I. Einleitung
Mit dem Systemwechsel in der DDR und der deutschen Vereinigung begann ein umfassender gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Transformationsprozeß, der auch auf der lokalen Ebene zu umwälzenden Veränderungen unter anderem des Institutionensystems führte. Der institutioneile Umbruch und Neubau der ostdeutschen kommunalen Verwaltungsstrukturen vollzog sich seit dem Untergang des DDR-Staates in einem verwaltungshistorisch beispiellosen Zeitraffer. Die ostdeutschen Kommunen hatten angesichts des singulären Problemdrucks institutioneile Umbruchprozesse, die sich in den westdeutschen Kommunen über mehrere Jahrzehnte hinweg ereigneten, in nur wenigen Jahren zu bewältigen. Dabei lassen sich zwei Phasen unterscheiden, deren erste mit den demokratischen Kommunalwahlen in der Noch-DDR am 6. Mai 1990 und dem Inkrafttreten der neuen DDR-Kommunalverfassung vom 17. Mai 1990 einsetzte („Gründungsphase“ 1). Seit Mitte 1990 durchliefen die kommunalen Strukturen im Übergang von der zentralistischen DDR-Staatsorganisation zum föderativen Verfassungs-, Rechts-und Aufgaben-modell der Bundesrepublik einen fundamentalen institutioneilen Um-und Neubau. Ihr folgte -mit Beginn der zweiten kommunalen Wahlperiode (Dezember 1993 in Brandenburg, Juni 1994 in den übrigen vier neuen Bundesländern) -eine zweite Verändenmgswelle, die durch neue Kommunalver-fassungen der ostdeutschen Bundesländer, die Kreisgebietsreformen und schließlich die unter dem Stichwort „Neues Steuerungsmodell“ geführte Verwaltungsmodernisierungsdebatte ausgelöst wurde. Im folgenden Beitrag soll die Entwicklungsdynamik dieses Transformationsprozesses unter der Fragestellung nachgezeichnet werden, inwieweit der Umbau der ostdeutschen Kommunalstrukturen durch den Sog der Integrationslogik und damit durch den Transfer des , Westmodells‘ geprägt war oder ob es auf kommunaler Ebene spezifische ostdeutsche Eigenentwicklungen, eventuell sogar Innovationen, gegeben hat, die über das traditionelle Institutionenmodell westdeutscher Kommunen hinausgehen.
Nachdem einleitend die Ausgangs-und rechtlichen Rahmenbedingungen des Systemwechsels auf kommunaler Ebene kurz zu erläutern sind, sollen in den folgenden Abschnitten die institutionell-organisatorischen sowie personellen Aspekte des politisch-administrativen Umbruchs in den kommunalen Arenen Ostdeutschlands beleuchtet werden. Abschließend werden einige Aussagen zur beginnenden Modernisierungsbewegung sowie zur Leistungs-und Handlungsfähigkeit der neuen kommunalen Institutionen zu treffen sein.
II. Ausgangs-und Rahmenbedingungen des Systemwechsels auf kommunaler Ebene
Die Steilung der Kommunen im DDR-Staat Entsprechend dem Prinzip des demokratischen Zentralismus, das die Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der Staatsmacht gewährleisten sollte, fungierten die Räte, Vertretungsorgane und Kommissionen in den Kreisen, Städten und Gemeinden der DDR als (örtliche) Organe der sozialistischen Staatsmacht War damit einerseits das in der deut-sehen Verfassungs-und Verwaltungstradition wurzelnde Institut der kommunalen Selbstverwaltung abgeschafft worden, sollte andererseits 'mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Prinzip der „doppelten Unterstellung“ vor allem die Einbindung der lokalen Räte in eine durchgängige vertikale Anweisungs-und Kontrollstruktur, die vom jeweiligen Fachministerium über die Fachabteilungen (die sogenannten Fachorgane) in den Bezirksverwaltungen bis in die Räte der Kreise und Städte reichte, sichergestellt werden
