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Ägyptens regionalpolitische und wirtschaftliche Orientierung seit dem Beginn des Friedensprozesses | APuZ 39/1997 | bpb.de

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APuZ 39/1997 Staat, Bürgertum und Rente im arabischen Vorderen Orient Euro-Mediterraner Freihandel: Motor der wirtschaftlichen Entwicklung? Ägyptens regionalpolitische und wirtschaftliche Orientierung seit dem Beginn des Friedensprozesses Wirtschaftsentwicklung im Westjordanland und im Gazastreifen zwischen politischem Imperativ und wirtschaftlicher Realität

Ägyptens regionalpolitische und wirtschaftliche Orientierung seit dem Beginn des Friedensprozesses

Ferhad Ibrahim

/ 25 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Friedensprozeß und die Pläne für neue regionale wirtschaftliche Strukturen im Nahen Osten führten zu einer Neuorientierung der ägyptischen Regionalpolitik und Forcierung der Wirtschaftsreformen. Eine aktive Außenpolitik und eine Liberalisierung der Wirtschaftsstrukturen sollten Ägypten zur Bewältigung der neuen Herausforderungen wappnen. Hierzu gehören ein angemessener Platz im neuen regionalen System und eine maßgebliche Beteiligung an der neuen regionalen ökonomischen Arbeitsteilung. Zur Unterstreichung seines Anspruchs als eine regionale Großmacht versuchte Ägypten -in Konkurrenz zu Israel -sich zum Wortführer der arabischen Interessen zu machen. Wegen seines beschränkten Handlungsrahmens gelang es Ägypten jedoch nicht, seine regionalpolitischen Ziele durchzusetzen: zum einen, weil die Wiederbelebung einer arabischen Regionalordnung als notwendiges Umfeld und Handlungsraum für die ägyptischen Ambitionen angesichts der Spaltung der arabischen Welt scheiterte; zum anderen, weil Ägypten trotz der spürbaren wirtschaftlichen Fortschritte derzeit nicht in der Lage ist, die führende Wirtschaftsmacht in der Region zu sein.

I. Einleitung

Der rasante Verlauf des Friedensprozesses seit 1993 -das Osloer Abkommen zwischen Israel und der PLO und der Friedensvertrag zwischen Israel und Jordanien -wurde von den ägyptischen Machthabern nur verhalten begrüßt. Zum einen fühlten sich die Ägypter, die sich mit Recht als Mitinitiatoren des Friedensprozesses verstanden, bei den Verhandlungen 1993-1994 zurückgesetzt und bei den späteren offiziellen Verhandlungen nicht gebührend beteiligt. Zum anderen war nur zu deutlich, daß Ägypten das arabische Monopol eines Friedensschlusses mit Israel verloren hatte. Dies könnte den Zufluß der „politischen Rente“ spärlich machen, wenn die Geberländer sowie Jordanien, die Palästinenser und andere friedensbereite Akteure aus der Region durch die politische Alimentierung den Frieden mit dem bisherigen Feind fördern und motivieren. Wegen des offensichtlichen Zusammenhanges zwischen der „politischen Rente“, die Ägypten jährlich von den USA und anderen Geberländern seit dem Abschluß des Friedensvertrags mit Israel 1979 erhielt, und der führenden regionalen Rolle des Landes mußte die ägyptische Führung seit 1995 ihre Regionalpolitik neu konzipieren und durchführen. Die „politische Rente“ konstituiert sich aus wirtschaftlichen Leistungen, die die Industriestaaten, aber auch die nahöstlichen Erdölstaaten zur Honorierung des politischen Verhaltens bestimmter Staaten (z. B. Ägypten, Syrien, Jordanien) zahlen. Die externe Rente wird im allgemeinen als ein Einkommen definiert, das nicht durch Investitionen oder Arbeitsleistungen entsteht.

Die Nervosität der ägyptischen Führung nach dem Abschluß der Verträge zwischen Israel und Jordanien sowie mit der PLO war also dadurch gegeben, daß sie die Früchte ihrer Regionalpolitik seit Ende der achtziger Jahre durch die neue Entwicklung des Friedensprozesses gefährdet sah. Die Position Ägyptens im zweiten Golfkrieg, in dessen Folge das Land sich an der von den USA geführten Koalition gegen den Irak beteiligt hatte, wurde zwar von den westlichen Staaten und den Golfstaaten honoriert, es galt aber durch Hervorhebung der Bedeutung Ägyptens als einer regionalen Vormacht, maßgeblich an den politischen und wirtschaftlichen Plänen und Regelungen in dieser Region teilzunehmen. Dies implizierte vor allem, Anstrengungen zu unternehmen, um die wirtschaftliche oder politische Dominanz eines anderen regionalen Akteurs zu verhindern: Israel. Der Gefahr, daß Israel durch seine starke Wirtschaftsleistung im „neuen Nahen Osten“ Ägypten ins Abseits stellen könnte, versuchte Ägypten durch eine aktive Diplomatie als Vermittler bei den Friedensverhandlungen, als Wortführer der arabischen Interessen bei regionalen Sicherheitsfragen und als Initiator einer innerarabischen Verständigung und Zusammenarbeit zu begegnen.

Gleichzeitig bemüht sich die ägyptische Führung seit 1991, die Wirtschaftsliberalisierung voranzutreiben. Abgesehen von der Tatsache, daß die Umstrukturierung der ägyptischen Wirtschaft sich durch Druck und Kontrolle der Geberländer und der internationalen Finanzinstitutionen vollzieht, verbirgt sich in der konsequenten Liberalisierungspolitik der ägyptischen Regierung die weitere Absicht, effektiver an den neuen regionalen Wirtschaftsstrukturen partizipieren zu können.

In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, ob die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die in den siebziger Jahren entstanden sind, es Ägypten ermöglichen, seinen Anspruch als regionale Vormacht zu behaupten und eine von dem bisherigen „Rentenpatron“, den USA, unabhängige Politik führen zu können. Umgekehrt soll untersucht werden, ob Ägypten seine regionale Rolle nutzt, um seinen politischen und wirtschaftlichen Handlungsraum auszuweiten und gleichzeitig an der im Rahmen des Friedensprozesses erweiterten Möglichkeit der Rentenmobilisierung teilzuhaben. Des weiteren wird gefragt, ob eine Interdependenz zwischen der Neuorientierung der Regionalpolitik und der wirtschaftlichen Reformen der neunziger Jahre besteht. Es geht hier darum, zu klären, ob die Debatte in den frühen neunziger Jahren über den von Israel immer stärker beherrschten Nahost-Markt u. a. nicht die Funktion hatte, die Öffentlichkeit von der Unab19 dingbarkeit der Wirtschaftsliberalisierung zu überzeugen. Nur eine liberale ägyptische Wirtschaft -so der Tenor dieser Debatte -kann die Dominanz Israels verhindern und Ägypten an der Friedens-dividende teilhaben lassen.

