Erwartungen entspricht. Buchtitel wie „Kippt die Republik?“ sind jedenfalls unangemessen. Jedoch könnte die Strömung wesentlich an Bedeutung gewinnen, wenn der europäische Integrationsprozeß (mit der bevorstehenden Währungsunion) zu weiteren ernsthaften Belastungen der sozialen und ökonomischen Lage der Bevölkerung führen würde.
Obwohl es Überschneidungen gibt, hat die „Neue Rechte“ mit dem sogenannten „Revisionismus“ vor allem das vorwiegend publizistische und agitatorische Wirken gemeinsam. Wegen der Vieldeutigkeit des Revisionismusbegriffs wird seit einigen Jahren gelegentlich zwischen dem Bestreben nach Revision bestimmter Geschichtsbilder im allgemeinen (z. B. die Relativierung der deutschen Kriegsschuld) und dem „Negationismus“ als der Leugnung oder Verharmlosung der nationalsozialistischen Massenvernichtungsmaßnahmen gegen die Juden („Auschwitzlüge“ etc.) unterschieden. Der Negationismus hat nicht zuletzt wegen der gegen einzelne seiner Verfechter geführten Prozesse in der rechtsextremen Publizistik an Bedeutung gewonnen. Die wichtigsten „Gutachten“, in denen die Existenz von Gaskammern zur Massen-Vernichtung von Menschen geleugnet oder zumindest stark in Zweifel gezogen wird, sind im Rahmen der Verteidigung vor Gericht entstanden („Leuchter-Gutachten“ von 1988, „Rudolf-Gutachten“ von 1992). Sie bestehen aus einem nicht nur für geschichtswissenschaftliche Laien schwer entwirrbaren Geflecht aus Dichtung und Wahrheit Da ihre Herstellung und Verbreitung in Deutschland verboten ist, werden sie zumeist aus dem Ausland eingeschleust und in interessierten Kreisen verbreitet.
VI. Vergleichende Schlußbetrachtung
Aufgrund der Massenverbrechen des NS-Regimes und der verheerenden Folgen des von ihm angezettelten Krieges gilt Deutschland noch heute vielfach als Brutstätte und Hochburg des Rechtsextremismus und wird vom Ausland entsprechend mißtrauisch beobachtet. Dabei äußern sich nicht selten Ressentiments und übertriebene Befürchtungen, die der hiesigen politischen Lage nicht annähernd gerecht werden.
Gewiß gibt es in der deutschen Bevölkerung fremdenfeindliche und rechtsextreme Einstellungen beträchtlichen Ausmaßes. Doch ist davon kein europäisches Land völlig frei. Eurobarometer-Umfragen zeigen, daß Deutschland in dieser Hinsicht keinen Spitzenrang belegt und selbst von alteingesessenen Verfassungsstaaten überrundet wird Wie ein Blick auf die Wahlresultate im Nachkriegseuropa zeigt, stellte Deutschland gerade wegen der „Last der Vergangenheit“ ein eher „schwieriges Gelände für den Rechtsextremismus“ dar. Auch von den Erfolgswellen der letzten zehn bis fünfzehn Jahre haben deutsche Formationen nur in bescheidener Weise profitieren können. Im Gegensatz zu Staaten wie Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Italien blieb ihnen eine parlamentarische Vertretung auf nationaler Ebene versagt. Mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung blickt das deutsche „nationale Lager“ auf das Nachbarland Frankreich, wo es dem „Front National“ Jean-Marie Le Pens gelungen ist, sich einen festen Wähleranteil von deutlich über zehn Prozent der Stimmen zu erobern und sich organisatorisch nahezu flächendeckend auszubreiten Davon weiß man sich in Deutschland zur Zeit weit entfernt.
Die mangelnde wahlpolitische Durchschlagskraft des „nationalen Lagers“ hat jedoch auch Schattenseiten. Das Beispiel Frankreich zeigt, daß erfolgreiche Wahlbewegungen militante „Szenen“ bis zu einem gewissen Grad zu integrieren vermögen. Die von rechtsextremen Gruppierungen ausgehende Gewalt hält sich dort seit Jahren in vergleichsweise engen Grenzen Auch wenn die Entstehung rechtsextremer Militanz viele Ursachen hat und nicht allein mit der Integrationsfähigkeit nationalistischer Wahlformationen erklärt werden kann (insbesondere sind die Auswirkungen der deutschen Vereinigung in Rechnung zu stellen), ist jedenfalls für Deutschland ein im europäischen Vergleich nach wie vor sehr hohes Niveau fremdenfeindlicher Gewalt zu konstatieren
Auch an intellektuellen Modernisierungsversuchen und „revisionistischer“ Propaganda fehlt es nicht. Doch steht Deutschland damit nicht allein. Weder spielt die hiesige „Neue Rechte“ eine besondere Vorbildrolle, noch waren deutsche „Revisionisten“ Vorreiter. Modellcharakter hat eher die französische „Nouveile Droite“, auch wenn diese sich aus dem geistigen Laboratorium deutscher Sonderwegsideologen (vor allem von vor 1933) bedient hat. Und was den „Revisionismus“ angeht, wirkten französische Autoren wie Paul Rassinier und Robert Faurisson als Wegbereiter. Ein dem Negationismus huldigendes „Institute for Historical Review“ (Kalifornien) würde gegen deutsche Strafgesetze verstoßen.
All diese Tatsachen sollten dazu Anlaß geben, sich dem umstrittenen Thema Rechtsextremismus mit mehr Gelassenheit und Besonnenheit zu widmen. Alarmismus und Hysterie begünstigen weder treffende Diagnosen noch angemessene Therapien. Doch wäre man angesichts der deutschen Geschichte der ersten Jahrhunderthälfte auch schlecht beraten, das Phänomen auf die leichte Schulter zu nehmen. Gerade in Deutschland sollte der Schutz des demokratischen Verfassungsstaates vor seinen Feinden -gleich welcher Provenienz -ein ständiges öffentliches Anliegen bleiben.