I. Vorbemerkungen
Der Problemstau in Deutschland ist offenkundig, die Selbstblockade von Politik und Gesellschaft ebenso. Doch keines der Probleme -Haushalts-nöte trotz öffentlicher Rekordverschuldung und erdrückender Steuer-und Abgabenlast, eine unerträglich hohe Staatsquote und die massive Gefährdung der sozialen Sicherungssysteme -kam aus heiterem Himmel. In einer jahrzehntelangen Realitäts-und Wirtschaftsferne von Politik und Gesellschaft haben wir alle diese Probleme geradezu aufgebaut und dürfen uns jetzt nicht über sie wundern. Das gilt auch für die Arbeitslosigkeit. Sie hat sich inzwischen zu einem Flächenbrand ausgeweitet -mit schlimmen Auswirkungen auf den einzelnen, die kollektiven Sicherungssysteme und den Zustand unserer Gesellschaft. Arbeitslosigkeit drückt den nieder, der arbeiten möchte, aber keine Chance dazu bekommt. Sie gefährdet die aufwendigen, nur bei Vollbeschäftigung wirklich funktionierenden Sicherungssysteme und stellt letztlich den Zusammenhalt unserer Gesellschaft in Frage, die längst begonnen hat, sich in Arbeitsplatzbesitzer und Ausgegrenzte zu spalten.
Dabei verharmlost die Statistik die Dimension des Problems. Gegenwärtig sind in Deutschland knapp 4, 4 Millionen Menschen offiziell als arbeitslos gemeldet -rund 12 Prozent aller Erwerbspersonen. Doch nicht mitgezählt ist dabei, wer an einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme teilnimmt, wer umgeschult oder fortgebildet wird. Auch der ist nicht eingerechnet, der wegen Arbeitslosigkeit in den Vorruhestand gegangen ist, kurzarbeitet oder beim Arbeitsamt nicht vorstellig wird. Fragt man also danach, wie viele Menschen in Deutschland tatsächlich gegen Entgelt arbeiten möchten, es aber nicht können, dürfte deren Zahl bei mehr als 6 Millionen liegen.
Für viele Beobachter legt das den Schluß nahe, es sei die Marktwirtschaft, die beim Beschäftigungsproblem versagt habe. Sie fordern die Regierung zu verstärkter „aktiver Arbeitsmarktpolitik“ auf und schlagen dafür eine breite Palette staatlicher Maßnahmen und Eingriffe vor. Die Arbeit, so eine der gängigen Forderungen, solle im Namen der Gerechtigkeit besser verteilt werden. Darüber hinaus müsse die Entsendung ausländischer Arbeitskräfte noch stärker abgeblockt werden, um die Konkurrenz um knappe Arbeitsplätze einzudämmen. Schließlich seien die sozialen Standards in der europäischen Union zu erhöhen, damit „Sozialdumping“ eingeschränkt wird.
Rezepte dieser Art werden immer häufiger angepriesen. Doch ihre Befolgung würde das Beschäftigungsproblem nicht lösen -sie würde es noch verschärfen. Wie der Arbeitslosigkeit beizukommen ist, führen uns unter anderem die Vereinigten Staaten vor. Dort ist zwischen 1970 und heute die Zahl der Arbeitsplätze um rund 60 Prozent gestiegen -und das ohne „aktive Arbeitsmarktpolitik“, ohne Umverteilung von Arbeit durch den Staat und ohne Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der öffentlichen Hand. In Westdeutschland waren es im gleichen Zeitraum lediglich 7 Prozent.
Und auch Nachbar Holland zeigt, wie die Arbeitslosigkeit eingedämmt werden kann. Dort waren im vergangenen Jahr durchschnittlich nur noch 500 000 Menschen arbeitslos; die Arbeitslosenquote betrug nur 7, 75 Prozent. In den letzten zehn Jahren wurden -vor allem durch Teilzeitarbeit im Dienstleistungssektor -rund 800 000 neue Stellen geschaffen. Zu diesen Erfolgen hat vor allem die seit 1983 von den Tarifparteien vereinbarte Lohn-zurückhaltung beigetragen. So sind die Lohnstückkosten nach Angaben der OECD seitdem deutlich geringer angestiegen als in den europäischen Nachbarländern.