II. Die Reaktion Ägyptens auf regionale politische und wirtschaftliche Veränderungen

Die Annäherung an die arabischen Staaten und die Wiederaufnahme in die Arabische Liga -ohne Gefährdung des Camp-David-Vertrags mit Israel -war ein beachtlicher Erfolg der ägyptischen Regionalpolitik. Der zweite Golfkrieg spaltete aber die arabische Welt; Ägypten glaubte trotzdem, auch unter der neuentstandenen Situation seine Rolle als die führende arabische Macht wieder zur Geltung bringen zu können. Eine Art regionale Sicherheits-und Wirtschaftsgemeinschaft, die Ägypten und Syrien sowie die sechs Staaten des Golfkooperationsrates umfassen sollte, wie sie „die Erklärung von Damaskus“ vorsah, hat sich bereits wenige Monate nach dem Ende des Krieges als obsolet erwiesen. Die Golfstaaten unterstellten sich dem Schutz der Vereinigten Staaten und hatten kein Interesse an einer Allianz mit Ägypten und Syrien. Ungeachtet dieser Enttäuschung versuchte Ägypten durch die Unterstützung der Friedensbemühungen der amerikanischen Regierung seine regionale Rolle zu unterstreichen. Der ägyptische Beitrag war jedoch eher bescheiden, zumal die USA die nach dem zweiten Golfkrieg entstandene Situation ausnützten und für die Vorbereitung der Friedenskonferenz nicht unbedingt auf die Hilfe Ägyptens angewiesen waren

Vor diesem Hintergrund fürchtete Ägypten nach der Unterzeichnung der Friedensverträge Mitte der neunziger Jahre, daß seine regionale Rolle marginalisiert werden könnte. Dies war nach den Friedensverträgen der Anlaß für eine Neuorientierung der ägyptischen Regionalpolitik. Als mögliche Herausforderungen und Gefahren wurden folgende Aspekte debattiert -Der Zusammenbruch der „Arabischen Regionalordnung“ wurde nach dem zweiten Golfkrieg konstatiert. Ägypten würde dadurch die Basis seiner Regionalpolitik verlieren.

-Ägypten könnte bei der Erreichung eines umfassenden Friedens im Nahen Osten an Bedeutung verlieren, weil panarabische Inhalte wie etwa die innerarabische Solidarität und vor allem die „arabische regionale Sicherheit“

keine reale Bedeutung mehr haben.

-Unter der Bedingung eines umfassenden Friedens könnte Israel, angesichts seiner starken Wirtschaftsleistung, zum Nachteil Ägyptens eine dominante Rolle zukommen.

Um eine regionale Marginalisierung zu vermeiden, entschieden sich die Strategen der ägyptischen Außenpolitik für eine „aktive und dynamische Außenpolitik“. Dies erfordert, daß Anstrengungen unternommen werden, um eine arabische Regionalordnung wiederherzustellen. Ägypten hat in der Tat in den letzten Jahren versucht, die Arabische Liga, die nach dem zweiten Golfkrieg stark an Bedeutung verloren hatte, wieder zu aktivieren.

Der Erfolg der ägyptischen Diplomatie in dieser Hinsicht war aber eher bescheiden. Nach dem zweiten Golfkrieg ist jedoch ohne jeden Zweifel deutlich geworden, daß die Fortexistenz der Liga ihre Reformierung erfordert.

III. Ägyptens Bemühungen um die Reaktivierung einer arabischen Ordnung

Im Vorfeld der neuen Friedensverträge und der Diskussionen über einen Nahostmarkt, an dem Israel beteiligt sein sollte, versuchte Ägypten durch Einbeziehung von panarabischen Idealen dem diskutierten Konzept eines neuen Nahen Ostens entgegenzuwirken. Dieser eher pragmatische Gebrauch des Panarabismus sollte einerseits die Rolle der nichtarabischen Akteure, vor allem die Israels, bei der Mitwirkung bei der regionalen Zusammenarbeit einschränken. Andererseits soll die Instrumentalisierung des Panarabismus den Führungsanspruch Ägyptens in der Region legitimieren. Mubarak hatte wahrscheinlich diese Intention, als er anläßlich des 50jährigen Jubiläums der Arabischen Liga am 22. März 1995 einen „Ehrenpakt für die arabische Sicherheit und Zusammenarbeit“ vorschlug. Die Golfstaaten, offensichtlich vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit dem Irak, monierten jedoch, daß die von Mubarak vorgeschlagenen Konzepte und Ideen wie die „arabische Sicherheit“ und „Gemeinsame Interessen“ angesichts der Polarisierung der arabischen Welt realitätsfremd und nicht konsensfähig seien Das Scheitern der ägyptischen Bemühungen, das notwendige Umfeld für seine Regionalpolitik zu schaffen, hielt Ägypten nicht davon ab, den Versuch zu unternehmen, seinen Anspruch auf die regionale Dominanz zu unterstreichen: -Ägypten versuchte, nachdem Jordanien und die PLO ihre Verträge schneller als die Ägypter erwartet hatten, mit Israel abschlossen, den Friedensprozeß oder zumindest die Normalisierung der Beziehungen mit Israel zu beeinflussen. Die Vermittlung zwischen Israel und der PLO seit 1994 diente dem Zweck, die regionale Bedeutung Ägyptens zur Geltung zu bringen. Nach der Wahl Netanjahus waren aber diesen Vermittlungsaktivitäten Grenzen gesetzt. Israel bezichtigt Ägypten, den Palästinensern zu einem harten Kurs zu raten, um später wiederum als Vermittler aufzutreten. -Ägypten machte sich seit 1994 zum Wortführer der arabischen Staaten bei der Frage der nuklearen Nonproliferation. Die ägyptische Diplomatie nahm Ende 1994 die für den Mai 1995 anstehende Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages zum Anlaß, diese vom Beitritt Israels abhängig zu machen. Auch wenn Ägypten bilateral stets Israel zu diesem Schritt aufforderte, stand die Aktualisierung dieser Frage im Zusammenhang mit politischen Zielen. Ägypten wollte demonstrieren, daß es trotz des Friedensvertrags mit Israel und den engen Beziehungen zu den USA einen unabhängigen außenpolitischen Kurs einschlagen kann. Den Ägyptern war die Position Israels bekannt: die grundsätzliche Weigerung, sein Nuklearprogramm für die internationale Inspektion zu öffnen. Israel war bei den multilateralen Sicherheitsverhandlungen nicht bereit, sich zu verpflichten, seine atomaren Waffen parallel zu den Friedensverträgen mit den arabischen Staaten zu reduzieren Trotz der unnachgiebigen Haltung Israels mußte Ägypten schließlich unter dem Druck der USA den Atomwaffensperrvertrag verlängern. -Die ägyptische Führung hatte Mitte der neunziger Jahre nicht nur die Friedensverträge mit Argwohn und Nervosität beobachtet. Um nicht ins Abseits der Regionalpolitik zu geraten, versuchte sie die Führungsansprüche der anderen Akteure oder Bündnisse, die real oder potentiell gegen die Interessen Ägyptens gerichtet sein könnten, zu konterkarieren. Exemplarisch können die Irakpolitik und der türkisch-israelische Militärvertrag genannt werden. In bezug auf den Irak begnügte sich Ägypten zunächst mangels politischer Instrumente mit der Formel, daß Ägypten jegliche Gefährdung der territorialen Integrität des Irak ablehne.

