I. Institutioneller Umbruch zwischen Integration und Eigenentwicklung
Nach der Öffnung der Mauer am 9. November 1989, die den Zusammenbruch des SED-Regimes einleitete, verknüpften die ostdeutschen Reform-kräfte mit dem Systemwechsel zunächst -bis ins zeitige Frühjahr 1990 -die Erwartung einer demokratisierten und radikal reformierten, aber für eine längere Übergangszeit fortbestehenden DDR. Vor allem nach den ersten demokratischen Volkskammerwahlen vom 18. März 1990, deren Ergebnis einem plebiszitären Votum der ostdeutschen Bevölkerung für eine alsbaldige Vereinigung gleichkam, wurde der ostdeutsche Umbruch von einer Dynamik ergriffen, die auf eine rasche Vereinigung der DDR mit der Bundesrepublik zulief. Diese wurde mit dem Beitritt gemäß Art. 23 GG am 3. Oktober 1990 vollzogen, dem eine unverzügliche Integration der DDR in das Verfassungs-, Politik-und Institutionensystem der Bundesrepublik folgte.
Auf der kommunalen Ebene kam mit der Verabschiedung der DDR-Kommunalverfassung vom 17. Mai 1990 und den demokratischen Kommunalwahlen vom 7. Mai 1990, also bereits im späten Frühjahr 1990, ein tiefgreifender Um-und Neubau der Politik-und Verwaltungsstrukturen in Gang -als erster und letztlich einziger überlebender institutioneller Struktur des DDR-Staats Als Ergebnis des Schubs von Gesetzen, die die DDR-Volkskammer im Gefolge des zwischen der Bundesrepublik und der DDR abgeschlossenen Staats-vertrags „über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion“ vom 18. Mai 1990 verabschiedete, vollzog sich ferner in wichtigen Regelungsfeldern eine Rechtsanpassung der Noch-DDR an die Bundesrepublik. Mit dem Gesetz vom 22. Juli beschloß die DDR-Volkskammer schließlich die Wiedereinführung der Länder. So hatte noch die DDR-Volkskammer maßgebliche vorbereitende Schritte zur Integration der DDR in die Bundesrepublik gesetzt. Ihren Höhepunkt erlebte die Integrationslogik des Vereinigungsprozesses im Einigungsvertrag vom 30. August 1990, der sich darin als ein beispielloser Akt „schöpferischer Zerstörung“ (Joseph Schumpeter) zeigte, daß mit ihrem Beitritt am 3. Oktober 1990 Mitternacht die DDR als selbständiger Staat und mit ihr ihre Rechts-und Institutionenordnung untergingen und gleichzeitig die Verfassungs- , Rechts- und Institutionenwelt der Bundesrepublik auf das Gebiet der erloschenen DDR ausgedehnt wurde
Dadurch, daß der Systemwechsel in Ostdeutschland von vornherein in den Prozeß der nationalen (Wieder-) Vereinigung eingebettet, von ihm angetrieben und überlagert war, wurde der institutionelle Umbruch von einer machtvollen Integrationslogik gesteuert, aufgrund derer Breite und Richtung des Transformationspfades weitgehend vorgezeichnet und abgesteckt wurden.
Die (exogene) Bestimmungsmacht der „alten“ Bundesrepublik machte sich über eine Triade von Faktoren geltend
1. Die Institutionenbildung in Ostdeutschland war zum einen -jedenfalls in ihrer prägenden Gründungsphase -weitgehend von den institutioneilen Mustern und Erfahrungen der alten Bundesrepublik bestimmt (Institutionentransfer -, mit der Wiederbegründung föderativ-dezentraler Strukturen wurde freilich zugleich an die eigenen ostdeutschen, in der gemeinsamen deutschen Geschichte wurzelnden Traditionen angeknüpft. 2. Die Integrationslogik wurde durch westdeutsche Fachleute verkörpert und transportiert, die -sei es vorübergehend als Verwaltungshelfer und Leihbeamte, sei es dauerhaft -nach Ostdeutschland gingen und in der Regel in Führungs-und Leitungspositionen am Um-und Neubau der administrativen (und justitiellen) Strukturen mitwirkten (Personentransfer) 3. Schließlich ist der Finanztransfer zu nennen, über den gewaltige Investitions-und Transfer-zahlungen (in Höhe von jährlich rund 150 Milliarden DM) aus der alten Bundesrepublik in die neuen Länder flossen als Hebel westdeutscher Gestaltungsmacht.
Wurde die Institutionenbildung in Ostdeutschland mithin einerseits durch die Vorgaben und Präge-muster des westdeutschen Institutionensystems und deren Rezeption 7, wenn nicht Kopie, vielfach in der Variante des jeweiligen westdeutschen Partnerlandes (bzw.der Partnerkommune) bestimmt, so wurde sie innerhalb des erheblichen institutionenpolitischen Gestaltungsspielraums, den die neuen Länder (und ähnlich auch die ostdeutschen Kommunen) aufgrund der stark föderativ-dezentralen Grundstruktur der bundesdeutschen Verfassungsordnung von vornherein besaßen, andererseits von endogenen Faktoren geprägt, die in den Gegebenheiten Ostdeutschlands wurzeln, etwa in den organisatorischen (und mentalen) „Hinterlassenschaften“ der DDR, im mental-emotionalen Erbe der unmittelbaren Wendephase oder in den ostdeutschen politischen Arenen selbst, ihren Akteurs-, Parteien-, Koalitions-und Interessen-strukturen 8.