Wenn wir bereit sind, diese und andere Beispiele erfolgreicher Schaffung von Arbeitsplätzen auch in Deutschland unvoreingenommen zur Kenntnis zu nehmen, kann auch bei uns Klarheit über den Weg zu mehr bezahlbaren Arbeitsplätzen einkehren.
II. Mehr Wettbewerb am Arbeitsmarkt
Wir haben -ausgerechnet im „Land der sozialen Marktwirtschaft“ und des einst darauf beruhenden „Wirtschaftswunders“ -den Arbeitsmarkt so gut wie abgeschafft. In einer jahrzehntelangen Entwicklung -von guten Absichten getragen und von Wirtschaftswachstum und Produktionsfortschritt begünstigt -haben wir die Vorstellung entwickelt, der Arbeitsmarkt dürfe nicht den elementaren Marktgesetzen von Angebot und Nachfrage und damit dem Wettbewerb unterworfen werden. Infolgedessen sind die Arbeitsmärkte durch die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit vom Kartellverbot ausgenommen -dem Verbot solcher Vereinbarungen also, die geeignet sind, den Wettbewerb zu beschränken. So wurde den Arbeitnehmern -überspitzt ausgedrückt -in gewissem Umfang das Recht auf schadensfreien Vertragsbruch durch Streik zugesprochen, den Arbeitgebern aber verwehrt, streikende Arbeitnehmer durch andere zu ersetzen, was etwa in den Vereinigten Staaten gang und gäbe ist. Es wurde ein ausgebauter Kündigungsschutz entwickelt und ein System der Mitbestimmung geschaffen, aufgrund dessen die für die Tarifverhandlungen mitverantwortlichen Unternehmensvorstände von einem stark gewerkschaftlich beeinflußten Aufsichtsrat eingesetzt werden.
All dies geschah erklärtermaßen zum Schutz der Schwächeren, der Arbeitnehmer. Der rauhe Wind des Wettbewerbs sollte die Unternehmer auf den Produktmärkten zu hoher Leistung zwingen, die Arbeitnehmer aber möglichst nicht berühren. Statt dessen wurde ihnen erlaubt, für das Angebot von Arbeit Anbieterkartelle zu bilden.
Das wurde allseits mehr oder weniger klaglos hingenommen, so lange sich die Zahl der Arbeitslosen in Grenzen hielt und die davon Betroffenen mit einem Füllhorn an sozialen Wohltaten ruhig-gestellt werden konnten. Doch diese Zeiten sind vorbei. Das Zusammentreffen einer sich an alte Ordnungsmuster und Besitzstände festklammernden Gesellschaft mit einer neuen, schöpferischen Unordnung am Weltmarkt hat uns eine Massenarbeitslosigkeit beschert, deren Beseitigung vor allem eines erfordert: eine ernsthafte Rückbesinnung auf die wirtschaftlichen Voraussetzungen von Beschäftigung und dorthin führende Weichenstellungen.
Denn Arbeitslosigkeit fällt nicht als Schicksal vom Himmel, jedenfalls nicht für die Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit, so schicksalhaft sie dem einzelnen auch entgegentritt. Sie ist vielmehr das Ergebnis falscher Vorstellungen und fehlerhaften Handelns einer ganzen Gesellschaft. In einer funktionierenden Marktwirtschaft sind Störfaktoren wie ein verändertes weltwirtschaftliches Umfeld noch lange keine hinreichenden Gründe für anhaltende Arbeitslosigkeit. Im Gegenteil: Verändern sich die Bedingungen wirtschaftlichen Handelns, dann führt dies in einer Marktwirtschaft nur dann zu längerer Arbeitslosigkeit, wenn die Gesellschaft auf solche Veränderungen nicht richtig reagiert, wenn sie vor allem in der Lohngestaltung, die sich auf den Beschäftigungsgrad besonders stark auswirkt, keine Einsicht zeigt.