Als Jordanien aber 1995 eine auffällig kritische Haltung gegenüber dem irakischen Regime einnahm und -nicht ohne amerikanische Veranlassung -für einen Wandel im Irak warb, kritisierte die ägyptische Regierung die jordanische Einmischung. Ein Wandel im Irak hätte mit Unterstützung Jordaniens tatsächlich zu einer Veränderung der regionalen Struktur geführt. Aus diesem Grund bekam Ägypten bei seinen Bemühungen, Jordanien von der Einmischung abzuhalten, Flankenschuz durch die syrische Führung, die ebenfalls keinen Wandel mit jordanischer Unterstützung im Irak wünschte -Der israelisch-türkische Militärvertrag von 1994, der primär die Sicherheit Syriens tangiert, wurde von der ägyptischen Führung ebenfalls als eine Gefahr für die regionale Sicherheit bewertet. Die Beschwichtigungen der türkischen Regierung, die den Vertrag als rein technisch und nicht politisch zu interpretieren versuchte, wirkten nicht beruhigend auf die ägyptische Führung. Der Beschluß der Gipfelkonferenz der Ligastaaten im Juni 1996 zur israelisch-türkischen Zusammenarbeit fiel dennoch moderat aus Die Türkei wurde lediglich gemahnt, die Sicherheit der arabischen Staaten durch den Vertrag mit Israel nicht zu gefährden. Durch diese zurückhaltende Erklärung wurde der Streit mit der Türkei jedoch nicht beigelegt. Ägypten machte den Versuch, die Türkei von einer weitergehenden Kooperation mit Israel abzuhalten. So wurde die Idee einer militärischen Zusam-menarbeit mit dem Iran lanciert, um die Türkei auf mögliche Gegenstrategien aufmerksam zu machen -Ägypten versuchte eine gewisse Distanz zur amerikanischen Nahostpolitik zu halten, um seine außenpolitische Unabhängigkeit zu demonstrieren. Die Adressaten dieser Politik sind sowohl die USA als auch die Staaten der Region. Die USA sollten bei den neuen Regelungen im Nahen Osten die regionale Bedeutung Ägyptens anerkennen und Israel nicht den Vorzug geben. Gleichzeitig wollte Ägypten den arabischen Staaten vorführen, daß es sich trotz der seit dem Camp-David-Abkommen entstandenen Bindungen zu den USA dem Druck der Großmacht im Zusammenhang mit dem arabisch-israelischen Konflikt nicht beugt. -Die ägyptischen Bemühungen um eine regionale Dominanz drücken sich nicht nur in Vorbehalten und Ablehnungen aus. Nach der Maxime einer dynamischen und aktiven Außenpolitik versuchte Ägypten insbesondere nach 1995 durch eine sehr aktive Vermittlungstätigkeit bei den Streitigkeiten zwischen den Palästinensern und Israel sich regionalen Respekt zu verschaffen. Dieser Vermittlungstätigkeit sind aber besonders nach Netanjahus Regierungsantritt Grenzen gesetzt.

Abgesehen von dieser Vermittlungstätigkeit versuchte Ägypten nach dem zweiten Golfkrieg seine klassische Funktion als Katalysator der innerarabischen Annäherung zu übernehmen. Ägypten hat, zumindest nach dem Scheitern seiner Initiativen für einen entsprechenden Verständigungsvertrag 1994/1995, erkannt, daß die arabische Welt trotz der Versöhnungskundgebungen für längere Zeit gespalten und polarisiert bleiben wird. Die teilweise vor dem zweiten Golfkrieg entstandenen Gruppierungen können sich tatsächlich nur durch Ägypten in seiner Funktion als Katalysator und Vermittler zusammenfinden. Diese Katalysator-funktion soll die regionale Bedeutung Ägyptens herausstellen, um u. a.den Zufluß externer Gelder zu sichern. Unter Berücksichtigung der Position der Geberländer fallen die Beschlüsse der Arabischen Liga in den letzten drei Jahren sehr moderat aus. So wurde der Beschluß der Arabischen Liga im Mai 1997, die Normalisierung mit Israel vorerst zu verlangsamen, sehr vage gefaßt und den einzelnen Staaten die Interpretation überlassen. Staaten, die ihre Beziehungen mit Israel vertraglich geregelt haben -etwa Ägypten sind nicht verpflichtet, der Empfehlung Folge zu leisten.

IV. Die ägyptische Wirtschaftsentwicklung: Vom Rentierstaat zum neuen Tiger?

Im Zusammenhang mit den Wirtschaftsreformen der neunziger Jahre und vor dem Flintergrund der Entspannung der ägyptischen Wirtschaft in den letzten drei Jahren wird in Ägypten nicht selten das Entwicklungsmodell des asiatischen „Tigers“ als Modell für das eigene Land betrachtet. Dies impliziert, daß strukturelle Veränderungen erfolgen müssen. Ägypten, das „Musterbeispiel eines Semirentierstaates“ müßte zu einem wirtschaftlich produktiven und exportorientierten Staat werden. Es scheint allerdings trotz der wirtschaftlichen Veränderungen der neunziger Jahre, daß die Rentenäquivalente die sogenannten „big four“ (Erdöl, Tourismus, Suezkanalgebühren und Über-weisungen der ägyptischen Arbeiter) sowie die politische Rente immer noch die Fundamente der ägyptischen Wirtschaft bilden.

