I. Einleitung
Auf dem Gipfeltreffen in Amsterdam vom 16. bis 18. Juni 1997 haben die europäischen Staats-und Regierungschefs eine Reform der Unionsverträge (EUV und EGV) beschlossen. Diese geänderten Verträge wurden am 2. Oktober 1997 von den EU-Außenministern unterzeichnet, so daß nun die Ratifizierungsverfahren in den einzelnen Mitgliedstaaten in die Wege geleitet werden können.
Diese Reform des europäischen Integrationswerkes war bereits im Maastrichter Vertrag vom 7. Februar 1992 vorgesehen, um die weitreichenden Beschlüsse zur Schaffung einer Europäischen Union und der Wirtschafts-und Währungsunion zu überprüfen. Erheblicher Reformdruck hatte sich aber auch angesichts des Ende 1995 gefaßten Beschlusses, einige der mittel-und osteuropäischen Reformstaaten in die Gemeinschaft aufzunehmen, ergeben. Die künftige Osterweiterung rückte die Frage in den Vordergrund, wie die 1957 für sechs Mitgliedstaaten konzipierte EWG künftig mit 20 oder mehr Mitgliedstaaten und deutlich angestiegener innerer Heterogenität noch handlungsfähig bleiben kann. So hatte sich ein Großteil der äußerst umfangreichen und intensiven Reformvorarbeiten mit Aspekten institutioneller Neuerungen befaßt. Da solche institutionellen Neuerungen aber Macht und Einfluß in der Gemeinschaft neu verteilen und gewichten würden, war dieser Reformaspekt äußerst umstritten. Der fundamentale Dissens über Ausmaß und Stoß-richtung der nötigen Reformen war bereits an der Rezeption des Ende 1995 vorgelegten Westendorp-Berichts ablesbar; dieser in eineinhalbjähriger Arbeit von einer hochrangigen Reflexionsgruppe vorbereitete Bericht enthielt zwar eine große Anzahl ehrgeiziger und zugleich praktikabler Reformvorschläge, konnte unter den Mitgliedstaaten jedoch keinen Konsens stiften. Auch die am 29. März 1996 in Turin eingesetzte und mit dem Amsterdamer Gipfeltreffen beendete Regierungskonferenz war konstant von deutlichen Meinungsverschiedenheiten geprägt. Hinzu kam, daß die Auseinandersetzungen um die Konvergenzkriterien der Währungsunion die gesamte Reform-debatte überschattete.
Der „Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie zur Änderung einiger damit zusammenhängender Rechtsakte“ -so der offizielle Titel -hatte zunächst meist negative Reaktionen ausgelöst, weil das zentrale Reformziel institutioneller Veränderungen klar verfehlt wurde. Dennoch beinhaltet der neue Vertrag eine Vielzahl an Beschlüssen mit beachtlichem Innovationspotential. Die wichtigsten dieser Neuerungen sollen im folgenden vorgestellt und erläutert werden
II. Grundrechte, Nicht-Diskriminierung
Der neue Vertrag erhebt „die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit“ zu „allen Mitgliedstaaten gemeinsamen“ Rechtsgrundsätzen. Damit erfolgt im neu formulierten Artikel F EUV eine Aufwertung des gemeinschaftlichen Grundrechtsschutzes, der durch eine Betonung der sozialen Grundrechte im neuen Absatz 4 der Präambel ergänzt wird. Außerdem hat sich die Union mit Sanktionsmitteln gegen solche Mitgliedstaaten ausgestattet, die diese Rechtsgrundsätze verletzen. So kann der Europäische Rat künftig nach Zustimmung des Parlaments einstimmig eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der gemeinsamen Grundsätze feststellen und mit qualifizierter Mehrheit „bestimmte Rechte ... einschließlich der Stimmrechte des Vertreters der Regierung dieses Mitgliedstaates im Rat, aussetzen“ (Art. F 1 EUV). Dieses bemerkenswerte Sanktionsmittel, das auch im EGV eine Entsprechung findet (Art. 236), ist als Mahnung an künftige Unionsmitglieder gemeint, die Grundrechte penibel einzuhalten. Schließlich wird in den Artikeln 2 und 3 c EGV die Gleichbehandlung von Männern und Frauen und die Beseitigung von Ungleichheiten zur Aufgabe der Gemeinschaft erklärt.
