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Was kann ein Einwanderungsgesetz bewirken? | APuZ 46/1997 | bpb.de

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APuZ 46/1997 Asyl für politisch Verfolgte und die Eindämmung von Asylrechtsmißbrauch Illegale Einreise und internationale Schleuserkriminalität. Hintergründe, Beispiele und Maßnahmen Probleme der Zuwanderung am Beispiel Berlins Zusammen leben: Die Integration der Migranten als zentrale kommunale Zukunftsaufgabe Was kann ein Einwanderungsgesetz bewirken?

Was kann ein Einwanderungsgesetz bewirken?

Kay Hailbronner

/ 19 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Schaffung eines Einwanderungsgesetzes beruht im Grunde auf dem Gedankengut des 19. Jahrhunderts, als man noch scharf zwischen Einwanderern und sonstigen Ausländern unterscheiden konnte. Die Realität der Bundesrepublik Deutschland ist jedoch eine völlig andere. Heute stehen wir vor einer aus rechtlichen und politischen Gründen faktischen Migration, die teilweise auch Folge des hohen ausländischen Bevölkerungsanteils in Deutschland ist (Familiennachzug), teilweise sich daraus ergibt, daß Europa heute in einem Maße wirtschaftlich und politisch miteinander verknüpft ist, das früher undenkbar gewesen wäre. Im Rahmen der Europäischen Union ist die Schaffung eines Einwandererstatus ohnedies anachronistisch, wenn nicht sogar gemeinschaftsrechtswidrig. Gegenüber Drittstaatsangehörigen erweckt die Deklarierung der Bundesrepublik Deutschland als Einwanderungsland -die zwangsläufig mit der Schaffung einer neuen Einwandererkategorie und der Etablierung von Einwanderungsstellen verbunden sein müßte -Hoffnungen, die sich auf abseh-, bare Zeit aufgrund nicht vorhandener Arbeitsplätze bzw. erschöpfter Sozialkassen nicht realisieren lassen. Prognostiziert werden kann allenfalls die Schaffung neuer Ämter und Planstellen, die sich mit den zweifellos entstehenden unzähligen Rechtsfragen und Hunderttausenden von Anträgen auf Erteilung einer Zuwanderungsbewilligung werden befassen müssen.

I. Zielsetzung der Gesetzentwürfe

Wanderungssalden in Europa von 1987-1994 Quelle: Eurostat, Wanderungsstatistik 1996, S. 4.

Nachdem das Land Rheinland-Pfalz, die FDP und die Fraktion der Grünen Entwürfe von Einwanderungsgesetzen vorgelegt haben, ist nunmehr auch die SPD nachgezogen und möchte mit einer Bundestagsentschließung die Bundesregierung auffordern, zur Steuerung der Zuwanderung und Förderung der Integration einen Gesetzentwurf vorzulegen Als Ziel der Vorschläge von FDP und SPD wird die quantitative Begrenzung der Zuwanderung unter Wahrung der „legitimen eigenen Interessen unseres Landes“ (FDP-Entwurf) bezeichnet. An die Stelle des jetzigen Zuzugs, der weithin ungesteuert erfolgt, soll eine Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung mittels Festsetzung von Quoten und einem Auswahlverfahren erfolgen.

Am detailliertesten spricht sich der FDP-Entwurf für eine Höchstquote (gemeint ist wohl ein Kontingent) aus, bestehend aus Teilquoten für einzelne Zuwanderergruppen (Arbeitszuwanderer, Familiennachzug, Wiederkehrer, Spätaussiedler, anerkannte Asylberechtigte, humanitäre Flüchtlinge). Die SPD will die jährliche Gesamtquote in eine „humanitär definierte“ und eine „wirtschaftlich bedingte“ Quote aufteilen. Ein zusätzliches Tor für Einwanderungswillige soll nicht geöffnet werden („Gesetz zur Steuerung der Zuwanderung und Förderung der Integration“). Vielmehr soll nach Maßgabe des Bedarfs an ausländischen Erwerbstätigen in bestimmten Berufen, Branchen oder Tätigkeitsbereichen sowie unter Einführung bestimmter Integrationsvoraussetzungen die Einwanderung ermöglicht werden.

Die Grünen bekennen sich dagegen zur „gewollten und bewußt geplanten Einwanderung“. Als Ziel des Gesetzes wird daher nicht die Verringerung der Einwanderung bezeichnet, sondern ihre transparente und voraussehbare Regelung, wobei eine Priorität auf die Aufnahme aus humanitären Gründen gelegt wird. Dementsprechend sieht der Entwurf der Grünen keine Teilquoten, z. B. beim Familiennachzug, bei Asylbewerbern oder anderen Flüchtlingen vor, er lehnt auch die Festlegung einer jährlichen Gesamtaufnahmequote für Flüchtlinge und Einwanderungswillige ab. Allerdings ist eine Quotierung dennoch insoweit vorgesehen, als die Zahl der neu zu erteilenden Einwanderungsbewilligungen entsprechend der Zahl der Aufnahmebescheide für Spätaussiedler, d. h. insgesamt auf ca. 220 000 Personen jährlich begrenzt wird.

