I. Ausgangspunkte: Gesellschaftliche Transformationen
1. Problemdruck Die Bundesrepublik befindet sich in einer Krise, und zwar nicht aufgrund läßlicher „Krisenrhetorik“, die die Krise angeblich geradezu herbeirede, sondern aufgrund eines zunehmenden Problemdruckes „auf allen Ebenen des Gemeinwesens und in den meisten Sektoren des öffentlichen Lebens“ 1 und einer blockierten Gestaltungskraft nicht nur der politischen Klasse. Diese beiden Komponenten der Krise haben Ursachen: Erstens ist als längerfristiges Ergebnis des ökonomischen Struktur-bruchs Mitte der siebziger Jahre festzuhalten, daß das Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik seither hinter dem hohen Tempo der Produktivitätsentwicklung zurückbleibt. Bei der von Konjunkturzyklus zu Konjunkturzyklus zunehmenden Arbeitslosigkeit gerät der Zusammenhang von gesellschaftlicher Reichtumsakkumulation und sozialstaatlicher Umverteilung mittlerweile deutlich aus den Fu-gen. Dabei ist ausdrücklich zu betonen, daß wir es (nur) mit einer Verlangsamung der Akkumulation als Ursache für die Zuspitzung der Umverteilungskonflikte zu tun haben und keineswegs mit einem realen Rückgang der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion. Die Bundesrepublik ist offenbar seit dem Auslaufen des Vereinigungsbooms 1992/93 und dem Wiedereinschwenken in den Verlauf des Weltmarktzyklus in eine Phase leichter Erholung mit allerdings stagnativer Grundtendenz eingetreten. Eine Bereinigung der Krise im langfristigen Strukturwandel steht noch aus. Auch die negativen Effekte der Transformation der ostdeutschen Wirtschaft sind noch zu bewältigen
Zweitens führte diese Überlagerung verschiedener wirtschaftlich-sozialer Konfliktdimensionen politisch zu Handlungsblockaden. Die politischen Eliten der Bundesrepublik sind augenblicklich nicht in der Lage, eine gesellschaftlich akzeptierte und tragfähige Steuerung des Strukturwandels in Richtung einer Verstärkung des tertiären, bzw. Dienstleistungssektors durchzusetzen. So kommt es einerseits auf der neokonservativen Seite zu einer aggressiveren Verteidigung der marktregulierten Grundstrukturen der kapitalistischen Gesellschaft, die allein die Ökonomie zum Zentrum hat (Giddens) und sich weitgehend gleichgültig gegenüber sozialen Institutionen wie der Familie, den Kirchen, der Bildung, der Wissenschaft, der Kultur etc. verhält. Dem steht andererseits auf der politischen Linken angesichts des marktradikalen Angriffs auf die Sozialsysteme eine Position gegenüber, deren Vertreter auf Bewahrung bedacht sind und den Sozialstaat zu schützen suchen, aber weder die Kraft haben, neoliberale Positionen in den eigenen Reihen in die Minderheit zu drängen, noch wirkliche Wege weisen, die zu einer Stärkung von Realinvestitionen führen. Die Anhänger beider tendenziell fundamentalistischen Positionen im politischen Spektrum blockieren sich momentan wechselseitig, intellektuell wie politisch. 2. Brüche in der Geschlechterordnung: Teil des Problemstaus Das Geschlechterverhältnis und die Lage von Frauen (und Kindern) sind Paradigmen für die Krise der Bundesrepublik, und zwar nicht nur inso-fern als der Sozialabbau auf die unmittelbaren Beziehungen durchschlägt und Frauen (und Kinder) den Sozialabbau als erste zu spüren bekommen. Vielmehr hat die Gleichzeitigkeit sozialer Ereignisse und die Tatsache, daß die Strukturkrise mit der Krise bzw. „Erosion“ der „alten“ Geschlechterordnung zusammenfällt, einen enormen „Verstärkereffekt“: Der „Problemstau“ verschärft sich auf dramatische Weise (wie sich zum Beispiel an der zunehmenden Kinder-und Jugendarmut zeigt), was allerdings nicht automatisch zu Lösungsstrategien im Sinne einer neuen demokratischen Geschlechter-und Generationenordnung führt.
Die „alte“ Geschlechterordnung war mit der Vorstellung verbunden, der Mann solle als , Ernährer fungieren und durch einen ausreichenden Lohn , seine Frau und , seine Kinder unterhalten können. Diese -um das männlicherseits zu erzielende Familieneinkommen 3 -aufgebaute Geschlechter-ordnung bestimmte die Sozialpolitik der Bundesrepublik (wie der meisten Wohlfahrtsstaaten) über einen langen Zeitraum, mehr noch, dieses Modell ist in die geschlechtlichen Verteilungsstrukturen bis heute tief eingeschrieben (und auch eine Ursache für die wachsende Kinderarmut).