Hier machten sich Bestimmungsfaktoren geltend, die nicht nur prägnante ostdeutsche Eigenentwick langen hervorbrachten, sondern -mißt man sie an der Instit
Hier machten sich Bestimmungsfaktoren geltend, die nicht nur prägnante ostdeutsche Eigenentwick langen hervorbrachten, sondern -mißt man sie an der Institutionenentwicklung in den alten Bundesländern -durchaus als institutionelle Innovationen wirksam werden können
Dem föderativ-dezentralen Staatsaufbau der Bundesrepublik entsprechend vollzog sich der institutioneile Umbruch in Strukturen des Bundes, der Länder und der Kommunen. Der nachstehende Beitrag rückt den Um-und Neubau der Länder-strukturen in den Blick.
II. Neubildung der Länder
Die Entwicklung der ostdeutschen Länder nach dem Zweiten Weltkrieg setzte damit ein, daß die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) in ihrer Besatzungszone bereits am 7. Juli 1945 die Errichtung von fünf Ländern verfügte -ein volles Jahr vor der Länderneubildung durch die Westalliierten in den westlichen Besatzungszonen. Während die SMAD die Länder Sachsen und Thüringen weitgehend in ihren vor 1933 bestehenden Landesgrenzen wiederbelebte handelte es sich bei den anderen drei von ihr eingerichteten Ländern um Teilgebiete des ehemaligen Landes Preußen und dabei um Kunstgebilde, bei deren Zuschnitt sich die sowjetische Besatzungsmacht von der Absicht leiten ließ, das Land Preußen als solches auch in seinem Restbestand zu zerschlagen. Der westlich der Oder gelegene Teil der ehemaligen preußischen Provinz Pommern wurde Mecklenburg zugeschlagen und die ehemaligen preußischen Provinzen Mark Brandenburg und Sachsen 1947 in die Länder Brandenburg und Sachsen-Anhalt umbenannt Noch im Herbst 1945 wurden Landtage gewählt. Entwickelte sich in den Ländern der Sowjetischen Besatzungszone mithin in den unmittelbaren Nachkriegsjahren selbständiges politisches Leben, so verlagerte sich nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 das Schwergewicht der politischen Entscheidungen von ihnen auf die von der SED geleiteten zen-traien Staatsorgane Durch das von der DDR-Volkskammer beschlossene „Gesetz über die weitere Demokratisierung der staatlichen Organe“ vom 23. Juli 1952, das das stalinistische Prinzip des demokratischen Zentralismus als Mittel zentralistischer Parteiherrschaft einführte, wurden die Länder praktisch aufgelöst, auch wenn sie zunächst noch formal weiterbestanden und erst 1957 durch Verfassungsänderung auch förmlich beseitigt wurden. Zugleich wurde die DDR mit diesem Gesetz in 14 Bezirke (ohne Berlin-Ost) eingeteilt, deren Verwaltungen -auf den Spuren des stalinistischen Staatsorganisationsmodells -als die regionalen Bollwerke und Scharniere zentralistischer Partei-und Staatsherrschaft fungieren sollten.
Bereits im revolutionären Herbst 1989 wurde der Ruf nach Wiederherstellung der Länder laut, besonders früh und ausgeprägt in Sachsen, wo schon in den ersten Montagsdemonstrationen in Dresden die traditionellen weiß-grünen Landes-fahnen auftauchten Die Übergangsregierung unter Ministerpräsident Hans Modrow beauftragte die von ihr eingesetzte Kommission zur Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform damit, Vorschläge für die Länderneugliederung auszuarbeiten 14. Die Wiederbegründung der 1952 abgeschafften Länder vor Augen, bildeten sich im Frühjahr 1990 regionale Arbeitsgruppen, die mit den westdeutschen Partnerländern (beispielsweise Sachsen mit Baden-Württemberg und Bayern, Brandenburg mit Nordrhein-Westfalen) die künftige Länderverfassung und -Verwaltung zu beraten begannen. Zwar kam eine lebhafte Diskussion in Gang, in der einerseits vorgeschlagen wurde, die Zahl der in Ostdeutschland neuzubildenden Länder auf zwei oder drei zu begrenzen, andererseits aber auch regionale Rufe nach neuen Ländern (so „Vorpommern“ und „Freie und Hansestadt Rostock“) laut wurden 15. Jedoch beschloß die am 17. März 1990 gewählte DDR-Volkskammer mit dem Ländereinführungsgesetz vom 22. Juli 1990, die im Jahr 1952 aufgelösten Länder wiederz Jedoch beschloß die am 17. März 1990 gewählte DDR-Volkskammer mit dem Ländereinführungsgesetz vom 22. Juli 1990, die im Jahr 1952 aufgelösten Länder wiederzubeleben Gemäß Einigungsvertrag vom 31. August 1990 wurde die (ursprünglich für den 14. Oktober 1990 vorgesehene) Länderneubildung mit dem Beitritt zum 3. Oktober 1990 wirksam. Gemessen an ihrer Einwohnerzahl, die von 4, 6 Millionen (Sachsen) bis knapp 1, 9 Millionen (Mecklenburg-Vorpommern) reicht, verstärken die neuen Bundesländer -außer Sachsen -den kleinstaatlichen Zuschnitt des bundesdeutschen Föderalismus
