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Die Europäische Union nach Amsterdam: Stärkung ihrer Identität auf internationaler Ebene?. Zur Reform der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik der EU | APuZ 47/1997 | bpb.de

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APuZ 47/1997 Ist Europa schon reif für die Währungsunion? Der Euro vor der Einführung Der Amsterdamer Vertrag zur Reform der Europäischen Union. Ergebnisse, Fortschritte, Defizite Die Europäische Union nach Amsterdam: Stärkung ihrer Identität auf internationaler Ebene?. Zur Reform der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik der EU

Die Europäische Union nach Amsterdam: Stärkung ihrer Identität auf internationaler Ebene?. Zur Reform der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik der EU

Christian Pippan

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Zusammenfassung

Der Maastrichter Vertrag über die Europäische Union hatte die Behauptung der Identität der Union auf internationaler Ebene zu einem ausdrücklichen Vertragsziel erklärt, das vor allem durch die Führung einer Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik (GASP) erreicht werden sollte. Die konkrete Ausgestaltung der GASP erwies sich jedoch in zahlreichen Punkten als wenig geeignet, der Umsetzung dieses normierten Vertragsziels förderlich zu sein. Das Fehlen einer präzisen Definition gemeinsamer Interessen, das Erfordernis der Einstimmigkeit bei allen wesentlichen Beschlüssen, ungelöste Finanzierungsfragen, mangelnde Repräsentanz nach außen und fehlender politischer Wille zur gemeinsamen Lösung außenpolitischer Probleme wurden als hauptsächliche Mängel genannt. Der Vertrag von Amsterdam gewährleistet nicht von sich aus die Behauptung einer internationalen Identität der Union, er liefert dafür aber im Vergleich zum Maastrichter Vertrag doch deutlich bessere Voraussetzungen.

I. Von Maastricht zu Amsterdam

Der im Februar 1992 in Maastricht abgeschlossene Vertrag über die Europäische Union (EUV) hatte bereits in seiner Präambel das Bekenntnis der Staats-und Regierungschefs der Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht, „die Identität und Unabhängigkeit Europas zu stärken, um Frieden, Sicherheit und Fortschritt in Europa und in der Welt zu fördern“. Die neu geschaffene Europäische Union sollte dementsprechend die Bildung einer eigenständigen „Identität auf internationaler Ebene“ zum erklärten Ziel haben (Art. B EUV), deren Behauptung nach außen vor allem durch eine Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik (GASP) gewährleistet werden sollte. Die rechtliche Ausgestaltung sowie praktische Umsetzung der in Titel V des Unionsvertrages verankerten Bestimmungen zur GASP der Union (der sogenannten 2. Säule des EUV) waren in der Folge freilich vielfacher Kritik ausgesetzt. Zu zahnlos schienen die Bestimmungen der Art. J bis J. ll des Vertrages und zu schwerfällig die dort vorgesehenen Verfahren und Instrumente zu sein, um am oft zitierten Bild EU-Europas, wonach dieses sich ökonomisch als Riese, politisch jedoch als Zwerg darstelle, Entscheidendes ändern zu können. Wenngleich sich das rechtliche Instrumentarium der ausschließlich intergouvernemental verfaßten GASP in Einzelfällen für die Bündelung der verschiedenen mitgliedstaatlichen Auffassungen zu bestimmten außen-und sicherheitspolitischen Fragen als durchaus nützlich erwies, so konnte es doch nicht eine konsistente Präsenz der Europäischen Union als global player in der internationalen Arena gewährleisten. Dies wurde insbesondere deutlich, wenn es um internationale Krisenfälle ging, die ein rasches und geschlossenes Handeln der Union verlangt hätten, wie etwa im Fall der Konflikte auf dem Boden des ehemaligen Jugoslawien oder zuletzt in der Albanien-Krise. Die Liste der seit dem Inkrafttreten des Unionsvertrages im November 1993 erlassenen „Gemeinsamen Standpunkte“ und „Gemeinsamen Aktionen“ -der beiden Hauptinstrumente der GASP -verdeutlicht zwar ein inzwischen relativ umfängliches außenpolitisches Engagement der EU, ihr konkreter Inhalt offenbart aber gleichzeitig, daß die entsprechenden Maßnahmen oft nur unter Zugrundelegung eines Minimalkonsenses getroffen werden konnten Zieht man zudem den Zeitpunkt der getroffenen Entscheidungen in Betracht, so zeigt sich auch, daß die Union in vielen Fällen eher reaktiv als aktiv agiert hat Die Behauptung einer selbstbewußt nach außen getragenen Identität der Europäischen Union im Wege der Verfolgung einer konsequenten Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik erscheint im Lichte der bisherigen Erfahrungen daher tatsächlich „eher Vorstellung denn Wille“ zu sein.

Auch der Vertragsentwurf von Amsterdam wurde von weiten Teilen der Öffentlichkeit und der Presse in ersten Reaktionen als ernüchternd bis enttäuschend eingestuft. Differenzierter sah allerdings das Europäische Parlament den neuen Vertrag, dessen Entwurf zwar insgesamt „hinter dem, was notwendig war“, zurückgeblieben sei, der aber doch „Fortschritte in einigen wichtigen Bereichen“ gebracht habe Mag es dem Parlament durchaus leichter gefallen sein, dem Vertrag von Amsterdam auch positive Seiten abzugewinnen, da es wegen der Vereinfachung und Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens im Vertrag über die Europäische Gemeinschaft (EGV) allgemein als institutioneller Hauptgewinner der Reformen betrachtet wird, so ist ihm in seiner Gesamteinschätzung doch grundsätzlich recht zu geben. Ebenso wie schon der EU-Gründungsvertrag von Maastricht verlangt auch das komplexe Amsterdamer Vertragswerk eine differenzierte Analyse, die das Terrain vereinfachender Beurteilungen verläßt und eine für jeden Sachbereich gesondert vorzunehmende Bewertung im Auge hat Dabei wird sich heraussteilen, daß dem Vertrag zwar unzweifelhaft Mängel anhaften, er jedoch den von Beginn an offenen Integrationsprozeß in manchen Bereichen auch ein Stück vorwärtsbringt

Vor diesem Hintergrund soll im folgenden schlaglichtartig der Frage nachgegangen werden, ob der nach dem Abschluß der Regierungskonferenz zur Revision des Maastrichter Vertrages in der Nacht vom 17. /18. Juni 1997 in Amsterdam überarbeitete Unionsvertrag das Potential besitzt, eine substantielle Änderung der bisher allgemein als bescheiden eingestuften Bilanz der GAS? der EU herbeizuführen. Unter Verzicht auf eine systematische Darlegung der rechtlichen Struktur der GASP, wie sie bereits vor Amsterdam bestand, liegt dabei der Schwerpunkt vor allem auf einer ersten Darstellung und Bewertung der im Entwurf vorgesehenen Änderungen und Ergänzungen in Titel V des Unionsvertrages. Grundlage der Erwägungen ist der Entwurf des Vertrages von Amsterdam, wie er der Öffentlichkeit am 19. Juni 1997 vorgestellt wurde Die konsolidierte Fassung des Vertrages, die anläßlich der Unterzeichnung des Textes am 2. Oktober 1997 vorgelegt wurde brachte freilich eine grundlegend neue Numerierung der Vertragsbestimmungen, die im folgenden bereits Berücksichtigung findet