In Fachkreisen wird scharf kritisiert, daß weder der Beitritt der Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention noch die Formulierung eines gemeinschaftlichen Grundrechtskatalogs erfolgt ist; angesichts des Selbstverständnisses der Union als „Wertegemeinschaft“ seien dies inakzeptable Defizite
III. Justiz und Inneres
Im Endstadium der schleppenden Verhandlungen der Regierungskonferenz hatte sich bereits abgezeichnet, daß allenfalls im Bereich der dritten Säule (Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres) nennenswerte Erfolge zu erreichen waren. Diese Richtung war im Rahmen der deutsch-französischen Zusammenarbeit, des sprichwörtlichen „Motors für Europa“, eingeschlagen worden, als Präsident Chirac und Kanzler Kohl im Juni 1996 die europapolitische Initiative ergriffen und bei den Partnerstaaten weitreichende Reformen im Bereich Sicherheit, Justiz und Inneres ein-geklagt hatten
In Amsterdam wurde eine weitgehende Vergemeinschaftung der dritten Säule und des Schengen-Abkommens beschlossen, d. h„ daß diese Politikbereiche in den vergleichsweise stark harmonisierten Bereich der ersten Säule, also in den EG-Ver-trag, überführt wurden. So wird im dritten Teil des EGV „Die Politiken der Gemeinschaft“ ein neuer Titel III a „Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend die Freizügigkeit“ eingefügt, der die Gemeinschaft zum „schrittweisen Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ befähigen soll. Laut Zusatzprotokollen müssen sich Goßbritannien, Irland und Dänemark an diesen Maßnahmen nicht beteiligen, haben aber jederzeit die Möglichkeit des „opting-in“
Die Fristen für die vollständige Eingliederung der Visa-, Asyl-, und Einwanderungspolitik sowie des Schengen-Abkommens in den Geltungsbereich des EGV sind großzügig bemessen; Innerhalb von fünf Jahren erläßt der Rat Maßnahmen zur „Gewährleistung der Freizügigkeit“, zu den „Kontrollen an den Außengrenzen, Asyl und Einwanderung sowie zur „Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität“ (Artikel 73 ia EGV), weiterhin auch „Maßnahmen im Bereich der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit“, die der Bekämpfung der Kriminalität dienen und auf ein „hohes Maß an Sicherheit abstellen“ (Artikel 73 ie). Neben den Inhalten des Schengen-Abkommens, das recht lapidar in Artikel 73 j vergemeinschaftet wird sind somit auch alle Fragen der Grenzkontrollen, der Visa-, Asyl-, Flüchtlings-und Einwanderungspolitik (Art. 73 k) während der Übergangsfrist der einstimmigen Beschlußfassung des Rats unterworfen, der „auf Vorschlag der Kommission oder auf Initiative eines Mitgliedstaates und nach Anhörung des Europäischen Parlaments“ tätig wird. Nach Ablauf der Fünfjahresfrist entfällt automatisch das Ko-Initiativrecht der Mitgliedstaaten. Zu diesem Zeitpunkt muß auch der Rat einstimmig beschließen, in welchen Bereichen der gemeinsamen Innen-und Rechtspolitik zu Mehrheitsentscheiden und einer besseren Beteiligung des Europäischen Parlaments im Rahmen des Mitenscheidungsverfahrens übergegangen werden kann; nur bei der Visapolitik wird dieser Übergang automatisch erfolgen (Art. 73 o Abs. 2 u. 3). Das Verfahren des Artikel 189 b EGV räumt dem Parlament vergleichsweise große Gestaltungsspielräume ein, zumal seine Überarbeitung im Amsterdamer Vertrag zu größerer Effizienz der Parlamentsarbeit führen dürfte. Allem Anschein nach versuchte die Regierungskonferenz hier, der vorübergehenden, aber massiven Beschneidung der Parlamentsrechte und des Initiativrechts der Kommission sowie den nur beschränkten Zuständigkeiten des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in diesen so sensiblen Politikbereichen durch die Inaussichtstellung einer demokratische-ren Zukunft die nötige Akzeptanz zu verschaffen. Für die kommenden fünf Jahre gelten folglich im neu vergemeinschafteten Bereich des Titel III a Regeln, die sich deutlich von den ansonsten in der ersten Säule gültigen unterscheiden
Durch die Überführung zentraler Bereiche der bisherigen gemeinsamen Innen-und Justizpolitik in die erste Säule hat sich die materielle Basis der verbleibenden dritten Säule naturgemäß merklich verringert; diese umfaßt künftig schwerpunktmäßig Belange des Strafrechts und der polizeilichen Zusammenarbeit. In Titel VI EUV „Bestimmungen über die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen“ werden deutlich effizientere Verfahren geschaffen: Mußte bisher in der dritten Säule vorrangig mit Hilfe von ratifizierungspflichtigen Übereinkommen gearbeitet werden so steht hier jetzt ein neues, der Richtlinie des EG-Vertrags nachgebildetes Instrument, der sogenannte Rahmenbeschluß, zur Verfügung. Hier ist künftig das Parlament anzuhören, die Zuständigkeit des EuGH hängt jedoch vom Einverständnis des einzelnen Mitgliedstaates ab (Art. K 7 EUV). Verfügten bisher in der dritten Säule allein die Mitgliedstaaten über das Initiativrecht, so hat nun auch die Kommission hieran teil. Artikel K 2 Abs. 2 EUV beauftragt den Rat, innerhalb von fünf Jahren das Europäische Polizeiamt Europol mit operativen Befugnissen auszustatten, insbesondere die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zu erweitern und zu erleichtern. Auch die justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen soll wesentlich vertieft werden. So wird die Entwicklung gemeinsamer strafrechtlicher Grundsätze und Tatbestandsmerkmale in Aussicht gestellt (Art. K 3 e EUV). Schließlich ermöglicht Artikel K 12 EUV eine engere Zusammenarbeit (vgl. dazu weiter unten) in diesen Politikbereichen.
Auch wenn die neue, gestärkte und verschlankte dritte Säule erst noch mit Leben gefüllt werden muß, stellen die erzielten Neuerungen eine wesentliche Verbesserung zum Status quo dar. Die Öffentlichkeit und die Parlamente auf mitglied-staatlicher und europäischer Ebene werden aber dafür Sorge zu tragen haben, daß die künftige gemeinsame Rechts-und Innenpolitik, insbesondere die Befugnisse von Europol rechtsstaatlichen Kriterien voll genügen.
