I. Die intellektuelle Neue Rechte in Deutschland
Als inhaltlicher Schwerpunkt seiner neuen Regierung war 1982 von Helmut Kohl eine „geistig-moralische Wende“ angekündigt worden. Statt als Renaissance eines rückwärtsgewandten Konservativismus erwies sie sich jedoch eher als dialektischer Versuch, Konservativismus und Fortschritt miteinander zu verbinden, getreu dem Motto: „Konservativ sein heißt, an der Spitze des Fortschritts marschieren“ (Franz Josef Strauß). Seit der sogenannten Tendenzwende zu Beginn der siebziger Jahre, als die in die Opposition geratenen Unionsparteien ihre Rolle dahingehend definierten, ihren Rückstand bei der Besetzung zentraler politischer Begriffe nicht nur aufzuholen, sondern hier auch an den linken Kräften vorbeizuziehen, boomte das Geschäft einer theoretischen Erneuerung des Konservativismus Bald konkurrierten hierbei zwei Linien, die sich einmal als „liberaler und sozialer Konservativismus“, zum andern als „Neokonservatismus“ mit starker Betonung einer ordnenden staatlichen Autorität zu erkennen gaben. Einige politikwissenschaftliche Analytiker machten noch auf eine weitere Richtung aufmerksam, um deren Existenznachweis jedoch -weniger in der Wissenschaft, dafür aber um so mehr in der vor allem konservativen politischen Publizistik -heftige Kämpfe ausgefochten wurden: Eine „Neue Rechte“ bestehe aus eher jungen, politisch interessierten und ausgebildeten Männern und schicke sich an, so behaupteten die einen, über die Wiederaufnahme zentraler Gedanken insbesondere der Konservativen Revolution der Weimarer Republik einer neuen Deutung von Politik, Staat und Volk Durchbruch zu verschaffen, die Abschied nehme von einer republikanischen, weltoffenen diskursiven Politikvorstellung. Dafür orientiere sie sich wieder um so mehr an Kampf, Freund-Feind-Unterscheidung, Ausgrenzung von , störenden Minderheiten und dem Bild eines autoritären Staates. Dagegen behaupteten die anderen, man könne nirgendwo eine nennenswerte Gruppierung auffinden, die sich als „Neue Rechte“ bezeichne (etwa im Gegensatz zu Frankreich). Wohl gebe es vielleicht hier und dort Gruppen und Grüppchen, die sich als junge oder auch etwa als neue Konservative sähen; doch sie seien von geringer strategischer Bedeutung. Ich selbst habe vor knapp zehn Jahren typisierend „die , Neue Rechte’ als Scharnier zwischen Neokonservatismus und Rechtsextremismus“ bezeichnet Mein Vorschlag hat sowohl Beifall gefunden als auch Kritik unterschiedlicher Schärfe erfahren. Letztere, etwa aus dem faschismustheoretischen Lager, hielt dagegen, daß der heutige Rechtsextremismus eine Ausprägung des originären Faschismus sei, es insofern dort keine eigenständige neue Entwicklung gebe.
