ordnet werden, das Geschichtsbild der BRD flexibler zu gestalten und in Richtung auf eine Integration weiterer progressiver Kräfte auszudehnen. Dabei spielen nach wie vor sozialreformistische (sic!) Historiker die vorwärtstreibende Rolle." Außerdem lobte er (das zitieren Schroeder und Staadt anschließend) an Mommsen, Sywottek, Kleßmann, Steinberg und Steinbach, daß sie „sich um eine betont sachliche Sicht der KPD bemühten".
In Steinbachs beiden Konferenzbeiträgen kommt freilich die KPD nirgends vor -sie gelten vielmehr den Bestrebungen zur Wiederherstellung des Rechtsstaats als zentraler Zielsetzung des Widerstands, und sie analysieren die Entwicklung der unterschiedlichen Widerstandsmotivationen hin zu jener „moralischen Rigidität" im Geist einer „Menschenrechtsbewegung" jenseits politischer Taktik und Zweckmäßigkeitserwägungen, aus der heraus am 20. Juli 1944 der Umsturz versucht wurde.
Steinbachs gewiß nicht auf DDR-Empfindlichkeiten Rücksicht nehmendes Resümee der Widerstandsforschung lautet: „Als unabdingbare Bezugspunkte unserer Auseinandersetzung mit dem Widerstand lassen sich Menschen-und Naturrecht, klare Staats-ziele und Staatszwecke, die Verbindlichkeit des Rechts als . Schutz und Schirm'der Schwachen und der Untertanen im Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft, schließlich die Achtung vor dem menschlichen Leben und die Respektierung der Gottesebenbildlichkeit des einzelnen benennen. Ohne jeden Zweifel dachten die Widerstandskämpfer nicht die konkrete Ordnung des Grundgesetzes voraus; aber sie antizipierten seine Prinzipien und gaben einer Zivilität Ausdruck, die sogar die bewaffnete Macht prägte."
Das ist eine Urteilsbasis, die sich allen schematischen parteipolitischen Festlegungen entzieht und doch auf einen festen Standpunkt nicht verzichtet. Daß die Autoren Schroeder und Staadt diese Basis augenscheinlich weder begreifen noch gar akzeptieren wollen, provoziert Fragen nach ihrer eigenen wissenschaftlichen Urteilsfähigkeit.
Zum „geregelten Nebeneinander" der beiden deutschen Staaten gab es keine Alternative, solange die SED unter sowjetischem Schutz stand und der DDR-Bevölkerung das Recht auf freie Selbstbestimmung verwehrt werden konnte. Die vertragliche Regelung des Nebeneinanders der beiden deutschen Staaten machte jedoch keineswegs den historischen Kompromiß mit den Geschichtsmythen der SED erforderlich. Jürgen Schmädeke bekräftigt in seinem Artikel noch einmal ausdrücklich ein konstitutives Mißverständnis vieler Teilnehmer des deutsch-deutschen Historiker-dialogs, indem er auf eine politische Ambivalenz des Geschichtsbildes der DDR in den achtziger Jahren verweist. Da genau aber hinkte der Pferdefuß: Die „Geschichtspolitik" der SED kannte keine Ambivalenz, sie war eindeutig. Je nach den taktischen Erfordernissen der SED-Politik vollzogen die verantwortlichen DDR-Historiker mehr oder weniger zügig Uminterpretationen ihres der Parteilichkeit verpflichteten Geschichtsbildes. Das jeweilig gültige vertraten auserwählte Parteihistoriker dann im deutsch-deutschen Historikerdialog.
Die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 wurden noch 1960 von DDR-Militärgeschichtlern als „Handlanger des deutschen Imperialismus, Spione des USA-Finanzkapitals und Denunzianten ihrer Kameraden" beschimpft. In den achtziger Jahren, als im Kontext des NATO-Doppelbeschlusses für die Westpolitik von SED und MfS-Aufklärung die „Generale für den Frieden" eine Rolle zu spielen hatten, erklärte man die Männer des 20. Juli kurzerhand zu historischen Vorläufern dieser ost-westlichen „Friedens-krieger", und als schließlich in der Deutschlandpolitik der SED die „Koalition der Vernunft" auf der Tagesordnung stand, mußte Claus Schenk Graf von Stauffenberg gar als historischer Vordenker dieser Politik herhalten.