II. Die Reform der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik

1. Stärkung der Kohärenz

Schon im Bericht der Reflexionsgruppe zur Vorbereitung der Regierungskonferenz vom Dezember 1995 war die Gestaltung einer „kohärenten Außenpolitik“ als besonderes Ziel der Vertragsrevision hervorgehoben worden Ein Jahr später bezeichnete der Vertragsentwurf des irischen Ratsvorsitzes (Dublin II) diesen Punkt als „eine der wichtigsten Prioritäten der Konferenz“ Das vorweg definierte Ziel der Schaffung einer kohärenten Außen-und Sicherheitspolitik deutete aber bereits an, worum es bei der Revision des Maastrichter Vertrages keinesfalls gehen sollte, nämlich um eine wie immer geartete Vergemeinschaftung des GASP-Bereichs oder auch nur von Teilen davon. Die seit den Tagen der Gründung der „Europäischen Politischen Zusammenarbeit“ („EPZ“) im Jahr 1970 festgeschriebene Trennung von außenpolitischer Kooperation im Rahmen der bis Maastricht auch so genannten, rein zwischenstaatlich organisierten „EPZ“ einerseits, und den supranationalen Verfahren im Rahmen der drei Gemeinschaften (EG, EGKS, EAG) andererseits sollte auch in Amsterdam nicht angetastet werden. Wie schon die 1986 mit der Einheitlichen Europäischen Akte vertraglich institutionalisierte „EPZ“ vor ihr, war und ist auch die in Maastricht eingerichtete und nun in Amsterdam überarbeitete GASP intergouvernemental verfaßt. Um die „statische Sicherung“ des insofern dual konstruierten Unionsgebäudes -bestehend aus einer supranationalen und zwei intergouvernementalen Säulen -zu gewährleisten, wurde sowohl die allgemein-politische Steuerungsfunktion des Europäischen Rates als auch die Einrichtung eines „einheitlichen institutionellen Rahmens“ vertraglich verankert Mit dem Begriff des „einheitlichen institutioneilen Rahmens“ wird die organmäßige Ausgestaltung der GASP angesprochen, nach der -mit Ausnahme des Gerichts-hofs -die wichtigsten Institutionen der Europäischen Gemeinschaften (Rat, Kommission, Parlament) mittels „Organleihe“ mit unterschiedlichen Befugnissen auch im Bereich der 2. Säule aufscheinen. Dadurch sollte insbesondere die Kohärenz des Handelns der Union nach außen erleichtert werden, für deren Sicherstellung sowohl die Kommission als auch der Rat in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen verantwortlich sind, d. h. auf Grund der entsprechenden Kompetenzordnungen die Kommission vor allem im Bereich der EG-Außenwirtschafts-und Entwicklungspolitik, der Rat hingegen in der allgemeinen Außen-und Sicherheitspolitik der EU.

In Amsterdam wurde durch eine Ergänzung in Art. C EUV (künftig Art. 3 EUV) dem Rat und der Kommission die Zusammenarbeit zur Sicherstellung des Kohärenzgebotes ausdrücklich aufgetragen, was die Stellung dieses Gebotes als grundlegendes Strukturprinzip der Union im allgemeinen und ihres außenpolitischen Handelns im besonderen abermals verdeutlicht Auch durch die verstärkte Einbeziehung der Kommission in den Bereich der GASP, in dem sie ja im Unterschied zur 1. Säule keinerlei Initiativmonopol besitzt, kann ein Mehr an Kohärenz erwartet werden; dies vor allem, da eine intergouvernementale Beschlußfassung im Bereich der GASP in vielen Fällen eine gemeinschaftsrechtliche Umsetzung im Rahmen der EG verlangt. Schon bisher konnte daher die Kommission von sich aus dem Rat GASP-relevante Vorschläge unterbreiten, nun kann der Rat die Kommission auch auffordern, ihm geeignete Vorschläge zur Gewährleistung der Durchführung einer gemeinsamen Aktion zu unterbreiten Ob mit diesem Aufforderungsrecht des Rates auch eine Pflicht zur Vorlage eines Vorschlags seitens der Kommission verbunden ist, erscheint allerdings zweifelhaft. Zur effizienteren Wahrnehmung ihrer außenpolitischen Aufgaben und Befugnisse wurde in einer Erklärung zur Schlußakte auch eine Neugliederung der Kommissionsdienststellen angeregt und insbesondere die Benennung eines „Vizepräsidenten für die Außenbeziehungen“ als wünschenswert bezeichnet

2. Positionierung der Union gegenüber den Mitgliedstaaten

Die GASP erstreckt sich schon heute auf sämtliche Bereiche der Außen-und Sicherheitspolitik, wenngleich ihrem Aufgabenbereich durch die in Art. J. l (künftig Art. 11 EUV) normierten Ziele Grenzen gesetzt sind Unklar bleibt jedoch, ob unter dem naturgemäß unbestimmten Begriff „Außenpolitik“ diejenige der EU oder diejenige der Mitgliedstaaten zu verstehen ist. In Art. J. l [1] des Maastrichter Vertrages heißt es, „die Union und ihre Mitgliedstaaten erarbeiten und verwirklichen eine Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik .. und in Abs. [2] wird die „Stärkung der Sicherheit der Union und ihrer Mitgliedstaaten“ zu einem der Ziele der GASP erkoren. Demgegenüber spricht Art. 11 [1] EUV in der Fassung des Entwurfs von Amsterdam ausdrücklich nur mehr von der Erarbeitung und Verwirklichung einer „GASP der Union“, streicht die „Stärkung der Sicherheit der Mitgliedstaaten“ aus dem Zielkatalog und führt die Wahrung der „Unversehrtheit der Union“ als neues Ziel ein. Die Mitgliedstaaten werden in Art. 11 [2] des neuen EUV nur mehr bezüglich ihrer Loyalitäts-und Solidaritätspflichten angesprochen. Erfolgt durch diese Neuformulierung der Ziele der GASP die Abkoppelung der EU von ihren Mitgliedstaaten, und wird sie damit zu einer selbständigen rechtlichen Einheit, der ein von ihren Mitgliedern getrennter Wille zuordenbar ist? Die Frage muß wegen der nach wie vor fehlenden ausdrücklichen Rechtssubjektivität der Union letztlich wohl verneint werden. Dennoch bringen die neuen Zielbestimmungen der GASP eine deutliche Betonung der Position der Union gegenüber ihren Mitgliedstaaten zum Ausdruck, was durchaus als Versuch der Stärkung der Identität der Union, jedenfalls im „systeminternen“ Bereich, gedeutet werden kann.