Besonders nachhaltig ist die Scharnier-Metapher von Pfahl-Traughber kritisiert worden Sein Hauptvorwurf, daß ich die Neue Rechte als ein „eigenständiges Phänomen“ zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus darstelle, hängt mit der entscheidenden Differenz zwischen seiner und meiner Verwendung des Begriffes „Neue Rechte“ zusammen. Sie liegt darin, daß er die darunter von ihm gefaßten Phänomene ohne Wenn und Aber dem Rechtsextremismus zuschlägt, wobei er letzteren Begriff ausschließlich normativ-verfassungsrechtlich definiert Die prekäre Verbindung zwischen Rechtsextremismus und Konservativismus sieht Pfahl-Traughber durchaus und erkennt darin eine „Erosion der Abgrenzung“; ebenso ist ihm „die Existenz eines Bereichs bzw. einer Sphäre“ zwischen beiden nicht unbekannt, er nennt sie jedoch normativ neutral „Brückenspektrum“ Mir scheint, daß damit gegenüber dem Scharnier-Bild ein nur sehr zweifelhafter „Gewinn“ verbunden ist: Die „Neue Rechte“ ist hier normativ eindeutig definiert -und zwar über rein juristische Kriterien -und wird dem Rechtsextremismus zugeschlagen. Empirisch ist damit allerdings genau jenen spannenden Fragen nicht mehr präzise nachzugehen, wie -tatsächlich nachweisbare Netzwerke von Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen und Verlagen über die Zeit hinweg in diesem Bereich agieren, -diese Verbindungen in den politisch extremen Bereich knüpfen und wieder lockern, um sich bei nächster Gelegenheit wieder der politischen „Mitte“ zu nähern, -sie oft auch alles daransetzen, die verfassungsrechtliche Grenze zum Rechtsextremismus soweit zu verschieben, daß eben gerade noch keine juristische Nachprüfung erfolgen kann, und -sie zu anderen Gelegenheiten wiederum -absichtlich zum Zwecke der politischen Mimikry -ihre Wortwahl so zügeln, daß breites Einverständnis im demokratischen Spektrum erzielt werden kann. Wer alle diese Bewegungen und Veränderungen völlig unterschiedlichen „Bereichen“ (Rechtsextremismus/Neue Rechte einerseits und demokratische Mitte/Brückenspektrum andererseits) zuschlägt und deren Grenzen obendrein noch ohne Berücksichtigung empirischer Befunde rein normativ-verfassungsrechtlich zementiert, wird blind für die tatsächlichen, auf den ersten Blick sicherlich oft völlig verwirrenden Abläufe. Genau an dieser Stelle zeigt sich nun der entscheidende Unterschied zwischen Pfahl-Traughbers und unserer Position: Pfahl-Traughber behält bei seinen Untersuchungen prinzipiell den Blickwinkel des Verfassungsschutzes bei. Weil diese Behörde aber viel stärker an der Prävention und Aufklärung staatsgefährdender Umtriebe als an der Information der Öffentlichkeit interessiert ist, ist es nur folgerichtig (und unter diesem Gesichtspunkt auch nicht zu tadeln), daß sich dieser Blick eine juristisch möglichst zweifelsfreie Grenzlinie gibt, jenseits derer er dann für seine Staatsschutztätigkeit legitimiert ist. Ein Verfassungsschutz jedoch, der seine „Erkenntnisse“ nicht (nur) zum Zwecke der Vorbereitung möglicher staatlicher Sanktionen gewinnt, sondern dazu, den öffentlichen politischen Diskussionsprozeß zu bereichern, wird eher an der Analyse aller vielfältigen Verflochtenheiten interessiert sein -nach dem Motto: Der/die beste Verfassungsschützer(in) ist der/die informierte Bürger(in)
Ob das (eher technische) Bild eines Scharniers für die Neue Rechte wirklich aussagekräftig ist, mag dahingestellt sein; es kam und kommt mir darauf an, einerseits der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die Neue Rechte gegenüber der Alten Rechten, dem , orthodoxen'Rechtsextremismus, offenbar etwas anderes, von ihr getrenntes war und ist, andererseits eine Trennung auch gegenüber dem Konservativismus zu konstatieren -auch dann, wenn er in Gestalt eines Neokonservatismus daherkommt. Gleichzeitig aber ist eben gerade die Verbindung der Neuen Rechten zu beiden, insbesondere zum Rechtsextremismus, das eigentlich Aufregende. Ganz und gar nicht überzeugend ist der Einwand Pfahl-Traughbers gegenüber unserer Sichtweise einer Neuen Rechten, daß sie „über keine geschlossene Ideologie“ und „keine einheitliche Organisation“ verfüge Es ist ja auch diese organisatorische Offenheit, die manche Autoren dazu bringt, von der Neuen Rechten als einer „Bewegung“ zu sprechen Und daß selbst große Volksparteien selten wirklich über eine „geschlossene Ideologie“ verfügen, ist eine politikwissenschaftliche Binsenweisheit.