Jedoch muß -wie das Beispiel Israel zeigt -der Zufluß der Renten und Rentenäquivalente kein Hindernis für wirtschaftliche Entwicklung sein. In Ägypten hatten jedoch die Rentenäquivalente und die politische Rente lange einen negativen Effekt: Die Durchführung von wirtschaftlichen Reformen wurde bis Anfang der neunziger Jahre blockiert. Diese Haltung widersprach der ursprünglichen Intention der Strategen der Öffnungspolitik der siebziger Jahre, die Ägypten an den Weltmarkt anschließen und einen Kapital-und Technologie-transfer ermöglichen wollten. Von der ehrgeizigen Absicht blieb nur die Mobilisierung der externen Rente und Rentenäquivalente. Ägypten verzeichnete zwar trotz der Abhängigkeit von der Rente und wahrscheinlich als Ergebnis der Kapitalspritzen bis Mitte der achtziger Jahre eine Wirtschaftswachstumsrate von bis zu neun Prozent Diese Tendenz hielt sich jedoch nicht lange. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre überschattete eine anhaltende Krise die Entwicklung in Ägypten. Der Verfall der Erdölpreise beeinträchtigte empfindlich die ägyptischen Einnahmen aus den genannten „big four“. Neben der Reduzierung der eigenen Erdöleinnahmen mußten ägyptische Arbeitskräfte aus den arabischen Erdölstaaten in ihre Heimat zurückkehren. Zudem limitierten die Erdölstaaten die Geldmenge, die von den ausländischen Arbeitnehmern überwiesen werden durfte. Das Einkommen aus dem Tourismus und den Suezkanalgebühren stagnierte wegen des allgemeinen Unsicherheitgefühles, verursacht durch den ersten Golfkrieg.

Die Krisenmanager des als „Überlebenskünstler“ bezeichneten ägyptischen Staates besaßen weit weniger Optionen bei der Bewältigung der Krise, als es den Anschein hatte. Einerseits scheute die ägyptische Regierung, die von den USA und den internationalen Finanzinstitutionen verordnete Strukturanpassung, andererseits vertraute sie dem Umstand, daß die USA einen wichtigen Staat wie Ägypten nicht fallen lassen würden. Bei der ersten Option hätte der Staat, der 80 Prozent der Lebensmittel subventioniert, die zum größten Teil importiert werden, seine politische Legitimation aufs Spiel gesetzt. Die Voraussetzung einer Umstrukturierung der Wirtschaft wäre die Privatisierung der maroden Staatsunternehmen gewesen. Dies hätte aber bedeutet, daß sich ein Teil der staatstragenden Bürokratie von ihren Privilegien hätte verabschieden müssen. In der Konsequenz wäre die auf 20 Prozent geschätzte Arbeitslosigkeit durch die Umstrukturierung der Wirtschaft nicht erheblich abgebaut worden. Mubarak wählte einen anderen Weg: Die Sanierung der Wirtschaft wurde zwar versprochen; tatsächlich finanzierte die ägyptische Regierung aber die alte Politik mit dem Ergebnis großer Verschuldung. Mubarak war Ende der achtziger Jahre mit 50 Mrd. US-Dollar Auslandsschulden auf dem besten Weg, in die Fußstapfen von Khedive Ismail, der Ägypten in den Jahren 18631879 regierte und in den Staatsbankrott trieb, zu treten. Die internationalen Bedingungen unterschieden sich allerdings gründlich von denen des 19. Jahrhunderts. Vor allem die USA müssen Ägypten aus politischen und strategischen Gründen vor dem Bankrott schützen.

Der Unwille der ägyptischen Führung, die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geforderten Wirtschaftsanpassungen durchzusetzen, wurde nach dem zweiten Golfkrieg aufgegeben. Neben dem großen Schuldenmoratorium und der Vereinbarung, weitere Schulden zu erlassen, dürften zwei zusätzliche Faktoren die Entscheidung der ägyptischen Regierung beeinflußt haben: Da war zum einen die Sorge, daß die alten Wirtschaftsstrukturen der von Ägypten beanspruchten regionalen Großmacht nicht förderlich sein würden, und zum anderen, daß Ägypten im Zusammenhang mit den regionalen ökonomischen Umwälzungen nicht ausreichend beteiligt und honoriert würde. Beide Aspekte müßten die Legitimation des politischen Systems und damit sein Überleben beeinträchtigen.

V. Umstrukturierung der ägyptischen Wirtschaft

Das Kernstück der neuen Reformen ist die Privatisierung der staatlichen Unternehmen die über anderthalb Jahrzehnte nach dem Beginn der Liberalisierung (infitah) rechtlich geregelt wurde Es ist festzustellen, daß alle Gesetze seit der Liberalisierung Mitte der siebziger Jahre die Gründung von Joint-ventures und von privaten Unternehmen regelten. Die rechtlichen Grundlagen für die Privatisierung der staatlichen Unternehmen wurden Anfang der achtziger Jahre in Angriff genommen. Daß erst 1991 das Gesetz zur Privatisierung der staatlichen Unternehmen verabschiedet wurde, war zweifellos ein Ergebnis der Vereinbarung mit dem IWF. In der Absichtserklärung (Letter of Intent) der ägyptischen Regierung mit dem IWF ging die Regierung Verpflichtungen ein, deren Implementierung zur Marktwirtschaft führen sollen.