Es geht in der aktuellen Diskussion überhaupt nicht darum, wie Jürgen Schmädeke meint, „westliche Kontakte zur DDR-Geschichtswissenschaft politisch und moralisch generell abzuqualifizieren". Es geht um die Voraussetzungen dieser Kontakte. Es geht darum, wie weit von beteiligten westdeutschen Politik-und Geschichtswissenschaftlern Rücksichtnahmen auf Empfindlichkeiten der SED gepflegt wurden. In der Kritik stehen einige maßgebliche Historiker des sozialdemokratischen Spektrums, die solche Rücksichtnahmen vor 1989 für notwendig befunden haben und -am Rande auch von uns als Beispiel erwähnt -die zwischen 1983 und 1989 umgestaltete Ausstellung in der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand.Die SED-Führung hat für die Umgestaltung dieser Gedenkstätte Exponate aus ihrem Allerheiligsten, dem Zentralen Parteiarchiv und dem Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee zur Verfügung gestellt, weil sie die Ausstellung in den Zusammenhang ihrer in die Geschichte zurückverlängerten außenpolitischen Konzeption einer „Koalition der Vernunft" einordnete. Historiographisch untermauert und öffentlich gemacht wurde diese neue geschichtspolitische SED-Interpretation 1984 von Kurt Finker in der Zeitschrift „Militärgeschichte" (3/84) sowie von Olaf Groehler und Klaus Drobisch im theoretischen Organ der SED „Einheit" (7/84). Groehler und Drobisch hielten in ihrem Aufsatz Graf Stauffenberg -im Unterschied zu Karl Goerdeler -seine „realistische Einschätzung der Kraft der UdSSR" zugute sowie die „Einsicht, daß jede Politik ohne oder gar gegen die Sowjetunion zum Scheitern verurteilt sein mußte".
Vollkommen unverständlich ist, wie Jürgen Schmädeke als Beleg für die „politische Ambivalenz des im Detail differenzierter gewordenen Geschichtsbildes der DDR" noch immer auf einen Text des Potsdamer SED-Historikers Finker verweisen kann. Dieser Mann hatte neben seinen Vortragsreisen zu DKP-Ortsgruppen doch gerade den Auftrag der Abteilung Desinformation aus Markus Wolfs Spionageapparat, politische Geschichtsklitterungen an den „progressiven" westlichen Mann zu bringen. Differenziert werden sollte vielmehr unter den bundesdeutschen'Gesprächspartnern zwischen jenen, mit denen sich bündnispolitisch arbeiten ließ, und solchen, die man nicht einbinden konnte.
Wir haben in unserem Aufsatz, was die Gedenkstätte Deutscher Widerstand betrifft, als Beispiele Robert Havemann und Heinz Brandt genannt. Jürgen Schmädeke wie auch Johannes Tuchei (vgl. B 30-31/97) nahmen lediglich auf Robert Havemann Bezug. So schnell, wie Jürgen Schmädeke glauben machen will, ist damit jedoch die vernachlässigte Perspektive auf solche Personen, die sowohl Verfolgte bzw. Opfer des Nationalsozialismus als auch der kommunistischen Diktaturen waren, nicht widerlegt.
Bis zur Veröffentlichung unserer Kritik in dieser Zeitschrift (B 26/97) erhielten Besucher von dem Auskunftspersonal der Gedenkstätte Deutscher Widerstand auf die Frage nach Robert Havemann die Antwort, daß dieser nicht in der Ausstellung präsent sei. In der als Findhilfsmittel zugänglichen Liste aller Personen, die in der Ausstellung gewürdigt werden, waren bis zum 8. Juli 1997 weder Robert Havemann noch seine hingerichteten Mitverschwörer Georg Groscurth und Paul Rentsch enthalten; weder im offiziellen Katalog noch in der Raumübersicht „Widerstand aus der Arbeiterschaft nach 1939", datierend vom März 1994, findet sich ein Hinweis auf diese Männer und ihre Widerstandsgruppe „Europäische Union".
Inzwischen wird von der Gedenkstättenleitung auf eine an entlegener Stelle der Ausstellung in einem Aktenordner enthaltene Darstellung der Gruppe um Robert Havemann verwiesen. Wenn aus museums-pädagogischen Erwägungen vorgesehen war, in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand den historischen Zustand der DDR zu simulieren, so ist das den dafür Verantwortlichen perfekt gelungen. In der DDR nämlich war Robert Havemann ebenfalls zwar existent, aber öffentlich nicht gegenwärtig.