Die Organisationsstruktur der Verwaltung in den Kreisen, Städten und Gemeinden war durch die Unterteilung in „Fachorgane“ charakterisiert, die von haupt-und zum Teil auch von ehrenamtlich tätigen Ratsmitgliedern geleitet wurden. Die örtlichen Räte, die bis Ende 1989 in den kreisfreien Städten (Stadtkreisen) aus 18 und in den Kreisen aus 19 Mitgliedern bestanden, während für kreis-angehörige Städte -je nach Einwohnerzahl -eine Ratsgröße von zwischen 5 und 13 Mitgliedern vorgeschrieben war wurden aus den Reihen der örtlichen Volksvertretungen gewählt. Diese wurden ihrerseits hinsichtlich Zahl und Zusammensetzung durch die Nationale Front unter Führung der SED festgelegt. Der Führungsanspruch der SED machte sich darüber hinaus durch personelle Verflechtungen zwischen örtlichen Räten und SED-Kreisleitungen sowie die Besetzung wichtiger lokaler Schlüsselpositionen durch SED-Mitglieder und zudem dadurch geltend, daß „direkte Weisungen“ im Rahmen von Dienstbesprechungen erteilt wurden. Während -sowohl gemessen an der Personalstärke als auch hinsichtlich ihrer MachtStellung und Handlungsfähigkeit -die Kreise und kreisfreien Städte in der DDR die „maßgebliche Vollzugsebene zentralistischer Lenkung, Kontrolle und Leistungserbringung“ darstellten, kam den kreisangehörigen Gemeinden in der Staatsorganisation der DDR allenfalls eine „Kümmerfunktion“ zu
2. Rechtlicher Rahmen des Umbruchs Die rechtliche Grundlage für den Umbruch der politisch-administrativen Strukturen auf der Kommunalebene wurde mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise der DDR am 17. Mai 1990 (Kommunalverfassung) geschaffen, welches noch durch die DDR-Volkskammer verabschiedet worden war und -durch den Einigungsvertrag als Landesrecht der neuen Bundesländer übergeleitet -das bis dahin geltende DDR-Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der Fassung vom 4. Juli 1985 ablöste. Einerseits wird in diesem entscheidenden Schritt eine Anknüpfung an die deutsche Verfassungstradition sowie eine rechtliche Angleichung an das Kommunalmodell der Bundesrepublik sichtbar, die auch als rezipierende und exogen bestimmte (pfadabhängige) Institutionalisierung beschrieben werden kann Andererseits zeugen vor allem die basisdemokratischen und partizipativen Elemente der DDR-Kommunalverfassung (Bürgerantrag, Bürgerentscheid, Bürgerbegehren), die eine bewußte Anknüpfung an die „friedliche Revolution“ des Jahres 1989 erkennen lassen, bereits von Prozessen der Eigenentwicklung und innovativen Abwandlung des westdeutschen Modells. Auch in den neuen Kommunalverfassungen, die zwischen 1993 und 1994 in den Landtagen der neuen Bundesländer verabschiedet wurden und die als besonders markante Veränderung die Direktwahl des Bürgermeisters sowie dessen mögliche Abwahl enthalten findet die lokaldemokratische Aufbruchstimmung der Wendezeit ihren sichtbaren Ausdruck. 3. Erosion der alten Machtstrukturen In den Städten und Kreisen fand der politisch-institutionelle Umbruch vor allem darin sichtbar seinen Ausdruck, daß sich als ein Resultat der Bürger-und Protestbewegungen lokale Runde Tische formierten die -in der Form einer „quasi-revolutionären Doppelherrschaft“ -bis zu den neuen Kommunalwahlen an den maßgeblichen personellen und organisatorischen Entscheidungen beteiligt waren. Sowohl in die Stadtverordnetenversammlungen und Kreistage als auch in die örtlichen Räte kam politische Bewegung zudem dadurch, daß unter dem Druck der lokalen Bürgerbewegungen und in Folge des massiven Protestes weiter Teile der Bevölkerung Abgeordneten der Altparteien das Mandat entzogen wurde und Vertreter der Bürger-bewegung kooptiert wurden, ferner dadurch, daß viele Abgeordnete ihr Mandat niederlegten oder sich faktisch zurückzogen. Vielfach wurden nach der Abwahl einzelner oder sämtlicher Ratsmitglieder neue Amtsträger benannt und lokale „Interimsregierungen“ gebildet. Zielte die Umbruchbewegung in den Kreisen und Städten einerseits konsensual auf die Ablösung der alten Machtstrukturen und die Etablierung neuer politischer Kräfte, zeichneten sich andererseits -wie weiter unten zu zeigen ist -auffällige lokale Varianzen in den Umbruchpfaden sowie insbesondere hinsichtlich des Kräfteverhältnisses zwischen alten und neuen Akteursgruppen ab, die mithin Ausdruck einer endogen bestimmten Eigenentwicklung in den ostdeutschen Kommunen sind.