Neben der Privatisierung verpflichtete sich Ägypten zur Liberalisierung des Außenhandels und zu einer stärkeren Außenorientierung der Marktwirtschaft, zu einer Reform des Versicherungswesens und des Mietrechts. Im September 1993 wurde ein zweiter Vertrag mit dem IWF unterzeichnet, in dem die Reform von Steuerpolitik und Privatisierung festgelegt wurde. In einer Absichtserklärung vom August 1993 wurde der Umfang der staatlichen Unternehmen, die umstrukturiert bzw. privatisiert werden sollen, auf 314 Firmen festgelegt. 75 verschuldete Unternehmen sollten umstrukturiert werden, 51 hochverschuldete liquidiert und 125 Unternehmen privatisiert werden. Die Privatisierung der Staatsunternehmen, die in 27 Holdinggesellschaften, die 314 Tochterfirmen kontrollierten, zusammengefaßt worden waren, ging schleppend, so daß bis 1997 nur 46 Firmen im Wert von 3, 1 Mrd. ägyptischen Pfund veräußert worden waren Dies ist kaum als Erfolg zu bewerten, denn der Wert der zum Verkauf angebotenen Firmen wird auf ca. 80 Mrd. ägyptische Pfund (rd. 27 Mrd. US-Dollar) geschätzt Die Verschleppung der Privatisierung der staatlichen Unternehmen hat viele Gründe: -Obwohl in Ägypten jährlich 250 bis 300 Tausend neue Arbeitsplätze entstehen, bleibt Jahr für Jahr die Hälfte der neu hinzukommenden Arbeitskräfte erwerbslos. Durch die Privatisierung wird sich erwartungsgemäß wegen der Rationalisierung und Modernisierung die Arbeitslosenrate (die offiziell mit rd. 9 Prozent angegeben und inoffiziell auf bis zu 20 Prozent geschätzt wird) noch weiter erhöhen. Die Konditionen des Verkaufs der staatlichen Unternehmen mit dem Entlassungsverzicht der Beschäftigten innerhalb der ersten drei Jahre nach dem Erwerb des Unternehmens sowie der Verkauf von 5 bis 10 Prozent der Aktien an die Belegschaft hätten sich allerdings negativ auf die Verkaufsstrategie ausgewirkt. Um dies zu vermeiden, dürfen die Käufer der Unternehmen die Beschäftigten durch Abfindungen reduzieren. Der von den Geberländern und von der ägyptischen Regierung gegründete „Social Found for Development“ Prozent geschätzt wird) noch weiter erhöhen. Die Konditionen des Verkaufs der staatlichen Unternehmen mit dem Entlassungsverzicht der Beschäftigten innerhalb der ersten drei Jahre nach dem Erwerb des Unternehmens sowie der Verkauf von 5 bis 10 Prozent der Aktien an die Belegschaft hätten sich allerdings negativ auf die Verkaufsstrategie ausgewirkt. Um dies zu vermeiden, dürfen die Käufer der Unternehmen die Beschäftigten durch Abfindungen reduzieren. Der von den Geberländern und von der ägyptischen Regierung gegründete „Social Found for Development“ (SFD) soll durch Finanzierung von Kleingewerbe und Umschulungen die negativen sozialen Auswirkungen der Privatisierung mildern. -Die Verschleppung der Veräußerung der Unternehmen und die durch den maroden Zustand der Firmen verursachte Zurückhaltung der Investoren hatte die „Erfindung“ von neuen Privatisierungswegen zur Folge. Einige Unternehmen praktizierten den Verkauf von Tranchen, so daß stufenweise Aktien der Unternehmen an der Börse angeboten wurden. Diese Privatisierungsform ermöglicht jedoch wegen der unzulänglichen Kontrolle Korruption in großem Maße. Die 1996 bekannt gewordene Habbak-Affäre dürfte die Spitze des Eisbergs im Meer der undurchsichtigen Privatisierungsgeschäfte 19 sein. Abd al-Wahhab al-Habbak, der im Juli 1997 zu einer hohen Haft-und Geldstrafe verurteilt wurde, war der Chef der „Engineering Industries Holding Company“, einer Zusammenführung von über 20 Elektronik-Firmen, die teilweise an ausländische Investoren weit unter ihrem Wert veräußert wurden. Der Staatsanwalt warf dem Chef der Holdinggesellschaft Habbak vor, bis zu 200 Mio. US-Dollar Provision und Schmiergelder erhalten zu haben. -Vermutlich wird die ägyptische Regierung für viele staatliche Unternehmen die sogenannten Anker-Investoren nicht finden 20. Sie wird sich daher gezwungen sehen -um das Privatisierungsprogramm rasch durchzuführen und vor allem um die laufenden Defizite nicht zahlen zu müssen die Unternehmen an die Börse zu bringen.

Die ägyptische Regierung versucht, die gleichwohl nicht zu übersehende Verbesserung der Wirtschaftslage als das Ergebnis der Liberalisierung der Wirtschaft darzustellen. Tatsächlich erlebt die Wirtschaft des Landes seit dem zweiten Golfkrieg einen beachtlichen Aufschwung, der anhand des Wachstums des Bruttoinlandsproduktes (BIP), das 1995 bei 3, 2 und 1995 bei 4, 3 Prozent lag, festgestellt werden kann. Prognosen zufolge ist für die kommenden Jahre ein Zuwachs von über 6 Prozent zu erwarten Damit wird das BIP mehr als doppelt so schnell wachsen wie die Bevölkerung. Das Pro-Kopf-Einkommen in Ägypten überstieg zum ersten Mal mit 1 021 US-Dollar die Tausend-dollar-Grenze Gleichzeitig verzeichnete Ägypten eine hohe Reserve an harter Währung, die 1997 bei 19 Mrd. US-Dollar lag. Der neue Wirtschaftsminister Yusuf Ghali verkündete im Juli 1997 selbstbewußt, daß die Verschuldung kein Problem mehr für die ägyptische Wirtschaft sei Die hohen Währungsreserven (19 Mrd. US-Dollar) und die Abnahme der Schulden, die 1997 rd. 25 Mrd. US-Dollar betrugen, sind eine gute Basis. Der Pariser Club billigte bereits im Oktober 1996 auf Empfehlung des IWF Ägypten einen Schuldenerlaß im Umfang von vier Mrd. US-Dollar.

Dies sind nicht die einzigen Indikatoren für eine merkliche Besserung der Wirtschaftslage Ägyptens. Hierzu gehörten auch eine geringe Inflationsrate (sechs Prozent), eine geringe Zunahme des Haushaltsdefizits (ein Prozent des BIP) sowie eine hohe Wachstumsrate, die allerdings eine erhoffte Zunahme der Sparguthaben nicht zur Folge hatte. Das chronische Handelsbilanzdefizit konnte in den letzten fünf Jahren nicht unter die Marge von sieben Mrd. US-Dollar gedrückt werden. Positiv ist die Entwicklung bei den industriellen Erzeugnissen. Allein das Stahlunternehmen Alexandria National Iron & Steel exportierte 1994 Produkte im Wert von 91 Millionen US-Dollar; dies entsprach dem Wert der exportierten Baumwolle des gleichen Jahres

Die Indikatoren der ägyptischen Wirtschaft zeigten aber auch Anfang der achtziger Jahre positive Werte. Es ist daher wichtig, auch die gegenwärtige Entwicklung der Erträge der erwähnten „big four“ aufzuzeigen. Unberücksichtigt sollen die Erlöse der verkauften Unternehmen bleiben, weil der ägyptische Staat einen beachtlichen Teil dieser für die Deckung der Schulden der übrigen defizitären Unternehmen erbringen muß. Ohne die Erfolge der ägyptischen Regierung bei den Wirtschaftsreformen zu schmälern, zeigen die Erlöse der „big four“ tatsächlich einen überdurchschnittlichen Zuwachs. Für 1996 wurden die Erträge der Tourismus-Branche mit 3, 1 Mrd. US-Dollar beziffert; die Überweisungen der im Ausland tätigen Ägypter erreichten rd. 10 Mrd. ägypt. Pfund; die Suezkanal-gebühren brachten der Staatskasse über 900 Mio. US-Dollar ein und schließlich wurde Erdöl für eine Summe von 8, 8 Mrd. ägyptischen Pfund exportiert