IV. Beschäftigungs-und Sozialpolitik
Auf große, meist kritische Resonanz ist hierzulande der Beschluß zugunsten einer gemeinsamen, konzertierten europäischen Beschäftigungspolitik gestoßen. Auf das Drängen mehrerer Mitgliedstaaten, insbesondere Frankreichs unter dem neuen sozialistischen Premierminister Jospin, hin wurde die Zielbestimmung eines hohen Beschäftigungsniveaus sowie ein eigenes Beschäftigungskapitel in den Amsterdamer Vertrag aufgenommen. Neben der Erwähnung beschäftigungspolitischer Ziele in der allgemeinen Zielbestimmung des Artikel B EUV sowie in der Aufgabenbestimmung der Artikel 2 und 3 EGV bekennen sich die Mitgliedstaaten auch im neuen Titel VI a des EGV zur „Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie“ und zur „Förderung der Qualifizierung, Ausbildung und Flexibilität der Arbeitnehmer“ (Art. 109 n). Daß es sich ausschließlich um „weiche“ Politikinstrumente handelt, wird in den weiteren Bestimmungen deutlich: „Die Mitgliedstaaten betrachten die Förderung der Beschäftigung als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse und stimmen ihre diesbezüglichen Tätigkeiten ... im Rat aufeinander ab“ heißt es in Artikel 109 o, und weiter: „Die Gemeinschaft trägt zu einem hohen Beschäftigungsniveau bei, indem sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und deren Maßnahmen in diesem Bereich unterstützt und erforderlichenfalls ergänzt“ (Art. 109 p). Es wird ein Beschäftigungsausschuß eingerichtet, der die einschlägigen Politiken der Mitgliedstaaten durch Stellungnahmen begleitet (Art. 109 s). Auf dem Luxemburger Sondergipfel Ende November sollen erstmals beschäftigungspolitische Koordinationsstrategien diskutiert werden Der künftigen gemeinsamen Beschäftigungspolitik werden jedoch keine eigenen Mittel zur Verfügung gestellt, allenfalls werden Umschichtungen aus den üppigen Struktur-und Regionalfonds vorgenommen; auch Kredite der Europäischen Investitionsbank könnten herangezogen werden. Insbesondere die Bundesregierung hatte sich mit Erfolg gegen EG-weite milliardenschwere Arbeitsbeschaffungsprogramme gewehrt. Das neue Beschäftigungskapitel kann vermutlich allenfalls Politik und Wirtschaft zu mehr Verantwortung und Solidarität mit den rund 18 Millionen Arbeitslosen in der Union aufrufen -„kein Patentrezept für mehr Jobs“
In den geänderten Artikeln 117-120 EGV wird das Europäische Sozialabkommen in den EG-Bereich übernommen. Das Abkommen war während der Verhandlungen zum Maastrichter Vertrag das größte Hindernis gewesen, da Großbritannien eine sozialpolitische Gemeinschaftskompetenz kategorisch ablehnte -so hatte es 1989 auch die Sozialcharta nicht unterzeichnet. Erst der Machtwechsel in London im Mai 1997 brachte den Kurs-wechsel, der die Vergemeinschaftung des Sozialabkommens ermöglichte.
Künftig kann der Rat gemäß dem Verfahren des Artikel 189 b EGV (Mitentscheidung) in einigen Bereichen -wie bei den Arbeitsbedingungen, dem Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und der Bekämpfung sozialer Ausgrenzung -sozialpolitische Mindestvorschriften erlassen (Art. 118 Abs. 2); bei beschäftigungspolitischen Belangen, bei Fragen der Arbeitnehmervertretung sowie beim sozialen Schutz der Arbeitnehmer ist allerdings Einstimmigkeit gefordert (Art. 118 Abs. 3). Insgesamt bleibt dieser Politikbereich recht unverbindlich, da mehrfach auf die in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen und technischen Regelungen verwiesen wird.
V. Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik
Mit Sicherheit war es eines der dringlichsten Anliegen der Regierungskonferenz, bei der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik (GASP) der Union substantielle Fortschritte zu erreichen, denn die ungenügende Ausgestaltung dieses Politikfeldes im Maastricht-Vertrag hat dem internationalen Ansehen der Europäischen Union in hohem Maße geschadet -man denke an ihr klägliches Versagen in Bosnien. So hatte auch die erste Initiative, die Kanzler Kohl gemeinsam mit Staatspräsident Chirac anstieß, vorrangig dieses Ziel vor Augen. In ihrem Baden-Badener Brief vom 7. Dezember 1995 hatten sie den Ausbau und die Vertiefung der GASP gefordert und konkrete Vorschläge unterbreitet, die in der Regierungskonferenz intensiv diskutiert wurden.