II. Überschätzung der Neuen Rechten?
Wer die Neue Rechte nur als Teil des Rechtsextremismus sieht, vermag also viele Akteure und deren Beziehungen, die sich beispielsweise rechts neben und in den Unionsparteien abspielen, nicht wahrzunehmen. Der Vorwurf des „Alarmismus“ denen gegenüber, die gerade dieses Beziehungsgeflecht analysieren wollen, kann insoweit als folgerichtiger Ausdruck der dogmatischen Fixierung der eigenen Sichtbegrenzung gesehen werden Nun hängen sicherlich Veränderungen ideologischer Positionen und politischer Weltbilder von einer Vielzahl von Einflußfaktoren ab. Daß sich inzwischen eine deutlich erkennbare Wirkung neu-rechter ideologischer Positionen in die „Mitte der Gesellschaft“ hinein abzeichnet, ist unübersehbar. Das zeigt sich z. B. in jenen Politikbereichen, in denen ganz unhinterfragt in der Wahrung bzw. Herstellung eines „starken Staates“ gegenüber Bedrohung von verschiedenen „Fronten“ das zentrale Heilmittel gesehen wird. Daß sich darin neu-rechter Einfluß über das politische Freund-FeindBild Carl Schmitts nachweisen läßt, ist bereits Gegenstand etlicher Publikationen Danach zieht sich etwa ein deutlicher Faden vom Heidelberger Manifest vom 17. Juni 1981 über die Begründung zur Novellierung des Ausländeraufenthaltsgesetzes 1988 hin zu den Diskussionen um die Asylrechtsänderung 1993 und den weiteren Versuchen, sogar noch die Rechtswegegarantie (nach Art. 19, 4 GG) für Asylbewerber zu kappen. Er besteht in dem -mittlerweile offensichtlich geglückten -Versuch, die Regel der Argumentationslastverteilung (nach Art. 1 GG), wonach nicht vorrangig derjenige seine Argumente zur Prüfung vorzutragen hat, der die Grund-und Menschenrechte verteidigen will, sondern derjenige, der sie glaubt, beschneiden oder gar beseitigen zu sollen, zu verändern Diese Veränderung betreibt -gewollt oder ungewollt -auch derjenige, der glaubt, dem Staat eine Nation gegenüber-bzw. sogar voranstellen zu sollen, die für die Staatsbürger erst die emotionalen Bindekräfte bereithalte, welche das „kalte Projekt der Demokratie“ (Ralf Dahrendorf) nicht zur Verfügung stelle. Die Forderung des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Wolfgang Schäuble daß Deutschland von seinen Bürgerinnen und Bürgern als „Not-und Schicksalsgemeinschaft“ zu akzeptieren sei, beinhaltet letztlich die politische Ein-und Unterordnung der Menschen in das politische Kollektiv Nicht nur Kommunitaristen versuchen seit einiger Zeit, ein derartiges Nationsverständnis in Frage zu stellen, sondern auch jene, die auf einer Vorstellung von Demokratie beharren, die über die ritualisierten Wahlakte der „Wahlbevölkerung“ weit hinausgeht
Im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Diskussion um den Lauschangriff hat ein hoher Richter auf ähnliche Zusammenhänge besorgt aufmerksam gemacht, als er den Blick von den praktischen Fragen der neuen Regelung weg-und auf die grundsätzliche Seite hinlenkte und hier „einen weiteren Stein in einem Puzzle der Umwertung der Grundrechte“ erblickte Und wie schon bei der Änderung des Asylrechts ebenfalls hohe Bundesrichter der Neuregelung Unausgegorenheit und ideologische Voreingenommenheit sowie hohen Politikern unverantwortliches Reden (z. B. vom „Staatsnotstand“) in bissigen Worten attestierten so auch hier: „Der Eifer und die Emotion auf allen Seiten habe , die Ruhe und den Verstand verdrängt 1.“ Haben sich erst einmal in den Köpfen Bedrohungsszenarien und Befürchtungen um die Homogenität Deutschlands eingenistet und wird Multikulturalität zum Schreckgespenst, dann werden praktische Probleme zu Fragen des Fort-bestandes der Nation hochstilisiert, bei denen sich Kritiker manchmal ganz schnell in der Rolle von „Vaterlandsverrätern“ wiederfinden. Haben da nicht diejenigen recht, für die inzwischen „der politische Gesamtkonsens der deutschen Demokratie ein gutes Stück weiter nach rechts gerückt ist“
III. Zur Situation der neuen radikalen Rechten in Deutschland
