I. Das parlamentarische Gesetz als zentrales Steuerungsmittel
Gesetzgebung überführt politische Entscheidungen in Rechtsnormen: Der Gesetzgeber setzt Recht, um seine gestalterischen Vorstellungen mit den Mitteln des Gesetzesrechts zu verwirklichen Die Gesetzgebung des Bundes nach Maßgabe von Kompetenztiteln insbesondere in den Art. 70 ff. Grundgesetz (GG) wird durch besondere Bundesorgane „ausgeübt“ (Art. 0 Abs. 2 S. 2 GG), deren demokratische Legitimation vom Volke ausgeht (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) und speziell dem Deutschen Bundestag durch die Volkswahl seiner Mitglieder vermittelt wird (Art. 38 GG). Das Parlament verfügt damit im Vergleich zu den übrigen Staatsgewalten über die unmittelbarste Form der Legitimation. Es ist folgerichtig (nur) an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden (Art. 20 Abs. GG), während die von ihm erlassenen Gesetze aller sonstigen Staatsgewalt ihren Maßstab geben.
Das parlamentarische Gesetz 2 steht in der Hierarchie der Normen, die von innerstaatlichen Normgebern erlassen werden, an höchster Stelle:
Die Zulässigkeit anderer untergesetzlicher Vorschriften (z. B. Rechtsverordnungen, Satzungen) muß sich am Gesetz messen lassen. Das parlamentarische Gesetz ist deshalb in besonderem Maße zur Steuerung des gesamten Gemeinwesens geeignet und wird trotz aller Kritik 3 rechts-und staatspraktisch weiterhin unverzichtbar bleiben: als Maßstab für alle Formen administrativer Staatstätigkeit und zu ihrer Begrenzung und als zentrales Steuerungsmittel für bundesweite Rechtssicherheit und gleiche Rechtsanwendung. Die Notwendigkeit und Vielfalt der „Änderungsgesetze“ zeigt, daß oft nur eine bundesgesetzliche Regelung im Netz staatlicher Normgebung die Wirksamkeit entfalten kann, die (politisch) angestrebt wird
Die Entstehung von Gesetzestexten kann angesichts der mannigfaltigen Vorgaben, die vom Gesetzgeber zu beachten sind, angemessen nur als ein Prozeß angesehen werden, an dem arbeitsteilig neben dem Parlament (Bundestag) ebenso die Regierung und eine Vielfalt anderer staatlicher und gesellschaftlicher Instanzen im Sinne einer „unendlichen Kette von personifizierten Faktoren“ an einem „pluralen Schöpfungsakt“ gemeinsam mitwirken.
II. Anlässe von Gesetzgebung
Die Gründe für den Erlaß von Gesetzen sind mannigfaltig Zahlreiche Gesetze werden aufgrund völkerrechtlicher bzw. europarechtlicher Verpflichtungen oder aufgrund verfassungsrechtlicher Gesetzgebungsaufträge (etwa aus Art. 3 Abs. 2, Art. 6 Abs. 5 GG) erlassen. Dann verengt ein dichtes Netz materiell-rechtlicher Vorgaben die politisch-rechtliche Gestaltungs-und Regelungsfreiheit des Gesetzgebers besonders deutlich wird dies, wenn das Bundesverfassungsgericht aufgrund der Feststellung eines Verfassungsverstoßes dem Gesetzgeber bindende Regelungsaufträge erteilt hat. Die meisten Gründe zur Gesetzgebung sind politischer Natur, z. B. Einlösung von Wahlversprechen, Umsetzung von Wahlprogrammen, Dokumentation politischer Handlungsfähigkeit im Kontext aktueller und zumeist medienwirksamer politischer Tagesthemen
Den Anlässen zur Gesetzgebung korrespondieren unterschiedliche Gesetzestypen. Kodifikationsgesetze, die einen Bereich grundlegend oder erneuernd ordnen, sind eher selten. Es überwiegen europarechtsakzessorische oder sonstige Gesetze zur Änderung von schon bestehenden Gesetzen, die tatsächliche Veränderungen technischer, finanzieller, wirtschaftlicher, sozialer, kultureller oder auch rechtlicher Art bewältigen sollen
III. Der Gesetzgebungsprozeß und die beteiligten Akteure
1. Die rechtlichen Grundlagen des Gesetzgebungsverfahrens Das förmliche Gesetzgebungsverfahren ist im GG nur fragmentarisch normiert; das für die inhaltliche Ausgestaltung und das politische Schicksal des Gesetzentwurfes überaus wichtige vor-und „neben“ parlamentarische „Verfahren“ ist nicht geregelt, sieht man einmal von den Zuleitungspflichten zwischen Bundesregierung und Bundesrat vor Einbringung des Gesetzentwurfs beim Bundestag ab. Das GG betrachtet das Parlament als Gesetzgeber, denn „die Bundesgesetze werden vom Bundestage beschlossen“ (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG) Es regelt die Initiativberechtigten (Bundesregierung, Bundesrat, Bundestag, vgl. Art. 76 Abs. 1 GG) das Verhältnis zum Bundesrat (Art. 76 Abs. 2, 3; 77 Abs. 1 S. 2, 2-4; 78 GG), zudem die Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes (Art. 82 GG). Es kann insoweit vom „äußeren“ Gesetzgebungsverfahren gesprochen werden.