In den Monaten vor der Vereinigung wurde der Zusammenschluß des (wiedervereinigten) Berlins und von Brandenburg, etwa durch eine Regelung im Einigungsvertrag selbst, ernsthaft in Erwägung gezogen Schließlich begnügte man sich aber damit, in Artikel 5 des Einigungsvertrags dem Bundes(verfassungs) gesetzgeber zu empfehlen, für „eine Neugliederung im Raum Berlin-Brandenburg“ eine von Art. 29 GG „abweichende“, das heißt erleichternde Regelung zu treffen. Am 27. Oktober 1994 trat eine entsprechende Grundgesetzänderung (Art. 118 a) in Kraft. Derweil hatten die beiden Länder Berlin und Brandenburg am 26. April 1991 einen Gemeinsamen Regierungsausschuß zur Vorbereitung ihres Zusammenschlusses gebildet. Nach langwierigen Verhandlungen unterzeichneten die beiden Landesregierungen am 27. April 1995 einen „Staatsvertrag zur Länder-fusion Berlin-Brandenburg“, dem die beiden Landesparlamente am 22. Juni 1995 jeweils mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit zustimmten Der Bevölkerung der beiden Länder am 5. Mai 1996 zur Volksabstimmung vorgelegt, wurde die Ländervereinigung zwar von den Berlinern mehrheitlich befürwortet, jedoch von den Brandenburgern mit deutlicher Mehrheit (66 Prozent) abgelehnt
III. Landesverfassungen
Die am 14. Oktober 1990 gewählten neuen ostdeutschen Landtage verabschiedeten als erste Gesetzgebungsakte zunächst „vorläufige Landes-verfassungen“ Diese beschränkten sich auf knappe Organisationsstatute, insbesondere zur verfassungsrechtlichen Stellung von Landtag und Landesregierung. An der Ausarbeitung der endgültigen Landesverfassungen, der sich die neuen Landtage sogleich zuwandten, entzündeten sich lebhafte politische Diskussionen und Auseinandersetzungen, in denen die neuen landespolitischen Arenen Konturen und die Landtage und ihre Abgeordneten -in ihrer überwiegenden Mehrzahl Politikneulinge -als maßgebliche landespolitische Akteure Profil gewannen Die neuen Landesverfassungen traten zwischen Juni 1992 (Sachsen) und Oktober 1993 (Thüringen) in Kraft allein in Brandenburg war zusätzlich ein Volksentscheid über die neue Verfassung vorgesehen, dem die Brandenburger am 14. Juni 1992 bei einer Wahlbeteiligung von 48 Prozent mit einer überwältigenden Mehrheit (94 Prozent) zustimmten
Den neuen Landesverfassungen sind Grundzüge gemeinsam, in denen spezifische ostdeutsche Entstehungsbedingungen und Erfahrungen zu erkennen sind. Zum einen weisen die meisten von ihnen breite Grundrechts-und Staatszielkataloge auf. Dies gilt besonders ausgeprägt in der Verfassung Brandenburgs, wo die Regelungen (etwa zu politischen Mitgestaltungs-, Akteneinsichtsrechten usw.) „von einem stark ausgeprägten Mißtrauen gegenüber dem früher als allgegenwärtig erlebten Staat und der Betonung der Bedeutung der Grundrechte für den demokratischen Prozeß“ bestimmt scheinen. Zum andern wurden in den Verfassungen von Brandenburg, Sachsen und Sahsen-Anhalt plebiszitäre Verfahren im Drei-klang von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid eingeführt, die deutlich niedrigere Hürden haben als die entsprechenden Regelungen in den alten Bundesländern
IV. Um-und Neubau der Landesverwaltung
Die verwaltungsgeschichtlich schier beispiellose Aufgabe, vor die sich die nach den Landtagswahlen vom 14. Oktober 1990 gebildeten neuen Landesregierungen sogleich gestellt sahen, war durch eine zweifache Herausforderung gekennzeichnet: Auf der einen Seite galt es, die vom untergegangenen DDR-Staat hinterlassenen Organisations-und Personalstrukturen (von den 1 000 „Verwaltungsorganen und Einrichtungen“ des DDR-Staats entfielen, der Zuständigkeitsregelung des Grundgesetzes folgend, rund 800 auf die Länder und 200 auf den Bund) aufzulösen oder in eine dem föderativ-dezentralen Staatsaufbau der Bundesrepublik entsprechende Verwaltungsorganisation einzufügen. Auf der anderen Seite ging es darum, zum Teil völlig neue Verwaltungsstrukturen -insbesondere auf der Ebene der Landesregierungen -aufzubauen, für die es im DDR-Staatsaufbau -seit der Beseitigung der Länder durch das SED-Regime im Jahr 1952 -kein Pendant gegeben hatte; bei ihrem Aufbau mußte denn buchstäblich „bei Null“ angefangen werden Zur Auseinandersetzung mit dem organisationsund personalstrukturellen Erbe des DDR-Staates stand den neuen Landesregierungen die ihnen im Einigungsvertrag eingeräumte befristete Befugnis zu Gebote, die auf das Land übergegangenen „Verwaltungsorgane und Einrichtungen“ des DDR-Staats „abzuwickeln“ Da die Entscheidung, ob eine Einrichtung abzuwickeln oder aber zu übernehmen sei, bis Ende 1990 zu treffen war, standen die Landesregierungen unter enormem Zeitdruck. Die Hektik, wenn nicht Chaotik dieser Umbruchphase wird im nachstehenden Bericht zur Entwicklung in Sachsen eindringlich beschrieben „Für die Übernahme oder Abwicklung von Behörden, über die nach dem Einigungsvertrag im Jahr 1990 entschieden werden mußte, war das Staatsministerium des Inneren zuständig. Ein Problem dieser Aufgabe bestand unter anderem darin, daß man nicht wußte, ob es sich bei den von gemeinsamen Einrichtungen wahrgenommenen Aufgaben um Bundes-oder Landesaufgaben handelte. Im Dezember 1990 wurde eine Kabinettsvorlage zu diesem Problemkomplex erarbeitet, , 1m Kabinett herrschte ... (die) Meinung, nur das zu übernehmen, was unbedingt und auf jeden Fall künftig Landesaufgabe ist. 1 So wurden in einer Kabinettssitzung kurz vor Weihnachten 1990 an einem Tag sämtliche Institutionen -eine Liste mit 28 Seiten -abgehandelt. , Alles, was nicht positiv übernommen wurde -bis zum Jahresende -, war abzuwickeln/Ein erklärtes Ziel der Staatsregierung war es, , mit möglichst wenig Personal anzufangen’. Man hat allerdings auch , Dinge abgewickelt, die man nachher rückgängig gemacht hat ... Es herrschten teilweise chaotische Verhältnisse’, eine , neue Unübersichtlichkeit’ bestimmte die (Verwaltungs-) Aufbausituation.“