3. Repräsentanz der Union nach außen

Nach wie vor vertritt der Vorsitz (also die jeweilige Ratspräsidentschaft) die Union in Angelegenheiten der GASP nach außen. Er wird dabei nun aber vom Generalsekretär des Rates unterstützt, der künftig die Aufgabe eines „Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen-und Sicherheitspoli-tik“ übernimmt. In dieser Funktion trägt der Generalsekretär zur Formulierung, Vorbereitung und Durchführung politischer Entscheidungen bei und führt auf Ersuchen des Vorsitzes den politischen Dialog mit Drittstaaten. Der „Hohe Vertreter“ ersetzt künftig auch den Mitgliedstaat, der den vorhergehenden Vorsitz innehatte, in der sogenannten „Troika“. Diese wird nunmehr aus dem Vorsitz, dem Generalsekretär des Rates (der dabei von der Kommission unterstützt wird) und dem nachfolgenden Vorsitz gebildet. Wegen seiner lediglich unterstützenden und vertraglich eng umrissenen Funktionen ist der Generalsekretär/Hohe Vertreter nicht jener „EU-Außenminister“, der als „Mr. oder Mrs. GASP“ im Laufe der Regierungskonferenz mehrmals ins Spiel gebracht worden war; schon gar nicht kann seine Rolle etwa mit jener des Generalsekretärs der Vereinten Nationen oder der NATO verglichen werden. Eine gewisse Stärkung seiner Position ergibt sich allerdings aus der Tatsache, daß eine im Vertragsentwurf ebenfalls vorgesehene „Strategieplanungsund Frühwarneinheit“ (Erklärung zur Schlußakte) unter seiner Verantwortung im Generalsekretariat des Rates eingerichtet werden soll. Die neue Einheit wird unter anderem für die Überwachung und rechtzeitige Analyse sämtlicher in den GASP-Bereich fallender Entwicklungen zuständig sein und soll auf „Ereignisse und Situationen“, einschließlich potentieller politischer Krisen, frühzeitig hinweisen. Ihr Personal rekrutiert sich aus dem Generalsekretariat, den Mitgliedstaaten, der Kommission und der Westeuropäischen Union. Wie schon für die Arbeit des Generalsekretärs selbst, ist auch für dieses Gremium die Frage nach der konkreten Abgrenzung zu den Aufgaben des weiter bestehenden Politischen Komitees zu stellen. Die schon jetzt hinsichtlich der Vorbereitung von GASP-Aktivitäten bestehende unklare Konkurrenzsituation zwischen COREPER (Ausschuß der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten in Brüssel) und Politischem Komitee (Versammlung der Direktoren der Außenministerien der Mitgliedstaaten) wird nun noch angereichert durch die Befugnisse des Generalsekretärs und der unter seiner Verantwortung stehenden Strategieplanungseinheit. Insgesamt bleibt die Vertretung der Union nach außen wie bislang vielgestaltig. Zur Präsidentschaft und zur Kommission tritt nun noch der Hohe Vertreter der GASP Ob damit auf internationaler Ebene ein konsistenteres Bild des Ge-samtgebildes „Europäische Union“ vermittelt werden kann, bleibt fraglich. Ohne Zweifel wird aber mit dem Hohen Vertreter ein gewisses Element der Kontinuität in die GASP eingeführt, in der ja der Vorsitz und die Troika regelmäßig einem personellen Wechsel unterliegen.

4. Ausweitung des Handlungsinstrumentariums

Als Mittel zur Erreichung der Ziele der GASP nennt der Maastrichter Vertrag die „Grundsätze und allgemeinen Leitlinien“ des Europäischen Rates sowie die vom Rat zu beschließenden „Gemeinsamen Standpunkte“ und „Gemeinsamen Aktionen“. Der Vertrag von Amsterdam fügt diesen Handlungsformen noch eine weitere hinzu -die „Gemeinsame Strategie“ (Art. 13 EUV). Gemeinsame Strategien werden in Bereichen, in denen wichtige gemeinsame Interessen der Mitgliedstaaten bestehen, vom Europäischen Rat auf Vorschlag des Rates beschlossen; ihre Durchführung obliegt wiederum dem Rat, der dazu „insbesondere“ gemeinsame Standpunkte festlegt und zu gemeinsamen Aktionen beschließt. Diese beispielhafte Aufzählung der Durchführungsmaßnahmen zu gemeinsamen Strategien deutet darauf hin, daß dem Rat bei der Umsetzung des neuen Instruments das gesamte Spektrum außenpolitischer Handlungsformen offensteht, also auch jene, die nicht ausdrücklich im EU-Vertrag genannt sind, wie Erklärungen, Demarchen, Memoranda etc. Auch ist die Annahme einer gemeinsamen Aktion oder eines gemeinsamen Standpunkts künftig keinesfalls davon abhängig, ob eine gemeinsame Strategie des Europäischen Rates vorliegt oder nicht. Liegt diese allerdings vor, so hat sie der Rat mittels der traditionellen Handlungsinstrumente umzusetzen. Offen läßt die neue Regelung jedoch die Frage, mit welcher Mehrheit die „Empfehlung“ einer gemeinsamen Strategie durch den Rat zustande kommt auch bleibt unklar, wie weit das neue Steuerungsinstrument des Europäischen Rates reichen kann und soll; schließlich, wo die konkrete Abgrenzung zu den „Allgemeinen Leitlinien“ desselben Organs vorzunehmen ist, denn wie bisher werden sämtliche für die Durchführung der GASP erforderlichen Entscheidungen des Rates auf der Grundlage der allgemeinen Leitlinien des Europäischen Rates getroffen. Sind also mit der Umsetzung und Anwendung des neuen Instruments der gemeinsamen Strategie noch einige Fragen verbunden, die erst durch die künftige Praxis einer Lösung zugeführt werden müssen, so hat der Amsterdamer Vertragsentwurf immerhin eine im Vergleich zur jetzigen Situationdeutlich konkretere Definition der beiden anderen grundlegenden Handlungsinstrumente gebracht. Demnach betreffen gemeinsame Aktionen „spezifische Situationen, in denen eine operationeile Aktion für notwendig erachtet wird“ (Art. 14 EUV), während in gemeinsamen Standpunkten „das Konzept der Union für eine bestimmte Frage geographischer oder thematischer Art“ bestimmt wird (Art. 15 EUV) Gemeinsame Aktionen und gemeinsame Standpunkte der Union sind für die Mitgliedstaaten unmittelbar verbindlich, gemeinsame Strategien hingegen richten sich ausschließlich an die Union und nehmen daher direkt nur diese bzw.deren Organe in die Pflicht.

5. Revision des Entscheidungsverfahrens

Der neue Art. 23 EUV in dem das Verfahren der Beschlußfassung in der GASP nun zusammenfassend geregelt ist, unterscheidet zwischen grundlegenden außenpolitischen Beschlüssen und Maßnahmen zur praktischen Umsetzung dieser Beschlüsse. Bei ersteren wird das Einstimmigkeitsprinzip grundsätzlich beibehalten, letztere werden -das Fehlen eines ausdrücklichen Protests eines Mitgliedstaates aus „wichtigen Gründen der nationalen Politik“ vorausgesetzt -mit qualifizierter Mehrheit beschlossen. Dieses an sich einfache Konzept entpuppt sich bei näherer Betrachtung mitunter allerdings als schwer verdauliche Lektüre: Sämtliche auf der Ebene des Europäischen Rates getroffenen Entscheidungen verlangen zunächst wie bisher die Einstimmigkeit, dies gilt daher insbesondere auch für das neue Instrument der gemeinsamen Strategie. Auch der Rat beschließt grundsätzlich einstimmig. Eine Beschlußfassung mit qualifizierter Mehrheit reicht jedoch aus, wenn es um die Umsetzung einer gemeinsamen Strategie (in welcher Form auch immer) oder um einen Beschluß zur Durchführung einer gemeinsamen Aktion oder eines gemeinsamen Standpunktes geht. Eine Einschränkung dieser im Vergleich zur Rechtslage nach dem Maastrichter Vertrag nun grundsätzlich weiter gehenden Möglichkeit zur Fassung von Mehrheitsbeschlüssen ergibt sich jedoch aus der Einführung einer Blokkademöglichkeit für ein Mitglied des Rates, das sich auf „wichtige Gründe der nationalen Politik, die es auch nennen muß“, beruft. Nach dem Modell des bereits überholt geglaubten „Luxemburger Kompromisses“ unterbleibt in einem solchen Fall die Abstimmung; der Rat kann allenfalls mit qualifizierter Mehrheit die Verweisung der Frage zur einstimmigen Beschlußfassung an den Europäischen Rat beschließen, der damit gleichsam zu einer Art Streitschlichtungsinstanz mutiert. Bei Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen ist eine Beschlußfassung mit qualifizierter Mehrheit in jedem Fall ausgeschlossen.