Die Gesetzgebungsarbeit innerhalb dieser Organe wird durch deren Geschäftsordnungen als autonome Regelungen nur für den internen Bereich geregelt. Diese Verfahrensregelungen dürfen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht widersprechen: Das Geschäftsordnungsrecht, Verwaltungsvorschriften (GGO-II) und Parlamentsbrauch konkretisieren und ergänzen Verfassungsrecht. Die wenig dichten verfassungsrechtlichen Vorgaben lassen der Verfassungspraxis ausreichend Raum für zeitgerechte Wandlungen und Verbesserungen 2. Überblick über das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren Das förmliche parlamentarische Gesetzgebungsverfahren beginnt mit der Einbringung eines ausformulierten Gesetzesvorschlags beim Bundestag durch die Bundesregierung, aus der „Mitte des Bundestages“ oder durch den Bundesrat (Art. 76 Abs. 1 GG). In den Fällen, in denen der Entwurf von der Bundesregierung oder vom Bundesrat eingebracht wird, ergeben sich vorherige Zuleitungsund Stellungnahmepflichten aus Art. 76 Abs. 2 und 3 GG: Vorlagen der Bundesregierung sind zunächst dem Bundesrat zuzuleiten, der zur Stel-lungnahme berechtigt ist (Art. 76 Abs. 2 GG); Vorlagen des Bundesrates sind dem Bundestag durch die Bundesregierung zuzuleiten, die hierbei ihre Auffassung darlegen „soll“. Hierbei sind Fristen zu beachten, die auf Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission im Grundgesetz jüngst geändert worden sind; sie orientieren sich am üblichen Sitzungsrhythmus des Bundesrates im 3-Wochen-Abstand
Mit dem Recht zur Gesetzesinitiative korrespondiert die Pflicht des Bundestages zur Beratung des Gesetzentwurfes: Zwischen Beratung und abschließendem Gesetzesbeschluß muß ein zum ursprünglichen Entwurf des Gesetzesinitiators rückverfolgbarer Verfahrenszusammenhang bestehen. Im übrigen liegen zwischen der Einbringung des Gesetzentwurfs und dem Gesetzesbeschluß geschäftsordnungsrechtlich geregelte oder vorausgesetzte Verfahrensstationen: Erste Lesung im Plenum des Bundestags und Überweisung an die Fachausschüsse des Bundestages, von denen einer „federführend“ ist und andere einschlägige Fachausschüsse mitberatend beteiligt sind; Ausschußberatungen als Kern der Sachberatungen im Bundestag mit tendenziell marginalen Veränderungen der Regierungsvorlagen schriftlicher Bericht über die Ausschußberatungen und Zweite Lesung im Plenum, bei der noch Änderungsanträge gestellt werden können; gegebenenfalls nochmals Ausschußberatungen und Dritte Lesung im Plenum und Beschluß des Bundestages.
Die Plenumsberatungen haben keinen Einfluß auf den Gesetzesinhalt, sondern bestätigen in aller Regel das Ergebnis der Ausschußberatungen. Parallel zu den Ausschußberatungen finden zusätzliche Beratungen der parteipolitischen Grundsatzfragen in den einzelnen Bundestagsfraktionen, Fraktionsarbeitskreisen, unter den „Obleuten“ jeder Fraktion in den Fachausschüssen oder auch in Koalitionsgremien statt, die die Kompromißsuche oder die Entscheidungen der Ausschüsse vorbereiten und begleiten und damit auch die Plenumsentscheidungen determinieren.