Hatte sich die Landesregierung dafür entschieden, die Verwaltungsorgane und Einrichtungen und deren Personal zu übernehmen, also nicht abzuwickeln, bestand die verwaltungspolitische Aufgabe darin, diese in die aufzubauende Landesverwaltungsorganisation einzupassen. „Oft wurden die Ruinen der alten Dienststellen mit ihrem Personalbestand und ihrer sächlichen Ausstattung zum Steinbruch für die neuen Behörden.“ „Zumeist haben die Einrichtungen nur eine Metamorphose durchgemacht und wurden in veränderter Organisationsform weitergeführt. Alles in allem ist so beim Aufbau der Landesverwaltung ... ein ziemlich bunter Teppich entstanden, der durch das Nebeneinander von allgemeiner Verwaltung und einer Vielzahl von Sonderbehörden und Einrichtungen gekennzeichnet ist.“
Beim Neubau der Verwaltungsstrukturen in den ostdeutschen Ländern standen auf der einen Seite die (exogenen) Organisationsmodelle und -erfahrungen der westdeutschen Institutionenwelt, in Sonderheit des jeweiligen westdeutschen Partner-landes, Pate. Die Vorüberlegungen und Vorbereitungen setzten schon im Frühjahr 1990 ein.
Ostdeutsche Vertreter aus den zur Neubildung anstehenden Ländern und Fachleute aus den westdeutschen Partnerländern bildeten Arbeitsgruppen, in denen die künftigen Strukturen der Landesverwaltung, insbesondere der Landesministerien, entworfen wurden. So kann es nicht verwundern, daß die neuen Organisationsstrukturen die Handschrift der Berater und Verwaltungshelfer aus dem jeweiligen westdeutschen Partnerland trugen. Teilweise waren die organisationskonzeptionellen Vorarbeiten bis zum 3. Oktober 1990 so weit vorgeschritten, daß, wie der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf bemerkte, „die Struktur für die neue Regierung bereits entwickelt war, und zwar in einer Form, die ich ohne wesentliche Veränderungen übernehmen konnte“ (In den Städten und Kreisen hatte der Umbruch der politischen und administrativen Strukturen nach den demokratischen Kommunalwahlen vom 7. Mai 1990 -auf der Grundlage der neuen DDR-Kommunalverfassung vom 17. Mai 1990 -bereits ein halbes Jahr vor dem Neuaufbau der Landesverwaltung eingesetzt und war in ähnlicher Weise von Verwaltungshilfe und Beratern aus den westdeutschen Partnerkommunen beeinflußt Auf der anderen Seite erwies sich der institutionelle Um-und Neubau (ungeachtet des Einflusses der westdeutschen Verwaltungshilfe und Verwaltungshelfer) als das Werk der ostdeutschen Akteure in den ostdeutschen Entscheidungsarenen und war von Anfang an merklich (und mit fortschreitender Zeit zunehmend) -sei es geschichtlich, sei es aktuell -von in den ostdeutschen Gegebenheiten wurzelnden (endogenen) Faktoren bestimmt: -So ist ganz allgemein daran zu erinnern, daß die ostdeutsche Institutionenbildung zwar unmittelbar an der föderativ-dezentralen Institutionenwelt der alten Bundesrepublik Maß nahm, jedoch damit zugleich an die eigene, in der gemeinsamen deutschen Politik-und Verfassungsgeschichte verankerte (vor-kommunistische und vor-nationalsozialistische) Institutionentradition anknüpfte. -Für die Entscheidung der Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern (und modifiziert Thüringen), die vom DDR-Staat hinterlassene Bezirksebene abzuschaffen und künftig auf eine staatliche Mittelinstanz zu verzichten, war offenkundig auch der „emotional gefärbte“ Beweggrund bestimmend, daß sich die Bezirksebene der DDR als regionaler Brükkenkopf der zentralistischen Partei-und Staats-herrschaft in den Augen der Bevölkerung und aus der Sicht der Kommunen nachhaltig diskreditiert hatte -Im Aufbau der neuen Fachverwaltungen schlug teilweise das gebietliche, organisations-und personalstrukturelle Beharrungsvermögen („Persistenz“) der DDR-Verwaltung durch -In den neuen Landes-und Kommunalverfassungen sowie beispielsweise im landespolitischen Verzicht auf eine Gemeindegebietsreform mit den Mitteln von Eingemeindung und Gemeindezusammenlegung machte sich das basisdemokratische und Bürgerbewegungs
Erbe der Wende-und Umbruchphase gestaltend geltend.
-Schließlich wurde die Institutionenbildung von Anfang an von partei-und koalitionspolitischen Interessen und Kompromissen in den ostdeutschen Politik-und Entscheidungsarenen, von den Handlungsstrategien und -fähigkeiten („will and skill") der Akteure, mit anderen Worten, von der „Normalität“ des politischen Prozesses unter pluralistisch-parteienstaatlichen Rahmenbedingungen bestimmt.