Die SPD möchte die Steuerung der Zuwanderung nach gesetzlich fixierten „Zuwanderungskriterien“ vornehmen, deren Bewertung einer Rechtsverordnung der Bundesregierung überlassen bleibt. Entsprechendes gilt für die Festsetzung der Gesamthöchstzahl und der im FDP-Entwurf vorgesehenen Teilquoten, wonach ein Zuwandererbedarf zu ermitteln ist, der u. a.dem „Aufnahmeinteresse der Bundesrepublik Deutschland“ in wirtschaftlicher, sozialer, demographischer und politischer Hinsicht Rechnung tragen soll. Eine zentrale Bedeutung kommt bei den Entwürfen von FDP und SPD der Kategorie des Arbeitszuwanderers zu, der u. a. nach seinem Alter, seiner Ausbildung, seinem Gesundheitszustand und seiner Integrationsfähigkeit sowie Sprachkenntnissen und finanziellen Mitteln (FDP-Entwurf) ausgewählt werden soll, während die Grünen die Arbeitsmigration im wesentlichen davon abhängig machen wollen, daß ein Arbeitsplatz und Versicherungsschutz nachgewiesen werden.

Weiteres Ziel aller Entwürfe ist die Integration. Grundgedanke ist, daß durch die Schaffung eines Einwandererstatus dem Ausländer ein gesichertes Aufenthaltsrecht gegeben wird, das nach Ablauf einiger Zeit zur Einbürgerung führt. Die Entwürfe verweisen daher auf die Notwendigkeit staatsangehörigkeitsrechtlicher Änderungen (Erwerb der Staatsangehörigigkeit kraft Geburt in Deutschland, Erleichterung der Einbürgerung).

II. Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung

Nettoeinwanderung nach Deutschland, Frankreich und Großbritannien

Gegen, die Zielsetzung einer Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung läßt sich kaum etwas einwenden. Angesichts eines auch im westeuropäischen Vergleich sehr hohen ausländischen Bevölkerungsanteils von 8, 9 Prozent bzw. ca. 7, 3 Millionen Ausländern, einer Nettozuwanderung von 445 000 Ausländern (einschließlich 218 000 Spätaussiedlern) im Jahr 1995 (Stat. Bundesamt) und nach wie vor Millionen Ausländern, einer Nettozuwanderung von 445 000 Ausländern (einschließlich 218 000 Spätaussiedlern) im Jahr 1995 (Stat. Bundesamt) und nach wie vor beträchtlicher Asylbewerberzahlen (im Jahr 1996 116 000) besteht ein Bedarf für eine Kontrolle der Zuwanderung ins Bundesgebiet. Daß die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahrzehnten faktisch zum Einwanderungsland geworden ist, steht außer Frage. Mit einem Zuwanderungssaldo von 2, 3 Millionen Ausländern und 1, Millionen Aussiedlern zwischen 1988 und 1993 sind nach Deutschland annähernd ebenso viele Personen eingewandert wie in das klassische Einwanderungsland USA mit seiner dreimal größeren Bevölkerung und einem mehr als zehnmal größeren Territorium 2.

Die sich durch diese außerordentlich hohe Zuwanderung ergebenden Integrationsprobleme werden erst jetzt im Zuge grundlegender Strukturveränderungen des Arbeitsmarktes und der sozialen Systeme in voller Schärfe sichtbar. Ausländer sind von der Dauerarbeitslosigkeit in erheblich stärkerem Maße als Deutsche betroffen und werden daher in einem rasch ansteigenden Maße zu Sozialhilfeempfängern. Besonders stark betroffen von der Arbeitslosigkeit sind beruflich gering qualifizierte Personen, darunter insbesondere Jugendliche ohne hinreichende Berufsausbildung 3. Auch die Spätaussiedler, die noch in den achtziger Jahren relativ geringe Probleme auf dem Arbeitsmarkt hatten, belasten nunmehr den Arbeitsmarkt und die sozialen Systeme in erheblichem Maße.

Bei der Diskussion darf allerdings auch nicht außer acht bleiben, daß nicht zuletzt als Folge einer Änderung des Asylrechts und einer konsequenteren Anwendung ausländerrechtlicher Vorschriften die Zuwanderungszahlen in den letzten Jahren zurückgegangen sind. Die Zahl der Asylbewerber (in diesem Jahr bis August 69 824) bleibt allerdings noch auf relativ hohem Niveau. Rückläufig ist dagegen die Zahl der Spätaussiedler mit 75 809 bis Juni 1997. Entsprechendes gilt für die Zahl der Werkvertragsarbeitnehmer aus osteuropäischen Staaten. Eine tendenzielle Zunahme läßt sich dagegen bei der Zahl der zuwandernden EU-Angehörigen und der Familienangehörigen von in Deutschland lebenden Ausländern und deutschen Staatsangehörigen beobachten. Wie sich die humanitäre Aufnahme von Flüchtlingen und die Abwanderung der Bosnien-Flüchtlinge entwickeln wird, ist naturgemäß schwer abzusehen. Insgesamt kann man bei einigermaßen gleichbleibenden rechtlichen und faktischen Ausgangsbedingungen von einer mittleren Netto-Zuwanderung von ca. 200 000 Personen ausgehen.

Nur noch selten ist mittlerweile das Argument zu hören, aus ökonomischen und demographischen Gründen sei eine Öffnung Deutschlands als Einwanderungsland statt einer Zuwanderungsbegrenzung nötig. Rentensysteme lassen sich nicht durch Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger sichern. Auch die deutlich voranschreitende „Vergreisung“ der inländischen Bevölkerung läßt sich durch Immigration kaum beeinflussen, will man nicht jährlich mindestens eine Million Zuwanderer zulassen 4.