Mit dem Ausbau des Wohlfahrtssystems in der Bundesrepublik begann sukzessive aber auch ein gegenläufiger Prozeß: Um die Härten des Marktes abzufedern, wurden schrittweise Sicherungsleistungen verschiedenster Art eingeführt und ausgebaut (Sozialhilfe, Ausbildungshilfe, Wohngeld etc.), und der bzw. die einzelne wurde unabhängiger von der Familie. Die Logik individueller Lebensentwürfe wurde gefördert, auch bezogen auf Frauen. Die seit mindestens 20 Jahren wachsenden Scheidungszahlen zeigen mit aller Deutlichkeit die Fragilität der alten Geschlechterordnung. Frauen wurden aus traditionalen, ihre Versorgung sichernden Bindungen freigesetzt, tradierte Geschlechterrollen begannen sich aufzulösen und die patriarchalisch strukturierte Familienform wurde in Frage gestellt. Frauen drängen -und zwar primär aus Gründen ihrer Existenzsicherung -auf den Arbeitsmarkt, finden sich allerdings nur zu einem geringen Teil in seinem formellen Sektor wieder: „Das Krachen im Gebälk der Wohlfahrtsstaaten hat auch mit ...dem Ausmaß der informellen Erwerbsarbeit . .. (und) geringen Einkommen, die Frauen auf dem formellen Arbeitsmarkt erzielen“ 4, zu tun. Die mit der Auflösung des alten Geschlechtervertrages verbundenen Probleme haben also massive Rückwirkungen auf die Finanzierbarkeit des Sozialstaates der Bundesrepublik. Sozialstaat und Geschlechterkampf um Arbeit Der Sozialstaat der Bundesrepublik machte es sich zur Aufgabe, Umverteilungen zugunsten der nicht erwerbstätigen Bevölkerungsteile vorzunehmen und Dienstleistungen anzubieten, die zuvor wesentlich in privaten Händen -also in der Familie -lagen. Diese sozialstaatliche Vermittlung hat ohne Zweifel Freiräume für Frauen geschaffen. Zunehmende Erwerbstätigkeit und auch staatlich gestützte ökonomische Eigenständigkeit zum Beispiel machten eine breite soziale und kulturelle Teilhabe großer Bevölkerungsschichten am Volks-wohlstand möglich. Diese sozialstaatlichen Rahmenbedingungen haben zum Beispiel durch wachsende Transferleistungen (Bafög, Sozialhilfe etc.) eine Zurückdrängung der Familie als ökonomisches Umverteilungszentrum bewirkt. In bescheidenem Maße wurden Ungleichgewichte und Benachteiligungen in der Verteilung der Primär-einkommen (Löhne und Gehälter aus Erwerbsarbeit) ausgeglichen. Dagegen treibt die Politik der Modernisierung des Produktionsapparates seit Beginn der achtziger Jahre, die mit diversen Flexibilisierungs-, Deregulierungs-und anderen Sparmaßnahmen verbunden ist, die Unterschiede wieder krasser hervor.
Allerdings ist es zu einfach, in diesem Zusammenhang schlichtweg von einer rückwärts gewandten Familienideologie zu sprechen. Vielmehr haben wir es mit einer „modernisierten“ Familien-und Frauenpolitik zu tun, und zwar nach dem Motto: Jede Frau kann frei wählen, wie sie ihr Leben gestaltet. Die Position hat durchaus Attraktivität und Anziehungskraft entfaltet und breite Resonanz gefunden. Leitbild dieser Politik ist der/die unabhängige einzelne als Leistungsträger sowie die Familie als freiwillige Assoziation eben dieser Leistungsträger. Die Familie erfährt „unter der Hand“ eine ökonomische Wiederaufwertung im Bereich der Primäreinkommen. Dieses Konzept ist in die Deregulierung und Zurückschneidung sozialer Verteilungsverhältnisse seit 1982 eingepaßt: Wenn die Frau es nicht schafft, sich auf dem Arbeitsmarkt karriereorientiert durchzusetzen und/oder es ihr nicht gelingt, sich mit dem „richtigen“ männlichen Partner zusammenzutun, so stehen für sie (und ihre Kinder) nur „verschlankte“ Rechte auf Umverteilung und auf solidarische Hilfe bereit. Die neokonservative Antwort -Kopie und Transformierung ökonomistischer, betriebswirtschaftlicher Strategien auf sämtliche gesellschaftliche Sphären -ist die Deregulierung der Sozialverhältnisse und der Ruf nach einer vermehrten Anstrengung des einzelnen Individuums. Das von „Sozialballast“, „Ansprüchen“ und „sozialem Mißbrauch“ freie, entfesselt kämpfende Individuum, das nun als vereinzeltes Subjekt auch weiblich sein darf, ist gefragt. Die sozialwissenschaftliche Ungleichheitsforschung belegt nun allerdings empirisch: Eine Versöhnung der Lebensbereiche -das heißt der Erwerbs-und Familiensphäre -trat bisher nicht ein, die Spaltung und Polarisierung der Lebenschancen von Männern und Frauen ist nicht aufgehoben, und unter Frauen vertiefen sie sich sogar eher.
Der vielschichtige Transformationsprozeß in der Bundesrepublik verschärft also drastisch Verteilungskämpfe um knappe Ressourcen, vor allem auch den (Geschlechter-) Kampf um (Erwerbs-) Arbeit. Das bekommen ostdeutsche Frauen derzeit besonders hart zu spüren. Sie könnten aber auch zugleich diejenigen sein, die den Verteilungskonflikt um Arbeit zuspitzen und den beschäftigungspolitischen und sozialstaatlichen Erneuerungsbedarf in der Bundesrepublik mit aller Deutlichkeit sichtbar machen 5.
4. Vom „Gleichstellungsvorsprung" zum erodierenden männlichen Normalarbeitsverhältnis Der Frauenerwerbsarbeit kommt bis heute in den neuen Bundesländern ein anderer Stellenwert zu als in den alten. Die DDR hatte auf Gleichberechtigung gesetzt, und zwar durch verallgemeinerte, auf Frauen und Männer gleichermaßen bezogene Erwerbsarbeit und eine die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Berufsarbeit stützende Sozialpolitik. Das war die Basis für den von westdeutschen Sozialwissenschaftlern eingeräumten „Gleichstellungsvorsprung ostdeutscher Frauen“ 6 gegenüber westdeutschen. Demgegenüber bremste die Bundesrepublik den über Erwerbsarbeit sich vermittelnden Individualisierungsprozeß gegenüber westdeutschen. Demgegenüber bremste die Bundesrepublik den über Erwerbsarbeit sich vermittelnden Individualisierungsprozeß der Frauen -ohne ihn freilich ganz aufhalten zu können -ab, indem sie an dem traditionalen Geschlechtermodell der industriellen Moderne ansetzte und es sozialpolitisch befestigte. Der „Gleichstellungsvorsprung“ der ostdeutschen Frauen -vor allem hinsichtlich ihrer Stellung im Erwerbsprozeß -ist bis heute ein irritierendes Spezifikum im deutschen Vereinigungsprozeß. Während die einen meinen, das erledige sich durch
An-und Einpassung in die altbundesrepublikanischen Verhältnisse und durch Angleichung an diese Art von Moderne von selbst, so sehen andere in dem „Gleichstellungsvorsprung“ einen bedrohlichen, allerdings auch nicht rückgängig zu machenden generellen Trend zumal er sich im Sinne steigender Erwerbsquoten von Frauen längst vor der deutschen Vereinigung in den alten Bundesländern durchzusetzen begann.