Die beachtlich weiten institutioneilen Gestaltungsspielräume widerspiegelnd, die die Länder im bundesrepublikanischen Verfassungssystem besitzen, wies die Institutionenbildung in den ostdeutschen Ländern (und ähnlich in den Kommunen) von vornherein eine bemerkenswerte Vielfalt (innerhalb der Grundstrukturen) auf.
V. Personeller Umbruch
Insbesondere bei der Besetzung der Spitzen-, Führungs-und Leitungspositionen in den „aus dem Boden zu stampfenden“ Landesministerien trat ein Personaldefizit und „Elitenvakuum“ zutage. Zum einen ergab sich dieses daraus, daß eine Wieder-oder Weiterbeschäftigung der bisherigen administrativen Führungskader des SED-Regimes in den neuen Verwaltungsstrukturen aus politischen Gründen nicht in Betracht gezogen wurde. Vor diesem Hintergrund erwies sich die Besonderheit des Umbruchs in Ostdeutschland gerade darin, daß -zunächst insbesondere im Rahmen der Partnerschaften zwischen ost-und westdeutschen Ländern -ein massiver westdeutscher Personal-und Elitentransfer zur vorübergehenden oder dauerhaften Besetzung von Führungs-und Leitungspositionen in den neuen Verwaltungen in Gang kam. Darüber hinaus wurden in erheblichem Umfange Ostdeutsche eingestellt, die bislang außerhalb des Staatsapparats (in Wirtschaftsbetrieben, wissenschaftlichen Einrichtungen usw.) tätig gewesen und insoweit Verwaltungsneulinge waren. Damit war der Neubau der Landesverwaltung, zumal Ministerialverwaltung, zum einen von einem massiven westdeutschen Personaltransfer und zum andern von der Rekrutierung ostdeutschen Neupersonals gekennzeichnet. Als besonders hoch erwies sich der Anteil der Westbeamten an den ministeriellen Spitzen-und Leitungspositionen. Die Staatssekretäre waren durchweg, die Abteilungsleiter überwiegend und die Referatsleiter zum erheblichen Teil Westdeutsche, vor allem in den Fachministerien (Justiz, Inneres, Finanzen), in denen juristische Kompetenz besonders gefragt ist
War einerseits die ostdeutsche Personaldecke für die Rekrutierung der Leitungspositionen in den Landesministerien aus politischen und Qualifikationsgründen schmal, so war andererseits die Personalentwicklung in der Landesverwaltung insgesamt dadurch geprägt, daß erhebliche Teile des personell aufgeblähten Staatsapparats der DDR gemäß Artikel 13 Absatz 2 Einigungsvertrag auf die neuen Länder übergegangen waren. Mitte 1991 zählten die ostdeutschen Bundesländer rund 634 000 Landesbedienstete mit 39, 9 Landesbediensteten pro 1 000 lag die „Personaldichte“ in den ostdeutschen Landesverwaltungen zu diesem Zeitpunkt damit um ein Drittel über der in den alten Bundesländern mit 30, 2. Die vom DDR-Staat geerbte personelle Überbesetzung stellte, wie Ministerpräsident Kurt Biedenkopf noch Ende 1992 unterstrich, „nach wie vor das größte Problem auf der Landesebene“ dar
Für die personalrechtliche und -wirtschaftliche Auseinandersetzung mit den vom DDR-Staat hinterlassenen Personalbeständen war den Ländern im Einigungsvertrag -neben der erwähnten Sonderbefugnis der Abwicklung -ein außerordentliches Sonderkündigungsrecht, um sich von durch Verbindungen mit der Staatssicherheit (Stasi) des SED-Regimes belastetem Personal zu trennen, und ein (letztlich bis 31. 12. 1993 befristetes) ordentliches Sonderkündigungsrecht eingeräumt worden, um unter arbeitsrechtlich erleichterten Bedingungen insbesondere auch „betriebsbedingte Kündigungen“ aussprechen zu können
Bei der Stasi-Überprüfung ihrer Bediensteten und den hieraus gezogenen Konsequenzen gab es in den neuen Bundesländern keine einheitliche Linie Im Land Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel wurden bis Anfang 1996 fast 90 Prozent der Landesbediensteten überprüft. Bei 6, 6 Prozent von ihnen wurde eine Stasi-Mitarbeit festgestellt; etwa ein Drittel von diesen wurde entlassen
Von Mitte 1991 bis Mitte 1992 wurde das ostdeutsche Landespersonal um 7, 81 Prozent, bis Mitte 1993 um weitere 4, 88 Prozent und bis Mitte 1994 noch einmal um 3, 92 Prozent verringert. Binnen dreier Jahre schieden knapp 16 Prozent oder jeder sechste der ostdeutschen Landesbediensteten aus. Die scharfe Stellenreduzierung von 1991 bis 1993 dürfte zu einem erheblichen Teil auf die Ausübung des einigungsvertraglichen ordentlichen Sonder-kündigungsrechts zurückzuführen sein. Darüber hinaus wurden überwiegend vertragliche Auflösungen (in Verbindung mit Abfindungen, dem sog. goldenen Handschlag) angestrebt. Hinter den dürren statistischen Zahlen verbergen sich tausendfache individuelle Existenzängste und soziale Nöte.