Eine „bessere Kontrolle und Steuerung“ der Zuwanderung durch ein Einwanderungsgesetz suggeriert, das geltende Ausländerrecht enthalte keine Rechtsinstrumente, um die Einwanderung einzugrenzen. Diese Vorstellung ist freilich unrichtig. Tatsächlich ist das deutsche Ausländerrecht im europäischen Vergleich eines der reglementiertesten Systeme. Mit dem Ausländergesetz 1990 und dem Asylverfahrensgesetz 1992 sind die früheren Generalklauseln weitgehend beseitigt worden und die unterschiedlichen Möglichkeiten, unter denen Ausländer im Bundesgebiet Aufenthalt nehmen können (Familiennachzug; Aufenthalt zu vorübergehenden Zwecken wie z. B. Studium usw.; humanitäre Aufnahme; Asylbewerber), eingehend geregelt worden. Zwar kennt das Ausländergesetz keinen Einwandererstatus. Das bedeutet aber nicht, daß die Arbeitsmigration nicht geregelt wäre. Als Grundprinzip geht das Gesetz davon aus, daß für einen Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. In einer Rechtsverordnung sind jedoch bis in die Details für bestimmte Berufe von Ausländern (z. B. Spezialitätenköche, Lehrkräfte, Krankenschwestern) Ausnahmen für befristete Aufenthaltsrechte festgelegt. Selbstverständlich steht das geltende Ausländerrecht auch der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Investor, der sich in Deutschland niederlassen will, oder an den hochqualifizierten Wissenschaftler oder Künstler nicht entgegen. Was also, wenn nicht ein höherer Grad an Reglementierung des Einreise-und Aufenthaltsrechts, ist mit einer besseren Steuerung und Kontrolle gemeint? Geht man dem näher nach, so zeigen sich nicht nur Unklarheiten, sondern auch deutlich divergierende Grundvorstellungen darüber, wo bei den vorhandenen Migrationsströmen zugunsten des „idealen Einwanderers“ der Rotstift angesetzt werden soll. Die vorhandenen (freilich häufig divergierenden) Zahlenangaben über die Zunahme der ausländischen Bevölkerung zeigen, daß ein erheblicher Teil der Zuwanderung über den Fami41 liennachzug, über das Asylrecht und die humanitäre Aufnahme von Flüchtlingen erfolgt. Darüber hinaus deutet ein Vergleich der Zahl von ausreise-pflichtigen Ausländern mit der tatsächlichen Durchsetzung aufenhaltsbeendender Maßnahmen über die Jahre darauf hin, daß die faktische Verfestigung vorübergehender Aufenthaltsrechte eine nicht unerhebliche Rolle für die faktische Einwanderung spielt.

Mit einem Einwanderungsgesetz hat dies alles wenig zu tun, wohl aber mit den rechtlichen und politischen Vorgaben für die Durchsetzung des aufenthaltsrechtlichen Instrumentariums gegenüber Ausländern, die sich schon einige Zeit im Bundesgebiet aufhalten und dort nicht selten Wurzeln geschlagen haben. Die in ihrer Bedeutung auch in Deutschland steigende illegale Einwanderung, über deren Dimensionen naturgemäß keine exakten Daten zu ermitteln sind, entzieht sich dagegen von vornherein der Steuerung durch eine einwanderungsgesetzliche Regelung. Eine legale „Zuwanderung“ wird daraus in dem Augenblick, in dem aufgrund der in der Bundesrepublik geschaffenen Fakten (Familiengründung, humanitäre Gründe) eine Steuerung regelmäßig nur noch im nachhinein derart erfolgen kann, daß ein Aufenthaltsrecht gewährt wird.

Der Testfall für den Nutzen eines „Zuwanderungsgesetzes“ ist daher, ob es erstens eine Begrenzung der Zuwanderung ermöglichen würde und ob es zweitens anstelle der bisherigen Kategorien zuwandernder Ausländer neue, „besser“ ausgewählte Einwandererkategorien setzen würde.

Es gibt wenig Hoffnung, daß ein Zuwanderungsgesetz nach Art der vorliegenden Entwürfe diese Ziele erreichen könnte. Dies liegt zum einen daran, daß in Deutschland mittlerweile die dauernde oder zeitweise Zuwanderung in erheblichem Maße rechtlich und politisch vorgegeben und daher nach „Nützlichkeitsmaßstäben“ nur sehr begrenzt steuerbar ist, will man nicht wesentliche Änderungen der rechtlichen Grundstrukturen vornehmen, was offensichtlich keiner der vorgelegten Entwürfe beabsichtigt. Gerade weil in Deutschland faktisch eine erhebliche Einwanderung stattgefunden hat und weiter stattfindet, läßt sich die daraus folgende Kettenmigration nur noch beschränkt rechtlich und politisch steuern.