Das vorwiegende, mittlerweile nahezu stereotype Theorem in der Debatte über die sozialen Folgen der Vereinigung ist allerdings das von den Ost-Frauen als den „Modernisierungsopfern“ oder „Vereinigungsverliererinnen“. Frauen erscheinen zumeist in Bildern, die für Passivität und „Geschehen lassen“ stehen. Auf der symbolischen Ebene reproduzieren sie ein Geschlechtermuster, das die Opferhaltung des weiblichen Geschlechts gleichsam selbstverständlich voraussetzt. Und in der Tat belegt eine Reihe von Fakten -von der zunehmenden weiblichen Langzeitarbeitslosigkeit in Ostdeutschland bis zur Zunahme der Armut von Alleinerziehenden -die Schlechterstellung von Frauen. Das ist also gar nicht zu bezweifeln. Allerdings ist sowohl die Eindimensionalität wie auch die Generalisierung des Theorems kritisch zu prüfen. Empirische Daten zeigen folgendes: -Bis heute ist die Erwerbsquote von Frauen in Ostdeutschland höher als in Westdeutschland; 66 Prozent der ostdeutschen Frauen übten 1995 eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung aus, in Westdeutschland waren das nur 45 Prozent. Mit anderen Worten: Für die eigenständige Sicherung der Frauen ist die Lage in Westdeutschland unbefriedigender als in Ostdeutschland -Der Transformationsprozeß in Ostdeutschland hat -bei insgesamt vergleichsweise niedrigen Haushaltseinkommen -viele Frauen zu „Haupternährern“ ihrer Familien gemacht, und das Einkommen der Frauen macht hier im Durchschnitt knapp 50 Prozent des Haushaltseinkommens aus (in Westdeutschland ein Drittel). Das hat Konsequenzen für die Geschlechterbeziehungen und könnte ein Geschlechterarrangement mittelfristig begünstigen, das auf „flachhierarchisierte“ Komplementarität setzt. Mehr noch, die Erwerbsbetei-ligung vor allem der Mütter mit jüngeren Kindern ist in den neuen Bundesländern wesentlich höher als im früheren Bundesgebiet. Dies dürfte ein Grund dafür sein, warum in Ostdeutschland der Anteil „ökonomisch schwieriger Lagen“ bei Ehepaaren mit Kindern durchweg niedriger ist als in Westdeutschland -In Ostdeutschland führten die Schwierigkeiten des Transformationsprozesses bisher nicht zu der erwarteten Hinwendung zu einem traditionalen Geschlechtermodell, sondern die „Daten deuten darauf hin, daß die Menschen in den neuen Bundesländern in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit der Doppelrolle der Frau gemacht haben“, so daß die Bilanz im Jahre 1995 zur Einstellung zur Berufs-tätigkeit der Frauen lautet: „Steigende Zustimmung im Osten, Stagnation (bzw. Rückgang) im Westen“ Und laut Datenreport 97 meinen zwar 46 Prozent der Westdeutschen, aber nur 33 Prozent der Ostdeutschen, eine Frau solle auf eine Berufs-tätigkeit verzichten, wenn es nur eine begrenzte Anzahl von Arbeitsplätzen gibt. Die Hälfte der Westdeutschen -gegenüber nur einem Viertel der Ostdeutschen -hält es auch für alle Beteiligten für besser, „wenn der Mann voll im Berufsleben steht und die Frau zu Hause bleibt und sich um den Haushalt und die Kinder kümmert -Und schließlich hat sich insgesamt bestätigt, daß Frauen aufgrund der starken Segregation in den Beschäftigtenstrukturen der DDR und der Tatsache, daß sie 1989 überproportional viele Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor „einnahmen“, im Übergang in die Marktwirtschaft einen gewissen „Heimvorteil“ hatten Ein Großteil der erwerbstätigen Frauen war von den Massenentlassungen im Zuge der Deindustrialisierung in Ostdeutschland zunächst nicht unmittelbar betroffen und hat den Umbau des Arbeitsmarktes unter Bedingungen einer „abgedämpften“ Geschlechterkonkurrenz erlebt. Für nicht wenige Frauen bedeutete das, daß sie eine vergleichsweise günstige Ausgangsposition für den „Sprung in die Marktwirtschaft“ hatten und ihren beruflichen Ein-und Aufstieg -wie beispielsweise im Finanzdienstleistungssektor -anfangs relativ bruchlos bewältigen konnten. 5. Weibliche „Widerständigkeit"
Mittlerweile zeigt sich allerdings auch, daß trotz aller Selbstbehauptung, Qualifizierungs-und Mobilitätsbereitschaft -„Wiederständigkeit“ die ostdeutsche Frauen an den Tag legen, um ihre Erwerbspositionen zu verteidigen, der Verdrängungskampf zu ihren Ungunsten längst in vollem Gange ist. Darüber hinaus sind inzwischen gewaltige soziale Differenzierungen auszumachen, die für nicht wenige bedeuten, daß sie trotz beruflicher Arbeit von ihrem Erwerbseinkommen oft nicht mehr eigenständig existieren können
Ist das momentan zu konstatierende Beharrungsvermögen eines ostdeutschen Geschlechterarrangements und die Widerständigkeit von Ostfrauen gegen die Abdrängung vom Arbeitsmarkt lediglich als ein „temporärer Sonderweg“ zu verstehen, der sich mit dem Generationenwechsel schnell verwachsen wird? Oder stellt das „Modell Ost“ die „Zukunft West“ für Frauen und Männer dar? Hat in den neuen Bundesländern möglicherweise eine strukturbedingte Feminisierung männlicher Erwerbsbiographien stattgefunden (geringe Einkommen, prekäre Beschäftigung, Scheinselbständige etc.), die eine Angleichung nach unten, also an Frauenbeschäftigung, beinhaltet und das Geschlechterarrangement lediglich in diesem Sinne demokratisiert? Wird vielleicht gerade damit -also mit der Angleichung nach unten -eine gesamtdeutsche Zukunft vorweggenommen? Oder bleibt im Geschlechterverhältnis vielleicht doch alles beim alten, weil der „Fahrstuhleffekt“ -um das von Ulrich Beck für die siebziger und achtziger Jahre geprägte Bild spiegelverkehrt nochmals aufzunehmen -in den neunziger Jahren nur eine allgemeine, alle soziale Gruppen betreffende Abwärtsspirale ist? Liegt möglicherweise gerade in der Transformationskrise -die ja längst auch das „männliche Normalarbeitsverhältnis“ erfaßt hat -eine Chance zur Demokratisierung des Geschlechterverhältnisses?