Läßt die Neuregelung über die Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen im Amsterdamer Vertragsentwurf insgesamt eine nur spärliche Effizienzsteigerung der GASP erwarten, darf man auf die praktischen Auswirkungen der Einführung der sogenannten „konstruktiven Enthaltung“ bei Einstimmigkeitsbeschlüssen im Rat jedenfalls gespannt sein. Während bisher die Stimmenthaltung eines Mitgliedes das Zustandekommen eines einstimmigen Beschlusses in der GASP -im Unterschied zum EG-Vertrag -verhinderte, wird künftig nach Art. 23 [1] EUV durch eine Stimmenthaltung das Zustandekommen eines Beschlusses nicht mehr verhindert. Sich der Stimme förmlich enthaltende Mitglieder sind nicht verpflichtet, den Beschluß durchzuführen, „akzeptieren jedoch, daß der Beschluß für die Union bindend ist“. Die betreffenden Mitgliedstaaten sind auch nicht verpflichtet, „zur Finanzierung von Ausgaben für Maßnahmen mit militärischen und verteidigungspolitischen Bezügen beizutragen“ (Art. 28 [3] EUV). Diese Formulierung legt freilich den Schluß nahe, daß sich der Stimme enthaltende Mitglieder im Falle von Beschlüssen ohne militärische bzw. verteidigungspolitische Bezüge -damit in der großen Mehrzahl der Fälle -sehr wohl verpflichtet sind, die finanziellen Auswirkungen eines entsprechenden Ratsbeschlusses über das EG-Budget mitzutragen. Verfügen jedoch jene Ratsmitglieder, die sich der Stimme enthalten, über mehr als ein Drittel der nach dem Verfahren des EG-Vertrages gewogenen Stimmen, so kann ein Beschluß in keinem Fall zustande kommen. Ein insofern mit einer qualifizierten Minderheit abgelehnter Beschluß kann nach dem Wortlaut des Entwurfs auch dann nicht saniert werden, wenn die sich der Stimme enthaltenden Mitglieder den Beschluß zwar nicht mittragen können oder wollen, sie es jedoch jenen, für die das nicht zutrifft, nicht verweigern wollten, die in Frage stehende Maßnahme zu beschließen und durchzuführen. Aus integrationspolitischer Sicht erweist sich diese Regelung durchaus als sinnvoll. Sie gewährleistet eine substantielle Unterstützung der in der GASP getroffenen Entscheidungen durch eine deutliche Mehrheit der Ratsmitglieder und geht insofern im sensiblen Feld der Außen-und Sicherheitspolitik über die -im GASP-Bereich nicht anwendbare -allgemeine Flexibilitätsklausel des neuen Unionsvertrages hinaus, nach der es ausreicht, wenn „mindestens die Mehrheit der Mitgliedstaaten“ von der engeren Zusammenarbeit betroffen ist

Praktisch relevant wird die neue Regelung zur konstruktiven Enthaltung in der GASP immer dann werden, wenn es um die Annahme von gemeinsamen Standpunkten, gemeinsamen Aktionen oder anderen Beschlüssen außerhalb des Rahmens einer gemeinsamen Strategie geht, die Maßnahme also gleichsam „selbständig“ ergeht Im Fall der gemeinsamen Strategie selbst kommt eine konstruktive Enthaltung nicht in Betracht, da dieses Instrument im Europäischen Rat zur Beschlußfassung gelangt, der neue Art. 23 EUV sich aber nur auf das Entscheidungsverfahren im Rat bezieht. Eine Effizienzsteigerung durch die Einführung des Konzepts der konstruktiven Enthaltung ist daher nur zu erwarten, wenn die Definition und Anwendung des Instruments der gemeinsamen Strategie restriktiv erfolgen. Zu groß könnte sonst die Versuchung sein, durch die Einstufung einer geplanten Maßnahme als gemeinsame Strategie das Einstimmigkeitserfordernis zu erzwingen. Sofern es sich schließlich um Rechtshandlungen in Ausführung einer gemeinsamen Strategie oder zur Durchführung von gemeinsamen Standpunkten oder Aktionen handelt, erübrigt sich die Anwendung des Mechanismus der konstruktiven Enthaltung, da in diesen Fällen in Zukunft ohnehin mit Mehrstimmigkeit entschieden wird.

6. Vertragsschlußbefugnis

Anders als noch der irische Vertragsentwurf und das Addendum des niederländischen Vorsitzes enthält der Vertragsentwurf von Amsterdam keine ausdrückliche Bestimmung zur Rechtspersönlichkeit der Union. Insbesondere Großbritannien und Frankreich schienen die im Addendum gemachten Vorschläge zu weit zu gehen, wonach die Union mit eigenständiger Rechtspersönlichkeit als Nachfolgerin der drei Gemeinschaften an deren Stelle getreten wäre Damit erfährt auch die in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung intensiv geführte Debatte um die Rechtsnatur der EU ihre voraussehbare Fortsetzung. Nach bislang herrschender Meinung kommt der Union eine Völkerrechtssubjektivität trotz einer in dieser Hinsicht zumindest interpretationsbedürftigen Praxis grundsätzlich nicht zu, womit ihr auch die Einstufung als internationale Organisation im herkömmlichen Sinn verwehrt bleiben muß Diese, gemessen an den realen Erfordernissen ebenso wie an den damit verbundenen Verantwortlichkeits-und Zurechnungsproblemen, unbefriedigende rechtliche Situation hat durch den Amsterdamer Vertrag keine definitive Lösung erfahren. Vielmehr hat der Vertragsentwurf durch die Schaffung einer unionsrechtlichen Abschlußkompetenz für internationale Abkommen in den Bereichen der GASP und der Polizeilichen und Justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen bei gleichzeitiger Vorenthaltung einer allgemeinen Rechtspersönlichkeit der Union, für weitere Verwirrung in dieser Frage gesorgt. Soweit es die GASP betrifft und es zur Durchführung der sie regelnden Bestimmungen des Titels V erforderlich ist, kann der Rat künftig durch einstimmigen Beschluß den Vorsitz ermächtigen, Verhandlungen über den Abschluß völkerrechtlicher Übereinkünfte aufzunehmen. Auf Empfehlung des bei den Verhandlungen durch die Kommission unterstützten Vorsitzes kann der Rat sodann solche Übereinkünfte auf der Grundlage eines wiederum einstimmig zu fassenden Beschlusses abschließen. Da nach einer dem Vertrag beigefügten Erklärung diese Bestimmung sowie die auf ihrer Grundlage geschlossenen Übereinkünfte keine Übertragung von Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten auf die Union bewirken, wird der Regelung wohl eher der Charakter einer Verfahrens- als einer Kompetenznorm zuzuschreiben sein.