Heute ist der internationale Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte zunehmend auch ein Wettbewerb der Arbeitsmärkte. Ausgetragen wird er in erster Linie auf dem weltumspannenden Markt der Güter, Produkte und Dienstleistungen. Auf ihm können die Arbeitskräfte mit der Qualität und der Preiswürdigkeit ihrer Produkte entweder bestehen oder durchfallen. Wo über Investitionsstandorte im internationalen Vergleich entschieden wird -und das ist mehr und mehr der Fall -, ist der Wettbewerb darüber hinaus ein direkter Lohnwettbewerb, bei dem heute in Deutschland nicht mehr nur die Beschäftigungsmöglichkeiten der Anbieter einfacher Arbeit bedroht sind. Genauso konkurriert heute, um ein Beispiel zu nennen, der ausländische Informatiker mit dem deutschen, auch wenn der erstere niemals deutschen Boden betritt. Überdies: Auch dort, wo nicht Güter gehandelt, aber die Arbeitskräfte vorübergehend aus dem Ausland nach Deutschland entsendet werden, geraten inländische Arbeitsplätze unmittelbar unter Konkurrenzdruck.
Um in dieser Situation bestehen zu können, müssen wir in Deutschland erst einmal wieder einen Arbeitsmarkt aufbauen. Das ist kein Rückschritt, wie heute vielfach zu hören ist. Es ist ein Schritt von versteinerten zu wieder entwicklungsfähigen Verhältnissen. Der einzelne Arbeitnehmer, der arbeiten möchte, seine Arbeitskraft aber nicht zu einem akzeptablen Preis anbieten darf, weiß das sehr wohl. Vorausschauende Gewerkschaften, die heute Einstiegstarife und Entgeltkorridore vereinbaren, wissen es ebenfalls.
Was dieser Aufbau eines Marktes im einzelnen erfordert, wird nachfolgend an einigen zentralen Punkten verdeutlicht.
III. Mehr Flexibilität in der Lohnpolitik . . .
Andere altindustrielle Länder sind dabei, sich auf die veränderte Situation einzustellen. Lohnsteigerungen, die deutlich hinter dem früher Üblichen Zurückbleiben, sind selbst in Europa keine Ausnahme mehr, von den USA ganz zu schweigen. Und auch bei uns verbietet inzwischen die Lage, Lohnpolitik einfach so zu betreiben, wie wir es bisher gewohnt waren. Statt dessen muß die Lohn-politik gleichzeitig zur Beschäftigungspolitik werden und sich entsprechend einrichten. Dabei gilt: -Hohe Arbeitslosigkeit baut sich am verläßlichsten in einer Periode kräftiger und langanhaltender Wachstumsdynamik ab. Zu dem dafür erforderlichen Wachstumsklima müssen alle Bereiche der Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik beitragen. Wo etwa Technikfeindlichkeit neue Produktions-und Beschäftigungsmöglichkeiten verbaut, kann die Wirtschaftspolitik allein nicht viel ausrichten. -Die Lohnpolitik leistet ihren Beitrag zu einem anhaltenden Wachstum dadurch, daß sie die Tariflöhne nicht an der Produktivität der besonders produktiven Arbeitsplätze orientiert, sondern an der geringeren Produktivität derjenigen Arbeitsplätze ausrichtet, die für eine Erhöhung des Beschäftigungsstandes nicht minder gebraucht werden. -Einfache Arbeit ist in Hochlohnländern inzwischen so teuer geworden, daß sie unter den gegenwärtigen Prämissen international nicht mehr originär wettbewerbsfähig sein kann. Sie wird statt dessen -von einfachen Dienstleistungen abgesehen -nur komplementär zu qualifizierter Arbeit nachgefragt. Kein Lohn, den wir hierzulande sozial noch erträglich finden, kann hier für Markt-ausgleich sorgen. Man kann das