Das sind nur einige der Fragen, die sich vor dem Hintergrund der sehr widersprüchlichen empirischen Befunde stellen. Es gibt zur Zeit keine klaren Antworten. Der gesellschaftliche Transformationsprozeß in Ost und West ist längst noch nicht abgeschlossen, welche Folgen er insgesamt für das wird, ist Geschlechterverhältnis momentan ungewiß. Allerdings lassen sich Tendenzen erkennen.
II. Frauenerwerbsarbeit in den neuen Bundesländern: Schatten und Spektralfarben des Dienstleistungssektors
Im folgenden sollen Beispiele des großbetrieblichen (privaten) Dienstleistungssektors in den neuen Bundesländern grob umrissen werden. Insgesamt geht es nicht nur darum, widersprüchliche Entwicklungslinien des Sektors, in dem die Masse der Frauen zur Zeit beschäftigt ist, aufzuzeigen, sondern es soll auch nach den Potentialen gefragt werden, die der Bereich für die Erwerbsintegration von Frauen mittelfristig beinhaltet. Beschäftigungsseitig ist bei aller Heterogenität im einzelnen ein außerordentlich dynamischer Entwicklungsverlauf zu konstatieren, der auch Ende der neunziger Jahre nicht an Dramatik verloren hat. Auf einer Zeitachse lassen sich zunächst folgende Veränderungen erkennen 1. Im Zuge der deutschen Vereinigung und des Vereinigungsbooms 1990-1992 dynamisierte sich -kurzzeitig und wie erwartet -die Entwicklung des Dienstleistungssektors in den neuen Bundesländern. Banken und Sparkassen, Versicherungen, Groß-und Einzelhandel waren sowohl Nutznießer als auch Protagonisten im „Aufschwung Ost“. Die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich expandierte deutlich. Nach der beeindruckenden Steigerung in der Aufbauphase ist seit Ende 1993/Anfang 1994 der Beschäftigungszenit allerdings schon wieder überschritten, und beschäftigungsseitig ist der Sektor seitdem in eine Konsolidierungsphase eingetreten. In Zahlen ausgedrückt, bedeutet das: Im Gegensatz zum permanenten Rückgang der Erwerbstätigen in der Land-, Forst-und Fischereiwirtschaft, das heißt in dem primären Sektor (von zirka 900 000 auf 200 000), und im warenproduzierenden Gewerbe, dem sekundären Sektor (von zirka 4 Millionen auf 2, 3 Millionen), ist im Dienstleistungs-oder tertiären Sektor eine Zunahme der Erwerbstätigenzahl von 3, 6 Millionen auf 4 Millionen zu konstatieren. 2. Entgegen der Entwicklung im Industriebereich fand seit 1990 im großbetrieblich strukturierten Dienstleistungssektor in weiten Teilen eine nahezu vollständige Übernahme ganzer Unternehmen und Betriebsteile inklusive der Belegschaft statt. Die Übertragung der Organisations-und Arbeitsstrukturen des jeweiligen „Modells West“ in die neuen Bundesländer ist -wie Untersuchungen in Banken, Versicherungen und Sparkassen zeigen -nicht nach einem einheitlichen Schema erfolgt. In den fusionierten bzw. übernommenen Dienstleistungsbetrieben haben sich entlang variierender Unternehmensstrategien und unter aktiver Mitwirkung von ost-wie westdeutschen Führungskräften ostdeutsche Spezifika erhalten (zum Beispiel ein im Osten deutlich höherer Anteil von Frauen in mittleren Führungspositionen). 3. Der Dienstleistungssektor war zu DDR-Zeiten nahezu ausschließlich ein Frauensektor (Anteil: 90 Prozent); er ist auch 1995/96 noch mit einem Anteil von zirka 70 Prozent weiblichen Beschäftigten , mittelhoch segregiert. Im Prozeß der Neustrukturierung der internen Arbeitsmärkte sehen sich die in den Betrieben verbliebenen Frauen aber zunehmend einem subtilen Verdrängungsprozeß ausgesetzt, der sich nicht nur über Mechanismen der Personalrekrutierung durchsetzt, sondern auch über betriebliche Arbeitszeitregelungen, Mobilitätsanforderungen und -vor allem in Leitungspositionen -über , Dauerpräsenz und erhöhten Anforderungsdruck 4. Eine Untersuchung die erst 1996 gestartet ist, läßt erkennen, daß die bundesdeutsche Arbeitsmarktkrise den Dienstleistungssektor in den neuen Bundesländern mittlerweile voll erfaßt hat und er nicht -jedenfalls zur Zeit nicht -als „Hoffnungsträger für Beschäftigung“ gelten kann. Ein Exempel dafür ist die Fusionierung der beiden deutschen Bahnen in der Deutschen Bahn AG. Der Privatisierungsprozeß in diesem Unternehmen wirft seine Schatten voraus, mit dem Effekt, daß sich Diskontinuität für die ostdeutschen Beschäftigten verstetigt, erwerbsbiographische Umbrüche für sie zur „Normalität“ werden und Sicherheit sich auch für diejenigen nicht mehr herstellt, die die Erschütterungen der „Wende“ zunächst mit dem Erhalt ihres Arbeitsplatzes überstanden hatten. „Auf Dauer gestellte Diskontinuität“ ist -auf eine knappe Formel gebracht -der Effekt dieser betrieblichen Integration Der Dienstleistungssektor ist ein außerordentlich heterogenes Erwerbsfeld. Daher soll versucht werden, auf einzelne Bereiche etwas genauer einzugehen und entlang ausgewählter Dienstleistungssegmente zu argumentieren. Nicht zu allen Segmenten liegen hinreichende empirische Forschungsergebnisse vor. Bezogen auf den Finanz-dienstleistungssektor und auch für den Handel kann jedoch auf eine ganze Reihe von Befunden zurückgegriffen werden. Der Pflegebereich ist bislang, obwohl er in den neuen Bundesländern noch immer eine Frauendomäne ist, unter dem Geschlechteraspekt bedauerlicherweise wenig analysiert worden. Laufende eigene Untersuchungen beziehen sich auf Frauen im betrieblichen Transformationsprozeß der Verkehrsbranche, das heißt auf die Deutsche Bahn AG 1. Handel: Trotz Fleiß kein Preis?