Schon der Blick in die vorgegebenen Einwanderer-kategorien zeigt dies: Der Familiennachzug von ca. 35 000 bis 100 000 Personen pro Jahr (zuverlässige Daten sind nicht vorhanden) ist von vornherein kaum begrenzbar, will man nicht Wartezeiten einführen. Es mutet daher seltsam an, wenn in einem Zuwanderungsgesetz Teilquoten für den Familiennachzug eingeführt werden sollen, während gleichzeitig mit den gerade beschlossenen Änderungen zum Ausländergesetz die Einwanderung über den Familiennachzug z. B. durch Gewährung eines ständigen Aufenthaltsrechts für die geschiedene Ehefrau ausgeweitet worden ist. Weitere Erweiterungen eines Zugangsrechts im Bereich des Familiennachzugs und des Wiederkehrrechts werden gerade von den Protagonisten einer Einwanderungsgesetzgebung befürwortet. Dafür mögen gute Gründe bestehen; mit einer ökonomisch gesteuerten Zuwanderung hat dies alles nichts zu tun; ein Großteil des hier in Frage stehenden Personenkreises wird nicht selten von sozialen Hilfeleistungen abhängig sein. In welche Schwierigkeiten man gerade bei der Festsetzung von Teilquoten für den Familiennachzug kommen kann, zeigt im übrigen der FDP-Entwurf. Bei der Ausschöpfung der Quote soll die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung für Personen, die einen Anspruch auf Zusammenführung haben, auf das folgende Jahr verschoben werden. Im Klartext bedeutet dies die Einführung von gegebenenfalls mehrjährigen Wartezeiten für Ehegatten, wie sie derzeit in den USA und wohl auch in Österreich praktiziert werden.

Entsprechendes gilt für die Aufnahme von Asylbewerbern und aus humanitären Gründen aufgenommene Flüchtlinge. Quoten sind jedenfalls für diejenigen, die nach den geltenden Regeln ein Aufnahmerecht oder Abschiebungsschutz genießen, nicht realisierbar. Die Entwicklung des Rechts der Abschiebungshindernisse zeigt eine deutliche Tendenz zur Verlagerung des Asylrechts zu den Abschiebungshindernissen. Unter den Begriff der „unmenschlichen Behandlung“ (vgl. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention) werden in der neueren Rechtsprechung schon Fälle subsumiert, in denen ein schwerkranker Ausländer in der Heimat nicht den gleichen medizinischen Standard vorfindet wie in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist nur noch ein kleiner Schritt zur Anerkennung unzureichender ökonomischer Lebensgrundlagen als Basis eines Rechts auf weiteren Aufenthalt in Deutschland. Richtig ist, daß temporärer Schutz keine Einwanderung bedeutet. Nicht zuletzt zeigt aber die Diskussion um die Rückkehr der Bosnien-Flüchtlinge, wie schwierig die Unterscheidung zwischen vorübergehender Aufnahme und Einwanderung letztlich ist. Der FDP-Entwurf ist in diesem Punkte insoweit ehrlich, als in die Höchstquote die „faktischen Einwanderer“ mit aufgenommen werden. Offen bleibt allerdings, wie bei dieser Ausgangstage noch Raum für eine weitere Aufnahme von „Einwanderungswilligen“ verfügbar sein soll.

EU-Bürger und deren Familienangehörige, gleichgültig welcher Nationalität, entziehen sich von vornherein jeder Steuerung (ca. 170 000 Personen im Jahr 1996). Für sie wäre im übrigen auch die Schaffung eines Einwandererstatus, jedenfalls wenn daran Sonderrechte geknüpft werden, unzulässig, da ein auch nur mittelbarer Zwang den EU-rechtlichen Grundsätzen der Freizügigkeit und des Diskriminierungsverbots zuwiderlaufen würde. Sie genießen unbegrenztes Aufenthalts-und Arbeitsrecht. Inwieweit sie zu Einwanderern werden, läßt sich nicht voraussagen. Bislang ist es nicht zu größeren Wanderungsbewegungen innerhalb der Union gekommen. Alle Entwürfe scheinen davon auszugehen, daß die EU-Freizügigkeit für die Einwanderungsdiskussion irrelevant ist. Dabei wird sowohl die rechtliche wie faktische Ausgangslage verkannt. Zum einen gibt es Anzeichen für eine stärkere Arbeitskraftmobilität, die sich mit der Schaffung der Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion aller Voraussicht nach deutlich erhöhen könnte. Um „Einwanderer“ handelt es sich dabei in den wenigsten Fällen, wohl aber um bevorrechtigte Konkurrenten auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Wer über Einwanderung und Arbeitsmarkt spricht, darf nicht vergessen, daß das europäische Arbeitskräftepotential mit hierzu allerdings erst teilweise effektiven Instrumentarien (vgl. das europäische Arbeitsvermittlungssystem EURES) einer europäischen Arbeitsvermittlung auszuschöpfen ist, bevor ein Arbeitsplatz mit Drittstaatsangehörigen besetzt werden darf.

Aber auch für Drittstaatsangehörige besteht der in den Gesetzentwürfen stillschweigend zugrunde gelegte umfassende Handlungsspielraum nur noch eingeschränkt. Rechtlich ist zwar die Regelung von Einreise und Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen immer noch innerhalb der Kompetenz der Mitgliedstaaten, bis der Vertrag von Amsterdam in Kraft getreten ist, der der Gemeinschaft hierfür eine Regelungskompetenz gibt. Faktisch ergeben sich aber durch die Kooperation im „dritten Pfeiler“ von Maastricht schon jetzt gewichtige Vorgaben, z. B. zum Familiennachzug und zur Zulassung unselbständig Erwerbstätiger, von denen die Bundesrepublik Deutschland zumindest politisch nicht mehr ohne weiteres abweichen kann. Für die innereuropäische Freizügigkeit gilt, daß auch die Angehörigen der für den EU-Beitritt vorgesehenen osteuropäischen Staaten zumindest in der Zukunftsperspektive in die Migrationsdiskussion einzubeziehen sind. Bisher genießen sie zwar nur sehr beschränkte Einreiserechte. Mit der weiteren europäischen Integration dieser Staaten wird man aber die schrittweise Erweiterung der Personen-freizügigkeit kaum ausklammern können.