In der Tat beinhalten die neuen Regelungen des Amsterdamer Vertrags wichtige Veränderungen der GASP, die eine Verfeinerung des Instrumentariums bedeuten und die Möglichkeit flexibilisierter Zusammenarbeit eröffnen. Artikel J 2 EUV legt einen hierarchischen Instrumentenkatalog fest, wobei die „Bestimmung der Grundsätze und der allgemeinen Leitlinien“ sowie die -neu eingeführte -„gemeinsame Strategie“ vom Europäischen Rat im Konsens, also einstimmig beschlossen werden müssen. Die niederrangigeren Instrumente der „gemeinsamen Aktion“ und des „gemeinsamen Standpunktes“ werden vom Rat mit qualifizierter Mehrheit angenommen. Neben der Aufwertung des Europäischen Rats ist eine weitere Verbesserung im Vergleich zum Maastrichter Vertrag in der präziseren Definition der einzelnen Instrumente in Artikel J 3, 4 und 5 EUV zu sehen.
Diese Fortschritte konnten jedoch nur erreicht werden, weil den Mitgliedstaaten zweifacher Schutz vor unliebsamen GASP-Beschlüssen der Partnerstaaten eingeräumt wurde So bestimmt Artikel J 13 Abs. 1, daß der Rat seine Beschlüsse zwar einstimmig faßt, dem einzelnen Mitgliedstaat wird aber ermöglicht, eine sogenannte „konstruktive Enthaltung“ zu praktizieren. In diesem Falle ist er „nicht verpflichtet, den Beschluß durchzuführen, akzeptiert jedoch, daß der Beschluß für die Union bindend ist. Im Geiste gegenseitiger Solidarität unterläßt der betreffende Mitgliedstaat alles, was das ... Vorgehen der Union beeinträchtigen oder behindern könnte“. Übt ein Mitgliedstaat konstruktive Enthaltung, so kann der Rat mit Zweidrittelmehrheit entscheiden; dies bedeutet eine Flexibilisierung der GASP. Eine zweite Schutzmaßnahme zugunsten des einzelnen Mitgliedstaates wurde insofern geschaffen, als bei Beschlüssen über gemeinsame Aktionen und Standpunkte „ein begründungspflichtiges Veto in der Tradition des Luxemburger Kompromisses“ besteht „Erklärt ein Mitglied des Rates, daß es aus wichtigen Gründen der nationalen Politik, die es auch nennen muß, die Annahme eines mit qualifizierter Mehrheit zu fassenden Beschlusses abzulehnen beabsichtigt, so erfolgt keine Abstimmung“ (Art. J 13 Abs. 2). In diesem Fall kann der Rat jedoch die Materie „zur einstimmigen Beschlußfassung“ an den Europäischen Rat verweisen.
Schließlich wurde auch die institutioneile Ausstattung der GASP verbessert. In ihrem bereits erwähnten gemeinsamen Brief vom 7. Dezember 1995 hatten Chirac und Kohl eine größere „Sichtbarkeit/visibilite“ der GASP gefordert, die Europas Machtanspruch weltweit besser Gehör verschaffen könnte. Doch in der Regierungskonferenz stritt man ausgiebig darüber, ob dieses Ziel besser durch die Berufung einer hochrangigen Persönlichkeit zum GASP-Repräsentanten erreicht würde -das wäre die französische Konzeption eines Monsieur PESC (Politique exterieure et de securite commune) -oder ob der Union mit der Ernennung eines niedriger plazierten Generalsekretärs besser gedient wäre; letzteres war die Position Deutschlands In Amsterdam einigte man sich darauf, den Generalsekretär des Rates mit der „Aufgabe eines Hohen Vertreters für die GASP“ zu betrauen. Zusammen mit dem Ratsvorsitzenden und dem Präsidenten der Kommission bildet er nun die reformierte Troika. Schließlich soll der effiziente Einsatz des verfeinerten GASP-Instrumentariums durch die Schaffung einer neuen „Strategieplanungs-und Frühwarneinheit“ gewährleistet werden. Eine Erklärung benennt ausführlich die Aufgaben dieser Einheit.
Erwähnenswert sind weiterhin die Neuerungen im GASP-Titel, die sich auf eine gemeinsame Verteidigungspolitik beziehen. Hier ist einerseits der Wille der „Herren der Verträge“ zu erkennen, dieses Politikfeld in die GASP zu integrieren und die Westeuropäische Union (WEU) zum Instrument europäischer Verteidigungsanstrengungen auszubauen -durch die Übernahme der sogenannten Petersberg-Aufgaben in die GASP bindet sich die Union explizit an die operativen Kapazitäten der WEU. Andererseits jedoch wird klar herausgestellt, daß eine solche Integration einen Konsens unter den Mitgliedstaaten voraussetzt, der in
Amsterdam insbesondere wegen der ablehnenden Haltung Großbritanniens noch nicht gegeben war So heißt es zwar, daß der europäische Rat die allgemeinen Leitlinien der GASP „auch bei Fragen mit verteidigungspolitischen Bezügen“ bestimmt, und es wird wiederholt, daß die WEU „integraler Bestandteil der Entwicklung der Union“ ist (Art. J Abs. 1). Diese Norm bekennt auch, daß die GASP sämtliche Sicherheitsfragen der Union betrifft, „wozu auch die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik ... gehört, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte“. Die Conditio sine qua non wird jedoch im selben Satz formuliert: .. wenn der Europäische Rat dies beschließen sollte“. Da dies -wie bereits betont -derzeit nicht absehbar ist, wird die Verteidigungspolitik wohl das privilegierte Anwendungsfeld der im Vertrag eröffneten Möglichkeiten zur Flexibilität werden.