Der betriebliche Transformationsprozeß im Einzelhandel wird von einer geschlechtsspezifischen Umstrukturierung auf den internen Arbeitsmärkten begleitet. Wenngleich der Einzelhandel auch 1994 noch mit einem Frauenanteil von 64, 2 Prozent eine Frauenbranche darstellt (und offensichtlich auch bleiben wird), ist dennoch der weibliche Anteil an den Erwerbstätigen von 1991 bis 1994 gravierend gesunken Bei den Entlassenen -bei insgesamt bis 1994 wachsenden Beschäftigungszahlen -aus den ehemaligen DDR-Einzelhandelsinstitutionen han-delt es sich vorrangig um (ältere) Frauen. Demgegenüber wurden in der betrieblichen Aufbauphase (junge) branchenfremde Männer häufiger in ein neues Arbeitsverhältnis übernommen als Frauen. Nur in beschränktem Umfang wurde bei der Restrukturierung von Personal Wert auf die Nutzung von handelsspezifisch qualifizierter und erfahrener Leitungsarbeit gelegt, die 1988 in der DDR in der Branche Handel und Versorgung zu 62 Prozent von Frauen wahrgenommen wurde. Vielmehr hat man die ehemaligen betrieblichen Hierarchien „entschlackt“ und westdeutsche, zumeist männliche Führungskräfte mit dem Management betraut. Auf diesem Wege wurden überproportional viele Frauen von Leitungsfunktionen entbunden, und in nur wenigen Fällen gelang es ihnen -nach (auch formal) anerkannten Qualifizierungsmaßnahmen mittlere Leitungspositionen einzunehmen.
Diese Neustrukturierung des Geschlechterverhältnisses im Einzelhandel Ostdeutschlands schlägt sich auch in prekären Arbeits(zeit) verhältnissen und dementsprechend niedrigen monatlichen Nettoeinkommen der Frauen nieder: 1994 betrug das monatliche Nettoeinkommen der weiblichen« Beschäftigten im Handel 1 354 DM, das der Männer 1 893 DM. Insbesondere für den Handel gilt, daß Frauen zunehmend in Erwerbspositionen zu finden sind, die keine ausreichende Existenzsicherung mehr bieten. Mit anderen Worten, es wächst auch in Ostdeutschland jene soziale Gruppe von Frauen, die trotz eigener Erwerbsarbeit von Versorgungsleistungen Dritter (Ehemann, Staat) abhängig bzw. die in ungeschützte, prekäre Verhältnisse gestellt ist. 2. Finanzdienstleistungsunternehmen: Frauen auf dem Weg nach oben?
In der Aufbauphase hatten ostdeutsche Frauen aufgrund der geschlechtsspezifischen Segregation der DDR-Erwerbsarbeit in Sparkassen, Banken und Versicherungen gute Chancen für die Fortsetzung ihrer Erwerbsarbeit. Sie wurden in der Regel nicht nur nicht entlassen, sondern kamen auch im Rahmen eines Einstellungsbooms im Zeitraum 1990/91 für Personal mit kaufmännischer Ausbildung zum Zuge.
Die Mehrzahl der Frauen erhielt durch die anschließende betriebliche Qualifizierungsoffensive eine moderne, dem westlichen Standard des Sektors entsprechende Basisqualifikation. Das eröffnete ihnen nicht nur Chancen zur Weiterbeschäftigung, sondern höhere Qualifikationen stellten für junge Frauen in dieser ersten Phase auch eine Brücke für die Aufnahme leitender Tätigkeiten im mittleren Management oder für eine Spe-zialisierung im Finanzgeschäft dar. So ist bis heute der Frauenanteil in der dritten, vor allem aber vierten Führungsebene (das sind Filialleiterinnen und Gruppenleiterinnen) in den meisten untersuchten Unternehmen in den neuen Bundesländern höher als in den alten.