Wenngleich die nun gegebene Möglichkeit zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge in der 2. und 3. Säule grundsätzlich zu begrüßen ist, da sie zu einer Verstärkung der rechtlichen Position der Union im Außenverhältnis führt, so bleibt die völkerrechtliche Bedeutung und Einordnung der neuen Konstruktion durchaus fragwürdig. Die Auswirkungen der nun beschränkt eingeräumten Vertragsschlußkompetenz auf die Rechtsstellung der EU, die nach wie vor ohne förmliche Rechts-persönlichkeit auskommen muß, können hier nicht im einzelnen erörtert werden. Anzunehmen ist aber, daß die jetzige Regelung, zusammen mit der im neugeordneten Zielkatalog der GASP zum Ausdruck kommenden Aufwertung der Stellung der Union gegenüber ihren Mitgliedstaaten, jene argumentativ stärken wird, die schon bisher den Begriff der Internationalen Organisation für flexibel genug hielten, um auch die EU darunter subsumieren zu können

7. Klärung der Finanzierungsfrage

Eine wichtige Neuregelung betrifft die Frage der Finanzierung von GASP-Aktivitäten. In der Vergangenheit war stets unklar, ob die Finanzierung eines konkreten Vorhabens im Rahmen der GASP über den regulären Haushalt der EG oder mittels einer Sonderfinanzierung zu direkten Lasten der EU-Mitgliedstaaten erfolgen soll. Ein entsprechender Beschluß darüber war vom Rat jeweils im Einzelfall zu treffen, wobei es je nachdem, welches System zur Anwendung gelangte, zu unterschiedlichen finanziellen Belastungen eines Mitgliedstaates kam. Nunmehr stellt Art. 28 [3] EUV klar, daß auch alle operativen GASP-Ausgaben aus dem Haushalt der EG finanziert werden „mit Ausnahme der Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen und von Fällen, in denen der Rat einstimmig etwas anderes beschließt“. Diese Regelung ist nicht nur wegen der nun erfolgten Klärung der Finanzierungsfrage in bezug auf den Großteil der GASP-Aktivitäten zu begrüßen, sondern auch wegen der damit verbundenen Stärkung der Rolle des Europäischen Parlaments in der GASP, wodurch insbesondere bei eventuellen Mehrheitsbeschlüssen ein gewisses Element demokratischer Legitimation gesichert ist Nach den Grundsätzen des EG-Haushaltsverfahrens tritt das Parlament dem Rat als zweite Haushaltsbehörde gegenüber. Seine Einflußmöglichkeiten sind dabei bei jenen Ausgaben am größten, die sich nicht zwin­ gend aus dem Vertrag ergeben. Eine dem Amsterdamer Vertrag angefügte interinstitutionelle Vereinbarung stellt dementsprechend fest, daß alle GASP-Ausgaben dieser Kategorie zuzuordnen sind, sieht jedoch Sonderbestimmungen für die konkrete Zusammenarbeit von Rat und Parlament bei der Ausführung dieser Ausgaben vor.

8. Ausbau der Sicherheits-und Verteidigungsperspektive

Bis zuletzt war unklar, ob es in Amsterdam zu einer Stärkung der Verteidigungsdimension der GASP kommen kann. Insbesondere die Festlegung einer definitiven gemeinsamen Verteidigungspolitik der EU und die Frage einer weitestgehenden Integration der Westeuropäischen Union (WEU) in die Europäische Union waren während der gesamten Dauer der Regierungskonferenz umstritten gewesen. Beides hatte im Sinne eines schrittweisen Vorgehens sowohl der Entwurf Dublin II als auch das niederländische Addendum vorgesehen. Deutschland und Frankreich haben -zusammen mit Italien, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden -im Vorfeld von Amsterdam einen entsprechenden gemeinsamen Vorschlag zur WEU-Integration eingebracht Dieser „Sechs-Staaten-Entwurf“ scheiterte aber letztlich am Widerstand Großbritanniens und der Neutralen. Immerhin brachte Amsterdam aber eine Konkretisierung der Sicherheits-und Verteidigungsdimension der Union, welche auch die jedenfalls potentielle Möglichkeit zum Einsatz militärischer Mittel miteinschließt.

Im Gegensatz zum Wortlaut des Maastricht-Vertrages, nach dem die GASP zwar sämtliche Fragen der Sicherheit der Union umfaßt, die Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik jedoch erst „auf längere Sicht“ erfolgen soll, wird im Amsterdamer Vertragsentwurf deutlicher festgestellt, daß zu den Fragen, welche die Sicherheit der Union betreffen, „auch die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik“ gehört (Art. 17 [1] EUV) Eine gemeinsame Verteidigung wird jedoch nach wie vor -ungeachtet des neuen GASP-Ziels der „Unversehrtheit der Union“ -aus dem Bereich der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik ausgeklammert. Ähnlich umständlich wie schon bisher wird dazu festgehalten, daß die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik „zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte“, wenn der Europäische Rat dies beschließen und eine entsprechende Empfehlung an die Mitgliedstaaten richten sollte. Insoweit bleibt es also bei der rein perspektivischen Ausrichtung gemeinsamer Verteidigung. Das Handlungsfeld der so verstandenen „sämtlichen Fragen, welche die Sicherheit der Union betreffen“, wird in Art. 17 [2] EUV allerdings durch „humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen“ maßgeblich erweitert Diese Operationsfelder entsprechen den in der Petersberger Erklärung der WEU von 1992 genannten Aufgaben Zur operativen Umsetzung des neuen Handlungsinstrumentariums soll die EU denn auch auf die WEU zurückgreifen können, mit der dazu enge institutioneile Beziehungen gepflegt werden. Wie bisher ist die WEU zwar „integraler Bestandteil der Entwicklung der Union“, bleibt jedoch als selbständige Einheit außerhalb der EU erhalten. Das von einigen Mitgliedstaaten verfolgte Ziel der schrittweisen Einbeziehung der WEU in die Union wurde aufgegeben zugunsten der bloßen Möglichkeit einer Integration der WEU in die Union für den Fall, daß der Europäische Rat dies beschließt und den Mitgliedstaaten die Annahme eines solchen Beschlusses im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften empfiehlt (Art. 17 [1] EUV). Sowohl für die volle Integration der WEU in die Union als auch für die mit diesem Schritt zwangsläufig einhergehende Festlegung einer gemeinsamen Verteidigung sieht der Amsterdamer Vertrag somit ein Verfahren vor, das keine weitere förmliche Vertragsänderung mehr verlangt. Ein einstimmiger Beschluß des Europäischen Rates in Verbindung mit einer allfälligen Ratifikation durch die Mitgliedstaaten ist ausreichend. Bis auf weiteres ist die Union aber zur Durchführung der verteidigungspolitischen Aspekte der GASP auch weiterhin auf die Mitarbeit der WEU angewiesen. Anders als noch im Maastrichter Vertrag, nach dem die EU die WEU nur „ersuchen“ konnte, Entscheidungen und Aktionen mit verteidigungspolitischen Bezügen durchzuführen, heißt es jedoch nun, die Union „nimmt die WEU in Anspruch“, um entsprechende Beschlüsse auszuarbeiten und durchzuführen (Art. 17 [3] EUV). Mit dieser Formulierung sollte ein Ausgleich zwischen der bisherigen Regelung und dem insbesondere von Deutschland geforderten ausdrücklichen Weisungsrecht der EU gegenüber der WEU geschaffen werden. Eine gewisse hegemoniale Färbung ist der neuen Regelung freilich dennoch nicht abzusprechen, mag auch die Befugnis der EU zur „Inanspruchnahme“ der WEU weniger zwingend wirken als eine unmittelbare Weisungsbefugnis. Zusätzlich wurde eine Leitlinienkompetenz des Europäischen Rates gegenüber der WEU für all jene Angelegenheiten eingeführt, in denen die EU die WEU in Anspruch nimmt. Dies korrespondiert mit der allgemeinen Befugnis des Europäischen Rates, auch bei allen Fragen mit verteidigungspolitischen Bezügen im Rahmen der GASP die Grundsätze und allgemeinen Leitlinien der EU-Politik zu bestimmen, suggeriert aber fälschlicherweise, daß der Union gleichsam automatisch ein Verfügungsrecht über die WEU zusteht. Ebenso wie schon der Maastrichter Vertrag verlangt aber auch die jetzige Regelung eine ausdrückliche Zustimmung der in ihrem Bereich nach wie vor souveränen WEU, die inzwischen auch schon in die Wege geleitet wurde