Die weiteren verfassungsverfahrensrechtlichen Eckdaten nach dem Gesetzesbeschluß des Bundestages knüpfen an die Unterscheidung zwischen Einspruchs-und Zustimmungsgesetzen an (Art. 77 Abs. 2-4; 78 GG) 18; sie bestimmt die verfahrens-rechtliche Stellung des Bundesrates. Zustimmungsgesetze können nicht ohne die vom Bundesrat tatsächlich beschlossene Zustimmung, also auch nicht gegen den Willen der Bundesratsmehrheit, rechtliche Wirksamkeit erlangen. Gesetze können trotz Überwiegens der Ja-über die Neinstimmen im Bundesrat am Bundesrat scheitern: Stimmenthaltungen können nach Art. 52 Abs. 3 GG nicht als Ja-Stimmen gezählt werden, beeinflussen das Abstimmungsergebnis also negativ Bei Einspruchsgesetzen dagegen kann die Bundestagsmehrheit ihre bundespolitische Gestaltungsvorstellung auch gegen die Mehrheit der Länder-regierungen in die Gesetzesform überführen, indem der Bundestag den Einspruch des Bundes-rates mit der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages („Kanzlermehrheit“) zurückweist; fand der Einspruch im Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit, kann auch der Bundestag diesen Einspruch nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit (der anwesenden Abgeordneten) zurückweisen (Art. 77 Abs. 4 GG).
Zwischen dem ersten Gesetzesbeschluß des Bundestages und seiner erneuten Entscheidung liegen mehrstufige Verfahren unter Einschaltung des Vermittlungsausschusses. Dieser muß bei Einspruchsgesetzen vor Einlegung des Einspruchs durch den Bundesrat und kann bei Zustimmungsgesetzen durch Bundesrat, Bundestag oder Bundesregierung angerufen werden. Die zu gleichen Teilen von Bundestag und Bundesrat entsandten Mitglieder des Vermittlungsausschusses beraten weisungsfrei und finden so meist grundlegende Kompromisse. Ihre Entscheidungen, etwa in Form eines Vorschlages zur Änderung des Gesetzesbeschlusses, beeinflussen die weiteren Verfahrens-schritte. Im Falle eines Änderungsvorschlages etwa hat der Bundestag erneut zu entscheiden, Art. 77 Abs. 2 S. 5 GG; anschließend kann der Bundesrat bei Einspruchsgesetzen innerhalb zwei Wochen Einspruch einlegen (Art. 77 Abs. 3 GG), der dann vom Bundestag mit entsprechender Mehrheit zurückgewiesen werden kann (Art. 77 Abs. 4 GG). In den Fällen eines zustimmungspflichtigen Gesetzes kann der Bundesrat dem Gesetz sofort oder nach Abschluß des Vermittlungsverfahrens zustimmen. Eine Ablehnung führt dann nicht zum endgültigen Scheitern des Gesetzesvorhabens, wenn die von Art. 77 Abs. 2 GG eröffneten mehrfachen Vermittlungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind. Letzten Endes führt aber nur die ausdrückliche Zustimmung des Bundesrates zum gültigen Gesetzesrecht.
Im Falle der Annahme des Gesetzes beenden die Gegenzeichnung durch Ressortminister und Bundeskanzler, die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten (Art. 82 GG) und die Verkündung im Bundesgesetzblatt (Art. 82 Abs. 1 GG) das Gesetzgebungsverfahren. 3. Empirische Funktionsverschiebungen im verfassungsrechtlichen Gesetzgebungsprozeß Die Gesetzgebungslehre bzw. eine Theorie der Gesetzgebung hat sich mit der Wirklichkeit des Gesetzgebungsprozesses auseinanderzusetzen Die landläufige Vorstellung vom Parlament als Herr des Gesetzgebungsverfahrens kontrastiert mit den Bedingungen einer hochentwickelten, hochkomplexen und technizistischen „Verfassung“ des Gemeinwesens und seinen Steuerungs-und Regelungsnotwendigkeiten. Die Vorstellung vom Parlament als einer Institution des „government by discussion“ verfehlt die Realität einer auch auf der Ebene von Verfassungsorganen ausdifferenzierten Staatlichkeit.