In der Konsolidierungsphase -also ab 1993/94 -gerieten die 51 000 Beschäftigten, vor allem Frauen, allerdings zunehmend in die Defensive, und dies aus mehreren Gründen: Der ökonomische und soziale Bedeutungsgewinn der Finanzbranche im Osten Deutschlands schlägt sich seither in einer Erhöhung des männlichen Bewerberanteils auf Ausbildungsstellen nieder. Es entspricht personal-politischer Praxis, daß männliche Lehrstellenanwärter -nicht selten trotz schlechterer Schulleistungen -in den Auswahlverfahren bevorzugt werden. Darüber hinaus trifft die Wegrationalisierung überwiegend manueller Tätigkeiten besonders im Zentralbereich von Versicherungen und im Back-office-Bereich der Sparkassen und Banken vorwiegend niedrig qualifizierte Frauen. Vor allem die älteren unter diesen haben geringe Chancen, ‘über den Erwerb zusätzlicher Qualifikationen ihre Beschäftigungspositionen zu halten. Mit der Auslagerung von Betriebsfunktionen sowie der Verlagerung von bisherigen Zentralfunktionen in die dezentralen Beschäftigungsbereiche sind in der Finanzdienstleistungsbranche Ansätze eines , Lean Banking'erkennbar. Auch hier werden untere und mittlere Managementebenen der einzelnen Unternehmensbereiche „entschlackt“. Dies könnte sich -sind das doch gerade jene Positionen, in denen Frauen vertreten sind -als eine „Modernisierungsfalle“ 25 für ambitionierte Frauen erweisen
Auch in den Finanzdienstleistungsunternehmen -wie im tertiären Wirtschaftssektor insgesamt -manifestiert sich die Ungleichstellung von Frauen in geschlechtstypischen Arbeitszeitmodellen, allerdings mit der generellen Tendenz, daß ostdeutsche Frauen persönlich ein großes Interesse haben, an einer Vollzeitstelle festzuhalten, -und in der sich weiter öffnenden Lohnschere zu ihren Ungunsten. Dennoch ist für diese Branche momentan noch offen, ob sich der Prozeß der Neustrukturierung von Erwerbsarbeit zugunsten männlicher Beschäftigung so ohne weiteres linear fortschreiben wird: So befinden sich in den seit Ende 1993/Anfang 1994 nahezu geschlossenen internen Arbeitsmärkten in der Mehrheit Frauen, nämlich bis zu zirka 68 Prozent, mit neuerworbenen Basis-und modernen Fach-sowie zum Teil Führungsqualifikationen. Angesichts dieser Tatsache kann einerseits angenommen werden, daß Frauen Chancen haben, sich mittelfristig zu behaupten, ja sogar, daß der Frauenanteil auch an den Führungskräften steigen wird 27. Andererseits ist -wegen des antizipierbaren dramatischen Personalabbaus in der Branche ab Ende der neunziger Jahre -der jetzige , Standortvorteil’ der Frauen mehr als labil. Inwieweit sie auf diese Strukturveränderungen „widerständig“ und gestaltend zu antworten vermögen, ist noch ungewiß, zumal sich die Anforderungen an die zeitliche und räumliche Flexibilität des Einsatzes erhöhen und die Arbeitsstrukturen zunehmend auf eine „ganzheitliche“, eine „totale“ -alle Reserven der Lebenszeit betreffende -Nutzung qualifizierter menschlicher Arbeitskraft zielen Mit dieser Entwicklung werden sich allerdings auch Qualifikationsanforderungen in Richtung , extrafunktionaler Arbeitstugenden 1, wie Teamfähigkeit, Verantwortung und Kundenfreundlichkeit, erweitern. Das wiederum könnte die Konkurrenzfähigkeit „weiblicher“ Qualifikationen erhöhen und die Position von Frauen bei der insgesamt schlechter werdenden Lage in diesem Feld tendenziell begünstigen. 3. Deutsche Bahn AG: Auf Dauer gestellte Diskontinuität?
Der Stand der Forschung, das sei nochmals betont, erlaubt nur erste Einblicke und sehr vorsichtige Verallgemeinerungen, aber soviel ist schon jetzt klar erkennbar: Die ostdeutschen Beschäftigten -Männer wie Frauen -durchlaufen seit 1990 einen Prozeß permanenter Diskontinuität. Für die Deutsche Reichsbahn (DR) war die Zeit bis zur Vereinigung der beiden Verkehrsunternehmen im Jahre 1994 von Unsicherheit und drastischem Personalabbau gekennzeichnet: 1990 hatte die DR 222 841 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Ende 1993 nur noch 137 638. Der Frauenanteil sank von 1990 bis 1993 von 32 auf 28 Prozent. Seit der Vereinigung beider deutschen Bahnen zur DB-AG setzt sich dieser Prozeß weiter fort. Allerdings sind auch in diesem Beschäftigungssegment gegenläufige Tendenzen feststellbar, von denen insbesondere Frauen schließlich doch noch profitieren könnten: Geschäftsbereiche im Service und mit Kunden-nähe, wie zum Beispiel der Geschäftsbereich Personenbahnhöfe, sind im Aufwind; hier kommt es sogar zum Ausbau der Beschäftigtenzahlen. 1994 waren in diesem Bereich 3 573 Personen beschäftigt, Ende 1995 bereits 7 686. Chancen haben diejenigen, die kundenfreundlich, kommunikativ und teamfähig sind, Fähigkeiten, die insbesondere Frauen zugeschrieben werden; zugleich sollen die hier Beschäftigten aber auch mobil und flexibel sein. Die Umbauprozesse sind also mit einem enormen Druck auf die Mobilitätsbereitschaft der Beschäftigten verbunden: Zur Förderung der Mobilität ist zum Beispiel sogar eine „Task Force Personalausgleich“ gegründet worden, die ostdeutschen Beschäftigten sollen verstärkt für die „WestWanderung“ gewonnen werden. Daß das Konsequenzen für deren Lebensalltag, insbesondere den der weiblichen Beschäftigten, haben muß, liegt auf der Hand. Viele von ihnen sind skeptisch, vor allem auch weil sie im Laufe der Jahre die Erfahrung gemacht haben, daß selbst Mobilitätsbereitschaft kein Schutz vor Personalabbau ist. 4. Soziale Differenzierungen Die Untersuchungen zeigen, daß das Merkmal , Geschlecht 1 eine zentrale „Platzanweiserfunktion“ im härter werdenden Verteilungskampf um Arbeit hat, vor allem auch im Kampf um Einkommen und Positionen. Sie zeigen zugleich, daß es neue Differenzierungen und Hierarchien gibt, und zwar innerhalb der Gruppe der Frauen. Im Rahmen der Untersuchungen im Finanzdienstleistungssektor sind wir darauf gestoßen, daß eine Gruppe von Frauen -vor allem in der in den alten Bundesländern weitgehend , frauenfreien'Versicherungsbranche -erstaunlich gute Aufstiegschancen hat und diese auch zu nutzen weiß: Das sind Frauen mittleren Alters (zur Wende waren sie zwischen 30 und 40 Jahre alt), die bereits zu DDR-Zeiten stark bildungs-, leistungs-und aufstiegsmotiviert waren, Leitungserfahrungen mitbringen und die Familienphase zum Zeitpunkt der Wende in der DDR abgeschlossen hatten bzw.deren Kinder heute selbständig sind. Diese Gruppe von Frauen zeichnete sich schon vor der Wende durch Konsequenz und Zielstrebigkeit in der Verfolgung ihrer beruflichen Entwicklung aus. Viele der Frauen haben ihre formale berufliche Qualifikation -zumeist einen Hochschulabschluß -parallel zur Familienphase und zur Berufstätigkeit in einem Fernstudium erworben. Sie mußten also bereits unter DDR-Bedingungen Zeiteffizienz beherr-schen und , Wandelmanagement'praktizieren und sind daher in der Koordinierung vielfältiger Anforderungsstrukturen trainiert. Mit genau diesen Kompetenzen -erworben unter dem Druck der Verhältnisse, der offenbar bei diesen Frauen ein enormes Leistungspotential freisetzte -können sie heute eine in hohem Maße Wettbewerbs-und damit anschlußfähige Qualifikation vorweisen. Die betreffenden Frauen sind mittlerweile, nach erfolgreichen Nach-bzw. Weiterqualifizierungen, in Führungspositionen fusionierter Ost-West-Unternehmen in Ostdeutschland gut verankert In diesen Positionen profitieren sie von in DDR-Institutionen erworbenen Wissens-und Erfahrungsbeständen und der Tatsache, daß sie mit den übernommenen Beschäftigten eine „gemeinsame Sprache'verbindet, die sie oft auch zum Puffer und Mittler zwischen West-Managern und Ost-Beschäftigten (und -Kunden) macht.