Neben dem finanzpolitischen Diktat eines radikalen Personalabbaus stellte sich den Ländern -wie auch den Kommunen -als zentrale personalwirtschaftliche und -politische Aufgaben die Fort-und Weiterbildung ihrer Beschäftigten, um diese für die neuen Gegebenheiten einer rechtsstaatlichen Fach-verwaltung zu qualifizieren. Auf diese „gigantische wie historisch einmalige Fortbildungswelle“ kann hier nur summarisch hingewiesen werden
VI. Verwaltungspolitische Schwach-punkte der unmittelbaren Um-und Neubauphase
Die Verwaltungspolitik der Landesregierungen zeigte sich in ihrer ersten Gestaltungsphase darin als „zu zentralistisch“ daß als landesunmittel-barer Verwaltungsunterbau eine Vielzahl von Landesoberbehörden und unteren staatlichen Sonder-behörden auch für solche Aufgaben (beispielsweise im Natur-, Umwelt-, Denkmalschutz) geschaffen wurden, für die in der Normalität des westdeutschen Institutionenmodells vielfach die Landkreise und Städte, sei es als allgemeine untere Verwaltungsbehörde, sei es im übertragenen Aufgabenkreis, tätig werden. In diesem „zentralistischen“ Vorgehen kam die Überzeugung der (weitgehend von Westbeamten geleiteten) Landesministerien zum Ausdruck, daß die landespolitischen Ziele in der Turbulenz des Umbruchprozesses besser durch einen landeseigenen Verwaltungsunterbau zu verwirklichen seien, anstatt hierfür auf die Landkreise und Gemeinden angewiesen zu sein. Zudem hatten sich die Kreise und Städte, insbesondere die neuen Landräte und Oberbürgermeister, in der zurückliegenden Phase des „Wilden Ostens“ (so wird gelegentlich jene Phase zwischen Mai 1990 und Oktober 1990 genannt, als die zentrale DDR-Regierung zunehmend in Agonie verfiel und neue Landesregierungen nocht nicht bestanden, die Kreise und Gemeinden also in einem weitgehend „aufsichtsfreien“ Raum agierten ihre neugewonnene kommunale Autonomie in einem Maße in Anspruch genommen, die den Ministerien eine landespolitische Gegensteuerung durch landeseigene Verwaltungsstellen geraten sein ließ. Überdies schienen die Kreise und Städte, solange eine umgreifende kommunale Gebiets-und Organisationsreform noch ausstand, für die Übernahme weiterer öffentlicher Aufgaben weder organisatorisch noch personell gerüstet zu sein. Schließlich standen die Landesregierungen aber auch unter dem Druck, die von ihnen nicht abgewickelten Verwaltungsteile und Personalstäbe in landeseigenen Strukturen unterzubringen. Mit Blick auf den erhöhten Besatz mit Landesoberbehörden im (zweistufigen, auf eine Mittelinstanz verzichtenden) Land Brandenburg wurden denn die landesorganisatorische „Kopflastigkeit“ sowie, die vertikalen Stränge von Landesoberbehörden und unteren Sonder-behörden vor Augen, die Entstehung einer „säulenartigen, nach Geschäftsbereichen abgeschotteten Verwaltungskultur“ notiert Ähnliche „Un-gereimtheiten in der Aufbauorganisation“ wurden in der Verwaltungsorganisation des (dreistufigen) Landes Sachsen-Anhalt identifiziert
VII. Die „zweite Welle“ des Umbruchs der Landesverwaltung
Die Gebietsstruktur der kommunalen Ebene bestand bei der Neubildung der Länder zum einen aus 191 Kreisen (mit durchschnittlich 60 000 Einwohnern). Diese gingen auf die 1952 vom SED-Regime durchgeführte tiefgreifende Veränderung des Organisationsmodells des DDR-Staates zurück, in der die Länder praktisch abgeschafft, die 14 Bezirke neu geschaffen und die Zahl der Kreise von 132 auf 217 (191 Land-und 26 Stadtkreise) erhöht worden waren. Zum andern existierten 7 500 Gemeinden, davon mehr als die Hälfte mit weniger als 500 Einwohnern. Deren Gebietszuschnitt reichte überwiegend in das letzte Jahrhundert zurück und hatte während der DDR-Zeit keine wesentlichen Veränderungen erfahren Nach der Wende stimmten die ostdeutschen Landespolitiker und ihre westdeutschen Berater darin überein, daß tiefgreifende kommunale Gebiets-und Organisationsreformen unerläßlich Seien, um die administrative Handlungsfähigkeit der kommunalen Ebene zu stärken und die Voraussetzungen für eine sich anschließende Funktional-reform zu schaffen, die eine Übertragung von zunächst durch unmittelbare obere und untere Landesbehörden erledigten Aufgaben auf die Kreise und Städte bringen sollte.
In der Konzipierung und Verwirklichung dieser Reformen verfolgten die Landesregierungen und -Parlamente für die Kreise und Gemeinden durchaus unterschiedliche Strategien. Während die Landespolitiker durchweg entschlossen waren, die Landkreise durch Zusammenlegung deutlich zu vergrößern, teilten sie (bis auf Sachsen) von vornherein die (unverkennbar durch die basisdemokratischen Erfahrungen der Wende gespeiste) Über-zeugung, daß eine Gebietsreform der bestehenden Gemeinden durch die Bildung neuer Einheitsgemeinden (ungeachtet der teilweise extrem geringen Größe der Gemeinden im flachen Land) nicht in Betracht zu ziehen sei, sondern daß alternative Wege zur Stärkung der gemeindlichen Verwaltungskraft einzuschlagen seien.
Die Kreisgebietsreformen traten in den neuen Ländern -nach teilweise heftigen politischen Konflikten, die sich um den Zuschnitt der neuen Kreise sowie um die Sitzgemeinde der künftigen Kreisverwaltung drehten -mit Beginn der zweiten kommunalen Wahlperiode (in Brandenburg am 5. Dezember 1993, in den übrigen Ländern am 12. Juni 1994) in Kraft. Wurde die Zahl der Landkreise in den neuen Ländern insgesamt (von 189 auf 87) etwa halbiert, so fiel die Zusammenlegung der Kreise in Brandenburg und Mecklenburg, wo auf die Einführung einer Mittelinstanz verzichtet und den Kreisen zusätzliche kleinregionale Aufgaben zugewiesen wurden, mit einer runden Drittelung ihrer Zahl (in Brandenburg von 38 auf 14 und in Mecklenburg-Vorpommern von 38 auf 14) noch ausgeprägter aus.