Der Funktionszuwachs für die Exekutive (Gubernative)
Die Gesetzgebung findet nicht innerhalb des Bundestages und seiner Ausschüsse, sondern „zwischen“ Parlament. Regierung und Bundesrat statt. Dem entspricht die Vorstellung von der Staatsleitung, die der „Regierung und Parlament gewissermaßen zur gesamten Hand“ zustehe. Zeitlich und fachlich vorrangig ist die Spitze der Exekutive, die Regierung (Gubernative), die aktive und führende Kraft im vorhergehenden Prozeß der Gesetzesrechts-Erzeugung; ihr kommt bei der Bestimmung dessen, was Recht ist, eine überragende Rolle zu. Statistisch ist die Gesetzesinitiative der Regierung der Regelfall, verfassungsrechtlich dominiert sie bei der Normgebung (Gesetzesvorbereitung und -durchsetzung, Erlaß von Rechtsverordnungen und Allgemeinen Verwaltungsvorschriften) Wesentlicher Grund hierfür ist die Ministerialbürokratie, deren fachliche Überlegenheit die Regierung erst in den Stand versetzt, politische Absichten auch in die Wirkungsmacht staatlicher Handlungsformen umzusetzen. Es wäre falsch, darüber in Polemik zu verfallen. Die Rolle der Ministerialbürokratie kann auch positiv verstanden werden: In ihr werden die kurzfristigen Interessen der Alltagspolitik zugunsten der Langfristinteressen unseres Gemeinwesens (idealiter) gebrochen; ihre Verflechtung bzw. auch die „Politikverflechtung“ der Vertreter der Bund/Länder-Exekutiven führen zu institutionalisierter Distanz Symptomatisch für die führende Rolle der Regierung sind die relativ häufigen Aufforderungen des Bundestages an die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen Die Ministerien leisten den Parlamentariern Formulierungshilfe bei der Einbringung von Gesetzentwürfen aus der Mitte des Bundestages, selbst wenn ein abweichender Regierungsentwurf vorliegt Auch die Oppositionsfraktionen profitieren vom Sachverstand der Ministerialbeamten, und sei es derjenigen der Ministerialbürokratien der Bundesländer, in denen sie die Regierung stellen. Pro forma dürfen einzelne Ministerialbeamte die Entwurfsarbeit der Opposition zwar nur unterstützen, wenn der zuständige Minister hierzu seine Genehmigung erteilt (§ 54 Abs. 1 S. 3 GGO-II). Aus der Gemeinwohlverpflichtung der Bundesregierung und der Neutralität des Beamtentums kann sich jedoch ein Mitwirkungsgebot ergeben 31. Die Opposition ist aber nicht auf ganzer Linie auf den guten Willen von Ministerialbeamten angewiesen. Ihr stehen die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages sowie die Stäbe der Fraktionen zur Verfügung.
Funktionswandel im parlamentarischen Regierungssystem Verhältnis der Regierung zur Mehrheit und Minderheit des Parlaments: Der Funktionszuwachs der Exekutive ist zum Teil im parlamentarischen Regierungssystem strukturell angelegt. Das Parlament ist der Regierung über die sie unterstützenden Mehrheitsfraktionen angenähert. Die Regierung verdankt den parlamentarischen Mehrheiten ihre Konstituierung und gesetzgeberische Handlungsfähigkeit während der jeweils laufenden Legislaturperiode. Sie kann erwarten, daß sie bei ihren laufenden politischen Vorhaben von „ihren“ -unter Partei-und Fraktionszwängen stehenden -disziplinierten Abgeordneten getragen wird. Diese handeln im eigenen Interesse, da den Regierungsparteien der Erfolg der Regierung zugerechnet wird. Für die parlamentarische Kontrolle steht in den Augen vieler allein die Opposition, doch deren Kontrolle ist vor allem politisch (für eine Umsetzung in rechtliche Gestaltung fehlt ihr gerade die Mehrheit), sie ist wesentlich auf die Öffentlichkeitsfunktion des Bundestages bezogen und im Ergebnis oft wenig effektiv