Schon jetzt bestehen aber für die größte Gruppe der in Deutschland lebenden Drittstaatsangehörigen -die türkischen Staatsangehörigen -aufgrund des EU-Assoziationsrechts gemeinschaftsrechtliche Vorgaben, die eine Anwendung eines wie auch immer gearteten Einwanderungsregimes auf legal in Deutschland lebende türkische Staatsangehörige und deren Familienangehörige jedenfalls dann ausschließen, wenn die Gewährung der dort vorgesehenen Rechte von im Assoziationsrecht nicht vorgesehenen Integrationsvoraussetzungen abhängig gemacht werden würde. Danach ist es zwar möglich, die erstmalige Zuwanderung türkischer Staatsangehöriger nach einem Einwanderungsgesetz zu steuern; die weitere Ausgestaltung für türkische Arbeitnehmer und deren Familienangehörige bestimmt sich aber vorrangig nach den in der Rechtsprechung entwickelten Regeln über das „implizite“ Aufenthaltsrecht, das -ohne irgendeine Begrenzungsmöglichkeit -bereits nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung einsetzt, wenn eine Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses bei demselben Arbeitgeber vorgesehen ist

III. Der neue Einwandererstatus

Wenn die Analyse zutrifft, daß aus politischen wie rechtlichen Gründen eine Zuwanderungsgesetzgebung kaum in der Lage wäre, die bestehende Zuwanderung wirksam zu begrenzen -wenn man nicht bei den bestehenden Zuwandererkategorien (Familiennachzug, Asylsuchende, humanitäre Aufnahme von Ausländern, rechtliche und faktische Abschiebungshindernisse, Wiederkehrrecht, Aussiedler) Einschränkungen vornehmen will -, könnte sie nur den Sinn haben, eine zusätzliche Öffnung Deutschlands für nach arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten besser ausgewählte „Einwanderer“ aus Drittstaaten zu ermöglichen. Es ist jedoch nur schwer erkennbar, daß hierfür ein arbeitsmarktpolitischer Bedarf ermittelt werden könnte. Für welche Branchen oder Berufe der vorhandene Arbeitskräftebedarf nicht aus dem bestehenden Arbeitskräftereservoir Deutschlands und der Europäischen Union gedeckt werden könnte, ist unklar.

Neben den 4, 3 Millionen Arbeitslosen, die zum 1. Oktober 1997 registriert waren, wird geschätzt, daß zu diesem Zeitpunkt ca. 1, 1 Millionen aufgrund von ABM-Maßnahmen beschäftigte Personen sowie 1, 8 Millionen „stille Reserve“ dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen. Die Arbeitslosigkeit der Ausländer stieg im Jahr 1996 auf eine fast doppelt so hohe Quote wie bei deutschen Staatsangehörigen (18, 9 Prozent). Ursache dafür ist in erster Linie der deutlich niedrigere Stand der beruflichen Qualifikation der Ausländer, der mit einem rapide voranschreitenden Abbau von Arbeitsplätzen für niedrig qualifizierte Tätigkeiten einhergeht. Gleichzeitig verschärft sich die Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt mit der unabdingbaren Veränderung der Zumutbarkeitskriterien erheblich. Die Strukturveränderungen der sozialen Systeme bewirken, daß die gängige Vorstellung, für bestimmte Tätigkeitsbereiche würden sich Deutsche und EG-Angehörige nicht finden lassen, schon bald nicht mehr gelten könnte.

IV. Mehr Rechtssicherheit durch Eröffnung einer Einwanderungsperspektive?

Schafft ein Einwanderungsgesetz mit der Ermöglichung eines neuen Statuts eines „Einwanderers“ und einer geregelten Integrationsperspektive nicht wenigstens mehr Rechtssicherheit für die sich faktisch dauernd im Bundesgebiet niederlassenden Ausländer? Auf den ersten Blick hat der Gedanke einer klareren Unterscheidung zwischen einem sich nur befristet oder zu vorübergehenden Zwekken in Deutschland aufhaltenden Ausländer und einem „Einwanderer“ einiges für sich. Für diesen Ausländer wird eine klare Perspektive eröffnet. Aus. staatlicher Sicht wird die Möglichkeit geschaffen, Integrationsvoraussetzungen für die Einwanderung zu fordern und gegebenenfalls auch durchzusetzen. Zuwanderer und Staat -so der FDP-Entwurf -übernehmen mit dem grundsätzlich im Ausland zu erteilenden Zuwanderungsbescheid eine „wechselseitige Verantwortung für eine erfolgreiche Integration“.