Diese Frage läßt sich mit unserem heutigen Wissen nicht schlankweg bejahen. Jürgen Falter u. a. wiesen sogar für die Blütezeit der „Republikaner“ (REP) mit dem Hinweis auf die international durchschnittliche Höhe rechter Einstellungspotentiale und rechter Wahlerfolge Befürchtungen zurück, daß es „alarmierende Vorzeichen eines neuen deutschen Sonderweges“ gäbe; vielmehr könne man, verglichen mit Europa, „eher einen Prozeß der Normalisierung“ in Deutschland feststellen Sieht man sich jedoch die in Deutschland gegenüber anderen europäischen Ländern deutliche Zunahme von rechten Protestaktionen (die als Vorstufe zum Rechtsradikalismus gedeutet werden können) an könnte man allerdings wiederum zum gegenteiligen Ergebnis kommen. Schon diese wenigen Hinweise zeigen, daß es nötig ist, einen Gesamtblick zu entwickeln, der bei der Analyse einseitige Urteile eher verhindern kann. Um diesen Gesamtblick zu erhalten, bewegt sich insbesondere die international vergleichende empirische Forschung offenbar in die Richtung, bei ihrer Analyse des rechten Spektrums Paradigmen der Bewegungsforschung aufzunehmen. So kann man etwa auf der strukturellen Ebene (und nach dem Modell konzentrischer Kreise) zwischen Bewegungseliten (z. B. Neue Rechte), Basisaktivisten (Parteien, Organisationen), Unterstützern (Gewalt-, dabei u. a. Skinheadszene) und Sympathisanten (z. B. rechtes Wählerpotential) unterscheiden Inwiefern innerhalb dieser neuen radikalen Rechten Vernetzungen vorliegen, muß im einzelnen geklärt werden, ebenso, welche Strategien und Aktionsrepertoires den verschiedenen Ebenen zur Verfügung stehen. Dabei gilt es, die Kontext-oder Gelegenheitsstrukturen für die neue radikale Rechte zu analysieren, zu denen neben anderen einerseits die Bedingungen der „streitbaren Demokratie“, andererseits aber auch die Offenheit der politischen Mitte für neurechte Argumente gehören.
Historisch verdankt sich die neue radikale Rechte jener entscheidenden Zäsur, die sich bereits am Anfang der siebziger Jahr im Selbstverständnis junger Rechter widerspiegelte. Die Veränderungen am Ende der sechziger Jahre mit den studentischen Unruhen und Forderungen nach mehr Demokratie, nach Emanzipation und stärkerer Liberalisierung, mit Wertewandel, der Entstehung einer neuen Linken und einer neuen Politik, oft auch interpretiert als vorläufiger Höhepunkt einer tiefgreifenden Modernisierung -alle diese Veränderungen erfuhren nicht nur Unterstützung, sondern teilweise auch radikale Ablehnung, und das nicht nur in Deutschland. In einer die USA, Frankreich und Deutschland vergleichenden Studie kann Minkenberg nachweisen, daß sich -bei allen historischen und politisch-kulturellen Unterschieden im einzelnen -die Grundmuster gleichen: Als „Gegenmodell zur Agenda der Neuen Linken“ entwickelte sich eine neue radikale Rechte, die sich gerade in Deutschland bewußt von jenen Rechten löste, die noch persönlich in die NS-Zeit verstrickt waren und einer „Alten Politik“ zugerechnet werden konnten. Diese „Alte Politik“ mit ihrer Links-rechts-Unterscheidung zentriert sich dabei vor allem um Streitfragen wie Wirtschaftswachstum, Stabilität und Sicherheit im sozioökonomischen und politischen Bereich, betriebliche Mitbestimmung, staatliche Wirtschaftslenkung und Angleichung der Einkommen
Unbeschadet aller Kritik an der Materialismus-Postmaterialismus-Dichotomie Ronald Ingleharts lassen sich auch in Deutschland unabhängig von der Partei-oder Schichtzugehörigkeit Menschen mit „materialistischem“ Werteprofil finden, für die materielle Sicherheit, Gegnerschaft zu freiheitlicher und emanzipatorischer Politik und damit Präferenz für eher autoritäre Politik charakteristisch sind. Spätestens das Aufkommen von Wertwandelprozessen machte deutlich, daß eine einfache Links-rechts-Achse für die Lokalisierung der deutschen Parteien nicht mehr ausreichte -und dies ganz besonders nach dem Eintritt der Grünen in die Parteienlandschaft. Dasselbe zeigte sich auch auf der Ebene der politischen Debatten: Kernenergie und Ökologie, Friedens-und Abrüstungsprozesse, Minderheiten-und Emanzipationsfragen, Abtreibung und vor allem Multikulturalismus wurden zu Themen, die sich nicht mehr eindeutig auf dem Links-rechts-Spektrum der „Alten Politik“ verorten ließen, jedoch auf der „Neuen Politik“ -Achse klar polarisierten. Auf der Einstellungsebene ergibt sich ähnliches: SPD-Anhänger mit Einstellungen zur „Alten Politik“ befinden sich auf der linken, CDU/CSU-Anhänger auf der rechten Seite