Problem nicht ernst genug nehmen -knapp die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen gehört zu den wenig Qualifizierten. So kann auch durch Lohnpolitik allein das Problem nicht gelöst werden. Aber sie kann es mildern, wenn sie den Lohnfächer nach unten auf-spreizt, zumindest aber allen Nivellierungsdruck unterläßt. Das muß unter dem Flankenschutz geeigneter Neuregelungen in anderen Bereichen -wie etwa der Verzahnung von Arbeitseinkommen und Sozialhilfe -geschehen. Auch hier sind bisher die Anreize falsch gesetzt, weil Sozialhilfeempfänger wegen der Abzugsregelung kaum ein materielles Interesse an der Aufnahme einer niedrig entlohnten Arbeit entwickeln können. -Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und des immer noch zunehmenden internationalen Wettbewerbs müssen die Unternehmen befähigt werden, jederzeit alle sich ihnen bietenden Chancen zu nutzen. Flexibel reagieren zu können ist oft ihre einzige Überlebenschance und damit auch die ihrer Mitarbeiter. Deshalb können tarifvertragliche Regelungen nicht mehr unterschiedslos und flächendeckend für jedermann, unter allen Umständen und zu jeder Zeit gelten. In so komfortabler Lage befinden wir uns in Deutschland schon lange nicht mehr. Wir können mithin auf solche Möglichkeiten an Produktion und Beschäftigung nicht verzichten, die aus der Flexibilität des Unternehmens beim Produktionsablauf erwachsen. Pointiert ausgedrückt: Entweder wir erlauben mehr Ausnahmen von den tarifvertraglichen Regeln, oder diese lassen sich nicht halten. Wie in der Produkt-und Preispolitik auf den Absatzmärkten sollte auch in der betrieblichen Entlohnung ein hohes Maß an -Beweglichkeit möglich sein. Es wäre bereits ein deutlicher Fortschritt, wenn die Tarifvertragsparteien die im Durchschnitt mögliche Lohnsteigerung nicht zwingend im Tarifvertrag vorschreiben, sondern es den Unternehmen überließen, für das wettbewerbs-angemessene Maß an Lohndifferenzierung zu sorgen.
Gewiß, die Folgen zurückhaltender Lohnpolitik sind für manche auf den ersten Blick befremdlich. Denn die Unternehmen werden, folgt man der Grundlinie konsequent und stimmen die übrigen Prämissen, gute Gewinne machen. Doch gerade das ist nötig, geht es doch darum, Arbeitsplätze zu halten und zu schaffen, neue Produktionschancen anzupacken und die dabei unvermeidlichen Wagnisse einzugehen. Nur Unternehmen in der Gewinnzone können sich das Risiko eines Mißerfolgs leisten. Wenn wir wirklich eine Offensive für mehr Beschäftigung wollen, dürfen wir diese einfachen Zusammenhänge nicht ignorieren.
Sich zurückzuhalten, wenn im Unternehmen Gewinne kräftig, die Löhne aber nur wenig steigen, fällt dem Arbeitnehmer gewiß nicht leicht. Trotzdem ist es nötig. Denn wenn wir zuerst an die Verteilung denken, bleiben für Beschäftigungssteigerung keine Mittel und kein Raum mehr. Dafür, daß auch die Unternehmensgewinne nicht in den Himmel wachsen, sorgt schon die Konkurrenz im tagtäglichen Wettbewerb; die Lohnpolitik wäre dafür das denkbar ungeeignetste Instrument. Im übrigen: Wenn in der volks-35 wirtschaftlichen Gesamtrechnung die Gewinn-quote steigt, so ist das kein Skandal, sondern das Gegenteil. Zuletzt, in den achtziger Jahren, wurden auf dieser Basis drei Millionen neuer Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen. Es haben also alle davon profitiert.