Konfrontationsund Kontrollverhältnisse im partei-politisierten Bundesstaat des GG: Schon die vom Bundestag abweichenden Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat und allgemein die besondere Häufigkeit von Koalitionsregierungen unter Verhältniswahlsystemen lassen jene Sichtweise als verkürzt erscheinen: Wesentliche gesetzgeberische Reformvorhaben, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, können durch steuernde Vorgaben der Oppositionspartei, soweit sie „ihre“ Länderregierungen in ihre bundespolitische und parteipolitische Strategie unterordnen kann, blokkiert oder modifiziert werden. Auf der anderen Seite kontrollieren auch die Mehrheitsfraktionen die Regierung. Dies geschieht der politischen Opportunität wegen naturgemäß weniger öffentlichkeitsbezogen und diskreter Die Schematisierung von Mehrheit und Minderheit wird in der Realität des Gesetzgebungsprozesses durch zahlreiche weitere Faktoren z. T. verwischt -man denke z. B. an die Situation parteipolitisch prinzipiell abweichender Bundesratsmehrheiten, die aber wegen wiederum abweichender Koalitionen auf Länderebene von der Opposition hinsichtlich einzelner Gesetzgebungsprojekte nicht realisiert werden können. Insgesamt wird deutlich: Das verfassungsverfahrensrechtliche Gerüst kann auf die empirische Vielfalt der den Verfahrensprozeß bestimmenden Rahmenbedingungen nicht eingestellt sein.
Die Folge ist eine „Unterfütterung“ durch informale Verfahrensregeln des „informalen Verfassungsstaates“ Umfangreiche Vorbereitungshandlungen verlagern je nach politischer Sachlage und Kalkül Entscheidungen in Gremien, Spitzen-gespräche auf Koalitionsebene, Runde Tische, „Sondierungsgespräche“ zwischen den Parteivertretern Die Handhabung dieser Instrumentarien politischer Flexibilität folgt der Intuition oder auch parteipolitischen Logik von Spitzenpolitikern oder Entwicklungen öffentlicher Meinungsbewegung. Den Beteiligten erscheint die staatsrechtliche Funktionentrennung und Logik organschaftlichen Zusammenwirkens unbeachtlich. Die Formen sind ja gerade „weich“ gewählt, um die spätere „Verrechtlichung“ der Ergebnisse in Form eines Gesetzesbeschlusses durch die ver-fahrensrechtlichen Regularien des Gesetzgebungsverfahrens zu bringen Informelle Vorverständigungen stellen die nicht-rechtliche Antwort auf faktische Grenzen und die rechtlichen Begrenzungen der Ex-post-Kontrolle dar -i. S. einer interparteilichen Machtbalance: „Die konkurrierenden Parteien bewachen sich gegenseitig.“
Das Spannungsverhältnis zwischen Regierung und Parlament verliert folglich als Folge des parlamentarischen Regierungssystems seine Eindeutigkeit zugunsten weiterer „Frontlinien“ Es bleibt dennoch ein rechtliches und politisches Eigeninteresse des gesamten Parlaments bzw.seiner Abgeordneten gegenüber der Regierung, das ausreichend Motivation zur Profilierung auch „gegen“ die Regierung abgibt. Die Parlamentsmehrheit geht nicht in der Regierung auf oder umgekehrt. Sie ist für die Regierung der „Resonanzboden des politisch Zumutbaren“
Schwächen des Parlaments: Das Parlament ist „schwach“ in bezug auf das, was andere Akteure im Prozeß der Gesetzgebung „stark“ macht. Im Bereich des EU-Rechts z. B. werden die wesentlichen Entscheidungen durch die EU-Regierungsvertreter im Rat gefällt, bleiben dem Parlament wenig Spielräume zu aktiver Gestaltung Im Bereich der völkerrechtlichen Ratifikationsgesetze (Art. 59 GG) reduziert sich die Funktion des Bundestages auf die eines Ratifikations-und Vollzugsorgans. Der Normierungsbedarf des „Umwelt-und Verteilungsstaats“ der Technik-, Risiko-und Informationsgesellschaft wird zum weitaus größeren Teil durch Normsetzung unterhalb des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens bewältigt Im Bundesimmissionsschutzrecht etwa werden die wesentlichen Entscheidungen in Rechtsverordnungen, Satzungen, Verwaltungsvorschriften, privaten technischen Standards und Regeln oder sonstiger apokrypher „Rechtsetzung“ wie den „sicherheitstechnischen Regeln“ des § 31 a S. 1 S. 3 BImSchG getroffen Der Bundestag versucht zunehmend, sich im ermächtigenden Gesetz bestimmte Beteiligungsformen beim späteren Rechtsverordnungserlaß (Zustimmung, Aufhebung, Abänderung durch den Bundestag) vorzubehalten. Man kann solche Rechtsverordnungen deshalb als dritte Form der Normsetzung begreifen -zwischen der parlamentarischen und der exekutiven