Eine Analyse der Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) bestätigt diese Tendenz, vor allem die enormen sozialen Differenzierungen. Mehr noch, in dieser Analyse zeigt sich deutlich, daß die konkrete Familiensituation, in der sich ostdeutsche Frauen gerade befinden, wenig Erklärungskraft für ihre Erwerbssituation hat. Nicht die Frage, ob Klein-oder Schulkinder zu betreuen sind, sondern die Qualifikation der weiblichen Beschäftigten ist das Kriterium für die stabile Erwerbsintegration von Frauen. Analysiert man beispielsweise die Erwerbskonstellaiion von Partnerschaftshaushalten in Ostdeutschland, so zeigt sich, daß die Integration von Männern in den Arbeitsmarkt relativ unabhängig von ihrer beruflichen Ausbildung ist, die von Frauen aber stark von ihrer Qualifikation abhängt. Von 1990 bis 1995 läßt sich eine qualifikationsspezifische Verdrängung von Frauen aus dem ostdeutschen Arbeitsmarkt konstatieren, mit dem Effekt, daß un-und angelernte Frauen und Frauen mit einem Facharbeiterabschluß die schlechtesten Karten im Kampf um die Verteilung von Erwerbs-arbeit haben, hochqualifizierte Frauen in Angestelltenpositionen hingegen überwiegend in Haushalten leben, in denen auch 1995 beide Partner vollerwerbstätig sind.
Im ostdeutschen Transformationsprozeß werden Chancen und Risiken also gerade nicht über die Binnenstruktur der Partnerschaftshaushalte ausgeglichen und harmonisiert, sondern es kommt ein doppelter Mechanismus in Gang, der soziale Differenzierungen verschärft: Vermittelt über Erwerbschancen unterschiedlich qualifizierter Frauengruppen polarisieren sich Lebenschancen von Haushalten und Familien in den neuen Bundesländern, nicht in erster Linie über das Einkommen eines „männlichen Ernährers“.
III. Fazit: „Selbstregulative“ Tendenzen des bundesrepublikanischen Geschlechtermodells und institutionelle Gegensteuerung
Die feministische Forschung der vergangenen 20 Jahre hat deutlich machen können, daß die Dualismen im Geschlechterverhältnis und von Männlichkeit und Weiblichkeit eine enorme Flexibilität und Beharrung aufweisen. Dies führt immer wieder zu der Frage, ob der gesellschaftliche Transformationsprozeß am Ende dieses Jahrtausends lediglich zu einer neuerlichen „Modernisierung“ der alten Bipolarität beiträgt, bei der die Asymmetrien und Hierarchien in den Beziehungen der Geschlechter auf höherer Stufe fortgeschrieben werden, oder ob fundamentalere Veränderungen anstehen. Dafür könnte sprechen, daß von einem grundsätzlichen Strukturwandel der gesamten Wirtschafts-, Arbeits-und Lebenswelt auszugehen ist, einem Strukturwandel, wie er vergleichbar beim Übergang von der Agrar-zur Industriegesellschaft schon einmal stattgefunden hat. Und erst dieser Prozeß hatte ja, wie wir aus feministischer Forschung wissen, das „Symbolsystem der Zweigeschlechtlichkeit“ durch die strukturelle Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit so tief in die „Herzkammern der Moderne“ eingeschrieben. Kommt es also möglicherweise doch zu fundamentalen Erosionen im Geschlechterverhältnis, die es in seiner Polarität und Hierarchie grundsätzlich erschüttern, ja auflösen? Einerseits zeigen die empirischen Ergebnisse -vor allem auch aus der Transformationsforschung -, daß die alten Dualitäten ihre Gültigkeit allmählich verlieren, und zwar durch „Überlappungen und Grenzüberschreitungen, die nicht mehr nur individuell sind“ und die nicht mehr nur in der Angleichung weiblicher Biographien an männliche, sondern umgekehrt auch in einer strukturbedingten Feminisierung männlicher (Erwerbs-) Biographien zu finden sind. Diese Tendenzen sind in ihrer Widersprüchlichkeit außerordentlich irritierend und zeigen, daß neben dem tiefsitzenden Symbolsystem der Zweigeschlechtlichkeit auch das zivilgesellschaftliche „Deutungsmuster der Gleichheit“ (Helga Bilden) greift und Geltung beansprucht. Beide Deutungsmuster -Differenz und Gleichheit -scheinen gegenwärtig in allen gesellschaftlichen Bereichen zu kollidieren und sich -in einem sehr ambivalenten Verweis aufeinander -neu zu formieren.
Die Wandlungsprozesse in den Erwerbsstrukturen der neuen und alten Länder der Bundesrepublik sind noch längst nicht abgeschlossen, im Gegenteil, sie dynamisieren sich in einem atemberaubenden Tempo. Dabei zeigt sich empirisch andererseits, daß strukturelle Asymmetrien in der Geschlechterordnung eine „selbstregulative“ Tendenz haben: Sie stellen sich trotz individueller „Widerständigkeiten“, entgegengesetzter subjektiver Interessen und partnerschaftlicher Orientierungen von Frauen und Männern her. Diesem strukturellen Zwang der Verhältnisse ist nur durch politisch-institutionelles Gegensteuern wirksam zu begegnen, vor allem in arbeitsmarktpolitischer Hinsicht. Schließt der Arbeitsmarkt hingegen Frauen zunehmend wieder aus statt ein, muß der Staat in wachsendem Maße Transferleistungen übernehmen, denn die über männliche Erwerbsarbeit zu erzielenden Haushaltseinkommen sind, wie sich zeigt, weder ausreichend existenzsichernd für Familien, noch sind sie stabil und verläßlich. Politischer Handlungsbedarf ist demnach nicht nur unter Gesichtspunkten von Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und der Durchsetzung des zivilgesellschaftlichen Musters der Gleichheit gegeben, sondern zunehmend auch aus Gründen der Finanzierbarkeit des Sozialstaates.