So optimistisch sich dies auch anhören mag -die ausländerpolitische Realität wird verfehlt. Nicht etwa, weil Ausländer sich nicht integrieren wollten oder nicht an einer Lebensperspektive in Deutschland interessiert wären. Verkannt wird, daß Einwanderung in Deutschland sich in der Mehrzahl der Fälle nicht aufgrund der rechtlichen Vorgaben, sondern aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten graduell vollzieht. Aus dem vorübergehenden Arbeitsaufenthalt oder der temporären Aufnahme wird der Daueraufenthalt; eine scharfe Unterscheidung ist kaum möglich. Das Ausländergesetz 1990 hat versucht, dem mit einer strikteren Unterscheidung aufenthaltsrechtlicher Kategorien einen Riegel vorzuschieben -mit mäßigem Erfolg. Entweder sind es Gründe des Familiennachzugs oder rechtliche oder faktische Hindernisse, die nach längerem Aufenthalt in Deutschland dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen entgegenstehen.

Gewiß, es gibt auch zahlreiche Ausländer, die -abgesehen von den Ausländern der zweiten und dritten Generation -zugleich als „Einwanderer“ qualifiziert werden könnten. Ebenso gibt es aber auch eine große Zahl von Ausländern, die nicht daran interessiert sind, sich als „Zuwanderer“ im Bundesgebiet niederzulassen. Ist es sinnvoll, in einem Europa der Freizügigkeit und wachsender Arbeitsmobilität ausgerechnet bei den arbeitsmarktpolitisch erwünschten Ausländern eine A-priori-Entscheidung zwischen Einwandererstatus und gewöhnlichem „Ausländerstatus“ in das Zentrum des Ausländerrechts zu stellen? Entsprechen der Realität nicht eher die bestehenden aufenthaltsrechtlichen Strukturen eines befristeten Aufenthaltsrechts über das unbefristete Aufenthaltsrecht bis zur Aufenthaltsberechtigung, die praktisch ein Dauerniederlassungsrecht in Deutschland begründet?

Freilich mag es noch Regelungsdefizite bei der aufenthalts-und sozialrechtlichen Stellung von Ausländern geben. Das gelegentlich propagierte Bild eines weitgehend rechtlosen, der Willkür der Ausländerbehörden preisgegebenen Ausländers, der wegen eines Straßenverkehrsdelikts oder des Bezugs von Sozialhilfe ausgewiesen wird, entspricht nicht der Realität. Insbesondere die jugendlichen oder in Deutschland aufgewachsenen Ausländer sind vor Ausweisung weitgehend geschützt, wenn sie nicht außerordentlich schwere Straftaten begehen. Dies ließe sich gesetzlich ändern; man sollte aber nicht gleichzeitig in der Öffentlichkeit einen Einwandererstatus, der nach kurzer Zeit keine Ausweisung und Abschiebung mehr erlaubt, propagieren und gleichzeitig fordern, daß straffällige Ausländer beschleunigt in ihre Heimatstaaten abgeschoben werden.

Manches spricht dafür, daß die Schaffung einer neuen Einwanderungskategorie die Rechtsunsicherheit und die Gefahr eines Unterlaufens bestehender ausländerpolitischer Steuerungsinstrumente eher erhöhen würde. Soll ein neuer Einwanderungsstatus Sinn haben, so müssen daraus gewisse Rechte ableitbar sein, die anderen Ausländern nicht zustehen. Damit stellt sich die Frage des Verhältnisses des Einwandererstatus zu bestehenden Aufenthaltsrechten: Unter welchen Voraussetzungen können Ausländer ihre aufenthaltsrechtliche Position ändern, und welche gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen, um dies gegebenenfalls auch durchzusetzen? Der FDP-Entwurf versucht dieses Problem zumindest teilweise dadurch zu lösen, daß einfach die große Zahl bestehender Aufenthaltsrechte als . „Zuwanderungserlaubnisse“ fingiert werden. Ist es aber tatsächlich gerechtfertigt, jeden Ausländer, der im Wege des Familiennachzugs oder der Wiederkehr ins Bundesgebiet eingereist ist, als „Zuwanderer“ zu behandeln, unter anderem mit der Konsequenz, daß er von vornherein nur noch bei schwersten Straftaten ausgewiesen werden kann? Ist es andererseits richtig, ihn Integrationspflichten zu unterwerfen, wenn sein Ziel nur darauf ausgerichtet ist, im Bundesgebiet so lange erwerbstätig sein zu können, bis er die notwendigen Mittel für eine Existenzgründung im Heimatstaat gespart hat?

Was die administrativen und judikativen Folgen eines Einwandererstatus betrifft, so stellen sich zahlreiche bisher kaum geklärte Fragen. Die Zuwanderung soll im Prinzip vom Ausland aus beantragt werden und auch nur vom Ausland aus durchgesetzt werden können. Ein vorläufiges Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet soll sie nicht begründen. Die dahinterstehende Absicht ist klar -ob sie sich angesichts der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes verwirklichen lassen wird, ist zumindest fraglich. Prognostiziert werden kann jedenfalls eine Fülle von Rechtsstreitigkeiten.

V. Einwanderungsgesetz -Anreiz für neue Einwanderung?

Gravierender sind allerdings die rechtspolitischen Einwände im Hinblick auf die Außenwirkung. Die Schaffung eines Einwandererstatus, der grundsätzlich bei den deutschen Auslandsvertretungen als „Zuwanderungsstellen“ zu beantragen wäre und über den ein neu geschaffenes Bundesamt zu entscheiden hätte, weckt nach außen hin Erwartungen, die kaum zu erfüllen sind.