IV. Folgerungen für ein verfassungsgerechtes Verfahren(srecht) der Gesetzgebung
1. Forderungen des Verfassungsrechts Worin besteht die verfassungsrechtliche Funktion des Parlaments im Prozeß der Gesetzgebung? Es ist eine der Aufgaben der Verfassung, die Funktion des Bundestages im Gesetzgebungsprozeß zu bestimmen und rechtlich zu unterstützen: Das Grundgesetz gibt dieser Entwicklung nur einen Kernbestand an Rechtsregeln vor, erfüllt aber darüber hinaus im „öffentlichen Prozeß“ der Verfassungsentwicklung weiter gehende Funktionen (z. B. ethisch-rechtliche Argumentationshilfen, Einheitsstiftung, appellative Funktionen): Die Verfassung steuert die rechtliche, aber auch die weitere (politische) Entwicklung des Gemein-wesens und wird dabei durch nicht-rechtliche Verfassungsregeln und spontane (nicht-regelhafte) Praktiken ergänzt. Wenn also die „Verfassungsentwicklung“ im Sinne eines permanenten Prozesses „hinter“ den formalen Kompetenzen die ursprüngliche Funktion verfassungsrechtlicher Institute „verschoben“ hat, kann das rechtlich nicht ignoriert werden. Reale Funktionsverschiebungen im Verfassungsstaat sind im Sinne funktionssichernder (normativer) Geltungsfortbildung zu verarbeiten, Funktion und Wirksamkeit der Beteiligung des Parlaments am Prozeß der Gesetzgebung über die „formalen“ Vorgaben des positiven Verfassungsverfahrensrechts hinaus in den Blick zu nehmen, die empirische Wirklichkeit des Verfahrens der Gesetzgebung auch verfassungsrechtlich zu problematisieren. 2. Einige Problemzonen des Gesetzgebungsverfahrens 1. Im Vorfeld des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens, also vor Einbringung eines Gesetzesentwurfs, werden gesellschaftliche Gruppen (Verbände) frühzeitig beteiligt. Hieraus kann ein faktisch unkontrollierter und unkontrollierbarer Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung von Gesetzen resultieren. § 27 Abs. 2 S. 1 GGO-II reagiert auf diese Gefahr, indem Gesetzentwürfe grundsätzlich auch den Geschäftsstellen der Fraktionen des Bundestages zur Kenntnis zu geben sind. Bei der Kontaktaufnahme mit Verbänden bei politisch sensiblen Entwürfen hat eine Entscheidung des Bundeskanzlers vorauszugehen 2. Gefahren liegen in der konsensualen Gesetzgebungspraxis. Zwar gibt es eine Reihe von Vorteilen Konflikte werden berechenbar und können durch Kompromisse schon im Entwurfsstadium verringert werden, die Herstellung von Konsens sichert spätere (politische) Akzeptanz. Auf der anderen Seite wird die Öffentlichkeit zum Teil lediglich innerhalb der mit der Gesetzesvorbereitung befaßten Ministerialbürokratie simuliert; ein umfassendes „Interessenclearing“ erscheint so kaum möglich. Die legislatorische Rationalität wird verfehlt, wenn die Kompromißbildung auf einer für Details sachfernen Ebene z. B.der Parteivorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden eine vorurteilsfreie(re) Behandlung im Plenum oder in den Ausschüssen kaum mehr zuläßt 3. Problematisch sind auch zufallsbedingte, mehr von partei-oder wahlpolitischen, weniger von Sachüberlegungen geleitete Verfahrensentscheidungen wie z. B. das Schnüren von Kompromißpaketen ohne inneren Zusammenhang der verknüpften Gesetzesvorhaben 4. Die vielfachen parteipolitischen Vorgaben prägen die Lösung gesetzgeberischer Probleme auf der ministeriellen Ebene, verkürzen die sachliche Diskussion durch die Volksvertreter im Plenum oder in den Ausschüssen und „binden“ so faktisch den Akteur Bundestag, ohne daß dieser wirklich Einfluß auf ihre Entstehung gehabt hätte. Entscheidungsfindung ist Reduktion von Alternativen: Die Ministerialbürokratie anonymisiert und reduziert die politische Gestaltungsfreiheit