des politischen Spektrums; gleichzeitig aber finden sich unter SPD-Anhängern neulinks und auch, wenngleich relativ wenige, neurechts eingestellte Menschen; die Neu-rechten finden sich insgesamt mehr bei der CDU und noch mehr bei der CSU wieder und selbstverständlich auch bei den Rechtsaußen-Parteien. Mit Daten von 1992 läßt sich ganz deutlich zeigen, daß REP-und Grünen-Wähler im Parteienspektrum die entscheidenden Antipoden sind: Überall dort, wo die REP-Wähler vom Durchschnitt erheblich nach oben abweichen, weichen die Grünen stark nach unten ab und umgekehrt. So ist es für die REP-Wähler ganz besonders wichtig, „das Ausländerproblem zu lösen“, „Ruhe und Ordnung wiederherzustellen“ und „steigende Preise zu bekämpfen“. Diese Forderungen finden die Grünen-Anhänger besonders wenig wichtig, wohingegen sich die Präferenzen beim Thema „Umweltschutz“ spiegelbildlich verkehren
Falsch wäre es aber wiederum, nur auf Gegensätzlichkeiten zwischen diesen beiden Wählerschaften zu warten: So ist die Freude über das Ende der deutschen Teilung gleich unterdurchschnittlich gering und wird nur noch von der PDS-Klientel unterboten Ein ähnliches Bild ergibt sich aus Daten zur Wertorientierung von Wählern der REP (alte Bundesländer): Während etwa diese Klientel fast ähnlich wenig wie die der Grünen und der SPD die ökonomische Gewinnverteilung als „gerecht“ ansieht und sich hierbei relativ deutlich von der FDP-und noch mehr von der CDU/CSU-Wählerschaft unterscheidet, stehen die REP-Wähler bei der „postmaterialistischen Wertorientierung“ (mit ganz geringer Ausprägung) diametral den Grünen-Wählern gegenüber, ebenso bei der Selbstpositionierung auf der Links-Rechts-Skala und bei der geringeren Einschätzung von Selbständigkeit gegenüber Gehorsam Zusammenfassend stellt Minkenberg fest, daß „das neurechte Einstellungspotential als klassen-und parteiübergreifender Gegenpol zur Agenda der Neuen Linken, der neuen sozialen Bewegungen und ...der Grünen, somit als Gegner dieser Träger einer spezifischen Modernisierung gelten“ kann, wobei es sich inhaltlich „als ein Gefühl der Verunsicherung und der sozialen und ökonomischen Marginalisierung, zugespitzt im Bedrohungsszenario der Einwanderung und gekoppelt mit materialistischen Werte-präferenzen und einer politischen Entfremdung“ darstellt
Es läßt sich nachweisen, daß diese ideologische Gegnerschaft im rechten Lager sowohl auf Partei-ebene, auf der Ebene der intellektuellen „WortFührer“ des Wählerpotentials und der Sympathisanten als auch bis in die rechten Organisationen, neonazistischen Gruppen und subkulturellen, gewaltorientierten Milieus hinein mehr oder minder ausgeprägt existiert. In diesen Kampf („Gegen 1968!“) ist aber auch noch jener „Gegen 1789!“, also gegen „Freiheit -Gleichheit -Brüderlichkeit“ einbezogen, der sich dann in der Zielvorstellung einer möglichst homogenen Nation, eines möglichst starken Staates und einer abwertenden Abgrenzung gegen alles „Fremde“ verdichtet Inwieweit dieser ideologische Rahmen einen die oben genannten Ebenen gemeinsam mobilisierenden „frame“ bildet und inwieweit diese auch strukturell miteinander vernetzt sind bzw. sich zunehmend vernetzen und insofern (schon) gegenwärtig eine veritable „rechte Bewegung“ darstellen, ist derzeit durchaus noch umstritten Festzuhalten bleibt jedoch, daß die neue radikale Rechte also nicht durch unpolitische Desperados und ideologische „Dumpfbacken“ charakterisiert ist, sondern daß wir politisch rechte Einstellungen erwarten können, die sich heute überwiegend als im oben erläuterten Sinne „neurechts“ darstellen. Damit wenden wir den Blick wieder zurück auf die neue intellektuelle Rechte, also auf jene Ideologieproduzenten und -multiplikatoren, deren Produkte in der neuen radikalen Rechten auf Widerhall stoßen, wobei es selbstverständlich unterschiedliche Formen und Intensitäten der Rezeption gibt und durchaus nicht ein monolithisch-einheitlicher „frame“ erwartet werden sollte. Im folgenden Fallbeispiel steht weniger die Interaktion zwischen Ideologieproduzenten und dem Geflecht der neuen radikalen Rechten im Mittelpunkt als vielmehr ihr Versuch, die gesellschaftliche und politische „Mitte“ in ihre Weitsicht und Netzwerke einzubeziehen.