IV. ... und in der Gestaltung ’ der Arbeitszeiten
Flexibilität brauchen wir auch bei den betriebsindividuellen Arbeitszeiten, um unnötige Kostenbelastungen zu vermeiden. Die Leistungskraft vieler Unternehmen hängt unter anderem von der Dispositionsfreiheit beim Einsatz der Arbeitnehmer ab. Nur so können sie in Engpaßsituationen und den Phasen einer Absätzschwäche elastisch reagieren. Längere Maschinenlaufzeiten wie auch eine flexiblere Nutzung der betrieblichen Anlagen im Zeitablauf helfen dabei, die Kosten besser in den Griff zu bekommen; sie stärken insgesamt die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und schaffen damit die allerwichtigste Voraussetzung für Mehrbeschäftigung.
Größere Flexibilität ist auch bei der Festlegung der Wochen-und Jahresarbeitszeit notwendig. Die von den Tarifpartnern über viele Jahre hinweg betriebene Verkürzung der Wochenarbeitszeit hat dazu geführt, daß viele Unternehmen heute, ganz anders als früher, auf teure Überstunden angewiesen sind. Vereinbarungen über variable Wochenarbeitszeiten können dem wenigstens teilweise abhelfen. Ein vorübergehender Bedarf an Mehrarbeit kann dann durch normal bezahlte Arbeitszeiten gedeckt werden. Es geht aber nicht nur um Flexibilität bei der Wochenarbeitszeit. Betriebliche Vereinbarungen sollten auch die Jahresarbeitszeit in Grenzen veränderbar machen. Und die Einzelheiten der Arbeitszeitregelung sollten nicht von den Tarifvertragsparteien im voraus bestimmt, sondern vor Ort ausgehandelt werden. Nur noch so lassen sich die Arbeitszeiten der jeweiligen spezifischen Lage des Unternehmens anpassen und zunehmend auch den Wünschen der Arbeitnehmer in einer sich individualisierenden Arbeitswelt, die mit dem Standard-Arbeitsverhältnis der alten Industriegesellschaft kaum noch etwas gemein haben wird.
V. Die Rolle des Staates
Lohnpolitische Zurückhaltung ist also in Westdeutschland wie in den neuen Bundesländern über mehrere Jahre hinweg notwendig, um möglichst viele Unternehmen in die Lage zu versetzen. Neues zu wagen und zu investieren, um durch Produktinnovation ihre Position im internationalen Wettbewerb zu stärken. Es gehört geradezu zum kleinen Einmaleins des Wirtschaftens: Nur kräftiges Investieren erzeugt wirtschaftliche Dynamik und Wachstum, und nur unter diesen Bedingungen verbessern sich auf Dauer die Beschäftigungsmöglichkeiten. Nur dann bekommen auch jene Menschen wieder eine Chance, die wegen unzureichender beruflicher Qualifikation oder aus anderen Gründen als Langzeitarbeitslose zu den Stiefkindern des Arbeitsmarktes geworden sind.