VI. Engere Zusammenarbeit -Flexibilität
Die bedeutsamste Neuerung von Amsterdam ist in der Einfügung mehrerer Flexibilisierungsklauseln in die Verträge zu sehen. Denn wenn auch schon in der Vergangenheit in einzelnen Bereichen flexible, d. h. nicht alle Mitgliedstaaten in gleicher Weise bindende Beschlüsse und Maßnahmen möglich waren -man denke an die Sozialcharta und die Währungsunion -, so galt doch bisher die gleichzeitige und einheitliche Harmonisierung vergemeinschafteter Politikbereiche als die dominante Integrationsmethode. Mit dem Flexibilisierungskonzept hingegen wird eine neue, auf Differenzierung und Abstufung basierende Integrationslogik begründet.
Angesichts ungenügender Integrationsfähigkeit bzw. mangelnden Integrationswillens einzelner Mitgliedstaaten wird in politischen und wissenschaftlichen Kreisen seit langem über verschiedene Modalitäten einer abgestuften oder differenzierten Integration, über ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten diskutiert Auch diese Thematik wurde durch den Baden-Badener Brief Chiracs und Kohls Ende 1995 auf die Agenda der Regierungskonferenz gesetzt, hatten die beiden sich doch damals schon für eine Regelung engagiert, die es künftig „den Staaten, die dies wünschen, ermöglicht, im einheitlichen institutioneilen Rahmen der Union eine verstärkte Zusammenarbeit zu entwickeln“. Nach einer positiven Rezeption der Partnerstaaten richteten die Außenminister de Charette und Kinkel am 17. Oktober 1996 einen gemeinsamen Brief an Kommissionspräsident Sanier, der dem Konzept handhabbare Konturen verlieh. So hieß es in dem Dokument, daß die Flexibilisierung „eine Fortsetzung des Prozesses der Vertiefung des europäischen Einigungswerkes ermöglichen“ soll und mithin „nur nach vorne gerichtet“ sein dürfe. Verstärkte Zusammenarbeit soll „in allen drei Säulen (EG-Vertrag, GASP, Justiz und Inneres)“ ermöglicht werden Der deutsch-französische Diskussionsbeitrag wurde in den irischen „Vertragsentwurfrahmen“ aufgenommen, und unter niederländischer Ratspräsidentschaft weiter entwickelt.
Diese Vorgaben wurden vom Amsterdamer Gipfel aufgegriffen und zu einer neuen, flexiblen Integrationsmethode ausgebaut, die ihren Niederschlag an verschiedenen Stellen des Vertrags gefunden hat. So ist zum ersten eine Generalklausel „Bestimmungen über eine engere Zusammenarbeit“ als Titel VI a in den Unionsvertrag aufgenommen worden. Artikel K 15 bis K 17 EUV präzisieren die Modalitäten einer Inanspruchnahme der Flexibilität, die mindestens die Mehrheit der Mitgliedstaaten umfassen muß. Die Initiative für solch eine engere Zusammenarbeit liegt allein bei den Mitgliedstaaten. Artikel K 16 präzisiert, daß zwar alle Mitgliedstaaten an den Beratungen zu einer verstärkten Zusammenarbeit teilnehmen können, daß jedoch nur die Vertreter der an der Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten die Beschlüsse fassen. Die in Frage kommenden Regeln der Beschlußfassung, die qualifizierte Mehrheit und die Einstimmigkeit, beziehen sich „allein auf die betroffenen Mitglieder des Rats“ (Art. K 16 Abs. 1). Damit besitzen die an einer engeren Zusammenarbeit nicht beteiligten Mitgliedstaaten keine Vetomacht, auch dürfen sie „deren Durchführung nicht im Wege“ stehen (Art. K 15 Abs. 2). Rat und Kommission müssen das Parlament regelmäßig über die Entwicklung einer engeren Zusammenarbeit unterrichten.
Diese Generalklausel des Titel VI a bezieht sich theoretisch auf die zweite und dritte Säule. Da in der stark veränderten dritten Säule mit Artikel K 12 eine Spezialklausel zur Begründung einer engeren Zusammenarbeit verankert wurde, beschränkt sich die Anwendbarkeit der Generalklausel im wesentlichen auf die GASP, insbesondere -wie schon erwähnt -auf verteidigungs-und rüstungspolitische Kooperationsprojekte.
Die Flexibilität wurde jedoch auch in einem neuen Artikel 5 a des EG-Vertrags festgehalten. Somit können sich künftig selbst im Kern-und Herzstück der europäischen Integration Gruppen von Mitgliedstaaten zur engeren Zusammenarbeit entschließen. Da die potentiell desintegrativen Wirkungen der Flexibilität offensichtlich sind, werden hier recht restriktive Voraussetzungen geschaffen, insbesondere darf engere Zusammenarbeit die Gemeinschaftspolitik nicht beeinträchtigen und die Wettbewerbsbedingungen zwischen den Mitgliedstaaten nicht verzerren (Art. 5 a Abs. 1 EGV).