Aller Voraussicht nach würde auch eine umfangreiche Maschinerie in Bewegung gebracht, die sich voraussichtlich erst dann wieder beruhigen würde, wenn sich herausstellt, daß die neue Einwanderer-kategorie tatsächlich mangels Quoten kein neues offenes Tor für eine Einwanderung in die Bundesrepublik Deutschland darstellt. Bis dahin würden vermutlich die deutschen Auslandsvertretungen wegen Überlastung ihren Betrieb einstellen müssen.

VI. Integration

Es bleibt das Argument, daß im geltenden Ausländerrecht die Integrationsperspektive zu kurz kommt. Es läßt sich schwer bestreiten, daß insbesondere in den Anfangsjahren der massiven Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften zu wenig rechtlich und faktisch unternommen worden ist, um die sich aus der Einwanderung ergebenden Integrationsprobleme zu lösen. Die Folgen hiervon sind heute an der Statistik ablesbar: mangelnde Qualifikationsstruktur der Ausländer im Vergleich zu Deutschen (nur 21 Prozent der Ausländer standen 1993 in einem Angestelltenverhältnis gegenüber 55, 6 Prozent Deutschen); die mit 18, 9 Prozent im Jahr 1996 nahezu doppelt so hohe Arbeitslosigkeit von Ausländern; der noch immer viel zu große Qualifikationsabstand zwischen deutschen und ausländischen Schulabsolventen (9, 1 Prozent der ausländischen Schüler besuchten die Realschule gegenüber 26, 5 Prozent der deutschen Schüler; 9, 7 Prozent der Ausländer sind auf dem Gymnasium gegenüber 31, 5 Prozent der entsprechenden deutschen Altersgruppe). Fast die Hälfte der jungen Ausländer zwischen 20 und 30 hat keinen beruflichen Ausbildungsabschluß und ist daher praktisch ohne Chance auf dem Arbeitsmarkt; bei den deutschen Schulabgängern sind 15 Prozent ohne Abschluß. Wie die Schaffung einer neuen Einwandererkategorie angesichts dieser Realität hier Entscheidendes ändern soll, bleibt unklar. Notwendig ist sicherlich eine verstärkte Zuwendung zur Lösung der Integrationsprobleme; unter anderem möglicherweise auch durch verstärkten Druck auf Ausländer dadurch, daß die Gewährung eines Daueraufenthaltsrechts von der Erfüllung bestimmter Integrationsvoraussetzungen -z. B. verstärkten Sprachkenntnissen und Ausbildungsanstrengungen -abhängig gemacht würde. Die Koppelung an einen neuen Einwandererstatus, bei dem die Integration von vornherein im Wege des gegenseitigen „Vertrags“ angelegt ist, birgt aber eher die Gefahr neuer Ungleichheiten und Rechtsunsicherheiten, sofern man nicht einfach die ohnedies in Deutschland lebenden Ausländer zu „Einwanderern“ deklariert. Der Erfolg von Integrationsprogrammen hängt von der Integrationsbereitschaft aller Beteiligten ab, nicht von dem rechtlichen Etikett, das dem Ausländer mit dem Status als Einwanderer verliehen wird.

VII. Reform des Staatsangehörigkeitsrechts

Auch für die notwendige Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ist nicht recht ersichtlich, warum es hierfür der Schaffung eines Einwandererstatus bedarf. Daß derjenige Ausländer, der sich auf Dauer im Bundesgebiet aufhält und die notwendigen Integrationsvoraussetzungen erfüllt, die Möglichkeit erhalten sollte, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben und damit am politischen Leben Deutschlands im vollen Umfang teilzunehmen, ist politisch weithin unumstritten. Die Einbürgerungsrate in Deutschland ist im Vergleich zu unseren westeuropäischen Nachbarstaaten immer noch niedrig, mit der nachteiligen Konsequenz, daß auch in Deutschland geborene und aufgewachsene Ausländer Ausländer bleiben. Freilich bleibt bei der rechtspolitischen Diskussion hierüber oft unbeachtet, daß nach den Änderungen des Ausländerrechts von 1990 und 1993 Rechtsansprüche auf Einbürgerung für die Ausländer der ersten und zweiten Generation geschaffen worden sind, die zu einer deutlichen Erhöhung der Einbürgerungszahlen geführt haben. Eingebürgert wurden im Jahr 1995 71 981 Ausländer -eine Verdreifachung gegenüber der Einbürgerungsquote vor zehn Jahren, wobei die „Anspruchseinbürgerung“ von Aussiedlern nicht mitgerechnet ist.

Dies ist gleichwohl nicht ausreichend. Über eine weitere Erleichterung der Einbürgerung durch Kürzung der Aufenthaltsfristen und eine Beschleunigung des Verfahrens wird man nachdenken müssen. Ob die umstrittene Kinderstaatszu-oder -angehörigkeit der richtige Weg für eine Integration der in Deutschland geborenen Ausländergeneration ist, ist wegen der administrativen und rechtlichen Schwierigkeiten, eine einmal erlangte Doppelstaatsangehörigkeit bei Erreichen der Volljährigkeit wieder abzuerkennen, sehr zweifelhaft. Das gleiche gilt aber auch für die Einführung eines neuen lus-soli-Erwerbstatbestands.