VI. Ägypten und die regionale Wirtschaftskooperation

Als die auf der Madrider Friedenskonferenz vorgeschlagene Idee einer regionalen Wirtschaftskooperation noch keine konkrete Gestalt angenommen hatte, begann in den ägyptischen Massenmedien eine Debatte über die Rolle Ägyptens in einem zukünftigen Nahost-Markt und die Dimensionen der israelischen Beteiligung daran. Einerseits war Ägypten besorgt, daß es angesichts seiner wirtschaftlichen Situation nicht ausreichend Nutzen aus diesem Markt ziehen könnte; andererseits mußte eine Dominanz der israelischen Wirtschaft befürchtet werden. Schließlich mußte Ägypten befürchten, daß im Rahmen einer umfassenden Friedensregelung und Entstehung eines regionalen Marktes die bisherige -vor allem von den USA (rd. 2, 1 Mrd. US-Dollar) -an Ägypten geleistete jährliche Unterstützung reduziert werden könnte. Eines scheint aber für die ägyptische Führung klar gewesen zu sein: Das bisherige Verhältnis zu den Geberländern, das seit dem Camp-David-Abkommen entstanden war, wird sich ändern.

Hinsichtlich der Beteiligung Israels an dem zu Beginn der neunziger Jahre rege debattierten Nah-ost-Markt wurde vor allem die Befürchtung signalisiert, daß in erster Linie in Israel investiert werde, und daß die israelischen Waren hier ihren Absatz finden könnten Die Vorstellungen Schimon Peres’ von einer Freihandelszone, in der die israelische Technologie, Arbeitskräfte der bevölkerungsreichen Staaten und Finanzkapital aus den Golfstaaten zu einer erfolgreichen Wirtschaftsintegration führen sollten, wurde in Ägypten kritisch aufgenommen Ägypten, das bei dieser Komplementarität die Arbeitskräfte zur Verfügung stellen sollte, war mit diesem Integrationskonzept nicht einverstanden. Es wurde argumentiert, daß jedes Land -auch wenn es nicht im gleichen Maße über die genannten Faktoren verfüge -sich auch ohne Zusammenschluß in einem Integrationsprogramm bemühen könne, die in nicht ausreichendem Maße vorhandenen Faktoren zu importieren

Die ägyptischen Vorbehalte bis zur ersten Tagung von MENA (Middle East and North Africa Economic Conference) in Casablanca im November 1994 spiegelten folgende Aspekte wider:

Die Vorstellungen über eine regionale Wirtschaftsintegration seien eher vage. Drei Konzepte standen bis 1994 zur Diskussion: a) Die Errichtung einer regionalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die dem Konzept der OECD entspricht; b) Schaffung eines Sonderprogramms der Weltbank für den Nahen Osten; c) Errichtung einer regionalen Entwicklungsbank.

Die Errichtung eines Sonderprogramms der Weltbank schien überflüssig zu sein, weil die Weltbank bereits eigens Kreditprogramme für die Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas aufgelegt hatte. Eine Nahost-OECD, die von den europäischen Staaten im Rahmen der Friedenskonferenz vorgeschlagen wurde, sollte als eine intermediäre Organisation die wirtschaftspolitischen Analysen anfertigen und Projektfinanzierungen vermitteln. Dieser Vorschlag wurde als weniger hilfreich bewertet, weil das Interesse der Staaten der Region hieran, anders als an einer Entwicklungsbank, vermutlich nicht sehr groß sein könnte. Die Skepsis der Ägypter und ihre Vorbehalte sind nicht nur durch die Befürchtung begründet, daß die bisherige „politische Rente“, die Ägypten seit den siebziger Jahren erhält, reduziert werden könnte, sondern sie basieren auf historischen Erfahrungen und allgemeinen strukturellen Problemen der letzten 50 Jahre hinsichtlich der regionalen Wirtschaftsintegration. So waren alle regionalen Wirtschaftsverträge mit Ausnahme des Golf-Kooperationsrates kläglich gescheitert.

Das MENA-Konzept etablierte sich schließlich als eine Mischung aus allen möglichen Varianten der regionalen Wirtschaftskooperation. Die Tagung selbst bekam die Funktion eines Forums für die Vorstellung von nationalen und regionalen Wirtschaftsprojekten. Die Beteiligung der internationalen Finanz-und Wirtschaftsunternehmen verlieh der Tagung den Charakter eines Marktes für Ein-werbung von international umkämpften ausländischen Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment). Schließlich beschloß die MENA-Tagung in Amman 1995 folgende Organisationen bzw. Institutionen zu gründen: eine regionale Entwicklungsbank (Bank for Cooperation and Development in the Middle East and North Africa), eine regionale Tourismusorganisation North Africa), eine regionale Tourismusorganisation (The Middle East-Mediterranean Travel and Tourism Association) und eine regionale Unternehmerorganisation (The Regional Business Council). Die entstandene Struktur von MENA enthält Elemente aller nach der Friedenskonferenz gemachten Vorschläge.

Die ägyptischen Vorbehalte hinsichtlich der regionalen Wirtschaftskooperation mußten nach MENA I und nach MENA II aufgegeben werden. Die Ursachen liegen sowohl in der Veränderung der gesamten Situation im Nahen Osten -insbesondere im Zusammenhang mit dem Auftreten von Schwierigkeiten im Verlauf des Friedensprozesses und der Beziehungen zu Israel. Von Anbeginn war es evident, daß eine Reziprozität zwischen dem Friedensprozeß und der regionalen Wirtschaftskooperation besteht. Die Reziprozität war auch gewollt, damit die Akteure in beiden Bereichen Fortschritte machen. Die ägyptische Regierung, die Gefahr witternd, daß Ägypten seine Bedeutung als die dominante arabische Macht zugunsten Israels verlieren könnte, verfolgt eine doppelte Strategie: Einerseits konnte Ägypten die USA und die anderen westlichen Staaten mit einer offenen Opposition zur MENA-Tagung nicht brüskieren. Ägypten war kein prinzipieller Gegner der MENA-Tagung; es ging vielmehr darum, die Tagung, solange die ägyptische Wirtschaft für die regionale Kooperation nicht vorbereitet war, hinauszuschieben. Andererseits: Als die USA, die EU-Staaten sowie die regionalen Akteure mit MENA I einen wichtigen Schritt zur Regionalisierung der Wirtschaft taten, mußte sich Ägypten aus ökonomischen und politischen Gründen beteiligen und um Finanzierung seiner Projekte werben. Ägypten versuchte dennoch -zumindest hinsichtlich der Beteiligung Israels -die arabischen Akteure (z. B. Bahrain, Oman, Qatar, Tunesien, Mauritanien und Marokko), die schon vor einem umfassenden Frieden wirtschaftliche Beziehungen zu Israel aufnahmen, vor einer voreiligen Normalisierung der Wirtschaftskontakte zu warnen .