III. Umbruch des. kommunalen Institutionensystems
Nach den Kommunalwahlen standen die Kommunen und ihr neues, demokratisch legitimiertes Führungspersonal zunächst vor der Aufgabe, den paradigmatischen Umbruch vom „lokalen Staats-organ“ zum Aufgaben-und Institutionenmodell der kommunalen Selbstverwaltung möglichst rasch zu vollziehen, um handlungsfähige Verwaltungen zur Bewältigung des akuten Problem-und Handlungsdrucks zu schaffen. 1. Wandel des kommunalen Aufgaben-und Zuständigkeitsmodells Mit dem neuen Zuständigkeits-und Aufgabenmodell wurden zunächst eine Reihe von Aufgaben vollständig obsolet, vor allem jene, die auf der Einbindung der lokalen Ebene in die zentralgesteuerte Staatswirtschaft basierten (z. B. Preiskontrolle). Zudem waren Aufgaben entsprechend der Kompetenzverteilung im föderalen Bundesstaat sowohl an die Landesebene (Schul-, Umwelt-und Landwirtschaftsverwaltung) als auch an den Bund (Arbeits-und Finanzverwaltung) abzugeben. Andererseits gingen neue Aufgabenbereiche in die Zuständigkeit der lokalen Ebene über. Das betrifft zum einen die Zuständigkeiten der kommunalen Selbstverwaltung, zum Beispiel die kommunale Planungshoheit. Überdies sahen sich die ostdeutschen Kreise und Gemeinden aber auch mit einer Reihe neuer Aufgaben konfrontiert, die sie im Modus übertragener staatlicher Aufgaben als Teil des föderalen Verwaltungssystems wahrzunehmen hatten und die zum Teil mit der Übernahme ganzer Verwaltungsteile inklusive deren Personal verbunden war. Beispielsweise ging das in der DDR bei der Volkspolizei angesiedelte Paß-und Melde-wesen in die Zuständigkeit der lokalen Verwaltungen über, ebenso die zuvor als untere Behörde des Bauministeriums organisierte Bauaufsicht (Ertei-lung von Baugenehmigungen) Schließlich hatten die Kommunen mit dem Inkrafttreten des Kommunalvermögensgesetzes vom 6. Juli 1990 eine Reihe sozialer und kultureller Einrichtungen zu übernehmen, deren Träger in der DDR überwiegend andere staatliche Ebenen (Ministerien, Bezirksverwaltungen) oder Volkseigene Betriebe gewesen waren. Mit dieser Re-Kommunalisierung der sogenannten nachgeordneten Einrichtungen wurde eine massive Aufgaben-, Organisations-und Personallawine (siehe unten) ausgelöst, deren Hauptlast die kreisfreien Städte zu tragen hatten. 2. Umbau der Organisationsstrukturen Die kommunalen Akteure standen damit vor der Aufgabe, eine dem gewandelten Zuständigkeitsmodell angemessene Aufbau-und Ablauforganisation zu schaffen Dies bedeutete zunächst, die bisherige Abteilungs-und Sachgebietsgliederung aufzulösen und aus den strukturellen und personellen Teileinheiten zusammen mit den von außen hinzugekommenen Verwaltungsteilen und Personalstäben eine neue administrative Struktur zu konstruieren. Charakteristisch für die Institutionalisierungsprozesse in der „Gründungsphase“ war zunächst eine dominante Grundorientierung am westdeutschen Modell, die der Integrationslogik des „Institutionentransfers“ folgte. Die lokalen Akteure orientierten sich an den Basismustern des traditionellen administrativen Organisationsmodells, insbesondere an der hierarchisch-vertikalen Gliederung von Dezernaten und Ämtern sowie an dem funktionalen und institutionellen Nebeneinander von Querschnittsämtern (Organisation, Personal, Recht, Finanzen) und Facheinheiten. Wesentliche Orientierungspunkte boten in diesem Prozeß die Organisationsmodelle der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) und die Empfehlungen des Deutschen Städtetags, die den kommunalen Akteuren oft auf dem Wege der Verwaltungshilfe und im Rahmen von Städtepartnerschaften vermittelt wurden. 