Im Unterschied zur Generalklausel des EUV wird in der Flexibilitätsklausel des EGV dem Mitglied-staat ein Vetorecht eingeräumt, das begründungspflichtig ist (Art. 5 a Abs. 2). Hier verfügen Kommission und Mitgliedstaaten über das Initiativrecht, wohingegen das Parlament nur Anhörungsrechte besitzt. Weiterhin obliegt es der Kommission sicherzustellen, daß ein Mitgliedstaat sich einer engeren Zusammenarbeit zu einem späteren Zeitpunkt anschließen kann (Art. 5 a Abs. 3). Da der Kommission weitreichende Kontroll-und Entscheidungsrechte eingeräumt wurden, ist davon auszugehen, daß sie -um den Integrationsbesitzstand zu wahren -den Rückgriff auf engere Zusammenarbeit deutlich zu begrenzen trachten wird. Hinzu kommt, daß sich derzeit kaum geeignete Anwendungsfelder für Flexibilität im EG-Bereich finden lassen. Mithin ist der Artikel 5 a EGV vorerst eher als ein „Struktur-prinzip der Zukunft“ denn als praxisorientierte Dynamisierungsoption zu interpretieren. Gleichwohl lassen sich beispielsweise in der europäischen Umweltpolitik durchaus sinnvolle Szenarien engerer Zusammenarbeit entwerfen
VII. Reform des Institutionengefüges
Eine substantielle Neugestaltung der gemeinschaftlichen Institutionen war ohne Zweifel die dringlichste Aufgabe der Regierungskonferenz, wird sie doch zu Recht als eine unverzichtbare Voraussetzung für die Erweiterungsfähigkeit der Union gewertet. Die anstehende Osterweiterung kann nur dann ohne negative Auswirkungen auf die Gemeinschaft bewältigt werden, wenn deren Entscheidungs-und Handlungsinstrumente der vergrößerten Mitgliederzahl angepaßt werden. Da die Regierungskonferenz in diesem zentralen Reformbereich nicht zu mutigen und innovativen Beschlüssen fand, wurde das Amsterdamer Gipfeltreffen in der Öffentlichkeit zumeist als Mißerfolg, als Versagen wahrgenommen. So war die Regierungskonferenz nicht fähig, über die künftige Struktur der Kommission und eine gerechtere Stimmenverteilung im Rat zu entscheiden und vertagte diese heiklen Themen schlicht. Der im „Protokoll über die Organe im Hinblick auf eine Erweiterung der Union“ gefundene Kompromiß besagt, daß am Status quo der 20köpfigen Kommission bis zur ersten Erweiterung festgehalten wird. Danach soll der Kommission jeweils nur noch ein Staatsangehöriger je Mitgliedstaat angehören, sofern „die Stimmengewichtung im Rat -sei es durch Neugewichtung oder durch Einführung einer doppelten Mehrheit -in eine für alle Mitgliedstaaten annehmbaren Weise geändert worden ist“. Explizit wird hier „ein Ausgleich für jene Mitgliedstaaten gefordert, die die Möglichkeit aufgeben, ein zweites Mitglied der Kommission zu benennen“ (Art. 1 des Protokolls). Weiterhin muß spätestens ein Jahr, bevor die Union aus mehr als 20 Mitgliedern bestehen wird, eine umfassende Überprüfung aller institutionellen Bestimmungen vorgenommen werden (Art. 2 des Protokolls).
Von diesen Beschlüssen wird wahrscheinlich eine zweifache Wirkung auf die Osterweiterung ausgehen, eine zeitliche und eine numerische. So könnte Artikel 1 des Protokolls bewirken, daß die laut Kommissionsbeschluß Anfang 1998 aufzunehmenden Beitrittsverhandlungen mit sechs Kandidaten sich über mehr als die anberaumten vier Jahre hinziehen könnten, falls die Union sich auf keine neue Stimmengewichtung einigt. Die Forderung nach einer grundlegenden Reform der Institutionen für eine auf mehr als 20 Mitglieder angewachsenen Union schließlich könnte die Kräfte fördern, die schon heute nur drei Staaten, nämlich Polen, Ungarn und Tschechien, aufnehmen wollen. Es ist allerdings auch vorstellbar, daß die Beitrittsverhandlungen den positiven Druck auf die Reform-fähigkeit der Union entfalten, der in Amsterdam fehlte.
Jedenfalls ist die im „Protokoll über die Organe“ gefundene unbefriedigende Kompromißlösung -die inzwischen von Frankreich, Italien und Belgien vehement in Frage gestellt wird -dafür verantwortlich, daß die zahlreichen weiteren, durchaus bemerkenswerte Beschlüsse über institutionelle Neuerungen bisher nicht ausreichend wahrgenommen wurden. Hier ist an erster Stelle die recht bedeutende Aufwertung des Parlaments zu nennen. Denn das in Maastricht geschaffene Mitentscheidungsverfahren des Artikel 198 b EGV, das dem Parlament beachtliche Legislativrechte gewährt, wurde auf viele weitere Vertragsbestimmungen, so beispielsweise auf Teile der Beschäftigungs-, Sozial-, Gesundheits-und Umweltpolitik, ausgedehnt. Außerdem ist das Verfahren gestrafft und damit verbessert worden, so daß hier ein demokratischer „Mehrwert“ festzustellen ist.