Da nicht alle Mitgliedstaaten der EU auch gleichzeitig WEU-Mitglieder sind (Dänemark, Irland, Finnland, Schweden und Österreich besitzen Beobachterstatus), stellt sich die Frage nach der Beteiligung der der WEU nicht als Vollmitglieder angehörenden EU-Staaten. Der Amsterdamer Vertrag sieht diesbezüglich vor, daß sich sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Union „in vollem Umfang“ an der von der WEU vorzunehmenden Ausarbeitung und Durchführung von im Rahmen der GASP beschlossenen Petersberg-Missionen beteiligen können. Alle EU-Mitglieder, die sich den betreffenden Aufgaben anschließen, nehmen an der WEU-internen Planung und Beschlußfassung als gleichberechtigte Partner teil. Die dazu erforderlichen praktischen Regelungen werden vom Rat im Einvernehmen mit den Organen der WEU getroffen. Da GASP-Beschlüsse mit verteidigungspolitischen oder militärischen Bezügen im Rat stets Einstimmigkeit verlangen, ist auch im Falle einer Inanspruchnahme der WEU die Anwendung der „konstruktiven Enthaltung“ möglich, so daß nicht alle EU-Mitglieder an den geplanten Aktionen teilnehmen müssen, dies jedoch auf Wunsch auch dann tun können, wenn sie nicht Voll-mitglieder der WEU sind. Ob sich daher insbesondere die neutralen EU-Staaten an solchen Aktionen beteiligen oder nicht, bleibt letztlich ihrer politischen Einschätzung und ihren verfassungsrechtlichen Möglichkeiten überlassen.

Die Europäische Union selbst erhält durch die neuen Bestimmungen zweifelsohne die Möglichkeit, eine bedeutendere Stellung in der europäischen Sicherheitsarchitektur einzunehmen, als dies bisher der Fall war. Einem selbständigen militärischen Krisenmanagement der EU sind jedoch auch weiterhin enge Grenzen gezogen. Ähnlich wie für die „Petersberg-Missionen“ der WEU gilt auch für ein künftiges Tätigwerden der Union im Rahmen der neuen Handlungsfelder, daß diese sich ausschließlich auf Situationen und Maßnahmen außerhalb des Unionsgebietes beziehen. Zudem haben sämtliche Maßnahmen im Rahmen des neuen Art. 17 EUV voll kompatibel mit der im Rahmen der NATO festgelegten Sicherheits-und Verteidigungspolitik zu sein Schließlich ist die Union bei der operativen Umsetzung von Entscheidungen mit verteidigungspolitischen Bezügen auf die Unterstützung der WEU und damit letztlich auch auf jene der NATO angewiesen. Denn trotz des Bekenntnisses der Mitgliedstaaten der WEU in der Petersberger Erklärung von 1992 zur Stärkung der operativen Rolle des Bündnisses verfügt die WEU nach wie vor über keine oder nur unzureichende eigene militärische Mittel und Fähigkeiten. Seit den NATO-Beschlüssen vom Januar 1994 in Brüssel, die zuletzt vor allem durch die Entscheidungen des Nordatlantikrats vom Juni 1996 in Berlin und Brüssel bekräftigt und ausgebaut wurden besteht aber für die WEU die Möglichkeit, im Rahmen des CJTF-Konzepts der NATO (Combined Joint Task Forces) und nach Maßgabe des Grundsatzes der „trennbaren, jedoch nicht getrennten militärischen Fähigkeiten“ auf Ressourcen und Mittel der NATO zurückzugreifen. Die von der NATO angestrebte „Europäische Sicherheits-und Veteidigungsidentität“ soll es der WEU künftig ermöglichen, mit Unterstützung der NATO militärische Einsätze unter selbständiger politischer Kontrolle und strategischer Führung durchzuführen. Die WEU selbst hat mehrfach erklärt, bei der Durchführung von Petersberg-Aufgaben von der NATO-Offerte Gebrauch machen zu wollen Beschlüsse im Rahmen der GASP, die den Einsatz militärischer Mittel erforderlich machen, können also auch nach Amsterdam faktisch nur über die Schiene WEU-NATO eine operative Umsetzung erfahren.

III. Stärkung der internationalen Identität der Union?

Die Schwäche der GASP, wie sie durch den Maastrichter Vertrag 1992 eingerichtet worden war, ist im wesentlichen auf fünf Gründe zurückgeführt worden: das Fehlen einer präzisen Definition vitaler gemeinsamer Interessen; den auf Einstimmigkeit beruhenden Mechanismus der Entscheidungsfindung; das schwerfällige Finanzierungsverfahren; die mangelhafte Vertretung der Union nach außen; sowie den Mangel an politischem Willen, verbunden mit der Disharmonie nationaler Interessen Betrachtet man die Neuerungen des Amsterdamer Vertragsentwurfs, so läßt sich der Versuch einer effizienzsteigernden Weiterentwicklung der GASP vor dem Hintergrund der genannten Problemfelder durchaus erkennen. Gleichwohl hinterläßt die Lektüre des Amsterdamer Entwurfs mehr als einmal den Eindruck, die Reform sei auf halbem Wege steckengeblieben. Zwar können in Bereichen, in denen wichtige gemeinsame Interessen der Mitgliedstaaten bestehen, nunmehr „Gemeinsame Strategien“ verabschiedet werden, diese verbleiben jedoch in den Grenzen eines unscharf formulierten Zielkatalogs, dessen Zielauswahl nach wie vor eine wenig nachvollziehbare Einschränkung des Aktionsradius der GASP bewirkt. Ebenso wurde das Prinzip der Einstimmigkeit zwar in mehr Fällen als bisher durchbrochen, alle wesentlichen Entscheidungen werden aber auch in Zukunft nur im Konsens fallen können. Dies muß freilich nicht bedauert werden, solange eben zugegeben wird, daß es bei der GASP nach wie vor mehr um die Koordinierung nationaler Außenpolitiken als um die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik geht. Skeptischer mag da schon der Preis betrachtet werden, der für die Ausweitung der Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen zu bezahlen war, nämlich die Einbeziehung des Luxemburger Kompromisses -oder jedenfalls einer abgewandelten Form davon -in den Vertrag. Seine Konstruktion läuft, ebenso wie die Bestimmungen zur gemeinsamen Strategie oder zur gemeinsamen Verteidigungspolitik, auf eine beträchtliche Stärkung der Position des Europäischen Rates in der GASP hinaus, einem genuin intergouvernementalen Organ, in dem die Berücksichtigung nationaler Interessen das Maß aller Entscheidungen ist. Eine echte Verbesserung ist demgegenüber von den neuen Vorschriften über die Finanzierung von GASP-Maßnahmen zu erwarten, die nun klaren Vorgaben folgt. Gleiches kann von der Vertretung der Union nach außen nur schwer behauptet werden. Der „Hohe Vertreter“ für die GASP betritt zwar als ein neues Gesicht der Union die internationale Bühne, deren Erscheinungsbild nach außen bleibt jedoch auch weiterhin vielköpfig. Was schließlich den fehlenden politischen Willen anlangt, so ist hier nur zu wiederholen, was bereits an anderer Stelle zu Recht festgehalten wurde: „Gemeinsame europäische Außenpolitik hat politische Einheit nicht zur Folge, sondern zur Voraussetzung.“ Ohne den politischen Willen zur Gemeinsamkeit wird die Europäische Union daher -trotz der in Amsterdam erzielten Fortschritte -bei internationalen Krisenfällen, wie jenen im ehemaligen Jugoslawien, auch in Zukunft nicht zu einem raschen und effizienten Handeln in der Lage sein.