Auf keiner Ausstellungstafel wird der Auschwitz-und Buchenwaldhäftling Heinz Brandt gewürdigt, der, nachdem er aus der DDR in die Bundesrepublik geflüchtet war, auf Geheiß Walter Ulbrichts gewaltsam nach Ost-Berlin entführt wurde, um viele Jahre in den Kerkern.des SED-Regimes zu verschwinden. Es wird auch auf keiner Tafel etwa auf Margarete Buber-Neumann hingewiesen, deren Mann Heinz im sowjetischen Exil ermordet wurde, während sie selbst mit vielen anderen Häftlingen zur Zeit des Hitler-Stalin-Paktes von der sowjetischen Geheimpolizei an die deutsche Gestapo ausgeliefert wurde.
Im Unterschied zu Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck und Wilhelm Florin, die an herausragender Stelle in der Gedenkstätte gezeigt werden, gibt es für die von Stalins Geheimpolizei im sowjetischen Exil ermordeten Gegner des Nationalsozialismus in der Gedenkstätte keine eigene Ausstellungstafel. Die Tatsache, daß in der Sowjetunion mehr ehemalige Führungsmitglieder der KPD ermordet wurden als im nationalsozialistischen Deutschland, war durch Hermann Webers Forschungen schon lange vor 1989 bekannt gewesen. Insgesamt fielen im sowjetischen Exil über 1 200 NS-Gegner dem stalinistischen Terror zum Opfer.
Aber auch an anderen Stellen der Ausstellung und des Katalogs fallen eigentümliche Aussparungen auf. Unter den Fotografien der christlich-konservativen NS-Gegner Jakob Kaiser und Andreas Hermes wird im erläuternden Text zwar vermerkt, daß sie nach dem Ende des NS-Regimes zu den Gründern der CDU in Berlin gehörten. Nicht hingewiesen wird jedoch in der Bildlegende auf die Tatsache, daß beide Politiker alsbald die SBZ verlassen mußten, weil sie sich der Errichtung der neuen Diktatur widersetzt hatten.
Abschließend noch vier Randbemerkungen zum Kommentar von Jürgen Schmädeke: Erstens trifft nicht zu, wie Schmädeke schreibt, daß in Peter Stein-bachs Konferenzbeiträgen von 1984 die KPD nicht vorkommt. Einer der beiden Konferenzbeiträge Steinbachs behandelt das „Verhältnis der Ziele der militärischen und zivilen Widerstandsgruppen". Erwähnt wurden von Steinbach als Beispiel für „dieÜbereinstimmung politischer und moralischer Ziele" die „Vielfalt und Breite" unterschiedlicher Widerstandsgruppen. Neben der „Goerdeler Gruppe" waren das der „Kreisauer Kreis", die „Rote Kapelle", die „Gruppe um Beck", die „Stauffenberg-LeberGruppe" und die „Saefkow-Gruppe". Diese aber war seit Herbst 1943 in Berlin das Zentrum des illegalen KPD-Apparats. Die KPD wird zwar namentlich nicht erwähnt, sie kommt aber vor
Zweitens gelten Quellen angeblich zweifelhafter Provenienz für Jürgen Schmädeke offenbar dann nicht als zweifelhaft, wenn sie von den richtigen Historikern zitiert werden. So zitiert er selbst aus einem auch von uns erwähnten Dokument die ihm „genehmen Passagen", um zu belegen -was wir nebenbei bemerkt auch gar nicht bezweifelt haben -, daß es ihm selbst und den anderen Veranstaltern der West-Berliner Konferenz im Jahre 1984 „um die massive Demonstration historischer Wurzeln des bürgerlichen Parlamentarismus" ging. Daß die Informanten Kurt Hägers dies festhielten, belegt ihre im Sinne der SED sachgemäße Berichterstattung.
Jeder, der sich über Jahre mit den Geheimdokumenten eines diktatorischen Systems beschäftigt hat, weiß, daß solche Dokumente nicht eine 1: 1-Abbildung der Wirklichkeit, sondern das für eindimensionale Weltsichten typische, ideologisch verzeichnete Bild von Realität beinhalten. Das gilt für hinterlassene Dokumente von NSDAP und Gestapo ebenso wie für solche aus dem SED-und Staatssicherheitsapparat. Trotzdem finden sich in den Herrschaftsakten des NS-wie des SED-Regimes sowohl harte Fakten über die reale Geschichte als auch die genetischen Schlüsselinformationen über die inneren Funktionsmechanismen beider Diktaturen. Es ist das Geschäft der zeitgeschichtlichen Forschung, diese kritisch zu interpretieren und zu bewerten. Im Fall der Konferenz von 1984 konzentrierte sich das Interesse der SED auf die Perspektiven, die sich für eine „Koalition der Vernunft" auf dem Feld der NS-Widerstandsforschung eröffnen könnten. Unter dieser Maßgabe wurde die SED-Führung über die Konferenz informiert. Drittens schlug sich das Interesse der SED an der westlichen Widerstandsforschung neben „namentlich nicht gezeichneten Berichten" auch in namentlich gezeichneten nieder. Erich Honecker und sein ZK-Sekretariat zeichneten im November 1988 eine Beschlußbegründung ab, die der Gedenkstätte in West-Berlin bescheinigte, „ein möglichst objektives Bild der Breite und Vielfalt des Widerstandes zu vermitteln".