Der neugefaßte Artikel 137 EGV bestimmt, daß die Zahl der Abgeordneten 700 nicht überschreiten darf. Hier ist zu bedenken, daß -wenn es bei dem aktuellen Verteilungsschlüssel bleibt -schon durch eine Osterweiterung um drei Staaten diese Grenze überschritten wird was Artikel 138 Absatz 2 aktivieren würde, in dem es heißt, daß bei einer Änderung der momentanen Sitzverteilung „eine angemessene Vertretung der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten gewährleistet“ sein muß. Dies ist angesichts der derzeit herrschenden krass unterschiedlichen Zahl an Bürgern, die ein Abgeordneter vertritt, eine heikle Forderung; impliziert sie mehr Gleichheit der Stimmen, oder soll sie Völker kleiner Mitgliedstaaten vor einer Majorisierung schützen? Auch diese Bestimmungen dürften bremsend auf die Beitrittsverhandlungen wirken.
Schließlich wurde dem Parlament noch das Zustimmungsrecht zur Ernennung des Kommissionspräsidenten eingeräumt -bisher mußte nur die Kommission als Ganzes vom Parlament bestätigt werden. Diese Neuerung ist insofern konsistent, als die Funktion des Präsidenten einen deutlichen Machtzuwachs erfahren hat; galt er bisher als Pri-mus inter pares, übt er nun eine Art Leitlinien-kompetenz aus. Außerdem ist er künftig an der Auswahl der Kommissare beteiligt (Art. 158 u. 163 EGV).
Wegen des tiefgehenden Dissenses zwischen kleinen und großen Mitgliedstaaten über eine Änderung der Stimmengewichtung oder die Einführung doppelter Mehrheiten konnten keine grundlegenden Reformen zum Rat erzielt werden. In Amsterdam wurde lediglich eine minimale Ausweitung des qualifizierten Mehrheitsentscheids auf die Forschungspolitik vorgenommen. Allerdings ist hier zu bedenken, daß die beschriebene Aufwertung des Parlaments bzw. die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Mitentscheidungsverfahrens auch die Rechte des Rats schmälert. Doch obgleich die Liste dieser Ausweitung recht lang ist, darf nicht vergessen werden, daß es sich meist um Bereiche von geringer politischer Bedeutung handelt. Dies gab auch Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung zum Europäischen Rat in Amsterdam umumwunden zu: „Weitergehende Fortschritte waren auf Grund der konkreten Interessen fast aller Mitgliedstaaten zu diesem Zeitpunkt nicht möglich . . . Auch wir, die Bundesregierung, haben uns in einer Reihe von Fragen aus guten Gründen gegen die Einführung von Mehrheitsentscheiden gewandt, da wir unsere wohlverstandenen nationalen Interessen auch in einer europäischen Überzeugung wahren wollten.“ Hiermit ist insbesondere die nun vergemeinschaftete Asylpolitik angesprochen, bei der der Kanzler in den Verhandlungen auf Einstimmigkeit als Entscheidungsregel bestanden hatte
Als letztes Reformelement im Bereich Institutionen bleibt noch zu erwähnen, daß die einzelstaatlichen Parlamente zu einer stärkeren Beteiligung an der EU aufgerufen werden. Um dieses der Akzeptanz der EU in der europäischen Bevölkerung sicher dienliche Ziel zu erreichen, werden im „Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Union“ Übereinkommen geschlossen, die vorrangig die ausführliche und frühzeitige Information der nationalen Parlamente über Tätigkeit und Vorhaben der Union sicherstellen sollen. Weiterhin wird die seit 1989 bestehende Konferenz der Europa-Ausschüsse aufgefordert, „jeden ihr zweckmäßig erscheinenden Beitrag für die Organe der Europäischen Union zu leisten“. Zwar kann das Protokoll schwerlich einen Ausgleich für die bestehenden und oft beklagten Demokratiedefizite des europäischen Institutionengefüges darstellen; den noch könnte es den einzelstaatlichen Parlamenten dabei hilfreich sein, die oft geübte Zurückhaltung in europapolitischen Fragen aufzugeben, sich stärker als bisher geschehen in diese Entscheidungsprozesse einzuklinken, um hier die parlamentarische Kontrolle vorzunehmen, die vom Europäischen Parlament trotz seiner jüngsten Aufwertung noch nicht in vollem Umfang wahrgenommen werden kann.
VIII. Subsidiarität und Regionalität
Aus deutscher Sicht sind die beachtlichen Fortschritte, die bei der Präzisierung des Subsidiaritätsprinzips und der Aufwertung des 1992 geschaffenen Ausschusses der Regionen (AdR) erzielt wurden, besonders zu betonen.
Das „Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“, das das Ziel möglichst bürgernaher Entscheidungen betont, ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer klareren und praktikableren Abgrenzung der Handlungskompetenzen regionaler, mitgliedstaatlicher und gemeinschaftlicher Ebenen. Denn bei der Anwendung des seit Maastricht in Artikel 3 b EGV verankerten Subsidiaritätsprinzips hatten sich in der Praxis eine Vielzahl strittiger Punkte ergeben, die auch durch verschiedene Ratsbeschlüsse und die im Oktober 1993 getroffene „Interinstitutionelle Vereinbarung ... über die Verfahren zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips“ nicht endgültig bereinigt werden konnten.