Hinsichtlich der Gemeinden entschieden sich die neuen Bundesländer -außer Sachsen -für eine neue Organisationsform der Gemeindeebene, bei der -„als ein in den alten Bundesländern erprobtes Mittel einer, weichen'Gemeindegebietsreform“ -einerseits die Gemeinden als kommunale Gebiets-körperschaften und politische Trägerinnen der kommunalen Selbstverwaltung erhalten blieben und andererseits eine neue institutioneile Ebene zwischen Gemeinde-und Kreisebene als administrative Geschäftsstellen und Verwaltungseinheiten der ihnen zugeordneten Gemeinden neu geschaffen wurden Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern entschieden sich -in Anlehnung an Schleswig-Holstein -für die Einführung von Ämtern, während in den Ländern Sachsen-Anhalt und Thüringen, dem Beispiel der süddeutschen Partnerländer Baden-Württemberg und Bayern folgend, der Einrichtung von Verwaltungsgemeinschaften der Vorzug gegeben wurde. Demgegenüber zielte die Landesregierung von Sachsen von vornherein auf die Schaffung von größeren Einheitsgemeinden im Wege einer Gemeindegebietsreform; durch die Verbindung von landespolitischem Druck und finanziellen Anreizen hat sich inzwischen die Zahl der Gemeinden als Ergebnis von (freiwilligen) Gemeindezusammenschlüssen deutlich von 1 626 (im Jahr 1990) auf 848 (Mitte 1996) vermindert. Aber auch im Land Brandenburg vollzog die Landesregierung unlängst einen Strategiewechsel, indem sie nunmehr ebenfalls auf die Bildung größerer Einheitsgemeinden (anstelle der bisherigen Ämterbildung) drängt
Nachdem in den neuen Ländern durch die Kreisgebiets-
und Gemeindeorganisationsreformen die Voraussetzungen für eine größere administrative Leistungsfähigkeit der kommunalen Ebene geschaffen worden waren, wurden Schritte einer Funktionalreform durch Übertragung, also Dezentralisierung oder zumindest Dekonzentrierung von bislang durch unmittelbare Landesbehörden erledigten Aufgaben auf die kommunale Ebene (d. h.
Kreise und kreisfreie Städte, aber auch Ämter und Verwaltungsgemeinschaften) eingeleitet. Diese zielten wesentlich darauf, die in der unmittelbaren Umbruchphase „zu zentralistisch“ installierten Organisationsstrukturen der Landesverwaltung abzubauen und zu korrigieren. Den Auftakt gab das Land Mecklenburg-Vorpommern mit der Verabschiedung eines Funktionalreformgesetzes vom 5. Mai 1994. Den konzeptionell umfassendsten Anlauf zur Funktionalreform unternahm bislang das Land Brandenburg, wo die verwaltungspolitische Generallinie der Landespolitik von Anfang an darauf zielte, eine zweistufige Landesverwaltung aufzubauen, durch eine zügige Kreisgebiets-und Gemeindeverwaltungsreform die Verwaltungskraft der kommunalen Ebene zu stärken und dann im Wege einer umfassenden Funktionalreform den Vollzug der Landesaufgaben weitgehend auf die kommunale Ebene zu verlagern; nach einer Abfolge von Funktionalreformgesetzen, durch die unter anderem die Zuständigkeiten der Katasterund der Wasserbehörden „kommunalisiert“ worden sind, betrachtet die Landesregierung die Funktionalreform in Brandenburg inzwischen als abgeschlossen. Demgegenüber stehen andere neue Bundesländer mit ihren funktionalreformerischen Anstrengungen noch eher am Anfang. Hierbei werden Fortschritte durch das Widerstreben der Fachministerien, die in dem Verzicht auf eigene staatliche mittlere und untere Sonderbehörden einen empfindlichen Machtverlust erblicken, aber auch durch das Mißtrauen der Kommunen, behindert, „daß der Staat die Übertragung der Aufgaben als Möglichkeit zum Einsparen von Ausgaben begreift“
VIII. Resümee
1. Der Um-und Neubau der Politik-, Verwaltungs-und Gerichtsstrukturen in den ostdeutschen Ländern hat sich in deren eigentlichen Umbruch-und Gründungsphase, aber auch in der sich unmittelbar anschließenden Periode der institutionellen Konsolidierung und einer Reform der Reform mit ihrer zweiten Veränderungs-und Anpassungswelle, in einem Tempo vollzogen, dessen Ausmaß man vollends gewahr wird, wenn man die Institutionenbildung in Ostdeutschland mit der in den anderen postsozialistischen Ländern in Mittel-und Osteuropa vergleicht: In diesen waren zum einen die institutionenpolitischen Unfertigkeiten der aus der unmittelbaren Umbruchphase hervorgehenden institutioneilen Strukturen aus Gründen, die in den länderspezifischen Besonderheiten des Systemwechsels (in Polen z. B. in den dilatorischen Kompromissen des Machtübergangs) lagen, teilweise wesentlich ausgeprägter, und es wurde zum andern deren Korrektur und Reform der Reform durch den Konflikt und Wettbewerb der auf der nationalen Ebene operierenden politischen Parteien hintangehalten, wenn nicht blockiert
Im Unterschied zu der im Ziel eher noch offenen und im Verlauf noch ungesicherten institutioneilen Transformation in den anderen postsozialistischen Ländern Mittel-Osteuropas folgte der institutioneile Um-und Neubau in Ostdeutschland durch seine Einbettung in den Vereinigungsprozeß und die Integration in das Institutionensystem der alten Bundesrepublik einem Entwicklungspfad, dessen Ziel, Verfahren und Tempo durch die zugrunde liegende Integrationslogik weitgehend (exogen) vorgegeben waren. In dem Maße, wie zentrale Fragen des institutioneilen Modells (föderative Struktur, Status und Struktur der kommunalen Selbstverwaltung usw.) bei der Neugründung vorentschieden waren (die in den anderen postsozialistischen Ländern als Teil der machtpolitischen Auseinandersetzung auf zentraler Ebene noch ausgetragen werden mußten), waren die ostdeutschen Eliten auf der Landesebene imstande, die (regionalen) Entscheidungs-und Institutionalisierungsspielräume rasch auszufüllen. 2. Diese institutionenpolitischen Vorteile sind indessen mit durchaus ernsthaften institutionenpolitischen Kosten erkauft worden. Diese sind vor allem darin zu erkennen, daß Organisationsstrukturen und -grundsätze aus der Institutionenwelt der alten Bundesrepublik übernommen wurden, die in der einschlägigen politischen und wissenschaftlichen Diskussion seit langem oder neuerdings als verfassungs-und institutionenpolitisch problematisch, als überholt und reformbedürftig diskutiert werden.