Viertens stimmen die von Jürgen Schmädeke zitierten Lebensdaten Robert Havemanns an einem wichtigen Punkt nicht. Der Hausarrest gegen Robert Havemann wurde 1979 aufgehoben. Das ging nicht auf die Gnade der SED-Führung, sondern auf eine westliche Solidaritätskampagne für Robert Havemann zurück, durch die der auf ihre antifaschistische Reputation bedachten Honecker-Führung ein internationaler Ansehensverlust drohte. Die Kampagne gegen den Hausarrest von Robert Havemann begann 1976 mit einer Solidaritätserklärung von sechs ehemaligen politischen NS-Häftlingen. Diese auch von Heinz Brandt mitunterzeichnete Erklärung ist in dem von Manfred Wilke herausgegebenen Band „Robert Havemann. Ein deutscher Kommunist. Rückblicke und Perspektiven aus der Isolation" 1978 veröffentlicht worden. Dieses Buch findet sich nicht unter den zahlreichen Literaturhinweisen, die den Besuchern der Gedenkstätte Deutscher Widerstand als Handreichungen im Gedenkstättenkatalog angeboten werden. Dafür aber als Leseempfehlungen mehrere Schriften der MfS-Aufklärer Kurt Finker und Olaf Groehler sowie ein Buch ihres Chefs, dem Generalobersten Markus Wolf. Über wissenschaftliche Urteilsfähigkeit schließlich wird hierzulande glücklicherweise nicht von einseitig Streitbeteiligten entschieden.
Stellungnahme zu Klaus Schroeder/Jochen Staadt Zeitgeschichte in Deutschland vor und nach 1989, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 26/97:
Im März 1987 fand in Bonn ein viel beachtetes Kolloquium statt, auf dem Historiker aus der Bundesrepublik und der DDR erstmals in großer Öffentlichkeit über Grundfragen der deutschen Geschichte diskutierten. Veranstalterin war die Historische Kommission der SPD. Schroeder und Staadt stellen auf den Seiten 17 und 18 meinen Beitrag zu diesem Kolloquium in einer Weise dar, daß er als Beleg für die von ihnen vertretene These dient, daß „eher sozialdemokratisch orientierte" Zeithistoriker sich seinerzeit der DDR angedient und angebiedert hätten.
Das Gegenteil trifft zu. Am 20. März 1987 berichtete „Die Zeit" folgendermaßen über die zeitweise von 600 Zuhörern besuchte Veranstaltung: „Wenn trotz des allgemeinen Wunsches, sich näherzukommen und das gemeinsame Erbe in versöhnlichem Geiste aufzuarbeiten, nicht die gravierenden Unterschiede zwischen dem Wissenschaftsverständnis hüben und drüben verwischt wurden, so war dies dem Bielefelder HistorikerJürgen Kocka, Diskutant der Anfangssitzung, zu verdanken. Er stellte gegenüber: hier den Pluralismus der Fragen, Theorien und Interpretationen, die Offenheit des Universitätsbetriebes, den Verzicht auf Sinnstiftung und einheitliche Geschichtsbilder -dort, im Zentralinstitut für Geschichte, einen engeren Kreis einiger Spitzenhistoriker („Gremien, deren Innenleben wir nicht kennen"), der im Einklang mit der marxistisch-leninistischen Lehre Grundzüge und Schwerpunkte der Forschung festlegt und Traditionspflege und Legitimation des Systems zu Hauptaufgaben erklärt. Kocka ersparte den DDR-Kollegen auch nicht den peinlichen Hinweis, daß in der amtlichen Geschichtschreibung noch immer der Hitler-Stalin-Pakt über die Aufteilung Polens verschwiegen wird." (S. 6)
Wer sich die Zeit nimmt, die beiden Darstellungen zu vergleichen und an dem veröffentlichten Tagungsband (Erben deutscher Geschichte, hrsg. von Susanne Miller und Malte Ristau, Reinbek bei Hamburg 1988) zu verifizieren, kann unschwer eine Arbeitsweise der Autoren Schroeder/Staadt erkennen, die hier exemplarisch deutlich wird, aber von ihnen auch an anderen Stellen praktiziert wird.