Konsequenter und der bestehenden Konzeption des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts angemessener wäre eine weitergehende Erleichterung der Einbürgerung, eventuell gekoppelt mit einer verstärkten Akzeptanz doppelter Staatsangehörigkeit, solange es aus rechtlichen (Vermeidung von Rechtsnachteilen) und psychologischen Gründen verständliche Motivationen gibt, um an der alten Staatsangehörigkeit zur Erhaltung einer Rückkehrberechtigung festhalten zu wollen. Mit einer auf Antrag erfolgenden Einbürgerung wären zwar noch nicht auf einen Schlag alle Probleme für die Ausländer der dritten Generation gelöst. Zumindest schrittweise würde aber das Problem insoweit an Bedeutung verlieren, als die nunmehr in Deutschland geborenen Ausländer die deutsche Staatsangehörigkeit kraft Abstammung erwerben würden, sofern sie nicht schon vorher eingebürgert worden sind.

Die Probleme einer Doppel-Staatsangehörigkeit sollte man nicht überbewerten. Schon jetzt gibt es zahlreiche „Mehrfachstaater“ in Deutschland, deren genaue Zahl im übrigen nicht bekannt ist. Schon im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Europäischen Union wird die Zahl der „Doppelstaater“ zunehmen. Problemen im Hinblick auf eine unkontrollierte Weitergabe deutscher Staatsangehörigkeit könnte man dadurch begegnen, daß die deutsche Staatsangehörigkeit bei dauernder Wohnsitznahme im ursprünglichen Heimatstaat verloren-geht. Auf eine Prüfung von Integrationsvoraussetzungen sollte aber nicht verzichtet werden.

VIII. Rechtsvergleichende Aspekte

Die Überlegungen zur Neuregelung der Zuwanderung sind nicht zuletzt auch von Vorbildern aus „klassischen“ Einwanderungsländern wie den USA, Kanada und Australien beeinflußt. Aber auch einige europäische Länder -wie Österreich -haben neuerdings auf das Instrument der Festlegung von Kontingenten bzw. Quoten zurückgegriffen, um die Einwanderung zu begrenzen. Ob die daraus gewonnenen Erfahrungen die mit den Gesetzentwürfen verbundenen Prognosen einer besseren Steuerung bzw. Begrenzung der Zuwanderung stützen, erscheint jedenfalls bei einem Überblick über die neuere amerikanische Praxis fraglich. Zwar basiert das amerikansiche Recht auf einem ausgeklügelten System der Festsetzung von Quoten für bestimmte Einwandererkategorien, für die unterschiedliche Präferenzen bestehen (z. B. Ehegatten von US-Angehörigen; Ehegatten von dauernd in den USA lebenden Ausländern; Arbeiter mit und ohne Qualifikation; „most distinguished Professionals“ etc.).

Als Steuerungsinstrument der Zuwanderung eignet sich dieses System aber nur bedingt, wenn man berücksichtigt, daß einerseits die Wartezeit für die legale Zuwanderung beim Ehegattennachzug in den USA derzeit ca. acht Jahre beträgt, andererseits ein großer Teil der als immigrants zugelassenen Personen ihren Status nur über eine Legalisierung des illegalen Aufenthalts erhalten. Geschätzt wird z. B., daß etwa ein Viertel aller im Jahr 1996 legal zugelassenen 915 000 immigrants illegal in den USA lebten, bevor sie die legendäre green card erheben haben. Darüber hinaus hat das Quotensystem eine ständig steigende illegale Zuwanderung nicht zu verhindern vermocht -mit der Folge, daß auch in den USA der Ruf nach einer stärkeren Kontrolle zur Begrenzung der Zuwanderung zu drastischen Änderungen des Ausländer-rechts geführt hat. Ein Beispiel ist die Einschränkung der Sozialleistungen, die auch legal immigrants erfassen. Intensiv diskutiert wird derzeit über eine drastische Reduzierung der jährlichen Zuwanderungsquoten und eine Verschärfung der Möglichkeiten, einen illegalen Aufenthalt legalisieren zu lassen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zu den Gesetzentwürfen vgl. Rheinland-Pfalz, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Zuwanderung vom 11. 3. 1997, Bundesratsdrucksache (BR-Drs.) 180/97; BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Rechte von Einwanderern und Einwanderinnen (EinwanderungsG) vom 9. 4. 1997, Bundestagsdrucksache (BTDrs.) 13/7417; SPD, Antrag zur Vorlage eines Gesetzes zur Steuerung der Zuwanderung und Förderung der Integration vom 23. 4. 1997, BT-Drs. 13/7511; FDP, Gesetz über die Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland vom 9. 4. 1997.

  2. Vgl. OECD, SOPEMI 1996. Report on International Migration, April 1997.

  3. R. Münz/W. Seifert/R. Ulrich (Anm. 1), S. 131.

  4. Vgl. Situation der Bundesrepublik Deutschland als Einwanderungsland, BT-Drs. 13/5065 vom 26. 6. 1996.

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Kay Hailbronner, Dr. iur., geb. 1943; seit 1979 o. Professor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Konstanz; seit 1994 Leiter des Forschungszentrums „Europäisches und Internationales Ausländer-und Asylrecht“; seit 1997 Jean Monnet Chair in Europarecht. Veröffentlichungen u. a.: Ausländerrecht. Ein Handbuch, Karlsruhe 19892; (zus. mit Günter Renner) Staatsangehörigkeitsrecht. Kommentar, München 1991; Ausländerrecht, Kommentar, München 1992; Reform des Asylrechts. Steuerung und Kontrolle des Zuzugs von Ausländern, Konstanz 1994; Rückübernahme eigener und fremder Staatsangehöriger. Völkerrechtliche Verpflichtung der Staaten, Karlsruhe 1996.