Die Behauptung der Identität der Union auf internationaler Ebene vermag auch der Vertrag von Amsterdam naturgemäß nicht allein aus sich heraus zu gewährleisten. Die offenbare Stärkung der Position der Union gegenüber den Mitgliedstaaten im neuformulierten Zielkatalog der GASP, die Maßnahmen zur Verbesserung der Kohärenz, die Einrichtung neuer Organe zur außenpolitischen Planung und Analyse und zur Vertretung der Union nach außen, die beschränkte Vertragsschlußbefugnis und die jedenfalls potentielle Eröffnung neuer Handlungsmöglichkeiten im Sicherheits-und Verteidigungsbereich sind jedoch grundsätzlich geeignet, zu einer Stärkung der Identität der Union nach außen beizutragen. Als größtes Hindernis mag sich in diesem Zusammenhang allerdings die Verweigerung einer eigenständigen Rechtspersönlichkeit für die Union erweisen, sofern deren implizites Vorliegen trotz der neuen Bestimmungen über eine eingeschränkte Vertragsschlußbefugnis wegen der eindeutig fehlenden Zustimmung der Mitgliedstaaten nicht angenommen wird. Dadurch wird eine selbständige, von den Mitgliedstaaten getrennte und nach außen gerich-tete Willensbildung der Europäischen Union erheblich erschwert, was dem normierten Ziel der Behauptung einer internationalen Identität der Union nach wie vor rechtlich zuwiderläuft. Freilich muß darauf hingewiesen werden, daß die Behauptung der Identität der EU nach außen keinesfalls nur von der Ausgestaltung und Führung der GASP abhängig ist, sondern auch -vielleicht sogar vor allem -von der Gestaltung der Außenbeziehungen der sich ebenfalls unter dem Dach der Union befindlichen Europäischen Gemeinschaft. Art. C des Unionsvertrages spricht denn auch als Aktionsfelder für außenpolitische Maßnahmen der Union sowohl die Außen-und Sicherheitspolitik als auch die Wirtschafts-und Entwicklungspolitik an. Letztere fallen in den primären Zuständgkeitsbereich der Gemeinschaft, und insbesondere die Außen-wirtschaftspolitik der EG ist für zahlreiche Drittstaaten um vieles bedeutender, als es Maßnahmen im Rahmen der GASP jemals sein können. Auch die gemeinschaftliche Entwicklungspolitik ist für die Staaten des Südens um vieles wichtiger als die Führung der GASP durch die'Union, mag es auch im Einzelfall zu Überlappungen kommen. Ausdrücklich hat daher etwa die Kommission in ihrem Grünbuch zur Neugestaltung der Lome-Partnerschaft mit den AKP-Staaten darauf hingewiesen, daß auch die Entwicklungszusammenarbeit „Teil der außenpolitischen Identität der Union“ ist „Die , europäische Identität , um die es sich in Wahrheit handelt, ist die politische Identität einer Europäischen Union“, schrieb Heinrich Schneider 1991 In der Transformation der Europäischen Gemeinschaft zu einer Europäischen Union sah er eine herausragende Chance für die Gemeinschaft, von einer „Zweckorganisation zum Management von Interdependenzproblemen“ zum Organ einer nach innen wie nach außen sichtbaren „ideellen Identität“ zu werden In Maastricht wurde diese Transformation begonnen, in Amsterdam wurde sie nun fortgeführt. Der Vertrag von Amsterdam bringt der Europäischen Union nicht jene „ideelle Identität“, die Schneider im Auge hatte und deren Behauptung auf internationaler Ebene eines der wesentlichsten Ziele der Union ist. Er bringt die Union der Verwirklichung dieser Vision allenfalls ein kleines Stück näher.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zwischen November 1993 und Juni 1997 wurden insgesamt 22 Gemeinsame Standpunkte und 18 Gemeinsame Aktionen angenommen.

  2. So dauerte es etwa nach dem Ausbruch der Unruhen in Albanien am 10. Februar 1997 sechs Wochen, bis sich die Außenminister der EU anläßlich des Ratstreffens vom 24. März -als Albanien bereits in Anarchie zu versinken drohte -zu ersten Maßnahmen durchringen konnten (Entsendung eines Expertenteams). Erst am 2. Juni 1997 erging schließlich ein Gemeinsamer Standpunkt zu Albanien betreffend humanitäre und finanzielle Hilfe sowie die Unterstützung bestimmter OSZE-, WEU-und Europaratsaktivitäten, vgl. ABI. L 153/97 vom 11. 6. 1997, S. 4.

  3. Vgl. Gerhard Hafner, Die Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik: eher Vorstellung denn Wille, in: Waldemar Hummer/Michael Schweizer (Hrsg.), Österreich und das Recht der Europäischen Union, Wien 1996, S. 123-148.

  4. Vgl. Europäisches Parlament (26. Juni 1997), Entschließung zur Tagung des Europäischen Rates vom 16. und 17. Juni in Amsterdam; wiedergegeben in: Agence Europe, Nr. 2044 vom 3. 7. 1997, S. 1.

  5. Zu einer differenzierten, „politikfeldspezifischen“ Betrachtung gelangt in einer Gesamtschau auch Wolfgang Wessels, Der Amsterdamer Vertrag -Durch Stückwerksreformen zu einer effizienten, erweiterten und föderalen Union?, in: Integration, 20 (1997), S. 117-135.

  6. Einen ersten systematischen Überblick über die durch Amsterdam eingetretenen Änderungen des Unionsvertrages liefern Stefan Griller/Dimitri P. Droutsas/Gerda Falkner/Katrin Forgö/Michael Nentwich, Regierungskonferenz 1996: Der Vertrag von Amsterdam in der Fassung des Gipfels vom Juni 1997, IEF Working Papier Nr. 27, Wien 1997.

  7. CONF/4001/97 vom 19. 6. 1997.

  8. CONF/4001/97 vom 2. 10. 1997.

  9. Die bisherigen Art. J-Art. J-ll EUV werden nach der vorliegenden konsolidierten Fassung des Vertrages von Amsterdam durch die neuen Art. 11-Art. 28 EUV ersetzt. Selbst nach seiner Unterzeichnung bedarf der neue Vertrag zu seiner Rechtsgültigkeit selbstverständlich noch der Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten gemäß deren verfassungsrechtlichen Vorschriften.

  10. Bericht der Reflexionsgruppe „Eine Strategie für Europa“, SN 520/1/95 vom 5. 12. 1995, S. 40 f.

  11. „Allgemeiner Rahmen für einen Entwurf zur Revision der Verträge“, CONF/2500/96 vom 5. 12. 1996, S. 63.

  12. Vgl. Elfriede Regelsberger/Philippe de Schoutheete de Tervarent/Wolfgang Wessels (Hrsg.), Foreign Policy of the European Union: Front EPC to CFSP and Beyond, Boulder -London 1997.

  13. Auch die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZJI) verblieb als „ 3. Säule“ bekanntlich im zwischenstaatlichen Regelungsbereich.

  14. Vgl. Günter Burghardt/Gerd Tebbe, Die Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik der Europäischen Union -Rechtliche Struktur und politischer Prozeß, in: Europarecht, 30 (1995), S. 1-20, 5.

  15. Vgl. Matthias Pechstein, Das Kohärenzgebot als entscheidende Integrationsdimension der Europäischen Union, in: Europarecht, 30 (1995), S. 247-258.

  16. Art. 14 [4] EUV neu bringt insofern eine weitere Präzisierung der programmatischen Feststellung im jetzigen Art. J. 9 (künftig Art. 27 EUV), wonach die Kommission „in vollem Umfang“ an den Arbeiten im Bereich der GASP beteiligt ist.