3. Lokale Institutionalisierungsvarianten und -Strategien Ist einerseits als markantes Merkmal der Institutionenbildung in Ostdeutschland herauszustellen, daß grundlegende Muster traditionell-westdeutscher Verwaltungsorganisation transferiert wurden, lassen sich andererseits in den lokalen Ausformungen dieser Strukturvorgaben deutliche Ansätze institutioneller Eigenentwicklung erkennen. So wurden innerhalb des rezipierten organisationsstrukturellen Rahmens vielfältige inkrementelle (schrittweise) Veränderungen als Anpassungen der Dezernats-und Ämterstrukturen an die Anforderungen „vor Ort“ vorgenommen. Typischerweise veränderten die Akteure Anzahl und Struktur der Dezernate im Verlauf der ersten Wahlperiode mehrfach -häufig in Reaktion auf die hohe Fluktuation des neuen Leitungspersonals in der ersten Phase der Transformation. Zudem lösten sich diese konkreten Organisationsentscheidungen von der Bindungskraft des KGSt-oder Partnerkommune-Modells und sind maßgeblich von institutioneilen Improvisationen bestimmt, die in der Tendenz auf eine Straffung der -anfangs oft zu kleinteilig ausgestalteten -Verwaltungsstruktur hinausliefen. Mit fortschreitender Konsolidierung der neuen Kommunalverwaltungen verlagerte sich zudem das Steuerungszentrum tendenziell auf die Ebene der hauptamtlichen Leitungskräfte in der Verwaltung (insbesondere auf die Haupt-und Personalämter), während die „Kommunalparlamente“, die unmittelbar nach der ersten Kommunalwahl und in Fortführung des Entscheidungsstils der Runden Tische die lokale Arena bestimmt hatten, an Einfluß und Entscheidungsmacht verloren 4. „Zweite Veränderungswelle“
Nach den paradigmatischen Umbrüchen der „Gründungsphase“ bedeutete das Ende der ersten Wahlperiode einen erneuten Einschnitt und unterbrach den administrativen Konsolidierungsprozeß der ersten Wahlperiode: Die Kommunalgesetzgebung der neuen Länder veränderte die institutioneilen Rahmenbedingungen der Kommunalverwaltungen noch einmal erheblich und setzte die Kreise und Städte unter einen erneuten Verände-rungsdruck. Vor allem für die Landkreise bedeuteten die seit 1994 in den neuen Bundesländern vollzogenen Kreisgebietsreformen praktisch eine Neugründung, zum Teil in den Maßstabsstrukturen von Großkreisen Räumliche Zusammenführung, Neuaufbau und Konsolidierung der Verwaltungsstrukturen waren neben der Neuordnung der Kreis-infrastruktur und der kreislichen Beteiligungen die vordringlichsten Aufgaben der neugewählten Leitungskräfte. Auch auf der Ebene der kreisfreien Städte lösten die neuen Kommunalverfassungen, die mit Beginn der zweiten Wahlperiode in Kraft traten, erhebliche Veränderungen aus Im Zusammenspiel mit den veränderten Machtkonstellationen in den Kommunalvertretungen führten diese Regelungen zu einer Reduzierung der Zahl und strukturellen Neuordnung der Dezernate.
IV. Personelle Auswirkungen des politisch-administrativen Umbruchs
1. Ablösung der kommunalen Eliten Der politische Bruch, der mit der Auflösung der alten Räte besiegelt wurde, kam in einem weitgehenden Elitenaustausch zum Ausdruck der sich nach der Kommunalwahl vom 6. Mai 1990 in den kommunalen Arenen der Noch-DDR ereignete So waren etwa drei Viertel der 1990 gewählten Kommunalvertreter „Neupolitiker“, die nach der Wende erstmals ein politisches Mandat übernahmen, und nur ein Viertel „Altpolitiker“, die bereits vor der Wende eine politische Funktion, insbesondere durch ein Mandat bei einer örtlichen Volksvertretung, innehatten Unbeschadet zahlreicher Mandatsniederlegungen in der ersten Wahlperiode und einer beträchtlichen Reduzierung der Mitgliederzahlen in den Kommunalvertretungen aufgrund veränderter kommunalrechtlicher Regelungen bestätigte sich dieses zahlenmäßige Übergewicht der „Neupolitiker“ (mit einem Anteil von zwei Dritteln) im Ergebnis der zweiten Kommunalwahlen 1993/94.
Auch bei den Verwaltungsspitzen und administrativen Leitungspositionen (Landräte, [Ober-] Bürgermeister, Beigeordnete, Dezernenten und Amtsleiter) erfolgte -zumindest in den Landkreisen und kreisfreien Städten -ein nahezu vollständiger Elitenwechsel. Dieser wird vor allem darin augenfällig, daß fast drei Viertel der neuen (Ober-) Bürgermeister und Landräte, über die Hälfte der Beigeordneten und Dezernenten und ebenfalls mehr als die Hälfte der Amtsleiter „neupersonelle“ Amtsinhaber waren -eine Konstellation, die (bei einer bemerkenswert hohen politischen „Überlebensrate“ der Landräte und [Ober-]Bürgermeister „der ersten Stunde“) auch die zweite kommunale Wahlperiode bestimmte Während indes der größte Teil der ehemaligen Ratsmitglieder die Kommunalverwaltungen verließ, fand sich ein -wenn auch deutlich geringerer -Teil der Ratsmitglieder in Sachbearbeiter-oder Amtsleiter-, vereinzelt auch in Beigeordneten-oder gar Oberbürgermeister-oder Landratspositionen wieder. Der Anteil westdeutscher Amtsinhaber, die vor allem in Wirtschafts-, Finanz-oder Hauptamtsdezernaten eingesetzt wurden, ist dagegen unter den neuen kommunalen Führungspersonen eher gering; er liegt in der Regel unter 20 Prozent
Ein auffallend einheitliches Gesamtbild gewinnt die neue kommunale Elite in Ostdeutschland dadurch, daß sie sich mehrheitlich aus Seiten-und Quereinsteigern zusammensetzt, die nach der Wende aus verwaltungsfremden Berufsbereichen, insbesondere Wirtschaftsbetrieben, Bildungs-und Wissenschaftseinrichtungen, rekrutiert wurden und über ein vorwiegend technisch-naturwissenschaftlich geprägtes Ausbildungsprofil verfügen. Sowohl bei den Kommunalpolitikern als auch beim administrativen Führungspersonal überwiegen technische, naturwissenschaftliche oder medizinische Ausbildungsabschlüsse gegenüber juri-stisch-verwaltungsbezogenen worin sich eine nahezu spiegelbildliche Umkehrung des Qualifikationsprofils in den Kommunen der alten Bundesländer geltend macht. 2. Personalentwicklung Die personelle Situation in den ostdeutschen Kommunen, einschließlich der kreisfreien Städte (Stadtkreise) und Landkreise, war zur Wendezeit zunächst dadurch charakterisiert, daß diese über verhältnismäßig schmale Personalstäbe verfügten weil ein Großteil der sozialen und kulturellen Einrichtungen in der DDR von überörtlichen staatlichen Organisationen oder von Volkseigenen Betrieben getragen wurde. Im Verlauf des organisatorischen und personellen Umbruchs schnellten jedoch zwischen Mitte 1990 und Ende 1991 die Beschäftigtenzahlen binnen weniger Monate um ein Vielfaches -in einigen Großstädten auf 5 000 oder auch 10 000 -empor. In diesem enormen Anstieg der Beschäftigtenzahlen spiegeln sich vor allem das Inkrafttreten des Kommunalvermögensgesetzes (vgl. Abschnitt III. 1) und damit die Folgen der (Rück-) Übertragung (Re-Kommunalisierung) einer Vielzahl sozialer und kultureller Einrichtungen wider. Denn das Personal ehemals staatlich oder betrieblich geführter Einrichtungen ging nun auf die Kommunen, insbesondere die kreisfreien Städte, über.
Im Ergebnis dieser gewaltigen Organisations-und Personallawine hatten die ostdeutschen Kommunen etwa doppelt so viele Beschäftigte pro 1 000 Einwohner (42) wie die westdeutschen Kommunen (21) wobei vor allem im Sozial-und Gesundheitsbereich eine -gemessen an westdeutschen Vergleichszahlen -besonders ausgeprägte personelle Überbesetzung zu konstatieren war. Im Gegensatz zu den ostdeutschen Landesregierungen, denen mit der sogenannten „Warteschleifenregelung“ eine Möglichkeit eingeräumt worden war, überzähliges Personal „abzuwickeln“, konnten die Kommunen nur auf das (im Einigungsvertrag niedergelegte und bis Ende 1993 verlängerte) ordentliche Sonderkündigungsrecht zurückgreifen, von dem sie im Ergebnis jedoch eher zurückhaltend Gebrauch machten. Um Kündigungen weitestgehend zu vermeiden und nicht zuletzt unter dem Druck der lokalen Personal-und Gewerkschaftsvertretungen, wurde die Personal-reduzierung, die insbesondere von den Landes-regierungen angemahnt worden war, statt dessen über Auflösungsverträge in Verbindung mit Abfindungsangeboten und Altersübergangsgeldern sowie durch die Vereinbarung von Teilzeitbeschäftigung bewerkstelligt. Darüber hinaus wurden die kommunalen Stellenbestände ab etwa 1993 durch die Übergabe (nachgeordneter) sozialer und kultureller Einrichtungen an freie Träger und die Ausgliederung bzw. Privatisierung kommunaler Eigenbetriebe entlastet. Vor besondere personal-wirtschaftliche Probleme sahen sich vor allem die Landkreise im Ergebnis der Kreisgebietsreformen 1993/94 gestellt, da durch die Zusammenlegung von mitunter bis zu drei Altkreisen zu einem neuen Großkreis gewaltige Personalüberhänge entstanden Auch im Zuge der Übertragung staatlicher Aufgaben auf die Kommunalverwaltungen als Bestandteil der Funktionalreform kam es erneut zu personellen Zuwächsen, da die Kommunen eine Vielzahl staatlicher Bediensteter zu übernehmen hatten.
Die dramatischen personalstrukturellen Umbrüche und Anpassungsprozesse, die sich in den ostdeutschen Kommunen nach der Wende ereigneten, werden schließlich darin augenfällig, daß die Zahl der Kommunalbediensteten zwischen 1991 und 1995 um ein Drittel abnahm (von 662 000 auf 438 000). Auch darin, daß die Beschäftigtendichte auf 28 Beschäftigte pro 1 000 Einwohner in 1995 zurückging, wird eine deutliche Annäherung an westdeutsche Vergleichsgrößen sichtbar. Andererseits ist als eine hervorstechende Eigenheit der kommunalen Personalsituation in Ostdeutschland die Tatsache herauszustellen, daß dort nur sehr wenig Personal verbeamtet wurde (2 Prozent des Personalbestandes gegenüber 21 Prozent in west-deutschen Kommunen) worin sich unter anderem die zurückhaltende Verbeamtungspolitik ostdeutscher kommunaler Dienstherren auch in Bereichen mit hoheitlichem Aufgabenbezug (z. B. in unteren Bauaufsichtsbehörden) geltend macht.
V. Lokale Reform-und Modernisierungspolitik
1. Zielrichtung und Umfang der lokalen Modernisierungspolitik In den ostdeutschen Kommunen waren die verwaltungspolitischen Strategien in der „Gründungsphase“ vorrangig auf den Aufbau und die Konsolidierung traditioneller Verwaltungsstrukturen gerichtet, während Innovationsansätze in dieser Zeit eine untergeordnete Rolle spielten bzw.den administrativen Aufbauprozeß kaum berührten. Zumal angesichts des spezifischen Problemgehaltes lokaler Politik in Ostdeutschland, der den Blick auf die krisenhafte soziale und ökonomische Situation lenkte, sahen die Akteure in der Diskussion um das „Neue Steuerungsmodell" lange Zeit eine luxuriöse Modeerscheinung der westlichen Verwaltungswelt. In den westdeutschen Kommunen hingegen verbreitete sich der international seit den achtziger Jahren unter dem Stichwort „New Public Management“ geführte Reformdiskurs über eine betriebswirtschaftlich angeleitete grundlegende Modernisierung der öffentlichen Verwaltung seit Beginn der neunziger Jahre „wie ein Busch-feuer“ Das von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung als deutsche Variante dieses Modernisierungsmodells konzipierte „Neue Steuerungsmodell" zielt im wesentlichen auf eine an Kriterien der Anreiz-und Ergebnissteuerung orientierte Reorganisation der Verwaltung mittels einer Rahmensteuerung über Zielvereinbarungen (Kontraktmanagement), einer Dezentralisierung von Ressourcenverantwortung und eines Berichtswesens (Controlling) Mit dem Übergreifen dieser Modernisierungsdiskussion auf die ostdeutsche kommunale Arena, die nicht zuletzt durch die sich zuspitzenden Haushaltsengpässe motiviert war wurden die Akteure immer weniger mit einem einheitlichen Leitbild zur Transformation der kommunaladministrativen Institutionen konfrontiert. Insbesondere seit Mitte der neunziger Jahre zeigte sich im Hinblick auf das Ausmaß und den Umfang der kommunalen Modernisierungsaktivitäten, daß -wie unter anderem Umfragen des Deutschen Städtetages und Landkreistages belegen -der Reformdiskurs in Ostdeutschland zusehends an Boden gewonnen hat. Gab 1994/95 etwa die Hälfte der befragten ostdeutschen Städte (52 Prozent gegenüber 84 Prozent der westdeutschen Städte) an, Reformvorhaben durchzuführen waren es 1996 bereits 72 Prozent (gegenüber 90 Prozent in westdeutschen Städten). Diese Tendenz in Richtung einer Angleichung an die Modernisierungspraxis in den westdeutschen Kommunen gilt vor allem für die (größeren) Städte, während die Kreise aufgrund des umfassenden Strukturumbruchs der Kreisneugliederung -von einzelnen Vorreitern abgesehen -der Entwicklung zunächst „hinterherliefen“. 2. Inhalte und Verlaufsmuster der Verwaltungsmodernisierung Typischerweise faßte die Modernisierungsbewegung in den kommunalen Arenen dadurch Fuß, daß die kommunale Diskussion hierüber zunächst in verwaltungsinternen Projektgruppen institutionalisiert wurde, in denen -oft mit der Vorgabe, zur Lösung der Finanzkrise beizutragen -Reformvorschläge und erste Einführungsschritte konzi-piert wurden. Während die Interessenvertretungen der Beschäftigten zumeist aktiv in diesen Projekt-gruppen mitwirken, spielen die Ratsmitglieder eine eher untergeordnete Rolle, so daß sich die aktuelle Modernisierungsbewegung als ein überwiegend verwaltungsintern ablaufender Prozeß darstellt, der über formale politische Partizipationsformen (Ratsbeschluß, Unterrichtung von Fachausschüssen) zumeist nicht hinausgeht. Inhaltlich konzentriert sich das Reformgeschehen vor allem auf die Einführung einzelner betriebswirtschaftlicher Instrumente des „Neuen Steuerungsmodells“. Insbesondere das Konzept der Produkt-steuerung stellt bei einer Vielzahl reformaktiver Kommunen den Ausgangspunkt der Modernisierungsprozesse etwa dergestalt dar, daß flächendekkende Produktkataloge erstellt oder Produktdefinitionen pilotartig in ausgewählten Dezernaten und Ämtern erprobt werden. Darüber hinaus besteht ein wesentlicher Schwerpunkt der Modernisierungspolitiken in der Einführung einer zunächst inputorientierten Budgetierung (Budget-zuweisung und -flexibilisierung ohne Produktbildung). Häufig stehen diese Budgetierungsansätze jedoch in unmittelbarem Zusammenhang mit finanziellen Konsolidierungserwartungen. Da die „Inputbudgetierung“ zudem keine umfassenden Veränderungen in den Strukturen und Abläufen erfordert, bleibt offen, ob mit dieser Einstiegsstrategie ein finanzpolitisch verengtes Modernisierungsverständnis oder der Beginn einer umfassenden Verwaltungsstrukturreform verbunden ist.