IV. Die Neue Rechte als Mobilisierungsagent: Ein Fallbeispiel
Dies soll exemplarisch und mit Hilfe des „framing“ -Ansatzes aus der Bewegungsforschung an einem Fall untersucht werden, der im Frühjahr 1995 für Aufregung sorgte Am 8. Mai 1995 jährte sich zum fünfzigsten Male die bedingungs-lose deutsche Kapitulation und damit das Ende des Zweiten Weltkriegs. Zehn Jahre vorher hatte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker von diesem Tag als einem „Tag der Befreiung“ gesprochen und damit in der rechten Szene Entrüstung hervorgerufen, weil diese Bewertung alle Gewalt ausblende, die in den nachfolgenden Vertreibungsjahren seitens der Siegermächte an den Deutschen verübt worden sei. Es war also zu erwarten, daß dieser Tag auch 1995 umstritten sein würde. Hinzu kam, daß seit 1989 immer heftiger darüber diskutiert wurde, welche Identität denn das vereinte Deutschland haben solle, worauf ein Sammelband aus dem neurechten und national-konservativen Bereich die Antwort schon im Titel trug: „Die selbstbewußte Nation“ Die Herausgeber dieses Bandes, Ulrich Schacht und Heimo Schwilk, dazu Rainer Zitelmann und Klaus Rainer Röhl, verfaßten einen Appell, der am 7. April 1995 in der FAZ erschien: „ 8. Mai 1945 -Gegen das Vergessen“. Dieser Vorgang läßt sich mit Hilfe des „framing“ -Ansatzes gerade hinsichtlich seiner Mobilisierungsfunktion differenziert analysieren, ging es doch laut eigener Bekundung den Autoren um die „Formierung eines alternativen Meinungslagers“ Um die Mobilisierung einer bestimmten Klientel zu erreichen, muß ein Problem in einer Weise öffentlich inszeniert werden, daß Verantwortliche für dieses Problem benannt werden, die absichtlich ihre eigenen, partikulären Interessen gegen die eigentliche Mehrheit durchsetzen wollen, wogegen es nötig sei, sich zu wehren. Es wird also in dem Aufruf mit einem Zitat des allseits geehrten ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss begonnen und im Vergleich dazu die Bezeichnung des 8. Mai als „Tag der Befreiung“ durch „Medien und Politiker“ (gemeint sind „Linksliberale“ wie von Weizsäcker, Rita Süssmuth, „Der Spiegel“ usw.) als „einseitig“ charakterisiert. Das Vergessenmachenwollen von späterem Vertreibungsterror gegen Deutsche schaffe ein Geschichtsbild, das „nicht Grundlage für das Selbstverständnis einer selbstbewußten Nation sein“ könne, weil es „Wahrheiten verschweigt, verdrängt oder relativiert“. Mit diesen Formulierungen versuchen die Autoren an zentralen Empfindungen ihrer Klientel anzuknüpfen, wobei eine gewisse thematische Reichweite eingehalten sein muß, um den Kreis der Adressaten nicht zu schmälern. Daß der Appell mit dem Hinweis auf die „selbstbewußte Nation“ offenbar über genügend Zentralität und Reichweite verfügte, zeigte die Unterschriftenliste, die, mit über dreihundert Namen, mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten aus dem Unionslager bis in den rechtsextremen Bereich zusammenführte Als sich jedoch im Zusammenhang mit der öffentlichen Aufregung über diesen Appell und seine Unterstützer mehrere prominente Politiker distanzierten und gerade im konservativen Bereich die Kritik zunahm, veröffentlichten