Ein folgenreicher Schwachpunkt ist zum einen darin zu sehen, daß mit der Wiedereinführung des Föderalismus auf der territorialen Basis der 1952 abgeschafften fünf Länder die kleinstaatliche Variante des deutschen Föderalismus verstärkt wurde. Einmal etabliert, erweist sie sich -wie die mißlungene Fusion von Berlin und Brandenburg zeigt -als außerordentlich zählebig. Dadurch, daß die ostdeutschen Bundesländer bestrebt waren, sich möglichst rasch die vollständige, der Normalität der westdeutschen Länder entsprechende institutionelle Ausstattung politischer, administrativer und justitieller Einrichtungen zuzulegen, ist in den kleinen ostdeutschen Bundesländern eine institutioneile Überdichte („Überinstitutionalisierung“) zu beobachten, in der es beispielsweise das Land Sachsen-Anhalt (mit 2, 7 Mio. Einwohnern) auf sage und schreibe fünf institutionelle Ebenen (Landesregierung, Mittelinstanz, Kreise, Verwaltungsgemeinschaften und Gemeinden) bringt.
Schließlich: Zwar gab es in der Dramatik und Turbulenz, in der sich der institutioneile Umbruch und Neubau in Ostdeutschland abspielte, keine realistische Alternative dazu und war es vernünftig, daß sich die ostdeutschen Akteure (und ihre westdeutschen Berater) weitgehend an den überkommenen Organisationsstrukturen und -grundsätzen der alten Bundesrepublik orientierten, anstatt mit den (Anfang der neunziger Jahre auch in der Bundesrepublik zunehmend unter dem Stichwort eines Neuen Steuerungsmodells diskutierten) Ansätzen der Verwaltungsmodernisierung und -reform zu experimentieren Jedoch ist festzustellen, daß -sieht man von der zweiten Welle der zielstrebig und zügig verwirklichten Kreisgebiets-und Gemeindeorganisationsreformen ab -sich die um-und neugebauten Landesverwaltungsstrukturen, mit dem bestehenden Organisationen und Personalstäben eigentümlichen Beharrungsvermögen gegen den weiteren Fortgang der Ver-waltungsmodernisierung, insbesondere auf der Ebene der Landesregierung und ihrer Ministerien selbst, bislang sperren
3. Stand die ostdeutsche Institutionenbildung mithin einerseits unter dem Bann der westdeutschen Instilutionenwelt und deren {exogenen) Vorgaben, so war sie andererseits von in den ostdeutschen Gegebenheiten, Erfahrungen und Einstellungen wurzelnden (endogenen) Faktoren beeinflußt: In den ostdeutschen Entscheidungsarenen -im wesentlichen von ostdeutschen Akteuren gestaltet -stellen sich die institutioneilen Regelungen weitgehend als eine Verbindung aus der Rezeption westdeutscher Grundstrukturen und Erfahrungen und Eigenentwicklungen dar, in die ostdeutsche Bestimmungsfaktoren eingehen. Diese können sich als gesamtdeutsche Innovationen erweisen, wo Veränderungen eingeleitet werden, die Vorbild auch für die Entwicklung in der alten Bundesrepublik sein können. Ein Beispiel liefern die direktdemokratischen und partizipativen Elemente, die sich in den Landes-und Kommunalverfassungen der ostdeutschen Länder finden und die, wie die kommunalverfassungsrechtliche Debatte in den alten Bundesländern zeigte, auf diese merklich einwirkten. Ähnliches könnte etwa auch für die (verwaltungspolitisch derzeit noch stagnierende) Diskussion um die Regierungspräsidien gelten, in der die Überlegungen, die staatliche Mittelinstanz als Abbild und Erbe des im frühen letzten Jahrhundert übernommenen Napoleonischen Staatszentralismus aufzugeben, durch den Verzicht auf diese Verwaltungsebene in zwei bzw. drei ostdeutschen Flächenländern Anstoß und Auftrieb erhalten können. Ein weiteres Beispiel könnten die in den ostdeutschen Ländern in Gang gekommenen Funktionalreformen mit Elementen einer echten Kommunalisierung von bislang durch Landesbehörden erledigten Aufgaben geben