Durch das „Neue Steuerungsmodell" inspirierte organisationsstrukturelle Innovationen, die den Wegfall ganzer Hierarchieebenen nach sich ziehen können, sind mit erheblichem Planungsaufwand, aber auch mit den größten mikropolitischen Widerständen verbunden und daher in Ostdeutschland bislang nur in einigen Vorreiterkommunen anzutreffen Andererseits deuten verschiedene Fallbeispiele darauf hin, daß die ostdeutschen Kommunen mit dem Fortschreiten des Modernisierungsprozesses auch zunehmend organisationsstrukturelle Innovationen planen und umsetzen. Neben Strukturreformen auf der Ebene einzelner Fachbereiche und dem Aufbau von Controlling-Einheiten zur Steuerung der Facheinheiten und/oder der kommunalen Beteiligungen lassen sich erste Ansätze einer umfassenden Reorganisation der Gesamtverwaltung durch die Einführung eines sogenannten Fachbereichsmodells oder von Konzern-und Holdingelementen beobachten.
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß der Modernisierungsprozeß in den ostdeutschen Kommunen noch am Anfang steht und zwei Jahre nach dem Ende des politisch-administrativen Transformationsprozesses noch kein erneuter grundlegender Umbau der Verwaltung erwartet werden konnte. Die teilweise rückblickend geäußerte Kritik, im Zuge des Institutionentransfers seien „veraltete zentralistische westliche Verwaltungsmodelle in ostdeutsche Kommunen“ eingeführt worden, trifft empirisch zu. Jedoch bot die durch Zeit-und Wissensknappheit und ein hohes Maß an Unsicherheit geprägte Transformationssituation keine gute Gelegenheitsstruktur für Innovationen. Andererseits ist seit 1995 eine zunehmende Angleichung der Reformpraxis in ostdeutschen Kommunen an den westdeutschen Modernisierungsstand erkennbar. Die ostdeutschen Akteure haben mit dem pragmatischen Einstieg in die Reformpraxis über kleinteilige Innovationsschritte eine bemerkenswerte Flexibilität bewiesen. Als Schlüsselproblem des weiteren Reformprozesses bleibt jedoch die bislang wenig entwickelte politische Steuerung der lokalen Modernisierungsansätze durch die Kommunalvertretungen bestehen.
VI. Zur Handlungs-und Leistungsfähigkeit der neuen kommunalen Institutionen
Lassen die vorliegenden empirischen Befunde zur Institutionenbildung und beginnenden Modernisierungsbewegung in den ostdeutschen Kommunen einerseits den Schluß zu, daß die institutionelle Transformation weitgehend zum Abschluß gekommen ist und es nunmehr zunehmend um eine Konsolidierung, Optimierung und auch verstärkt um eine innovative Umgestaltung der Verwaltungsstrukturen geht, stellt sich andererseits die Frage, welche Auswirkungen der umfassende Institutionen-und Personalumbruch auf das Handeln der Akteure und damit die Handlungsfähigkeit der neuen kommunalen Institutionen hatte. Als neuralgische Dimension des Verwaltungshandelns soll dabei zum Abschluß dieses Beitrags das Problem der Rechtsanwendung herausgegriffen werden.