Damit die Investitionsdynamik aber in Gang kommen kann, müssen die Anreize zur unternehmerischen Risikofreude gestärkt werden. Neben der dazu notwendigen Lohnzurückhaltung der Tarif-parteien muß allerdings auch der Staat seine beschäftigungspolitische Verantwortung wahrnehmen. Denn der Staat hat seine eigenen Möglichkeiten, daran mitzuwirken, daß auch in Deutschland auf Dauer noch erfolgreich gewirtschaftet werden kann und daß sich -selbst bei den inzwischen sehr hohen Löhnen -der Spielraum für lohnende Beschäftigung erweitern läßt. Wirtschaftspolitik als sogenannte Angebotspolitik ist trotz aller gegen sie gerichteten Angriffe dafür am besten geeignet. Sie zielt zunächst ganz allgemein auf die Nutzung neuer oder brachliegender Möglichkeiten der Wohlstandssteigerung und ist insoweit Dauer-aufgabe der Wirtschaftspolitik. In Zeiten anhaltend hoher Arbeitslosigkeit ist sie aber doppelt wichtig, um die Nachfrage nach Arbeitskräften wieder steigen zu lassen. Zu den in diesem Zusammenhang zu ergreifenden elementaren Maßnahmen zählen: -Die Senkung der Steuerlast und die Reform des Steuersystems mit dem Ziel, das risikoreiche Wagnis des Investierens und der Schaffung von Arbeitsplätzen steuerlich nicht auch noch zu bestrafen. -Die Rationalisierung der in Deutschland längst über die Ufer getretenen Staatstätigkeit und die Privatisierung all dessen, was private Unternehmen besser, gleich gut oder nicht viel schlechter machen würden. „Nicht viel schlechter“ -schon das wäre ein Fortschritt, weil es die öffentlichen Abgaben senken würde. Denn wegen ihrer anreiz-schädlichen Wirkungen verdrängen Steuern mehr an privater Tätigkeit, als sie mittels der durch sie finanzierten Staatsausgaben an öffentlich bestimmter Aktivität ermöglichen. -Die Aufhebung vieler unserer überflüssigen Regulierungen, die sich mit riesigem bürokratischem Aufwand privater Wirtschaftstätigkeit in den Weg stellen und damit die Möglichkeiten der Schaffung von Arbeitsplätzen einschränken. -Die Modernisierung des jeden Investor bedenklich stimmenden deutschen Arbeitsrechts, das Gesetzgeber und Rechtsprechung ohne Rücksicht auf seine gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen entwickelt und womit sie wesentlich zur Arbeitslosigkeit beigetragen haben. -Die Wiedergewinnung einer Bildungspolitik, die von der Grund-bis zur Hochschule Lust zur Leistung weckt und die Einsicht fördert, daß diese sich lohnt, menschlich und materiell. -Die Schaffung von Anreizen zu innovativem Tätigwerden durch darauf gerichtete Maßnahmen in nahezu allen Politikbereichen. -Intelligente Hilfen bei der Qualifizierung und Umqualifizierung von Arbeitskräften.
Es ist durchaus auch Raum vorhanden für eine staatliche Beschäftigungspolitik, wenn sie sich denn als aktive „Arbeitsmarktpolitik“ versteht und dementsprechend wirklich darauf gerichtet ist, dauerhafte Beschäftigungszuwächse zu ermöglichen. Eine solche Politik müßte weit mehr, als bisher geschehen, bei der problematischen Gruppe der Langzeitarbeitslosen ansetzen und ihnen die Integration in den regulären Arbeitsmarkt erleichtern. Diesem Anspruch genügt die gegenwärtige aktive „Beschäftigungspolitik“ nicht. Sie ist eher dazu angetan, mit kaum noch vertretbarem Mittel-aufwand offene Arbeitslosigkeit in verdeckte umzuwandeln.
Darüber hinaus sind zur Wiedergewinnung eines hohen Beschäftigungsstandes auch gründliche Änderungen im Sozialsystem erforderlich. Unter dem Druck des internationalen Wettbewerbs, dem sich auch Deutschland und seine Menschen nicht entziehen können, und unseren gewaltigen demographischen Veränderungen müssen wir alles daransetzen, den Kern des Sozialstaats lebensfähig zu halten. Wir müssen zu diesem Zweck die inzwischen verschwommenen Ziele der sozialen Sicherung wieder genauer zu definieren, sie künftig kostengünstiger zu erreichen und die Selbstverantwortung des einzelnen zu stärken suchen. Es geht dabei um die schwierige Aufgabe, zwei Positionen auszutarieren: das um der Leistungsgerechtigkeit willen zu Fordernde und das, was aus Gründen der Solidarität geboten erscheint.