Fragen der Umverteilung von Arbeit, der Verteilungsgerechtigkeit im Geschlechterverhältnis und der Geschlechtersolidarität stehen allerdings mindestens schon seit 20 Jahren in der Bundesrepublik auf der politischen Tagesordnung. Parteien und Gewerkschaften haben diese Fragen in wirtschaftlich prosperierenderen Zeiten, zögerlich zwar und mit unterschiedlichem Gewicht, beispielsweise unter dem Stichwort „familienfreundliche Arbeitszeit“ aufgenommen. Aber in der Arbeitszeitpolitik hat sich der Wind gedreht, und vorbei sind die Zeiten, als die Gewerkschaften mit optimistischem Elan und breitem Rückhalt in der Gesellschaft für die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche kämpften und sogar streikten Mehr noch, „Globalisierung“ ist für Ulrich Beck „ein anderes Wort für Klassenkampf von oben“ andere sprechen von einer „Gegenoffensive der Arbeitgeber“ die die Neujustierung der tariflichen Arbeitszeitstandards betrifft. Angesichts dieser Entwicklungen ist es nicht leicht, die zeitgemäßen Gestaltungsfelder für Geschlechterpolitik zu definieren, und es versteht sich keinesfalls von selbst, daß unter diesen Bedingungen Frauenerwerbsarbeit eines der zentralen Gestaltungsfelder ist.
Die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland muß sich -wenn sie ihre Krise nicht auf Kosten von sozialem Konsens und sozialer Integration bewältigen will -auf einen neuen Gesellschaftsvertrag einer rationalen Verteilung des durch die Produktivitätssteigerung enorm gewachsenen Nettoprodukts verständigen. Das ist keine leicht zu lösende Aufgabe der Politik: Die mit einer solchen Orientierung notwendig verbundenen Einkommens-und Investitionsumverteilungen verlangen soziale Aus-handlungen, neue Formen zivilgesellschaftlicher Kompromißsuche und einen demokratischen „Brückendiskurs“ zwischen den Geschlechtern. Eine Rückkehr zu dem bekannten Muster der an das (männliche) Normalarbeitsverhältnis gebundenen Vollbeschäftigung der Nachkriegskonstellation wird es nicht mehr geben. Dennoch bleibt Vollbeschäftigung die zentrale strategische Aufgabe der Zukunft: Jedes Mitglied der Gesellschaft muß über ein selbsterwirtschaftetes und seine eigene Existenz sicherndes Einkommen verfügen können, ein Einkommen, das sich auf eine nützliche und öffentlich anerkannte Arbeit stützt. Die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit ist die Schlüsselfrage für die Zukunft des Geschlechter-und Generationenverhältnisses in der Bundesrepublik, und zwar in Ost und West.
Der langfristige wirtschaftliche Strukturwandel und der damit verbundene Trend zur Verringerung der Arbeitsplätze im industriellen zugunsten derjenigen im tertiären Sektor ist nicht umkehrbar. Relativ offen ist jedoch die Frage nach den sozialen Kosten bzw.den frauenpolitischen Beschäftigungseffekten dieses Wandels. Weitere Fehlentwicklungen sind unvermeidbar, bleibt der Strukturwandel weitgehend der marktradikalen Regulierung ausgesetzt. Demgegenüber könnte ein wirtschafts-und beschäftigungspolitisch geleiteter Ausbau des Dienstleistungssektors, vor allem des sozialen und kulturellen -bspw. im Freizeitbereich (Jugend-und Kultureinrichtungen), von sozialpädagogischen und -psychologischen Berufen (praktische Lebenshilfe) und im Bildungsbereich (Volkshochschulen, Bildungsakademien etc.) -, ein Weg neben anderen (wie etwa der Arbeitszeitverkürzung) sein, um zu einem neuen, stabilen ökonomischen Fundament zu kommen. Es sollte den Individuen einesteils eine eigenverantwortliche und nicht einfach nur alimentierte Lebensführung ermöglichen und andernteils zugleich erlauben, die Systeme der sozialen Sicherung unter den Bedingungen einer insgesamt hohen Produktivität umzubauen. Das heißt aber auch, daß eine „Neudefinition von Privat und Öffentlich und damit zugleich eine Neuverteilung von notwendigen Gemeinschaftsaufgaben zwischen den Geschlechtern in der Bundesrepublik“ dringend erforderlich ist. Es kommt nicht nur darauf an, Betreuungs-und Erziehungsleistungen als öffentliche Leistungen anzuerkennen und zu unterstützen und angesichts der von Grund auf „gewandelten Lebensmuster von Frauen dafür Sorge zu tragen, daß der Wegfall des Teiles der weiblichen Lebenszeit, der heute nicht mehr den , Familienpflichten 1 gewidmet sein kann, durch einen entsprechenden Zuwachs an väterlicher Fürsorge und Zeit ausgeglichen wird“ Vielmehr muß es -wie die Ergebnisse aus den neuen Bundesländern zeigen -verstärkt um die offensive Gestaltung sozialer Gerechtigkeit durch eine die Frauen integrierende Arbeitsmarktpolitik gehen. Wenn es nachweislich gerade nicht familienbedingte, sondern vornehmlich arbeitsmarktinduzierte Effekte sind, die Frauen aus dem Erwerbsprozeß dauerhaft hinauskatapultieren, dann muß an dieser Stelle politisch angesetzt werden, und zwar gerade nicht mit familienpolitischen Angeboten, die den Abdrängungsprozeß weiter forcieren, sondern durch Rahmenbedingungen, die Familie und Erwerbsarbeit für Frauen und Männer lebbar machen.