Einerseits ist daran zu erinnern, daß das Recht in der DDR eine allenfalls untergeordnete Rolle spielte. Die Handlungspraxis in der Verwaltung war stärker durch „Billigkeitsdenken“ und situative Einzelfallentscheidungen nach politischen Machbarkeitskriterien gekennzeichnet, weniger durch stringentes Rechtsbindungsdenken. Dies ist offensichtlich eine (von mehreren) Ursachen dafür gewesen, daß die Rechtsqualität der Verwaltungsentscheidungen ostdeutscher Verwaltungen in der Anfangszeit deutlich hinter westlichen Standards zurückblieb Rechtskenntnisse sowie praktische Fertigkeiten der Rechtsanwendung mußten im Rahmen der Beratungstätigkeit durch die westlichen Partnerkommunen, auf dem Wege berufsbegleitender Fortbildungsprogramme und zum großen Teil auch durch „learning on the job“ zunächst einmal angeeignet werden.
Andererseits hatte die rechtliche Regelungslogik zweifellos erhebliche rollen-und verhaltenskonditionierende Wirkung -vermutlich auch dann, wenn ein entsprechendes Vertrauen in die Steuerungsfunktion des Rechts unter den Akteuren noch wenig Wurzeln geschlagen hatte. Dies belegen unter anderem die zügige Angleichung der Rechtsanwendungsqualität in vielen Verwaltungsbereichen an westliche Normalität Als ein weiteres (ergänzendes) Indiz für den voranschreitenden Anpassungs-und Einübungsprozeß kann zudem der empirische Befund angeführt werden, daß die ostdeutsche Bevölkerung als Verwaltungsklienten die Leistungsfähigkeit der administrativen Institutionen im zeitlichen Verlauf zunehmend positiv einschätzt und ein Institutionenvertrauen entwikkelte, das sich in seinen Grundzügen an das der Westdeutschen angeglichen hat So gibt es insgesamt keinen Zweifel daran, daß das ostdeutsche Institutionensystem mittlerweile bemerkenswert gut funktioniert, worin der massive Professionalisierungsprozeß sichtbar wird, der seit der Wende stattgefunden hat
Schließlich gibt es Anhaltspunkte dafür, daß sich ein spezifisch ostdeutsches Handlungs-und Implementationsmodell zu formieren beginnt, das durch einen flexibleren und pragmatischeren Zugriff auf das Recht gekennzeichnet ist Hierin könnten sich -so ist zu vermuten -zum einen die Handlungsorientierungen der (technisch-naturwissenschaftlich ausgebildeten) Seiten-und Quereinsteiger sowie andererseits die Entscheidungsstrategien und -routinen, die die Akteure in der DDR erworben und verinnerlicht haben, nicht zuletzt aber auch die besondere Anforderungsstruktur und der Problemdruck der Transformationssituation geltend machen. So wird den lokalen Rechtsanwendern mitunter ein besonderes Maß an Anpassungsflexibilität deshalb abverlangt, weil das -in seinen Grundmustern transferierte -gesetzgeberische Modell vielfach auf das zu lösende (ostdeutsche) Problem nicht paßt Der handlungspragmatische Umgang mit den Rechtsvorschriften hat dabei oft die Funktion, bestehende Regeln gezielt an die spezifisch ostdeutschen bzw. lokalen Problemsituationen anzupassen und dabei „Grauzonen“ geltenden Rechts bewußt zu nutzen.
VII. Schluß
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß der politisch-administrative Transformationsprozeß einerseits stark durch die Integrationslogik des als Beitritt nach § 23 GG vollzogenen Einigungsprozesses bestimmt war. die vor allem in der Anfangsphase in einer weitgehenden Rezeption des westdeutschen Institutionenmodells ihren sichtbaren Ausdruck fand. Andererseits werden in den lokalen Ausformungen dieses Modells und den variierenden Institutionalisierungsstrategien wichtige Dimensionen einer ostdeutschen Eigenentwicklung augenfällig. Die neueren Modernisierungsprojekte, die zum Teil über das traditionell-bürokratische Organisations-und Handlungsmodell hinausgreifen, lassen zudem deutliche Ansätze institutioneller Innovation erkennen. Um Aussagen über den Erfolg des Institutionentransfers treffen zu können, stellt sich mit fortschreitender Konsolidierung der Verwaltungsstrukturen verstärkt die Frage nach der Handlungs-und Leistungsfähigkeit der neuen kommunalen Institutionen. Dabei zeigt sich einerseits, daß es auffällige Angleichungstendenzen ostdeutscher Handlungspraktiken an westdeutsche Vollzugsmuster und Performanzen gibt. Andererseits deutet einiges darauf hin, daß die ostdeutschen kommunalen Akteure eine spezifische Handlungs-, Rechtsanwendungs- und Entscheidungspraxis auszubilden beginnen, die in scharfem Kontrast zu dem nach wie vor bürokratisch-legalistisch akzentuierten Vollzugsmodell westdeutscher Prägung steht.