Wichtig bleibt allerdings, daß die unabweisbare Verantwortung der Lohnpolitik für mehr Beschäftigung in Deutschland durch die Wachstums-und beschäftigungspolitischen Aufgaben des Staates nicht verwässert werden darf. Es wäre geradezu fatal, wenn die durch Anstrengungen des Staates und seiner Steuerzahler verbesserten Möglichkeiten zur Steigerung der Produktionsergebnisse sogleich von der Lohnpolitik in eine Steigerung der Löhne umgesetzt werden würden. Das liefe erneut auf eine massive Bevorzugung der Arbeitsplatzbesitzer gegenüber den Arbeitslosen hinaus. Daß auch heute noch so vorgegangen wird, zeigt das im Frühjahr 1997 vom DGB auf seinem Beschäftigungsgipfel vorgestellte Aktionsprogramm: Es enthält viele Forderungen an Dritte, stellt das eigene Verhalten hingegen nicht auf den Prüfstand. Das wichtigste Instrument zur Beschäftigungsförderung, eine beschäftigungskonforme Lohnpolitik, wird nicht einmal erwähnt. Und doch könnten die Gewerkschaften gerade auf diesem Gebiet und mit ihren Mitteln viel zur Steigerung der Beschäftigung in Deutschland beitragen.
VI. Abschied von Fehlvorstellungen
Wenn es nicht ein bloßes Lippenbekenntnis bleiben soll, in Deutschland wieder mehr Menschen zu bezahlbarer Arbeit zu verhelfen, dann müssen tatsächlich alle für die Wirtschafts-und Lohnpolitik Verantwortlichen in den entscheidenden Fragen jetzt an einem Strang ziehen. Das aber setzt auch voraus, daß die Gesellschaft als Ganzes einige ihrer lange gepflegten Fehlvorstellungen von wirtschaftlichen Grundzusammenhängen korrigiert und berit ist, wieder genauer hinzusehen.
-Den massiven lohnpolitischen Fehlgriffen der autonomen Gruppen am Arbeitsmarkt wurde und wird bis heute durch viele einfältige Argumente in der Öffentlichkeit der Boden bereitet. Das Kaufkraftargument -mehr Lohn schafft mehr Kaufkraft und damit mehr Arbeitsplätze -gehört dazu. Wäre diese Münchhausen-Methode richtig, könnte man die Beschäftigung leicht verdoppeln, indem man nur die Löhne vervielfacht. Mit diesem Argument werden also Lohngeschenke verlangt, damit die Beschenkten dem Schenker mehr Güter abkaufen können. Ebensogut könnte man verlangen, die Unternehmer sollten die Güter gleich verschenken. damit sie um so mehr davon produzieren und mehr Arbeitskräfte einstellen können. Wer so argumentiert, ist blind dafür, daß ein großer Teil aller Güter im internationalen Wettbewerb angeboten werden muß und insoweit allein Preise und Kosten zählen, nicht aber die Kaufkraft der Menschen in Deutschland. -Eindruck macht bis heute auch das Argument, die Umverteilung der knappen Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung führe zu mehr Beschäftigung. Doch auch dies ist eine naive Vorstellung. Denn Arbeit ist auch bei uns keinesfalls knapp. Sie liegt für den, der sich umschaut, geradezu auf der Straße. Knapp ist nur diejenige Arbeit, die soviel erbringen soll, daß man die in Deutschland üblichen Löhne dafür bezahlen kann. Deshalb ist der Beschäftigungseffekt einer Arbeitszeitverkürzung auch nicht in einem simplen Dreisatz zu ermitteln, denn Nachfrage und Produktion sind nicht vorgegeben. Es gibt also keine einfache Substitution der wegen Arbeitszeitverkürzung unterbliebenen Arbeitsstunden durch mehr Beschäftigte. Die Qualifikation der Arbeitslosen weicht nun einmal in einer nicht ohne weiteres korrigierbaren Weise von der Qualifikation der