Die Lektüre des Aufsatzes von Klaus Schroeder und Jochen Staadt veranlaßt mich zu folgender Stellungnahme:
Daß vor dem 9. November 1989 viele Deutsche, zumal im Westen, glaubten, das „geregelte Nebeneinander" zweier deutscher Staaten werde auf unabsehbare Zeit fortdauern, läßt sich heute leicht und billig als Illusion auch vieler Historiker entlarven. Leider verschweigen Schroeder und Staadt, ob sie in dieser Hinsicht bessere Propheten waren. Entscheidend für das heutige Urteil sollte nicht dies sein, sondern die Frage, ob diejenigen West-Historiker, die solche Ost-West-Kontakte pflegten, um des „Gesprächs" willen bereit waren, die Grundwerte der eigenen parlamentarisch-demokratischen Ordnung zu relativieren und die SED-Diktatur schönzureden. Ohne die begrifflich-analytische Trennung dieser beiden Ebenen bleibt jede Analyse ost-westlicher Historikerkontakte in Halbheiten und Fehlurteilen stekken. Das gilt leider auch für den Aufsatz von Schroeder und Staadt. Außerdem sollte es für Historiker selbstverständlich sein, elementare Grundsätze der Quellenkritik zu beachten, insbesondere das, was in mittlerweile archivierten Dokumenten von teils recht fragwürdiger Provenienz steht, nicht für die pure historische Wahrheit zu halten, und aus ihnen nicht nur das zu zitieren, was die eigenen (Vor-) Urteile bestätigt. Auch diese Lektion haben die beiden Autoren nur unvollkommen gelernt.
Soviel zum Grundsätzlichen. Und nun konkret: Wer in der „alten" Bundesrepublik und insbesondere in Berlin (West) vor 1989 am Knüpfen wissenschaftlicher Ost-West-Kontakte beteiligt war (ich verfüge hier als ehemaliger Leiter des Internationalen Konsultationsprogramms der Historischen Kommission zu Berlin über langjährige Erfahrung), ging selbstverständlich davon aus, daß ostdeutsche Wissenschaftler, die in den „Westen" kommen durften, zuverlässige „Reisekader" mit politischem Auftrag und Berichtspflichten waren, auch wenn man damals noch nicht von „IM" zu reden pflegte. Heute zu klären, was sich damals hinter den Ost-Berliner Kulissen abspielte, ist natürlich eine reizvolle zeitgeschichtliche Aufgabe. Die Autoren Schroeder und Staadt instrumentalisieren jedoch in ihrem Aufsatz die IM
Verstrickungen des DDR-Historikers Kurt Finker, um damit westliche Kontakte zur DDR-Geschichtswissenschaft politisch und moralisch generell abzuqualifizieren. Unter anderem nehmen sie dabei den Berliner Politikwissenschaftler und Historiker Peter Steinbach ins Visier. Da ich zusammen mit Steinbach 1984 die (West-) Berliner Konferenz zum 40. Jahrestag des 20. Juli 1944 organisiert habe und diese Konferenz auch in der Argumentation von Schroeder/Staadt eine Rolle spielt, erlaube ich mir insbesondere hierzu einige Bemerkungen.
Ein roter Faden durchzieht den Aufsatz: Beginnen lassen ihn die Autoren bei einer „Fachtagung" (in Wirklichkeit war es eine Ringvorlesung, die -wie Widerstandsforscher wissen -Steinbach organisiert hatte) in Passau 1985. Dazu war Finker eingeladen, der unter anderem Biographien Stauffenbergs und Moltkes geschrieben hat, und er „erlaubte" sich dort unter anderem, wie Schroeder/Staadt schreiben, eine „dreiste Verharmlosung" der stalinistischen Massenmorde. Von dort führt der Faden zur anschließend von den Autoren vorgenommenen Entlarvung Finkers als Agent der Stasi. Weiter geht es dann in einer Art Rückblende zu einer „Information" für Kurt Hager über die 1984er Widerstandskonferenz; daraus zitieren Schroeder und Staadt, daß sich der SPD nahestehende Historiker -unter ihnen wird Stein-bach genannt -„um eine betont sachliche Sicht der KPD bemühten" und daß die Konferenz in diejenigen „Bestrebungen der BRD-Geschichtsideologie" einzuordnen sei, „das Geschichtsbild der BRD flexibler zu gestalten und in Richtung auf eine Integration weiterer progressiver Kräfte auszudehnen". Den dicken Knoten am Ende des Fadens bildet eine Attacke gegen die „Gedenkstätte Deutscher Widerstand", die -wie der Fachmann natürlich weiß -unter der Federführung von Steinbach aufgebaut worden ist und von der fälschlich behauptet wird, daß dort Widerständler der NS-Zeit wie Robert Havemann, die wegen Konflikten mit der Ulbricht/Honecker-Führung „für die DDR-Geschichtsschreibung zu . Unpersonen'wurden,... keine Würdigung" gefunden hätten. Auch Steinbach, so wird hier suggeriert, hat den Kontakten mit DDR-Historikern zuliebe Verrat an der historischen Wahrheit begangen. Der Vorwurf gegen die Ausstellung ist schnell widerlegt (vgl. die Stellungnahme des Gedenkstätten-Leiters Johannes Tuchei in B 30-31/97): Sie enthält im Bereich „Widerstand aus der Arbeiterschaft nach 1939" auch Dokumente und Fotos zur Widerstandsgruppe „Europäische Union" um den Mediziner Georg Groscurth und Robert Havemann: Flugblätter der Gruppe, das Urteil des „Volksgerichtshofes" und die'von Havemann im Zuchthaus Brandenburg zusammengestellten „Drahtlosen Nachrichten". Im übrigen sind Havemann, Groscurth und ihre Gruppe im 1994 von Steinbach und Tuchei herausgegebenen „Lexikon des Widerstandes 1933-1945", einem Gemeinschaftswerk von Mitarbeitern der Gedenkstätte und der Freien Universität, in drei lexikalischen Artikeln ausführlich gewürdigt worden. Am Ende des Artikels über Havemann heißt es: „H. ... wurde wegen seiner zunehmend kritischen Haltung gegenüber der SED Mitte der sechziger Jahre aus allen Funktionen entlassen und aus der SED ausgeschlossen. H. stand seit 1976 als Wortführer eines oppositionellen demokratischen Sozialismus in der DDR unter Hausarrest, der bis zu seinem Tode nicht aufgehoben wurde." -In meiner nicht ganz kleinen, wenn auch gewiß unvollständigen Büchersammlung zum Thema Widerstand war dies, nebenbei bemerkt, die einzige Fundstelle zu Havemann als Widerstandskämpfer. In den gängigen „Standardwerken" jedenfalls, westlichen wie östlichen, schlägt man vergeblich nach. Insofern hat die Berliner Gedenkstätte wohl eher Pionierarbeit geleistet.