und die faktischen Kontrollmöglichkeiten des Bundestages bei dieser Reduktion 5. Das GG kennt kein allgemeines Verfahren zur frühzeitigen Befassung der anderen Beteiligten sondern setzt erst nach Fertigstellung eines Gesetzesentwurfes an (Art. 76 Abs. 2, 3 GG). Der Bundestag hat mit den Vorarbeiten zu der in der Praxis die Hauptrolle spielenden Regierungsvorlage allenfalls als Impulsgeber zu tun. Die Präparativphase ist aber organisationstheoretisch ausschlaggebend: Entscheidungen erfolgen stufenweise, nicht jede vorangegangene Entscheidung kann immer wieder neu aufgerollt werden, will man nicht entscheidungsunfähig werden 3. Stärkung der Kontrollfähigkeit des Deutschen Bundestages im Gesetzgebungsprozeß Die beschriebenen strukturellen „Schwächen“ des Bundestages verlangen eine verfassungsgerechte Funktionsbestimmung, die allen am Gesetzgebungsprozeß Beteiligten die Funktionen beläßt, die sie jeweils strukturell besonders gut erfüllen können. Ein optimierter Gesetzgebungsprozeß müßte außerdem zwei weitere Forderungen unterstützen: Erstens sollte Gesetzgebung unter dem Aspekt demokratischer Legitimation optimiert werden (gegen Geheimhaltungstendenzen); zweitens sollte die inhaltliche Richtigkeit des Gesetzes verbessert werden, der Prozeß der Gesetzgebung möglichst mit der Verabschiedung „guter“ Gesetze enden
Hält man diese Prämissen für richtig, sollte das Parlament in seiner Kontrollfunktion gestärkt werden. Abweichend von der Zweiteilung der Aufgaben des Parlaments in „Gesetzgebung“ einerseits und (nachgängige) Kontrolle von Regierung und Verwaltung andererseits muß die Kontrolle des Parlaments während des Gesetzgebungsverfahrens begleitend wirken, also vorgängig oder innerhalb des Verfahrensprozesses stattfinden. Kontrolle kann verfassungsspezifisch als „vorgängige, begleitende oder nachträgliche Einwirkung eines Verfassungsorgans oder einer sonstigen Verfassungsinstitution auf andere Organe oder Institutionen“ verstanden werden, ergänzt um Kontrolle unter Umständen auch innerhalb von Verfassungsorganen oder -Institutionen. In diesem Sinne ist nach Möglichkeiten zur Stärkung der Kontrollfähigkeit des Deutschen Bundestages zu fragen.
Beim vorparlamentarischen Verfahren könnte beispielsweise durch Einbindung außerparlamentarischen Sachverstandes schon im Entwurfsstadium eine Abschichtung der politisch-grundsätzlichen Fragen eines Entwurfes im Gegensatz zu den eher technischen Problemen stattfinden. Anhörungen von Betroffenen im vorparlamentarischen Verfahren könnten das Schweizer Vernehmlassungsverfahren, das schwedische Remiß-Wesen oder ähnliche Institute in anderen Ländern zum Vorbild nehmen Die Gefahr zu geringer Distanz bei der Problemverarbeitung erscheint bei pluralisierten Kommunikationsprozessen und angesichts der übrigen distanzierenden Verfahrensstationen gering. Auch schon die Referentenentwürfe sollten großzügig informationshalber an die Fraktionen bzw. die Abgeordneten/Ausschußmitglieder versandt (vgl. zur gegenwärtigen Rechtslage §§ 24, 25, 27 Abs. 2 GGO-II) und unter Umständen mit einem flankierenden Recht auf Aktenvorlage versehen werden
Im parlamentarischen Verfahren könnten Anhörungen in einer Art und zu einem Zeitpunkt durchgeführt werden, in dem sie noch „katalysatorische“ Wirkungen -auch auf Minderheitsansichten innerhalb der Regierungsmehrheit -haben können. Der Gefahr, daß Anhörungen und Sachverständige politisch instrumentalisiert werden, könnte entgegengewirkt werden, indem Teile der Anhörung im Sinne einer dialogischen Fachdiskussion organisiert werden, in denen es auch zu überparteilichen diskussionsartigen Wechselgesprächen kommen kann Eine verstärkte Einbeziehung des außerparlamentarischen bzw. außerministeriellen Sachverstandes könnte faktische Kontrollinstanz für den weithin unkontrollierten Einfluß der außerparlamentarischen Akteure des Gesetzgebungsprozesses sein.