kürzer Arbeitenden ab. So kann die verordnete Arbeitszeitverkürzung besonders qualifizierter Arbeitskräfte sogar kontraproduktiv sein. Denn auf den vollen Einsatz der Hochqualifizierten sind die weniger Qualifizierten angewiesen. Nur als deren Helfer können Sie überhaupt hoffen, so anspruchsvolle Güter herzustellen, daß sie damit im internationalen Wettbewerb bestehen können. Die beschäftigungspolitisch problematischste Gruppe unter den Arbeitslosen -die Anbieter einfacher Arbeit -müßte also eigentlich mit dem größten Nachdruck darauf dringen, daß die Qualifizierten ihre Arbeit keinesfalls verkürzen sondern, soweit man sie dafür gewinnen kann, sogar noch verlängern. -In die Irre geht auch die Vorstellung, die Lohn-nebenkosten durch eine Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen zu senken, etwa durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, um so den Faktor Arbeit attraktiver zu machen. Solche und andere bloßen Umbuchungen wälzen einen Teil der Zusatzkosten lediglich auf die Allgemeinheit ab und bleiben ohne Folgen für die Erhöhung der Produktion und der Beschäftigung, solange niemand seine Einkommensansprüche real zurückschraubt. Wären die Arbeitnehmer allerdings zu einem solchen Verzicht bereit, so könnte man den Beschäftigungseffekt auch haben, ohne eine Steuererhöhung gegen eine Senkung der Sozialabgaben auszutauschen.
Am trügerischsten aber ist die Vorstellung, „politischer Gestaltungswille“ müsse (und könne) „Vorrang vor den Märkten“ haben. Diese dem Sozialismus und seiner Planwirtschaft erstaunlich nahe Fehleinschätzung ist heute des öfteren zu hören und enthüllt die tiefere Ursache unserer Misere: den Glauben, Staat und Kollektiv könnten die Marktgesetze aushebeln und etwa über den sogenannten zweiten Arbeitsmarkt Arbeitsplätze schaffen und dauerhaft subventionieren. Der Zusammenbruch der öffentlichen Finanzen und letztlich des Gemeinwesens wäre die Folge.
Und doch sind mehr Arbeitsplätze in Deutschland keine Utopie, wenn wir in unserem Land wieder einen Markt für Arbeit schaffen und die dagegen errichteten Blockaden abbauen. Mit seiner Hilfe kann erreicht werden, was weder Appelle von oben noch Druck von unten zu erzeugen vermögen: die Wiederherstellung eines Klimas für Investitionen im Lande und damit auch für zukunftsfähige Arbeitsplätze.
Weiterführende Literatur:
Norbert Berthold/Rainer Fehn, Aktive Arbeitsmarktpolitik -wirksames Instrument der Beschäftigungspolitik oder politische Beruhigungspille?, Würzburg 1977; Kronberger Kreis, Arbeitslosigkeit und Lohnpolitik -Die Tarifautonomie in der Bewährungsprobe, hrsg. vom Frankfurter Institut, Bad Homburg 1995; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1995/1996, Stuttgart 1995; Bernd Rüthers, Beschäftigungskrise und Arbeitsrecht, Bad Homberg 1996; Assar Lindbeck, The West European Unemployment Problem, in: Weltwirtschaftliches Archiv, 132 (1996) 4, S. 609-637; Horst M. Schellhaaß, Die Zukunft des Arbeitsmarktes -Wege zu mehr Beschäftigung, hrsg. vom Frankfurter Institut, Bad Homburg 1996; Horst Siebert, Geht den Deutschen die Arbeit aus?, München 1994; Eckhard Knappe, Arbeitsmarktordnung und Arbeitsmarkt-politik, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, (1997) 1; Lothar Funk/Eckhard Knappe, Neue Wege aus der Arbeitslosigkeit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3-4/96, S. 17-25.