Das Beispiel zeigt, wie mit einer gezielten Auswahl von Fakten Geschichtsklitterung getrieben werden kann. Wer Finkers Text von 1985 unvoreingenommen liest, kann ihm unschwer etliche ideologische Dogmen, aber auch die politische Ambivalenz des im Detail differenzierter gewordenen Geschichtsbildes der DDR entnehmen: Einerseits gab es zweifellos eine Ausdehnung des politisch erlaubten Forschungshorizonts, die überhaupt erst Ansätze für ein wissenschaftliches Gespräch bot. Andererseits blieb auf DDR-Seite das Bestreben, die Entwicklung politisch-ideologisch im Griff zu behalten und die in ihr liegenden Möglichkeiten auch politisch-operativ zu nutzen. Steinbach gehörte stets zu denen, die diese Ambivalenz erkannten, und er war bereit, die darin liegenden Chancen offensiv (und ganz gewiß nicht -wie ihm die Autoren mit dem folgenden Zitat offenbar unterstellen möchten -politisch naiv) „für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung über zentrale Themen der deutschen Zeitgeschichte" zu nutzen.
Gar so leicht war es allerdings nicht, die DDR aufs öffentliche Podium zu bringen: Zur (West-) Berliner Widerstandskonferenz im Juli 1984, deren Mitveranstalter die Gedenkstätte Deutscher Widerstand -und damit Steinbach -war, durfte kein offizieller Teilnehmer aus der DDR erscheinen. Dort hatte man es vorgezogen, im Februar 1984 eine Konferenz des eigenen Historikerverbandes -mit westdeutschen Gästen, zu denen Steinbach nicht gehörte -in der Abgeschiedenheit des Ostseebades Sellin auf Rügen zu veranstalten. Den Grund hierfür kann man der nach der Berliner Konferenz für Kurt Hager angefertigten, nicht namentlich gezeichneten „Information" entnehmen, aus der Schroeder und Staadt nur die ihnen genehmen Passagen zitieren und folgende, den Veranstaltern unterstellten „politisch-ideologischem! Grundanliegen" unterschlagen: „Erstens ging es den Veranstaltern um die massive Demonstration historischer Wurzeln des bürgerlichen Parlamentarismus und des .demokratischen Grundkonsens'in der BRD, namentlich zwischen SPD, CDU/CSU und FDP."
Unmittelbar dazu referiert der Informant erläuternd einen Zeitungsbericht über den Eröffnungsvortrag von Professor Richard Löwenthal: „Die Zusammenarbeit im Widerstand von früher getrennten Kräften aus Kirchen, Konservativen, Sozialisten und Gewerkschaften habe dazu beigetragen, trotz aller gegensätzlichen politischen Vorstellungen Gemeinsamkeiten in Fragen von Recht und Moral zu finden. Diese Gemeinsamkeiten hätten es nach der Katastrophe ermöglicht, einen Staat aufzubauen, in dem Konservative und Sozialisten als Demokraten Zusammenarbeiten konnten. Der , 20. Juli-Kreis'habe in einer Zusammensetzung aus Sozialdemokraten, Liberalen, Zentrumsleuten und Konservativen die erste Grundlage der Demokratie der BRD gelegt."
Weiter heißt es, daß die Konferenz darauf zielte, „... die Bedeutung des Widerstandes sowohl von Führungskräften der herrschenden Klasse in Deutschland als auch von Angehörigen anderer Klassen und Schichten für die Eingliederung der BRD in die westliche . Gemeinschaft'herauszustellen und so die Westintegration historisch zu legitimieren—"
Das war gewiß nicht gerade DDR-konform, und wer die Berliner Konferenz durch die DDR-ideologische Brille so sah, war in der Tat besser hinter dem „antifaschistischen Schutzwall" aufgehoben. Immerhin filterte Hägers Informant mit einiger Anstrengung noch positive Aspekte zutage, die seinen Herrn erfreut haben mögen: Sämtliche an dem DDR-Kolloquium in Sellin beteiligten „BRD-Historiker (H. Mommsen, H. J. Steinberg, Chr. Kleßmann)", so konnte Hager lesen, „spielten auf der Westberliner Konferenz nicht nur eine außerordentlich aktive Rolle, sondern lieferten auch die am meisten von Realismus getragenen wissenschaftlichen Beiträge". Insgesamt müsse (erst das Folgende findet sich bei Schroeder und Staadt zitiert) die Konferenz „in die seit Anfang der 70er Jahre erkennbaren generellen Bestrebungen in der BRD-Geschichtsideologie einge