Für eine verfassungsgerichtliche Kontrolle könnten auf den Vorgang der Entscheidungsfindung bezogene Beweislastregeln bzw. Beweisvermutungen die Beteiligten im voraus und rückwirkend für Fragen des Verfahrensrechts sensibilisieren. Einseitige Kontaktaufnahmen, Sachverständigenauswahl oder Informations-und Beratungspolitik etwa könnten eine Vermutung für gesetzgeberische Abwägungsfehler begründen, die, falls sie nicht widerlegt werden, zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes führen könnten. Die Art des Gegenstandes des Gesetzes, die Komplexität der betroffenen Verhältnisse und die darauf bezogenen Prognoseelemente müßten ihre verfassungsverfahrensrechtliche und verfassungsgerichtliche Berücksichtigung finden. Nur so können die solchen Entscheidungen wesenseigenen -faktisch präjudizierenden Bindungen als Gren zen und Belastung (auch) des politischen Gestaltungsspielraums zukünftiger Gesetzgebung durch einen besonders sorgfältigen Vorgang der Ausübung des gesetzgeberischen Gestaltungsermessens gerechtfertigt werden
V. Ausblick: „Nachsorge“ des Gesetzgebers
Die Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts bei der Überprüfung der „inneren“ Verfahren der Gesetzgebung gründet auf dem legislativen Prognose-, Beurteilungs-oder Gestaltungsspielraum. Der Gesetzgeber kann und darf sich in seiner Prognose irren; einst rechtmäßige Abwägungsentscheidungen mögen sich im Zeitablauf zur „Verfassungsrechtswidrigkeit“ entwickeln. Diese Zurückhaltung der Judikative vertraut auf gesetzgeberische Nachbesserungspflichten und die begleitende Beobachtung eines Gesetzes in der Vollzugswirklichkeit. Eine systematische ministeriumsinterne und/oder parlamentarische Wirkungskontrolle findet indessen nicht statt, ist mit einem erheblichen Organisationsund Verfahrensaufwand verbunden und verursacht gegen den Trend zum „schlanken Staat“ Kosten. Gesetzesevaluation wird aber der Sache nach etwa im Berichtswesen der Bundesregierung, im Zusammenhang der Kontrolle durch Rechnungshöfe, im Rahmen der Arbeit unabhängiger Sachverständigenkommissionen oder Bei-räte und in den Fachausschüssen des Deutschen Bundestages geleistet.
Die neuesten Bemühungen gehen in eine andere Richtung: Der Sachverständigenrat „Schlanker Staat“ weist den Weg einer „qualifizierten Bedürfnisprüfung für neue Rechtsvorhaben“; die Neuordnung der Staatsaufgaben wird zunächst als „Gesetzgebungskritik“ verstanden, denn „der Gesetzgeber definiert die Staatsaufgaben“ Die Gestaltung einer wirksamen Gesetzesbedürfnisprüfung steht deshalb im Mittelpunkt der Überlegungen. Neue Akzente setzt dabei eine „ernsthafte“ Vollzugskostenprüfung. Das eigentliche Problem der Normenreduktion dürfte aber in der Einschätzung der „gesamtgesellschaftlichen“ Lasten und Folgen eines Gesetzesvorhabens liegen. Globale gesetzgebungstechnische Lösungen stehen dafür nicht zur Verfügung: Gesetzgebung in der parlamentarischen Demokratie ist und bleibt „Stückwerkstechnologie“ von zunehmend begrenzter Regelungskraft, denn die Rechtsetzungsmacht des Bundestages wird tendenziell und wohl irreversibel schwächer -zugunsten übergeordneter Rechtsetzungsorgane und nachgeordneter Rechtsanwendungsorgane.