Mit der Verlangsamung des Friedensprozesses wurde auch das wirtschaftliche Pendant des Prozesses verzögert -eine Situation, die am ehesten den Erfordernissen der ägyptischen Wirtschaft entspricht. Die im November 1996 in Ägypten gehaltene MENA III kann folgendermaßen beschrieben werden: weniger regionale Projekte, eine Entpolitisierung der wirtschaftlichen Kooperation und möglichst eine reduzierte Beteiligung Israels.

Bei MENA III wurden die Anstrengungen der ägyptischen Regierung sichtbar, die Privatisierung voranzutreiben. Immerhin machte der Anteil der von dem Privatsektor vorgestellten Projekte 61 Prozent der gesamten von Ägypten präsentierten Projekte aus

Eine Tagung der Weltbank im Oktober 1996 in Istanbul zeigte allerdings, daß eine regionale Zusammenarbeit eine unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwicklungspolitik in der Region ist. Die Wachstumsrate von drei Prozent wird angesichts des starken Bevölkerungswachstums der Region zu keiner Verbesserung der Wirtschaftslage führen. Die von der Weltbank bis zum Jahr 2010 anvisierte Wachstumsrate von sechs Prozent des BIP der ärmeren Staaten der Region, zu denen auch Ägypten gehört, würde zur Verdoppelung des Pro-Kopf-Einkommens dieser Länder, das 1996 bei 1200 US-Dollar lag, führen Als Voraussetzung dafür wird für den genannten Zeitraum eine Summe von 25 Mrd. US-Dollar an Investitionen in die Infrastruktur genannt. Die Finanzierung ist allerdings das Dilemma. Die Geberländer können nicht mehr als 15 Mrd. US-Dollar investieren; die Staaten der Region sowie die regionalen Entwicklungsfonds der Erdölstaaten sollen sich mit 65 Prozent an den Investitionen beteiligen. Der Rest soll vom Privatsektor gedeckt werden.

Es ist evident, daß die Rolle, die die Weltbank -sie überprüft alle drei Monate den Stand der Privatisierung -dem Privatsektor zugedacht hat, rechtliche und politische Rahmenbedingungen erfordert. Um die Bedingungen für die erforderlichen rd. 25 Mrd. US-Dollar Investitionen herzustellen, hat Ägypten auf dem inländischen Privat-sektor und für die ausländischen Investoren günstige Voraussetzungen geschaffen. Der 1996 ernannte Ministerpräsident Kamal al-Ganzuri hat in den letzten zwei Jahren fast alle Investitionsgesetze novelliert, die Anfang der neunziger Jahre die ausländischen Investitionen behinderten. Diese Gesetze setzten allen Einschränkungen und Restriktionen für das ausländische Kapital ein Ende Ausländische Investoren unterliegen nicht mehr der 49-Prozent-Klausel bei der Gründung von oder der Beteiligung an Unternehmen. Darüber hinaus dürfen sie uneingeschränkt Immobilien (einschließlich Flughäfen, Straßen, Energieanlagen) und Banken erwerben.

VII. Fazit

Eine Folge des Friedensprozesses war -angesichts der neuen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen -die Sorge der beteiligten Akteure um einen Platz im Rahmen der neuen Ordnung. Ägypten mit seinem Anspruch, die führende arabisehe Macht zu sein, hat nicht ganz unbegründet Angst, im Rahmen der neuen nahöstlichen politischen und wirtschaftlichen Arbeitsteilung seinen Rang an Israel zu verlieren. Die ägyptische Wirtschaft, die Ende der achtziger Jahre durch das Unvermögen der politischen Führung, notwendige Reformen durchzuführen, an den Rand des Ruins geraten war, bot keine Basis für eine Beteiligung an den geplanten regionalen Wirtschaftsstrukturen. Gestützt auf „politische Renten“ und „Rentenäquivalente“, das heißt überwiegend Zahlungen aus dem Ausland, versäumte die ägyptische Führung, anderthalb Dekaden nach der Verkündung der wirtschaftlichen Öffnungspolitik, diese Politik in die Realität umzusetzen. Aber auch nach dem zweiten Golfkrieg und nachdem ein wesentlicher Schuldenerlaß Ägypten wieder handlungsfähig gemacht hatte, zeigte die ägyptische Führungsschicht keinen großen Eifer, die seit langem anvisierten Reformen durchzusetzen. Erst Mitte der neunziger Jahre, als die Friedensverträge mit Jordanien und mit der PLO den Weg für die im Rahmen der Friedenskonferenz von Madrid vorgesehene regionale Wirtschaftskooperation ebneten, fürchtete Ägypten, politisch und wirtschaftlich marginalisiert zu werden. Aus Gründen der nun doch forcierten wirtschaftlichen Umstrukturierung versuchte das Land, mit außenpolitischen Mitteln eine zentrale Rolle unter den veränderten Rahmenbedingungen zu beanspruchen. Die Instrumente -eine aktive Außenpolitik, Vermittlungsaufgaben im Rahmen des Friedensprozesses und ein nostalgischer, instrumentaler Panarabismus -sollten im politischen und ökonomischen Konkurrenzkampf gegen Israel Wirkung zeigen. Mit Sicherheit -ohne die regionalpolitische Bedeutung der ägyptischen Politik in Frage zu stellen -waren die wachsenden Schwierigkeiten im Friedensprozeß und nicht die ägyptische Politik ursächlich für die Verlangsamung der begonnenen regionalen Umwälzungen. Die Sorgen der ägyptischen politischen Klasse um ihre regionale Rolle, die Furcht, daß andere Akteure die Führung der arabischen Welt übernehmen könnten, und ihre Bemühungen, weiter die „politische Rente“ zu erhalten, werden wahrscheinlich eine mögliche neue Runde im Friedensprozeß begleiten. Ein junger ägyptischer Novellist, Yusuf al-Qaid, schrieb einst: „Every generation has a particular fate, and our fate, we, the sons of Egypt, is that our ambitions were greater than our possibilities.“

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der amerikaniche Außenminister Baker schreibt in seinen Memoiren der ägyptischen Rolle keine große Bedeutung zu. Vgl. James Baker, Drei Jahre, die die Welt veränderten. Erinnerungen, Berlin 1996, S. 478 ff.

  2. Vgl. Al-Ahram Center for Strategie Studies: Al-Taqrir alistratiji al-’arabi 1995, Kairo 1996, S. 491-522.

  3. Der Begriff der „Arabischen Regionalordnung“ und der „Arabischen Sicherheit“ sowie verwandte Begriffe wurden in den siebziger Jahren von der ägyptischen Diplomatie und ägyptischen Forschungszentren, etwa vom al-Ahram Center for Strategie Studies, als Instrumente des ägyptischen Dominanzanspruchs im Nahen Osten propagiert.