In dem neuen Protokoll wird das Subsidiaritätsprinzip als „Richtschnur“ dafür bezeichnet, wie die Befugnisse der Union auszuüben sind. Zu Recht wird es als „dynamisches Konzept“ definiert, das je nach Sachverhalt zugunsten der höheren oder der niedrigeren Handlungsebene wirken kann. Um zu gewährleisten, daß alle Organe bei der Ausübung ihrer Befugnisse das Subsidiaritätsprinzip tatsächlich beachten, müssen künftig Rechtsetzungsvorhaben der Union darlegen, ob und warum ein Gemeinschaftsziel besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden kann; diese Rechtfertigung „muß auf qualitativen oder -soweit möglich -quantitativen Kriterien beruhen“ (Ziffer 4 des Protokolls). Somit müssen künftig beide Subsidiaritätskriterien -Notwendigkeitsund Besserklausel -erfüllt sein; in ihren bisherigen Berichten zur Subsidiarität hatte die Kommission mit den beiden Prüfinstrumenten des „komparativen Effizienztests“ und des „Mehrwert-Tests“ den Akzent eindeutig auf die Besserklausel gelegt.
Im Sinne des in Artikel 3 b EGV gleichfalls verankerten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit plädiert das Protokoll zugunsten der Richtlinie als Rechtsetzungsinstrument anstelle der Verordnung. Künftig soll vorrangig mit Rahmenrichtlinien gearbeitet werden, die „den nationalen Behörden die Wahl der Form und der Mittel“ überlassen. Führt die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips nicht zum Tätigwerden der Gemeinschaft, so werden die Mitgliedstaaten explizit zu gemeinschaftsverträglichem Handeln verpflichtet (Ziffer 6 und 8 des Protkolls).
Auch das Sprachrohr der europäischen Regionalität, der AdR, ist gestärkt worden. Mußte sich der Ausschuß bisher seinen organisatorischen Unterbau mit dem Wirtschafts-und Sozialausschuß teilen, so entfällt diese Bestimmung nun. Dies wird zwangsläufig zum Aufbau neuer Gremien und damit zu noch mehr EU-Bürokratie führen. Weiterhin erhält der Ausschuß erweiterte Anhörungsrechte, beispielsweise in der Beschäftigungs-, der Sozial-und Umweltpolitik, und kann künftig auch vom Parlament gehört werden.
Die deutschen Bundesländer haben die Fortschritte in Sachen Subsidiarität und Regionalität einhellig begrüßt. Obwohl sie ihre langjährige Forderung nach einem eigenständigen Klagerecht des AdR nicht durchsetzen konnten, sehen sie sich als „Gewinner von Amsterdam“ und haben sich deshalb in einem einstimmig gebilligten Bundesratsbeschluß bei der Bundesregierung ausdrücklich bedankt Im Auswärtigen Amt bewertet man diese Erfolge skeptischer, da sie teuer erkauft wurden. Weil die Bundesregierung die zentralen Länderforderungen dezidiert vertreten und den Partnern Zugeständnisse abringen mußte, habe sie dafür in anderen Materien, so der Beschäftigungspolitik, Entgegenkommen zeigen müssen
IX. Schlußbetrachtung
Der Amsterdamer Vertrag stellt ein äußerst umfangreiches und wenig transparentes Vertragswerk dar. Es wurde deutlich, daß in manchen Bereichen die Folgewirkungen der Vertragsänderungen heute noch nicht recht abschätzbar sind. Dies trifft insbesondere auf das neugeschaffene, potentiell die bisherige Integrationslogik verändernde Konzept der „Engeren Zusammenarbeit -Flexibilität“ zu, das aber ganz offensichtlich Vorsorge für die ungewissen Zeiten nach der Osterweiterung treffen soll.
Die Frage lautet also, ob die erzielte Reform ausreichend ist, um die Gemeinschaft für die immense Herausforderung, die die bevorstehende Osterweiterung bedeutet, institutionell und instrumenteil zu rüsten. Und obgleich die Union sich diese Frage in ihrem Schlußkommunique zum Amsterdamer Gipfel selbst positiv beantwortet hat, sind hier ernsthafte Zweifel angebracht. Diese werden insbesondere durch die eklatanten Defizite bei der Behandlung der Fragen genährt, wie die künftige Kommission strukturiert sein soll und wie das Gleichgewicht zwischen großen, bevölkerungsstarken und kleinen, bevölkerungsarmen Mitgliedstaaten durch geeignete Stimmenverteilung im Rat und im Parlament gewahrt werden könnte. Denn mit wachsender politischer, insbesondere außen-und sicherheitspolitischer Bedeutung der Union müssen die fundamentalen Repräsentations-, Legitimations-und Kontrollfunktionen demokratischer Regierungsart zunehmend auf europäischer Ebene garantiert werden. In diesen extrem heiklen Fragen hat der Amsterdamer Gipfel versagt.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß die Frage der Erweiterungsfähigkeit der Union nicht nur in Amsterdam auf der Tagesordnung stand. Ebenso große Auswirkungen haben hier die Weichenstellungen, die im Rahmen der gemeinsamen Agrar-, Regional-und Strukturpolitik vorgenommen werden müssen. Denn jenseits institutioneller Vorsorge kann die Osterweiterung nur gelingen, wenn diese gemeinsamen Politikfelder grundlegend reformiert werden und wenn mit der bisherigen, extrem teuren Subventionspraxis gebrochen wird. Die Konturen dieses nötigen Kraftaktes hat die Kommission jüngst bei der Vorlage ihres Reformprogramms Agenda 2000 vorgegeben.