die Autoren zwei weitere Aufrufe, die auf dem ersten beruhten, jedoch einen weiteren zentralen Begriff aufnahmen, nämlich den der „political correctness“. Über den Appell an die gemeinsame Erfahrung, nämlich, erstens, sofort und immer linken Diffamierungskampagnen ausgesetzt zu sein und, zweitens, auch diesmal wieder ein Einknicken der Unionsführung (das auch „schon den , Fall Heitmann kennzeichnete“) erleben zu müssen versuchten die Autoren, jenen rechtskonservativen und neu-rechten Bereich noch schärfer zu mobilisieren, der einerseits seit langem die CDU wegen der Nicht-einlösung der „geistig-moralischen Wende“ kritisiert, andererseits aber nicht mit Rechtsextremen in einen Topf geworfen werden will. Für letzteren Zweck wehrte sich der erste Folgeaufruf (FAZ vom 28. 4. 1995) gegen alle Vorwürfe, man habe versucht, die NS-Verbrechen zu relativieren. In der Tat gingen daraufhin manche Rechtsextreme endgültig auf Distanz während die Autoren im zweiten Folgeaufruf von dem „ungeheuren Zuspruch, der uns aus allen Schichten der Bevölkerung erreicht hat“, sprachen. Ein knappes Jahr später faßte Schwilk den Erfolg dieser Kampagne zusammen: Für die geplante Münchner Gedenkveranstaltung hätten sich „mehr als 3 000 Teilnehmer angemeldet, darunter viele CSU-Mitglieder, Burschenschaften, Vertreter der Jungen Union und Vertriebene aus allen Teilen des Landes. Erstmals war es der Neuen Rechten gelungen, eine Massenbasis zu mobilisieren, was den Medien trotz aller Hysterien Respekt abnötigte und die etablierten Parteien in Unruhe versetzte.“ Er erwähnt sodann eine Einschätzung der Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann, die einer „, von Zitelmann, Schacht und Schwilk repräsentierten'Rechtspartei einen Stimmenanteil von 15 bis 20 Prozent (voraussagt). Bei einem von Wahl zu Wahl wachsenden Nichtwähleranteil, der seine Interessen im bestehenden Parteiengefüge nicht mehr repräsentiert fühlt, ist dies eine optimistische, aber keineswegs unrealistische Prognose.“
Auf dem Schritt in diese Zukunft, nämlich die „Haiderisierung“ der Bundesrepublik, hängen zwar die Neuen Rechten (noch?) deutlich zurück: So scheiterte etwa Ulrich Schacht mit einer Bürgerschaftskandidatur für den von Manfred Brunner gegründeten „Bund freier Bürger“ (BFB) in Hamburg ziemlich kläglich und die FDP hat sich in den letzten Wochen des „nationalen“ Flügels in Berlin (Alexander von Stahl, Rainer Zitelmann) und in Hessen (Heiner Kappel) erwehren können. Es bleibt aber abzuwarten, wie sich die Neugründung „Bund freier Bürger -die Freiheitlichen/Offensive für Deutschland“ von Brunner und Kappel in die Parteienlandschaft einfügen wird. Unbestreitbar erscheint mir jedoch, daß die Neue Rechte im politisch-kulturellen Bereich der „Mitte“ über weit mehr Einfluß verfügt als im parteipolitischen Spektrum. Und hier sei ausnahmsweise einem Ideologen der Neuen Rechten zugestimmt: „Kurzfristiger politischer -nämlich parteipolitischer -Erfolg ohne metapolitische Dominanz, ohne entsprechende Kulturrevolution also, ist wertlos.“ Gerade deshalb ist es an der Zeit, diese Kulturrevolution von rechts endlich wirklich ernst zu nehmen.