  4. Vgl. zur Funktion des Panarabismus im Ägypten der neunziger Jahre Fuad Ajami, The Sorrows of Egypt, in: Foreign Affairs, 74 (1995) 5, S. 72-88.

  5. Ebd., S. 256 f.

  6. Vgl. das Interview mit dem ägyptischen Sicherheitsexperten General Ahmad Fakhr. Nach Angaben Fakhrs machte Ägypten den Vorschlag, Israel möge einen Teil seiner atomaren Waffen unter internationaler Aufsicht parallel zu den Friedensverträgen mit den arabischen Staaten vernichten. Ein bestimmtes Kontingent dürfe Israel behalten solange Iran und Pakistan ihre Nuklearprogramme weiterentwickeln. Israel lehnte die Vorschläge ab.

  7. Die Vereinigten Staaten glaubten, daß durch die jordanische Unterstützung die Konkurrenten Saddam Husseins gestärkt werden und möglicherweise die Macht übernehmen könnten. Vgl. Najim Jarrah, Iraq: Arabs at odds over the „American project“, in: Middle East International vom 8. September 1995, S. 3.

  8. Vgl. ebd.

  9. Vgl. Al-Ahram vom 24. Juni 1996.

  10. Präsident Mubarak sprach anläßlich des Jahrestages der Juli-Revolution von einem iranischen Vorschlag, den er abgelehnt habe. Vgl. Al-Ahram vom 23. Juli 1997. Die iranische Regierung dementierte die Existenz von solchen Plänen. Vgl. al-Hayat vom 28. Juli 1997.

  11. Vgl. Peter Pawelka, Der Vordere Orient und die Internationale Politik, Stuttgart 1993, S. 127.

  12. Mit dem Begriff Rentenäquivalente sind folgende Rentenarten gemeint: Lagerente (Pipelines-und Suezkanalbenutzung), politische Rente und die Überweisungen der Gastarbeiter. Vgl. P. Pawelka, ebd., S. 106.

  13. Robert Springborg, Mubarak’s Egypt, fragmentation of the political order, Boulder 1989, S. 261.

  14. Vgl. Alan Richards/John Waterbury, A Political Economy of the Middle East. State, Class, and Economic Development, Boulder 1990, S. 243.

  15. Ausgenommen von der Privatisierung bleiben wahrscheinlich vorläufig folgende Unternehmen und Branchen: Suezkanal, Tabakindustrie, Aluminiumindustrie, Stahl-und Eisenwerke, Zuckerraffinerien und Telekommunikation. Die Privatisierung der Rüstungsindustrie und ziviler Unternehmen des Verteidigungsministeriums wurde nicht in die Diskussion eingebracht.

  16. Vgl. Qanun sharikat qita’ al-a’mal al-’amm raqam 203 li sanat 1991. Taba’s sadisa (Gesetz zum öffentlichen Sektor, Nummer 203 für das Jahr 1991), Kairo 1994.

  17. Vgl. Al-Ahram vom 11. August 1997.

  18. Vgl. ebd. vom 11. August 1997; Neue Zürcher Zeitung vom 18. Juni 1997.

  19. Vgl. Gamal Essam El-Din, Waiting for the big Investor, in: Al-Ahram Weekly vom 31. Juli-6. August 1997, S. 7.

  20. Vgl. BfAi-Länderreport, Ägypten, Februar 1996, S. 2; Josh Martin, Have the reforms gone far enough?, in: The Middle East, (Januar 1997) 263, S. 17 f.

  21. Vgl. Wolfgang Köhler, Ägyptens Regierung spendet sich wirtschaftspolitisches Eigenlob, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Dezember 1996.

  22. Vgl. al-Ahram al-Iqtisadi vom 21. Juli 1997, S. 48 f.

  23. Vgl. Middle East Economic Digest vom 2. Juni 1995, S. 37.

  24. Vgl. Al-Ahram vom 9. August 1997.

  25. Vgl. Said al-Naggar, Misr wa thaddiyat al-Salam (Ägypten und die Herausforderungen des Friedens), in: Salwa Sulaiman, Afaq al-Iqtisad al-misri (Die Horizonte der ägyptischen Wirtschaft), Kairo 1996, S. 42-45.

  26. Vgl. Said al-Naggar, Kooperation im Nahen Osten. Institutioneile Aspekte regionaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit, in: Europäische Rundschau, (1995) 3, S. 32 f.

  27. Vgl.ders. (Anm. 26), S. 49 f.

  28. Der ägyptische Außenminister Amre Moussa verkündete in seiner Rede auf MENA II am 29. Oktober 1995: „We have to interact with these changes, especially those related to economics and development, and our interaction must be wise and confident not rash or hasty.“ Vgl. Arab Republic of Egypt, Ministry of Foreign Affairs, Egyptian Foreign Policy 1995. The Statement of H. E. Amre Moussa, Kairo 1996, S. 78. Dies wurde von Jordanien und anderen arabischen Staaten als ein unhaltbarer Vorwurf bewertet, vgl. die jordanische Tageszeitung al-Dustur vom 30. Oktober 1995.

  29. Vgl. al-ahram al-Iqtisadi vom 11. November 1996, S. 1214; Die Kritik an dem Tempo der Schritte zur wirtschaftlichen Kooperation könnte sich allerdings -im Vorfeld der gespannten Situation im Nahen Osten -als nachteilig für die ägyptische Wirtschaft erweisen. Der Beschluß der Arabischen Liga vom Mai 1997 über die Einfrierung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Israel wurde von den Gegnern der regionalen Wirtschaftskooperation instrumentalisiert. Syrien plädierte für eine Absage von MENA IV in Qatar, die im kommenden November stattfindet. Ob Ägypten an MENA IV teilnimmt, ist abhängig davon, inwieweit die Geberländer ihre Hilfe von der regionalen Zusammenarbeit abhängig machen.

  30. Vgl. Middle East Economic Digest vom 1. November 1996.

  31. Die Texte sind abgedruckt in: Al-Ahram Al-Iqtisadi vom 14. Juli 1997.

Weitere Inhalte

Ferhad Ibrahim, Dr. phil. habil., geb. 1950 in Amouda/Syrien; Studium der Politischen Wissenschaft und Geschichte in Berlin und Stockholm; Oberassistent an der Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients des Fachbereichs Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Sabine Hofmann) Versöhnung im Verzug. Probleme des Friedensprozesses im Nahen Osten, Bonn 1996; (Hrsg. zus. mit Abraham Ashkenasi) Der Friedensprozeß im Nahen Osten -Eine Revision, Münster 1997.