  17. Gegenwärtig sind vier Generaldirektionen der Kommission mit den politischen und wirtschaftlichen Außenbeziehungen der EG befaßt (DG I, DG IA, DG IB und DG VIII). Die für Außenstehende nicht leicht überblickbare Aufteilung folgt dabei sowohl thematischen wie geographischen Kriterien. Die Zuständigkeit für Angelegenheiten der Kommission im Rahmen der GASP teilen sich zur Zeit Kommissionspräsident Sanier und der auch für Mittel-und Osteuropa sowie die Länder der GUS zuständige Kommissar van den Broek (DG IA).

  18. Art. J. l nennt als Ziele die Wahrung der gemeinsamen Werte und grundlegenden Interessen, die Unabhängigkeit und Sicherheit der Union und ihrer Mitgliedstaaten, die Stärkung der internationalen Sicherheit und die Wahrung des Friedens, die Förderung der internationalen Zusammenarbeit sowie die Entwicklung und Stärkung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten.

  19. Der Rat hat künftig auch die vertraglich gesicherte Möglichkeit, für besondere politische Fragen einen „Sonderbeauftragten“ zu ernennen (Art. 18 [5] EUV). Hier folgt der Entwurf der bisherigen Praxis; vgl. zuletzt die gemeinsame Aktion vom 25. 11. 1996 betreffend die Ernennung eines EU-Sonderbeauftragten für den Nahost-Friedensprozeß, ABI. L 315/96 vom 4. 12. 1996, S. 2.

  20. Aufgrund der Regelung des neuen Art. J. 13 [1] ist dazu offenbar Einstimmigkeit im Rat erforderlich.

  21. Die bisherige Praxis entspricht diesem Schema nur teilweise. So sind in der Vergangenheit gemeinsame Standpunkte ergangen, die durchaus als eine operationeil ausgerichtete Antwort auf spezifische Situationen gewertet werden können, wie die Verhängung von Waffenembargos gegen den Sudan (1994) oder Afghanistan (1996). Andererseits wurden gemeinsame Aktionen angenommen, die zweifellos konzeptiv und mit geographischem oder thematischem Schwerpunkt versehen waren, etwa betreffend den Stabilitätspakt für Europa (1993) oder die Region der Großen Seen (1996).

  22. Die allgemeine Flexibilitätsklausel, die als neuer Titel VII in den EUV aufgenommen wird, soll -zusammen mit präzisierenden Bestimmungen im EG-Vertrag sowie in der 3. Säule -unter bestimmten Voraussetzungen die Begründung einer engeren Zusammenarbeit zwischen einzelnen Mitgliedstaaten ermöglichen, die sich dabei der Organe, Verfahren und Mechanismen der Verträge bedienen dürfen. In Zukunft werden Formen differenzierter Integration daher nicht nur in vertraglich ausdrücklich genannten Einzelfällen, sondern in nahezu allen Bereichen des EUV (theoretisch) möglich sein. Dies gilt in abgewandelter Form auch für die GASP, selbst wenn hier die Anwendung der Flexibilitätsklausel mangels ergänzender Bestimmungen nicht vorgesehen ist. Durch das Konzept der „konstruktiven Enthaltung“ sollte aber auch in der 2. Säule eine engere Zusammenarbeit zwischen einzelnen Mitgliedstaaten möglich sein.

  23. Auch bei der Empfehlung einer gemeinsamen Strategie durch den Rat ist eine „konstruktive Enthaltung“ denkbar.

  24. Demzufolge sollten die bestehenden Rechtspersönlichkeiten der drei Gemeinschaften sowie die Rechtspersönlichkeit der Union zu einer in der Union konzentrierten Rechtspersönlichkeit verschmelzen; vgl. Addendum zum allgemeinen Rahmen für einen Entwurf zur Revision der Verträge, CONF/2500/96 vom 20. 3. 1997, S. 46 ff. Eine überarbeitete Fassung des niederländischen Addendums bildete die Grundlage für die Verhandlungen in Amsterdam (CONF/4000/97 vom 12. 6. 1997).

  25. Vgl. etwa Matthias Pechstein, Rechtssubjektivität der Europäischen Union?, in: Europarecht, 31 (1996), S. 137144.

  26. Vgl. die neuen Art. 24 und Art. 38 EUV.

  27. Vgl. Werner Schroeder, Die Rechtsnatur der Europäischen Natur und verwandte Probleme, in: W. Hummer/M. Schweizer (Anm. 3), S. 3-22.

  28. Bloße Verwaltungsausgaben gingen schon bisher zu Lasten des EG-Budgets.

  29. Außerhalb der Finanzierungsfrage ist das Parlament in der GASP auch weiterhin auf Informations-und Anhörungsrechte beschränkt.

  30. Vgl. Agence Europe, Nr. 6941 vom 24725. 3. 1997, S. 4f.

  31. „In einer von den Mitgliedstaaten als angemessen erachteten Weise“ soll die zu schaffende gemeinsame Verteidigungspolitik auch durch eine rüstungspolitische Zusammenarbeit ergänzt werden (Art. 17 [1] EUV, letzter Satz).

  32. Schon heute können „Fragen mit verteidigungspolitischen Bezügen“ -zu denen grundsätzlich auch die jetzt in Art. 17 [2] EUV ausdrücklich genannten Aktionsfelder gezählt werden können -von der EU aufgegriffen und der WEU mit dem Ersuchen um Umsetzung vorgelegt werden. Tatsächlich sind die Handlungsmöglichkeiten der Union jedoch eingeschränkt, insbesondere, da nach Art. J. 4 [3] EUV die Annahme gemeinsamer Aktionen zur Behandlung solcher Fragen ausgeschlossen ist. Im Amsterdamer Vertrag wird diese Beschränkung nicht mehr erwähnt.

  33. Petersberger Erklärung der WEU vom 19. 6. 1992, in: Europa-Archiv, 47 (1992), D 479-D 485.

  34. Am 22. 7. 1997 wurde anläßlich einer Sondersitzung des WEU-Ministerrates der Entwurf einer „Erklärung zur Rolle der WEU und den Beziehungen zwischen der WEU und der EU sowie der NATO“ vorgestellt. Zur besseren Koordinierung sollen demnach unter anderem die jeweiligen Präsidentschaften von EU und WEU harmonisiert werden und die Sitzungen der Organe gemeinsam stattfinden. Die neue Analyseeinheit der EU soll zudem auf Einrichtungen der WEU zurückgreifen können; vgl. Neue Züricher Zeitung vom 23. 7. 1997, S. 3.

  35. Vgl. Art. 17 [1] EUV.

  36. Vgl. die Erklärungen des Nordatlantikrats (Außenminister) vom 3. 6. 1996 in Berlin und vom 13. 6. 1996 (Verteidigungsminister) in Brüssel.

  37. Vgl. die Erklärungen des WEU-Ministerrats von Birmingham vom 7. 5. 1996 und von Ostende vom 19. 11. 1996.

  38. Vgl. Mathias Jopp, Die Reform der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik -institutionelle Vorschläge und ihre Realisierungschancen, in: Integration, 18 (1995), S. 133 — 143.

  39. Alfred Mechtersheim. Zur Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1-2 (1996), S. 27-34, hier S. 29.

  40. Grünbuch über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, KOM(96) 570 endg. vom 20. 11. 1996, S. vii.

  41. Heinrich Schneider, Europäische Identität: Historische, kulturelle und politische Dimensionen, in: Integration, 14 (1991), S. 160-176, hier S. 160.

  42. Ebd„ S. 173.

Weitere Inhalte

Christian Pippan, Mag. iur., geb. 1967; Vertrags-und Projektassistent am Institut für Völkerrecht und internationale Beziehungen der Karl-Franzens-Universität Graz. Veröffentlichungen in juristischen Fachzeitschriften, u. a. im Austrian Journal of Public and International Law (AJPIL) und in der Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRVR).